Kapitel XVII

Kapitel XVII

Wenn die französische Nation nur aus Frauen bestände, was wäre das für eine schreckliche Nation.“

Daily News, Mai 1871.

Unsere Pariserinnen. Waffenstillstand zur Räumung von Neuilly. Die Versailler und die Pariser Armee.

Die große Flamme von Paris verhüllte diese Schwächen noch. Wer nicht von ihr ergriffen war, der vermag sie nicht zu beschreiben. Die kommunalistischen Zeitungen sind, trotz ihrer Romantik, blass und matt daneben. Die Inszenierung will freilich auch wenig besagen. Auf den Straßen, auf den schweigenden Boulevards ein Bataillon von 100 Mann, das ins Feuer zieht oder davon zurückkommt, eine Frau, die dem Trupp folgt, ein Vorübergehender, der ihnen Beifall zuruft, das war Alles. Aber es war ein Revolutionsdrama, einfach und riesenhaft wie ein Trauerspiel des Äschylos.

Der Kommandant staubbedeckt, in der Matrosenjacke, mit brandgeschwärzten Tressen. Die Mannschaft Grauköpfe oder blonde Häupter, die Veteranen vom Juni und die Zöglinge der Idee. Oft marschiert der Sohn neben dem Vater.

Die Frau endlich, die sie begrüßt oder begleitet, ist die echte Pariserin. Das unreine Zwittergeschöpf, das im kaiserlichen Schlamm geboren ist, die Madonna der Prostitutionsschriftsteller, der Dumas Sohn und der Feydeau, ist ihrer Kundschaft nach Versailles gefolgt oder beutet in Saint Denis die preußische Goldgrube aus. Die, welche jetzt das Pflaster einnimmt, ist die starke, die hingebende, die tragische Pariserin, die zu sterben wie zu lieben weiß, die Pariserin, von jener reinen, edlen Ader, welche als unsere höchste Revolutionshoffnung seit 89 lebendig in den Tiefen der Volksschichten rinnt. Die Gefährtin der Arbeit will auch den Tod teilen. Diese Gleichheit wird der Bourgeoisie fürchterlich, denn der Proletarier besitzt verdoppelte Kraft, ein Herz und vier Arme. Am 24. März sprach ein Föderierter zu den Bourgeoisbataillonen der Mairie des 1. Arrondissements das große Wort, das ihnen die Waffen aus der Hand schlug: „Glaubt mir, ihr könnt nicht Stand halten, alle eure Frauen sind in Tränen und die unseren weinen nicht.“

Sie hält ihren Mann nicht zurück.A Im Gegenteil, sie drängt ihn in den Kampf, sie bringt ihm Wäsche und Suppe, wie sie es in der Werkstatt tat. Viele wollen gar nicht mehr zurückkehren, sondern greifen selbst zum Gewehr. Auf der Hochebene von Châtillon waren sie die Letzten im Feuer. Die Marketenderinnen, nicht im Maskeradeaufzug, sondern einfach als Arbeiterinnen gekleidet, fallen zu Dutzenden. Am 3. April blieb die Marketenderin des 66., die Bürgerin Lachaise, den ganzen Tag auf dem Schlachtfeld, um allein, ohne Beistand eines Arztes, die Verwundeten zu pflegen.

Wenn sie zurückkehren, so geschieht es nur, um zu den Waffen zu rufen. Sie vereinigen die Hingebung Aller in einem Zentralkomitee, sie heften auf der Mairie des 10. Arrondissements glühende Proklamationen an: „Es gilt zu siegen oder zu sterben. Ihr die ihr sagt: Was kümmert mich der Triumph unserer Sache, wenn ich meine Lieben verlieren muss, wisst, dass es nur ein Mittel gibt, eure Lieben zu retten, wenn ihr euch selbst in den Kampf werft.“ Ihre Komitees werden immer zahlreicher; sie bieten der Kommune ihre Dienste an, sie verlangen Waffen, Posten im Gefecht, führen Klage gegen die Feigen.B Frau André Leo erklärte die Kommune mit ihrer beredten Feder und forderte den Delegierten des Kriegswesens auf, „das heilige Fieber, das in den Herzen der Frauen glüht“, zu verwerten. Eine junge Russin von sehr hoher Abkunft, die sich Dimitriew nannte, gebildet, schön und reich, war die Theroigne dieser Revolution. Die Kommune der Proletarier hatte ihre eigene Frauengestalt, die mit Tat und Herz ganz dem Volk angehörte, Louise Michel, eine Lehrerin vom 17. Arrondissement. Sanft und geduldig gegen die kleinen Kinder, deren Abgott sie war, wurde die Mutter für die Sache des Volks zur Löwin. Sie hatte ein weibliches Ambulanzkorps errichtet, dessen Angehörige die Verwundeten unter den Kartätschen selbst verpflegten. In diesem Punkt litten sie keine Rivalinnen. Sie gingen auch in die Spitäler, um ihre lieben Kameraden den unfreundlichen Nonnen streitig zu machen und das Auge der Sterbenden belebte sich bei dem Ton dieser sanften Stimmen, die ihnen von Republik und Hoffnung sprachen.

