Karl Radek 19230907 Die deutschen Junker übernehmen das Kommando

Karl Radek: Die deutschen Junker übernehmen das Kommando

[Internationale Pressekonferenz Nr. 143, 7. September 1923, S. 1237f.]

Der deutsche Reichskanzler, Herr Stresemann, stellte sich zuerst dem souveränen Reichstag vor, aber nachdem diese Pflicht erfüllt war, setzte er sich auf die Eisenbahn und fuhr nach Mittenwald in Bayern wo der bayerische Ministerpräsident, Herr von Knilling, seine Ferien verbringt. Der faschistische “Völkische Beobachter” fragt höhnend, warum denn Herr Stresemann seinen Besuch nicht zuerst bei dem sächsischen Ministerpräsidenten, dem Sozialdemokraten Zeigner, gemacht hat, sondern bei einem der Chefs der deutschen Konterrevolution, bei dem Chef der bayerischen Regierung, die am ersten Tage der Bildung der Stresemannschen Regierung ihr das Misstrauensvotum öffentlich ausgesprochen hat.

Herr Stresemann könnte darauf antworten, dass der Parteivorstand der deutschen Sozialdemokratie schon dafür sorgt, um den braven Zeigner an die Strippe zu nehmen, dagegen ist es die Aufgabe des Reichskanzlers selbst, sich mit den konterrevolutionären Kreisen zu verständigen.

Um sich diese Aufgabe zu erleichtern, lässt die Koalitionsregierung kommunistische Organisationen auflösen, kommunistische Zeitungen verbieten und Betriebsräte verfolgen, obwohl der Finanzminister, Herr Hilferding, erst vor kurzem auf der Tagung der Zweiten Internationale in Hamburg erklärt hat, der Sozialismus sei nicht mehr ein Endziel, sondern er erfülle die Arbeiter in den Fabriken, die von dem Bestreben beseelt seien, die Kontrolle einer Produktion zu übernehmen.

Alle die Bemühungen der Stresemann-Hilferding-Regierung, die deutsche Konterrevolution zu beruhigen, sind nicht nur von keinem Erfolg gekrönt, sondern sie haben die Konterrevolution so ermutigt, dass sie offen den Sturz der Regierung Stresemann vorbereitet. Wir sprechen nicht von der Presse der Deutsch-Völkischen und der National-Sozialistischen Partei, die mit einer erfrischenden Klarheit ihre Positionen gegenüber der Stresemann-Hilferding-Regierung bezieht. Die Klarheit des Auftretens war der Vorzug dieser konterrevolutionären Organisation. Wir sprechen von der Entschließung der Deutschnationalen Volkspartei, die sich am 28. August im Reichstag versammelt hat, uns nach den Referaten der Herren Hergt, Helfferich, Schiele und Reichert ein offizielles Umsturzprogramm anzunehmen.

Was besagt dieses Programm? Außenpolitisch stellt es die Forderung auf Aufhebung des Versailler Friedens, Bewaffnung des deutschen Volkes, Durchführung des Widerstandes an der Ruhr mit jedem Mittel. Dieses außenpolitische Programm ist aber nur eine Kulisse. Als im Jahre 1920 Kapp die Regierung Eberts aus Berlin verjagte, ließ er sofort verkünden, dass seine Regierung den Versailler Frieden, soweit es möglich ist, erfüllen wird. Und hinter Kapp stand doch als Berater derselbe Dr. Helfferich, der jetzt politisch die Deutschnationale Volkspartei leitet, und derselbe Oberst Bauer, der der Hauptstratege der nationalistischen militärischen Geheimverbände ist. Und es unterliegt gar keinem Zweifel, dass, wenn der faschistische Umsturz gelingen würde, die Herren Hergt und Helfferich versuchen würden, sich mit der Entente zu verständigen. Sie stellen jetzt das Kampfprogramm gegen die Entente auf, um die Massen der Offiziere, der nationalistischen Intellektuellen wiederzugewinnen, die die Junkerpartei verließen und sich — den extrem-nationalistischen Organisationen anschlossen.

