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Karl Radek 19220900 Vor der Einigung der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale

Karl Radek: Vor der Einigung der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale.

[Die Kommunistische Internationale, Heft 22, September 1922, S. 10-17]

Die Einigung der Zweiten und der Zweieinhalb-Internationale ist nur eine reine Zeit- und Formfrage. Es ist schon entschieden, dass sie sich einigen und dass die Einigung auf dem Boden der Zweiten Internationale stattfinden wird. Wer erinnert sich nicht, mit welcher Entrüstung und welchem Pathos Friedrich Adler protestierte, als wir im Mai seinen vollkommenen Mangel an Widerstand gegenüber der Sabotage des Weltkongresses durch die Zweite Internationale damit erklärten, dass sich die Zweieinhalb-Internationale entschieden hat, auf eine Einigung mit der Zweiten Internationale hinzuarbeiten. Das alles war Theaterdonner. Die Zweieinhalb-Internationale befand sich schon in einer Reihe von Ländern in materieller und politischer Abhängigkeit von der Zweiten Internationale.

Die Unabhängige Arbeiterpartei Englands (ILP) bildet nicht nur einen Teil der reformistischen Labour-Party, sondern sie hat jeden Kampf gegen den reformistischen Charakter der Labour-Party aufgegeben. Die Leute der ILP wie Jowett oder Wallhead gebrauchen von Zeit zu Zeit revolutionäre Beschwörungsformeln. Aber der eigentliche führende Stab der Partei, Ramsay Macdonald, Philipp Snowden, sie alle bereiten sich zur zukünftigen Rolle als Minister der Labour-Party vor und machen darum ihre Politik durch dick und dünn mit. Ramsay Macdonald, der Führer der ILP, die der Zweieinhalb-Internationale angehört, war auf der Berliner Konferenz der Vertreter der Zweiten Internationale, als deren Sekretär er funktionierte, Auf der Konferenz der Labour-Party in Edinburg war er einer der Hauptbefürworter des Ausschlusses der Kommunisten. Die ILP protestierte mit keinem Worte gegen die Entscheidungen von Edinburg, die den reformistischen Kurs der englischen Arbeiterpartei festlegten, was am klarsten seinen Ausdruck fand in der Wahl Sidney Webbs zum Vorsitzenden.

Die Französische Sozialistische Partei‚ die in ihren Reihen Anhänger der Zweiten Internationale hat wie Renaudel, die sich im Block befindet mit der reformistischen CGT, mit Jouhaux, dem Regierungs-Syndikalisten, erhält ihr einziges tägliches Organ, den „Populaire“, nur dank der finanziellen Zuwendungen der belgischen Genossenschaften, die sich in den Händen der Partei Vanderveldes befinden, Sie steuert dauernd nach rechts. Longuet ist in ihr vollkommen kalt gestellt, Leo Blum führt den Kurs nach rechts auf einen Block mit den bürgerlichen Radikalen. Die wichtigsten Führer der Partei sind Mitarbeiter der links-radikalen bürgerlichen Presse.

In der Schweizerischen Partei, die der Zweieinhalb-Internationale angehört, haben die rechten Elemente so sehr gesiegt, dass Robert Grimm, ein Mann, dem ganz gewiss der schlechteste Feind nicht nachsagen kann, dass er seinen Radikalismus zu ernst nimmt, sich von der Parteileitung zurückziehen musste.

Über die österreichische Sozialdemokratie‚ die Geburtsstätte der Zweieinhalb, brauchen wir nicht viele Worte zu verlieren. Dort lebten immer das Schaf und der Wolf friedlich nebeneinander, und der Radikalismus von Friedrich Adler oder Bauer war ganz gewiss dem Opportunismus von Renner gleich.

Alle die Parteien der Zweieinhalb schauten zur Amsterdamer Gewerkschafts-Internationale, der Internationale der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie, als zu der Arche der Glückseligkeit auf. Sie hielten die Einigkeit mit den Amsterdamern für ein absolutes Gebot aus dem einfachen Grunde, weil der größte Teil der Führer der Zweieinhalb bürokratische Posten in der Amsterdamer Gewerkschaftsbewegung innehat. Da aber in der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale die reformistischen Führer der englischen Gewerkschaften, die in der deutschen Regierung sitzenden deutschen Gewerkschaftsführer die Oberhand haben um gar nicht zu sprechen von den stupiden holländischen und schwedischen Gewerkschaftlern, so ist es selbstverständlich, dass die Einheit mit den Amsterdamern nichts anderes bedeutet als die Kapitulation der Zweieinhalb.

