Kapitel XXIX

Kapitel XXIX

Unsere tapferen Soldaten betragen sich auf eine Weise, die dem Auslande die höchste Achtung, die größte Bewunderung einflößt.“

Thiers in seiner Rede an die Nationalversammlung, am 24. Mai 1871.

Mittwoch, den 24. Die Kommunemitglieder räumen das Stadthaus. Das Panthéon wird genommen. Die Versailler erschießen die Föderierten zu Hunderten. Die Föderierten erschießen sechs Geiseln. Die Nacht der Kanonade.

Die Barrikadenverteidiger, denen schon Verstärkung und Munition ausgeht, halten noch, ohne Nahrungsmittel, einzig auf die Hilfsmittel des Viertels angewiesen, Stand. Viele sind so erschöpft, dass sie sich nach Nahrung umsehen müssen. Ihre Kameraden, die sie nicht zurückkehren sehen, geraten in Verzweiflung, die Barrikadenkommandanten bemühen sich, sie zurückzuhalten.

Um neun Uhr erhält Brunel den Befehl, die Rue Royale zu räumen. Er begibt sich in die Tuilerien, um Bergeret zu sagen, dass er sich noch halten könne. Um Mitternacht schickt ihm der Wohlfahrtsausschuss aufs Neue den formellen Befehl, sich rückwärts zu konzentrieren. Da er genötigt ist, den Posten aufzugeben, den er zwei Tage lang so gut verteidigt hat, schafft der brave Kommandant zuerst seine Verwundeten, dann seine Kanonen durch die Straße St. Florentin fort. Die Föderierten folgen, auf der Höhe der Rue Castiglione werden sie mit Schüssen angegriffen.

Es sind die Versailler. Im Besitz der Rue de la Paix und der Rue neuve des Capucines, haben sie den völlig verlassenen Vendômeplatz besetzt, und die Barrikade der Rue Castiglione durch das Hotel du Rhin umgangen. Brunels Föderierte geben die Rue Rivoli auf, erbrechen die Gitter des Gartens, ziehen sich den Quais entlang und erreichen das Stadthaus. Der Feind wagte nicht sie zu verfolgen und besetzte nur bis zum Tagesanbruch das Marineministerium, das schon lange verlassen war.

Die Kanonade schwieg von da ab bis zum Tagesanbruch. Das Stadthaus hat seine rege Geschäftigkeit verloren. Die Föderierten schlafen auf dem Platze; in den Büros überlassen sich die Mitglieder der Komitees und die Offiziere einige Augenblicke der Ruhe. Um 3 Uhr kommt ein Generalstabsoffizier von Notre-Dame, die von einer Abteilung Föderierter behauptet wird. Er meldet dem Wohlfahrtsausschuss, dass das Hôtel-Dieu achtundert Kranke enthalte, die von der Nähe des Kampfes zu leiden haben könnten. Der Ausschuss gibt Befehl, die Kathedrale zu räumen, um die Unglücklichen zu retten.

Vor der Sonne erbleicht allmählich der rote Schein der Feuersbrunst. Der Tag bleibt strahlend, aber ohne einen Hoffnungsstrahl für die Kommune. Paris hat keinen rechten Flügel mehr, sein Zentrum ist gebrochen, jede Offensive ist unmöglich. Die Verlängerung seines Widerstandes kann nur noch als Zeugnis seiner Treue dienen.

Früh schon regen sich die Versailler auf allen Punkten. Sie rücken gegen den Louvre, das Palais Royal, die Bank, das Disconto-Kontor, den Square Montholon, den Boulevard Ornano und die Nordbahn vor. Von vier Uhr an beschießen sie das Palais Royal, in dessen Umkreis sich hartnäckige Kämpfe entspinnen. Um sieben Uhr sind sie an der Bank und an der Börse. Von da marschieren sie gegen den Vorsprung, welchen die Kirche St. Eustache bildet, herab, wo der Widerstand verzweifelt wird. Viele Kinder kämpfen mit den Männern. Als die Föderierten umgangen und auf dem Platze niedergemetzelt wurden, erwies man diesen Kindern die Ehre, sie nicht zu verschonen.

Am linken Ufer ersteigen die Truppen mühselig die Quais und den ganzen Teil des 6. Arrondissements, der an der Seine liegt, In der Mitte war die Barrikade von Croix-Rouge während der Nacht geräumt worden, wie auch die in der Rue Rennes, die drei Tage lang von dreißig Mann verteidigt wurde; die Versailler können sich jetzt in die Straßen Assas und Notre-Dame des Champs werfen. Auf dem äußersten rechten Flügel gewinnen sie Val de Grace und rücken gegen das Panthéon vor.