In diesem Wettkampf der Aufopferung suchten die Kinder die Männer und Frauen noch zu überbieten. Die siegreichen Versailler nahmen ihrer 660 gefangen und Viele kamen beim Straßenkampf um. Tausende taten während der Belagerung Dienste. Sie folgten den Bataillonen in die Laufgräben, auf die Forts, und klammerten sich besonders an die Kanonen. Einige Verteidiger der Porte Maillot waren Kinder von 13 bis 14 Jahren. Im freien Felde taten sie Wunder der Tollkühnheit.

Diese Flamme von Paris strahlte auch über die Umwallung hinaus. Die Munizipalitäten von Sceaux und St. Denis traten in Vincennes zusammen, um gegen das Bombardement zu protestieren, und die Munizipalfreiheiten und die Feststellung der Republik zu fordern.

Die Glut verbreitete sich bis in die Provinz, welche Paris bereits für uneinnehmbar zu halten begann und sehr über die Depeschen des Herrn Thiers lachte, die am 3. April verkündeten: „Dieser Tag ist für das Schicksal der Insurrektion entscheidend“, am 4.: „Die Insurgenten haben heute eine entscheidende Schlappe erlitten“, am 7.: „Dieser Tag ist entscheidend“, am 11.: „Man bereitet in Versailles unwiderstehliche Maßregeln vor“, am 12.: „Man erwartet den entscheidenden Augenblick“. Und trotz so vieler entscheidender Erfolge und unwiderstehlicher Maßregeln, biss sich die Versailler Armee noch immer mit unseren Vorposten herum. Ihre einzigen entscheidenden Siege trug sie gegen die Häuser der Umwallung und des Weichbilds davon.

Die Umgebung der Porte Maillot, die Avenue de la Grande Armée, die Ternes standen beständig in Flammen. Asnières, Levallois glichen Trümmerhaufen. Die Bewohner von Neuilly vegetierten halb verhungert in ihren Kellern. Die Versailler warfen allein auf diese Punkte täglich 1500 Granaten und Herrn Thiers wagte seinen Präfekten zu schreiben: „Wenn einige Kanonenschüsse zu hören sind, so gehen sie nicht von der Regierung aus, sondern von einer Handvoll Insurgenten, welche die Annahme verbreiten wollen, als ob sie kämpften, während sie kaum wagen, sich blicken zu lassen.“

Die Kommune kam den Bombardierten von Paris zu Hilfe, aber für die von Neuilly, welche zwischen zwei Feuern steckten, vermochte sie nichts. Ein Schrei um Erbarmen ging durch die ganze Presse. Alle Zeitungen verlangten einen Waffenstillstand zur Räumung von Neuilly. Die Freimaurer, die „Liga der Rechte von Paris“ mischten sich ein. Mit großer Mühe – denn die Generale wollten keinen Waffenstillstand — erlangten die Delegierten eine achtstündige Waffenruhe. Der Rat beauftragte fünf seiner Mitglieder, die Bombardierten zu empfangen und die Munizipalitäten bereiteten ihnen ein Asyl. Frauen-Komitees gingen mit Unterstützungen ab.