Diese Kapitulation vollzog sich endgültig, als die Hauptpartei der Zweieinhalb-Internationale, die deutsche Unabhängige Sozialdemokratie, nach langem Hin- und Herschwanken sich entschloss, offen auf den Boden des Reformismus zu treten. Die deutsche Unabhängige Sozialdemokratie hatte in ihrer nachkriegerischen Entwicklung zwei Perioden. Bis zum Parteitag in Halle kristallisierte sich in ihr der linke Flügel. Der Kampf ging um die Fragen: Diktatur des Proletariats oder Kampf um den Sozialismus auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie. Aber auch die Verteidiger der so genannten demokratischen Methode, Rudolf Hilferding, Dittmann und Crispien, sie wehrten sich mit Händen und Füssen gegen jeden Versuch, sie als Reformisten hinzustellen. Sie nannten das eine Verleumdung solcher schlechten Leute, wie sie im Präsidium der Kommunistischen Internationale sitzen. Wer erinnert sich nicht, wie pathetisch der ehrliche Crispien auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale alle Angriffe auf den revolutionären Charakter seiner Partei abwehrte, wie Dittmann schwor, dass Kautsky nicht den geringsten Einfluss in der Partei habe und dass nur die Rücksicht auf sein Alter, seine alten Verdienste und seine Auswanderung nach Wien die USPD veranlasst habe, von seinem Ausschlusse abzusehen. Wer erinnert sich nicht an die große Rede, in der Rudolf Hilferding, der Führer des rechten Flügels der USPD, in Halle auf die Beweisführung Sinowjews hin, dass der Gegensatz zwischen der Kommunistischen Internationale und den Unabhängigen der Gegensatz des Reformismus und des Marxismus sei, Stein und Bein schwor, dass er und die Seinen nichts anderes seien als die Hüter der Traditionen des Marxismus, und dass der Kampf zwischen der Kommunistischen Internationale und der USPD nichts anderes sei als der Kampf des Marxismus mit dem Bakunismus der Kampf der Romantik eines halbasiatischen russischen Sozialismus mit den „Mullahs von China“.

Aber wozu an die alten Tage erinnern? Wie lange ist es her, dass Rudolf Hilferding die Redaktion der „Freiheit“ verlassen musste, weil er für den Eintritt in die bürgerlich-sozialdemokratische Koalitions-Regierung Wirth eintrat? Wie lange ist es her, dass die Berliner und Leipziger Organisation der USPD sich gegen die Koalition mit der Bourgeoisie ‘aussprach und den Gegnern der Koalitionspolitik ihre Zustimmung bekundete. Und wer waren diese Gegner? Dittmann, Crispien und Rosenfeld. Der Kampf in der USPD in der zweiten Periode, der Zeit nach Halle, drehte sich um nichts anderes, als um die Frage der Koalition mit der Bourgeoisie. Und diese Koalition wurde von der USPD dargestellt als der Feind, der zu bekämpfen ist. Aus Rücksicht auf die Koalitionspolitik der deutschen Mehrheits-Sozialdemokratie hielten sie die Einigung mit ihr für unmöglich. Diese Periode ist schon abgeschlossen. Nach einer Übergangszeit, in der die USPD ein stiller Teilhaber der Wirthschen Regierung war, indem sie in allen entscheidenden Momenten dieser Regierung durch parlamentarische Abstimmungen unter die Arme griff, hat sich die USPD entschlossen, in die Regierung des Zentrums, der Demokraten und der Sozialdemokraten einzutreten. Sie hat es getan unter dem Eindruck der Ermordung Rathenaus und der Gefahr, die der bürgerlichen Republik seitens der Monarchisten droht. „Das Blut kittet“, schrieb pathetisch die „Freiheit“, das Zentralorgan der USPD. Das Blut des Millionärs Rathenau sei der sonderbare Saft, der die bürgerlichen Republikaner mit den proletarischen vereinige.

Die Republik, die Republik!

Wohlan denn, Rhein und Elbe!

Donau, wohlan — die Republik!

Die Stirnen hoch, hoch das Genick!