Um acht Uhr beschließen fünfzehn Mitglieder des Rats, die auf dem Stadthause versammelt waren, dasselbe zu räumen. Nur zwei protestieren. Das dritte Arrondissement, von engen, gut verbarrikadierten Straßen durchschnitten, deckt sicher die Flanke des Stadthauses, welches jedem Angriff von der Front und von den Quais aus trotzt. Sich bei solchen Verhältnissen zurückziehen, heißt fliehen, heißt die Kommune des wenigen Ansehens, das sie noch besitzt, berauben. Aber so wenig, wie am vorvergangenen Tag, war man im Stande, zwei gesunde Gedanken zu fassen. Man fürchtet Alles, weil man Nichts vom richtigen Gesichtspunkt aus betrachtet. Schon hat der Kommandant des Palais Royal den Befehl erhalten, das Gebäude zu räumen und anzuzünden. Er protestierte und erklärte, es noch halten zu können, aber der Befehl wurde wiederholt. So groß war die Bestürzung, dass ein Mitglied den Vorschlag machte, sich auf Belleville zurückzuziehen. Ebenso gut hätte man auf der Stelle Château d’Eau und den Bastilleplatz aufgeben können. Wie gewöhnlich verfließt die Zeit im Geschwätz. Der Gouverneur des Stadthauses geht ungeduldig ab und zu.

Plötzlich schlagen die Flammen oben am Glockenstuhle heraus. Eine Stunde später ist das Stadthaus nur noch eine Glutmasse. Das alte Gebäude, Zeuge so vieler Verrätereien, in dem das Volk so oft die Gewalten eingesetzt, die es zusammenkartätschen ließen, krachte und fiel mit seinem wirklichen Herrn. In das Gepolter der herabstürzenden Giebel, der zusammenfallenden Gewölbe und Kamine, in das dumpfe Geknall und Gekrach mischte sich die trockene Stimme der Kanonen von der großen Barrikade St. Jacques, welche die Rue Rivoli bestrich. Das Kriegsministerium, sowie alle Ämter begaben sich auf die Mairie des 11. Arrondissements. Delescluze protestierte gegen das Aufgeben des Stadthauses und prophezeite, dass dieser Rückzug viele der Kämpfenden entmutigen werde.

Man räumte den folgenden Tag die National-Druckerei, wo das Journal officiel der Kommune am 24. zum letzten Mal erschien. Als ein Officiel, der etwas auf sich hält, ist er um einen Tag zurück. Er enthält die Proklamationen vom vorgestrigen Tage und einige Details über die Schlacht, die nicht über Dinstagmorgen hinausreichen.

Diese Flucht aus dem Stadthause schneidet die Verteidigung entzwei, vermehrt die Schwierigkeiten der Verbindungen. Diejenigen Generalstabsoffiziere, die nicht verschwunden sind, gelangen mit Mühe in das neue Hauptquartier. Sie werden bei allen Barrikaden angehalten und gezwungen, Pflastersteine zu tragen. Wenn sie ihre Depeschen zeigen und Dringlichkeit hervorheben, sagt man: „Heute gilt keine Tresse mehr.“ Der Zorn, den sie schon lange erregt hatten, bricht diesen Morgen los. In der Straße Sedaine, nahe beim Voltaireplatz wird ein junger Offizier vom Generalstab, der Graf von Beaufort, von den Nationalgardisten des 166. Bataillons, das er einige Tage zuvor beim Kriegsministerium bedroht hatte, erkannt. Verhaftet, weil er den Befehl hatte übertreten wollen, ließ sich Beaufort im Zorne zu der Äußerung hinreißen, er werde das Bataillon säubern. Nun hatte das Bataillon Tags zuvor bei der Madelaine sechzig Mann verloren und es glaubte, dies sei eine Rache Beauforts gewesen. Der Offizier wird verhaftet und vor ein Kriegsgericht gestellt, das in einem Laden auf dem Boulevard Voltaire Zusammentritt. Beaufort zeigt Dienstverzeichnisse von Neuilly und Issy und solche Zeugnisse vor, dass man die Anklage fallen lässt. Dennoch beschließen die Richter, dass er als gemeiner Gardist in dem Bataillone zu dienen habe. Einige der Beisitzer erhöhen seine Charge und ernennen ihn zum Kapitän. Triumphierend tritt er hinaus. Die Menge, die von seinen Erklärungen nichts weiß, murrt, ihn frei zu sehen, ein Gardist stürzt sich auf ihn. Beaufort begeht die Unklugheit, seinen Revolver zu ziehen. Augenblicklich wird er ergriffen und in den Laden zurückgeschleudert. Der Chef des Generalstabs wagt nicht, seinem Offizier zu Hilfe zu kommen. Delescluze eilt herbei, verlangt Aufschub und verspricht, dass Beaufort gerichtet werden solle. Die Menge will nichts hören. Man muss nachgeben, um ein schreckliches Handgemenge zu verhüten. Beaufort wird auf den freien Platz hinter die Mairie geführt und erschossen.

