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Karl Radek 19171128 Die Friedensfrage und unsere Aufgabe

Karl Radek: Die Friedensfrage und unsere Aufgabe

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 11, 28. Nov. 1917, S. 1-2]

Die Aufgabe ist der Kampf um den allgemeinen Frieden. Der allgemeine Friede wird uns nicht gegeben, nicht geschenkt. Man kann ihn nicht durch diplomatische Verhandlungen erreichen, da schon abgesehen von dem Inhalt des Friedens, der auf diplomatischem Wege zu erreichen wäre, die allgemeinen diplomatischen Verhandlungen einstweilen gar nicht beginnen können. Die Ententemächte werden die neue Arbeiterregierung so lange bekämpfen, bis sie von der italienischen, französischen und englischen Arbeiterbewegung genötigt sein werden, Friedensverhandlungen zu beginnen. Die deutsche Regierung weiß selbst noch nicht, was sie tun wird. Ein Teil von ihr möchte sofort verhandeln, um einen Separatfrieden zu erlangen, ein anderer wird wahrscheinlich darauf drängen, dass die militärische Lage Russlands ausgenützt werde. Beide werden sich zu keinen Verhandlungen entschließen, bis sie sehen, dass die Arbeiterregierung gesiegt hat. – Denn keine kapitalistische Regierung will der russischen Arbeiterregierung helfen. – Die Einen wollen sie sofort stürzen, die Anderen vorerst ausnützen, und dann erdrosseln helfen. – Es bleibt beim Alten: ohne proletarische Revolution in den ausschlaggebenden Ländern kann es keinen demokratischen Frieden geben, keinen Frieden der Völker. Mehr noch: ohne sofortigen Kampf des Proletariats in den kriegführenden Ländern gibt es überhaupt keine Friedensverhandlungen.

Das erste was wir zu tun haben ist: in Russland durch den revolutionären Kampf, durch das Bild des entschlossenen Handelns der Arbeiterregierung auf die Arbeitermassen aller Länder zu wirken, sie durch die Tat, das Beispiel aufzurütteln; durch klare, entschiedene konkrete Angebote der Friedensverhandlungen und der Friedensvorschläge, die in voller Offenheit gemacht werden, die Regierungen zu nötigen ebenso klar Farbe zu bekennen. Im Ausland: muss die ISK die weit tönende Glocke der russischen Revolution sein: jedes ihrer Worte weiter geben, die sich rührenden Kräfte sammeln, ihnen verständlich machen, dass die Zeit der Worte vorüber ist, dass ohne Tat jedes Wort einen Pfifferling wert ist. Sofortige Friedensverhandlungen, sofortiger Waffenstillstand das sind die praktischen, nächsten Losungen, Friede ohne Annexionen, Kontributionen, auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, das ist das Ziel. Und der Weg? Zu diesem Ziele nur einer. Der alte, der Weg der proletarischen Revolution in Europa.

Nun. worüber wollt ihr dann mit den Regierungen verhandeln? – kann man uns fragen. Wir wollen mit ihnen verhandeln über den Völkerfrieden, wie ihn die russische Revolution sich gestellt hat. Sollen sie ihre Bedingungen entgegenstellen, wir werden sie ehrlich und loyal besprechen, nicht nur als die Vertreter der russischen Volksmassen, sondern der leidenden. kämpfenden Volksmassen aller Länder. Von dem Druck dieser Massen wird es abhängen, ob die Regierungen, oder ein Teil von ihnen, mit uns, der Vorhut der europäischen Revolution verhandeln wollen werden; von dem Druck dieser Massen wird es abhängen, wozu die Regierungen genötigt werden. Die Verhandlungen – ob sie mit allen, oder einem Teil der Mächte stattfinden werden – werden eine klare Situation schaffen. Sollten die Regierungen keinen Frieden schließen, für den die russische Revolution die Verantwortung übernehmen können wird, so muss die russische revolutionäre Regierung alle Kräfte der Volksmassen aufrufen, alle ihre revolutionäre Energie anspornen zum weiteren Krieg, auf eigene Faust, um die eignen Ziele, unabhängig von den Alliierten, ebenso sie, wie die Zentralmächte durch ihre soziale Politik schlagend. Und die Regierung, die den Arbeitern und Soldaten durch Taten gezeigt hat, dass sie einen Frieden will, die den Bauern nicht in Worten, sondern durch Taten gezeigt hat, dass sie ihnen den Boden gibt, die in die Hände der Massen die Leitung der eigenen Angelegenheiten gelegt hat, sie wird die Kräfte wecken, die notwendig sind, um sich einzubuddeln, bis Hilfe der Arbeiterklasse anderer Länder kommt.

Nun, die letzte Frage: auf wen können wir rechnen in diesem inneren Kampfe? Auf die Arbeitermassen der kriegführenden Länder! Das ist ein Truismus? Nein, es handelt sich um Folgendes: in Europa gibt es keine stärkeren Parteien, die auf unserem Standpunkt stehen, die offen sich die Aufgabe der Revolution stellen. Selbst die zwei großen oppositionellen Parteien, die italienische und die Unabhängige Deutsche Sozialdemokratie, sie haben bisher nur protestiert, die Massen nur mobilisiert, nicht ins Treffen gebracht. Unsere Gesinnungsgenossen, die deutschen Linksradikalen, die Spartakusgruppe, die bulgarischen Engen, (ich spreche nur von den Gesinnungsgenossen in den kriegführenden Ländern) haben noch keine Massenorganisationen hinter sich. Wie die Lage ist, wird alles von der Einwirkung der Revolution auf die Massen abhängen. Natürlich müssen die oppositionellen sozialistischen Parteien alles tun um ihr Erwachen zu beschleunigen, um ihnen einen organisatorischen Zusammenhalt zu geben. Aber die Tatsache, dass die Einwirkung der Revolution sich nicht nur auf die Massen beschränkt, die schon auf Zimmerwald hören, dass wenn die Massen in Bewegung treten, sie auch Parteien zur Änderung ihrer Politik zwingen können, die bisher die Regierungen unterstützten, erlaubt uns niemanden weg zustoßen, der uns die Hand reicht. – Die deutsche Mehrheit hat uns die Solidarität mit der russischen Revolution ausgesprochen und Hilfe in Taten versprochen. Was unsere Partei über die Politik der deutschen Mehrheit denke, braucht man nicht zu wiederholen, die Solidaritätserklärungen und Versprechungen sind für uns noch keine Taten. Darum erklärten wir dem Vertreter der deutschen Mehrheit und telegraphierten für die Arbeiterversammlungen, die stattfinden sollen: nur internationaler Klassenkampf kann den Frieden geben. Sapienti sat. Wird die deutsche Mehrheit ihre Versprechungen halten, denn muss sie unabhängig von der Regierung sein und kämpfen. So muss überall unser Verhältnis zu den Parteien sein, die bisher die Regierungen unterstützten, die jedoch jetzt erklären, zusammen mit uns kämpfen zu wollen. Wir fallen ihnen nicht in die Armee, wir rufen die Zimmerwalder Parteien zum rücksichtslosesten Kampfe auf eigene Faust, in alter Rüstung, als besondere Organisationen, wir unterbrechen für keinen Augenblick unseren Kampf gegen die sozialpatriotische Politik. Aber wir führen ihn, indem wir die sozialpatriotischen Partei beim „neuen" Worte nehmen und an ihre Massen appellieren.

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