Eur Feldgeschrei dasselbe:

Die Republik, die Republik!“

Die Republik! Die Republik! schrieen sie nicht nur mit Freiligrath, sondern auch mit Millerand, der zum Schutze der bürgerlichen Republik im Jahre 1900 in die Regierung Waldeck-Rousseaus eintrat und so die Ära des ungeschminkten Reformismus der Zweiten Internationale eröffnete. Der Eintritt der Arbeitervertreter in eine bürgerliche Regierung zur Verteidigung der Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie, das war das klassische Argument jeder reformistischen Politik, solange sie besteht. Die Lehren des Kapp-Putsches, die Lehren des Erzberger-Mordes, die Lehren des Rathenau-Mordes, sie waren die beste Probe aufs Exempel. Sie zeigten glänzend, dass die Koalition mit den Bürgerlichen nicht nur kein Mittel des Schutzes der bürgerlichen Demokratie ist, sondern umgekehrt, dass sie das Mittel zur Auslieferung der Republik an die Monarchisten ist. Denn da keine einzige bürgerliche Partei ernstlich republikanisch ist, da keine bürgerliche Partei für die Republik kämpfen will, bedeutet die Koalition mit den quasi republikanischen Parteien des Bürgertums nichts anderes, als dass sich die Arbeiterparteien die Hände binden lassen in ihrem Kampfe gegen den Monarchismus.

Und so kam es. In demselben Moment, wo die USPD mit dem Schrei: „Die Republik! Die Republik!“ sich entschlossen hat, den Klassenkampf über Bord zu werfen, und sich bereit erklärte, in den Stall der Koalitions-Regierung einzuziehen, in demselben Moment hat die USPD die bürgerliche Republik verraten. Denn zur Koalitionspolitik mit der Bourgeoisie ist eben auch die Bourgeoisie notwendig. Und da die „republikanische“ Bourgeoisie unter keinen Umständen den Kampf mit ihren monarchistischen Klassengenossen auf die Spitze treiben wollte, so mussten die bescheidensten Forderungen, die die Sozialdemokratie selbst zusammen mit den Gewerkschaften als das Minimum des Schutzes der Republik aufstellte, preisgegeben werden, wenn die beiden sozialdemokratischen Parteien nicht gewillt .waren, die Auflösung des Reichstages durchzusetzen, den Kampf um die Arbeiterregierung zu beginnen. Aber die Auflösung des Reichstages erforderte vorerst ein starkes Zugreifen gegen die Monarchisten, denn sonst ging die Sozialdemokratie, Unabhängige wie Mehrheits-Sozialdemokratie, einer sicheren Niederlage entgegen. Sie hatten durch ihre Wirtschaftspolitik das Kleinbürgertum in die Arme der Monarchisten getrieben, die den Zerfall, die Proletarisierung des Kleinbürgertums einzig und allein der bürgerlich-sozialdemokratischen Koalitionsregierung zur Last legen. Und dann: neue Wahlen erfordern gewaltige Mittel. Was diese aber anbetrifft, so ist die USPD vollkommen am Ende des Lateins. Sie ist wirtschaftlich bankerott, und die Hoffnung auf die fetten Pfründen der Mehrheitssozialdemokratie, die dank der Druckbestellungen der Regierung, dank der Gewerkschaften und der Genossenschaften über große finanzielle Mittel verfügt, ist eine der treibenden Kräfte der Einigungsbestrebungen der USPD. Die Angst vor dem Bürgerkriege während der Neuwahlen, das Fehlen jeder eigenen Kampfmittel, alles das veranlasste die USPD, den Kampf gegen die Monarchisten, den Kampf für die Republik in demselben Moment abzubrechen, in dem sie sich für die Koalition aussprach aus Rücksicht und zum Zwecke der Rettung der Republik. Wir brauchen hier nicht die weitere Entwickelung der Rathenau-Krise darzustellen, in deren Verlauf die Unabhängige Sozialdemokratie das geerntet, was sie gesäet. Sie hat der SPD und den Gewerkschaftsführern wie während der Erzberger-Bewegung geholfen, die Massen einzulullen und vom selbständigen Auftreten abzuhalten. Und als die Massen abtraten, da trat selbstverständlich das reaktionäre Bürgertum schroff und protzenhaft auf und besetzt die von den Proletariern verlassenen Positionen. Es erklärte sich nicht bereit, die Unabhängige Sozialdemokratie in die Regierung aufzunehmen, ohne dass gleichzeitig die Stinnes-Partei, die Partei der deutschen kapitalistischen Reaktion, in die Regierung eintrat, Die USPD muss sich erst den Weg zur Regierung erkämpfen durch die Einigung mit der Mehrheits-Sozialdemokratie. Und sie ist bereit dazu. Es wäre eine Selbsttäuschung, nicht zu sehen, dass die große Mehrheit der aktiven USPD-Bürokratie für die Einigung mit der Sozialdemokratie und für die Koalition mit dem Bürgertum eintritt. Nicht genug — es wäre ein Irrtum, nicht zu sehen, dass sie bisher keinen großen Widerstand in den Reihen der Partei erweckt hat. Es scheint bei den Massen der USPD das Gefühl vorzuherrschen, dass, falls sich die beiden sozialdemokratischen Parteien vereinigen und in geschlossener Front in der Koalition auf das Bürgertum drücken, es ihnen gelingen wird, das Ruder des Staates in die eigenen Hände zu nehmen. Die Gegner der Koalition und der Einigung mit der Sozialdemokratie auf dem Boden einer reformistischen Politik bilden in der USPD zurzeit eine Minderheit. Und sie werden kein Hindernis für die Vereinigung der beiden Parteien bilden. Die Einigung der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale wird mit allen Kräften vom Internationalen Amsterdamer Gewerkschaftsbund betrieben und unterstützt, dem die Einigung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie notwendig ist zum Kampfe gegen den vordringenden Kommunismus. Der Kampf der zentristischen und der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie begünstigte natürlich das Vordringen des Kommunismus. Der Zusammenschluss der beiden gewerkschaftlichen Cliquen soll ihm Einhalt gewähren.

