Kapitel XXXIII

Kapitel XXXIII

Die Sache der Gerechtigkeit, der Ordnung, der Humanität, der Zivilisation hat gesiegt.“

Thiers an die Nationalversammlung, 22. Mai 1871.

Die Gefangenenzüge. Die Orangerie. Satory. Die Verhaftungen. Die Denunzianten. Die äußerste Linke flucht den Besiegten. Demonstrationen im Ausland.

Glücklich die Toten, denn sie brauchten den Kalvarienberg der Gefangenen nicht zu ersteigen.

Wenn die Erschießungen in Masse vorgenommen wurden, so kann man daraus einen Schluss auf die Verhaftungen ziehen. Es war eine wütende Razzia. Männer, Weiber, Kinder, Pariser, Provinzbewohner, Ausländer, Indifferente, ein Mischmasch von Menschen jeden Geschlechts und Alters, aller Parteien und aller Stände. Man hob sämtliche Mieter eines Hauses, sämtliche Bewohner einer Straße in Masse auf. Ein Verdacht, ein Wort, eine zweifelhafte Haltung reichten hin, dass man von den Soldaten festgenommen wurde. Solcher Weise brachten sie vom 21. auf den 30. vierzigtausend Personen zusammen.

Diese Gefangenen wurden in langen Reihen aufgestellt, bald frei, bald wie im Juni 48 mit Stricken so zusammengebunden, dass sie nur einen einzigen Klumpen bildeten. Wer sich zu gehen weigerte, wurde mit dem Bajonett gestochen und wenn er sich widersetzte, auf der Stelle erschossen, zuweilen auch an einen Pferdeschweif gebunden. Vor den Kirchen der reichen Viertel zwang man die Gefangenen, mit entblößtem Haupte unter einem elenden Schwarm von Lakaien, Stutzern und Dirnen niederzuknien, die aus einem Hals schrien: „Zum Tod! Zum Tod! Nicht weiter mit ihnen! Erschießt sie auf der Stelle!“ Auf den Elysischen Feldern wollten sie die Reihen durchbrechen und Blut kosten.

Diese Gefangenenzüge wurden nach Versailles dirigiert. Gallifet erwartete sie in La Muette. In der Stadt führte er die Züge und machte unter den Fenstern der aristokratischen Klubs Halt, um die Hurrahrufe und Beifallsbezeugungen in Empfang zu nehmen. An den Toren von Paris erhob er seinen Zehnten; er ging die Reihen durch und sagte zu Diesem und Jenem mit seiner hungrigen Wolfsmiene: „Sie sehen intelligent aus; treten Sie heraus.“ – „Sie haben eine Uhr,“ sagte er zu einem Anderen, „Sie müssen ein Beamter der Kommune gewesen sein“ und er stellte ihn auf die Seite.

Als er die entsprechende Zahl beisammen hatte, ließ er Alle stehenden Fußes erschießen. Der Korrespondent der Daily News, der in eine Razzia verwickelt wurde und, wiewohl man ihn reklamierte, die Kolonne bis La Muette begleiten musste, berichtet den Hergang einer dieser Mordtaten:

In der Avenue Uhrich machte die Kolonne Halt und die Gefangenen wurden in vier oder fünf Reihen auf der Landstraße aufgestellt. Der General Marquis von Gallifet, der uns mit seinem Generalstab vorangeritten war, stieg vom Pferd und begann seine Inspektion zur Linken hart in meiner Nähe. – Er ging langsam, musterte die Reihen, wie bei einer Revue, rührte einen Gefangenen an der Schulter an oder gab ihm Befehl, nach hinten zu treten. Das so ausgewählte Individuum wurde häufig ohne anderes Verhör in die Mitte der Straße geführt, wo sich bald eine zweite Kolonne bildete. – Diese begriffen wohl, dass ihre letzte Stunde geschlagen hatte und es war schauerlich interessant, ihre Haltung zu beobachten. Der Eine, verwundet, mit bluttriefendem Hemd, setzte sich auf die Straße und heulte vor Schmerz. – Andere weinten still. Zwei Soldaten, vermeintliche Deserteure, beschworen die anderen Gefangenen zu sagen, ob sie sie je in ihren Reihen gesehen hätten. Mehrere lächelten trotzig. – Welch grauenvolles Schauspiel, einen Menschen so seinen Mitgeschöpfen entreißen und ohne jede Prozessform massakrieren zu sehen! – Ein paar Schritte von mir bezeichnete ein berittener Offizier dem Marquis de Gallifet einen Mann und eine Frau, die ich weiß nicht welches Vergehens schuldig sein sollten. Die Frau stürzte aus den Reihen, warf sich auf die Knie und flehte mit ausgestreckten Armen um Mitleid, indem sie in den tragischsten Ausdrücken ihre Unschuld beteuerte. Der General betrachtete sie eine zeitlang und sagte dann mit der vollkommensten Teilnahmslosigkeit: „Madame, ich habe alle Theater von Paris besucht, es verlohnt sich nicht, Komödie zu spielen.“ Ich folgte dem General, noch immer als Gefangener, aber unter der Eskorte zweier berittener Jäger, und suchte mir darüber klar zu werden, was ihn bei seiner Auswahl leiten könne. Ich bemerkte, dass es nicht gut war, auffallend größer, schmutziger, reinlicher, älter oder hässlicher zu sein, als der Nachbar. Ein Individuum dankte es namentlich seiner eingeschlagenen Nase, dass es von den Leiden dieser Welt erlöst wurde. – Nachdem der General auf solche Weise hundert Stück Gefangener ausgewählt hatte, wurde ein Exekutionspeloton gebildet und die Kolonne setzte sich wieder in Marsch. Einige Minuten später vernahmen wir Salven hinter uns, die eine Viertelstunde anhielten. Es war die summarische Hinrichtung dieser Unglücklichen.“A

Am Sonntag, den 28., sagte Gallifet: „Alle Weißhaarigen sollen aus den Reihen treten.“ Hundertundelf Gefangene traten vor. „Ihr“, fuhr Gallifet fort, „ihr habt den Juni 1848 gesehen, ihr seid noch schuldiger als die Anderen.“ Und er ließ ihre Leichen in die Festungsgräben stürzen.

Nachdem diese „Reinigung“ vollzogen war, schlugen die Züge, zwischen zwei Reiterreihen eingezwängt, die Versailler Straße ein. Man hätte glauben können, es handle sich um die Eroberung einer Stadt durch wilde Horden. Straßenjungen, Graubärte, Soldaten mit umgedrehtem Mantel, elegant gekleidete Männer, alle Stände, die feinsten wie die niedersten, waren in einem Haufen vermengt. Viele Frauen waren darunter, einige trugen Handschellen. Diese hielt ihren Säugling auf den Armen, der sich erschrocken mit seinen kleinen Händen an den mütterlichen Hals klammerte, Jene ging mit zerschmettertem Arm oder blutbeflecktem Vorhemd. Die Eine klammerte sich erliegend an den Arm ihres stärkeren Nachbars, die Andere trotzte mit statuenhafter Haltung dem Schmerz und den Beschimpfungen. Immer war es die Frau aus dem Volke, die, nachdem sie das Brot in die Laufgräben getragen und den Sterbenden Trost gebracht, sich, verzweifelnd, „Abgeschreckt, Unglücklichen das Leben zu geben“ dem erlösenden Tod entgegengestürzt hatte.

Ihre Haltung, die den FremdenB Bewunderung abzwang, setzte die Versailler in Wut. „Wenn man die Züge der Insurgentinnen passieren sieht“, sagte der Figaro, „so fühlt man sich unwillkürlich von Mitleid ergriffen. Man möge sich aber beruhigen bei dem Gedanken, dass alle öffentlichen Häuser der Hauptstadt von den Nationalgardisten, welche dieselben protegierten, geöffnet worden sind und dass die Meisten dieser Damen Bewohnerinnen dieser Etablissements waren.“

