II

II. Die Entstehung der modernen Heeresorganisation.

1. Das Söldnerheer.

Nichts ist abhängiger von ökonomischen Bedingungen als gerade Armee und Flotte. Beschaffung, Zusammensetzung, Organisation, Taktik und Strategie hängen vor allem ab von der jedesmaligen Produktionsstufe und den Kommunikationen. Nicht die „freien Schöpfungen des Verstandes“ genialer Feldherren haben hier umwälzend gewirkt, sondern die Erfindung besserer Waffen und die Änderung des Soldatenmaterials; der Einfluss der genialen Feldherren beschränkt sich im besten Falle darauf, die Kampfweise den neuen Waffen und Kämpfern anzupassen.“

(Friedrich Engels im Anti-Dühring.)

Die sozialen Verhältnisse jeder historischen Periode beeinflussen ausschlaggebend nicht nur den Kriegs- Organismus jeder Nation, sondern auch den Charakter, die Fähigkeiten und Bestrebungen der Militärpersonen.“

(Oberstleutnant Rousset, Professor an der höheren Kriegsschule in Paris, in seinen „Les Maitres de la Guerre“.)

Die stets dem Staate zur Verfügung stehenden Massenheere sind ein Kind nicht nur der Neuzeit, sondern sozusagen der jüngsten Zeit, sie sind nicht viel älter als ein Jahrhundert. Sie entstanden als Waffe der Völker, aber nachdem die Söldnerheere als Waffen der Fürsten versagt hatten, lernten die Fürsten das Volk in Waffen als Waffe gegen das Volk gebrauchen, indem sie die demokratische Institution der allgemeinen Wehrpflicht in die antidemokratische Organisation des stehenden Heeres hineinpferchten und dem Volksheere den Geist der fürstlichen Soldateska aufzupfropfen suchten. Im modernen Heere, wie es sich seit dem Jahre 1871 in allen europäischen Ländern entwickelt hat, finden wir darum die Züge der Volksmilizen der französischen Revolution, mit denen der friderizianischen, durch den Stock zusammengehaltenen Söldlinge, Tendenzen revolutionären und reaktionären Charakters, miteinander vermischt. Ihre gegenseitige Stärke, ihren Einfluss auf die allgemeine Entwicklungstendenz des Militarismus unserer Tage kann man nur dann voll würdigen, wenn man die Gründe kennt, die die Regierungen nötigten, das Söldnerheer in ein Volksheer zu verwandeln. Das Söldnerheer war eine Schöpfung des modernen Absolutismus. Es entstand aus den Ruinen des mittelalterlichen Feudalismus. Das Mittelalter kannte überhaupt keine der Staatsgewalt stets zur Verfügung stehenden Heere. Die Staatsgewalt in der Person eines mittelalterlichen, souveränen Herrschers war sehr schwach. Über die ihr untertänigen Länder konnte sie schon wegen der sehr schwachen Verkehrsmittel und der dünnen, weit zerstreuten Bevölkerung nicht selbständig herrschen. Diese regierte sich selbst: in den noch auf der Stufe der Naturalwirtschaft stehenden Dörfern wie in den schon Warenwirtschaft treibenden Städten herrschte die Demokratie. Nur Naturalabgaben an die großen Grundbesitzer, die der Arbeit der Ackerbauern den Waffenschutz verliehen, bildeten den Anfang des Herrschafts- und Untertänigkeitsverhältnisses. Wenn auch diese Abhängigkeit des Volkes mit der Steigerung der Produktivität der Arbeit wuchs, weil dadurch die großen Grundbesitzer erst wirklich mächtig wurden und die Möglichkeit bekamen, einen Teil der Arbeitskraft oder des Arbeitsproduktes des Volkes sich anzueignen, stieg die Macht des Herrschers nur insoweit, als er als einer der größten Großgrundbesitzer von der allgemeinen Entwicklung profitierte. Als Staatsherrscher blieb er wie im Anfang von seinen Vasallen abhängig. Die Kriege, die die Herrscher des Mittelalters miteinander führten, waren, wie es Prof. Delbrück glänzend in seinem Werke über das Kriegswesen des Mittelalters bewies, klein, mit den modernen Kriegen gar nicht vergleichbar, da an ihnen im besten Fall nur ein paar tausend Menschen teilnahmen. Sie wurden durch die Vasallen-Ritter ausgefochten, die zu Pferde auf die Bitte des Herrschers erschienen, oder auch nicht erschienen. Auch das geschah oft, weil das Abhängigkeitsverhältnis nur sehr lose war. Es gab also weder stehende, noch absolut der Staatsgewalt gehorchende Heere, und was das Wichtigste war, das Volk war der Pflicht des Kämpfens für die Interessen der herrschenden Ritterschicht und ihres gekrönten Oberhauptes gänzlich enthoben.