Bevor wir die historische Bedeutung der Einigung der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale skizzieren, gilt es, kurz den theoretischen Boden zu prüfen, auf dem diese Einigung stattfinden soll. Er wird umschrieben in dem neuen Buch Kautskys : „Die proletarische Revolution and ihr Programm“, das von führenden Organen der USPD, so von der „Leipziger Volkszeitung“, als das Banner der Vereinigung begrüßt worden ist.

II.

Das Kautskysche Buch verdient eine ausführliche Analyse, denn es ist das krasseste Dokument der theoretischen Verlumpung der Zweiten Internationale. Genosse Thalheimer veröffentlicht jetzt eine ausführliche Auseinandersetzung über die nicht relative, sondern absolute Verelendung der marxistischen Theorie, die Kautsky zur Magd der reformistischen Internationale gemacht hat. Für mich kommt es hier nur auf die wichtigsten politischen Ergebnisse des neuen opus von Kautsky an. Der brave Mann untersucht, inwieweit das Erfurter Programm, das klassische Programm der Zweiten Internationale vor dem Kriege, veraltet ist. Es sind dreißig Jahre vorüber, seitdem er das Erfurter Programm geschrieben hat. Und was zeigt sich? Er hat nicht bemerkt, dass seit dem Erfurter Programm über die Welt der Sturm des Imperialismus hinweggegangen ist. Der ganze grandiose Prozess der Vertrustung des Kapitalismus. seiner internationalen Versippung, die Tatsache, dass die kapitalistischen Kolosse ihre Fangarme um die Welt ausgebreitet, dass sie den japanisch-amerikanischen Krieg, den Burenkrieg, den russisch-japanischen Krieg, den Balkan- und Tripolis-Krieg und schließlich den großen Weltkrieg verursacht haben, — das alles existiert für Kautsky nicht. In seinem Buche existiert nicht der Boxer-Aufstand, die erste russische Revolution, die persische Revolution, die türkische Revolution, die chinesische Revolution, die zweite russische Revolution, die die Welt erschüttert hat. Was haben solche Kleinigkeiten mit dem Programm einer proletarischen Internationale zu tun? Sogar die deutsche Revolution und die österreichische, sie sind nur da gewesen, damit Kautsky sagen kann: Es ist erreicht! Wir haben die Demokratie! Aber wenn jemand annehmen würde, der Mann habe dreißig Jahre in seiner Kammer geschlafen oder über einzelne Worte von Marx gegrübelt, so würde er irren; der gute Kautsky spiegelt die Zweite und Zweieinhalb-Internationale wider, für die dieser kolossale Prozess der Revolutionierung des Kapitalismus‚ der gleichzeitig der Prozess der Revolutionierung der Arbeiterklasse ist, nicht existiert und nicht existieren darf, denn sonst könnten die Braven nicht heute aufstehen und ihr Eiapopeia des Hineinwachsens in den Sozialismus auf dem Boden der Demokratie singen. Sie müssen die zehn Millionen Arbeiter und Bauern vergessen, die im großen Kriege vernichtet wurden, um die Arbeiter nicht aufzurufen zur Revolution. Und wenn die Zweite und Zweieinhalb-Internationale sich vereinigen, so wird in ihrem Programm die revolutionäre Epoche fehlen, damit sie frei die Politik gegen die Revolution treiben können,

