Kapitel XXV

Kapitel XXV

Paris am Vorabend des Todes.

Das Paris der Kommune hat nur noch drei Tage zu leben; prägen wir seine glänzende Erscheinung unserem Gedächtnis ein.

Wer vor deinem Odem, der den Fremden fieberhaft ergreift, einen Hauch verspürt hat, wer mit Herzklopfen auf deinen Boulevards, mit Tränen in deinen Faubourgs gegangen ist, wer das Morgenrot deiner Revolutionen mit Gesang begrüßt und sich einige Wochen später die pulvergeschwärzten Hände hinter den Barrikaden gewaschen hat; wer unter jedem deiner Pflastersteine die Stimme eines Märtyrers der Idee vernehmen und jede Gasse mit einem Datum des Menschentums begrüßen kann; wem jeder deiner Straßenzüge wie ein Nervenstrang erscheint, der lässt dir noch nicht die volle Gerechtigkeit widerfahren, o großes Paris, wenn er nicht gesehen hat, wie die Welt da draußen über dich urteilt. Mit verächtlichem Naserümpfen rufen die fremden Philister: „Seht diesen Wahnsinn!“ Aber sie belauern ihren Proletarier, der seinen Hammer weggelegt hat und zusieht. Sie zittern, dass dein Aufbrausen ihn lehre, wie man ihre Herrschaft aus den Angeln hebt. Die Anziehungskraft des rebellischen Paris war so groß, dass Leute aus Amerika herbeieilten, um dieses in der Geschichte nie dagewesene Schauspiel zu sehen: die größte Stadt des europäischen Kontinents in den Händen der Proletarier. Selbst die Schwachmütigen wurden angezogen.

In den ersten Maitagen kam ein Freund zu uns, einer der Furchtsamen aus der furchtsamen Provinz; die Seinigen hatten ihn zur Abfahrt begleitet, als steige er in die Unterwelt hinab. Er fragte uns: Was ist Wahres an der Sache?

Nur zu, wir wollen alle Winkel der Höhle durchstöbern.

Wir gehen von der Bastille ab. Die Zeitungsverkäufer rufen mit ohrzerreißender Stimme: „Mot d’Ordre“ von Rochefort, „Père Duchêne“, „Cri du Peuple“ von Jules Valles, „Vengeurvon Félix Pyat. „Commune“, „Affranchi“, „Pilori des Mouchards“. Der Officiel wird wenig verlangt, denn die Journalisten des Rates ersticken ihn durch ihre Konkurrenz. Der Cri du Peuple druckt bis zu hunderttausend Exemplaren. Er ist mit dem ersten Hahnenschrei auf den Beinen. Wenn wir etwas von Valles vorfinden, so freuen wir uns; aber er tritt zu häufig an Pierre Denis das Wort ab, der uns aufs Grausamste langweilt. Kauft den Père Duchêne nicht mehr als einmal, wiewohl er bis zu sechzigtausend Exemplaren druckt. Nehmt die Artikel Félix Pyats im Vengeur als ein hübsches Pröbchen literarischer Besoffenheit. Die Bourgeoisie hat keine besseren Gevattern als diese eingebildeten unwissenden Krakehler. Da ist die doktrinäre Zeitung La Commune, für welche Millière manchmal schreibt und in der Georges Duchêne die Jungen und die Alten im Stadthaus abkanzelt mit einer Strenge, die einen anderen Charakter erfordern würde. Vergesst nicht das Mot d’Ordre, was auch die Wolkenkuckucksheimer sagen mögen. Es gehörte zu den ersten, welche die Revolution vom 18. März unterstützten, und es hat die Versailler mit schrecklichen Pfeilen bespickt.

In den Kiosks sind die Karikaturen zu sehen: Thiers, Picard, Jules Favre in der Gestalt der drei Grazien, wie sie ihren Fettwanst einschnüren. Jener schöne Fisch mit blaugrünen Schuppen, der ein kaiserliches Bett umrahmt, ist der Marquis von Galliffet. Der Avenir, Moniteur der Liga, der Sièсle, der seit Chaudeys Verhaftung sehr feindselig geworden, die Vérité des Yankee Portailis liegen melancholisch und unberührt aufgeschichtet. Viele reaktionäre Zeitungen sind durch die Präfektur unterdrückt worden, aber sie sind darum nicht tot, denn ein keineswegs geheimnisvoller Verkäufer bietet sie uns an.