In diesen Verhältnissen trat im Laufe der letzten Jahrhunderte des Mittelalters, im 13., 14., 15. Jahrhundert eine allmähliche Änderung ein. Sie war bedingt durch die weiter fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung. Die wachsende Produktivität der Arbeit der Volksmassen in Stadt und Land bildete einen Anreiz für die Ritter, breiter und tiefer in die Verhältnisse der Volksmassen einzugreifen, sie mehr auszubeuten. Diesem edel-ritterlichen Bestreben leisteten die Volksmassen, wo ihnen die geographischen und anderen Verhältnisse es erleichterten, einen erbitterten Widerstand, und in den daraus entstehenden Kämpfen des 13. und 14. Jahrhunderts unterlagen ihm in Böhmen, in der Schweiz und in Flandern die Ritterheere schmählichst. Ihre auf den Turnieren in so schönen Farben glitzernde Uniform, in so hohen Tönen besungene Kriegskunst zerstob wie Spreu vor dem Winde vor den mit Eisen beschlagenen Knüppeln, Äxten und Spießen der Bauern und Handwerkermassen, die für ihre eigene Sache kämpften. In derselben Zeit, in der die Bauern so das Ansehen der Ritterheere aus der Welt schafften und die Bedeutung des in Kriegskunst ungelernten Fußvolkes in das richtige Licht rückten, begannen die Herrscher (Könige und Fürsten) den Kampf mit der Ritterschaft. Sie suchten, wie die Ritter, denselben Entwicklungsprozess, die Stärkung ihrer Gewalt, auszunützen. Sie gewährten den Städten Schutz gegen die Ritter und bekamen dafür von den Städten, in denen die Geldwirtschaft schon entwickelt war, Geldmittel, für die sie Fußvolk mieteten, mit dieser Macht die Selbständigkeit des Adels in den verschiedenen Staatsteilen zu brechen und eine zentrale Staatsgewalt zu bilden, ein allgemeines Gerichts- und Abgabewesen einzuführen suchten.1 Sie schafften natürlich die Vorrechte des Adels der Volksmasse gegenüber nicht aus der Welt, aber sie machten sich den Adel botmäßig. Diese Politik gelingt im Laufe des 15. bis 18. Jahrhunderts in verschiedenen Staaten in verschiedenem Grade, je nach der besonderen Höhe der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse. In Frankreich führte sie schon im 15. Jahrhundert zur Bildung eines zentralistisch und despotisch regierten Staates; in Deutschland nach langen Kämpfen von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Kriege zur Ausbildung einer Reihe von ebenso regierten Territorial- Staaten, Es ist hier nicht der Ort, diesen Prozess darzustellen; es sei nur gesagt, dass dieses Resultat in Deutschland dadurch bedingt wurde, dass die wirtschaftlichen Interessen des Südens und Nordens, des Ostens und Westens Deutschlands nach verschiedenen Richtungen gingen, dass das Kaiserhaus Habsburg, das in Spanien, Ungarn, Österreich, den Niederlanden gleichzeitig herrschen wollte, seine Kraft zu dem Kampf gegen die deutsche Ritterschaft und die Teilfürsten nicht zusammenfassen konnte; schließlich kam noch die Änderung der Handelswege vom Mittelmeer und der Ostsee zum Atlantischen Ozean, die die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands auf Jahrhunderte hinaus hemmte, und so die zentralisierenden Tendenzen schwächte.2 Aber im Rahmen der im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts entstandenen deutschen Staaten entwickelte sich das Heerwesen in derselben Richtung, die in Frankreich im Jahre 1445 unter Karl VII. durch die Bildung eines kleinen Söldnerheeres, das zu halten nur der König das Recht hatte, und dessen Kosten durch eine dauernde Steuer (denarius perpetunis) durch den Adel bewilligt wurden, zum Ausdruck kam. Auch der deutsche Reichstag beschloss im Jahre 1654, „dass jedes Kurfürsten und Standes Landsassen, Untertanen und Bürger, verpflichtet seien zu Besetz und Erhaltung der nötigen Festungen, Plätze und Garnisonen ihren Landesfürsten, Herrschaften und Obern mit hülflichen Beitrag an Hand zu gehen“.3 Inwieweit die Fürsten in Wirklichkeit fähig waren, ein Söldnerheer zu schaffen, das hing ab von der Macht, mit der sie imstande waren, die Junker an die Wand zu drücken. In Deutschland gelangte das Söldnerheer in Preußen zur größten Entfaltung. Zwar hatte der Große Kurfürst im Jahre 1640 erst 3.600 Fußsoldaten und 2.500 Reiter — nicht viel mehr als der Kaiser heute bezahlte Lakaien hat — und erst im Jahre 1663 bewilligte der Adel die Kosten zum Unterhalt der Söldner auf sechs Jahre, aber er hinterließ bei seinem Tode schon 30.000 Söldner, und Friedrich Wilhelm INFOBRIEF. drang im Jahre 1717 schon mit der Abschaffung der letzten Überreste alter Lehensdienste der Junker durch, wofür sie ihm Geld bewilligen mussten. Er hinterließ schon 80.000 Söldner. Diese Resultate ließen sich nur im zähen Kampfe gegen die Junker erreichen; denn diese sahen mit sehr scheelen Augen auf die Stärkung der königlichen Gewalt. Nur insoweit die preußischen Fürsten den Junkern volle Freiheit in der Ausbeutung der Bauern gaben, soweit sie zu Söldnerführern nur die proletarisierten Junker (Krippenreiter) und die Söhne der kleinen Junker machten, gelang es ihnen, durchzudringen, wobei ihnen noch der Umstand zugute kam, dass die Junker mit der Entwicklung des Getreidehandels zwischen Deutschland, England und den Niederlanden es für profitabler hielten, mit den Bauern herumzuackern, als auf hohem Rosse ihren Wanst auf den Schlachtfeldern schütteln zu lassen. Dieselbe Entwicklung, die die Königsmacht stärkte, schuf ihre Herrschafts- und Ausbreitungsmittel, die Söldnerheere. Das junkerliche Bauernlegen jagte Massen besitzlosen Volkes in die Städte, wo sie Unterkunft in den Manufakturen, beim Handel usw. suchten. Handwerksburschen, die in den zusammenschrumpfenden Zünften keinen „goldenen Boden“ fanden, durch die Kriege zerlumpte kleine Junker und ähnliches Volk, suchte Gelegenheit zum Morden und Plündern, ohne die Gefahr des Galgens zu achten.

Den Herrn wollen wir suchen,

Der uns Geld und Bescheid soll geben“ —

sangen sie. Diese Herren waren eben die Fürsten aller Länder, die vermittels der in Kriegen erfahrenen Christen sich das Lumpenpack aus allen Ländern sammelten. Die eigentlichen Unternehmer waren zuerst die Obristen selbst. Ihnen vermietete sich der Landsknecht, von ihnen bekam er Geld, ihnen schwor er den Treueid. Wem sie dienten, für welche Sache sie stritten, das kam noch nicht einmal in hundertster Linie in Betracht. Sie waren eben Handwerker des Krieges, und wie es den Manufakturarbeiter wenig kümmerte, wer das von ihm produzierte Totenhemd tragen werde, so wenig kümmerte es den Söldner, wem er den Tod bringen oder von wessen Hand er ihn in der Ausübung seines Handwerks finden werde. Nur allmählich, durch schwere Erfahrungen gewitzigt — die Landsknechte streikten oft während des Feldzuges — suchten die Landesfürsten den selbständigen Unternehmer, den Obristen, in einen vom König eingesetzten Offizier, und den Söldner in den dem König direkt unterlegenen Soldaten zu verwandeln, um beide fester in der Hand zu haben. Erst im Jahre 1656 leisteten die Söldner dem Kurfürsten den Treueid. Je mehr die Obristen sich aus inländischen Junkern rekrutierten, desto mehr wuchs ihre direkte Abhängigkeit von dem König. Sie wurde schließlich, als die Fürsten die wachsenden Kosten der Werbung fremder Söldner nicht mehr bestreiten konnten, die einerseits von immer mehr Seiten angeworben wurden, während andererseits mit der Stabilisierung der Verhältnisse der Zuwachs abenteuerlichen Volkes abnahm — zur Werbung der Landeskinder mit Gewalt und List und seit dem Jahre 1733 allgemein zu ihrer Aushebung. Seit dieser Zeit, wo die Soldaten aus der ärmsten Landesbevölkerung „gesetzlich“ durch den Staat geholt werden, kann man von einem wirklichen stehenden Fürstenheere reden, dessen Anführer Diener der Könige waren. Dass sie und ihre Vettern im Lande dabei auf ihre Rechnung kamen, dafür sorgte die im Interesse der Junker ausgestaltete Organisation dieses Heeres. Die zuerst fürs ganze Leben, dann für zwanzig Jahre ausgehobenen Landeskinder befanden sich nach dem kurzen Drill nur sehr kurze Zeit unter den Waffen; den größten Teil des Jahres schufteten sie
bei ihren Junkern auf dem Lande, denn ihre Erhaltung in den Kasernen würde zuviel Kosten verursacht haben; den Sold steckten die Offiziere ein. Aber auch die fremden Söldner wurden als „Freiwächter“ zur Arbeit in die Garnison geschickt, damit der Beutel der junkerlichen Offiziere dank der Ersparnis ihrer Unterhaltskosten anschwellen konnte.

So waren die stehenden Armeen des Despotismus geschaffen: Mit Gewalt und List angeworbene arme Teufel, oder „gesetzlich“ ausgehobene Lumpenproletarier und Leibeigene, genötigt, für ihnen ganz fremde Interessen zu kämpfen, bildeten die Armee. Wegen der Misshandlungen und Diebereien oft desertierend, wurden sie mit Stockhieben für den Krieg abgerichtet und mit Stockhieben in den Kampf getrieben. Wie groß diese durch die Fuchtel zusammengehaltenen, zu einem absoluten Kadavergehorsam genötigten Heere waren, zeigen einige Ziffern, die wir dem schon zitierten Buche Sombarts (Seite 43) entnehmen: Österreich hatte im Frieden 297.000, im Kriege 363.000 Mann, Russland 224.000, Preußen 190.000, Frankreich 182.000, Spanien 85.000, Schweden 47.000, Dänemark-Norwegen 74.000, die Niederlande 36.000, Kursachsen 24.000, Bayern 17.000, Hessen-Kassel 15.000, Sardinien 25.000, der „Heilige Vater“ 5.000, die kleinen „Vaterländer“ ganz beiseite gelassen.

