Karl Radek 19190000 Die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus und derHamburger nationale Bolschewismus

Karl Radek: Die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus und der Hamburger nationale Bolschewismus

[Anhang III der Broschüre „Karl Radek: Die Entwicklung der deutschen Revolution und die Aufgaben der Kommunistischen Partei“. Hamburg 1920]

Das Manifest der Hamburger „Opposition“

Schon während der Verhandlungen über den Versailler Frieden machte sich in gewissen bürgerlichen Kreisen Deutschlands eine gewisse Richtung bemerkbar, die den Anschluss an Sowjet-Russland aus nationalen Gründen propagierte. Um der Entente Widerstand leisten zu können, solle man sich sogar dem Teufel — den Bolschewisten verschreiben. Da man sich aber gewöhnlich dem Teufel nicht gerne verschreibt, bemühten sich verschiedene Vertreter dieses „nationalen Bolschewismus“ zu beweisen, dass dieser Beelzebub gar nicht so schlecht sei, dass man jedenfalls die proletarische Diktatur so unterstützen könne, dass sie auch von respektablen Leuten akzeptiert werde. Gegenüber dieser Strömung, inwieweit sie nicht ein diplomatisches Spiel verkrachter Politiker war, sondern ein ehrliches Suchen nach Wegen der Reifung nicht nationaler Vorrechte, sondern der deutschen Kultur, hatte die Kommunistische Partei die Pflicht, sich nicht mit reiner Negation zu begnügen. Sie hatte die Pflicht, den ehrlichen Elementen, die es wagten, zur Rettung der nationalen Kultur auf bürgerliche Vorrechte zu verzichten, die Hand zu reichen, ihnen aber gleichzeitig zu sagen, dass der Kommunismus kein Schirm ist, den man während des Regens aufspannen und dann zusammenklappen kann, noch ein Bad, dessen Temperatur man nach Willkür erhöhen oder erniedrigen kann. Zum Kommunismus gelangen Intellektuelle auf verschiedenen Wegen: durch Philosophie, Religion, ja sogar durch Ästhetik. Die nationale Sorge kann auch einen anderen Weg zum Kommunismus bilden. Aber der Kommunismus selbst ist das Ziel der um Befreiung ringenden Arbeiterklasse, und er hat seine eigenen Entwicklungsgesetze und Notwendigkeiten. Wenn die Arbeiterklasse keine Ursache hat, Leute abzuschütteln, die aus verschiedenen Gründen aus dem bürgerlichen Lager zu ihr kommen, so hat sie aber die Pflicht, sich den Vorurteilen und Sonderzwecken dieser Elemente nicht unterzuordnen, sondern die zu ihr Kommenden zu nötigen, entweder den innersten Gehalt des Kommunismus sich anzueignen oder der Partei nicht beizutreten. Mit dem nationalen Bolschewismus kann die Kommunistische Partei in der Zukunft unter gewissen Bedingungen praktische politische Berührungspunkte haben: So zum Beispiel kann er ehrlich national gesinnten Offizieren in Deutschland in der Zukunft den Weg zum freiwilligen ehrlichen Dienst in der deutschen roten Armee bahnen. Aber für den nationalen Bolschewisten gibt es keinen Platz in dem Rahmen der bolschewistischen Partei, noch kann sie ihren proletarischen, internationalen Standpunkt verwischen, um auf national-bolschewistischen Bauernfang zu gehen. Umso weniger kann sie in ihren Reihen eine Richtung dulden, die unter der Maske des kommunistischen Radikalismus die kommunistische auswärtige Politik in eine nationalistische verwandelt. Als die Quelle dieser Strömung entpuppt sich unerwarteter Weise die so genannte Hamburger Opposition. Ihre Führer Wolffheim und Laufenberg veröffentlichen eine Adresse an die Arbeiterklasse Deutschlands, in der sie eine nationalistische Auslandspolitik vertreten, sowohl was die Ziele wie auch die Methoden anbetrifft.

Wie gering auch diese Gruppe ist, ihr Manifest erfordert eine Besprechung, weil es erlaubt, die Unterschiede zwischen kommunistischer und nationalistischer Weltpolitik festzustellen, und weil dieses Manifest wichtige Einblicke in das Wesen der Hamburger Richtung als einer kleinbürgerlichen gewährt. In einer so tiefen Umwälzung, wie die, in der wir uns jetzt befinden, ändern soziale Gruppen und Schichten oft ihre Stellung, je nach dem Gang der Ereignisse. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass, proletarisiert durch den Ausgang des Krieges, Teile der Intellektuellen, des Offizierkorps, des Kleinbürgertums sich in der Richtung des jetzt noch schwachen nationalen Bolschewismus entwickeln werden. Es ist sehr möglich, dass wir in den Führern der so genannten Hamburger Opposition eine Richtung haben, bei der die syndikalistische Konfusion etwas ganz Unwesentliches ist und der nationale Bolschewismus das Wesentliche. Im Anfang einer Revolution kann man bei so genannten Seitensprüngen von einzelnen Intellektuellen niemals wissen, ob es sich um persönliche Konfusion oder um die Keime einer neuen Parteibildung handelt. Angesichts solcher embryonalen Erscheinungen besteht die Aufgabe einer Partei mit festem Boden, diesen Boden von der neuen Strömung klar abzugrenzen. Deshalb ist die vorliegende Untersuchung von Wichtigkeit, selbst wenn die Laufenberg und Wolffheim morgen den nationalen Bolschewismus zugunsten, sagen wir, der buddhistischen Propaganda aufgeben würden. Nicht um ihre Persönlichkeit, sondern um eine politische Richtung handelt es sich, die sich in ihnen manifestiert.