Das Hauptstück des Programms liegt auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik. Als in der ersten Woche des August die Arbeitermassen die Fabriken verließen, haben die Junker aus Angst vor der Revolution die neuen Steuern bewilligt. Jetzt erklären sie mit der Unverfrorenheit, die sie auszeichnet, das sei nur geschehen zur verstärkten Durchführung des Abwehrkampfes am Rhein und an der Ruhr und zur Stärkung der Ordnung im Innern. “Die Voraussetzungen sind heute nicht mehr gegeben.” Warum, sagen die Herren Junker nicht. Die Franzosen sind an der Ruhr und am Rhein geblieben, die Ordnung im Innern ist mehr bedroht als je, geändert hat sich nur eins: die Garde hat sich vom Schreck erholt, und darum erklären die Deutschnationalen, dass sie die Stundung der Stenerzahlung fordern und dass die Sicherung der Volksernährung nur dann erfolgen wird, wenn eine Regierung an die Stelle der jetzigen kommt, die das Vertrauen der Junker verdienen wird. Sie fordern gleichzeitig, dass die Schaffung eines real fundierten Geldes in die Hände der wirtschaftlichen Berufsstände gelegt werden muss.

Was bedeutet das real? Die Junker erklären der Stresemann- und Hilferding-Regierung den Steuer- und Lebensmittelboykott und verlangen den Versuch der Schaffung eines Geldes durch das Verband der Großgrundbesitzer und der Eisen- und Kohlenbarone.

Um für dieses reale Programm das Kleinbürgertum zu gewinnen, fordern sie die Beschaffung von Wohnstätten und Heizmaterial für den Winter für die mittellose Bevölkerung, die Ausweisung der Juden und die Freigabe ihrer Wohnungen für die Kriegsbeschädigten und die Opfer des Ruhrkrieges (seine Villa in Grunewald will Herr Helfferich behaftet). Zum Schluss fordern sie den Kampf gegen die Schieber und Prasser, natürlich mit Ausschluss der junkerlichen.

Und wie soll dieses Programm verwirklicht werden? Ein Diktator soll bestimmt werden, und falls der Reichstag darauf nicht eingeht, soll darüber das Volk entscheiden. Wie das Volk entscheiden soll, sagen die Herren nicht. Aber es ergibt sich aus der Erklärung: “Wo der staatliche Schutz versagt, wird die ordnungsliebende und die wirklich arbeitende Bevölkerung den Schutz ihrer Heimat und Arbeit selbst in die Hand nehmen.” Da in derselben Entschließung weiter gesagt wird: ‚;dem Versuch einer zweiten Revolution werden wir rücksichtslosen Widerstand entgegensetzen”, so kann man daraus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schließen, dass Herr Helfferich sich nicht unter den Schutz der proletarischen, sondern unter den Schutz der faschistischen Hundertschaften begeben will.

Diese Erklärung gewinnt ihre größte Bedeutung, wenn man bedenkt, wie vorsichtig sich Herr Helfferich und Herr Hergt während des Kapp-Putsches gehalten haben. Sie haben das Zuchthaus zwar mit dem Ärmel gestreift, indem sie als Berater der konterrevolutionären Rebellen wirkten, aber sie haben sich nicht offen an die Spitze des Putsches gestellt. Die Zeit schien ihnen noch nicht gekommen zu sein. Auch in der Zeit, als Wulle, Gräfe und Henning die Deutschvölkische Partei gebildet haben, hielt die Deutschnationale Volkspartei den Augenblick für die offene programmatische Stellungnahme noch nicht für gekommen. Sie haben Wulle, Gräfe und Henning aus ihrer Partei ausgeschlossen. Jetzt aber halten sie die Zeit für reif, um sich an die Spitze der Konterrevolution zu stellen.

Die faschistische Presse tut, als ob sie sich dieser Entscheidung gegenüber abwartend verhalten wollte. Sie meint, es komme nicht darauf an, was die Deutschvölkischen sagen, sondern was sie tun werden. Das alles ist nur ein Manöver, das den kleinbürgerlichen Massen verhüllen soll, dass die alte Garde der Brotwucherer die Leitung der deutschvölkischen und national-sozialen Bewegung übernimmt. Diese Tatsache ist aber außerordentlich wichtig zur Kennzeichnung nicht nur der Schärfe der sozialen Gegensätze, sondern auch des Charakters der völkischen Bewegung. Sie ist eine kleinbürgerliche Bewegung, aber sie bildet nur das Mittel zur Eroberung der Macht durch die Junker. Die Junker selbst sind schon in ihrer Partei koaliert mit der Schwerindustrie und dem Finanzkapital. Das besagen schon die Namen von Helfferich und von Reichert. Herr Stinnes und seine Presse verhalten sich noch zurückhaltend, aber auch sie werden bald auf den Appell antworten, und dann wird die faschistische Front aufmarschiert dastehen. Aber damit wird auch der Moment ihres Zerfalls und ihrer Aufrollung kommen. Die kleinbürgerlichen Massen werden sehen, wem sie dienen: den Brot- und Kohlenwucherern.

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