Welchen militärischen Wert aber diese misshandelten Sklaven hatten, das soll in dem folgenden Artikel gezeigt werden, der ihren Zusammenstoss mit den Volksarmeen der Revolution darstellen wird.4

2. Die Armeen der Revolution.

Amerikanische und französische Bauern haben die Strategie des 19. Jahrhunderts erfunden.“

(Mehring in der Lessinglegende.)

Die friderizianischen Söldnerheere galten in ganz Europa als staunenswertes Muster einer unüberwindlichen Armee; die Stockprügel galten als das beste militärische Erziehungsmittel, als jenseits des Atlantischen Ozeans die nordamerikanischen Farmer den Kampf um ihre Unabhängigkeit begannen. Sie wollten sich nicht vom englischen Reederei- und Industriekapital plündern lassen. Zwei Millionen arbeitstüchtiger Männer glaubten der ausbeuterischen Obhut Englands entwachsen zu sein. England sandte gegen sie die Söldner, die aus aller Herren Länder zusammengeworfen waren, denn den englischen Bürgern konnte man unmöglich zumuten, selbst den amerikanischen Bauernmilizen entgegenzutreten, um so weniger, als auch England im Innern nur über eine Söldnertruppe verfügte. Nach dem Siege der durch den Großgrundbesitz bedrohten Bauernmilizen5 unter Cromwell (die Milizen der „Freeholders“) wurde die Miliz in England nicht weiter ausgebaut, sondern entsprechend der konterrevolutionären Richtung des nachrevolutionären England das feudale Europa auf militärischem Gebiete nachgeahmt. Die nach den Vereinigten Staaten entsandten Söldnertruppen wurden von den Amerikanern geschlagen. Besser als lange historische Ausführungen erklärt ein Brief des deutschen Dichters Joh. Gottfried Seume die Gründe der Niederlage der englischen Söldner. Seume wurde auf einer Durchreise durch Kassel von den Häschern aufgefangen und an England als Söldner verkauft. Auf dem Schiff, das ihn im Jahre 1782 nach Amerika bringen sollte, befanden sich 1500 Mann, von denen ein guter Teil nur an die Flucht dachte, „weil es niemand behagen wollte, sich so ohne sein gegebenes Gutachten mit den armen Teufeln von Amerikanern zu schlagen, denen wir alle herzlich gut waren und alles mögliche Glück wünschten.“ Den Zustand des Heeres charakterisiert Seume weiter in folgenden Worten: „So leben wir hier ein Leben, das der Galeerensklave gar nicht beneiden wird … Überhaupt bin ich der Meinung, schlimmer als bisher könne es schwerlich gehen.“6 Und der dies schrieb, war kein Jammerlappen, sondern trotz seiner Jugend ein wetterharter Charakter. Ein Heer von Galeerensklaven musste einem Heere von Männern, die um eigene Interessen kämpfen, unterliegen, selbst wenn die Bedingungen des Kampfes für beide Seiten gleich gewesen wären. Aber in dem Kampfe der englischen Söldner gegen amerikanische Freiheitskrieger wiederholte sich derselbe Vorgang, der in den Bauern- und Kleinbürgerkriegen des 14. und 15. Jahrhunderts den Niedergang der feudalen Ritterheere bewirkte. Das sozial neue Soldatenmaterial schuf eine neue Kampfesweise.

Die den Söldnerheeren entsprechende Taktik war die Lineartaktik. Da die Söldner und die mit gewöhnlicher oder gesetzlicher Gewalt in das Heer hineingepressten armen Teufel jeden Augenblick zur Desertion bereit und nicht zahlreich genug waren, um in zusammengeballten Massen gegen den Feind geschleudert zu werden, mussten sie in langen Linien aufgestellt und gegen den Feind geführt werden, durften sie ferner nicht in selbständigen Truppenteilen auftreten und mussten aus Magazinen verpflegt werden. „Eine Änderung der Schlachtordnung während des Gefechts war unmöglich — schreibt Engels — und Sieg oder Niederlage wurden, sobald die Infanterie einmal im Feuer war, in kurzer Zeit mit einem Schlag entschieden.“ Dabei konnten die langen Linien sich nur in der freien Ebene bewegen. Wozu das Volksmassen gegenüber führen muss, zeigte eben der amerikanische Unabhängigkeitskrieg.

Diesen unbehilflichen Linien traten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Rebellenhaufen entgegen, die zwar nicht exerzieren, aber desto besser aus ihren gezogenen Büchsen schießen konnten, die für die eigensten Interessen fochten, also nicht desertierten, wie die Werbetruppen und die den Engländern nicht den Gefallen taten, ihnen ebenfalls in Linie entgegenzutreten, sondern in aufgelösten, rasch beweglichen Schützenschwärmen und in deckenden Wäldern. Die Linie war hier machtlos und erlag den unsichtbaren und unerreichbaren Gegnern. Das Tiraillieren war wieder erfunden — eine neue Kampfweise infolge ein es veränderten Soldatenmaterials.“

Die Bedeutung dieser neuen Kampfesweise wurde nur wenig in Europa beachtet, als die französische Revolution ausbrach und von dem feudalen Europa bedroht, genötigt wurde, die amerikanische Taktik noch einmal zu erfinden.

Frankreich hatte vor der Revolution ein Söldnerheer, gebildet aus angeworbenen fremden Söldnern und gepressten Leibeigenen, in dem dieselbe, wenn nicht noch größere, Junkermisswirtschaft wie im preußischen Heere herrschte. Die Revolution löste diese Armee auf. Bedrängt durch die Feudalmächte, musste Frankreich eine neue Armee schaffen, was besonders schwierig zu sein schien, weil durch die Behandlung der Soldaten im Söldnerheere die Institution des Heeres im Volke verhasst war. Aber da die Volksmassen sich durch die Frankreich drohenden Gefahren in ihren Interessen bedroht sahen, den Bauern brachte die Revolution Freiheit und Grundbesitz und das städtische Proletariat und Kleinbürgertum hatte noch den Glauben, dass sie auch ihm Befreiung aus der Not bringen werde so gelang dem Konvent das Werk. Im Jahre 1792 und den folgenden Jahren fanden Aushebungen (Konskriptionen) statt, und im Jahre 1795 verfügte Frankreich schon über eine ungeheure Armee von 829.000 Mann Infanterie, 96.000 Mann Kavallerie und 93.000 Mann Artillerie. Diese Rekrutenmassen, fast ohne ausgebildete Offiziere, schlugen sich mit jedem Feldzuge besser gegen die Heere der Koalition, indem sie ihre eigene Kampfesweise instinktiv erfanden, während die Reglements ihnen die alte Lineartaktik vorschrieben. „Den geübten Werbeheeren der Koalition hatte sie (die Revolution) ebenfalls nur schlecht geübte, aber zahlreiche Massen entgegenzustellen, das Aufgebot der ganzen Nation. Mit diesen Massen aber galt es, Paris zu schützen, also ein bestimmtes Gebiet zu decken, und das konnte nicht ohne Sieg in offener Massenschlacht geschehen. Dies bloße Schützengefecht reichte nicht aus; es musste eine Form auch für die Massenverwendung gefunden werden, und sie fand sich in der Kolonne. Die Kolonnenstellung erlaubte auch wenig geübten Truppen, sich mit ziemlicher Ordnung zu bewegen, und das selbst mit einer größeren Marschgeschwindigkeit (100 Schritte und darüber in der Minute), sie erlaubte, die steifen Formen der alten Linienordnung zu durchbrechen, in jedem, also auch in dem der Linie ungünstigen Terrain zu fechten, die Truppen in jeder irgendwie angemessenen Art zu gruppieren und, in Verbindung mit dem Gefecht zerstreuter Schützen, die feindlichen Linien aufzuhalten, zu beschäftigen, zu ermatten, bis der Moment gekommen, wo man sie am entscheidenden Punkt der Stellung mit in Reserve gehaltenen Massen durchbrach. Die neue auf die Verbindung von Tirailleurs und Kolonnen und auf die Einteilung der Armee in selbständige, aus allen Waffen zusammengesetzte Division oder Armeekorps beruhende, von Napoleon nach ihrer taktischen wie strategischen Seite vollständig ausgebildete Kampfweise war demnach notwendig geworden vor allem durch das veränderte Soldatenmaterial der französischen Revolution.7

Wenn man noch bemerkt, dass diese selbständig sich bewegenden Massen nicht nur von der Magazinverpflegung abhängig waren, dass sie vom Lande durch Requisition (zwangsweise Eintreibung der Lebensmittel) lebten, ja leben mussten, so sind alle Momente ihres Übergewichts über die Söldnerheere genannt: die größere Zahl, die leichtere Ausnutzung des Terrains und, was am wichtigsten war, die moralische Überlegenheit, über die noch einige Worte zu sagen sein werden.