Keuchend, mit Unrat beschmutzt, abgestumpft vor Müdigkeit, Hunger und Durst, von der Sonne versengt, schleppten sich diese Züge stundenlang durch den brennenden Staub der Landstraße, von den berittenen Jägern durch Geschrei und Püffe vorwärts getrieben. Der Preuße hatte diese Soldaten nicht so grausam behandelt, als er sie, die damals selbst gefangen waren, einige Wochen früher von Sedan und Metz fortführte. Die Gefangenen, welche umsanken, wurden teils erschossen, teils beschränkte man sich darauf, sie auf die nachfolgenden Karren zu werfen. Beim Einzug in Versailles erwartete sie die Menge, nämlich die „Elite“ der französischen Gesellschaft, Deputierte, Beamte, Geistliche, Offiziere, Frauen der großen wie der halben Welt. Die Wutausbrüche vom 4. April und die an den früheren Zügen begangenen Untaten wurden so weit übertroffen, als die Springflut über des Meeres Ufer steigt. Die Avenue de Paris und die von St. Cloud waren von Rothäuten besetzt, welche die Züge mit Gebrüll und Schlägen empfingen, sie mit Unrat und zerbrochenen Flaschen bewarfen. „Man sieht“, sagte der Siècle vom 30. Mai, „Frauen, nicht öffentliche Dirnen, sondern ,Damen' aus der Gesellschaft, die Gefangenen auf ihrem Durchzug insultieren und sie sogar mit ihren Sonnenschirmen schlagen.“ Wehe dem, der die Besiegten nicht insultierte, wehe dem, dem eine Gebärde des Mitleids entschlüpfte; er wurde sogleich verhaftet, auf den Posten geführtC und ohne weiteres in den Zug der Gefangenen gestoßen. Entsetzlicher Rückschritt der menschlichen Natur, um so abscheulicher, als er mit der Eleganz der Kleidung kontrastierte. Preußische Offiziere kamen herüber von St. Denis, um sich noch einmal jene Sorte von regierenden Klassen zu besehen, die sie gegen sich gehabt hatten.

Die ersten Züge wurden, um ein Schauspiel zu bieten, durch die Straßen von Versailles geführt. Andere standen ganze Stunden lang auf dem glühenden Place d’Armes, zwei Schritte von den großen Bäumen, deren Schatten man ihnen verwehrte. Die Gefangenen wurden sodann in vier Depots verteilt: die Keller der „Großen Ställe,“ die Orangerie des Schlosses, die Docks von Satory, die Reitbahnen der Schule von St. Cyr. In den feuchten, ekelhaften Kellern, wo Licht und Luft nur durch einige enge Löcher eindrangen, wurden Männer und Kinder, welche Letztere zum Teil nicht über zehn Jahre zählten, eingepfercht und bekamen in den ersten Tagen nicht einmal Stroh. Als sie es empfingen, war es in Bälde in Mist verwandelt. Kein Wasser, um sich zu waschen, kein Mittel, seine Lumpen zu wechseln. Die Angehörigen, welche reine Wäsche brachten, wurden in brutalster Weise fortgewiesen. Zweimal täglich brachte man ihnen in einem Trog eine gebliche Flüssigkeit: es war Hundefutter. Die Gendarmen verkauften Tabak zu ungeheuren Preisen und konfiszierten ihn, um ihn wieder zu verkaufen. Es gab keinen Arzt. Der Krebs ergriff die Verwundeten, Augenkrankheiten brachen aus. Das Delirium wurde chronisch. Bei Nacht hörte man das Geschrei der Fieberkranken und der Wahnsinnigen. Daneben standen die Gendarmen teilnahmslos mit geladenem Gewehr.

In diesen Finsternissen gab es ein noch dunkleres Loch, die Löwengrube, eine luftlose, vollkommen dunkle Höhle, ein Vorzimmer des Grabes, unter der großen, glänzenden Treppe der Terrasse. Dorthin kam, wer als gefährlich bezeichnet war oder auch nur dem Brigadier missfallen hatte. Die Kräftigsten hielten hier nur wenige Tage aus. Beim Herauskommen taumelten sie betäubt, von der Helle geblendet, und fielen in Ohnmacht. Glücklich, wen dann das Auge einer Gattin traf. An die äußern Gitter der Orangerie drückten sich die Frauen der Gefangenen und versuchten in dieser nur undeutlich sichtbaren Masse Jemand zu unterscheiden. Sie rissen sich die Haare aus und flehten die Gendarmen an, die sie zurückstießen, schlugen und ihnen Schimpfwörter zuriefen.

Die Hölle im Sonnenlicht war das Dock der Ebene von Satory, ein großes von Mauern eingeschlossenes gleichlaufendes Viereck. Der Boden daselbst ist so lehmig, dass ihn der schwächste Regen durchweicht. Die ersten Ankömmlinge wurden in den Gebäuden untergebracht, die ungefähr dreizehnhundert Personen fassen konnten. Die Anderen blieben außen mit unbedecktem Haupt, denn die Kopfbedeckung war ihnen zu Paris oder Versailles heruntergeschlagen worden. Die Gendarmen hatten den Dienst, da sie sicherer, d. h. verhärteter waren als die Soldaten. Donnerstag Abend um acht Uhr kam ein Zug, der hauptsächlich aus Frauen bestand, auf dem Dock an: „Mehrere von uns“, erzählte mir eine von ihnen, die Frau eines Legionsführers, „waren unterwegs geblieben; wir hatten seit dem Morgen nichts zu uns genommen.“