Dementsprechend ist der politische Inhalt des Buches des braven K. K. zugeschnitten. Seine ganze Philosophie, das A und O seines Wirkens, das A und O des Wirkens der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale, wie diese politisch zerstampft wird, wie sie sich in einen Brei verwandelt mit der Zweiten Internationale, das ist ausgedrückt auf Seite 106; wir zitieren den ganzen betreffenden Passus, der in die Geschichte der Arbeiterbewegung gehört und den in der Zukunft alle Historiker des Sozialismus zitieren werden:

In seinem berühmten Artikel „Zur Kritik des sozialdemokratischen Parteiprogramms“ sagt Marx:

Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Dem entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“

Diesen Satz können wir heute auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre für die Frage der Regierung dahin variieren, dass wir sagen:

Zwischen der Zeit des rein bürgerlich und des rein proletarisch regierten demokratischen Staates liegt eine Periode der Umwandlung des einen in den anderen. Dem entspricht auch die politische Übergangsperiode, deren Regierung in der Regel eine Form der Koalitionsregierung bilden wird.“

Das wird überall dort gelten, wo sich die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat auf dem Wege der Demokratie vollzieht, und das ist nach dem Zusammenbruch der großen Militärmonarchien der normale Weg dafür. Wer heute noch die Koalitionspolitik grundsätzlich verwirft, der ist blind für die Zeichen der Zeit. Der ist unfähig, ihren Aufgaben gerecht zu werden.“

Der Erzfeind der Bourgeoisie, Karl Marx, der Verkünder der sozialen Revolution, der Verkünder der Diktatur des Proletariats, er wird von „seinem Schüler“ Karl Kautsky, dem führenden Theoretiker der Zweiten Internationale, dahin „variiert“, dass der Weg zum Sozialismus „in der Regel“ durch die Koalition mit der Bourgeoisie führt! Der Klassenkampf als der Weg - zum Sozialismus, diese einfachste, robuste Unterscheidung des wissenschaftlichen proletarischen Sozialismus vom kleinbürgerlichen utopischen, diese kapitalste Tatsache der Entwicklung - der modernen, zum Selbstbewusstsein gelangenden Arbeiterklasse, er wird ersetzt durch die Koalition mit der Bourgeoisie auf dem Boden der Demokratie. Um den Feudalismus zu beseitigen, war eine große, lange Periode von Revolutionen und revolutionären Kämpfen notwendig, obwohl zwischen dem Feudalismus und der Bourgeoisie ein Unterschied nur in der Art des privaten Eigentums bestand. Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, von der Expropriation der großen Mehrheit der Produzenten durch eine kleine kapitalistische Minderheit zur Expropriation dieser mit allen Machtmitteln ausgerüsteten, in Blut geborenen und vom Schweiß und Blut von Millionen befleckten kapitalistischen Minderheit, wird geschehen friedlich, schiedlich und manierlich! Wer sich an den Kopf fasst und vielleicht annimmt, hier spreche nur ein vertrottelter Greis für sich, ein Greis, der die Wirklichkeit nicht sehen will, weil seine Lunge den Sturmwind der Geschichte nicht aushalten kann, der lese den Artikel von Otto Bauer in der „Freiheit“ vom 3. Januar, auf den sich Kautsky beruft, und der dieselbe prinzipielle Lösung enthält. Und Otto Bauer ist der Führer der Zweieinhalb-Internationale, die nur darum gegründet wurde, weil das Zentrum in die Kommunistische Internationale nicht aufgenommen wurde, sozusagen als Asyl für Obdachlose. Wem Bauer noch zu wenig maßgebend ist, der lese den Artikel Martows‚ des Führers der Menschewiki, im „Sozialistischen Boten“, der mit unschuldiger Miene erklärt, niemand könne prinzipiell gegen die Koalition mit der Bourgeoisie sein, denn es ist klar, dass jetzt die Bourgeoisie zu schwach ist, um über das Proletariat zu herrschen und das Proletariat zu schwach, um sie zu beseitigen. Daraus ergibt sich für Martow, den Redakteur der „Iskra“, die vor zwanzig Jahren gegründet wurde zum Kampfe gegen den Reformismus, daraus ergibt sich für Martow, den linken Menschewik, den Vertreter einer Partei, die sich das Genick gebrochen hat bei der Koalition mit der Bourgeoisie, daraus ergibt sich für diesen subjektiv ganz gewiss revolutionärsten Mann in der Zweieinhalb-Internationale nicht die Tatsache, dass in der Periode, wo die Bourgeoisie nicht mehr imstande ist, das Proletariat zu beherrschen, und wo das Proletariat noch nicht imstande ist, die Bourgeoisie zu beseitigen, die Periode des Kampfes um die Macht, des Kampfes um die Diktatur der proletarischen Klasse beginnt — nein, daraus ergibt sich für die beiden, dass in dieser Periode die Zeit für die Koalition mit der Bourgeoisie gekommen ist. Und diese prinzipielle Einigkeit zwischen dem Mummelgreis der Zweiten Internationale und den beiden Führern der Zweieinhalb-Internationale, diese prinzipielle Einigkeit ist die Einigkeit zwischen der Praxis der Zweiten Internationale und der Zweieinhalb-Internationale. Und weil sie auf dem Boden des vulgärsten Reformismus angelangt sind, darum muss der brave Kautsky den Unterschied zwischen dem revolutionären Marxismus, zwischen dem proletarischen Sozialismus und dem Reformismus für historisch gegenstandslos erklären:

Es gab sogar Sozialisten, die wähnten, es sei möglich, die Monarchie selbst für den Sozialismus zu interessieren, wenn dieser sich als Mittel präsentierte, ihre Eroberungsgelüste, namentlich in der Koalitionspolitik, zu befriedigen: Kanonen gegen Volksrechte.

Diese Auffassung, die glaubte, um den gewaltsamen Umsturz der Militärmonarchie, um die Revolution in diesem Sinne durch allmähliche Reformen herumzukommen, wurde als die reformistische der revolutionären entgegengesetzt. Um sie drehten sich unsere heißesten Parteikämpfe in den zwei letzten Jahrzehnten vordem Kriege. Sie sind gegenstandslos geworden dadurch, dass die Revolution wirklich kam, die durch die Reformen hätte vermieden werden sollen.

Jeder sicht, wie schamlos Kautsky die Geschichte fälscht, wenn er den Gegensatz zwischen Reformismus und Marxismus zusammenschrumpfen lässt zu der Frage, ob der Sieg des Proletariats in den monarchisch-militaristischen Staaten möglich sei ohne Sturz der Militär-Monarchie. Wir werden keine Zitate bringen aus hunderten von Artikeln Kautskys, in denen er ausgezeichnet auseinandersetzte, dass dem nicht so ist. Wir werden nur ein paar absolut bekannte politische Tatsachen nennen, die — wir wiederholen das Wort, denn es handelt sich für uns hier nicht um ein Schimpfwort, sondern um eine politische Charakterisierung — die Schamlosigkeit dieses Renegaten feststellen. Der Kampf des Reformismus und des Radikalismus wurde nicht geführt allein in Staaten, in denen eine starke Monarchie oder ein Militarismus bestand. in Frankreich bestand zwar ein starker Militarismus, aber Frankreich war ein demokratischer Staat, und trotzdem tobte in ihm der Kampf zwischen Reformismus und Marxismus, der Kampf zwischen Millerand, Jaurès und Guesde, und in diesem Kampf erklärte Jaurès wie Bernstein den deutschen Marxisten: Ihr versteht noch nicht, um was es sich handelt, weil Ihr in einer Monarchie lebt und wir in einem demokratischen Staate, wo wir auf dem Wege der Reformen den Sozialismus durchführen können. Dieser Kampf tobte in der Schweiz‚ wo es keine Monarchie und keinen modernen Militarismus gab, sondern die demokratischste Heeresverfassung, die überhaupt in einem kapitalistischen Staat möglich ist. Dieser Kampf tobte in Amerika, wo es keine Monarchie und keinen Militarismus gab. Und als der alte Berger nach Europa kam, da suchte derselbe Kautsky zu beweisen, dass er zu Unrecht als Reformist verschrien wurde.