Zwei Schritte von dieser Gräueltat sehen wir die erhabensten Seelenregungen. Im Père Lachaise erhält Dombrowski die letzten Ehren. Man hatte ihn in der Nacht dorthingeschafft. Während des Zuges spielte sich an dem Bastilleplatz eine rührende Szene ab. Die Föderierten, die sich auf diesen Barrikaden befanden, hielten den Trauerzug an und setzten den Leichnam am Fuß der Julisäule nieder. Männer mit Fackeln in der Hand bildeten eine Kapelle aus Flammen um ihn, und alle Föderierten drückten der Reihe nach einen Kuss auf die Stirn des Generals. Während dieser Zeremonie schlugen die Trommler den Feldmarsch. Der Leichnam, in eine rote Fahne gehüllt, wird nun dem Sarge übergeben. Vermorel, der Bruder des Generals, seine Offiziere und ungefähr zweihundert Gardisten umstehen ihn mit entblößtem Haupte. „Hier liegt er“, ruft Vermorel, „den man des Verrats angeklagt hatte. Er hat als Einer der Ersten sein Leben für die Kommune geopfert. Und wir, was tun wir, statt ihm nachzuahmen?“ Er fährt fort, und brandmarkt die Feigheit und die blinde Furcht. Seine sonst stockende Rede strömt, durch die Leidenschaft erhitzt, wie ein Guss geschmolzenen Metalls.

Lasst uns schwören, dass wir diesen Ort nur verlassen wollen, um zu sterben.“

Das war sein letztes Wort. Er hielt es. Die zwei Schritte entfernten Kanonen übertönten in regelmäßigen Pausen seine Stimme. Es waren wenige unter diesen Männern, die nicht weinten. Glücklich, wem ein solches Begräbnis zuteil wird! Glücklich, wer im Kampf begraben wird, von seinen Kanonen begrüßt, von seinen Freunden beweint!

Im selben Augenblick wurde der Versailler Agent, der sich gerühmt hatte, Dombrowski bestochen zu haben, erschossen. Gegen Mittag hatten die Versailler, die mit Heftigkeit ihren Angriff gegen das linke Ufer richteten, die École des Beaux-Arts, das Institut, die Münze, die ihr Direktor Camélinat erst in der letzten Minute verließ, erobert. In Gefahr, auf der Insel von Notre-Dame eingeschlossen zu werden, hatte Ferré Befehl gegeben, die Polizeipräfektur zu räumen und sie zu zerstören. Man setzte die 450 Gefangenen, die wegen geringer Vergehen festgenommen waren, vorläufig in Freiheit. Nur ein einziger Gefangener, Vaysset, wurde zurückgehalten. Man erschoss ihn auf dem Pont-Neuf vor der Statue Heinrichs IV. Angesichts des Todes stieß er die seltsamen Worte aus: „Ihr werdet dem Grafen von FabriceA über meinen Tod Rechenschaft geben.“

Die Versailler lassen die Präfektur seitwärts liegen und wenden sich in die Rue Taranne und die benachbarten Straßen. Man hält sie zwei Stunden lang an der Barrikade auf dem Platze de l’Abbaye auf, die die Bewohner des Viertels umgehen helfen. Achtzehn Föderierte werden erschossen. Weiter rechts dringen die Truppen auf den Platz St. Sulpice, wo sie die Mairie des 6. Arrondissements besetzen. Von da dringen sie von der einen Seite in die Rue St. Sulpice, von der anderen durch die Rue Vaugirard in den Jardin du Luxembourg. Nach zweitägigem Kampfe ziehen sich die tapferen Föderierten der Rue Vavin zurück, und sprengen auf dem Rückzug die Pulvermühle vom Jardin du Luxembourg in die Luft. Die Erschütterung unterbricht auf einige Augenblicke den Kampf. Der Palast ist nicht verteidigt. Einige Soldaten gehen durch den Garten, zerbrechen das Gitter nach der Rue Soufflot, passieren den Boulevard und überrumpeln die erste Barrikade dieser Straße.

