Karl Radek 19230903 Hände weg von Deutschland

Karl Radek: Hände weg von Deutschland!

[Internationale Pressekonferenz Nr. 141, 3. September 1923, S. 1221f.]

Herr Stresemann gab in seiner Rede der Meinung Ausdruck, die Lage Österreichs wäre auch für Deutschland sehr wünschenswert. Die Lage Österreichs besteht darin, dass die kapitalistische Welt in der Person des Völkerbundes Österreich zur Stabilisierung des Kronenkurses eine kleine Anleihe gewährte und dass für diese Hilfe, für die sehr hohe Prozente zu zahlen sind, Österreich auf seine Unabhängigkeit verzichtete. Der Kommissar des Völkerbundes, Herr Zimmermann, ist der Diktator Österreichs. Das Parlament hat gar keine Bedeutung mehr. Der kleine Staatsrat neben Herrn Zimmermann spielt nur eine rein beratende Rolle. Herr Zimmermann verfügt nicht nur darüber, wie viel tausend Beamte auf die Straße zu werfen sind, sondern selbst darüber wer eine Freikarte für die Eisenbahn bekommen soll.

Wir zweifeln stark daran, dass die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes mit diesem Ideal des Herrn Stresemann einverstanden wäre. Selbst daran zweifeln wir, dass die Mehrheit des deutschen Reichstags, der heute schon nicht mehr die Meinung des sowohl nach rechts wie auch nach links radikalisierten Landes widerspiegelt, damit einverstanden wäre.

Die Idee der Verwandlung Deutschlands in eine Kolonie der Entente nach dem Beispiel Österreichs ist an sich schon eine Utopie. Die Bevölkerung Deutschlands ist zehnmal so groß als die Österreichs Die zur Stabilisierung der deutschen Mark, zur Regelung der deutschen Finanzen erforderliche Summe ist ungeheuer groß. Es ist unmöglich, diese Summe auf dem Weltmarkte aufzutreiben. Der Vertreter der Morgan-Bank hat in seiner Rede im Dezember vorigen Jahres darauf aufmerksam gemacht, dass die amerikanischen Banken über eine solche Summe nicht verfügen, dass sie sie sich auf dem Weltmarkte von den Wertpapierkäufern verschaffen müssten. Aber diese Käufer nehmen nur solche Papiere, an deren Rentabilität sie glauben.

Sowjetrussland ist ein Land, in dem revolutionäre Ordnung herrscht. Die Intervention ist gescheitert, die früher herrschenden Klassen Russlands sind zerschlagen und in Atome zerstreut; selbst der “Nep”-mann, der auf dem Boden Sowjetrusslands, d. h. auf der Grundlage der Enteignung der alten Besitzer, entstanden ist, ist der alten Bourgeoisie gegenüber feindselig gesinnt. Das Bündnis zwischen der Bauernschaft und der Arbeiterklasse Russlands wird immer fester. Russland schreitet auf dem Gebiete des Wiederaufbaues vorwärts: wir haben die inneren Erschütterungen überwunden und vor uns steht die schwere Arbeit des Ausbaues des neuen Russlands. Russland ist im Besitze riesiger Naturreichtümer und trotzdem fließt das ausländische Kapital sehr langsam zu. Das Weltkapital fühlt sich noch unsicher.

Wie man auch die Aussichten Deutschlands beurteilen mag — es sind immerhin Aussichten auf Erschütterungen. Der deutsche Finanzminister, Herr Hilferding, sagte, die heutige Regierung sei die letzte Reserve Deutschlands. Wir sind nicht so pessimistisch wie Herr Hilferding, und indem wir der heutigen deutschen Regierung alles Gute wünschen, hoffen wir doch, dass das deutsche Volk über sehr große schöpferische Kräfte verfügt.

Für uns ist eines klar: selbst wenn dese Regierung der Aufgabe der Gesundung der Verhältnisse gewachsen wäre, müsste sie sich bei dieser Gesundung in erster Linie auf innere deutsche Kräfte stützen, da das ausländische Kapital Deutschland nicht zu Hilfe kommen will. Das Ausland fürchtet sich vor den bevorstehenden tiefen Erschütterungen in Deutschland.

Die Maßnahmen, durch de die deutsche Regierung das Land zu retten versucht, werden sich gegen die breiten Volksmassen richten. Selbst wenn es der Regierung gelingt, durch die angekündigten diktatorischen Maßnahmen einige hundert Millionen Goldmark zu bekommen, so muss sie doch selbst eingestehen, dass von Erleichterungen für die breiten Massen der Bevölkerung keine Rede sein kann. Der Versuch der Markstabilisierung, der Regelung des Budgets bedeutet die Absicht, Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Beamten und Angestellten auf die Straße zu werfen, den Arbeitslohn herabzudrücken, eine ganze Reihe von Staatsunternehmungen dem Privatkapital zu überlassen. Die Gesundungskrise wird zu einer Krise der bürgerlichen Gesellschaftsordnung in Deutschland. Aber eine solche Krise kann auch hervorgerufen werden durch den Versuch eines Abkommens mit Frankreich unter jenen unerhört schweren Bedingungen, die die Verbündeten stellen werden, selbst dann, wenn sie sich untereinander verständigen sollten.