Die Lehren der auswärtigen Politik der russischen Revolution

Nicht um die Beeinflussung der auswärtigen Politik der kapitalistischen Staaten wie vor dem Weltkriege handelt es sich für uns Kommunisten, wenn wir jetzt an die Fragen der auswärtigen Politik geistig herantreten. Die Existenz der russischen Sowjetrepublik stellt uns vor die Frage der auswärtigen Politik des proletarischen Staates, und diese Frage spielt eine große Rolle in unseren Betrachtungen des Sieges des Proletariats in Deutschrand wie in anderen Ländern Europas. Wie kann sich die Stellung der proletarischen Staaten im kapitalistischen Staatensystem gestalten, fragen wir, indem wir von den Voraussetzungen ausgehen, dass das Proletariat nicht auf einmal in allen Staaten siegen wird.

Seitdem der Verkehr so entwickelt ist, dass die Verhältnisse eines Staates die anderen beeinflussen, bekommt jede Revolution internationale Bedeutung und hat internationale Folgen. Auch für die bürgerlichen Revolutionen, die im feudalen Staatensystem in einem Land nach dem andern siegten, entstand die Frage, wie sie sich als Fremdkörper, als Neubildungen zu der feudalen Umwelt stellen sollten. So war es mit der englischen Revolution des siebzehnten, mit der französischen Revolution des achtzehnten Jahrhunderts, mit der Revolution des Jahres 1848. Da die englische Revolution einen Teil des Wachstumsprozesses des bisher zurückgebliebenen englischen Kapitals zum Merkantilimperialismus darstellte, rief sie den Krieg hervor mit dem republikanischen Holland, der damals wirtschaftlich stärksten Macht, wie mit dem modern absolutistischen Frankreich, das unter Colbert zum Merkantilismus überging. Die französische Regierung hatte gegen sich die Koalition des kapitalistischen Englands und des feudalen Mittel- und Osteuropas. Während für England die Kriege gegen Frankreich in erster Linie Kriege zur endgültigen Niederwerfung des kolonial- und handelspolitischen Gegners waren, waren sie für die deutschen Staaten Kriege gegen die bürgerliche Revolution. Die Revolutionen des Jahres 1848 wurden niedergeworfen ebenso durch die Bajonette des russischen Zarismus wie durch das Gold des kapitalistischen Englands. So zeigt schon die Periode der bürgerlichen Revolution, dass die Reaktionen, die jede bürgerliche Revolution erweckte, auf verschiedene sozialpolitische Elemente zurückzuführen sind, nicht nur auf den Gegensatz der gesellschaftlich-politischen Struktur, die die im Gefolge der Revolution sich bekriegenden Länder repräsentierten. Nicht nur bürgerliche Revolution und feudale Reaktion standen sich gegenüber. Dieser Gegensatz wurde oft durchkreuzt durch den Kampf der kapitalistischen Länder untereinander.

Die proletarischen Staaten, die jetzt entstehen, können nicht in Gegensatz zu einander geraten: ihre Interessen sind solidarische. Zu ihrem Glücke können sie auf den Kampf unter den kapitalistischen Staaten einstweilen rechnen als auf einen Faktor, der ihr Entstehen erleichtert.

Die russische Revolution, das erste Kind der durch den Weltkrieg beschleunigten Weltumwälzung, stand im ersten Jahre ihrer Existenz zwischen zwei feindlichen kapitalistischen Lagern, die dank dem aus ihrer imperialistischen Wesensgleichheit resultierenden Gegensatz zu einander verhindert waren, den Gegensatz zu der proletarischen russischen Revolution die Rolle des allein bestimmenden Faktors ihrer Politik spielen zu lassen. Es ist außerordentlich interessant und drollig, in den Memoiren von Ludendorff, Helferich, Czernin zu verfolgen, wie die Machthaber der Zentralmächte in ihrem Verhältnis zur russischen Revolution zwischen der Angst vor ihrem proletarisch internationalen Charakter und dem Willen, im Osten zu einem Frieden zu gelangen, hilflos wankten. Da aber mit dem damaligen Krieg der Krieg nicht verschwand, sondern nur mit anderen Mitteln geführt wird, so kann heute auch die Entente den Willen zur Vernichtung der proletarischen Revolution nicht zum einzigen Leitstern ihrer Politik Russland gegenüber machen. Die Frage, wie sich ein konterrevolutionäres Russland zu Deutschland und Japan stellen würde, beginnt den englischen wie den amerikanischen Imperialismus tief zu beunruhigen, und es ist möglich, dass die Erwägungen dieser Art die auswärtige Politik der beiden ausschlaggebenden Ententestaaten heute schon in höherem Grade beeinflussen, als es uns in concreto bekannt ist.

Aus diesen Zusammenhängen heraus erklärt sich schon (es kommen auch weitere Momente hinzu, von denen wir noch sprechen werden), warum die auswärtige Politik der russischen Sowjetrepublik keinesfalls den eindeutigen Charakter aufweisen konnte, den man nach einem revolutionären Schema von ihr erwartete. Die Bolschewiki haben zusammen mit den anderen Parteien der Zimmerwalder Linken gegenüber den Bestrebungen der Sozialpatrioten und Zentrumsleute nach einem „demokratischen Verständigungsfrieden“ immer darauf hingewiesen, dass ein Friede ohne Ausbeutung und Unterdrückung der Völker nur dann möglich sein wird, wenn die ausschlaggebenden Völker der Welt sich selbst von dem Joche des Kapitalismus befreit haben werden: d. h. nach der Weltrevolution; der Weg zu einem Völkerfrieden führe durch die Revolution in jedem kapitalistischen Lande. Auf die Gegenfrage der Sozialpatrioten, was aber geschehen solle, wenn die Revolution in einem Lande siegen würde, während in den anderen die imperialistischen Kräfte am Ruder blieben und den Krieg weiter führten, antworteten die Bolschewiki: dann müsste die proletarische Regierung alles tun, um durch Veröffentlichung der imperialistischen Geheimverträge usw. die Friedensbewegung in den andern Ländern zu stärken, sie müsste versuchen, mit den Gegnern zu einem ehrlichen Frieden zu gelangen, und sollte dies nicht gelingen, so wäre ihre Aufgabe, die revolutionäre Verteidigung zu organisieren.

