Kapitel XXX

Kapitel XXX

Donnerstag, den 25. Das ganze linke Ufer fällt in die Hände der Truppen. Delescluze stirbt. Die Brassardiers1 leiten die Metzeleien. Die Mitglieder des Rats räumen die Mairie des 9. Arrondissements.

Einige tausend Mann können nicht für unbestimmte Zeit eine Schlachtlinie von mehreren Kilometern halten. Bei einbrechender Nacht verlassen viele Föderierte die Barrikaden, um auszuruhen. Die Versailler, welche auf der Lauer liegen, bemächtigen sich der Verteidigungswerke und die ersten Strahlen der Sonne beleuchten die Tricolore da, wo am vergangenen Abend noch das rote Banner flatterte.

Man räumt in der Dunkelheit den größten Teil des 10. Arrondissements, dessen Geschütze nach Château d’Eau gebracht werden. Brunel und die tapferen Zöglinge der Kommune halten sich noch in der Rue Magnan und auf dem Quai Jemappes, während die Truppen die Spitze des Boulevards Magenta besetzt halten.

Auf dem linken Ufer errichten die Versailler Batterien auf dem Platz d’Enfer, dem Luxembourg und auf der Bastei 81. Mehr als fünfzig Kanonen oder Mitrailleusen sind vor den Buttes aux Cailles aufgefahren. Da Cissey verzweifelt, sie mit Sturm zu nehmen, will er sie mit seiner Artillerie zermalmen. Wroblewski bleibt seinerseits auch nicht untätig. Außer dem 175. und 176. Bataillon hat er in seinen Linien das berühmte 101., das für die Truppen der Kommune dasselbe war, was die 32. Brigade für die italienische Armee. Seit dem dritten April hat sich das 101. Bataillon nicht mehr zu Bett gelegt. Tag und Nacht streicht es mit schussbereitem Gewehr in den Gräben, in den Dörfern und in der Ebene umher. Die Versailler von Asnières und Neuilly ergreifen zehnmal die Flucht vor ihm. Es hat ihnen drei Kanonen abgenommen, die ihm überall hin folgen, wie treue Doggen. Es sind alles Kinder des 13. Arrondissements und des Viertels Mouffetard, undiszipliniert, und undisziplinierbar, wild, rau, mit zerrissenen Kleidern und Fahnen, sie hören auf keinen Befehl als auf den zum Vorgehen, in der Ruhe meutern sie und, kaum aus dem Feuer gekommen, muss man sie wieder hineinführen. Serizier befehligt sie, oder begleitet sie vielmehr, denn ihre Kampflust allein befehligt diese Unbändigen. Während sie von der Front aus Überfälle wagen, Vorposten aufheben, die Soldaten in Alarm halten, sichert Wroblewski, der seit der Einnahme des Panthéons auf dem rechten Flügel entblößt ist, seine Verbindungen mit der Seine durch eine Barrikade an der Brücke von Austerlitz und besetzt den Platz Jeanne d’Arc mit Kanonen, um die Truppen zu schlagen, die sich auf den Landungsplatz wagen würden.

An diesem Tag hatte Thiers die Frechheit, in die Provinz zu telegrafieren, der Marschall MacMahon habe die Föderierten zum letzten Mal zur Übergabe aufgefordert. Das war eine niederträchtige Lüge weiter zu so vielen anderen. Wie Cavaignac im Jahre 1848 wollte er im Gegenteil den Kampf verlängern. Er wusste, dass seine Granaten Paris in Brand steckten, dass die Niedermetzelung der Gefangenen und Verwundeten unvermeidlich die der Geiseln nach sich ziehen musste. Aber was kümmerte er sich um das Schicksal einiger Pfaffen und Gendarmen? Was lag der Bourgeoisie daran, ob sie auf Ruinen triumphierte, wenn sie nur auf diese Ruinen schreiben konnte: „Paris hat die Privilegierten bekriegt, Paris ist nicht mehr!“ – Nachdem das Stadthaus und das Panthéon in der Gewalt der Truppen waren, konzentrierten sich ihre Kräfte auf Château d’Eau und Bastilleplatz und die Buttes aux Cailles. Um vier Uhr nimmt Clinchant seinen Marsch nach Château d’Eau wieder auf. Eine Kolonne, die aus der Rue Paradis aufbricht, zieht durch die Straßen Château d’Eau und Bondy, eine andere nähert sich den Barrikaden der Boulevards Magenta und Strasbourg, während eine dritte, von der Rue des Jeuneurs aus ihre Spitze zwischen die Boulevards und die Rue Turbigo schiebt. Das Korps Douay unterstützt auf der rechten Seite die Bewegung und bemüht sich, durch die Straßen Charlot und Saintonge in das 3. Arrondissement hinauf zu dringen. Vinoy rückt durch die kleinen Straßen, die in die Rue St. Antoine münden, und durch die Quais des rechten und linken Ufers gegen die Bastille vor. Cissey begnügt sich mit einer bescheidenen Strategie und beschießt die Buttes aux Cailles, vor der seine Truppen schon so lange zurückgewichen.