Drei Barrikaden erheben sich vor dem Panthéon. Die erste am Eingang der Rue Soufflot; sie ist soeben genommen worden. Die zweite in der Mitte, die dritte geht von der Mairie des 5. Arrondissements bis zur École de Droit. Varlin und Lisbonne, kaum aus der Croix Rouge und der Rue Vavin entkommen, erwarten den Feind aufs Neue. Leider wollen die Föderierten auf keinen Anführer hören und bleiben in der Defensive, statt die Handvoll Soldaten anzugreifen, die sich an den Eingang der Rue Soufflot gewagt hat. So gewinnt der Feind Zeit, sich Verstärkung zu verschaffen.

Das Gros der Versailler erreicht St. Michel durch die Rue Racine und die Rue de l’École de Médecine, die von den Frauen verteidigt werden. Die Mannschaft der Brücke St. Michel stellt aus Mangel an Munition ihr Feuer ein. Von jetzt an können die Soldaten in Masse den Boulevard passieren und bis auf den Platz Maubert vordringen. Gleichzeitig sind sie zur Rechten wieder die Rue Mouffetard hinaufgedrungen. Um vier Uhr ist der nahezu aufgegebene Berg St. Geneviève von allen Seiten besetzt. Die wenigen Verteidiger zerstreuen sich. So fiel das Panthéon, fast ohne Kampf, wie der Montmartre. Wie auf dem Montmartre, so fingen auch hier sogleich die Metzeleien an. Vierzig Gefangene wurden, einer um den anderen, in der Rue St. Jacques unter den Augen und auf Befehl eines Obersten erschossen. Rigault wurde in dieser Gegend getötet. Die Soldaten sahen einen föderierten Offizier an eine Haustüre in der Rue Gay-Lussac klopfen und schossen auf ihn, ohne ihn zu treffen. Die Türe geht auf, und Rigault tritt ein. Die Soldaten stürmten herbei, drangen in das Haus, ergriffen den Hausbesitzer, der seine Identität feststellte und sich beeilte, Rigault auszuliefern. Die Soldaten schleppten ihn nach dem Luxembourg. In der Rue Royer-Collard begegnete ein Oberst vom Generalstab der Eskorte und fragte nach dem Namen des Gefangenen. Rigault antwortete mutig: „Es lebe die Kommune, nieder mit den Mördern!“ Er wurde sogleich an die Mauer geschleudert und erschossen. Möge dieses mutige Ende ihm reichlich angerechnet werden!

Als man auf der Mairie des 11. Arrondissements den Fall des im Juni 1848 so heftig verteidigten Panthéons vernahm, schrie man gleich „Verrat“. Aber was hatte denn der Rat und der Wohlfahrtsausschuss für die Verteidigung dieses Hauptpostens getan? Auch auf der Mairie beratschlagte man, wie man es im Stadthaus getan hatte.

Um zwei Uhr waren Mitglieder des Rats, des Zentralkomitees, die höheren Offiziere und die Chefs der Ämter im Bibliotheksaal versammelt. Delescluze sprach zuerst, und tiefes Schweigen trat ein, denn das kleinste Geflüster würde seine ersterbende Stimme erstickt haben. Er sagte, es sei noch nicht Alles verloren, man müsse sich zu einem großen Versuch aufraffen und bis zum letzten Atemzug aushalten. Beifallsbezeugungen unterbrachen ihn. Er bat Jeden, seine Meinung zu sagen. „Ich schlage vor“, sagte er, „dass die Kommunemitglieder, mit ihrer Schärpe umgürtet, auf dem Boulevard Voltaire alle Bataillone, die man versammeln kann, Revue passieren lassen. Wir werden uns alsdann an ihrer Spitze nach den wieder zu erobernden Punkten dirigieren.“

Der Gedanke erschien groß und riss die Versammlung hin. Seit jener Sitzung, in der er erklärt hatte, gewisse Vertreter des Volks würden auf ihrem Posten zu sterben wissen, hatte Delescluze die Herzen nie mehr so tief ergriffen wie heute. Das ferne Gewehrfeuer, die Kanonen vom Père Lachaise, das verworrene Summen der Bataillone, die die Mairie umgaben, unterbrachen und übertönten öfter seine Rede. Seht diesen Greis, wie er dasteht, Flucht und Niederlage um ihn her, doch er mit leuchtenden Augen, mit erhobener Rechten, der Verzweiflung Trotz bietend, seht diese Männer in Waffen noch schweißtriefend vom Kampf, wie sie den Atem anhalten, um die Stimme zu hören, die aus dem Grabe zu kommen scheint: es gibt in dem tausendfachen Trauerspiel dieses Tages keine ergreifendere Szene.