Es war noch hell. Wir sahen eine große Menge Gefangener. Die Frauen waren abgesondert in einer Baracke beim Eingang. Wir schlossen uns ihnen an.“

Man sagte uns, es sei eine Pfütze da. Halb verschmachtet vor Durst, eilten wir hin. Die Ersten, welche tranken, stießen einen lauten Schrei aus und erbrachen sich. „O die Elenden, sie lassen uns das Blut der Unseren trinken!“ Seit dem gestrigen Tag hatten nämlich alle verwundeten Gefangenen hier ihre Wunden gewaschen. Der Durst quälte uns so entsetzlich, dass es Einige über sich vermochten, den Mund mit diesem blutigen Wasser auszuspülen.“

Da die Baracke schon voll war, ließ man uns in Gruppen von ungefähr zweihundert auf den Boden niederlegen. Ein Offizier kam und sagte: „Niederträchtige Geschöpfe, merkt auf den Befehl, den ich gebe. Gendarmen, so wie sich Eine regt, so schießt auf diese H . . .“

Um zehn Uhr hörten wir es in nächster Nähe knallen. Wir sprangen auf. „Legt euch nieder, Elende!“ riefen die Gendarmen, und legten auf uns an. Zwei Schritte von uns füsilierte man einige Gefangene. Wir glaubten, die Kugeln würden uns den Kopf zerschmettern. Die Gendarmen, welche die Hinrichtung vollzogen hatten, lösten unsere Wächter ab. Wir blieben die ganze Nacht unter der Aufsicht von Leuten, denen der Blutgeruch in den Kopf gestiegen war. Sie brummten Denen, die sich vor Schreck und Kälte krümmten, zu: „Werde nicht ungeduldig, die Reihe kommt bald an dich.“ Bei Tagesanbruch sahen wir die Toten. Die Gendarmen sagten unter einander: „Ich hoffe, das gibt eine Ernte.“

Abends hörten die Gefangenen ein Geräusch von Hacken und Hämmern an der südlichen Mauer. Die Erschießungen, die Drohungen hatten jenen den Sinn verwirrt; sie erwarteten den Tod von allen Seiten. Sie glaubten, man wolle sie in die Luft sprengen. Löcher wurden gebrochen und Mitrailleusen erschienen. Man gab Salven.D

Am Freitag Abend brach ein mehrere Stunden anhaltendes Gewitter über dem Lager aus. Die Gefangenen wurden, bei Strafe mitrailliert zu werden, gezwungen, die ganze Nacht im Schmutz zu liegen. Ungefähr zwanzig starben am Fieber.

Das Lager von Satory ward bald das Longchamp der guten Gesellschaft von Versailles. Der Kapitän Aubry machte den Damen, den Deputierten, den Literaten die Honneurs, zeigte ihnen seine Gefangenen, wie sie im Schmutz krochen, Zwieback nagten, aus den Pfützen tranken, welche die Gendarmen ungeniert verunreinigten. Einige, die den Verstand verloren hatten, rannten sich den Kopf an den Mauern ein. Andere heulten und rauften sich Bart und Haar. Ein übelriechender Dunst stieg aus diesem lebendigen Haufen von Unrat und Grauen auf.

Da sind sie“, sagte die Independance française, „zu mehreren Tausenden, von Schmutz und Ungeziefer verpestet und infizieren die Gegend auf einen Kilometer im Umkreis. Kanonen stehen gegen diese Elenden aufgefahren, die eingeschlossen sind, wie Raubtiere. Die Bewohner von Paris fürchten, dass aus der Bestattung der in Paris getöteten Insurgenten eine Epidemie entstehen möchte; diejenigen, welche der Pariser Officiel die Krautjunker genannt hat, fürchten noch weit mehr die Epidemie, die aus der Anwesenheit der lebendigen Insurgenten im Lager von Satory entstehen wird.“

Das sind die anständigen Leute von Versailles, die der Sache „der Gerechtigkeit, der Ordnung, der Humanität, der Zivilisation“ zum Sieg verholfen haben. Wie gutmütig und menschlich waren doch die Pariser „Räuber“, besonders im Vergleich mit jenen anständigen Leuten. Wer hat je einen einzigen Gefangenen in Paris unter der Regierung der Kommune gepeinigt? Welche Frau ist umgekommen oder insultiert worden? Welcher dunkle Winkel der Pariser Gefängnisse hat eine einzige der tausend Torturen verborgen, die zu Versailles am hellen Tag stattfanden?