Das Interesse der Volkmassen an den Abwehrkriegen gegen den Feudalismus, dann die durch diese Kriege geschaffene Ideologie, die noch nachwirkte, als Napoleon schon der Republik den Garaus gemacht hatte, erlaubte es, ohne Gewalt Volksmassen unter die Waffen zu rufen. Als die Revolution ausbrach, wusste man nichts von allgemeiner Wehrpflicht. Dieser Gedanke widersprach gleichsam der Ideologie der führenden bürgerlichen Schichten, die von friedlichem Erwerb träumten, wie dem oben erwähnten Hass der Volksmassen gegen den Heeresdienst. Und obwohl die siegreiche Bourgeoisie nach den ersten Konskriptionen die allgemeine Wehrpflicht verfälschte durch die Einführung des Stellvertretungsrechts (im Jahre 1798), das den Söhnen der Bourgeoisie erlaubte, sich von der Dienstpflicht loszukaufen, so verlor dadurch Napoleons Heer in den Augen der Volksmassen, denen selbst seine Herrschaft, verglichen mit der alten absolutistischen, als Himmel galt, nicht den Charakter des Volksheeres. Sie fühlten sich als solches, und darin lag die Quelle ihrer Kraft. Napoleon war sich dieser Ursache seiner Überlegenheit so sehr bewusst, dass er die Truppen niemals als Söldner behandelte, ihren Mannesstolz nährte, die „Freiheit des Rückens“ schonte, immer für die Bearbeitung ihrer Meinung in seinem Sinne durch Proklamationen, Bulletins, sorgte. Durch die Abschaffung aller ständischen, Vorrechte in der Armee, die Freimachung der Bahn für jedes Talent — jeder Soldat trägt den Marschallstab im Tornister — spornte er den Ehrgeiz der Soldaten an. So sah die napoleonische Armee aus. Sie war mit einer Ausnahme kleiner Bestandteile nicht einmal eine ausgebildete Milizarmee, sondern eine sich immer wieder ergänzende Rekrutenarmee, die erst im Feuer der Kämpfe das Kriegshandwerk erlernte. Die durch den Drill den Söldnerheeren beigebrachten Exerzierkünste waren ihr ganz fremd. Und doch schlug sie in Hunderten Schlachten die Söldnerheere. Und die Ursache ihrer Siege war so stark mit ihrer sozialen Eigenart verbunden, dass sich die napoleonische Taktik gar nicht von den Söldnerheeren nachahmen ließ. Auch in der begrenzten französischen Form konnte die allgemeine Wehrpflicht außerhalb Frankreichs solange nicht angewendet werden, als dort die Massen nicht fühlten, dass es sich im Kampfe gegen Napoleon um ihre Lebensinteressen handelte. Dieser Moment trat ein, als Napoleon, um durch die Überlastung Frankreichs mit Kriegskosten seine Lage nicht zu gefährden, die Aussaugung der Länder, die in seine Hände gerieten, übermäßig betrieb und so in den Augen der Volksmassen dieser Länder, die in ihm zuerst den Erlöser aus feudalen Banden gesehen hatten, zum Feind und Unterdrücker wurde. Erst der gegen Napoleon auflodernde Hass der Volksmassen erlaubte den geschundenen feudalen Fürsten, deren Söldnerheere Napoleon gegenüber gründlich versagten, das von der französischen Revolution ins Leben gerufene demokratische Wehrprinzip zum Kampfe gegen den Erben der französischen Revolution anzuwenden. Preußen wurde von Napoleon am stärksten zu Boden geworfen, und darum musste es am radikalsten das rettende Prinzip anwenden, um den Kampf gegen Napoleon wagen zu können. Den Befreiungskämpfen, die jetzt von der Bourgeoisie mit desto größerem Lärm gefeiert werden, je kleiner bei ihr das Verständnis für sie ist, gehört in der Geschichte der Wehrverfassung ein besonderes Kapitel.

3. Die allgemeine Wehrpflicht in Preußen im Jahre 1813.

Ein Grund hat Frankreich besonders auf diese Stufe von Größe gehoben: die Revolution hat alle Kräfte geweckt und jeder Kraft einen ihr angemessenen Wirkungskreis gegeben. Dadurch kamen an die Spitze der Armee Helden, an die ersten Stellen der Verwaltung Staatsmänner und endlich an die Spitze eines großen Volkes der größte Mensch aus seiner Mitte … Die Revolution hat die ganze Nationalkraft des französischen Volks in Tätigkeit gesetzt, dadurch die Gleichstellung der verschiedenen Stände und die gleiche Besteuerung des Vermögens, die lebendige Kraft im Menschen und die tote der Güter zu einem wuchernden Kapital umgeschaffen und dadurch die ehemaligen Verhältnisse der Staaten zueinander und das darauf beruhende Gleichgewicht aufgehoben. Wollten die übrigen Staaten dieses Gleichgewicht wieder herstellen, dann mussten sie sich dieselben Hilfsquellen eröffnen und sie benutzen. Sie mussten sich die Resultate der Revolution zueignen und gewannen so den doppelten Vorteil, dass sie ihre ganze Nationalkraft einer fremden entgegensetzen konnten und den Gefahren einer Revolution entgingen, die gerade darum für sie noch nicht vorüberging, weil sie durch eine freiwillige Veränderung einer gewaltsamen nicht vorbeugen wollen.“

(Gneisenau in der Denkschrift vom Juli 1807.

Als Poesie gut!‘‘ — Friedrich Wilhelm III.)

