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Karl Radek 19171117 Der Bürgerkrieg in Russland

Karl Radek: Der Bürgerkrieg in Russland

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 9/10, 17. Nov. 1917, S. 10-14]

1. Wie er gekommen ist.

In der Hauptstadt des revolutionären Russlands hat eine neue Revolution gesiegt. Die provisorische Regierung, die seit den Märztagen trotz aller ihrer Umwandlungen dieselbe Politik trieb und dieselben Klassen vertrat, wurde davon gejagt, eine neue wird aus den Vertretern anderer Klassen gebildet, aus der Mitte der Arbeiter und Soldatenräte: Die neue Revolution ist ebenso durch die sieben Monate der ersten, durch den Klassenkampf der ersten vorbereitet, wie der Märzausbruch durch die vorhergehende Geschichte des Zarismus vorbereitet war. Sie kam nicht vom Himmel und wurde nicht geboren durch eine Verschwörung der Bolschewiki Nie war eine Revolution so sehr in voller Öffentlichkeit „vorbereitet", angezeigt, als die, die Kerenski und seine Mameluken aus Petrograd verjagt hat.

Die Märzrevolution stellte den Sieg der Arbeiter und Soldaten, (also in ihrer Mehrheit Bauern) nicht nur über den Zarismus, sondern auch über die Bourgeoisie dar. Nicht im feudal-bürokratischen Interesse allein, sondern auch im Interesse der kapitalistischen Bourgeoisie stürzte sich der Zarismus in diesen Krieg. Die Bourgeoisie sah in seinem Kriegserfolgen ihr ureigenstes Werk, sie war der Träger des Kriegswillens. Indem die Volksmassen im März 1917 den Sturz des Zarismus herbeiführten, handelten sie getrieben von Not und Kriegsmüdigkeit, von Sehnsucht nach dem Frieden. Der Mechanismus des Zarismus war zu alt und morsch, die Kräfte des russischen Kapitalismus zu jung und klein, als dass sie imstande wären, die Volksmassen in dem Grade an den Wagen des Imperialismus zu ketten, als es in Europa der Fall ist, wo nicht nur die bessere Organisation des Staates ihm erlaubt, den Massen selbst die ungeheuren Kriegslasten erträglicher zu machen, sondern wo die Entwicklung der letzten vierzig Jahre in der Arbeiterklasse eine starke mit dem Kapitalismus durch ihre Interessen verbundene Oberschicht gebildet hat, um schon gar nicht von den Bauern zu sprechen, die zu einem bewussten Teil der kapitalistischen Nation wurden. Der Zusammenbruch des Zarismus war der Zusammenbruch des imperialistischen Krieges in Russland und somit der Bourgeoisie, die der Hauptfaktor des Krieges war. Gesiegt haben im Kampfe Klassen, die kein Interesse an der Fortführung des Krieges hatten. Aber der Sieg über den Zarismus kam nach einer zu kurzen Periode des Kampfes – so verfault war der Zarismus, dass ihn ein Windstoß umstürzen konnte – als dass die am Umsturz beteiligten Klassen, sich im Klaren sein konnten über ihre eigenen Kampfesziele. Die großen Massen der Arbeiter, Soldaten und Bauern waren todmüde vom Kriege: das zeigte schon die Millionendesertion der Soldaten unter dem Zarismus. Den Sieg der Revolution begrüßten die Soldaten in der Front als einen Schritt zum heiß ersehnten Frieden. Aber den bewussten Kampf um den Frieden hat vor dem Sieg der Revolution nur ein kleiner Teil der Arbeiter geführt, die Revolution als der Kampf um den Frieden wurde nach ihrem Siege in dem Bewusstsein der Volksmassen zurückgedrängt zuerst durch die inneren Aufgaben des revolutionären Umbaus, der Abschüttelung der Fesseln des Absolutismus und dann durch die Verteidigung dieser jungen Errungenschaften vor den feindlichen Heeren. Dies alles war nicht nur durch den äußeren Zwang der Lage bewirkt, sondern in erster Linie durch die Tatsache, dass die Aufgabe der sofortigen Liquidierung des Krieges eine gegen die Bourgeoisie gerichtete war, während unter der Herrschaft des Zarismus die Bourgeoisie sich politisch selbst in den Augen der Arbeiterklasse nicht in diesem Maße kompromittiert haben konnte, als dass auf den Sturz der zarischen Regierung sofort – wenn auch nur vorübergehend – die Herrschaft der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums kommen konnte. Ihr Wesen den Volksmassen enthüllen kann nur eine direkt herrschende Klasse, was die russische Bourgeoisie bisher nicht war. Die Volksmassen waren weder organisiert noch politisch befähigt zur Übernahme der Gewalt, und wie notwendig vom ersten Augenblick das Drängen der revolutionären Arbeiterpartei war: nehmt die Macht! – dieses Drängen bildete allmählich die Kraft, die jetzt die Macht übernimmt – die erste Phase der Revolution war notwendiger Weise die der Herrschaft der Bourgeoisie.