Vom 24. Mai bis zu den ersten Junitagen strömten unaufhörlich neue Züge in diese Schlünde. Die Massenverhaftungen dauerten Tag und Nacht fort. Die Stadtsergeanten begleiteten das Militär, erbrachen unter dem Vorwand der Haussuchung die Möbel und eigneten sich die Wertgegenstände an. Mehrere Offiziere wurden in der Folge wegen Entwendung konfiszierter Gegenstände verurteilt.E Man verhaftete nicht nur die in der letzten Affäre kompromittierten Personen und Solche, die durch ihre Nachbarn oder durch die auf den Mairien und dem Kriegsministerium aufgefundenen Schriftstücke denunziert wurden, sondern nach Belieben Jeden, der wegen republikanischer Gesinnungen bekannt war. Gleicherweise wurden die Lieferanten der Kommune verhaftet, ja sogar die Musikanten, die nie über die Wälle hinausgekommen waren. Die Krankenwärter traf dasselbe Schicksal. Und doch hatte während der Belagerung ein Delegierter der Kommune, welcher die Ambulanzen der Presse inspizierte, zu dem Personal gesagt: „Es ist mir nicht unbekannt, dass Sie der Mehrzahl nach Freunde der Versailler Regierung sind, aber ich wünsche, dass Sie leben, um Ihren Irrtum einzusehen. Ich frage nicht, ob die Lanzetten im Dienst der Verwundeten royalistisch oder republikanisch sind. Ich sehe, dass Sie Ihre Aufgabe würdig erfüllen, ich danke Ihnen dafür. Ich werde darüber an die Kommune berichten.“F

Einige Unglückliche hatten sich in die Katakomben geflüchtet; man verfolgte sie mit Fackeln. Die Polizeiagenten, von Hunden begleitet, schossen auf jeden verdächtigen Schatten. In den Wäldern bei Paris wurden Treibjagden angestellt. Die Polizei besetzte alle Bahnhöfe, alle Ausgänge Frankreichs. Die Pässe mussten erneuert und in Versailles visiert werden. Die Schiffsreeder wurden überwacht. Am 26. hatte Jules Favre feierlich von allen auswärtigen Mächten die Auslieferung der Flüchtigen verlangt unter dem Vorwand, dass der Straßenkampf kein politischer Akt sei.

Die Auslieferung florierte in Paris. Die Furcht verschloss alle Türen. Es gab kein Asyl für die Verfolgten, wenig Freunde, keine Kameraden mehr, mitleidslose Abweisungen oder Denunziationen. Ärzte erneuerten die Ruchlosigkeiten von 1834 und lieferten die Verwundeten aus.G Alle feigen Instinkte stiegen auf die Oberfläche und Paris enthüllte Sumpflöcher von Nichtswürdigkeit, die man nicht einmal unter dem Kaiserreich geahnt hatte. Die anständigen Leute, die jetzt anmaßenden Pflastertreter, ließen ihre Nebenbuhler, ihre Gläubiger als „Kommunarden“ verhaften und bildeten Reinigungskomitees in ihren Arrondissements. Die Kommune hatte die Denunzianten zurückgewiesen, die Ordnungspolizei empfing sie mit offenen Armen. Die Denunziationen stiegen bis zu der fabelhaften Ziffer von 399 823H, wovon höchstens der zwanzigste Teil unterzeichnet war.