Das preußische Heer war zertrümmert, der Staat am Rande des Abgrunds. „Die erste und wichtigste aller Ursachen der Niederlage war das Fehlen einer großen einheitlichen Anstrengung bei hoch und niedrig zur Behauptung der Selbständigkeit und des alten Ruhms gewesen — die Gleichgültigkeit der großen Masse der Mannschaft im Heere und die Teilnahmslosigkeit der Gesamtheit gegenüber dem Staate“ — schreibt der Feldmarschall Colmar v. d. Golz,8 der Beschöniger der Junkerherrschaft in Altpreußen. „Da der Feind stärker gewesen, versagte jetzt der Fundamentalsatz der alten Armee, dass der Mann den Offizier mehr als ihn fürchten müsse, seine Wirkung. So wich der Geist aus ihr, der sie belebt hatte. Das war ihr Untergang. Jetzt rächte sich die Vernachlässigung der moralischen Triebfeder“ — schreibt der Historiker des preußischen Heeres, der Oberstleutnant von der Osten-Sacken9 nachdem er das Seinige getan, um den junkerlichen Mohren reinzuwaschen. Die Ursache dieses „Verschwindens des Geistes“ ist selbst diesen Verteidigern des Junkertums trotz alles Sträubens gegen die Erkenntnis klar: die französischen Tirailleure zerschossen die Fuchtel, ohne welche die Sklaven der Söldnerheere keine Ursache hatten, sich selbst todesmutig für eine verlorene Sache zu schlagen, wie es Rebellen tun. Und wenn die offiziösen Militärhistoriker als zweiten Grund der Niederlage die verknöcherten militärischen Ansichten der preußischen Heeresleiter angeben, so weisen sie im Grunde genommen nur zum zweiten Male auf dieselbe Ursache, auf das Söldnerheer, denn die Theorie der Feldherren ist gewöhnlich nur die Widerspiegelung der Praxis der Soldaten, und auf dem verdorrenden, wurmstichigen Baum des Söldnerheeres konnten nicht frische Blumen der militärischen Schlagkraft und Initiative erblühen, die das Wesen der napoleonischen Taktik bildeten. Und dass es sich bei diesem Zusammenbruch nicht um Zufälligkeiten handelte, das wussten die Befürworter der tief eingreifenden Reformen auf allen Gebieten im Jahre 1813, und das wissen — was bewunderungswerter ist — selbst die heutigen Militärhistoriker. Die Erbuntertänigkeit erschwerte die Hebung des moralischen Elements im Heere, dessen Vernachlässigung eine der Hauptursachen des Zusammenbruches war. So war eine gründliche Reform ausgeschlossen, wenn nicht gleichzeitig eine solche des gesamten Staatswesens erfolgte — schreibt v. d. Osten-Sacken.10

Aber weil es eben so um die Sache bestellt war, widersetzten sich alle Nutznießer des alten Systems der militärischen Reform, die Junker wie die Generalität, während für sie nur eine kleine Schar weit sehender, tapferer Offiziere, die teils bürgerlicher Abkunft waren, teils als Ideologen sich über die Schranken der Junkerklasse hinwegsetzten, kämpften. Und der König, ein Schwächling in allem, nur nicht in der Vertretung junkerlicher Interessen, widersetzte sich mit der ihm sonst fremden Ausdauer der Forderung Scharnhorsts auf Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht. Fünfmal lehnte er die Vorschläge des genialen Reorganisators, der sie jedes Mal in anderer Form durchzuschmuggeln suchte, ab. „Der König wollte eine Abschaffung der ökonomischen Missbräuche (Kompagniewirtschaft) und ebenso aufrichtig eine bessere Behandlung der Soldaten und deshalb eine neue Organisation des Heeres, doch immer nur hauptsächlich in den Kreisen einer gut exerzierten und nach seinem Geschmack wohl gekleideten Linienarmee; alles das, was Landesbewaffnung oder außerhalb des Herkommens liegende Entwicklung eines freieren kriegerischen Geistes beabsichtigte, hatte bei ihm kein Zutrauen oder fand sogar an ihm einen entschiedenen Gegner“ — schreibt das damalige Mitglied der Reorganisationskommission, Major Boyen, der spätere preußische Kriegsminister, in seinen Erinnerungen. „Überdem hatte der König eine solche Vorliebe für die seinem Geschmack zusagenden russischen Kriegseinrichtungen gewonnen, dass er von diesen, soviel sich nur irgend machen ließ, einzuführen, strebte.“ Also oberflächliche Reformen im westeuropäischen Sinne, mit Änderungen im Sinne der halbasiatischen russischen Soldateska, das war das Ideal des Königs. Dazu kam die strenge Aufsicht Napoleons gegen die preußische „Soldatenspielerei“, die Leere im Staatssäckel und das Fehlen alles dessen, was an Ausrüstung für das zu schaffende Heer nötig war.

Es ist klar, dass unter diesen Umständen an die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht zu denken war. Und es ist ein ehernes Dokument des Geistes und Charakters Scharnhorsts und seiner Freunde, dass sie nicht verzagten, sondern alles taten, was unter den gegebenen Verhältnissen zu erreichen war.

Die negative Arbeit des Aufräumens brauchte nicht erst geleistet zu werden. Von den 258 alten Regimentern verblieben nur 8. In erster Linie zerstoben die ausländischen Söldner, und für neue Werbungen gab‘s kein Geld. So war man auf Landeskinder angewiesen. Angesichts der gänzlich erschütterten Autorität der Junkerherrschaft war ans Prügeln im alten Umfange nicht zu denken, und wenn es auch nicht mit einem Schlag verschwinden konnte, so wurde es doch in seinen entehrendsten Formen abgeschafft. Der Aushebung waren dadurch enge Rahmen vorgeschrieben, dass Napoleon nur einen Stand von 42.000 Mann zuließ. In seinem Bestreben, trotzdem eine möglich große Anzahl von Soldaten militärisch durchzubilden, kam Scharnhorst, obwohl er prinzipieller Anhänger der stehenden Heere war, auf den Gedanken, das stehende Heer von 42.000 Mann im geheimen als Cadres zur Ausbildung einer Miliz zu gebrauchen. Er verwirklichte den Gedanken dadurch, dass er die eingestellten Soldaten nach ihrer Ausbildung immer wieder beurlaubte und die Ausgehobenen, aber ins Heer nicht Eingereihten, zu einem monatlichen Dienst berief. So gelang es ihm, bis zum Jahre 1813, wo der Kampf auf Leben und Tod mit Napoleon beginnen sollte, nicht 42.000, sondern 128.000 ausgebildete Mannschaften bereit zu haben.

Das war noch keine Verwirklichung der allgemeinen Wehrpflicht, weil die besitzenden Schichten — speziell die städtischen fast ganz von ihr befreit waren; weil weiter die finanziellen und politischen Schranken es nicht einmal erlaubten, das ganze „niedere“ Volk auszubilden. Aber es war auch kein stehendes Heer, das Scharnhorst schuf. Die monatliche oder mehrmonatliche Abrichtungszeit, in der jeder Ausgehobene zum Soldaten gemacht wurde, erlaubte ihm nur, ihnen die allernotwendigsten Handgriffe beizubringen, nötigte ihn nicht nur, auf jeden Paradeplunder zu verzichten, sondern selbst auf vieles, was zur Ausbildung einer Miliz nötig gewesen wäre. Dass Scharnhorst trotzdem auf die so ausgebildeten Truppen als auf einen Machtfaktor rechnen konnte, war dadurch bedingt, dass gleichzeitig das Oktoberedikt vom Jahre 1807 die Erbuntertänigkeit der Bauern aufhob; wenn es auch die alten Lasten bestehen ließ und dem Junkertum ein Freibillett zum Bauernlegen gab. Jedenfalls ging ein revolutionärer Hauch durch die preußischen Lande, der ein anderes Soldatenmaterial schuf. Und wenn das noch ein zu schwaches Umbildungselement gewesen wäre, so sorgte Napoleon durch eine unermessliche Ausbeutung des Landes dafür, dass in dem blutigen Hass der ganzen Bevölkerung gegen ihn sich das stärkste moralische Element der mangelhaft ausgebildeten Truppen entwickelte.