Es werden die energievollsten Vorschläge gemacht. Auf dem Tische steht eine große Kiste mit Dynamit. Durch eine unvorsichtige Bewegung kann die Mairie in die Luft fliegen. Man spricht davon, die Brücken abzubrechen, die Kloaken zu unterminieren. Was helfen diese tönenden Worte. Es fehlt uns an ganz anderer Munition! Wo ist der Direktor des Geniekorps, der – wie er sagte — durch einen Wink Abgründe aufreißen kann? Verschwunden! Auch der Chef des Generalstabs ist fort. Seit Beauforts Hinrichtung schien ihm der Wind nicht mehr geheuer für seine Achselschnüre. Man fährt zu beratschlagen fort und man wird noch lange beratschlagen. Das Zentralkomitee entschließt sich zu der Erklärung, dass es sich dem Wohlfahrtsausschuss unterwerfen wolle. Es scheint schließlich bestimmt, dass der Anführer der 11. Legion alle Föderierten, die sich in das 11. Arrondissement geflüchtet, um sich sammeln werde. Vielleicht gelingt es ihm, die Kolonnen, von denen Delescluze gesprochen hatte, zu bilden.

Der Delegierte besucht die Verteidigungswerke. Auf dem Bastilleplatz werden starke Vorbereitungen getroffen. In der Rue St. Antoine vollendet man am Eingang des Platzes eine mit drei Geschützen besetzte Barrikade. Eine andere, am Eingang des Faubourg deckt die Straßen Charenton und de la Roquette. Hier wie überall versäumt man, die Seiten zu schützen. Patronen und Kugeln werden an den Häusern entlang aufgeschichtet; sie sind hier allen Projektilen ausgesetzt. In Eile werden die Eingänge des 11. Arrondissements verbarrikadiert. An der Kreuzung der Boulevards Voltaire und Richard Lenoir erhebt sich eine Barrikade von Fässern, Pflastersteinen und großen Papierballen. Dieses von vorne unzugängliche Werk wird gleichfalls umgangen werden. Vorn am Eingang des Boulevards Voltaire, auf dem Platz von Château d’Eau erhebt sich eine zwei Meter hohe Mauer von Pflastersteinen. Hinter diesem schwachen Wall halten die Föderierten, nur von zwei Kanonen unterstützt, 24 Stunden lang alle Kolonnen der Versailler auf, die von dem Platze von Château d’Eau heranrücken. Auf der rechten Seite ist der untere Teil der Straßen Oberkampf, Angoulème, des Faubourg du Temple, der Straße Fontaine au Roi, der Avenue des Amandiers schon in der Defensive. Weiter oben im 10. Arrondissement finden wir Brunel, der erst am Morgen von der Ruhe Royale hierher gekommen ist und wie Varlin und Lisbonne neue Gefahren sucht. Eine große Barrikade schließt die Kreuzung der Boulevards Magenta und Straßburg. Die Straße von Château d’Eau ist verbarrikadiert. Die Werke an den Toren St. Denis und St. Martin, an denen man Tag und Nacht gearbeitet hat, füllen sich mit Kämpfern.

Gegen ein Uhr ist es den Versaillern gelungen, sich des Nordbahnhofs zu bemächtigen, indem sie die Rue Stephenson und die Barrikaden der Rue Dunkerque umgingen; aber die Straßburger Eisenbahn, die zweite Verteidigungslinie von la Villette hält ihren Stoß aus, auch werden sie durch unsere Artillerie stark beunruhigt. Auf den Hügeln von Chaumont hatte Ranvier, der die Verteidigung dieser Viertel befehligt, drei zwölfpfündige und zwei siebenpfündige Haubitzen beim Temple de la Sybille, sowie zwei Siebenpfünder am unteren Hügel aufgestellt. Fünf Kanonen bestreichen die Rue Puebla und schützen die Rotunde. Auf der Höhe der Carrières d’Amerique befinden sich zwei Batterien von drei Geschützen. Die Stücke vom Père Lachaise schießen unaufhörlich auf die eroberten Viertel und werden von dem auf der Bastion 24 aufgestellten groben Geschütz unterstützt.