Nun, im März 1917 brach der Zarismus zusammen, siegte die Revolution in Russland. Aber zur Herrschaft gelangte einstweilen nicht die Arbeiterklasse, sondern die Vertreter der fortschrittlichen Junker (Fürst Lwow), des Industrie- und Bankkapitals (Gutschkow, die Kadetten) und des Kleinbürgertums (Sozialrevolutionäre und Menschewiki). Verbündet mit dem Ententekapital, veröffentlichten sie die Raubverträge des Imperialismus nicht, führten keinen Kampf um den Frieden, sondern sie organisierten auf Geheiß des Ententekapitals eine neue Offensive. Die kriegsmüde Armee, in der die Revolution den Glauben an die demokratischen Kriegsziele getötet hat, die nach Hause eilen wollte, um den ihr durch die „revolutionäre“ Regierung zugesagten Grund und Boden den Junkern wegzunehmen, wurde immer unwilliger, weiter zu kämpfen. Millionen von Soldaten desertierten, andere saßen untätig in den Schützengräben. Als der Zusammenbruch der Kerenski-Regierung kam, weil sie eine Volksschicht nach der andern durch ihre Politik abstieß, da hatte Russland zwar noch Millionen bewaffneter Männer im Felde, aber keine Armee. Der Transport lag vollkommen zerstört, die Verpflegung der Städte und der Armee war vollständig desorganisiert. Was sollten die Bolschewiki tun? Durch die Veröffentlichung der Geheimverträge, durch ihre Agitation suchten sie die Friedensbewegung in allen kriegführenden Ländern zu stärken, sie forderten alle Regierungen auf, die Friedensverhandlungen zu beginnen. Als die Ententeregierungen sich weigerten, an den Friedensverhandlungen teilzunehmen und die Sowjetregierung allein mit den Vertretern des deutschen Imperialismus an dem Verhandlungstisch in Brest-Litowsk saß, konnte sie bessere Friedensbedingungen herausschlagen, wenn sie sich entschloss, dem deutschen Imperialismus zu helfen, seinen Raubfrieden als einen „Verständigungsfrieden“ zu maskieren. Aber ihrer internationalen Pflichten bewusst, demaskierte sie die Pläne des deutschen Imperialismus, und als er seine wahre Raubnatur zeigte, brach sie die Friedensverhandlungen ab, um erstens noch einmal auf die Arbeiterklasse einzuwirken, zweitens um den deutschen Imperialismus, falls ihm die deutsche Arbeiterklasse nicht in den Arm fallen würde, zu nötigen, ihr offen den Revolver auf die Brust zu setzen, denn nur unter dem direkten Druck der deutschen Offensive konnte sie den Raubfrieden unterzeichnen. Dass, wie die Dinge damals in Russland lagen, die revolutionäre Verteidigung unmöglich war, gaben alle zu. Der Teil der Bolschewiki, der gegen die Unterzeichnung des Brester Friedens ankämpfte, schlug die Räumung des Landes bis zur Wolga vor, den Ausbau des Urals als der Basis für den zukünftigen Krieg, wenn sich der deutsche Imperialismus schwächen wird im Kampfe mit den Arbeiter- und Bauernmassen Russlands, wenn er verbluten wird in den Kämpfen auf den Schlachtfeldern des Westens. Die Mehrheit der Bolschewiki, mit Lenin an der Spitze, wies dagegen darauf hin, es gelte, Zeit zu gewinnen, um in den Massen Zentralrusslands festen Fuß zu fassen, die proletarische Revolution aus einem Schemen in Wirklichkeit zu verwandeln: durch den Ausbau der Räte, durch die Expropriation. Die Zugeständnisse, die man dem deutschen Imperialismus machen müsste, erlauben auf die Dauer keinen sozialistischen Aufbau, aber einstweilen gehe der Krieg weiter. Deutschland erschöpfe sich immer mehr, während die Sowjetmacht sich stärken und so die Möglichkeit gewinnen werde, falls inzwischen die Revolution in Deutschland nicht siegen sollte, in einem günstigeren Moment den Kampf aufzunehmen. Die Richtung Lenins siegte.

Und die Geschichte gab ihm Recht. In ein paar Monaten gelang es, die ersten Korps der neuen, der roten Armee zu bilden, die den tschechoslowakischen Söldnern der Entente Widerstand leisteten, als diese vom Osten her Sowjetrussland für den Friedensschluss „zu strafen“ versuchten. Acht Monate nach dem Brester Frieden lag der deutsche Imperialismus zertrümmert auf dem Boden. Die Sowjetmacht hatte tiefe Wurzeln im Volke gefasst, und als die Entente, um deren letzten Gegner niederzuwerfen, aus den Konterrevolutionären aller Nationen Russlands einen Krieg von Heeren mit ihrem Gelde, ihren Munitionszufuhren zu bilden begann, war diesmal das Sowjetrussland imstande, den revolutionären Verteidigungskrieg zu führen. Eine rote Armee von 1½ Millionen Mann kämpft jetzt an allen Fronten Russlands gegen die konterrevolutionären Heere der Esten, Letten, Litauer, Polen, Ukrainer, gegen Judenitsch, Denikin, Koltschak.

Aber gleichzeitig lässt die Sowjetregierung keinen Tag vergehen, ohne zu versuchen, mit der Entente oder ihren Banditen zum Frieden zu gelangen. Kein Opfer ist ihr zu groß, um den Frieden zu erlangen. Sie will sogar die Kriegsschulden des Zarismus anerkennen, weswegen sie von den gehirnlosen „linken“ Sozialrevolutionären als Verräterin gegeißelt und bekämpft wird. Ja, ihr „Opportunismus“ geht so weit, dass sie bereit ist, unter gewissen Bedingungen den Alliierten wirtschaftliche Konzessionen auf russischem Boden zu gewähren, um nur einen Frieden zu erlangen.