Als Napoleons Heere in den Schneewüsten Russlands zugrunde gingen und sich der Wille zur Heimzahlung aller der Leiden, die es durch Napoleons deutsche Wirtschaft erlitt, wie ein Lauffeuer durch das preußische Volk verbreitete und der König mit seinem Junkerhof noch zauderte, da schrieb Ende Februar 1813 der englische Diplomat v. Ompteda an seine Regierung: „Wenn der König länger zaudert, so sehe ich die Revolution als unvermeidlich an“. Die Stimmung des nach 1806 gereinigten, mit bürgerlichen Elementen durchsetzten jungen Offizierkorps, das Murren des Volkes, ja, das Drängen der ostpreußischen Junker, die unter Napoleons Herrschaft auch mächtig litten und jetzt ein Ende mit Schrecken für besser hielten als ein Schrecken ohne Ende: alles das hatte eine genügende Stoßkraft, um alle Widerstände des Königs gegen die allgemeine Wehrpflicht zu brechen. Um sie der bürgerlichen Jugend zu erleichtern, wurden die bürgerlichen und junkerlichen Söhnchen In besondere Jägerbataillone eingereiht, die sich selbst ihre Offiziere wählten; es wurden ihnen Aussichten auf Ehre und Offiziersposten eröffnet. Bald darauf wurde die Landwehr geschaffen, der alle Männer vom 17. bis 40. Jahre, die in das stehende Heer nicht eingereiht waren, angehörten. Der Landwehr wurde das Recht der Offizierswahl nicht gegeben, ja, man hatte trotz des Hasses gegen die Fremdherrschaft, der in weitesten Kreisen der Bevölkerung loderte, so wenig Vertrauen zu ihr, dass man in der Landwehr scharfe Disziplinarstrafen einführte. Es war ein Beweis des schlechten Gewissens der Junker, die nicht recht glauben wollten, dass sich das von ihnen so lange geschurigelte Volk für ihre Herrschaft schlagen konnte. Die Landwehr bestand aus 118.000 Wehrmännern.

Die Armee, die Preußen von der Fremdherrschaft befreite, war ein rein milizartiges Gebilde. Sie siegte, weil Frankreichs Volk schon ermüdet war von den Opfern, die ihm die napoleonische Herrschaft auferlegte, und wenn es gegen ihn noch nicht rebellierte, so ging es zum größten Teil ohne Elan in den Kampf. „Wir sahen oft Abteilungen ungeschlachter Bauern, die sich nach Schlesien begaben, durch unsere Bataillone marschieren, — ohne Ordnung, ohne Waffen und ohne Führer. Sie stießen Freudenschreie aus und betrachteten mit drohenden Blicken unsere Soldaten. Eine solche Begeisterung, wie sie die Liebe zum Vaterland einflößt, ist der passiven Kraft überlegen, die oft nur widerwillig der Gewalt gehorcht, die sie beherrscht“ — schrieb der damals in der Mark stehende französische General Labaume in seinen Erinnerungen. Und ein begeistertes besiegt ein ohne das eigene Interesse kämpfendes Volksheer.

In der junkerlichen Militärliteratur setzte nach den Befreiungskriegen eine eifrige Arbeit zur Minderung der Verdienste der Landwehr ein, die bis zum heutigen Tage andauert. Über ihren historischen Wert entscheidet schon die Tatsache, dass auch das so genannte stehende Heer gar nicht stehend und sehr wenig ausgebildet war. Das übrige über diese Hetze gegen die Landwehr zur höheren Ehre der Institution der stehenden Heere sagt Treitschke, wahrhaftig kein Gegner des Militarismus:

Die Wehrmänner hatten noch eine Zeitlang mit den natürlichen Untugenden ungeschulter Truppen zu kämpfen; beim ersten Angriff hielten sie nicht leicht stand, wenn ein unerwartetes Bataillonsfeuer sie in Schrecken setzte: kam es zum Handgemenge, dann entlud sich die lang verhaltene Wut der Bauern in fürchterlicher Mordgier; nach dem Siege waren sie wieder schwer zu sammeln, da sie den geschlagenen Feind Immer bis an das Ende der Welt verfolgen wollten. Nach einigen Wochen wurde ihre Haltung sicherer, und gegen den Herbst hin begann Napoleons Spott über „dies Gevölk schlechter Infanterie“ zu verstummen. Die kampfgewohnten Bataillone der Landwehr waren allmählich fast ebenso kriegstüchtig geworden wie das stehende Heer, wenngleich sie weder mit der Disziplin noch mit der stattlichen äußeren Haltung der Linientruppen wetteifern konnten und immer unverhältnismäßige Verluste erlitten: eine in der Kriegsgeschichte beispiellose Tatsache, die nur möglich ward durch den sittlichen Schwung eines nationalen Daseinskampfes“.11

Im Kampfe gegen die napoleonische Fremdherrschaft wurde zum ersten Mal die allgemeine Wehrpflicht rücksichtslos verwirklicht in einer, obwohl von reaktionären Elementen durchsetzten, so doch milizartigen Form. Das Junkertum stand nach dem Siege vor der Aufgabe, den Folgen der Differenz zwischen der demokratischen Heeresform und der reaktionären allgemeinen Staatsform vorzubeugen, und die Frucht seiner Bemühungen ist die jetzige Gestalt der Heeresform, das stehende Heer der allgemeinen Wehrpflicht: das Volk in Waffen als Waffe gegen das Volk.

4. Das stehende Heer der allgemeinen Wehrpflicht.

Das Heer soll ferner während des äußeren Friedens die gefährdete Ordnung im Innern und aus nahe liegenden Gründen gewöhnlich gleichzeitig auch bei den Nachbarn erhalten und zwar, wie es Baden und Sachsen gezeigt haben, nicht allein bei den schwachen Nachbarn …

Will man daher nicht in jedem einzelnen Fall der Störung der Ordnung Reserven und Landwehr einziehen, so muss das stehende Heer eine angemessene Stärke haben.“

(General von Griesheim: „Lebensfragen der Landwehr. 1860“.)

Die Revolutions- und Befreiungskriege haben dem Militarismus eine neue Bahn gewiesen, die der Ausnutzung der allgemeinen Kräfte der Nation zum Heeresdienst. Sie eilten der wirtschaftlichen Entwicklung voraus, die auch ohne sie zu dem allgemeinen Heeresdienst führen musste. Denn da der komplizierte Mechanismus der kapitalistischen Gesellschaft sich durch keine Kabinettsregierung leiten lässt, sondern eine mehr oder weniger demokratische Regierung erfordert, so war es auf die Dauer undenkbar, dass die sich demokratisch regierenden Völker eine Institution dulden könnten, die wie Söldnerheere von Haus aus ein Instrument der herrschenden Cliquen gegen das Parlament und die Demokratie überhaupt wäre. Dass aber die allgemeine Wehrpflicht in erster Linie in dem verhältnismäßig so wenig kapitalistisch entwickelten Lande wie Preußen zur Durchführung kam, hatte seine guten Gründe. Zwar bestand in Preußen eine Partei, die die Rückkehr zu den alten Verhältnissen forderte; sie bestand aus jenen, die „durch eine Verewigung der damaligen Wehreinrichtungen ihre Gerechtsame und Interessen bedroht sahen und deshalb trotz der schweren Lehren der letzten acht Jahre die Beseitigung der neuen Einrichtungen wünschten“ — schreibt der Historiker des preußischen Heeres.12 War nun diese Partei. auch nur klein, so war sie doch einflussreich und das um so mehr, als ihr im Grunde des Herzens auch der König angehörte. An den traurigen Finanzen, die die Schaffung eines Söldnerheeres nicht erlaubten, scheiterten jedoch die Pläne der Besten der Nation, und am 3. September 1814 wurde die Wehrordnung veröffentlicht, die aus den Lehren der letzten Jahre die nötigen Schlüsse zog. Sie war ein Werk des Kriegsministers Boyen, des Freundes Scharnhorsts. Sie baute sich auf dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht auf. Gleichzeitig führte sie die dreijährige Dienstzeit ein, da die Freiheitskriege gezeigt haben, dass eine Durchbildung des Heeres auch bei dem größten Enthusiasmus der Soldaten notwendig ist. Im Prinzip richtig, war diese neue Institution der Ausbildung der auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht Ausgehobenen durch die lange Dienstzeit den Ängsten des Junkertums gegen das Volk in Waffen angepasst. Nach dreijähriger Dienstzeit wurde der Soldat auf sechs Jahre der Landwehr ersten Aufgebots zugezählt, die während des Friedens eine völlig selbständige Organisation besaß und zusammen mit den stehenden Truppen die Feldarmee bildete. Nach sechs Jahren sollte der Soldat wieder der Landwehr des zweiten Aufgebots auf sechs Jahre angehören, deren Aufgabe im Kriege der Besatzungsdienst (Festungen usw.) bildete. Das Vorrecht der Gebildeten wurde auch verewigt, indem ihnen das Recht auf einjährige Dienstzeit und das Recht auf Offizierstellen in der Landwehr eingeräumt wurde. Auch die am 21. November des Jahres 1815 eingeführte Landwehrordnung war reaktionär: ihre Offiziere wurden gewählt durch die Kreisbehörden und Kreisausschüsse, in welchen die Junker oder Geldsäcke den Ausschlag gaben, aus ausscheidenden aber noch landwehrpflichtigen Offizieren des stehenden Heeres, aus Einjährig-Freiwilligen, die sich die Befähigung zum Offizier schon erworben hatten, aus Unteroffizieren, die freie Grundbesitzer waren, oder aus Landwehrleuten, die ein Vermögen von 10.000 Talern oder ein entsprechendes Einkommen hatten.