Ein sehr großer Teil davon kommt der Presse zu. Mehrere Wochen lang ließ sie nicht ab, die Wut und den Schrecken der Bourgeois zu nähren. Thiers hatte, eine der Albernheiten von 1848 hervorholend, in einem seiner Bulletins von „giftigen Flüssigkeiten zum Vergiften der Soldaten“ gesprochen. Alle Erfindungen jener Zeit wurden wieder aufgefrischt, dem Augenblick angepasst und grauenvoll erweitert. Minenkammern in den Gossen mit bereitgehaltenen Zündfäden, achttausend eingereihte Petroleusen, Häuser, die durch einen Stempel, für die Feuersbrunst bezeichnet sein sollten, Petroleum-Eier, Pumpen, Injektoren, Giftkugeln, geröstete Gendarmen, gehängte Matrosen, geschändete Frauen, Requisitionen öffentlicher Mädchen, endlose Diebstähle, das Alles wurde erzählt und die Bourgeois glaubten Alles. Einige Zeitungen machten sich eine Spezialität aus gefälschten Brandbefehlen, falschen Autografen, deren Originale niemals beigebracht werden konnten, die aber vor den Kriegsgerichten und den ehrbaren Geschichtsschreibern als Zeugnisse dienten. Wenn die Presse glaubte, die Wut der Bourgeois lasse nach, so schürte sie dieselbe wieder an, indem sie die Ruchlosigkeit noch weiter trieb. „Paris“, sagte der Bien Public, „wünscht, wie wir wohl wissen, nichts, als wieder einzuschlafen. Sollten wir es langweilen, so werden wir es wieder aufwecken.“ Am 8. Juni stellte der Figaro noch Pläne zu neuen Metzeleien auf.I Wenn ein revolutionärer Schriftsteller die Auszüge aus der Presse von Mai und Juni, die parlamentarischen Untersuchungen, die Bourgeois-Geschichtsschreibung über die Kommune – ein Gebräu, so ungeheuerlich wie in einem Hexenkessel — in einen Band zusammenfassen würde, so hätte er mehr für die Erbauung und die künftige Justiz des Volkes getan, als sämtliche Agitatoren mit abgedroschenen Gemeinplätzen.

Doch traten zur Ehre des französischen Namens auch einige Züge von Herzhaftigkeit, sogar von Heldenmut, in dieser Epidemie von Feigheit hervor. Der verwundete Vermorel wurde von der Frau eines Concierge aufgenommen, der es gelang, ihn einige Stunden lang für ihren Sohn auszugeben. Die Mutter eines Versailler Soldaten gab mehreren Mitgliedern des Rats der Kommune ein Asyl. Viele Insurgenten wurden von Unbekannten gerettet. Und doch ging es bei Denen, die den Besiegten Zuflucht gewährten, in den ersten Stunden um den Kopf, später um Deportation. Die Frauen zeigten auch hier wieder ihre Hochherzigkeit.

Die durchschnittliche Zahl der Verhaftungen belief sich im Juni und Juli auf hundert im Tag. In Belleville, Ménilmontant, im 13. Arrondissement waren in gewissen Straßen nur noch die alten Frauen übrig. Die Versailler haben in ihren lügenhaften Etats 38.568 Gefangene zugegebenJ, unter welchen 1058 Weiber und 651 Kinder, worunter 47 von 13 Jahren, 21 von 12, 4 von 10 und 1 von 7K, als ob sie durch irgend welches Mittel die Scharen gezählt hätten, die sie blindlings zusammengewürfelt hatten. Die Zahl der verhafteten Personen stieg höchst wahrscheinlich auf fünfzigtausend.

Zahllose Missgriffe fielen vor. Frauen aus jener „feinen Welt“, welche die Leichen der Föderierten beschnüffelten, wurden in Razzias verwickelt und nach Satory geschleift, wo sie, mit zerfetzten Kleidern, von Ungeziefer zernagt, sehr treffend die von ihren Zeitungen erfundenen Petroleusen darstellten.

Tausende von Personen mussten sich verbergen, Tausende flüchteten ins Ausland. Von den Gesamtverlusten mag die Tatsache, dass die Ergänzungswahlen vom Juli 100.000 Wähler weniger sahen als die vom FebruarL, eine Vorstellung geben. Die Pariser Industrie wurde dadurch vernichtet. Die Mehrzahl der Arbeiter, die ihrer Fabrikation den künstlerischen Stempel gaben, kam um, wurde verhaftet oder wanderte in Masse aus. Im Monat Oktober konstatierte der Munizipalrat in einem öffentlichen Bericht, dass gewisse Industriezweige aus Mangel an Arbeitskräften die Bestellungen ablehnen mussten.

Die Rohheit der Untersuchungen, die Zahl der Verhaftungen, verbunden mit der Verzweiflung der Niederlage, entrissen der bis zur Entkräftung geschröpften Stadt einige letzte Zuckungen. In Belleville, in Montmartre, im 13. Arrondissement, fielen Schüsse aus den Häusern. Im Café Helden, in der Rue de Rennes, Rue de la Paix, auf der Place de la Madelaine, fielen Soldaten und Offiziere von unsichtbaren Händen, bei der Caserne de la Pepinère schoss man auf einen General. Die Versailler Zeitungen verwunderten sich mit naiver Unverschämtheit, dass die Wut des Volks noch nicht gestillt sei und begriffen nicht, „welche Gründe überhaupt noch zum Hass gegen Soldaten vorhanden sein könnten, die doch die harmloseste Miene von der Welt zeigten.“ (La Cloche.)