Am 25. morgens 9 Uhr verstummten die Kanonen von der Porte Maillot bis Asnières. Zu Tausenden kamen die Pariser heraus, um die Ruinen der Avenue, die Porte Maillot zu besichtigen, die nur noch ein Haufen von Erde, Granit und Granatsplittern war. Mit Rührung betrachteten sie die Kanoniere, die sich auf ihre sagenhaft gewordenen Geschütze stützten und strömten dann nach Neuilly. Die kleine, einst so zierliche Stadt zeigte bei den Strahlen einer schönen Sonne ihre zerschmetterten Häuser. Auf den bedungenen Grenzen standen auf zwanzig Meter Entfernung zwei Spaliere, von denen das eine aus Liniensoldaten, das andere aus Föderierten bestand. Die Versailler waren unter den Sichersten ausgewählt und von Offizieren mit Galgengesichtern beaufsichtigt. Die Pariser näherten sich gutmütig den Soldaten und sprachen mit ihnen. Alsbald eilten die Offiziere wütend herbei und brüllten sie an. Als ein Soldat zwei Damen höflich Antwort gab, stürzte ein Offizier auf ihn zu, riss ihm das Gewehr weg, fällte das Bajonett gegen die Pariserinnen und rief: „So spricht man mit ihnen.“ Einige Personen, welche von beiden Seiten die Linien überschritten, wurden gefangen genommen. Doch konnte man es ohne Blutbad bis fünf Uhr aushalten. Die Avenue leerte sich. Beim Heimgehen brachte jeder Pariser seinen Sack Erde für die Befestigungen der Porte Maillot mit, die wie auf einen Zauberschlag wieder erstanden.

Abends eröffneten die Versailler das Feuer wieder, welches gegen die südlichen Forts gar nicht eingestellt worden war. Am selben Tag demaskierte der Feind auf dieser Seite die Batterien, die er seit vierzehn Tagen anlegte. Das war der erste Teil des Feldzugsplans, den der General Thiers entworfen.

Derselbe hatte am 6. alle Truppen unter das Kommando jenes MacMahon gestellt, der sich kaum von der Traufe von Sedan die Haut getrocknet. Die Armee zählte dazumal 46.000 Mann, zum größten Teil rückständige Mannschaft, die zu jeder ernstlichen Aktion untauglich war. Um sie zu verstärken, um Soldaten zu bekommen, hatte Herr Thiers Jules Favre abgesandt, damit er Bismarck etwas vorweinen solle. Der Preuße hatte 60.000 Gefangene gegen härtere Friedensbedingungen losgelassen und seinen Kollegen ermächtigt, die Zahl der Soldaten vor Paris, welche nach den Friedenspräliminarien eine Höhe von 40.000 nicht übersteigen sollte, auf 130.000 Mann zu bringen. Am 25. April belief sich die Versailler Armee auf fünf Korps, von welchen zwei, Douai und Clinchant, aus den von Deutschland zurückgekehrten Gefangenen formiert waren, sowie eine von Vinoy kommandierte Reserve, im Ganzen 130.000 Mann. Sie stieg noch bis auf 130.000 Kombattanten und 170.000 Mäuler. Herr Thiers zeigte sich wirklich sehr gewandt, diese Armee gegen Paris zu dressieren. Die Soldaten wurden gut genährt, gut gekleidet, streng gehalten, die Mannszucht ward wieder hergestellt, Offiziere, welche für schuldig befunden waren, vor diesem brudermörderischen Krieg ihren Abscheu ausgedrückt zu haben, verschwanden auf geheimnisvolle Weise. Doch war es noch keine Angriffsarmee, denn die Leute rissen vor einem wohl unterhaltenen Widerstand immer noch aus. Trotz der offiziellen Prahlereien zählten die Generale nur auf die Artillerie, der sie die Erfolge von Courbevoie und Asnières verdankten. Nur durch das Feuer hofften sie Paris zu besiegen.

Paris war jetzt, wie zur Zeit der ersten Belagerung, buchstäblich von Bajonetten eingeschlossen, welche diesmal zur Hälfte Fremden, zur Hälfte Franzosen angehörten. Die deutsche Armee bildete den Halbkreis von der Marne bis St. Denis und besetzte die östlichen und nördlichen Forts, die Versailler Armee schloss den Kreis von St. Denis bis Villeneuve St. Georges und war nur im Besitz des Mont Valérien. Diese letztere konnte somit die Kommune nur vom Westen und Süden aus angreifen. Die Föderierten hatten zu ihrer Verteidigung nur die fünf Forts von Ivry, Bicêtre, Montrouge, Vanves und Issy mit den Laufgräben und Vorposten, welche sie verbanden und den hauptsächlichsten Dörfern von Neuilly, Asnières und St. Quen.