Die Heeresorganisation Boyens war also eine Verkoppelung der demokratischen Wehrpflicht mit reaktionären Institutionen, die den Durchbruch der demokratischen Ideen im Heere hemmen sollten. Kaum war der Sieg gewonnen, als die Restauration, in allen Teilen des Staatswesens, so auch in Bezug auf das Heer sich von neuem breit machte — schrieb W. Rüstow‚13 ein früherer preußischer und späterer Schweizer Offizier, der dort zum Rang des Oberstbrigadiers gelangte und in den sechziger Jahren als einer der hervorragendsten deutschen Militärschriftsteller galt. Er bewies in seiner auch jetzt noch sehr lesenswerten Schrift, dass, während auf 2½ Millionen Menschen der besitzenden Schicht in Preußen, aus der sich selbst in einem nichtdemokratischen Staat die Offiziere rekrutieren müssten, nur 68.000, der sechsunddreißigste Teil, auf den Adel fällt, also von 12.000 Offizieren nur 333 dem Adel angehören müssten, sie in Wirklichkeit aber sechzehn Mal stärker waren, wobei die bürgerlichen Offiziere in erster Linie in der Landwehr dienten und für höhere Stellungen gar nicht in Betracht kamen. Und das junkerliche Offizierskorps hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Exerzier- und Paradeplackereien der alten Armee in die neue Armee zu verpflanzen, was schon dadurch erklärbar ist, dass es sonst nichts in den drei Jahren der Dienstzeit zu tun hatte. Es genügt, einen Blick in die Broschüren, die massenweise in der Zeit des Kampfes um die Reorganisation der Armee (in den Jahren 1859 bis 1865) erschienen sind, zu werfen — wir nennen hier von vielen14 nur die anschaulichen Schilderungen in der Schrift: „Das preußische Volk in Waffen und die neue Militärorganisation“ (Berlin 1861) oder das Buch des biederen liberalen Hauptmanns P. J. Wilcken: „Deutsches Heer und Deutsches Volk“ (Leipzig 1862) —‚ um zu sehen, wie schnell der Spiritus der Freiheitskriege verflogen war und öder Drill seinen Platz einnahm. Hand in Hand damit ging die Züchtung der Soldateska, die in der Form der Kapitulanten den Rekruten den kärglichen Platz im stehenden Heere schmälerten, indem sie sie unausgebildet in die Landwehr abschob und den Wert der Landwehrtruppen herabminderte. Dazu kam noch das Verkommen der fast gar nicht geübten Landwehr, das später als Argument für die Verstärkung des stehenden Heeres dienen sollte. Als wegen der verschlechterten Finanzlage im Jahre 1832 die Dienstzeit bei der Infanterie auf zwei Jahre verkürzt wurde, hatte dies keine weiteren günstigen Folgen für die Entwicklung des Heeres in der Richtung der Demokratie, weil der allgemeine Schlendrian, der im ganzen Heerwesen herrschte, überhaupt jede Entwicklung des Heeres hemmte.

Eine Änderung trat erst ein, als durch die schnellere wirtschaftliche Entwicklung in der Ära der Konterrevolution, durch die Aufrollung der italienischen Frage, wieder Leben in die europäische Bude kam. Die Revolution des Jahres 1848 hat die Frage der Einigung Deutschlands nicht gelöst. Das Bürgertum war damals zu schwach und zu ängstlich, um den revolutionären Kampf um die Einigung Deutschlands, der in einen Krieg gegen Russland ausmünden musste, auf seine Schultern zu nehmen. Die Reaktion fühlte anfangs der sechziger Jahre, als der Puls der politischen Entwicklung schneller zu schlagen begann, dass die Reihe an sie kam. Sie hatte zwar noch keinen bestimmten Plan, aber das wusste sie: mit der Schlamperei, durch die sie sich bei der Mobilisation vor ganz Europa kompromittiert hatte, ging es nicht weiter. Vom Jahr 1815, wo Preußen erst 10 Millionen Einwohner hatte, bis 1859, wo die Zahl derselben auf 18 Millionen stieg, begnügte man sich mit der Aushebung von 40.000 Mann. Im Jahre 1859 entschloss sich die Regierung, diese Zahl auf 63.000 zu erhöhen, was, wie Rüstow15 und Engels16 bewiesen, bei weitem nicht hinreichte, um die allgemeine Wehrpflicht zu verwirklichen. Aber mit diesem Fortschritt verband sie durch und durch reaktionäre Schritte. Die Dienstzeit der Infanterie wurde wieder auf drei Jahre erhöht; 36 Landwehrregimenter wurden in Linienregimenter verwandelt. Das erste Landwehraufgebot wurde überhaupt aufgehoben: nach dreijähriger Dienstzeit unter den Fahnen trat der Soldat auf vier Jahre in die Reserve ein, den Rest der Dienstzeit verbrachte er bei dem zweiten Landwehraufgebot, das nur als Besatzungstruppe diente. Das bedeutete die Verdoppelung des stehenden Heeres bei der Infanterie und seine Vergrößerung um die Hälfte bei der Kavallerie und Artillerie.

Die liberale Bourgeoisie, die im preußischen Landtag das Heft in Händen hatte, merkte, wie hier der Hase lief. Die Einverleibung der Landwehr in das stehende Heer, die Steigerung seiner Gefügigkeit in den Händen der Regierung durch Verlängerung der Dienstzeit, bedeutete eine Stärkung der Macht der Regierung und der hinter ihr stehenden bürokratisch-junkerlichen Schichten. Aber da die Bourgeoisie auf den selbständigen Kampf um die Vereinigung Deutschlands schon lange verzichtet hatte und seit den sechziger Jahren nicht mehr für das einige Deutschland, sondern für das größere Preußen unter dem Zepter der Hohenzollern schwärmte, so war ein Kampf gegen die Ausrüstung der preußischen Regierung zur Erfüllung ihrer Aufgaben von vornherein für sie verlorene Liebesmüh. Für die Bourgeoisie bestand nur die Möglichkeit, auf dem Boden der Erweiterung der preußischen Heeresmacht gegen ihre reaktionäre Form zu kämpfen. Da der Regierung sehr an der Unterstützung der Bourgeoisie gelegen war, hätte ein solcher Kampf sehr gute Aussichten gehabt. Aber die Bourgeoisie führte ihn so direktionslos, dass sie der Regierung ermöglichte, sie beiseite zu schieben und gegen sie die Roonsche Reform durchzuführen. Im Jahre 1866, nachdem Preußen dank den durch die Bourgeoisie abgelehnten Rüstungen Österreich besiegte, kroch die Bourgeoisie zu Kreuze und erteilte der Regierung Indemnität.

