Karl Radek 19230709 Der internationale Faschismus und die Kommunistische Internationale

Karl Radek: Der internationale Faschismus und die Kommunistische Internationale

. [Internationale Pressekorrespondenz, Nr. 115, 9. Juli 1923, S. 1013f.]

Der Faschismus ist heute schon nicht mehr eine spezielle Frucht der italienischen Ereignisse, sondern eine internationale Erscheinung. Er ist nur in Italien an der Macht, wo er den faschistischen Staat schuf, gleich dem, wie Russland der erste Staat des Proletariats ist. Aber der Faschismus schlägt hohe Wellen in Deutschland, in der Tschechoslowakei, er beginnt seinen Angriff in Amerika, in Frankreich, in Österreich. Der Faschismus, wie wir ferner sehen werden, ist eine kleinbürgerliche Reaktion gegen die durch den Krieg geschaffene Lage, eine kleinbürgerliche Reaktion, deren sich das Großkapital zur Wiederherstellung seiner Macht überall dort bedienen will, wo diese Macht gestürzt oder erschüttert ist: Der Unterschied zwischen der Lage des Kleinbürgertums in verschiedenen Ländern ist viel größer als der Unterschied innerhalb der Arbeiterklasse, und darum zeigt auch die Politik des Kleinbürgertums in verschiedenen Ländern wesentlichere Unterschiede auf, als die Lage und die Politik der Arbeiterklasse der verschiedenen Länder, obwohl bekanntlich auch sie an unterscheidenden Merkmalen reich ist. Wir wollen uns jetzt nicht mit den Unterschieden der faschistischen Bewegungen in den verschiedenen Ländern beschäftigen, wir wollen heute nur das Gemeinsame dieser Bewegungen hervorheben. Zu diesem Zwecke müssen wir uns vorläufig auf den zentralen und südeuropäischen Faschismus beschränken, weil, wenn wir z. B. den amerikanischen oder den eben erst beginnenden englischen Faschismus befrachten, wir finden müssen, dass diese vorläufig nichts anderes sind, als Vorbereitungen neuer Kampfmethoden des Großkapitals für den Fall, dass die Staatsmacht in diesen Ländern gerade in die Hände der Klein-Bourgeoisie übergeht.

Was sehen wir Gemeinsames im italienischen, deutschen, tschechoslowakischen, österreichischen Faschismus? Es sticht am klarsten hervor, wenn wir das Regime Horthys, des Henkers der ungarischen Arbeiter, mit dem Mussolinis vergleichen. Hier und dort Orgien der Reaktion, hier und dort wüste Verfolgung der Arbeiterbewegung, Man durfte sogar sagen, dass diese Verfolgungen in Ungarn zehnmal so wild sind als in Italien, und dennoch ist die ungarische Regierung keine faschistische. Nicht jede gegenrevolutionäre Macht, nicht jede gegenrevolutionäre Bewegung ist Faschismus. Worin unterscheiden sich die Faschisten von der ungarischen weißen Gegenrevolution? Die faschistische Bewegung ist die Bewegung breiter kleinbürgerlichen Massen, während die Horthy-ähnlichen weißen Regierungen den Sieg feudalistisch-kapitalistischer Gruppen verkörpern. Die weißen Regierungen nach Art der Horthy-Regierung enden damit, dass sie nicht der Sache des Feudalismus, nicht der Sache der Wiederherstellung einer reinen Gutsbesitzerordnung dienen, sondern der Sache der Bank- und Industriekönige. Daselbst endet auch die faschistische Regierung, weil im heutigen Europa nur auf der Grundlage eitler proletarischen oder einer großbürgerlichen Politik regiert werden kann; auf die Kleinbürgerschaft kann heute keine Politik gebaut werden. Aber der Unterschied zwischen einer faschistischen Regierung bzw. Bewegung und einer weißen feudal-kapitalistischen Bewegung besteht darin, dass die weißen Regierungen (wie die Horthy-Regierung) als eine Bewegung der alten herrschenden Klassen zur Macht kommen, die die Restauration der alten Verhältnisse anstreben, während die faschistischen Bewegungen. soweit es sich um die Gefühle und die Gedanken der breiten, unter der Fahne des Faschismus kämpfenden Massen handelt, die Hoffnung hegen, das Leben auf neuen Grundlagen aufbauen zu können, deren Umrisse sehr undeutlich sind, die aber das Kleinbürgertum von allen Lasten, die ihnen der Krieg auferlegt hatte, befreien sollen.