Dieser Kampf tobte in England zwischen der Sozialdemokratischen Föderation und der Unabhängigen Arbeiterpartei. Er bestand in Norwegen und Schweden, den beiden demokratischsten Ländern. Und überall drehte er sich um die Frage: Kann m an zum Sozialismus gelangen durch die Koalition mit der Bourgeoisie und durch Reformen, oder ist die Revolution des Proletariats und seine Diktatur notwendig, um den Boden freizumachen für die Durchführung des Sozialismus? Heute streicht Kautsky diese ganze Periode die auch seine Ruhmesperiode war, aus der Geschichte der internationalen Arbeiterklasse und erklärt, es handelte sich nur darum, ob die Monarchie und der Militarismus mit friedlichen Mitteln überwunden werden können. Und nachdem er so die Blätter der Geschichte, auf denen die Vergangenheit der Arbeiterklasse niedergeschrieben ist, zerrissen hat, erklärt er wörtlich auf der nächsten Seite über die blut- und elendtriefende Gegenwart der deutschen Arbeiterklasse:

Die Reichsverfassung, die aus der Revolution hervorging, bietet trotz ihrer Mängel genügende Möglichkeiten für das sozialistische Proletariat, auf friedlichem Wege die politische Macht zu gewinnen.“

In dem Lande, das in naher Zeit zu wählen haben wird zwischen der Rückkehr zur Militärmonarchie oder der proletarischen Revolution, gibt es jetzt keinen Platz mehr — nach der Behauptung Kautskys — für die proletarische Revolution. Deutschland ist schon in die Epoche nach der Revolution hineingeraten, und nicht nur Deutschland:

Heute gibt es in Europa nur noch zwei große Staaten, in denen im Marxschen Sinne eine „wirkliche Volksrevolution zur Zerbrechung des „Richterlichen bürokratisch-militärischen Parasitenkörpers noch notwendig ist, das ist Frankreich, dies Kaisertum ohne Kaiser und in noch weit höherem Grade Russland, dies Zarentum ohne Zaren. Aus den Marxschen Worten geht klar hervor, dass heute die Zerschlagung der bestehenden russischen Staatsmaschinerie die unerlässliche Vorbedingung jedes proletarischen Aufstiegs ist.“

Kautsky erlaubt die Revolution also nur noch in Frankreich sind in … Sowjetrussland. Der Staat der russischen Proletarier und Bauern, das ist einer der beiden Staaten, in denen er die Revolution für notwendig hält! Dieses innere Programm ist gleichzeitig das äußere Programm der auf der Schwelle der Einigung stehenden Zweiten und Zweieinhalb-Internationale.

Wir verzichten auf jedes weitere Eingehen auf das Kautskysche Buch. Es ist notwendig für den Propagandisten, es ist nach dem Gesagten überflüssig für den Politiker. Der Boden, auf dem die Einigung der Zweieinhalb- Internationale mit der Zweiten Internationale stattfindet, er ist vollkommen genügend umgrenzt durch die zitierten Stellen. Koalition mit der Bourgeoisie in allen Ländern und Kampf gegen den ersten Staat der Weltrevolution, gegen Sowjetrussland - das sind die Losungen, die auf diesem Banner weithin sichtbar sind. Und der Führer der Menschewiki Abramowitsch hat Recht — Gott hat schon einmal durch den Mund einer Eselin gesprochen, warum soll er diesmal nicht einen Esel zu seinem Sprachrohr nehmen —, wenn er in seiner Einleitung zur russischen Übersetzung des früheren Buches Kautskys „Von der Demokratie zur Staatssklaverei“ Kautsky feiert wegen seines Kampfes gegen die Bolschewiki und wegen seines Bürgermutes (wörtlich!), den er bewiesen habe, als er den Bolschewismus, d. h. den Kommunismus, bekämpfte in der Zeit, wo „sogar solche Männer wie Adler, Bauer, Hilferding und Longuet aus Rücksichten der inneren Politik (d. h. aus Angst vor den revolutionären Arbeitern!) und zum Teil aus falsch verstandenem Interesse der internationalen Solidarität lange zögerten, öffentlich aufzutreten mit der Kritik des Bolschewismus und mit der Verurteilung seiner Methoden.

Der brave Mann feiert die jetzige Vereinigung Kautskys mit den Leuten, die im Jahre 1919 und 1920 von ihm abrückten, und er hat vollkommen Recht; er feiert die Einigung der Reformisten mit Kautsky, ihrem Führer.

III.

Was bedeutet sozial diese bevorstehende Einigung des Zentrums der Internationale mit seinem rechten Flügel? Das ist die wichtigste Frage, die es zu beantworten gilt.