Das 9. Arrondissement wiederhallt von Kleingewehrfeuer. Wir verlieren viel Terrain im Faubourg Poissonière. Trotz ihrer Erfolge an den Hallen können die Versailler das 3. Arrondissement nicht nehmen, denn der Boulevard Sébastopol schützt es mit seinem breiten Arm, und von der Caserne du Prince Eugène beherrschen wir die Straße Turbigo. Das 2. Arrondissement, zu drei Vierteln okkupiert, wehrt sich noch an den Seine-Ufern vom Pont-Neuf an. Die Barrikaden der Avenue Victoria und vom Quai-Gèvres werden sich bis zur Nacht halten. Unsere Kanonenboote sind verlassen, der Feind bemächtigt sich ihrer und bewaffnet sie wieder.

Nur an den Buttes aux Cailles ist unsere Verteidigung erfolgreich. Hier ging auf Wroblewskis Antrieb die Verteidigung in den Angriff über. Die Versailler haben bei Nacht unsere Positionen ausgekundschaftet; mit der Morgendämmerung beginnen sie den Angriff. Die Föderierten erwarten sie nicht, sondern eilen ihnen entgegen. Viermal werden die Versailler zurückgeworfen, viermal dringen sie wieder vor, viermal weichen sie. Die entmutigten Soldaten achten nicht mehr auf ihre Offiziere.

La Villette und die Buttes aux Cailles, die beiden äußersten Punkte weichen also nicht, aber welche Breschen auf der ganzen Linie! Von ihrem Paris, wie es noch am Sonntag in ihren Händen war, besitzen die Föderierten nur noch das 11., das 12., das 19., das 20. Arrondissement und einen Teil des 3., 5. und 13.

An diesem Tag nahm das Gemetzel jenen furchtbaren Charakter an, der in wenigen Stunden die Bartholomäusnacht übertraf. Bis jetzt hatte man nur die Föderierten oder die durch Denunzianten Angegebenen getötet. Jetzt gibt es weder Freunde noch Neutrale mehr! Wen der Versailler nur anblickt, der muss sterben. Wenn er ein Haus durchsucht, lässt er Alles über die Klinge springen. „Das sind keine Soldaten mehr, die eine Pflicht erfüllen“, sagte ein konservatives Journal, die France. Und in der Tat, es sind blut- und raubgierige Hyänen. In gewissen Winkeln genügt der Besitz einer Uhr, um erschossen zu werden. Die Leichen werden durchsucht. Die Korrespondenten der fremden Journale nannten diese Räubereien die letzte Haussuchung. Und am selben Tage sagt Thiers schamloser Weise zur Nationalversammlung: „Unsere tapferen Soldaten betragen sich in einer Weise, die dem Auslande die höchste Achtung, die größte Bewunderung einflößt.“ Jetzt wird jene Fabel von den Petroleusen erfunden, die, von der Angst geboren und durch die Presse verbreitet, vielen hunderten unglücklicher Frauen das Leben kostete. Es geht das Gerücht, dass Ferien brennendes Petroleum in die Keller schütten. Jede schlecht gekleidete Frau, jede, die einen Milchtopf, einen Krug oder eine leere Flasche trägt, wird für eine Petroleuse erklärt. Man zerrt sie zerfetzt an die nächste Mauer und tötet sie mit Revolverschüssen. Das Verrückteste an dieser Fabel ist, dass die Petroleusen in den von der Armee eingenommenen Vierteln gehaust haben sollen.

Die aus den eroberten Vierteln Entwichenen brachten die Nachricht von diesen Metzeleien auf die Mairie des 11. Arrondissements. Hier herrschte dieselbe Verwirrung wie auf dem Stadthaus; nur war sie hier auf einen engeren Raum beschränkt und drohender. Die Höfe sind voll Gepäckwagen, Patronen und Pulver. Auf jeder Stufe der Haupttreppe sitzen Frauen und nähen Säcke für die Barrikaden. In den Trauungssälen, wohin Ferré die „Allgemeine Sicherheitskommission“ verlegt hatte, gibt der Delegierte, von zwei Sekretären unterstützt, seine Befehle, untersucht die Pässe, verhört die Leute, die man ihm zuführt und trifft mit höflicher, sanfter und leiser Stimme und mit großer Gemütsruhe seine Anordnungen.