Auf den Forts spielten sich peinliche Szenen ab. Wroblewski, dessen linken Flügel sie schützen, rechnete auf die Energie des Ratsmitgliedes, das, um sie zu halten, abgeschickt war. Am vergangenen Abend hatte der Kommandant von Montrouge dieses Fort verlassen und sich mit seiner Garnison auf Bicêtre zurückgezogen. Auch das Fort Bicêtre sollte sich nicht viel länger halten. Die Bataillone erklärten, dass sie in die Stadt zurück wollten, um ihre Viertel zu verteidigen. Der Delegierte konnte sie, trotz seiner Drohungen, nicht halten, und die Garnison kehrte nach Paris zurück, nachdem sie die Kanonen vernagelt hatte. Die Versailler besetzten die beiden geräumten Forts und stellten dort sogleich Batterien gegen das Fort Ivry und die Buttes aux Cailles auf.

Der allgemeine Angriff gegen den Hügel beginnt erst Mittags. Die Versailler marschieren längs des Festungswalles bis zur Avenue d’Italie und der Straße von Choisy; ihr Ziel ist der Platz d’Italie, den sie auch von den Gobelins aus angreifen. Die Avenue d’Italie und die von Choisy werden von mächtigen Barrikaden verteidigt, die nicht zu erstürmen sind, aber die auf dem Boulevard St. Marcel, die von einer Seite durch den Brand der Gobelins geschützt ist, kann durch die zahlreichen Gärten, welche dieses Viertel unterbrechen, umgangen werden. Es gelingt den Versaillern. Sie bemächtigen sich zuerst der Rue Cordillières St. Marcel, wo zwanzig Föderierte, welche sich zu ergeben verweigern, niedergemetzelt werden; hierauf wenden sie sich in die Gärten. Drei Stunden lang hüllt ein ununterbrochenes hitziges Kleingewehrfeuer den Flügel ein, dessen Befestigungen durch die Versailler Kanonen, die denen Wroblewskis an der Zahl sechsmal überlegen sind, niedergeschmettert werden. Die Garnison von Ivry kam gegen ein Uhr an. Beim Verlassen des Forts hatte sie eine Mine angezündet, welche zwei Bastionen in die Luft sprengte. Versailler Reiter drangen in das verlassene Fort. Es fand also kein Kampf statt, wie Thiers in einem der Bulletins glauben machen wollte, worin er so geschickt Lüge und Wahrheit zu vermengen verstand.

Auf dem rechten Ufer langen die Versailler gegen 10 Uhr an der Barrikade des Faubourg St. Denis, bei dem Gefängnis St. Lazare an, umgehen dieselbe und erschießen siebzehn Föderierte.A Von da aus besetzen sie die Barrikade St. Laurent bei der Verbindung des Boulevard Sébastopol, errichten Batterien gegen das Château d’Eau und wenden sich durch die Rue des Recollets auf den Quai Valmy. Rechts wird ihr Vorrücken auf den Boulevard St. Martin durch die Rue de Lancy verzögert, gegen welche sie vom Théâtre de l’Ambigu Comique aus plänkeln. Im 3. Arrondissement werden sie in der Rue Meslay, Rue Nazareth, Rue du Vert-bois, Rue Charlot, Rue de Saint Rouge aufgehalten. Das 2. Arrondissement, schon von allen Seiten besetzt, verteidigt noch seine Straße Montorguenil. Näher bei der Seine gelingt es Vinoy, sich durch abgelegene Straßen in den Grenier d’Abondance einzuschleichen. Um ihn herauszubringen, zünden die Föderierten dieses Gebäude an, welches durch seine Lage den Bastilleplatz beherrscht.