Tut sie es aus Pazifismus? Sie erkennt den revolutionären Krieg an und organisiert ihn! Tut sie es aus Opportunismus? Der Opportunismus als Methode der Arbeiterbewegung, bedeutet das Bestreben, durch Kompromisse mit der Bourgeoisie eine allmähliche Entwicklung zum Sozialismus anzubahnen, ohne Umsturz der bürgerlichen Herrschaft: die Sowjetregierung ist aber durch Sturz der bürgerlichen Herrschaft entstanden, sie hat die Bourgeoisie expropriiert und verteidigt die Arbeiterdiktatur mit allen Mitteln. Aber etwas anderes ist Opportunismus und etwas anderes das Rechnen mit Tatsachen. Und die ausschlaggebenden Tatsachen, mit denen die auswärtige Politik Sowjetrusslands rechnen muss, sind: erstens die Revolution in Westeuropa und Amerika entwickelt sich langsam, sie wird bis zu ihrem endgültigen Siege Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Sie wird nicht in allen Ländern auf einmal siegen. Der Krieg frisst am Marke der Völker, die ihn führen. Er erfordert, dass alle wirtschaftlichen Kräfte, die sonst dem Aufbau des Sozialismus, der Hebung der Lage der Volksmassen dienen würden, verpulvert werden. Daraus ergibt sich als Resultat, dass das Problem der auswärtigen Politik Sowjetrusslands, und falls die Weltrevolution nicht viel schneller sich entscheiden wird, als bisher, wie auch jeder anderen Länder, in denen die Arbeiterklasse siegen wird, darin besteht, zu einem modus vivendi mit den kapitalistischen Staaten zu gelangen, der von den proletarischen Staaten selbst um den Preis großer Opfer, die Last des Krieges nehmen, sie von der Gefahr der Blockade befreien würde. Ist dies nicht eine Illusion? Können proletarische und kapitalistische Staaten im Frieden und Warenverkehr leben? Ginge es nach dem Willen der kapitalistischen Staaten, sie würden jeden proletarischen Staat erwürgen und erdrosseln, wie sie es mit Sowjetungarn getan haben, dessen Territorium zu klein, dessen Kräfte militärisch zu gering waren, als dass es sich allein verteidigen konnte. Aber bei Sowjetrussland ging es nicht so einfach. Frankreich griff mit eigenen Truppen in Südrussland ein. Die Revolte dieser Truppen in Odessa nötigte die französische Regierung, sie zurückzuziehen. England griff mit eigenen Truppen im Norden, bei Archangelsk ein. Die Proteste der englischen Arbeiter nötigten die englische Regierung, ihre Truppen von Archangelsk zurückzuziehen. Die Entente finanzierte die Konterrevolutionäre Russlands, half den Konterrevolutionären in den Randstaaten mit Geld und Munition. England allein hat eine Milliarde Pfund Sterling für diese Zwecke verpulvert. Bei der immer mehr katastrophal sich gestaltenden Lage auch der Ententefinanzen kann sie das nicht endlos tun. Je stärker die zweifelsohne zunehmende Arbeiterbewegung in den Ententeländern wird, desto mehr muss die Bourgeoisie, wenn sie der Katastrophe entgehen will, auf diese Politik verzichten. Dazu kommt noch in Betracht, dass mit dem Friedensschluss die nationalistische Stimmung in den Volksmassen abebbt. Es wird immer schwerer, Arbeiter gegen Arbeiter ins Feld zu führen. Und schließlich, wenn zum Beispiel Sowjetrussland die Industriewaren der Ententeländer braucht, so brauchen sie ihre Rohstoffe und wollen Russland als Markt bewahren. So spielt die Furcht vor der Eroberung des russischen Marktes durch das deutsche Kapital, vor der Wiedererstarkung dieses Gegners mit Hilfe der Beherrschung des russischen Marktes eine große Rolle in der Politik des englischen und amerikanischen Handelskapitals. Charakteristisch in dieser Hinsicht ist es, dass der „Manchester Guardian“ und die „Daily News“ die Vertreter der englischen Handelswelt, gleichzeitig Vertreter der Friedenspolitik Russland gegenüber sind.

Die Möglichkeit des Friedens zwischen kapitalistischen Staaten und proletarischen ist keine Utopie. So wie nebeneinander zwei Jahrhunderte lang feudale und kapitalistische Staaten bestanden, so können die Verhältnisse den noch kapitalistischen Staaten ein Friedensverhältnis mit den schon sozialistischen aufzwingen. Es wird noch weniger ein „ewiger“ Friede, als der, der bisher zwischen den kapitalistischen Staaten herrschte, denn jeder proletarische Staat ist durch seine bloße Existenz ein dauernder Anreiz zur Revolution für die Proletarier der noch kapitalistischen Staaten. Wenn die kapitalistischen Regierungen den proletarischen Staaten das Genick brechen können, sie werden es in jedem Moment gerne tun. Dass sie dauernd den Proletarierstaaten Schwierigkeiten zu bereiten versuchen werden, ist klar. Jeder Proletarierstaat wird die Wehrhaftigkeit des Proletariats bis zum endgültigen Siege der Weltrevolution pflegen müssen, er wird vielleicht mehrmals zu den Waffen greifen müssen. Aber der Krieg bleibt auch für ihn ultima ratio, und er wird suchen müssen, seine Ziele im Verhältnis zu den kapitalistischen Staaten mit friedlichen Mitteln zu erreichen. Das wird Opfer kosten. Die Zugeständnisse, die der proletarische Staat dem kapitalistischen machen wird, können ihn in vielem hindern, das kommunistische Programm durchzuführen. Aber der Krieg tut es noch in viel höherem Maße, und so lange die Weltrevolution in den ausschlaggebenden kapitalistischen Staaten nicht gesiegt, kann der Kommunismus in isolierten Oasen nicht rein durchgeführt werden.