Weiter entfernt, in den Räumen, die das Kriegsministerium inne hat, erhalten und expedieren die Offiziere und Vorsteher der Ämter die Depeschen. Einige vollbringen ihre Pflicht mit Kaltblütigkeit, wie auf dem Stadthaus. Einige raffen sich in diesen Stunden zu einer außerordentlichen Todesverachtung auf, vor allen Diejenigen, die bisher nicht die erste Geige gespielt hatten. Sie fühlen, dass Alles verloren ist, dass sie sterben werden, vielleicht gar von der Hand der Ihrigen; denn das Fieber des Argwohns greift um sich und tötet. Dennoch bleiben sie, ruhig und mit klarem Geist, in diesem Glutofen zurück. Niemals hatte eine Regierung, wenn wir die der Verteidigung ausnehmen wollen, so viele Hilfsmittel, Kenntnisse und Heldenmut zu ihrer Verfügung, wie der Rat der Kommune; nie war eine ihrer Aufgabe weniger gewachsen.

Um halb acht Uhr entstand ein großer Lärm vor dem Gefängnis la Roquette, wohin man Tags zuvor die 300 Geiseln geschafft hatte, die bis dahin in Mazas gefangen gehalten waren. Unter einer Menge von Nationalgardisten, die durch die Metzeleien aufs Äußerste erbittert waren, stand ein Delegierter der Sicherheitskommission und sagte: „Weil man die Unseren füsiliert, so sollen sechs Geiseln hingerichtet werden. Wer will das Peloton bilden?“

Ich, ich“, rief es von verschiedenen Seiten. Der Eine tritt hervor und sagt: „Ich räche meinen Vater.“ – Ein Anderer: „Ich räche meinen Bruder.“ – „Ich!“ ruft ein Nationalgardist, „sie haben mir meine Frau erschossen!“ Jeder stellt sein Recht auf Rache in den Vordergrund. Dreißig Mann werden ausgewählt und treten in das Gefängnis. Der Delegierte geht die Liste der Gefangenen durch und bezeichnet den Erzbischof Darboy, den Präsidenten Bonjean, Jecker, die Jesuiten Allard, Clerc, Ducoudrey. Jecker wird schließlich durch den Pfarrer Deguerry ersetzt.

Man lässt sie an den Rundgang hinab steigen. Darboy stottert: „Ich bin kein Feind der Kommune, ich habe getan was in meiner Macht stand. Ich habe zweimal nach Versailles geschrieben.“ Er fasste sich ein wenig, als der Tod ihm unvermeidlich schien. Bonjean konnte sich nicht auf den Beinen halten. „Wer verurteilt uns?“ fragte er. – „Die Gerechtigkeit des Volkes.“ „O, das ist nicht die richtige“, entgegnete der Präsident. Einer der Priester wirft sich in den Winkel eines Schilderhäuschens und entblößt seine Brust. Sie werden weiter geführt und stoßen an einer Ecke auf das Exekutionspeloton. Einige Leute reden sie an, der Delegierte gebietet Schweigen. Die Geiseln stellen sich gegen die Mauer auf und der Offizier des Pelotons sagt: „Nicht uns dürfen Sie Ihren Tod zum Vorwurf machen, sondern den Versaillern, die unsere Gefangenen erschießen.“ Er gibt das Zeichen, und es wird gefeuert. Die Geiseln fallen rückwärts in einer Linie und in gleichmäßiger Entfernung. Darboy allein bleibt aufrecht, am Kopf verwundet und mit erhobener Hand stehen. Eine zweite Salve streckt ihn neben den Übrigen nieder.B

Die blinde Gerechtigkeit der Revolution bestraft an dem ersten Besten die von seiner Kaste aufgehäuften Verbrechen.

Um acht Uhr bedrängen die Versailler die Barrikade der Porte St. Martin. Ihre Granaten haben schon längst das Theater in Brand gesteckt, die Föderierten müssen sich, von der Gluthitze erdrückt, zurückziehen.