Der verwundbare Punkt der Umwallung war der Vorsprung des Point du Jour im Südosten, welcher durch das Fort Issy gedeckt war. Auf der Rechten hinlänglich geschützt durch den Park und das Schloss von Issy, sowie durch einen Laufgraben, welcher dasselbe mit der Seine verband, worauf unsere Kanonenboote schwammen, war dieses Fort von vorn und von der Linken durch die Höhen von Bellevue, Mendon und Châtillon beherrscht. Herr Thiers bewaffnete dieselben mit grobem Geschütz, das er aus Toulon, Cherbourg, Douai, Lyon und Besançon kommen ließ – 293 Belagerungsgeschütze — und dessen Wirkung war eine derartige, dass schon in den ersten Tagen das Fort Issy wankte. General Cissey, der mit der Leitung der Operationen betraut war, nahm alsbald die Laufgräben gegen die Forts in Angriff. Das Fort Issy und das Fort Vanves, welches das erstere unterstützte, zum Schweigen bringen, dann den Point du Jour, von wo aus eine Armee sich nach Paris entfalten kann, forcieren, das war der Plan des Herrn Thiers. Die Operationen von St. Quen bis Neuilly hatten keinen anderen Zweck, als unseren Ausfall auf Courbevoie aufzuhalten.

Welche Streitkräfte und welchen Plan setzte die Kommune dem entgegen?

Die offiziellen Angaben sprachen von ungefähr 96.000 Soldaten und 4000 Offizieren für das erste Aufgebot der Nationalgarde, für das zweite von 100.000 Soldaten und 3500 Offizieren.C Sechsunddreißig Freikorps gaben einen Bestand von 3450 Mann an. Wenn alle Abzüge gemacht waren, konnte man immer noch eine Zahl von 60.000 Kombattanten erhalten, wenn man es nur richtig angriff. Aber die Schwäche des Rats, die Schwierigkeit des Überwachens war schuld, dass die minder Tapferen und Solche, die ihres Solds nicht bedurften, außer aller Kontrolle blieben. Andere wussten es auch so einzurichten, dass nur der innere Dienst an sie kam. Aus Mangel an Energie und Ordnung blieb somit der wirkliche Bestand ein sehr schwacher. Von St. Quen bis Ivry war niemals mehr als eine dünne Linie von 15 bis 16.000 Föderierten.

Die Kavallerie figurierte nur in den Etatberichten, denn man brachte nicht mehr als 500 Pferde zusammen, um die Artillerie und die Bagage zu bespannen, und um Offiziere und Staffetten beritten zu machen. Der Geniedienst war durchaus unvollkommen, trotz der schönsten Beschlüsse. Von den 1200 Geschützen, welche Paris besaß, wusste man nur 200 zu verwerten. Man hatte nie mehr als 500 Artilleristen, während die Etatberichte von 2500 sprachen.

Dombrowski hielt die Brücke von Asnières, Levallois, Neuilly mit höchstens 4 bis 5000 Mann besetzt.D Zu seiner Deckung hatte er in Clichy und Asnières dreißig Geschütze und zwei gepanzerte Waggons, die vom 15. April bis zum 22. Mai selbst noch nach dem Einzug der Truppen unablässig die Bahn befuhren, und zehn Stücke in Levallois. Die nördlichen Wälle unterstützten ihn und die tapfere Porte Maillot deckte ihn in Neuilly.

Auf dem linken Ufer von Issy bis Ivry, in den Forts, den Dörfern, den Laufgräben lagen 10 bis 11.000 Föderierte. Das Fort Issy enthielt nach mittlerer Schätzung 600 Mann und 50 Geschütze, Sieben- und Zwölfpfünder, wovon zwei Drittel untätig waren. Die Basteien 72 und 73 leisteten ihm einigen Beistand, unterstützt durch vier gepanzerte Lokomotiven, die auf dem Viadukt des Point du Jour lagen. Unten beschossen die wiederbewaffneten Kanonenboote Bréteuil, Sèvre, Brimborion, sie wagten sich sogar bis Châtillon vor und bombardierten Meudon ohne Deckung. Einige Hundert Schützen hielten den Park und das Schloss von Issy, Les Moulineaux, Le Val und die Laufgräben, welche das Fort Issy mit dem Fort Vanves verbanden, besetzt. Dieses Letztere, gleicherweise wie Issy beherrscht, hielt mit einer Garnison von 500 Mann und 20 Kanonen tapfer Stand; die Basteien der Umwallung unterstützten es nur sehr wenig.