Das sind Lehren, die auf dem Gebiete der auswärtigen Politik die zwei Jahre der Sowjetrepublik einem denkenden Kommunisten bieten. Sie zeigen, dass die Lage eines proletarischen Staates keineswegs so ist, dass er auf sofortigen Sieg der Weltrevolution oder Untergang angewiesen wäre. Sie enthält Möglichkeiten des Friedens mit den kapitalistischen Staaten, die natürlich vorerst durch harte Kämpfe überzeugt werden müssen, dass es nicht leicht ist, den Proletarierstaat umzubringen. Sowjetrussland befindet sich noch in der Phase dieser Kämpfe. Aber schon sind Anzeichen vorhanden, dass ihm eine neue „Atempause“ gewährt sein wird. Die Atempause von 1918 gewährten Sowjetrussland die Kämpfe der beiden imperialistischen Lager untereinander. Jetzt erwächst die neue „Atempause“ sowohl aus der eigenen gesteigerten Kraft Sowjetrusslands, wie aus dem weiteren Bestehen der imperialistischen Gegensätze, Wie schließlich aus der beginnenden Auseinandersetzung zwischen Proletariat und Bourgeoisie im Lager der gestrigen Sieger. Indem die russische Sowjetrepublik all diese Gegensätze ausnützt, ist sie auf dem Gebiete der auswärtigen Politik ebenso vorbildlich für die proletarischen Staaten, die im Entstehen begriffen sind, wie sie auf allen anderen Gebieten die Wege der zukünftigen Staatspolitik bahnt. Wer als Kommunist die auswärtigen Probleme zu durchdenken sucht, die zum Beispiel vor dem deutschen Proletariat im Falle seines Sieges entstehen würden, der darf an den Lehren der russischen Sowjetrepublik nicht vorüber gehen.

Das tun, wie wir sehen, unsere Hamburger nationalen Bolschewiki in vollem Umfang.

Die auswärtige Politik der deutschen Konterrevolution und Revolution

In seiner Broschüre „Zwischen der ersten und der zweiten Revolution“, die doch keine Agitationsrede, sondern eine historische Untersuchung sein soll, beginnt Laufenberg mit einem Kapitel über die „Aufgaben der Novemberrevolution“, in dem er ihr das Zeugnis ausstellt, dass sie die ihr von ihm vorgeschriebenen Aufgaben nicht gelöst hat. Die selige Novemberrevolution könnte Laufenberg antworten: Verehrtester Historiker, wie kann ein gelehrter Mann nur so dumm sein: ich war nur die Form des Zusammenbruches des deutschen Imperialismus, nicht aber des Aufstiegs des deutschen Proletariats. Die zusammenbrechende Bourgeoisie kann selbstverständlich nicht die Aufgaben des aufsteigenden Proletariats lösen. Aber abgesehen von der Schulmeistermarotte, strotzt diese Einleitung von Behauptungen, die den Tatsachen ins Gesicht schlagen. Wenn Laufenberg behauptet, im November hätte sich Deutschland weiter verteidigen können, es konnte rasch „eine rote Armee mit einem revolutionären Offizierskorps an der Spitze bilden“, die „das Heer für die Entente zu einem furchtbaren Gegner machen würden“, wenn er weiter behauptet, eine soziale Revolution würde sofort die Massen in Belgien und Frankreich zu glühenden Freunden Deutschlands gemacht haben, so sind das alles entweder positive Unwahrheiten (die Beurteilung der militärischen Lage Deutschlands) oder phantastische Illusionen, die den Ausgangspunkt einer phantastischen Politik bilden, die Laufenberg für die Zukunft der Kommunistischen Partei Deutschlands aufbürden will. Es handelt sich für ihn nicht darum, die Gründe der auswärtigen Politik der deutschen Konterrevolution zu verstehen. Mit solchen Dingen befasst sich ein Marxist, der weiß, dass die revolutionäre Politik des Kommunismus von Tatsachen ausgehen muss. Der kleinbürgerliche Nationalist Laufenberg setzt sich über Tatsachen hinweg oder phantasiert sie zusammen, weil es ihm nicht um eine revolutionäre Politik, sondern um den nationalen Radau geht, um die nationalistische Anklage.

Dass Deutschland im November vorigen Jahres nicht weiter kämpfen konnte, dass weiß nicht nur jeder, der sehenden Auges und denkenden Hirnes die Ereignisse und die an sie anknüpfende militärische Literatur verfolgt, das wusste auch im vorigen Jahre im November jeder, der sah, wie die Armee und die Arbeitermassen im Reiche nur von einem Gedanken ergriffen waren: von dem Gedanken an den Frieden. Unsere russischen Genossen, die doch entfernter von Deutschland waren als Laufenberg haben sich im November vorigen Jahres nicht die geringsten Illusionen über die Möglichkeit der Weiterführung des Krieges durch Deutschland gemacht. Wenn die „Vossische Zeitung“ und der „Vorwärts“ behaupten, Laufenberg führe nur die Politik weiter, die Genosse Radek auf dem Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei im Dezember vorigen Jahres befürwortet hatte, indem er die deutschen Proletarier zum Kriege gegen die Entente aufforderte, so sind das bewusste Lügen der konterrevolutionären Presse. Die Rede Radeks liegt im Stenogramm vor, mit einer im Januar geschriebenen Einleitung und sie zeigt klar, dass den russischen Genossen auch im Traum nicht einfiel, eine solche phantastische Politik zu befürworten. Sie forderten nicht den Krieg gegen die Entente, sondern eine Politik, die sogar eine bürgerliche Regierung akzeptieren konnte, wenn sie nicht dauernd Deutschland der Entente auf Gnade und Ungnade ausliefern wollte. Sie forderten die Offenhaltung des Weges zu Russland durch Übergabe der Gewalt in den damals von Deutschland geräumten Gebieten an die lokalen Arbeiterräte, da es klar war, dass die Weißgardisten, die von den deutschen Generalen bewaffnet waren, sich auf die Seite der Entente stellen und einen trennenden Wall zwischen Deutschland und Russland bilden würden. Blieb die Verbindung zwischen den beiden Ländern offen, stärkten sie sich gegenseitig wirtschaftlich, so würde das die Lage der deutschen Regierung bei den Friedensverhandlungen stärken, und falls revolutionäre Bewegungen in den Ententeländern kommen würden, würden diese ihr dann erlauben, einem Erdrosselungsfrieden Widerstand zu leisten. Aber selbst wenn dies nicht sofort möglich wäre, so würde die Möglichkeit dieses Widerstandes für die Zukunft geschaffen sein. Die Regierung der Volksbeauftragten, der mehrheitssozialistischen wie der unabhängigen, zeigte sich unfähig zu dieser Politik, die für jede bürgerliche weiterschauende Politik annehmbar war: die Mehrheitssozialisten, aus Angst vor jeder Berührung mit Sowjet-Russland, die Unabhängigen, demoralisiert durch den Glauben an Wilson, lieferten Deutschland der Entente auf Gnade und Ungnade aus. Sie hofften, dass sie durch den vollkommenen Verzicht auf jedwede zukünftige Verteidigungsmöglichkeit, ja, für die Hilfe beim Bau des Walls zwischen der russischen und der deutschen Revolution bessere Friedensbedingungen bekommen würden. In Versailles erhielten sie den Lohn für ihre Politik in solchem Maße, dass es ihnen grün und gelb vor den Augen wurde. Der Versailler Frieden macht für Deutschland ebenso eine eigene kapitalistische wie eine sozialistische Wirtschaft unmöglich. Er verpfändet der Entente große Teile der Produktivkraft Deutschlands, macht die deutschen Volksmassen zu Sklaven des Ententekapitals.

