Karl Radek 19230702 Der Faschismus, wir und die deutschen Sozialdemokraten

Karl Radek: Der Faschismus, wir und die deutschen Sozialdemokraten

(Moskau, 2. Juli 1923)

[Internationale Pressekorrespondenz, Nr. 114, 6. Juli 1923, S. 1002-1004]

Meine Rede über Schlageter hat natürlich bei der “Zeit”, dem Organe der Deutschen Volkspartei, und bei der “Vossischen Zeitung” sehr unangenehme Empfindungen hervorgerufen. Die “Zeit” warnt die Faschisten davor, sich von mir einfangen zu lassen. Ich kann es ihr nachempfinden. Wenn die Herren von der Volkspartei nicht imstande sein werden, die nationalen Gefühle der kleinbürgerlichen Massen politisch auszubeuten, so wird das deutsche Kapital nicht imstande sein, das deutsche Proletariat und das deutsche Kleinbürgertum ökonomisch auszubeuten. Jeder noch so schüchterne Versuch der Aufklärung der kleinbürgerlichen nationalistischen Massen, dass sie nur politisches Kanonenfutter für das Großkapital sind, das sie tagtäglich plündert, ist natürlich ein Schlag gegen die Brotgeber der “Zeit”. Der jüdisch-russische Kommerzienrat Litwin, für dessen Geld die “Zeit” erscheint, ist natürlich samt seinem Geldschrank ein nationales Rühr-mich-nicht-an. Und wenn ein russischer Kommunist den kleinbürgerlichen nationalistischen Massen sagt, von wem sie missbraucht werden, so ist es klar, dass sich Herr Litwin wehren muss gegen eine solche Einmischung russischer Kommunisten in die Angelegenheiten seines urdeutschen Geldschrankes. Auch die “Vossische Zeitung” ist unzufrieden. Sie ist besorgt um den Rapallo-Vertrag, der unter solchen Einmischungen meinerseits leidet. Wir werden mit dem Ullstein-Verlag in eine Diskussion über die besten Wege zur Ausführung des Rapallo-Vertrages eintreten an dem Tage, an dem der Ullstein-Verlag aufhört, die “Rul” herauszugeben, das Organ der russischen Konterrevolutionäre, das öffentlich unter dem Schutze des Rapallo-Vertrages sogar den terroristischen Banditen von der Art des Mörders Worowskis seinen Segen erteilte. Heute wollen wir uns nur mit dem braven “Vorwärts” unterhalten, der aus Anlass meiner Rede einen fulminanten Artikel brachte unter dem Titel: “Der neue Nationalheld. Radek feiert Schlageter”. Zuerst aber mögen ein paar Späße des braven Organs für die völkerbefreiende deutsche Sozialdemokratie erledigt werden. Auf wessen Dummheit spekuliert der “Vorwärts”, wenn er schreibt, ich feiere Schlageter als den Nationalhelden Deutschlands? Ich habe Schlageter einen “Wanderer ins Nichts” genannt. Ich habe ihn unseren Klassenfeind genannt. Das unterschlägt der “Vorwärts”. Aber der “Vorwärts” selbst zitiert die Stelle, in der ich Schlageter einen “Soldaten der Konterrevolution” nenne. Seit wann feiern die Kommunisten die Konterrevolution? Wenn der “Vorwärts” also lügen will, so soll er es doch etwas schlauer anstellen, denn so dumm zu sein, verbietet sogar die preußische Polizei. Und wie steht es mit den “Komplimenten”, die ich Schlageter gemacht habe, indem ich ihn einen “mutigen Soldaten der Konterrevolution” nannte? Es steht sehr einfach damit. Ich habe immer menschliche Achtung für jeden, der für seine Idee sein Leben einsetzt, mag es auch mein Klassengegner sein, den ich bis aufs äußerste bekämpfen werde. Ich habe dagegen das Gegenteil der Achtung für Leute, die weder für die Revolution noch für die Konterrevolution ihre Persönlichkeit einzusetzen wagen, und die nur wie alte Weiber zu heulen verstehen. Nun aber von den Späßen des “Vorwärts” zur Politik.