Die Bourgeoisie hat der Revolution bis zu ihrem Siege entgegengearbeitet. Als die Revolution gesiegt hat, stellte sie sich an ihre Spitze, um zu versuchen ihre radikale Entwicklung zu verhindern, ja sie zum eigenen Fußschemel zu machen. Die Geschichte der Revolution von März bis auf den heutigen Tag ist nichts anderes, als die Entwicklung dieser Bestrebungen der Bourgeoisie und der gegen sie gerichteten Tendenzen. Alle vier Formationen der provisorischen Regierung waren in verschiedenen Formen und Maße Organe dieser Bemühung der kapitalistischen Bourgeoisie, die Arbeiter- und Bauernmasse Russlands nicht nur der bisherigen sozialen und politischen Erfolge zu berauben, sondern sie weiterhin als willenloses Werkzeug des imperialistischen Krieges zu missbrauchen. Die erste provisorische Regierung, die bis zum Sturz Miljukows im Mai Russland beherrscht, war eine Regierung nicht nur der liberalen Bourgeoisie, sondern sogar des fortschrittlichen Junkertums, eine bewusste Regierung des Imperialismus, ein bewusstes Werkzeug des Ententekapitalismus. Sie wollte die konstitutionelle Monarchie, nicht die Republik; sie wollte die soziale Neuordnung Russlands, in erster Linie die Lösung der Bauernfrage verschieben, bis sich die Wellen der Revolution im Sande verlaufen und man mit den Volksmassen leichter fertig wird. Während sie, um die Massen irrezuführen, auf Annexionen und Kontributionen äußerlich verzichtete, einen demokratischen Frieden anzustreben angab, erklärte sie in den Noten an die Verbündeten, dass sie die alte Politik fortsetzen will. Diese direkte unverhüllte Herrschaft der kapitalistischen Bourgeoisie zeigte sich für die Dauer unmöglich. Eine Demonstration der Petrograder Arbeiter und Soldaten genügte, um den Rücktritt des offenen Imperialisten Miljukow zu erzwingen, Gutschkow war schon gescheitert an dem Versuch, die Demokratisierung der Armee aufzuhalten. Die Bourgeoisie konnte ihr Regime nur aufrechterhalten, wenn es ihr gelingen würde, die Machtorgane der Arbeiter und Soldaten zu Unterstützungsorganen ihrer kapitalistischen Regierung zu machen. Das gelang ihr vollkommen, weil die in diesen Organen zusammengefassten Volksmassen trotz ihres wachsenden Misstrauens zur Bourgeoisie sich noch unfähig fühlten, allein die komplizierte und vollkommen zerrüttete Staatsmaschine in die eigenen Hände zu nehmen, weil sie noch die Hoffnung nicht verloren haben, dass die Bourgeoisie, wenn unter Kontrolle der Sowjets gestellt, genötigt werden könnte, die Politik des Friedens und der Demokratie zur ihren zu machen. Die alte Auffassung des kleinbürgerlichen Sozialismus in Russland, dass weil die Revolution in ihren endgültigen Resultaten den Boden des Kapitalismus nicht verlassen kann, sie auch nur zusammen mit der Bourgeoisie zu Ende geführt werden kann, siegte. Die Führer der kleinbürgerlichen Mehrheit der Sowjets, die Menschewiki und Sozialisten-Revolutionäre, traten in die Regierung ein, in der Kerenski bisher teils als kleinbürgerliche Geisel der kapitalistischen Bourgeoisie, teils als ihr Kontrolleur saß; sie traten ein, um die Kontrolle im großen Maßstabe auszuführen, um die Lösung der Aufgaben des sozialpolitischen Umbaus und des Friedens in die Hand zu nehmen. Die Arbeit, die die kleinbürgerlichen Soz. in der Regierung leisteten, genügte, um in den kapitalistischen Elementen der Regierung großen Unmut zu erregen, aber sie konnte die Richtung der Politik der Regierung nicht ändern. Alle sozialpolitische Initiative der kleinbürgerlichen Sozialisten wurde gelähmt durch den Widerstand der kapitalistischen Minister und durch die Rücksicht auf die von ihnen repräsentierten Interessen. Weder der Kampf gegen die Kriegswucherer, noch der Kampf gegen die Junker konnte in Angriff genommen werden. Noch mehr! In der für die Geschichte entscheidenden Frage den Friedens wurden die kleinbürgerlichen Elemente der Regierung von den kapitalistischen automatisch ins Schlepptau genommen. Sie wollten mit der russischen Bourgeoisie nicht brechen, weil sie ohne ihre Hilfe