Es ist klar, dass die Kommunistische Partei für diesen Frieden keine Verantwortung übernehmen konnte. Aber eben so wenig konnte sie die Verantwortung für den Krieg unter Leitung der deutschen Konterrevolution übernehmen, da er nur ein Krieg zur Verteidigung des deutschen Kapitals gewesen wäre. In ihren Friedensthesen (Juni), die ein Muster revolutionärer Gedankenklarheit sind, hütete sich aber die Zentrale davor, für den Fall des Sieges der Arbeiterklasse die Verpflichtung zu einem Krieg gegen die Entente unter jeder Bedingung zu übernehmen. Nachdem sie gesagt hatte, wie der Sieg des Proletariats in Deutschland die Stellung einer proletarischen Regierung der Entente gegenüber stärken, die Aussicht auf bessere Friedensbedingungen eröffnen werde, führte die Zentrale in ihren Thesen aus:

Für die Räterepublik würden sowohl Annahme als Ablehnung der Friedensbedingungen, die ihr gestellt würden, gänzlich verschiedene Wirkungen haben. Die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der Friedensbedingungen durch eine Räteregierung hängt ab von der konkreten Situation, in der sie den Frieden abzuschließen hätte oder nicht.

So lautete die revolutionäre und realistische Antwort der Zentrale, die sogar in dem Moment, wo für sie die Übernahme der Macht gar nicht in Betracht kam, mit revolutionärer Gewissenhaftigkeit sich hütete, Wechsel zu unterzeichnen, die sie eventuell zu zahlen nicht imstande wäre. Nicht so die Hamburger Demagogen. Im Namen des Kommunismus proklamieren sie den Krieg mit der Entente, das Durchstoßen durch das Baltikum und Polen, Vereinigung mit Sowjetrussland als die sofortige Folge der Eroberung der Macht durch die deutsche Arbeiterklasse, und sie erklären, dass sie die Versailler Hunger- und Elendskette „mit einem Ruck“ abwerfen werden. Dies alles erklären sie, weil es gilt, die „kurze Zeit der Verblüffung in vollem Umfange auszunützen, die sich der Staaten der Entente alsdann bemächtigen wird“. Der Nationalismus führt immer zur Narretei. Der Bramarbas ist sein Repräsentant. Laufenberg und Wolffheim wollen die Entente durch eine Kriegserklärung „verblüffen“, deshalb künden sie schon jetzt diese verblüffende Kriegserklärung an. Wie gewissenlos diese Versprechungen sind, zeigt am besten ein Blick auf die Lage in Frankreich, mit dem ein Rätedeutschland in erster Linie zu tun hätte. Die revolutionäre Bewegung in diesem Lande ist einstweilen schwächer als in England, obwohl in Frankreich die revolutionäre Presse mehr verbreitet ist und die Longuetisten eine viel klarere revolutionäre Sprache führen als die Vertreter der englischen Labour-Party im Parlament, obwohl. sie viel mutiger als diese die russische Revolution verteidigen. Die Erfahrung vom 12. Juli zeigte, wie schwach sich noch die französische Arbeiterklasse fühlt. Das hängt zusammen mit ihrer geringeren Rolle in dem französischen Wirtschaftsleben (größere Bedeutung der Landwirtschaft, geringere Konzentration der Produktion), mit der Verwüstung des industriellen Nordens, mit den größeren Verlusten der Arbeiterklasse usw. Dazu kommt in Betracht, dass die Hoffnungen der französischen Volksmassen auf die Kriegsentschädigungen seitens Deutschlands, auf seine Mitarbeit an dem Wiederaufbau Nordfrankreichs sie in Sicherheit wiegen, dass „Deutschland alles bezahlen wird“. Der Hass gegen Deutschland, das in den Augen der breitesten Volksmassen Frankreichs der einzig Schuldige am Kriegsausbruch ist, ist noch nicht abgeebbt. Unter diesen Umständen würde eine Kriegserklärung des Rätedeutschland an Frankreich, eine Offensive gegen Polen, für die französischen Volksmassen ein Beweis sein, dass es sich bei Proklamierung der Räterepublik in Deutschland um nichts anderes handelt, als um eine Komödie zwecks Aufbürdung der ungeheueren Kriegslasten auf den Rücken der französischen Volksmassen, wodurch sie natürlich in die Arme der Nationalisten getrieben würden. Wenn die Hamburger Illusionisten annehmen, dass sie am Rhein nur weißgardistische französische Banden finden würden, so würden sie ein blaues Wunder erleben.