Lies, suche, finde einen Aufruf zum Mord, zur Plünderung, eine einzige grausame Zeile in all diesen durch den Kampf erhitzten kommunalistischen Zeitungen und stelle dann einen Vergleich mit den Versailler Zeitungen an, welche Massenerschießungen verlangen, sobald die Truppen Paris niedergeworfen haben werden.

Folgen wir den Leichenzügen, die sich die Rue de la Roquette hinaus bewegen. Vertreten wir mit ihnen den Père Lachaise. Alle, die für Paris sterben, werden feierlich in der großen Familiengruft bestattet. Die Kommune hat die Ehre beansprucht, ihre Leichenbegängnisse zu bezahlen. Ihr rotes Banner flattert an den vier Ecken des Trauerwagens, gefolgt von den Kameraden des Bataillons, an das sich immer auch einige Vorübergehende anschließen. Eine Frau geleitet die Leiche ihres Mannes. Stets folgt ein Mitglied des Rats der Leiche, um am Grabe nicht von Schmerz, sondern von Hoffnung und Rache zu sprechen. Die Witwe drückt ihre Kinder ans Herz und sagt ihnen: „Bleibt eingedenk und ruft mit mir: Es lebe die Republik! Es lebe die Kommune!“A

Auf dem Rückweg kommen wir an der ganz schwarz verhängten Mairie des 11. Arrondissement vorüber. Diese Trauer gilt dem letzten imperialistischen Plebiszit, an dem das Volk von Paris unschuldig ist und dessen Opfer es wird. Wir gehen über den fröhlichen, durch den Lebkuchenmarkt belebten Bastilleplatz. Paris will der Kanone nichts abtreten, er hat sogar seine Messe um eine Woche verlängert. Die Schaukeln werden geschwungen, die Glücksräder knarren, die Händler schreien das Spielzeug zu 13 Sous aus, die Seiltänzer halten ihre Reden und versprechen die Hälfte der Einnahmen für die Verwundeten. Ein Nationalgardist, der aus den Laufgräben zurückkommt, betrachtet, auf sein Gewehr gestützt, das Panorama der Belagerung oder den Einzug Garibaldis in Dijon.

Wir gehen die großen Boulevards hinunter. Eine Menge Menschen drängt sich im Zirkus Napoleon. Fünftausend Personen bedecken alle Räume von der Arena bis zum Giebel. Kleine Fahnen, deren jede den Namen eines Departements trägt, fordern die Landsmannschaften auf, sich zu gruppieren. Die Versammlung ist durch einige Geschäftsleute veranlasst, welche den Bürgern der Provinz vorschlagen, Delegierte an ihre betreffenden Abgeordneten zu schicken. Sie glaubten, man könne dieselben auf diese Weise umstimmen und den Frieden durch Erklärungen herstellen. Ein großer hagerer Mann mit schwermütigem Gesicht bittet um das Wort und steigt auf die Estrade. Es ist Millière; die Menge empfängt ihn mit Beifall. „Den Frieden?“ sagt er, „wir suchen ihn Alle. Wer hat aber den Krieg angefangen? Wer hat Paris am 18. März angegriffen? – Thiers. Wer hat es am 2. April angegriffen? – Thiers. Wer hat von Versöhnung gesprochen? Die Friedensunterhandlungen verdoppelt? – Paris. Wer hat sie beständig zurückgewiesen? – Thiers. – Was die Vermittlung betrifft, sagte Dufaure, so ist die Insurrektion weniger frevelhaft als sie. – Und was weder die Freimaurer, noch die Ligen, noch die Adressen, noch die Munizipalräte aus der Provinz vermochten, das erwartet ihr von einer aus den Parisern gewählten Deputation? Seht, ohne es zu wissen, lähmt ihr die Verteidigung. Nein, keine Deputationen mehr, tätige Korrespondenzen mit der Provinz, da liegt das Heil!“ – „Das ist also der Besessene, mit dem man uns in der Provinz erschreckt?“ rief mein Freund. – „Ja, und diese Tausende von Menschen aus allen Städten, die gemeinsam den Frieden suchen, die einander höflich zuhören und Antwort geben, das ist das wahnsinnig gewordene Volk, die Handvoll Banditen, welche die Hauptstadt in ihrer Gewalt haben.“ Vor der Kaserne des Prinzen Eugen bemerken wir die fünfzehnhundert Soldaten, die am 18. März in Paris geblieben waren und die die Kommune beherbergt, ohne einen Dienst von ihnen zu verlangen. Oben auf dem Boulevard Magenta besichtigen wir die zahlreichen Skelette der Kirche St. Laurent, in derselben Ordnung wie sie gefunden wurden, ganz ohne Sarg oder Bahrtuch aufgestellt. Sind nicht Grüfte in den Kirchen ausdrücklich untersagt? Und doch sind einige, besonders Notre Dame des Victoires, mit Skeletten angefüllt. Hat nicht die Kommune die Pflicht, diese Ungesetzlichkeiten, die vielleicht Verbrechen sind, ans Licht zu ziehen?