nicht an den Sieg der Revolution glaubten. Die Bourgeoisie wiederum wollte mit dem Ententekapital nicht brechen, weil sie ohne seine Hilfe weder der Revolution, noch dem deutschen Kapital gegenüber bestehen zu können glaubt. Die Friedensaktion durfte also nur in Unterredungen mit den Vertretern der Entente bestehen: von irgend welchem Druck musste abgesehen werden, da hinter jedem energischen Schritt das Gespenst des Bruches mit der Entente und des Separatfriedens stand. Diese vollkommene Passivität den Anderen gegenüber konnte nicht lange aufrechterhalten werden. Der Sklave wurde von seinen Herrn zur Offensive gedrängt, die natürlich mit einer Niederlage enden musste, da man eine in revolutionärer Umbildung begriffene Armee, eine Armee, die sich nach dem Frieden sehnt, für eine Offensive wegen imperialistischer Ziele nicht mit dem nötigen seelischen Schwung erfüllen kann. Die sozialistischen Minister trugen die volle Verantwortung für diese Politik in den Augen der Massen, die jetzt in immer größerem Maße und immer schnellerem Tempo nicht nur gegen die Koalition mit der Bourgeoisie, sondern auch gegen die Führer der kleinbürgerlichen Demokratie erbittert wurden. In den Julidemonstrationen, die einsetzten, als die Kadettenminister die Regierung fluchtartig verließen, um die Verantwortung für die Niederlage den Sozialisten-Ministern zuzuschieben, suchte die Petrograder Arbeiterschaft und Garnison, die sich inzwischen entschieden um das Banner der Bolschewiki sammelten, die kleinbürgerlichen Führer zu überreden, die Macht zu übernehmen. Aber die kleinbürgerlichen Führer schreckten vor der Aufgabe zurück und unterdrückten, die Bewegung in Blut, halfen der Bourgeoisie die Verantwortung für die Niederlage der verbrecherischen Offensive den Warnern und Mahnern zuzuschieben. Nachdem sie sich von den Massen der Arbeiterschaft getrennt haben, nachdem sie diese Massen der konterrevolutionären Mächten ausgeliefert haben, wurden sie aus den Kontrolleuren der bürgerlichen Regierung zu ihren Handlangern. Äußerlich konstituierte sich die Diktatur der konterrevolutionären Bourgeoisie als Diktatur eines kleinbürgerlichen Auchsozialisten, Kerenskis, der alle wichtigen Staatsfunktionen in seinen Händen vereinigte, und die anderen kleinbürgerlichen, wie kapitalistischen Minister als Laufburschen behandelte; aber Kerenski war selbst, wie die Enthüllungen über die Verschwörung Kornilows augenscheinlich zeigen, selbst nur eine Puppe in den Händen der Generalität und der konterrevolutionären Bourgeoisie. Zusammen mit der Generalität plante er die Unterdrückung der Arbeiterräte, die Beugung des revolutionären Petrograds unter das Joch des Kriegszustandes; zusammen mit den Kapitalisten und den Junkern schmiedete er Ketten gegen das Bauerntum und das Proletariat. Als durch Missverständnisse und Konkurrenzgefühle der Bruch zwischen Kerenski und der Generalität eintrat und diese aus dem Häuschen zu plaudern begann, zeigte sich mit voller Klarheit, dass seine Herrschaft nichts anderes als die Kulisse und ein Werkzeug der Herrschaft der Konterrevolution war. Der Anstrengung der revolutionären Arbeiterklasse, ihrem einmütigen Auftreten, gelang es fast ohne Blutvergießen, den Aufstand Kornilows zu liquidieren. Im ganzem Lande hatten die revolutionären Arbeiter- und Soldatenorganisationen die Macht ergriffen Noch mehr: der Eindruck des gescheiterten kornilowschen Aufstandes auf die Kräfte der Konterrevolution war so lähmend, dass die Demokratie zum letztem Male die Macht auch im Zentrum ohne ein Tropfen Blut zu vergießen übernehmen konnte. Da zeigte sich, dass der Zusammenhang eines Teils der Führer der kleinbürgerlichen Demokratie mit dem Kapital, der Mangel des Vertrauens in die Kräfte der revolutionären Volksmassen bei dem anderen Teil so groß war, dass sie die Koalition mit der Arbeiterklasse ablehnten, die Koalition mit der kapitalistischen Bourgeoisie schlossen. Wiederum wurden nicht nur die Kadetten, sondern die direktesten Vertreter der Großindustrie zu Herrn der Lage.

Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Die Unverantwortlichkeit der Provisorischen Regierung wurde zum Gesetz erhoben, im Vorparlament, in dem künstlich der Bourgeoisie und den Verrätern der Bauern die Mehrheit der Sitze verschafft wurde, wurde ein Gegengewicht gegen die Arbeiter-und Soldatenräte geschaffen. Das Spiel konnte beginnen. Es begann ein Feldzug gegen die Sowjets: der Sowjet in Taschkent wurde probeweise mit Gewalt auseinandergejagt. Und als die Bauern, die sieben Monate lang auf Grund und Boden gewartet haben, schließlich ihn sich mit Gewalt anzueignen begannen, da setzte ein regelrechter Kreuzzug gegen sie ein unter dem Vorwande, es handle sich um den Kampf gegen Pogrome: aus ob die Geschichte jemals ruhige und zivilisierte Bauernaufstände, ja überhaupt solche der Unterdrückten gegen die Unterdrücker gesehen hätte. Die Regierung der Revolution wurde in der offenkundigsten zynischsten Weise eine Regierung der Konterrevolution. Und trotzdem war sie der offenen Konterrevolution noch nicht genügend konterrevolutionär. Die Rodsjanko und Gutschkow, die Generäle Alexejew, Brjussow und Russkij proklamierten offen in Moskau die Rückkehr zur alten Zeit, ja die Rückkehr des Zaren. Rodsjanko forderte die Bourgeoisie auf, auf die Straßen zu gehen.