Das Fort Montrouge mit 350 Mann und 10 bis 15 Geschützen hatte keine andere Aufgabe als das Feuer von Vanves zu unterstützen. Das von Bicêtre mit 500 Mann und 20 Geschützen schoss aufs Geratewohl. Drei beträchtliche Redouten beschützten dasselbe: Les Hautes Bruyères, 500 Mann und 20 Geschütze stark, Le Moulin Saquet mit 700 Mann und ungefähr 14 Geschützen; Villejuif mit 300 Mann und einigen Haubitzen. Auf der äußersten Linken hatten das Fort Ivry und seine Nebengebäude 500 Mann und 40 Geschütze. Die dazwischenliegenden Dörfer Gentilly, Cachan, Arcueil waren von 2000 bis 2500 Föderierten besetzt.

Das nominelle Kommando der südlichen Forts, welches zuerst Endes, unter dem Beistand La Cécilia's, eines Ex-Offiziers des Geniekorps, besaß, ging am 20. an den Elsässer Wetzel, einen Offizier der Loire-Armee über. Von seinem Hauptquartier in Issy aus sollte derselbe die Laufgräben von Issy und Vanves und die Verteidigung der Forts überwachen. In Wirklichkeit handelten aber die Kommandanten dieser Punkte, welche häufig wechselten, stets nach ihrem Gutdünken.

Das Kommando von Ivry bis Arcueil wurde gegen Mitte April dem General Wroblewski, einem der besten Offiziere des polnischen Aufstands übergeben. Dieser war ein junger Mann von eilten militärischen Kenntnissen, tapfer, klug, methodisch, wusste er Alles zu verwerten und war ein trefflicher Führer für junge Truppen.E

Alle diese Befehlshaber erhielten stets nur den einen Befehl: „Wehrt Euch!“ Ein allgemeiner Plan war niemals vorhanden. Weder Cluseret noch Rossel hielten je einen Kriegsrat. Auch die Mannschaft wurde ohne Pflege und Aufsicht sich selber überlassen. Es fand wenig oder gar keine Ablösung statt, alle Anstrengungen fielen auf dieselben Personen. Die einen Bataillone mussten zwanzig, dreißig Tage in den Laufgräben zubringen, während die anderen beständig in Reserve blieben. Während sich nun die Einen so im Feuer abhärteten, dass sie gar nicht mehr zurück wollten, wurden Andere entmutigt, sie zeigten ihre staubbedeckten Kleider und verlangten Ruhe; die Generale waren aber gezwungen, sie zurückzuhalten, da sie keinen Ersatz hatten.

Diese Nachlässigkeit ertötete in Bälde alle Disziplin. Die tapferen Leute wollten bald nur ihrem eigenen Kopf folgen, die Anderen suchten dem Dienst zu entwischen. Die Offiziere machten es ebenso, die Einen verließen ihren Posten, um sich in das Feuer des Nachbars zu stellen, die Anderen kehrten in die Stadt zurück. Das Kriegsgericht fällte gegen mehrere ein sehr strenges Urteil. Der Rat aber kassierte die Beschlüsse und änderte ein Todesurteil in dreijährige Gefangenschaft. Da man vor der Strenge, der eigentlichen Disziplin des Krieges zurückschreckte, hätte man die Methode und Taktik ändern müssen. Aber der Rat wollte jetzt noch weniger als am ersten Tag. Er sagte beständig, es gehe nichts vorwärts und er selbst verstand doch nicht, etwas in Gang zu bringen. Am 16. erklärte die Militärkommission, die Dekrete und Befehle blieben tote Buchstaben und beauftragte die Munizipalitäten, das Zentralkomitee und die Legionsführer, die Nationalgarde zu reorganisieren. Keines dieser Getriebe griff regelrecht in einander. Der Rat hatte nicht einmal daran gedacht, Paris in Sektionen einzuteilen, das Zentralkomitee intrigierte, die Legionsführer wurden unruhig, einige Generale und Mitglieder des Rats träumten von einer Militärherrschaft. Inmitten all dieser tödlichen Wirren erörterte der Rat mehrere Sitzungen hindurch, ob man die Scheine des Pfandhauses bis zu 20 oder bis zu 30 Frs. einlösen solle und ob der Officiel zu 5 Cms. zu verkaufen sei.