Drei Uhr. Die Versailler nehmen mehr und mehr das 13. Arrondissement ein. Ihre Geschosse fallen auf das Gefängnis der Avenue d’Italie. Die Föderierten räumen es und lassen die Gefangenen heraus, unter denen sich die Dominikaner von Arcueil befinden, die durch die Garnison von Bicêtre hierher verbracht worden waren. Der Anblick dieser doppelt verhassten Männer bringt die Kämpfenden außer sich. Ohne Kommando drücken sie ab und ein Dutzend dieser Apostel der Inquisition fällt unter den Kugeln, im Augenblick, wo sie durch die Avenue die Flucht ergreifen. Alle übrigen Gefangenen wurden verschont. Wroblewski hatte schon am Morgen den Befehl erhalten, sich in das 11. Arrondissement zurückzuziehen. Er bestand darauf, sich zu halten und hatte das Zentrum seiner Verteidigung ein wenig rückwärts auf den Platz Jeanne d’Arc verlegt. Aber die Versailler, im Besitz der Avenue des Gobelins, vollziehen auf der Mairie des 13. Arrondissements ihre Vereinigung mit den Kolonnen der Avenue d’Italie und Choisy. Eines ihres Detachements marschiert längs des Festungswalles weiter, und wendet sich auf den Damm der Eisenbahn von Orleans; schon tauchen die roten Hosen auf dem Boulevard St. Marcel auf. Wroblewski, auf dem Punkt, von allen Seiten eingeschlossen zu werden, muss sich endlich doch zum Rückzug verstehen. Zudem hatten die Unterbefehlshaber so gut wie der General den Befehl zum Rückzug erhalten. Durch das Feuer der Brücke von Austerlitz beschützt, passiert der geschickte Verteidiger der Buttes aux Cailles mit seinen Kanonen und etwa 1000 Mann in Ordnung die Seine. Eine Anzahl Föderierter, die darauf beharrten, im 13. Arrondissement zu bleiben, werden eingeschlossen und zu Gefangenen gemacht.

Die Versailler wagen nicht den Rückzug Wroblewskis zu stören, obgleich sie einen Teil des Boulevard St. Marcel und den Bahnhof von Orleans besitzen und ihre Kanonenboote die Seine hinauffahren. Nachdem dieselben einen Augenblick am Eingang des Kanals St. Martin aufgehalten worden, überwältigen sie das Hindernis mit voller Dampfkraft und unterstützen abends den Angriff auf das 11. Arrondissement.

Das ganze linke Ufer ist in den Händen des Feindes. Die Plätze der Bastille und von Château d’Eau werden der Mittelpunkt des Kampfes.

Auf dem Boulevard Voltaire finden sich nun alle herzhaften Männer ein, die noch am Leben sind, und deren Gegenwart in ihren Vierteln nicht unerlässlich ist. Einer der tätigsten ist Vermorel, der während des ganzen Kampfes einen zugleich begeisterten und kaltblütigen Mut zeigt. Zu Pferd, mit der roten Schärpe umgürtet, besucht er die Barrikaden, ermutigt die Kämpfer, holt und bringt Verstärkungen. Gegen Mittag wird auf der Mairie eine neue Sitzung gehalten. Zweiundzwanzig Mitglieder des Rats waren anwesend, zehn verteidigten ihre Arrondissements, die anderen waren verschwunden.

Arnold berichtete, dass am gestrigen Abend der Sekretär des Herrn Washburne, des Gesandten der Vereinigten Staaten, die Vermittlung der Deutschen angeboten habe. Die Kommune, sagte er, brauche nur Kommissare nach Vincennes zu schicken, um die Bedingungen eines Waffenstillstandes zu regeln. Der Sekretär, der in die Sitzung eingeführt wurde, wiederholte diese Erklärung. Die Beratung begann. Delescluze zeigte viel Abneigung. Welcher Grund trieb das Ausland zu intervenieren? Um die Feuersbrunst aufzuhalten und seine Pfänder zu schützen, gab man ihm zur Antwort. Aber sein Pfand war ja die Versailler Regierung, deren Sieg zu dieser Stunde nicht mehr zweifelhaft war. Andere behaupteten allen Ernstes, die hartnäckige Verteidigung von Paris habe den Preußen Bewunderung eingeflößt. Niemand fragte, ob hinter diesem unsinnigen Vorschlag nicht eine Falle stecke, ob der angebliche Sekretär nicht Spion sei. Man klammerte sich wie ein Ertrinkender an diese letzte Möglichkeit einer Rettung an. Arnold entwickelte selbst die Grundlagen eines Waffenstillstandes, die denen des Zentralkomitees ähnlich waren. Vier Mitglieder der Versammlung, darunter Delescluze, wurden beauftragt, den amerikanischen Sekretär nach Vincennes zu begleiten.