Worin liegt nun die Wurzel der faschistischen Bewegung? Die Wurzel der faschistischen Bewegung ist die durch den Krieg hervorgerufene Proletarisierung breiter Massen der städtischen Kleinbourgeoisie. Der Zerfall der Staatsfinanzen, die Zersetzung des Geldsystems, das Wachstum der Teuerung und der Steuerlasten führte zur Verelendung der Intelligenz, der unteren Beamten, des Offiziertums, bedeutender Schichten der Gewerbetreibenden. Diese Massen suchten überall einen Ausweg, sie suchten neue Wege, neue Lebensformen. Nach dem Kriege kamen in Deutschland‚ in der Tschechoslowakei, in Österreich, in Italien die Vertreter der Sozialdemokratie und verschiedener kleinbürgerlichen Parteien an die Macht. Die Massen des leidenden Kleinbürgertums erwarteten von ihnen die Änderung der Lebensbedingungen. Diese Änderungen können aber nur durch einen entschlossenen Kampf gegen die Großbourgeoisie, durch die Anfänge der Organisierung des Lebens auf sozialistischer Grundlage verwirklicht werden. Die Sozialdemokratie war aus Angst vor dem Großkapital, aus Misstrauen zur schöpferischen Kraft des Proletariats nicht fähig, dieser Aufgabe zu entsprechen. Sie ist nicht nur überall auf einen Kompromiss, sondern auch auf eine Kapitulation vor der Großbourgeoisie eingegangen, wodurch sie nicht nur den faktischen Sieg der Großbourgeoisie in allen Ländern sicherte, nicht nur den Glauben breiter Arbeitermassen an dem Sozialismus untergrub, sondern auch die suchenden Massen der Kleinbourgeoisie zu der Überzeugung brachte, dass der Sozialismus ein Schwindel ist, dass er nicht imstande ist ein neues Leben aufzubauen. Und da die Lage dieser Massen sich von Tag zu Tag verschlimmerte, so mussten sie etwas Neues suchen und dieser neue Leitstern ist der Faschismus, der ihnen sagt: nieder mit der betrügerischen Demokratie, die nur Korruption und Profit zum Schaden des Staates in den arbeitenden Massen bedeutet lasst uns eine starke Macht tapferer Leute bilden, die es verstehen werden, das zerschlagene bürgerliche Leben in ihre Hände zu nehmen, die Arbeit in den Fabriken in Bewegung zu setzen, die Eisenbahnen defizitlos zu machen, die ausgehungerte Kleinbourgeoisie zu ernähren und der Intelligenz die ihr gebührende Stellung im Staate einzuräumen. Dieser faschistischen Ideologie bedienen sich die führenden kapitalistischen Gruppen zu dem Zwecke, dem machtlosen Regime der Demokratie ein Ende zu setzen. Die Demokratie hinderte sie zwar nicht an der Beherrschung des Wirtschaftslebens, sie gewährleistet aber keinen starken Apparat, der energisch, ohne Debatten, zu ihren Gunsten arbeitet. In den besiegten Ländern nützen die untergehenden Klassen den Faschismus aus. Ist Ungarn konnte die feudalistisch-kapitalistische Offiziersclique die Macht ohne eine breite kleinbürgerliche Bewegung ergreifen, da dort die Sowjetmacht durch die rumänischen Bajonette besiegt wurde. In Deutschland, in Österreich kann die Macht nur an der Spitze einer breiten kleinbürgerlichen Bewegung erobert werden, da die Arbeitermasse in diesen Ländern viel stärker ist, als dass sie durch eine militärische Verschwörung unter das Joch einer weißgardistischen Regierung gebeugt werden könnte. Das bewies der Kapp-Putsch in Deutschland im Jahre 1920, als die militärische Verschwörung durch die Arbeiter erwürgt wurde. In Österreich, wo ein Sechste! der Bevölkerung in den Gewerkschaften organisiert ist, würde der Sieg eines Häufleins Offiziere nur eine Stunde dauern, wenn sie sich nicht der Unterstützung breiter kleinbürgerlichen Massen versichern. Darum nützen die Gutsbesitzer- und Offizierscliquen, die in diesen Ländern infolge der militärischen Niederlage und infolge des Sieges der Revolution im Jahre 1918 aus den Staatspositionen entfernt wurden, auch das Elend der Kleinbourgeoisie und deren nationalistische Gefühle zur Vorbereitung ihres Sieges aus. Die Kleinbourgeoisie der besiegten Länder ist nicht nur darum nationalistisch, weil sie während der letzten Jahrzehnte im nationalistischen Geiste erzogen wurde, sondern auch, weil sie, wenn sie ihre heutige Lage mit der Lage vergleicht, in der sie sich vor dem Kriege, zur Zeit der Herrschaft der Hohenzollern und Habsburger befand, zu der Überzeugung kommt, dass sie damals besser lebte. Sie sucht darum ihr neues Ideal in der Vergangenheit und wird zum Opfer jener politischen Elemente, die sie in ihr heutiges Elend versetzt hat. Alle jene, die vom Zerfall der Wirtschaft leben, die durch Spekulation Milliarden gewinnen: die Cliquen der kapitalistischen Aasgeier sie bedienen sich der faschistischen Bewegung, um mit Hilfe der faschistischen Banden jene Arbeitermassen in ihren Händen zu haben, die gegen die Teuerung und gegen das stets wachsende Elend kämpfen.