Das Weltkapital, das nicht imstande ist, Deutschland vor dieser Krise zu retten, versucht diese Krise auszunutzen und seine schweren Tatzen auf Deutschland zu legen. Im Falle einer Erhebung der nationalistischen Massen Deutschlands gegen die Annahme der schweren Bedingungen der Entente versucht das französische Kapital, alle seine Kräfte und die Kräfte seiner Vasallen gegen die Gefahr des Wiedererwachens des nationalistischen Deutschlands zu mobilisieren. Im Falle eines Kampfes der deutschen Volksmassen gegen alle neuen Lasten wird das Ententekapital über kommunistische Gefahr zetern und wird gegen sie ihre schwarzen Truppen in Bewegung zu setzen versuchen. Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass die Vorbereitungen für den einen wie für den andern Fall bereits im Gange sind.

Sowjetrussland verfolgt die Entwicklung der Ereignisse und auch diese Vorbereitungen mit Aufmerksamkeit. Es ruft dem kapitalistischen Europa zu: Überlasst dem deutschen Volke die Entscheidung darüber, wie es sich innerpolitisch einrichten will, sonst werdet Ihr das erreichen, was Ihr zu vermeiden sucht, dass sich nämlich die deutsche Erschütterung zu einer europäischen Erschütterung entwickelt.

Sowjetrussland arbeitet an seinem eigenen Wiederaufbau. Es bestellt seinen Boden, stellt seine Eisenbahnen wieder her, setzt seine Fabriken in Betrieb, bringt sein Budget in Ordnung.

Sowjetrussland ist ein Land des Friedens und der Arbeit. Es bewies während der englisch-russischen Krise, wie weit

es in seinen Zugeständnissen zu gehen bereit ist um den Frieden für sich selbst und für die arbeitenden Massen Europas zu bewahren. Aber weder Sowjetrussland noch die arbeitenden Massen Europas werden dem Versuch des internationalen Kapitals, seine Hand auf Deutschland zu legen, gleichgültig zuschauen.

Sowjetrussland ist mit den arbeitenden Massen Deutschlands durch die Bande der tiefsten Klassensolidarität und durch das gemeinsame Schicksal verbunden. Wenn das Ententekapital Deutschland zerstückeln und auf dem Rücken des besiegten deutschen werktätigen Volkes seine Herrschaft aufrichten würde, so würde das für Sowjetrussland die größte Gefahr bedeuten. Es gelang ihm, nicht nur dank der Begeisterung der russischen Volksmassen, nicht nur dank der Unterstützung der Proletarier aller Länder, die Intervention der Verbündeten abzuwehren, sondern auch dank dem Umstande, dass die Verbündeten durch Deutschland keinen unmittelbaren Zugang zu Russland gehabt haben, dass sie die Armeen und das Kriegsmaterial auf dem Seewege und durch ganze Kontinente befördern mussten. Wenn Deutschland sich in den Händen der Entente befinden würde, würde das bedeuten, dass der Zugang zu Sowjetrussland vom Westen sich in den Händen des Weltkapitals befindet; das würde die abenteuerlichsten und selbstsüchtigsten Elemente zu einem neuen Versuch verleiten, dem russischen Proletariat und der russischen Bauernschaft ein bürgerliches Regime aufzuzwingen, die russischen Arbeiter und Bauern zur Bezahlung der Schulden des Zarismus und der Bourgeoisie mit hohen Prozenten zu zwingen, den Grund und Boden den Gutsbesitzern, die Fabriken den Kapitalisten zurückzugeben. Angesichts einer solchen Gefahr würde das Russland der Arbeiter und Bauern gezwungen sein, sich selbst zu sagen: Meine Friedensliebe muss eine Grenze haben.

Die Sowjetdiplomatie wird alles aufbieten, um jedem, den es angeht, den Gedanken einzuflößen, dass es für die kapitalistische Welt am besten sein wird, die Entscheidung über das Schicksal Deutschlands den deutschen Volksmassen zu überlassen und nicht das Schwert in die Wagschale der Geschichte zu werfen, weil nicht nur die kapitalistischen Mächte ein Schwert haben, sondern auch der erste proletarische Staat, Sowjetrussland.

Mit dieser Arbeit der Sowjetdiplomatie muss die Arbeit der werktätigen Massen der Arbeiter und Bauern für die Beschleunigung unseres Wirtschaftsaufbaus, für die möglichst rasche Durchführung der Ernte, für die Besserung. unserer Eisenbahnen, unserer Industrie und unserer Armee Hand in Hand gehen. Die Arbeiter- und Bauernmassen Russlands müssen sich darüber klar sein, dass die Friedensarbeit der Sowjetdiplomatie nur dann Erfolg haben wird, wenn die Feinde des internationalen Proletariats wissen werden, dass die Quelle der Friedensliebe Sowjetrusslands nicht in seiner Schwäche liegt.

Kommentare