Diese Nacht biwakieren die Versailler vor der Straßburger Eisenbahn, der Rue St. Denis, vor dem Stadthaus, das gegen 9 Uhr von den Truppen Vinoys besetzt wird, vor der polytechnischen Schule, den Madeionnettes und vor dem Park Montsouris. Sie stellen eine Art Fächer dar, dessen festen Punkt der Pont-au-Change bildet. Sein rechter Rand ist das 8. Arrondissement; die Rue du Faubourg Martin und die Rue de Flandre sind der linke, und die Befestigungen bilden den Kreisbogen. Der Fächer schließt sich bei Belleville, welches das Zentrum einnimmt. Die Feuersbrunst wütet in Paris fort. Die Porte St. Martin, die Kirche St. Eustache, die Rue Royale, die Rue Rivoli, die Tuilerien, das Palais Royal, das Stadthaus, das Theater Lyrique, das linke Ufer von der Ehrenlegion bis zum Justizpalast und die Polizeipräfektur zeichnen sich rotglänzend in der tiefdunklen Nacht ab. Nach der Laune der Feuersbrunst schießt eine flammende Architektur von Bögen, Kuppeln und fantastischen Gebäuden empor. Ungeheure weiße Pilze, ein Funkenregen, der in die Luft steigt, geben Zeugnis von entsetzlichen Explosionen. Jede Minute flammen Sterne am Horizonte auf und erlöschen wieder. Es sind die Kanonen vom Fort Bicêtre, vom Père Lachaise, den Buttes Chaumont, die mit Horizontalschüssen auf die eroberten Viertel feuern. Die Versailler Batterien antworten vom Panthéon, vom Trocadero, vom Montmartre. Bald folgen sich die Schüsse in regelmäßigen Pausen, bald rollt ein ununterbrochener Donner über die ganze Linie hin. Man schießt blindwütend aufs Geratewohl. Die ungeduldigen Granaten zerspringen schon auf halbem Wege. Die ganze Stadt scheint in einem Wirbel von Flammen und Rauch mit fortgerissen zu werden.

Welcher Mut in dieser Handvoll Leute, die ohne Anführer, ohne Hoffnung, ohne Zufluchtsort, ihr letztes Pflaster verteidigen, als ob der Sieg dahinter stünde! Die heuchlerische Reaktion macht ihnen ein Verbrechen aus der Feuersbrunst, als ob im Kriege das Feuer nicht eine ganz natürliche Waffe wäre, als ob die Versailler Granaten nicht ebenso viele Gebäude entzündet hätten, wie die der Föderierten, als ob die Spekulation und das Verbrechen gewisser achtbarer Leute nicht zu den Zerstörungen beigetragen hätten. Und derselbe Bourgeois, der davon sprach, Alles vor den Preußen zu verbrennenC, nennt das Volk Verbrecher, das sich lieber in den Ruinen begraben, als seine Überzeugung, sein Eigentum, seine Familie einer Koalition von Despoten überlassen will, deren Joch tausendmal schwieriger abzuschütteln ist, als das der fremden Eindringlinge.

Um elf Uhr treten zwei Offiziere in Delescluzes Zimmer und melden die Hinrichtung der Geiseln. Er hört, ohne mit dem Schreiben einzuhalten, den Bericht an, der mit unsicherer Stimme vorgebracht wird und fragt nur: „Wie starben sie?“ Nachdem sich die Offiziere entfernt hatten, wandte sich Delescluze zu dem Freunde, der mit ihm arbeitete, und sagte, indem er sein Gesicht in die Hände barg: „Ach, welch ein Krieg, welch ein Krieg!“ Aber er kennt die Revolution zu gut, um sich in nutzlose Reflexionen zu verlieren und seine Gedanken beherrschend, ruft er: „Wir werden zu sterben wissen!“

Die ganze Nacht hindurch folgen sich die Depeschen ohne Unterlass, alle verlangen Kanonen und Mannschaft mit der Drohung, diese oder jene Position aufzugeben.

Wo aber Kanonen hernehmen? Und auch die Menschen wurden nachgerade so rar, wie das Erz.

A Der Befehlshaber der deutschen Truppen.

B Um halb neun Uhr erstattete der Delegierte Genton auf der Mairie des 11. Arrondissements diesen Bericht, den wir mit angehört und wörtlich wiedergegeben haben.

C „Alles verbrennen! Ich habe diese Worte aus dem Munde der weisesten und tugendhaftesten Männer gehört.“ Jules Favre, Untersuchung über den 18. März, Bd. 2, S. 42. „Lieber Moskau als Sedan“, schrieb während der ersten Belagerung einer dieser weisen und tugendhaften Männer, Jules Simon.

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