Von Ende April an war für jedes geübte Auge die Verteidigung gerichtet. Innen erschöpfen sich tätige, ergebene Männer in aufreibenden Kämpfen gegen die Büros, die Komitees, die Unterkomitees, gegen das tausendfache anspruchsvolle Räderwerk eifersüchtiger Administrationen und verlieren einen ganzen Tag, um nur eine einzige Kanone zu erlangen. Auf den Wällen lichten ein paar Kanoniere unausgesetzt die Reihen der Versailler, ohne etwas anderes zu verlangen als Brot und Eisen und verlassen ihre Stücke nur, wenn sie von den Granaten weggerissen werden. Die Forts mit eingestürzten Kasematten und zerschmetterten Schießscharten antworten lachend auf den Platzregen von den Anhöhen. Die tapferen Schützen wagen sich ohne Deckung vor und überfallen die Liniensoldaten in ihren Löchern. All diese Hingebung, dieser Heldenmut verpufft ins Blaue. Es war wie ein Maschinenkessel, der seinen Dampf aus hundert Öffnungen ausströmt.

A Und welch erhabenes Vertrauen in ihrer Einfalt! Wir hörten im Omnibus dem Gespräch zweier Frauen zu, welche ihre Männer in den Laufgräben besucht hatten. Die Eine weinte, die Andere sagte ihr: „Verzweifle nicht, unsere Männer kehren gewiss zurück. Und dann hat ja die Kommune versprochen, für uns und unsere Kinder zu sorgen. Aber nein! Es ist ja unmöglich, dass sie den Tod finden, wenn sie eine so gute Sache verteidigen. Und schließlich, sieh, ich will den meinen lieber tot wissen, als in den Händen der Versailler.“

B „Mein Herz blutet, wenn ich sehe, dass durchaus nur diejenigen in den Kampf gehen, die es selber wollen. Es ist keine Denunziation, die ich Ihnen machen will, Bürger Delegierter, das sei ferne von mir, aber als treue Bürgerin muss ich fürchten, dass die Schwäche der Kommunemitglieder unsere Zukunftspläne zunichte mache.“ Dieser heroische Brief ist einem Buche entnommen: „Der Boden der Gesellschaft unter der Kommune,“ welches die von der Armee auf den verschiedenen Mairien und Administrationen aufgefundenen Schriftstücke enthält. Das Werk ist im Allgemeinen eine gehässige Karikatur, deren lächerlichster Teil jedenfalls der Verfasser selber ist, ein Spießbürger von Blut und Eisen.

C Sehr beiläufige Zahlen. Die Angabe des Officiel vom 6. Mai ist ganz unvollständig. Im Allgemeinen waren die Etatberichte irrig, erdichtet, besonders seit der Verwaltung Meyers.

D Die angegebenen Zahlen sind sorgfältig untersucht worden, zuerst durch den Augenschein während des Kampfs, dann bei den Generalen, den höheren Offizieren und den Militärbeamten. General Appert hat durchaus erdichtete Tabellen aufgestellt. Er hat eingebildete Brigaden erschaffen, gibt den Bestand des Heers an, als ob die bezeichneten Bataillone alle wirklich ausgerückt wären und führt beständig doppelte Rechnung. So kommt es, dass er Dombrowski mehr als 20.000 Mann und den drei Armeekommandanten bis zu 50.000 Mann zuschreibt, was lächerliche Zahlen sind. Sein Bericht, der von Irrtümern in Bezug auf Namen und Befugnisse wimmelt, der nicht einmal die Namen gewisser kommandierender Generale kennt, hat gar keinen Wert für die Geschichte.

E Ein Mitglied des Rats entdeckte denselben und stellte ihn auf der Kriegsdelegation vor, wo er seine Ansichten auseinandersetzte. „Aber,“ sagte man ihm, „das ist ja Wort für Wort, was uns Pyat unaufhörlich sagt.“ – „Ich habe,“ antwortete Wroblewski, „vor einigen Tagen Félix Pyat einen Aufsatz zugeschickt.“ Rossel ging auf das Büro von Pyat und fand dort das Schriftstück. Seit mehreren Tagen hatte also der Edle die Gedanken Wroblewskis verwertet, ohne ein Wort über ihren Urheber fallen zu lassen, und die Kommission durch seine Vernunft und seine technischen Kenntnisse in Erstaunen gesetzt.

Kommentare