Der Faschismus ist eine große Gefahr, sie ist vielleicht größer als es die Herren vom “Vorwärts” ahnen, die schon mehrmals bewiesen haben, wie schlecht sie zu rechnen verstehen. Haben sie sich nicht durch Kapp überrumpeln lassen? Haben sie nicht nach der Ermordung Erzbergers, nach der Ermordung Rathenaus jeden Beginn eines ernsten Kampfes gegen die faschistische Gefahr zunichte gemacht? Wenn also der “Vorwärts” und mit ihm die schon vollkommen auf den Hund gekommene “Leipziger Volkszeitung” uns belehrt, man solle nicht “mit einer Idee listen” und “durch gutes Zureden an die politischen Gegner des Proletariats die faschistischen Wölfe in zahme Lämmchen zu verwandeln” suchen, so lachten wir herzlich über den “Vorwärts” und die gute “Leipzigerin”. Wer hat geglaubt, dass die Wölfe des Faschismus, wenn sie die Weiden der deutschen Demokratie abgrasen werden, sich in Lämmlein verwandeln werden. War es nicht die deutsche, Sozialdemokratie, die sogar ihren starken Mann, den Noske, zum Hirten ernannt hat, damit er die Lüttwitzer weide und sie durch seiner Flöte Laute in Lämmer verwandle? Es kam anders. Sie haben ihn in die Waden gebissen und schier den Kopf abgerissen, der sich bei ihm in jenen Regionen befindet. Haben die Sozialdemokraten irgendetwas aus dieser Erfahrung gelernt? Nichts und aber nichts! Der beste Beweis dafür ist, dass sie sich bis heute gegen die Bildung der gemeinsamen Hundertschaften der Proletarier wehren, die allein imstande sein würden, den faschistischen Banden Widerstand zu leisten. Und wenn die Partei, deren Beauftragter der preußische Innenminister Severing die proletarischen Hundertschaften verbietet, uns belehrt über die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Faschismus, so machen sich die Herren Stampfer, Stein und Reuter nur lächerlich.

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Die Kommunistische Partei ist die einzige Kraft,. die den Abwehrkampf des Proletariats gegen die bewaffneten Banden der Faschisten organisiert und organisieren wird. Nur ist es lächerlich, anzunehmen, dass der Faschismus allein mit der Waffe in der Hand geschlagen werden kann. Man kann kleine Minderheitsbewegungen durch Regierungsterror niederwerfen, der nebenbei in Deutschland gegen die Faschisten schon aus dem einfachen Grunde unmöglich ist, weil der ganze deutsche Regierungsapparat von den Faschisten durchsetzt ist oder mit ihnen sympathisiert. Aber selbst wenn die Severing und Weismann preußische Marats wären, so würde ihr Terror die faschistische Bewegung nicht umbringen. Der Faschismus ist eine politische Bewegung breiter Massen des proletarisierten Kleinbürgertums. Und wenn man ihn bekämpfen will, so muss man ihn politisch bekämpfen. Politisch kann man den Faschismus nur bekämpfen, wenn man erstens den breiten leidenden Massen des Kleinbürgertums die Augen darüber öffnet, wie ihre berechtigten Gefühle missbraucht werden durch das Kapital, das nicht nur schuldig ist an ihrer wirtschaftlichen Not, sondern das schuldig ist an der nationalen Not Deutschlands. Zweitens kann man den Faschismus nur dadurch bekämpfen. dass man diesen kleinbürgerlichen Massen den richtigen Weg des Kampfes für ihre Interessen zeigt. Wogegen kämpfen sie? Sie kämpfen gegen das unerträgliche Elend in das sie geraten sind, und sie kämpfen gegen die Versklavung Deutschlands durch den Versailler Vertrag. Hat die Arbeiterklasse sie in diesem Kampfe zu unterstützen? Sie hat die Pflicht, sie in ihrem Kampfe gegen die Verelendung zu unterstützen. Niemals war der Sozialismus nur ein Kampf um ein Stück Brot für die industriellen Arbeiter. Er suchte immer die leuchtende Fackel für alle Notleidenden zu sein. Hilft die Sozialdemokratie, den leidenden geistigen Arbeitern, den großen leidenden Massen des Kleinbürgertums in ihrem materiellen Kampfe, zeigt sie ihnen den Ausweg aus der Lage, in der sie sich befinden. Sie tut es nicht, sie schimpft gegen die Demagogen, die die Not des Kleinbürgertums ausnützen, um es in die Arme des Großkapitals zu treiben. Aber sie ist nicht fähig, den kleinbürgerlichen Massen irgendeinen Ausweg zu zeigen, weil sie ihn selbst nicht weiß. Man kann ihnen nicht helfen auf dem Boden des Kapitalismus, und dieser Boden ist heilig für die Sozialdemokratie. Die Kommunistische Partei muss imstande sein, in den kleinbürgerlichen Massen den großen heiligen Glauben an die Möglichkeit der Überwindung der Not zu erwecken, in ihnen die Überzeugung zu erwecken, dass sie zusammen mit der Arbeiterklasse imstande sind, die Not zu überwinden und die Grundlagen für ein neues Leben in Deutschland zu schaffen. Wird die deutsche Arbeiterklasse nicht imstande sein, den großen kleinbürgerlichen Massen diesen Glauben beizubringen, so wird sie geschlagen werden oder wenigstens für lange Zeit auf ihren Sieg verzichten müssen.