Um drei Uhr gelangen sie an das Tor von Vincennes. Der Polizeikommissar verweigert ihnen den Durchgang. Sie zeigen ihre Schärpe und ihre Karten als Mitglieder des Rats vor. Der Kommissar verlangt einen Pass des Sicherheitsausschusses. Während dieser Verhandlung eilten die Föderierten herbei. „Wo geht ihr hin?“ fragten sie. – Nach Vincennes. „Weshalb?“ – In einer Mission. Es entstand ein schmerzlicher Streit. Die Föderierten glaubten, die Mitglieder des Rats wollten aus der Schlacht fliehen. Es hätte noch eine böse Wendung genommen, wenn nicht Einer Delescluze erkannt hätte. Dieser Name rettete die Anderen; aber der Polizeikommissar beharrte auf der Forderung eines Passes.

Einer der Delegierten eilte auf die Mairie des 11. Arrondissements, um einen solchen zu holen. Selbst auf den Befehl Ferrés weigerten sich die Gardisten, die Zugbrücke herabzulassen. Delescluze redete sie an und sagte, es handle sich um das allgemeine Wohl. Weder Bitten noch Drohungen konnten sie von dem Gedanken an einen Abfall abbringen. Delescluze kam, von heftigem Zittern befallen, zurück. Man hatte ihn einen Augenblick im Verdacht einer Feigheit gehabt; das war für ihn der Todesstoß.

An den Eingängen der Mairie fand er eine Volksmenge, welche sich um Fahnen mit Adlern, die man den Versaillern abgenommen haben wollte, herumstritt. Von dem Bastilleplatz brachte man Verwundete. Frau Dimitriew, die selbst verwundet war, stützte den auf der Barrikade des Faubourg St. Antoine verwundeten Frankel. Wroblewski kam von den Buttes aux Cailles. Delescluze trug ihm den Oberbefehl an. „Haben Sie einige tausend entschlossener Männer?“ fragte Wroblewski. „Höchstens einige Hundert“, antwortete der Delegierte. Wroblewski konnte die Verantwortung eines Oberbefehls unter so ungünstigen Bedingungen nicht annehmen; er setzte den Kampf als Soldat fort. Er ist der einzige General der Kommune, der die Eigenschaften eines Korpsführers gezeigt hat. Er verlangte immer, man solle ihm diejenigen Bataillone schicken, die kein Anderer wollte, und er verstand es auch, sie zu verwenden.

Der Angriff nähert sich mehr und mehr Château d’Eau. Dieser Platz, der bestimmt ist, die Faubourgs aufzuhalten, und in den acht breite Avenuen strahlenförmig münden, war niemals wirklich befestigt worden. Die Versailler, im Besitz der Folies Dramatiques und der Rue du Château d’Eau, greifen ihn mit Umgehung der Caserne du Prince Eugène an. Haus um Haus entreißen sie die Rue Magnan den „Zöglingen der Kommune.“ Brunel, der dem Feinde vier Tage lang gegenübergestanden, fällt mit zerschmettertem Schenkel. Die „Zöglinge der Kommune“ tragen ihn auf einer Bahre über den Platz du Château d’Eau, auf dem die Kugeln pfeifen.

Von der Rue Magnan aus gelangen die Versailler schnell in die Kaserne. Die Föderierten, zu schwach an der Zahl, um dieses große Gebäude zu halten, müssen dasselbe räumen.

Der Fall dieser Position legt die Rue Turbigo bloß. Die Versailler können sich von jetzt an in dem ganzen oberen Teil des 3. Arrondissements ausbreiten und das Konservatorium der Künste und Gewerke umzingeln. Nach einem ziemlich langen Kampf verlassen die Föderierten die Barrikaden des Konservatoriums, eine geladene Mitrailleuse zurücklassend. Auch eine Frau bleibt dahinten. In dem Augenblick, wo die Soldaten in Schussweite kommen, feuert sie das Geschütz auf sie ab.