Falls die Arbeiterklasse in Deutschland zur Macht gelangt, die Arbeiterrevolution in Polen und Frankreich zwar nicht

gesiegt hätte, doch nahe am Siege wäre, so wird die auswärtige Politik der deutschen Arbeiterregierung nicht auf den Krieg, nicht auf die Kündigung, sondern auf die langsame Aufrollung des Versailler Friedens gerichtet sein müssen. Sie wird anfangen müssen mit der Übernahme aller Verpflichtungen über den Wiederaufbau Nordfrankreichs, mit der Verpflichtung, nach Möglichkeit die anderen Bestimmungen des Friedensvertrages zu erfüllen, wobei die Hauptaufgabe der revolutionären Diplomatie Deutschlands sein würde, praktisch den französischen Volksmassen zu beweisen, welche Bestimmungen des Versailler Friedens undurchführbar sind. Liquidiert wird nur Schritt für Schritt, in dem Maße, wie die revolutionäre Welle in Frankreich und Polen steigt, die Sowjet-Republik sich in Russland stärkt, so dass sie eventuell durch den Druck auf das nationalistische Polen diesem nicht erlaubt, Deutschland gegenüber die Rolle des französischen Hundes zu spielen. Die Aufgabe der auswärtigen Politik der deutschen Räteregierung wird — falls sie früher als die französische entsteht — sein, Zeit zu gewinnen zum Ausbau des Rätedeutschlands, zur Niederwerfung der Bourgeoisie, zur Gewinnung des Vertrauens des proletarischen Auslandes. Die Politik wird desto mehr notwendig sein, da im Gegensatz zur russischen, die deutsche Räteregierung keinen Platz zu Rückzugsmanövern haben wird, da ohne ein Bündnis mit der polnischen Arbeiterklasse, sie bei einer Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen ohne Munition und Kohle bleiben würde.

Eine große Rolle in dieser bewusst cunctatorischen Außenpolitik der deutschen Räterepublik würde die Tatsache spielen, dass, bis die Barriere zwischen Sowjetrussland und Rätedeutschland verschwindet und es gelingt, mit Hilfe der deutschen Arbeiter das russische Transportwesen zu verbessern und so die Lebensmittelversorgung Sowjetrusslands und Rätedeutschlands zu heben, beide Länder ein vitales Lebensinteresse haben, die Handelsbeziehungen zu den angelsächsischen Ländern anzuknüpfen, nicht aber durch eine „verblüffende“ Kriegserklärung abzubrechen. Wer dies alles nicht beachtet, der treibt keine revolutionäre Außenpolitik, sondern eine Bierbankpolitik, die der revolutionären oder der nationalistischen Ungeduld entspringt oder beiden gleichzeitig, wie es überhaupt zu den Merkmalen der kleinbürgerlichen Politik gehört, nicht warten zu können.

Dass es sich bei dieser Politik Laufenbergs und Wolffheims um eine nationalistische Politik handelt, sagen sie mit dürren Worten selbst: „Nicht das steht in erster Reihe, ob wir eine kommunistische Organisation der Wirtschaft wünschen, und welcher Teil des Volkes an ihr zunächst interessiert ist, sondern dass das Volk, die Gesamtheit, sie haben muss, um nicht als Volk, als Gesamtheit zugrunde zu gehen“. Die Interessen der Gesamtheit, d. h. der Nation, sind die Quellen der Politik, Laufenbergs und Wolffheims, und sie definieren als Ziel dieser Politik, innerhalb der Volksgesamtheit die Wege zu suchen, die dem Volksganzen die denkbar beste Möglichkeit der Existenz garantieren“. Wenn die deutsche Kommunistische Partei bisher der Meinung war, dass sie eben deshalb existiert, weil es kein „Volksganzes“ gibt, sondern eine durch den Bürgerkrieg zerklüftete kapitalistische Gesellschaft, die im Kampf mit einem Teil der Gesellschaft gegen den anderen den Weg zur Überwindung des Kapitalismus, zur Bildung des kommunistischen Volksganzen führte, gehen Laufenberg und Wolffheim von der Annahme der nationalen Solidarität aus und gelangen zur natürlichen Solidarität im Krieg gegen die Entente, d. h. zum nationalen Bolschewismus.

Der revolutionäre Burgfriede

Es ist das Kennzeichen aller konterrevolutionärer, nationalistischer Politik, dass sie von dem so genannten Primat der auswärtigen Politik ausgeht, d. h. von der durch Ranke formulierten Auffassung, die Aufgaben der auswärtigen Politik müssten die der inneren bestimmen. Das Konterrevolutionäre dieser Lehre besteht darin, dass, weil die Klasseninteressen in der auswärtigen Politik viel schwieriger aufzuweisen sind, als in der inneren, weil dem Volke viel leichter einzureden ist, dass dem Auslande gegenüber alle Klassen der Gesellschaft gemeinsame Interessen haben, aus dieser angeblichen Gemeinsamkeit der auswärtigen Interessen dann die gemeinsamen inneren Aufgaben leichter abgeleitet, d. h. hervorgeschwindelt werden können. Es war eine der Lebensleistungen von Marx und besonders Engels, dass er zeigte, wie sich umgekehrt das Verhältnis zum Auslande aus den inneren Klassenverhältnissen einer Nation ergibt, wie die Außenaufgaben aus den inneren herauswachsen, um sie natürlich ihrerseits zu beeinflussen. Wenn man also irgendein Primat aufzustellen hat, dann besteht für uns Marxisten ein Primat der inneren Verhältnisse. Konkret gesprochen: Sind die Interessen der Klassen der deutschen Nation der Entente gegenüber gleich? Diese Behauptung ist unsinnig. Während das Proletariat gewillt ist, die deutsche Bourgeoisie und die Junker vollkommen zu expropriieren, will ihnen die Entente nur einen Teil ihres Eigentums wegnehmen und sie als Hunde des kapitalistischen Ausbeutungsinteresses in Deutschland behalten. Durch Schiebereien mit ausländischen Kapitalisten sind die Deutschen zum großen Teile imstande, ihre Vermögen zu retten, ihre Profitwirtschaft unter fremdem Schilde weiter zu führen. Darum hatte der Zorn über Verräter, die nationale Entrüstung bei dem Großkapital so wenig angedauert, darum blieben die ehrlichen Nationalisten, die Eltzbacher, die aus Empörung über den Versailler Frieden den Anschluss an Sowjetrussland, den so genannten nationalen Bolschewismus predigten, bisher so vollkommen isoliert. Die deutsche Bourgeoisie würde zweifelsohne sogar eine offene Okkupation Deutschlands durch die Entente einer Rätediktatur vorziehen. Daraus ergibt sich, dass die Arbeiterklasse Deutschlands unter keinen Umständen auf die Hilfe der deutschen Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen das Ententekapital rechnen kann.