Aus dieser Charakteristik des Faschismus entspringt die Gestaltung unseres Kampfes gegen ihn. Selbstverständlich ist es, dass die Kommunistische Partei die Verteidigung der Arbeitermassen gegen die faschistischen Banden organisieren muss. Es ist selbstverständlich; dass sie bereit sein muss, sich gegen die faschistischen Banden mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, da, wenn der Faschismus an die Macht kommt, er die volle Herrschaft des blutigsten Kapitalismus einführt. Und dieser wird seine Wirtschaft auf dem Rücken der Arbeitermassen wieder herzustellen versuchen. Aber hieraus folgt nicht, dass man gegen den Faschismus nur mit der Waffe in der Hand kämpfen kann. Diese breite Bewegung der Kleinbourgeoisie muss auch durch politische Waffen, durch eine kühne revolutionäre Politik besiegt werden, dadurch, dass das Proletariat die Initiative der Umstellung der Welt auf neue Grundlagen wieder ergreift. Das wird den Massen den Glauben einflößen, dass ein neues Regime gekommen ist, dass sie von dem stets wachsenden Elend retten wird. Hieraus folgt, dass wir, um den Faschismus besiegen zu können, die kleinbürgerlichen Massen erobern müssen, dass wir ihnen klar machen müssen, dass sie in den Händen des Kapitalismus, der Gutsbesitzer- und Offiziersreaktion, nur ein Mittel zum Zweck sind. Der Faschismus ist der Sozialismus kleinbürgerlicher Massen, und nur, wenn wir ihnen beweisen, dass ihre Führer sie der Verschlechterung ihrer Lage entgegenführen, können wir sie aus den Händen jener Elemente reißen, die von ihrer Verelendung leben; nur auf diese Weise werden die kommunistischen Parteien nicht nur der faschistischen Welle widerstehen, sondern sie in den mächtigen Strom der proletarischen Bewegung hinüberleiten können.

Diese Politik unterscheidet die Kommunistische Internationale in der entschiedensten Weise von der Politik der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie, die durch ihren Verzicht auf den Kampf gegen die Großbourgeoisie die kleinbürgerlichen Massen dem Einflusse der Eisen-, Kohlen- und Bankkönige auslieferte, die auf dem Boden der so genannten Demokratie zum Zwecke des Kampfes gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung die Macht überall Offizierscliquen überträgt, schreit jetzt über die Gefahr des Faschismus. Heute schreit sie, aber morgen ist sie bereit, die Stiefel der Faschisten zu lecken, oder im besten Falle die Rolle einer machtlosen Opposition der faschistischen Regierung zu spielen. Indem sich die Sozialdemokratie an die Bruchstücke der verfaulten Demokratie klammert, die Fahne des machtlosen Pazifismus entfaltet, und die Hände im Kampfe gegen die Teuerung in ihrem Schoße ruhen lässt, kann sie nicht gegen den Faschismus kämpfen, sondern sie vertieft nur den Abgrund, der die kleinbürgerlichen Massen von den Arbeitermassen trennt. Wenn wir Kommunisten versuchen, das zum Volke gehörende leidende Element des Faschismus von jenem Elemente zu unterscheiden, das den Faschismus zu Zwecken der kapitalistischen und Gutsbesitzerreaktion ausbeutet, so schreien die Sozialdemokraten, dass wir mit dem Faschismus Kompromisse suchen. Dieses Geschrei der Sozialdemokraten ist nur der Beweis ihrer vollen Hilflosigkeit, ihrer Furcht vor neuen Erschütterungen. Wir aber wissen, dass die Arbeiterklasse den Angriff des Kapitals, dessen höchste Form der Faschismus ist, zurückschlagen und zum Angriffe gegen die Burg des Kapitals übergehen wird. Und zu diesem Kampfe wird sie nicht nur die Arbeiterklasse, sondern alle unter der Zersetzung des Nachkriegskapitalismus leidenden Volksmassen vereinigen.

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