Auf den Boulevards von Bonne Nouvelle bis zum Opernhaus sahen wir Paris von den Läden flanierend oder vor den Cafés sitzend. Droschken sind selten, denn die zweite Belagerung hat die Verpflegung der Pferde sehr erschwert. Durch die Rue du 4. Septembre erreichen wir die Börse, von der eine rote Fahne weht, und die Nationalbibliothek, deren lange Tische von Lesern besetzt sind. Durch das Palais Royal mit den ewig geräuschvollen Galerien hindurch gelangen wir an das Museum des Louvre. Die mit ihren Gemälden geschmückten Säle stehen dem Publikum offen. Und die Versailler Zeitungen versichern nichts Geringeres, als die Kommune verkaufe die nationalen Sammlungen ins Ausland.

Wir gehen die Rue de Ricoli hinab. In der Rue Castiglione versperrt eine Barrikade den Eingang zum Vendômeplatz. Der Eingang des Concordiaplatzes ist durch die Redoute St. Florentin versperrt, die sich mit der rechten Seite ans Marineministerium, mit der Linken an den Tuileriengarten lehnt, ein acht Meter dicker Erdwall mit drei ziemlich schlecht angelegten Schießscharten. Ein ungeheurer Graben, der alle Arterien des unterirdischen Lebens bloßgelegt, trennt den Platz von der Redoute. Arbeiter legen die letzte Hand an ihn und bekleiden seine Brustwehren mit Rasen. Viele Neugierige sehen zu und mehr als ein Gesicht verfinstert sich. Ein geschickt angelegter schmaler Gang führt uns auf den Concordiaplatz. Die Statue von Straßburg erhebt ihr stolzes Profil über roten Fahnen. Jene Männer der Kommune, die man beschuldigt, nichts von Frankreich wissen zu wollen, haben die Totenkränze aus der ersten Belagerung ehrfurchtsvoll durch junge Frühlingsblumen ersetzt.

Wir betreten jetzt die kriegerische Zone. Die Avenue der Champs-Elysées dehnt ihre lange öde Linie aus, die durch unheimliche Explosionen der Granaten vom Mont Valérien und von Courbevoie unterbrochen wird. Sie reichen bis an den Industriepalast, dessen Reichtümer die Beamten der Kommune mutig verteidigen. In der Ferne erhebt der Triumphbogen seine mächtige Gestalt. Die Zuschauer aus den ersten Tagen sind verschwunden, denn die Place de l’Étoile ist beinahe eben so mörderisch geworden wie der Wall. Die Geschosse schlagen jenen Basreliefs, welche Jules Simon durch eine Verkleidung beschützen ließ, die Kanten ab. Der Hauptbogen ist vermauert, um die Projektile aufzuhalten, die durch ihn hindurch flogen. Hinter dieser Barrikade beeilt man sich, Geschütze auf die Plattform zu stellen, die beinahe die Höhe des Mont Valérien erreicht.