In der Presse wurde die Diktatur Kornilows gefördert. Eine Kornilowiade in zehnfachem Umfange bereitete sich offen vor, ohne dass die neue Regierung Kerenskis auch nur mit dem Finger rührte. Wie konnte die gute Mutter gegen die Frucht vorgehen, die sie in ihrem Leibe trug.

Im Innern der Vormarsch der Konterrevolution und nach Außen? Zum ersten Mal sprach der Minister des Äußeren der russischen Revolution offen über die Kriegs- und Friedensziele Russlands im Vorparlament. Und was wusste er über den Weg zum Frieden zu sagen? Nichts, als dass Russland ein Herz und eine Seele mit den Alliierten ist, die den Frieden nicht wollen. Selbst die Menschewiki ergriff ein Entsetzen, als sie die Rede Tereschtschenkos hörten, denn sie zeigte, dass nicht die geringste Hoffnung besteht, als könnte diese Regierung auch nur das Geringste tun, um den Augenblick der Friedensverhandlungen anzunähern Aber vielleicht ist sie imstande auf dem Wege des militärischen Sieges dem Krieg ein Ende zu bereiten? Es genügt diese Frage zu stellen, die Antwort geben die Tatsachen: eine Niederlage nach der anderen, der Zerfall der Armee, die heute ohne Schuhe, ohne warme Winterkleidung in den Schützengräben den Krankheiten, dem Hunger und den deutschen Granaten ausgeliefert ist. Nach der Niederlage bei Riga erblickte sich die Volksmasse Aug in Auge mit der Gefahr der Einnahme Petrograds, des Herzens der russischen Revolution. Die baltische Flotte, der Herd der Revolution, ging in den Tod mit zusammengebissenen Zähnen, um Petrograd zu decken. Auf den Schiffskommandantendecks standen die bolschewistischen Matrosenvertreter neben den Kommandierenden, denn sonst hätte die Flotte kein Vertrauen zu den Kommandanten und doch fühlte sie, dass man Petrograd dem deutschen Imperialismus nicht ausliefern darf. Aber auf der Kommandobrücke der russischen Revolution standen weiter die Kornilowleute, die Helfer der Konterrevolution, zu denen die Arbeiter und Soldatenmassen nicht das geringste Vortrauen haben und haben können. Wo beginnt die Verteidigung der Revolution und wo die konterrevolutionären Machenschaften im Interesse des russischen und Ententekapitals? Wie kann man sicher sein, dass wenn aus Petrograd Truppenteile ausgeführt werden, sie aus strategischen und nicht aus politisch-konterrevolutionären Gründen entfernt werden, um die Hauptstadt der Revolution den Mächten der Konterrevolution auszuliefern? Eine dumpfe Resignation ergriff einen Teil der Volksmassen, eine verzweifelte Stimmung den anderen. Man fühlte: entweder übernimmt man die Macht und bestimmt die Politik der Revolution, dann kann man sie verteidigen, oder man darf nicht die Flotte und die Armee zur Verteidigung selbst Petrograds anfeuern: denn dann trägt man die Verantwortung für die ganze Ententepolitik, ohne wirklich der Verteidigung zu dienen. Wenn es in der ersten Zeit der Revolution hieß: wenn wir die Macht haben, so verteidigen wir Russland, fühlte man jetzt lebendig: man muss die Macht nehmen, um Russland verteidigen zu können.

Die russische Revolution ist in eine Sackgasse geraten. Nach welcher Richtung des sozialen Lebens wir uns auch wenden mögen, überall dasselbe Bild. Überall stellt das Leben die größten Aufgaben, aber nirgends finden sie ihre Lösung. Es ist eine Lage entstanden aus der es nur zwei Auswege gibt: entweder sich für zu nichts nützlich anzusehen, auf alles spucken, am Ofen hockend, auf einen Kornilow warten, der kommen wird, um mit eiserner Faust die „Ordnung" einzuführen, oder durch eine heroische Anstrengung das Gewebe des Bonapartismus zu zerreißen, das die revolutionäre Initiative der Massen hemmt, noch einen Schritt auf dem Wege der Vertiefung der Revolution und ihrer Ausbreitung zu tun." In diesen am 6 November niedergeschrieben Worten des Organs des Helsingforser Sowjet war die Situation Russlands am Anfang Novembers mit vollen Recht gezeichnet.

Der Verzicht auf den Aufstand ist ein Verzicht auf die Machtübernahme durch die Sowjets, er bedeutet die Setzung aller Hoffnungen auf die gute Bourgeoisie, die die Einberufung der Konstituierenden Versammlung zugesagt hat. Entweder Übergang zu den Liberalen und den Sowjets oder Aufstand. Ein drittes gibt es nicht. Entweder die unnützen Hände auf der leeren Brust kreuzen und treuherzig auf die Konstituierende Versammlung warten, bis Rodsjanko & Co. Petrograd aufgeben und die Revolution erdrosselt wird – oder Aufstand. Ein drittes gibt es nicht“ – schrieb N. Lenin im „Rabotschij Putj".