Die Linke verfolgte die Bahn, die sie sich am 19. März vorgezeichnet hatte, bis zum Ziel. Nachdem sie die Provinz abgelenkt und der Armee Danksagungen votiert hatte, schloss sie sich auch mit ihren Verwünschungen den Krautjunkern an. Louis Blanc, der im Jahr 1877 die rote Fahne öffentlich verteidigte, schrieb an den Figaro, um die Besiegten zu schmähen, sich vor ihren Richtern zu beugen und „die öffentliche Entrüstung für gesetzlich“M zu erklären. Dieselbe Linke, die sich fünf Jahre später für die Amnestie erhitzte, wollte das Sterbegeröchel von zwanzigtausend Füsilierten nicht hören und blieb taub für das Geheul in der Orangerie, zwei Schritte von der Kammer. Im Juni 48 traf der finstere Fluch Lamennais’ die Schlächter und Pierre l.eroux verteidigte die Insurgenten. Die positivistischen Apostel, die großen Philosophen der Bauernversammlung stimmten mit ihr ein gegen die Kommunalisten. Was Gambetta betrifft, so eilte er, voll Entzücken, die Revolutionäre vom Hals zu haben, aus St. Sebastian herbei und sagte in einer großen Rede zu Bordeaux: Die Regierung, welche Paris niederzuschmettern vermocht, habe dadurch ihre Legitimität bewiesen.

Nur in der Provinz gab es noch mutige Männer. Die Droits de l’Homme von Montpellier, die Émancipation von Toulouse, der National von Loiret und mehrere entschiedene Zeitungen erzählten die Mordtaten der Sieger. Die meisten dieser Zeitungen wurden verfolgt oder unterdrückt. Einige Bewegungen entstanden: ein Versuch zum Aufstand in Pamiers (Ariège) in Voiron (Isère). In Lyon wurde die Armee konsigniert und der Präfekt Valentin ließ die Stadt schließen, um die aus Paris Entwichenen zu verhaften. In Bordeaux fanden Verhaftungen statt.

In Brüssel protestierte Victor Hugo gegen die Erklärung der belgischen Regierung, welche die Flüchtlinge auszuliefern versprach. Louis Blanc und Schölcher schrieben ihm einen tadelnden Brief. Eine Stutzerbande warf dem Dichter die Fenster ein. Bebel im deutschen Reichstag, Whalley im englischen Parlament brandmarkten die Versailler Gräuel. Garcia Lopez sagte auf der Tribüne der Cortes: „Wir bewundern diese große Revolution, die heute noch Niemand richtig schätzen kann.“

Die Arbeiter des Auslands hielten für ihre Brüder in Paris große Trauerfeierlichkeiten. In London, Genf, Zürich, Brüssel, Berlin, Leipzig etc. fanden Massenversammlungen statt, welche sich mit der Kommune solidarisch erklärten, die Schlächter dem Abscheu der Welt bloßstellten, und zum Teil die Regierungen, welche keine Gegenvorstellungen gemacht hatten, für Mitschuldige an diesen Verbrechen erklärten. Alle sozialistischen Zeitungen verherrlichten den Kampf der Besiegten. Die große Stimme der Internationalen berichtete ihre Bestrebungen in einer beredten AdresseN und stellte ihr Andenken den Arbeitern der ganzen Erde anheim.

A Daily News, 8. Juni 1871.

B „Ich sah,“ sagte Daily News, „ein junges Mädchen, als Nationalgardist gekleidet, erhobenen Hauptes unter einem Zug Gefangener gehen, welche die Augen gesenkt hielten. Diese hohe Frauengestalt mit langem, blonden Haar, das ihr über die Schultern wallte, bot mit ihrem Blick aller Welt Trotz. Die Menge überhäufte sie mit Beschimpfungen, sie zuckte nicht mit der Wimper und beschämte die Männer durch ihren Stoizismus. Wenn das französische Volk nur aus Frauen bestände, welch ein furchtbares Volk wäre das!“

C So wurde Ratisbonne behandelt, derselbe, der in den Débats ausgerufen hatte: „Welch unschätzbarer Sieg!“