Durch den Faubourg St. Honoré gehen wir die Elysischen Felder entlang. In dem von der Avenue de la Grande Armée, der Avenue des Ternes, den Wällen und der Avenue Wagram gebildeten Viereck ist kein Haus unverletzt. Man sieht es, Thiers „bombardiert Paris nicht, wie die Leute von der Kommune ganz gewiss behaupten werden.“ Der Fetzen eines Plakats hängt von einer halb eingestürzten Mauer herunter. Es ist die Rede Thiers’ gegen den König Bomba, welche eine Gruppe von Vermittlern wieder abdrucken ließ. „Sie wissen, meine Herren“, sagte er zu den Bourgeois von 1848, „was in Palermo vorgeht. Sie haben alle vor Entsetzen geschaudert, als Sie erfuhren, dass eine große Stadt achtundvierzig Stunden lang bombardiert worden ist. Durch wen? Durch einen fremden Feind, der von den Rechten des Kriegs Gebrauch macht? Nein, meine Herren, durch ihre eigene Regierung. Und warum? Weil diese unglückliche Stadt Rechte verlangte. Nun wohl, für die Forderung dieser Rechte erhielt sie ein achtundvierzigstündiges Bombardement! -“ Glückliches Palermo! Paris zählt schon vierzig Tage Bombardement.

Wir haben einige Aussicht, auf den Boulevard Pereire zu gelangen, wenn wir uns an die linke Seite der Avenue des Ternes halten. Von da bis zur Porte Maillot ist Jedermann dem Tod gleich nahe. Wir benutzen einen Augenblick des Stillstands und erreichen das Tor oder vielmehr den Schutthaufen, der die Stelle der Porte Maillot bezeichnet. Der Bahnhof ist nicht mehr vorhanden, der Tunnel ist mit Schutt angefüllt, die Wälle rollen in die Gräben. Menschen, flink wie Eidechsen, wagen es, sich unter diesen Trümmern zu bewegen. Vor dem Tor stehen drei von dem Kapitän La Marseillaise kommandierte Geschütze; rechts der Kapitän Rochat mit fünf Stücken, links der Kapitän Martin mit vier. Monteret, der seit fünf Wochen diese Posten kommandiert, lebt mit ihnen in dieser Granatenatmosphäre. Der Mont Valérien, Courbevoie und Bécon haben mehr als achttausend Geschosse herübergeworfen. Zehn Mann genügen für diese zwölf Geschütze; sie stehen bis zum Gürtel nackt, Oberkörper und Arme von Pulver geschwärzt, schweißtriefend, oft einen Zündstock in jeder Hand, da. Der einzige Überlebende aus der ersten Bemannung, der Matrose Bonaventure, hat seine Kameraden zwanzig mal in Stücke reißen sehen. Und doch hält man Stand. Und diese unaufhörlich demontierten Geschütze werden unaufhörlich wieder hergestellt. Die Artilleristen beklagen sich nur über Mangel an Munition, denn die Karren wagen sich nicht mehr herbei. Die Versailler haben schon viele Überfälle versucht und können jeden Augenblick einen neuen versuchen. Tag und Nacht wacht Monteret und er kann, ohne sich zu. rühmen, dem Wohlfahrtsausschuss schreiben, so lange er da sei, würden die Versailler nicht durch die Porte Maillot eindringen.

Jeder Schritt gegen La Muette heißt den Tod herausfordern. Aber mein Freund soll die ganze Größe der Pariser bezeugen. Auf dem Wall beim Tor von La Muette schwenkt ein Offizier sein Käppi gegen das Boulogner Gehölz; Kugeln pfeifen um ihn her. Es ist Dombrowski, der sich den Spaß macht, die Versailler in den Laufgräben zu verhöhnen. Ein Mitglied des Rats steht neben ihm und bringt es mit großer Mühe so weit, dieser Tollkühnheit ein Ende zu machen. Der General führt uns ins Schloss, wo er eines seiner Hauptquartiere eingerichtet hat. Alle Zimmer sind von Kugeln durchlöchert. Er hält sich trotzdem dort auf und lässt seine Leute zu sich kommen. Man hat berechnet, dass keiner seiner Adjutanten länger als 8 Tage von den Kugeln verschont blieb. In diesem Augenblick stürzt die Wache des Belvedere erschreckt herbei, eine Granate hat ihren Standort getroffen. „Bleiben Sie“, sagt Dombrowski, „wenn es Ihnen nicht bestimmt ist, dort zu sterben, so haben Sie nichts zu fürchten.“ Daraus spricht seine Tapferkeit, die ganz auf Fatalismus beruht. Er erhält trotz seiner Depeschen an das Kriegsministerium keine Verstärkung, glaubt die Sache verloren und sagt es viel zu oft.