Und haben wir die Pflicht; den Kampf gegen die Versklavung Deutschlands durch den Versailler Vertrag zu führen? Der “Vorwärts” kann dies nicht leugnen. Wie wir aber diesen Kampf zu führen haben, darauf kann der “Vorwärts” keine Antwort geben, denn er hat sie nicht. Wer heute versuchen würde, den Massen einzureden, dass Wilson oder England den Versailler Vertrag abschaffen werden, den werden sie auslachen und einen anderen Weg kennt der “Vorwärts” nicht. Und einen anderen Weg kennt die deutsche Bourgeoisie nicht, die von der Erfüllungspolitik spricht. Auch wir Kommunisten können uns nicht über die Tatsachen hinwegsetzen, wie es niemand kann. Und wir versprechen den Massen nicht, dass, wenn heute in Deutschland eine Arbeiterregierung kommt, sie imstande ist, im Handumdrehen von Deutschlands Schultern die Last von Versailles zu nehmen. Aber wir wissen, dass wir erstens versuchen würden, diese Last von den Schultern der Armen, der Arbeitenden zu nehmen, dass wir sie denen auferlegen würden, die sie tragen können. Zweitens wissen wir auch, dass wir gegen den Versailler Frieden kämpfen würden und kämpfen könnten, wie das russische Volk gekämpft hat und kämpft gegen die Versuche seiner Versklavung. Die Arbeiterregierung würde nicht nur durch ihre bloße Existenz in anderen Ländern Kräfte auslösen, die ihr helfen würden, den Versailler Frieden zu bekämpfen, sondern sie würde mutig, wenn notwendig, auch den bewaffneten Kampf gegen die Versailler Vögte vorbereiten! Indem wir das offen den breiten kleinbürgerlichen Massen sagen, zeigen wir ihnen den Weg des Kampfes. Die Sozialdemokratie zeigt ihnen nur den Weg der Duldung jedweder Schmach und jedweder Sklaverei, den sie nicht imstande ist, zu verhüllen durch pazifistische Phrasen. Pazifistische Phrasen im Munde der Vertreter eines unterjochten, zerstückelten Volkes sind eine Feigheit oder eine Lüge, die gegen sich alle gesunden Instinkte des Volkes erregen müssen. Gelingt es nicht, den kleinbürgerlichen Volksmassen das Vertrauen zu der Fähigkeit der Arbeiterklasse zu erwecken, das nationale Joch abzuschütteln, so werden diese Massen ein Instrument in der Hand der Hyänen des Schlachtfeldes, die ihre berechtigten nationalen Gefühle ausnützen zur Aufrichtung der Herrschaft der Reaktion in Deutschland, die Deutschland noch mehr in den Sumpf führen wird.

Eine der größten Freveltaten der deutschen Sozialdemokratie ist, dass sie jeden Glauben an den Sozialismus, dass sie jeden Glauben in die Kraft der Volksmassen in ihnen zerstört. Die deutsche Sozialdemokratie ist einer der Hauptfaktoren des siegreichen Zuges der faschistischen Demagogie. In demselben Augenblicke, in dem diese Sozialisten den Sozialismus im Stich gelassen haben, haben sie sich auch zu den Aposteln des nationalen Versagens gemacht. Sie, die im Kriege aus Angst von der Stärke der deutschen Bourgeoisie zu “Patrioten” wurden und den imperialistischen Raub als Verteidigung des Vaterlande darstellten, sie verdächtigen jetzt jeden wirklichen Kampf um die nationalen Rechte des deutschen Volkes als Nationalismus Jetzt tun sie es aus Angst vor der Entente. Die Angstpatrioten von gestern haben sich verwandelt in die Angstantipatrioten von heute, beide Male unter Verrat der direkten Aufgabe einer sozialistischen Arbeiterpartei, die breitesten Massen des Volkes auf den richtigen Weg des Kampfes um ihre Interessen zu führen.

Die deutschen Kommunisten haben die Pflicht, wenn notwendig, mit der Waffe in der Hand gegen den faschistischer Umsturz zu kämpfen, der ein Unglück für die Arbeiterklasse, ein Unglück für Deutschland wäre. Aber gleichzeitig haben sie die Pflicht, alles zu tun, um die kleinbürgerlichen Elemente des Faschismus, die gegen ihre Verelendung und gegen die Versklavung Deutschlands kämpfen, zu überzeugen, dass der Kommunismus nicht ihr Feind, sondern der Stern ist, der ihnen den Weg des Sieges zeigt. Wenn die sozialdemokratische Presse diese unsere Arbeit beschimpfen wird als eine Anbiederung an den Faschismus, als ein Spiel mit dem Nationalismus, eine Bauernfängerei, so soll sie es nur ruhig tun, die Kommunisten werden diesen Weg weiter schreiten zu Fromm und Nutzen nicht nur des deutschen Volkes, sondern des internationalen Proletariats!

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