Und der Petrograder Sowjet, der Kongress der nordrussischen Sowjets stellten sich unter der unerschrockenen Führung Leo Trotzkis auf diesen Standpunkt. Gegen sie, wie die bolschewistische Partei begann nicht nur die kapitalistische Presse, nicht nur die menschewistisch-sozialrevolutionäre Presse der Lakaien der Bourgeoisie eine wilde Kampagne. Die sog. Menschewiki-Internationalisten, die ihren Internationalismus bisher nur dadurch beweisen, dass sie durch keine Schandtat ihrer Parteimehrheit sich von ihr abtrennen ließen, begannen unter Zustimmung der gewesenen Bolschewiki, der gewesenen Menschewiki und der gewesenen Sozialrevolutionäre, kurz den heutigen kopf- und charakterlosen Gruppe der Schriftsteller der Nowaja Schisn eine Desorganisationsarbeit, sie begannen Misstrauen in den Reihen des Proletariats zu säen. Es ist ein Abenteuer zur Offensive überzugehen im Moment, wo die Konterrevolution eine solche beginnt – schrien sie. Als ob es nicht ein Verbrechen wäre, untätig auf den Anschlag der Konterrevolution zu warten und den Staatsmechanismus inzwischen in den Händen Kerenskis zu lassen, damit ihn die Kornilowleute ohne Schwertstreich in die Hände bekommen. Es ist ein Abenteuer, den Bürgerkrieg zu entfachen im Moment, wo die Deutschen nahen – schrien sie, als ob die Revolution., die sie angeblich verteidigen wollen, nicht gesiegt hätte durch einen Bürgerkrieg, während die deutschen Truppen an die Pforten Russlands klopften. Es ist ein Abenteuer – schrien sie, [ein] paar Wochen vor den Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung einen Aufstand zu riskieren, als ob sie nicht wüssten, dass die siegreiche Konterrevolution den Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung verhindern wird, dass falls sie die Konstituierende Versammlung schließlich einberufen würde, nachdem sie die Bauernbewegung niedergeworfen, die Sowjets auseinandergejagt hätte – eben kam die Nachricht von der Sprengung des Sowjets in Kaluga durch die Kosaken – die Wahlen bei vollkommener Atomisierung der revolutionären, bei Zusammenfassung der konterrevolutionären Kräfte stattfinden und der Konterrevolution das Ruder geben würden.

Wenn jemals in der Geschichte das Wort George Sands: „Kampf oder Tod; blutiger Krieg oder Nichts. So ist die Frage unerbittlich gestellt" – volle Gültigkeit hatte, so in der Situation, in der sich die russische Arbeiterklasse befindet.

Entweder galt es zuzusehen, wie die Kräfte der Revolution zersprengt und verpulvert werden, wie die Soldaten von Hunger und Kälte getrieben, durch keinen Glauben an irgend welchen Volkszweck des Krieges, an die Möglichkeit einer organisierten Beendigung des Krieges zurückgehalten, von der Front in Millionen zurück fluten, raubend und sengend, weil sie nichts zu essen haben, oder es galt die Karte zu schlagen, auf die Gefahr hin, dass sie verloren wird. Es galt die Macht ergreifen, die Kräfte der Volksmassen zu sammeln, versuchen einen ehrlichen Frieden zu erlangen, oder nachdem man den Volksmassen durch Friedensverhandlungen gezeigt hat, dass dies unmöglich ist, zu versuchen, einen revolutionären Verteidigungskrieg zu führen, bis die europäische Arbeiterklasse erwacht, der russischen zu Hilfe eilt, oder bis nichts anderes übrig bleibt, als mit Waffen in der Hand zu sterben.

Die Arbeitermassen von Petrograd und ihre Vorhut, die bolschewistische Partei, haben gewagt. Und wie der Kampf auch ausgehen mag, sie werden mit Ulrich Hutten sagen:

Ich hab gewagt mit Sinnen

Und trag' des noch kein Reu'!"

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