Dies ist der einzige Vorwurf, den ich ihm zu machen habe. Der Leser wird nicht verlangen, dass ich die Kommune rechtfertigen soll, weil sie den Fremden gestattet hat, für sie zu sterben. Ist dies nicht die Revolution aller Proletarier? Ist es nicht auch Sache des Volks, endlich der großen polnischen Nation Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die von allen Regierungen Frankreichs verraten worden ist? Dombrowski begleitet uns durch Passy bis zur Seine und zeigt uns die beinahe verlassenen Wälle. Die Granaten zermalmen alle Zugänge zur Eisenbahn. Der große Viadukt ist an hundert Stellen eingestürzt. Die gepanzerten Lokomotiven sind zusammengeschossen und umgeworfen. Die Versailler Batterie von der Insel Billancourt beschießt unsere Kanonenboote in der Wasserlinie und bringt eines davon, den „Estoc“, vor unseren Augen zum Sinken. Ein Observationsboot kommt rechtzeitig herbei, nimmt die Mannschaft auf und fährt die Seine hinauf unter dem Feuer, von dem es bis zur Brücke von Jena verfolgt wird.

Eine milde Luft, eine lebenswarme Sonne, eine friedliche Stille bilden den Rahmen zu diesem Fluss, diesem Schiffbruch, diesen Geschossen, welche die Stille unterbrechen. Der Tod erscheint uns noch schrecklicher, weil er in diese aufblühende Natur hineingeschleudert wird. Begrüßen wir jetzt einmal unsere Verwundeten in Passy. Ein Mitglied des Rats, Lefrançais, besucht die Ambulanz des Doktor Demarquay, den er über den Zustand der Verwundeten befragt. „Ich teile Ihre Idee nicht“, antwortet der Arzt, „und ich kann den Triumph Ihrer Sache nicht wünschen, aber ich habe nie Verwundete standhafter und kaltblütiger bei der Operation gesehen. Ich schreibe diesen Mut der Stärke ihrer Überzeugung zu.“ Wir besichtigen die Betten. Die meisten Kranken fragen ängstlich, wann sie wieder im Stand sein würden, ihren Dienst anzutreten. Ein junger Mensch von 18 Jahren, dem man die rechte Hand amputiert hat, zeigt die andere und ruft: „Ich habe noch diese zum Dienst der Kommune!“ Man teilte einem tödlich verwundeten Offizier mit, die Kommune habe seiner Frau und seinen Kindern seinen Sold auszahlen lassen. „Ich hatte kein Anrecht darauf“, war seine Antwort. – „Dies, mein Freund, sind die branntweinberauschten Bestien, die, wie Versailles behauptet, die Armee der Kommune bilden.“ Durch das Marsfeld kehren wir zurück. Seine weitläufigen Baracken sind ziemlich schlecht besetzt. Es bedürfte anderer Kader, einer anderen Disziplin, um die Bataillone dort zurückzuhalten. Vor der Kriegsschule stehen hundert Feuerschlünde untätig, beschmutzt, fünfzehnhundert Meter von den Wällen, zwei Schritte vom Kriegsministerium. Lassen wir diesen Herd der Zwietracht rechts liegen und treten wir in das zur Werkstätte umgeschaffene Gebäude des gesetzgebenden Körpers. Fünfzehnhundert Frauen nähen an den Erdsäcken zum Verstopfen der Breschen. Ein schönes, großes, junges Mädchen, Namens Martha, in einer roten Schärpe mit Silberfransen, die ihr die Mitarbeiterinnen geschenkt haben, verteilt die Arbeit. Fröhlicher Gesang verkürzt das Geschäft. Jeden Abend wird der Lohn ausgezahlt, und die Arbeiterinnen erhalten den vollen Wert ihrer Arbeit, acht Centimes auf den Sack, während der frühere Unternehmer ihnen kaum zwei gab.