Die Barrikaden des Boulevard Voltaire und des Boulevard du Théâtre Dejazet empfangen von jetzt an das ganze Feuer der Caserne du Prince Eugène, des Boulevard Magenta, des Boulevard St. Martin, der Rue du Temple und der Rue Turbigo. Hinter ihrer schwachen Schutzwehr erwarten die Föderierten tapfer diese Lawine. Wie Viele werden Helden genannt, die nie auch nur den hundertsten Teil dieses schlichten Mutes gezeigt haben, der ohne Theatereffekt, ohne Verzeichnung in der Geschichte, in diesen Tagen an tausend Orten von Paris emporloderte. Auf Château d’Eau kämpft ein junges Mädchen von neunzehn Jahren, ein reizendes rosiges Geschöpf mit schwarzen Locken, als Marinefüsilier gekleidet, einen ganzen Tag lang aufs Hartnäckigste. Auf demselben Platze wurde ein Leutnant vor der Barrikade getötet. Ein Knabe von fünfzehn Jahren, Dauteuille, hebt unter dem Kugelregen das Käppi des Toten auf und bringt es unter dem Beifallsrufe seiner Kameraden herbei.

In den Straßenkämpfen, wie in offener Feldschlacht, zeigen sich die Kinder so groß, wie die Männer. Auf der Barrikade des Faubourg du Temple ist der tapferste Schütze ein Kind. Als die Barrikade erstürmt war, wurden alle ihre Verteidiger erschossen. Die Reihe kommt an den Knaben. Er verlangt drei Minuten Aufschub, seine Mutter wohne gegenüber, er wolle ihr seine silberne Uhr bringen, „damit sie doch nicht Alles verliere.“ Der Offizier, unwillkürlich gerührt, lässt ihn fort, in der sicheren Voraussetzung, ihn nicht wieder zu sehen. Nach drei Minuten eilt das Kind herbei und ruft: „Da bin ich“, springt aufs Trottoir und lehnt sich leicht an die Mauer neben die Leichen seiner Kameraden. O Paris, du bist unsterblich, so lange dir solche Söhne geboren werden!

Der Platz von Château d’Eau wird durch einen Kugelregen verheert. Die Mauern stürzen unter den Granaten und Bomben. Ungeheure Blöcke sind herabgestürzt, die Löwen der Fontäne durchschossen oder heruntergeworfen, das Becken ist zerschmettert. Aus zwanzig Häusern schlagen die Flammen. Die Bäume haben keine Blätter mehr und ihre gebrochenen Zweige hängen wie abgerissene Glieder herab, die noch durch einen Fetzen Fleisch gehalten werden. Die durchwühlten Gärten werfen Wolken von Staub auf. Die unsichtbare Hand des Todes ruht auf jedem Pflastersteine.

Um ¾ auf 7 Uhr ungefähr erblickten wir bei der Mairie des 11. Arrondissements Delescluze, Jourde und etwa hundert Föderierte, die in der Richtung von Château d’Eau marschierten. Delescluze trug seine gewöhnliche Kleidung, mit schwarzem Hut, schwarzen Beinkleidern und Überrock, die unscheinbare rote Schärpe, die er gewöhnlich zu tragen pflegte, um den Leib; er war unbewaffnet und stützte sich auf einen Stock. Da wir eine Panik in Château d’Eau befürchteten, folgten wir dem Delegierten. Einige von uns machten bei der Kirche St. Ambroise Halt, um sich mit Waffen zu versehen. Dann begegneten wir einem Geschäftsmann aus dem Elsass, der aus Erbitterung gegen die Leute, die seine Heimat ausgeliefert hatten, seit vier Tagen auf den Barrikaden kämpfte und endlich schwer verwundet worden war; weiterhin Lisbonne, der den Tod zu trotzig herausgefordert hatte, und wie Brunel bei Château d’Eau gefallen war; man trug ihn ohne Lebenszeichen fort, endlich Vermorel, der neben Lisbonne verwundet worden war, und den Theiß und Jaclard auf einer Tragbahre fortschafften; große Blutstropfen bezeichneten ihren Weg. So kam es, dass wir ein wenig hinter Delescluze zurückblieben. Fünfzig Meter von der Barrikade zerstoben die Gardisten, die ihn begleiteten, denn die Projektile verdunkelten den Eingang des Boulevards.