So wurden die Grundlagen des heutigen deutschen Militarismus geschaffen; denn das Reichsgesetz dehnt die Roonsche Armeeorganisation mit nur kleinen Änderungen auf ganz Deutschland aus. Ein Produkt der allgemeinen Wehrpflicht, verleugnet der heutige Militarismus seine demokratische Herkunft: er hält das Volk lange über die notwendige Ausbildungszeit hinaus unter Waffen, um es gegen den inneren Feind auszubilden; er beraubt das Volk in dem Moment, wo es dem Staate das größte Opfer bringt, des Rechtes auf Selbstregierung, indem es ihm Offiziere aufoktroyiert, die nur von der Regierung abhängig sind; aber gleichzeitig ist die Armee nur das, was das Volk ist, denn auf die Dauer lässt sich der Inhalt des Volkslebens nicht durch die militaristische Form erdrücken; sie kann ihn nur verhüllen. Die Entwicklung der modernen Heeresorganisation, die mit dem Söldnerheere begann, endet mit einer Formation, die die tiefsten Widersprüche enthält, Widersprüche, die im Laufe der hier skizzierten Entwicklung schon hart aufeinander stießen. Der Widerspruch zwischen dem Söldnertum und der Milizidee, wie sie sich in den brandenden Wogen der französischen Revolution gezeigt hat, ist nicht aufgehoben. Umgekehrt ist er in eine Organisation übergegangen, in der er auch zur Austragung kommen wird. Bevor wir jedoch zur Schilderung des Kampfes dieser Gegensätze im Kapitel über „Die Entwicklungstendenzen des modernen Militarismus“ kommen werden, gilt es zuerst die hier gegebene historische Darstellung durch eine Analyse der Begriffe der Miliz und des stehenden Heeres zu vertiefen, wozu sich am besten die Schilderung des Verhältnisses der Bourgeoisie zu Miliz und Militarismus eignet, für die eben die Zeit der siebziger Jahre, bei der wir angelangt sind, am geeignetsten ist, denn in der Zeit vom Kampfe um die Armeereform bis zur Gründung des Deutschen Reiches (1860 bis 1871) vollzieht sich die Schwenkung der liberalen Bourgeoisie von der Miliz zum Militarismus.17

1 Hier sei darauf hingewiesen, dass die entscheidende Ursache des Niedergangs des Rittertums in diesen allgemeinen Zusammenhängen und nicht in der Entdeckung des Schießpulvers liegt. Wenn also Engels im Anti-Dühring (S. 173) sagt: „Im Anfang des 14. Jahrhunderts kam Schießpulver von den Arabern zu den Westeuropäern und wälzte die ganze Kriegsführung um“, so vergisst er in diesem Moment, was er weiter selbst betont, dass dieser Prozess drei Jahrhunderte dauerte. Das mindert natürlich nicht den Wert seiner weiteren Ausführungen, wie der ganzen Skizze über die Entwicklung des Militärwesens. die in wahrhaft genialer Weise einen Rahmen für die Geschichte des Kriegswesens darbietet.

2 Die Schilderung aller dieser Zusammenhänge findet der Leser im trefflichen ersten Teil [von] Kautskys Werk: „Thomas Morus“ (Dietz, Stuttgart), in dem ersten Kapitel von Engels: „Bauernkrieg“ (Berlin, Vorwärtsverlag) und in Mehrings „Gustav Adolf“ (Berlin, Vorwärtsverlag).

3 Zitiert bei Sombart „Krieg und Kapitalismus“, S. 17, Berlin 1913.

4 Das Material zu diesem Kapitel, das das Aufkommen des Söldnerwesens betrifft, wurde aus H. Schulz: „Blut und Eisen“, das, welches seine Weiterentwicklung in Preußen betrifft, aus der Lessinglegende Mehrings geschöpft. Die bürgerlichen Quellen, wie Osten-Sackens Werk: „Preußens Heer von seinen Anfängen bis zur Gegenwart“ (Berlin 1911, 1. Band), — das eine Zusammenfassung der sämtlichen entsprechenden militärischen Literatur darstellt — geben dem Leser des Mehringschen Buches nichts als illustratives Material; dafür fehlt ihm auch alles, was dem Buche Mehrings nicht nur den Wert einer klassischen historischen Darstellung, sondern eine aktuelle Bedeutung in unserem Kampfe um die Miliz gibt: das ist die Methode, nach der er die Entwicklung des Heerwesens darstellt. In unserer Propaganda für die Miliz wurde gerade hierin am meisten gesündigt: die Miliz wurde oft als fertiges Gebäude dem stehenden Heere entgegengestellt als nationalistisch begründete Forderung, ohne inneren Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung des Heereswesens wie des Kapitalismus. Dieser Fehler und seine Folgen werden dem Leser speziell einleuchten, wenn er sieht, wie ganz entgegengesetzt Mehring die Entwicklung der Heeresorganisation behandelt. Auch in dem folgenden Kapitel gebrauchen wir die Lessinglegende.

5 Es ist ergötzlich zu lesen, wie Daniels in seiner „Geschichte des Kriegswesens“ (Bd. 5, S. 99) die sozialen Gründe der Tapferkeit der „lndependenten“ — es drohte ihnen voller Ruin seitens der Großgrundbesitzer — in rein ideologische (religiöse) umzuwandeln sucht.

6 Seumes ausgewählte Werke, Leipzig 1912, S. 37.

8 v. d. Golz: „Kriegsgeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert‘‘, Bd. 1, S. 187, Berlin 1910, Bondi.

9 Othomar von der Osten-Sacken: „Preußens Heer von seinen Anfängen bis zur Gegenwart“, Bd. 1, S. 376. Berlin 1911, Mittler.

10 v.d. Osten-Sacken: „Preußens Heer usw.“, Bd. 2, S. 2.

11 Heinrich von Treitschke: ‚‚1813‘‘ (S. 80). Leipzig 1913, Verlag Hirzel.

12 v.d. Osten-Sacken: „Preußens Heer usw.“, Bd. 2, S. 158. Mittler

13 W. Rüstow: „Die preußische Armee und die Junker.“ Hamburg 1862, S. 39.

14 Um dem Leser einen Begriff zu geben, wie sehr sich damals die Öffentlichkeit für die Frage des Heerwesens interessierte, sei nur gesagt, dass die Broschüren-Literatur der Heeresreform der sechziger Jahre in der bremischen Stadtbibliothek 16 große Bande (durchschnittlich 6 Nummern enthaltend) einnimmt.

15 Rüstow: „Die Wahrheit über den preußischen Wehrgesetzentwurf“. Nördlingen 1860. Er bewies, dass 120.000 Mann dienstfähig sind. S.12 seiner Broschüre.

16 Engels: ‚‚Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei 1865.‘‘ Dieses sehr wichtige Dokument ist abgedruckt im 5. Halbjahresband 1905 der von der „Frankfurter Volksstimme“ herausgegebenen Sammlung: „Aus der Waffenkammer des Sozialismus“. Die Engelssche Broschüre ist sehr wichtig vom methodologischen Standpunkt für die Frage vom Verhältnis der sozialen Demokratie zur Milizfrage. Wir werden auf sie zurückkommen.

17 Schon während der Abfassung dieses letzten Teiles des Kapitels über die Entwicklung der Heeresorganisation fällt uns die kleine Schrift: „Staatsverfassung und Heeresverfassung‘‘ (Dresden 1906, Zahn und Jaensch) von Otto Hintze in die Hände. Sie gibt auf 99 Seiten eine treffliche Skizze. Nach der Engelsschen aus dem Anti-Dühring gelesen, kann sie den Lesern, die keine Möglichkeit haben, die Frage in größerem Umfang zu studieren, sehr gute Dienste leisten.

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