Gehen wir die in ihrer unwandelbaren Ruhe entschlummerten Quais hinauf. Die Akademie der Wissenschaften hält wie immer ihre Montagssitzung. Nicht von den Arbeitern ging das Wort aus: „Die Republik braucht keine Gelehrten.“ Delaunay ist auf dem Präsidentenstuhl. Elie de Beaumont nimmt die Korrespondenz durch und verliest eine Note seines Kollegen J. Bertrand, der nach St. Germain entflohen ist. Wir werden den Bericht davon im Officiel der Kommune finden.

Wir wollen das linke Ufer nicht verlassen, ohne das Militärgefängnis zu besuchen. Man befrage die gefangenen Soldaten, ob ihnen in Paris eine Drohung, eine einzige Beschimpfung zugefügt worden ist, ob sie nicht als Kameraden behandelt, den allgemeinen Regeln unterworfen und in Freiheit gesetzt werden, wenn sie ihren Brüdern von Paris beistehen wollen.

Sehen wir uns jetzt die große Stadt zur Abendzeit an. Die Theater werden eröffnet. Das Theater Lyrique gibt eine musikalische Vorstellung zum Besten der Verwundeten und die komische Oper bereitet eine gleiche vor. Die große Oper zeigt uns auf nächsten Montag eine ausnahmsweise Feierlichkeit an, wobei wir die Hymne von Gosses hören sollen. Die Künstler vom Theater Gaité, vom Direktor verlassen, dirigieren ihr Theater selbst. Das Gymnasium des Châtelet, das Theater Français, das Ambigu-Comique, die Délassements sind jeden Abend gefüllt. Wohnen wir einem ernsteren Schauspiel bei, das Paris seit 93 nicht mehr gesehen hat.

Zehn Kirchen tun sich auf und die Revolution steigt auf die Kanzel. Im alten Viertel der Gravilliers wiederhallt St. Nicolas des Champs von dem Stimmengewirr einer großen Versammlung. Einige Gasflammen erhellen schwach das Gewimmel der Menge und unten verschwindet im Schatten der Bogen das in die Oriflamme des Volkes eingehüllte Christusbild. Der einzig helle Punkt ist das Büro gegenüber der rot behangenen Kanzel. Die Orgel und die Menge stimmen die Marseillaise an. Der Gedanke des Redners, durch die fantastische Umgebung entflammt, steigert sich zu Apostrophen, die das Echo wie eine Drohung wiedergibt. Man erörtert die Tagesereignisse und die Verteidigungsmaßregeln. Die Mitglieder des Rats werden scharf mitgenommen, man stimmt für kraftvolle Beschlüsse, die morgen auf das Stadthaus gebracht werden sollen. Auch die Frauen verlangen zuweilen das Wort; sie haben einen besonderen Klub in Batignolles. Freilich gehen wenig bestimmte Ideen aus diesen fieberhaft erregten Versammlungen hervor, aber wie Viele holen sich hier Feuer und Mut!

Es ist erst neun Uhr und wir können noch zum Konzert in den Tuilerien gelangen. Am Eingang sammeln Bürgerinnen, in Begleitung von Kommissaren, für die Witwen und Waisen der Kommune. Die ausgedehnten Säle sind von einer fröhlichen und anständigen Menge belebt. Zum ersten Mal sitzen ehrbar gekleidete Frauen auf den Bänken des Hofs. Drei Orchester spielen in den Galerien. Der Mittelpunkt des Festes ist im Saal der Marschälle, Fräulein Agar deklamiert die Châtiments an derselben Stelle, wo zehn Monate früher Bonaparte und seine Bande thronten; die großen Schöpfungen von Mozart, Meyerbeer, Rossini haben die Zotenmusik des Kaiserreichs verdrängt. Durch das große Mittelfenster dringen die harmonischen Klänge in den Garten. Die heiteren Lichtstrahlen erhellen den Rasen, tanzen an den Bäumen, färben die Fontänen. Im Gebüsch schäkert das Volk. Die vornehmen Elysischen Felder liegen schwarz und verödet da und scheinen gegen diese aus dem Volke entstammten Gebieter, die sie nie anerkannt haben, Protest zu erheben. Auch Versailles protestiert durch die Feuersbrunst, die mit einem fahlen Schein den Triumphbogen erhellt, welcher seine dunkle Masse über dem Bürgerkrieg wölbt.