Siegt die deutsche Arbeiterklasse, geht sie an die Sozialisierung der Produktion, so wird sie Schritt für Schritt darauf stoßen, dass die deutsche Bourgeoisie, um sich vor den Eingriffen der deutschen proletarischen Regierung schützen zu können, sich hinter die Ententekapitalisten verstecken wird. Sollte das deutsche Proletariat genötigt sein, Krieg gegen die Entente zu führen, so wird es die Bourgeoisie, die Junker, die Mehrheit des. Offizierskorps auf der Seite der Ententeregierungen finden.

Der Krieg, der an und für sich schon die Verschärfung der Diktaturmaßnahmen erfordern würde, weil das ausgepowerte Land ihn nicht führen könnte, ohne den Besitzenden die letzten Schuhe für die Armee zu nehmen, würde vollends dank der verräterischen Haltung der Bourgeoisie zur rücksichtslosen Niederhaltung dieser Klasse, als Landesverräterin, zwingen. Das sagt eine einfache Erwägung der Klassenverhältnisse.

Lauffenberg und Wolffheim, die den Krieg von vornherein proklamieren, schließen aus ihm, als der dominierenden auswärtigen Aufgabe die Notwendigkeit einer inneren: des Burgfriedens. „In einem Augenblick, in dem es sich darum handelt, den Krieg wider das Ausland aufzunehmen, ist gerade die herrschende Klasse, die Arbeiterklasse, am Frieden im Innern ausschlaggebend interessiert. Und unter der Voraussetzung, dass die Bourgeoisie die vom Proletariat vollzogene Machtergreifung rückhaltlos anerkennt, wäre die proletarische Diktatur an der Aufrichtung eines revolutionären Burgfriedens für die Zeit des Krieges nach außen nicht minder interessiert, wie im umgekehrten Verhältnis weiland Wilhelms des Zweiten“ heißt es im Hamburger Manifest. Also die Bourgeoisie soll die Diktatur des Proletariats anerkennen, damit es ruhig den Krieg gegen das Weltkapital führen kann! Ist das Wahnsinn? Ja, aber in diesem Wahnsinn steckt ein System. Denn wie stellen sich Laufenberg und Wolffheim die proletarische Diktatur vor? Welche Klassen sollen sie ausüben: sie soll von Klassenorganisationen ausgeübt werden, „in die sie (die Räteregierung) nicht nur die Teile des Volkes einbezieht, die bisher Arbeiter genannt zu werden pflegten, sondern alle Werktätigen, gleichgültig, welcher gesellschaftlichen Sphäre sie bisher angehörten.“ Was bedeutet das, denken die Hamburger dabei vielleicht nur an die Kopfarbeiter? Nein! Sie denken an alle Bauern „unabhängig von der späteren Regelung der ländlichen Besitzverhältnisse“, d. h. auch an die reichen Bauern. Das Manifest stellt es den einzelnen Gliedern der Bourgeoisie frei, „sich der proletarischen Klassenorganisation anzuschließen“, d. h. sie kann dieselbe Komödie unter der proletarischen Diktatur vorspielen, wie im November, wo sie sich „auf den Boden der Tatsachen stellte“, worauf sie schalten und walten konnte. Kurz und gut, um den Krieg zu führen, erstrebt Laufenberg unter dem Deckmantel der proletarischen Diktatur einen Kompromiss mit der bankrotten Bourgeoisie, wie sie seitens dieser Bourgeoisie Graf Karolyi in Ungarn dem Proletariat angeboten hat.

Der Kreis der Hamburger Gedanken schließt sich trotz aller Konfusion lückenlos: von dem Gezeter gegen die jakobinische Diktatur der Kommunistischen Partei, d. h. von dem Gezeter gegen die proletarische Diktatur über die Anpreisung der allgemeinen revolutionären Organisation (des Kuddelmuddels) zur offenen Propaganda des Burgfriedens unter einer angeblich proletarischen, in Wirklichkeit von der Bourgeoisie kontrollierten Pseudodiktatur! Und das alles zum Zwecke eines nationalen Krieges. Das deutsche Volk ist heute proletarisiert in allen Schichten, erklärt Laufenberg, die proletarischen Organisationen brauchen niemanden auszuschalten. Falls Lauffenbergs Propaganda Erfolg hat, so stehen wir vor dem Entstehen einer kleinbürgerlich-nationalistisch-revolutionären Partei, die in ihrer Entwicklung von der persönlichen Konfusion zweier Literaten zur Partei ebenso auf den Syndikalismus verzichten wird, wie sie auf den Kommunismus schon längst verzichtet hat.

Wer noch Zweifel hatte, dass Laufenberg und Wolffheim keine Weggenossen für die deutschen Kommunisten sein können, dem empfehlen wir die Lektüre ihrer Flugschrift, mit der sie endgültig mit der Kommunistischen Partei gebrochen haben.

Welchen Weg das deutsche Proletariat in seinem Kampfe gegen das Ententekapital zu wählen haben wird, am Tage nach seinem Sieg, nach der Aufrichtung der proletarischen Diktatur, das lässt sich heute nicht absehen. Es wird abhängig sein von der konkreten Weltlage, die sich jetzt schneller ändert als jemals. Eins ist sicher: Es wird zusammen mit den Proletariern aller Länder, nicht mit der deutschen Bourgeoisie kämpfen.

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