D Diese Tatsache ist von mehreren konservativen Zeitungen bezeugt, unter anderen von dem Siècle. Wir zitieren denselben lieber als die figaristischen Blätter, weil man diese verdächtigen kann, den Ruhm der Armee vergrößert zu haben. „Vorgestern fand (in Satory) ein Versuch zur Revolte statt. Die Soldaten begannen damit, auf die lautesten Aufrührer zu zielen, da aber dieses Vorgehen nicht wirksam genug erschien, ließ man Mitrailleusen aufrücken, die in den Haufen schossen; die Ordnung wurde hergestellt, aber um welchen Preis! (Versailles, 27. Mai).“ -

Gegen 4 Uhr morgens entstand eine neue Erhebung unter den Gefangenen von Satory. Es wurden mehrere Mitrailleusensalven gegeben und man kann sich denken, dass die Anzahl der Toten und Verwundeten ziemlich beträchtlich sein musste. (Versailles, 28. Mai).“

E Unter Anderen Thierce, Oberstleutnant der Nationalgarde, der die Hinrichtungen im 13. Arrondissement geleitet hatte.

F The Times.

G Im Spital Beaujon war ein verwundeter Föderierter, den die Insassen und das ganze Personal retten wollten. Nur eine einzige Person widersetzte sich: der Doktor Delbeau, Chefarzt und Professor der medizinischen Fakultät. Er ließ die Soldaten vom benachbarten Posten holen und den Unglücklichen aufheben. Zur Ehre der Studenten sei es gesagt, dass sie den Professor einige Monate später zwangen, seinen Kursus einzustellen.

H Die Nummern der Register, in welche diese Denunziationen eingetragen waren, gestatteten es, diese Statistik der Niederträchtigkeit aufzustellen, die von den damaligen Polizeijournalen veröffentlicht wurde.

I „Allgemeine Reinigung von Paris. – Die Bestrafung muss dem Verbrechen gleichkommen. – Dieses Resultat wird durch folgende Mittel zu erzielen sein: Die Mitglieder der Kommune, die Führer der Insurrektion, die Mitglieder der Komitees, Kriegsgerichte und revolutionären Tribunale, die fremden Generale und Offiziere, die Deserteure, die Mörder von Montmartre, von La Roquette und Mazas, die Petroleure und Petroleusen, die freigelassenen Sträflinge müssen erschossen werden. – Das Kriegsgesetz muss in seiner ganzen Strenge auf die Journalisten angewendet werden, die den stumpfsinnigen Fanatikern die Fackel und das Chassepot in die Hand gedrückt haben. – Ein Teil dieser Maßregeln ist schon in Kraft getreten. Unsere Soldaten haben die Arbeit der Versailler Gerichtshöfe vereinfacht, indem sie auf der Stelle füsilierten; man darf sich aber nicht verhehlen, dass viele Schuldige der Strafe entgangen sind.“ Figaro.

J Rapport des General Appert, Tableau 1, S. 215 und S. 262.

K Rapport des Kapitäns Guichard, Unters. über den 18. März, Bd. 3, S. 313.

L Nach der Schätzung des Journal des Débats erreichten die Verluste der Insurrektionspartei, sowohl an Toten wie an Gefangenen, die Zahl von hunderttausend Personen.

MMan las Im Figaro vom 8. Juni, in derselben Nummer, die den Plan zum Gemetzel entworfen hatte: Wir empfangen von Herrn Louis Blanc folgenden Brief:

An Herrn Philipp Gille!

Mein Herr!

Ich lese in einem von Ihnen Unterzeichneten Artikel, dass die anständige republikanische Partei das Recht habe, von mir einen Protest gegen die Schändlichkeiten zu erwarten, deren Schauplatz und Opfer Paris gewesen ist. – Diese Bemerkung überrascht mich. Welcher anständige Mensch könnte, ohne sich selbst etwas zu vergeben, sich genötigt glauben, das Publikum zu versichern, dass ihm Brandstiftung, Plünderung und Mord Abscheu einflößen? Ich achte mich selbst hinlänglich, um eine derartige Erklärung meinerseits für überflüssig zu halten.

Umso mehr, wenn die öffentliche Entrüstung so gesetzlich und so groß ist. – Sie wissen, mein Herr, dass in den Tribunalen von Seiten der Anwesenden das strengste Schweigen zu beobachten ist, denn es ist die Pflicht eines Jeden zu verstummen, wenn der Richter sprechen will.

Genehmigen Sie, mein Herr, die Versicherung meiner Hochachtung. Louis Blanc.

N Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation.

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