Um 11 Uhr, während sich die Menge zurückzieht, hören wir Lärm von der Kapelle her. Schölcher ist soeben verhaftet worden. Man führt ihn auf die Präfektur, wo ihn der Prokurator Rigault einige Stunden später wieder in Freiheit setzt.

Auf den Boulevards drängt sich die Menge, die aus den Theatern strömt. Beim Café Peters findet ein schamloser Zusammenlauf von Generalstabsoffizieren und Frauenzimmern statt. Plötzlich kommt ein Detachement Nationalgardisten dazu und hebt sie auf. Wir folgen ihnen ins Stadthaus, wo sie Ranvier, der ständig anwesend ist, empfängt. Der Prozess dauert nicht lang: die Mädchen kommen nach St. Lazare, die Offiziere mit Hacke und Schaufel in die Laufgräben.

Es ist ein Uhr morgens. Paris schläft mit seinen regelmäßigen Atemzügen. Hier, lieber Freund, siehst du das Paris der Banditen. Du hast es denken, weinen, kämpfen, arbeiten sehen, enthusiastisch, stolz, brüderlich, streng gegen das Laster. Seine Straßen, frei über Tag, sind sie in der nächtlichen Stille minder sicher? Seitdem Paris selbst seine Polizei ausübt, sind die Verbrechen verschwunden.B Jeder ist seinen Neigungen überlassen. Wo siehst du die Ausschweifung triumphieren? Diese Föderierten, die in ihren Milliarden wühlen könnten, leben von einem Sold, der im Vergleich zu ihren sonstigen Einnahmen lächerlich ist.

Erkennst du endlich dieses Paris, das seit 89 sieben Mal gemordet wurde und immer bereit ist, sich zur Rettung Frankreichs zu erheben? Wo ist sein Programm, sagst du? Wohlan, suche es vor dir und nicht in diesem verworrenen Stadthaus. Die rauchenden Wälle, die Ausbrüche des Heldenmuts, die Frauen und Männer aller Gewerbe, die hier zusammenstehen, die Arbeiter der ganzen Erde, die unserem Kampf zujauchzen, alle Monarchien, alle Bourgeoisien, die gegen uns verbündet sind, sprechen sie nicht laut genug unsere gemeinsamen Gedanken aus, verkünden sie es nicht, dass wir für die Gleichheit, für die Befreiung der Arbeit, für die Herbeiführung einer klassenlosen Gesellschaft kämpfen? Wehe Frankreich, wenn es taub bleibt! Reise schnell ab und erzähle von Paris. Wenn es stirbt, was bleibt euch für ein Leben? Wer außer Paris wird sein Blut spenden, um die Revolution fortzusetzen? Wer außer Paris wird das klerikale Ungeheuer ersticken? Geh’, sage der republikanischen Provinz: „Diese Proletarier kämpfen auch für euch, an die vielleicht morgen die Acht herantritt.“ Und jener Klasse, die uns mit Kaiserreichen versorgte, und die glaubt, man regiere dadurch, dass man alle zwanzig Jahre das Volk mit Kartätschen niedermäht, ruf’ es zu, rufe es laut genug, um ihr Wutgebrüll zu übertönen: „Durch das Blut des Volks wird die revolutionäre Saat üppiger sprossen. Die Idee von Paris wird aus seinen rauchenden Trümmern emporsteigen und, getragen von den Söhnen der Ermordeten, unauslöschlich zünden.“

A Begräbnis des Leutnants Châtelet vom 6.

B Siehe die Aussagen des Sicherheitskommissars Claude. Untersuchung über den 18. März, 2. Teil, Seite 106.

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