Delescluze allein setzte seinen Weg fort. Hier das Schauspiel, wie wir es mit angesehen haben; möge es der Erinnerung erhalten bleiben! Die Sonne ging unter. Der alte Geächtete schritt, ohne sich umzusehen, ob ihm Jemand folge, gleichmäßig weiter. Er war das einzig lebende Wesen auf der Chaussée. Als er an der Barrikade angekommen war, wendete er sich nach links und erstieg die Pflastersteine. Zum letzten Male erblickten wir dieses ernste, vom weißen Barte umrahmte Gesicht, das dem Tode zugewandt war. Plötzlich verschwand Delescluze. Er war wie vom Blitzstrahl getroffen auf dem Platz von Château d’Eau gefallen.

Einige wollten ihn aufheben. Drei bis vier fielen tot nieder. Man konnte nur noch an die Barrikade denken, ihre wenigen Verteidiger sammeln. Johannard, ein Mitglied des Rats, streckte, fast in der Mitte des Boulevards stehend, sein Gewehr in die Höhe und rief weinend vor Wut den Zaudernden zu: „Nein, Ihr seid nicht wert, die Kommune zu verteidigen!“ Die Nacht brach ein. Wir kamen zerrissenen Herzens zurück und mussten den Leichnam unseres Freundes den Beschimpfungen eines Feindes, der keine Ehrfurcht vor dem Tode kannte, überlassen.

Er hatte Niemand in Kenntnis gesetzt, nicht einmal seine Nächsten. Stille, nur sein strenges Gewissen zum Vertrauten, schritt Delescluze auf die Barrikade, wie die alten Montagnards zum Schafott. Das lange Tagwerk seines Lebens hatte seine Kräfte erschöpft. Er hatte nur noch einen Atemzug über und er hauchte ihn aus. Die Versailler haben seine Leiche bei Seite geschafft; aber sein Gedächtnis wird im Herzen des Volkes bestattet bleiben, so lange Frankreich das Mutterland der Revolution sein wird. Er lebte nur für die Gerechtigkeit. Sie war sein Talent, sein Gewissen, der Polarstern seines Lebens. Er rief sie an, er bekannte sie dreißig Jahre lang im Exil, in den Gefängnissen, unter allen Beschimpfungen, die ihm zugefügt wurden, die Verfolgungen missachtend, die seinen Körper zerbrachen. Als Jakobiner fiel er an der Seite von Männern aus dem Volke, um sie zu verteidigen. Sein Lohn war, dass er, als seine Stunde geschlagen hatte, mit freien Händen im hellen Sonnenschein für sie sterben durfte, ohne durch den Anblick des Henkers beleidigt zu werden.

Man vergleiche den Kriegsminister der Kommune mit der Feigheit des bonapartistischen Ministers und der bonapartistischen Generale, die ihren Degen übergaben, um ihr Leben zu retten.

Die Versailler mühen sich den ganzen Abend an dem Eingang des Boulevard Voltaire ab, der durch den Brand der beiden Eckhäuser geschützt war. Von der Seite des Bastilleplatzes her kommen sie nicht über die Place Royale hinaus, aber sie brechen in das 12. Arrondissement ein. Durch die Mauer des Quais gedeckt, waren sie am Tag unter der Brücke von Austerlitz hindurch gedrungen, abends langen sie geschützt durch ihre Kanonenboote und ihre Batterien, im Jardin des Plantes bei Mazas an.

Unser rechter Flügel hat besser Stand gehalten. Die Versailler konnten die östliche Bahnlinie nicht überschreiten. Sie greifen aus der Ferne die Rue d’Aubervilliers an, die durch das Feuer der Rotunde unterstützt wird. Von den Buttes Chaumont herab beschießt Ranvier kräftig den Montmartre, als eine Depesche des Wohlfahrtsausschusses ihm mitteilt, dass die rote Fahne auf der Mühle von la Galette weht. Ranvier kann nicht daran glauben und weigert sich, sein Feuer einzustellen.

Abends bilden die Versailler vor den Föderierten eine ununterbrochene Linie, die, von der östlichen Eisenbahn ausgehend, sich über Château d’Eau und die Bastille erstreckt und in die Lyoner Eisenbahn einmündet. Jetzt besitzt die Kommune nur noch 2 Arrondissements vollständig, das 19. und 20., und etwa die Hälfte des 11. und 12.