Das Zentrum der Internationale ist der Flugsand der Arbeiterbewegung. Weht der Wind in der Richtung der Revolution, so wirft der Flugsand revolutionäre Staubwolken auf Bedeutet es nicht ein Symptom des Rechtsmarsches der Arbeiterklasse, dass dieser Flugsand sieh nach rechts verschiebt? Würde das der Fall sein, man müsste klar die Tatsachen anerkennen, denn auch in der Periode- der vorübergehenden Rechtsentwicklung der

Arbeitermassen würde die Kommunistische Internationale existieren; und um zu existieren, müsste sie kühl feststellen, dass einstweilen die Arbeitermassen sich von der proletarischen Revolution abwenden und zur Bourgeoisie gehen. Aber eine solche Annahm< ist unsinnig. Der Vergleich mit dem Flugsand führt hier irre. Ein Blick auf die ganze Weltlage zeigt, dass eine solche Annahme unsinnig sein muss, wo das ganze Klassenverhältnis, die internationale ökonomische Lage nicht nur nicht erlaubt, an Reformen, an die Besserung der Lage der Arbeiterklasse zu denken, sondern wo in allen Ländern — ob in ihnen Arbeitslosigkeit herrscht, oder ob wie in Deutschland die Schlote rauchen und die Maschinen fiebernd sausen, wo in der ganzen Welt die Lage der Arbeiterklasse sich seit dem Kriege verschlechtert. Heute gibt es keinen Platz für den Reformismus. Die Zusammenballung der Führer des Zentrums und der Reformisten bildet umgekehrt ein Signal kommender großer Kämpfe. Wie die Bourgeoisie, so haben auch die Zentrumsleute von der bisherigen Entwicklung gelernt. Während sie im Jahre 1919, als sie nach links glitten, noch nicht den ganzen Ernst des revolutionären Kampfes verstanden, während sie damals noch glaubten, man könne die Revolution betrügen, wenn man nur linke Phrasen drischt und mit der Zunge die Bewegungen der Masse mitmacht, so verstehen sie in der jetzigen Lage, dass die Entwicklung der Ereignisse — wenn nicht mit aller Macht gestoppt wird — nichts anderes bedeutet als den Sieg des Kommunismus. Die Erfahrungen, die sie gemacht haben mit der Kommunistischen Internationale, sie sagen ihnen mit voller Klarheit, dass es nicht nur unmöglich ist, die Revolution zu betrügen, sondern sogar die Revolutionäre. Darum rüsten sie zum Kampf um ihre Existenz, denn sie haben gelernt, dass die proletarische Revolution nicht nur die Bourgeoisie, sondern auch ihre Lakaien bedroht. Und darum war es so charakteristisch, wie die USPD ihre revolutionären Redensarten jäh abbrach, als es galt, nach dem Tode Rathenaus aus ihnen Konsequenzen zu ziehen und zum Kampf zu greifen, der — wenn er begonnen — mit dem Bürgerkrieg und mit dem Überhandnehmen des Kommunismus in den Reihen der Arbeiterklasse enden würde. Die Einigung der Führer der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale wird, wenn die nächsten Monate keine großen politischen Stürme sehen, ruhig ablaufen, ohne dass die Zweieinhalb - Internationale sogar größere Massen von Mitgliedern verliert. in dem Augenblick, in dem nicht große Kämpfe entschieden werden, lässt die Masse ihren Führern verhältnismäßig viel Bewegungsfreiheit für ihre parteitaktischen Manöver. Und man kann sogar annehmen, dass viele Arbeiter sich sagen: Nun, die reformistische Taktik eines Teiles der Arbeiterklasse, der Reformisten, hat nicht zum Ziele geführt; wir wollen sehen, ob es nicht gelingt, was herauszuholen, wenn sich die Arbeitermassen, die Zentristen mit den Reformisten, also die Mehrheit der Arbeiterklasse, vereinigt zum reformistischen Druck auf die Bourgeoisie. Gelingt die Einigung und treibt die vereinigte Zweieinhalb-Internationale im großen Maßstabe Koalitionspolitik, so wird diese Koalitionspolitik in absehbarer Zeit den Zusammenbruch des Reformismus herbeiführen.

In der Situation, in der sich jetzt die internationale Arbeiterbewegung befindet, bedeutet die Einigung der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale eine vorübergehende Stärkung des Reformismus, um ihm dann endgültig den Garaus zu machen. Die Kommunistische Internationale wird sein Erbe sein. Es gilt, für die kommenden Kämpfe zu rüsten.

Karl Radek.

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