Das Paris der Versailler hat kein zivilisiertes Aussehen mehr. Die Angst, der Zorn, die wilde tierische Dummheit ersticken jedes menschliche Gefühl. „Es herrscht eine allgemeine Tobsucht“, sagte der Siècle am Morgen des 26. „Man unterscheidet den Gerechten nicht mehr vom Ungerechten, den Unschuldigen nicht mehr vom Schuldigen. Das Leben der Bürger wiegt nicht schwerer als ein Haar. Eines Ausrufs, eines Wortes wegen wird man verhaftet und erschossen.“ Die Kellerlöcher werden auf Befehl der Armee vermauert, welche dem Märchen von den Petroleusen Glauben verschaffen will. Die Nationalgardisten der Ordnungspartei kriechen, mit ihren Armbändern prangend, aus ihren Löchern heraus, stellen sich unter den Befehl der Offiziere, durchsuchen die Häuser und nehmen die Ehre in Anspruch, die Erschießungen zu leiten.

Im 10. Arrondissement führt der frühere Maire Dubail, unterstützt von den Kommandanten des 109. Bataillons, die Soldaten auf der Jagd nach den Einwohnern seines Bezirks an. Mit Hilfe der Brassardiers wächst die Flut der Gefangenen so an, dass man das Gemetzel zentralisieren muss, um mit ihnen fertig zu werden. Sie stoßen ihre Opfer in die Mairien, die Kasernen, die öffentlichen Gebäude, wo die Prevotalgerichte sitzen, und hier erschießt man sie scharenweise. Wo die Gewehre nicht ausreichen, da mäht die Mitrailleuse. Nicht alle sterben sogleich und bei Nacht hört man aus den blutigen Leichenhügeln ein verzweifeltes Sterbegeröchel.

Die Schatten der Nacht führen uns wieder das Schauspiel der Feuersbrünste vor. Wo man beim Sonnenschein nur dunkles Gewölke erblickt, da zeigen sich wieder Feuerstätten. Der Grenier d’Abondance erleuchtet die Seine weit über die Festungswerke hinaus. Die Säule der Bastille, von den Geschossen durchlöchert, die ihre Kränze und Fahnen entzündet haben, flammt wie eine Riesenfackel; das Boulevard Voltaire entzündet sich vom Château d’Eau aus.

Der Tod Delescluzes war so schlicht und rasch verlaufen, dass er selbst auf der Mairie des 11. Arrondissements bezweifelt wurde. Gegen Mitternacht verständigten sich einige Mitglieder des Rats, die Mairie zu räumen. Wie! Immer und überall dieselbe Furcht vor dem Blei! Ist der Bastilleplatz genommen? Hält nicht der Boulevard Voltaire noch Stand? Die ganze Strategie des Wohlfahrtsausschusses, sein ganzer Schlachtplan beruht im Rückzug. Als man morgens um 1 Uhr ein Mitglied der Kommune verlangt, um die Barrikade von Château d’Eau zu unterstützen, findet man nur Gambon, der in einer Ecke eingeschlafen war. Ein Offizier weckt ihn auf und entschuldigt sich. Der würdige Republikaner antwortet: „Ebenso gut ich wie ein Anderer, ich bin mit dem Leben fertig“, und er geht. Aber die Kugeln bestreichen schon den Boulevard Voltaire bis zur Kirche St. Ambroise. Die Barrikade war verlassen.

1 Verschwörer gegen die Kommune, die sich durch Armbinden für einander kenntlich machten. Anm. d. Übers.

A Auf die mehrmalige Aufforderung, sich zu ergeben, antworteten die Föderierten: „Es lebe die Kommune!“ Man stellte sie an der Mauer des Gefängnisses auf, wo sie mit demselben Ruf fielen. Einer von ihnen drückte noch die rote Fahne an die Brust. Dieser Begeisterung gegenüber empfand der Versailler Offizier doch einige Scham. Er wandte sich zu den Zuschauern, die aus den Nachbarhäusern herbei gelaufen waren, und sagte mehrere Male, um sich zu rechtfertigen: „Sie haben es so gewollt, sie haben es so gewollt. Weshalb haben sie sich nicht ergeben!“ Als ob nicht regelmäßig alle Föderierten ohne Gnade niedergemetzelt worden wären!

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