Karl Radek 19230729 Der nahende Bankrott der deutschen Bourgeoisie und die Aufgaben der Kommunistischen Partei Deutschlands

Karl Radek: Der nahende Bankrott der deutschen Bourgeoisie und die Aufgaben der Kommunistischen Partei Deutschlands

(Moskau, am 29. Juli 1923)

[Internationale Pressekorrespondenz, Nr. 128, 3. August 1923, S. 1115-1117]

** Die deutsche Bourgeoisie hat den zweiten Krieg verloren. Der Dollar kostet schon über eine Million Mark. Damit ist der Ausgang des Ruhrkrieges besiegelt. Er müsste nicht besiegelt sein würde die deutsche Bourgeoisie, um zu siegen, heroische Maßregeln ergriffen haben, um den Massen der Arbeiter und Kleinbürger auf Kosten der großkapitalistischen Profite das Ausharren im Kampfe zu ermöglichen, so würde sie trotz des Falles der Mark imstande sein, weiter durchzuhalten. Der Rubel steht schlechter als die Mark, und trotzdem hat die russische Arbeiterklasse, hat die Sowjetregierung nicht nur nicht kapituliert, sondern sie wird mit jedem Tage stärker. Die deutsche Bourgeoisie wird aber kapitulieren, um den weiteren Verfall der Mark und damit den Aufstand der Volksmassen, die der wachsenden Not ausgeliefert sind, zu verhindern. Sie wird von der Kapitulation zurückgehalten durch Morphiumeinspritzungen der englischen Regierung.

Herr Keynes hat nur das Geheimnis des Polischinell in der Londoner “Nation” verraten, wenn er ausführt, dass der englischen Regierung nichts verhängnisvoller wäre als die deutsche Kapitulation vor Frankreich. Denn kapituliert die deutsche Bourgeoisie vor Frankreich, so diktiert Poincaré die Bedingungen. Herr Baldwin sucht sich in die Kapitulationsverhandlungen einzumischen, um aus der deutschen Bankrottmasse auch für England möglichst viel zu retten.

Der brave deutsche Philister, der wieder mal gebläht wird von Hoffnungen auf England, wird sein blaues Wunder erleben, wenn er die Baldwin-Note in die Hände bekommt. Herr Poincaré fordert Geld oder das Stück deutschen Fleisches an der Ruhr. Herr Baldwin sagt ihm, man kann nicht das Fleisch vom Herzen Deutschlands wegschneiden, ohne dass es verblutet. Und da Deutschland jetzt nicht imstande ist, zu zahlen, so muss man es zum Sklaven machen,. damit es seine Schulden abarbeitet; und Schulden soll es nicht nur an Frankreich bezahlen. Das ist der Unterschied zwischen Baldwin und Poincaré.

Der konservative Weltpolitiker Professor Hötzsch fragt melancholisch, ob das Gespräch zwischen Poincaré und Baldwin beendet wird vor dem Zusammenbruch der deutschen Bourgeoisie.

Wir wissen es nicht. Eines ist sicher. Bankrottiert die deutsche Bourgeoisie nicht vor dem Ende des Gesprächs zwischen London und Paris, so wird der Bankrott kommen nach dem Ende des Gesprächs. Denn die erste Bedingung, die der geeinigte französisch-englische Kapitalismus stellen wird falls die Einigung stattfindet —‚ werden Steuermaßregeln sein, die den Fall der Mark aufhalten sollen. Diese Steuermaßregeln werden eine solche Last für die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum bedeuten, dass sie sich aufbäumen müssen. Gelingt es, den Fall der Mark aufzuhalten und sie sogar wieder etwas in die Höhe zu heben, so wird dies die deutsche Ausfuhr so erschweren, dass eine große Arbeitslosigkeit entstehen wird.

Die Krise der deutschen Bourgeoisie tritt in die entscheidende Phase ein, und damit steht die Kommunistische Partei Deutschlands vor den größten Aufgaben, vor denen sie jemals gestanden hat.

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Die Geschichte schafft Bedingungen für die Erfüllung dieser Aufgaben durch die KPD. Sie, die im November 1918 begonnen hat als die Organisation von etwa 30.000 losen Anhängern, sie nähert sich jetzt der Eroberung der Mehrheit der aktiven Arbeiter Deutschlands. Das haben die Wahlen zum Metallarbeiterkongress zweifellos bewiesen. In einer Reihe großer industrieller Zentren haben wir bei verhältnismäßig starker Beteiligung der Arbeiter an den Wahlen. Mehrheiten, und zum Teil große Mehrheiten erobert. In einer Reihe von Städten ringen wir mit den Sozialdemokraten um die Mehrheit. Ein größeres Übergewicht haben sie nur in den Kleinstädten. Die Arbeit der Treuen, die während des Krieges unter den größten Opfern den Samen des Kommunismus gesät haben, sie bringt ihre Früchte. Aus Liebknechts, aus Rosa Luxemburgs Blut, aus dem Blute der 15.000 Arbeiter, die von Noskes Weißen Garden hingemordet worden sind, entstehen reisige Männer. Die Einheitsfronttaktik das Appellieren an die gewöhnlichen Interessen der Arbeiterklasse, die den Proletariern, ohne Unterschied der Parteien gemeinsam sind, sie wird gekrönt von Erfolg. Alles Geschrei der Sozialdemokraten über die Schwindelmanöver der Komintern haben nichts genützt. Die Arbeiter müssen sich um die Fahne des Kommunismus vereinigen, weil er allein den Kampf um ihre Lebensinteressen führt. Der “Vorwärts” keift aus Anlass des Sieges der Kommunisten bei den Wahlen zum Metallarbeiterkongress. Er sagt, schuldig an diesem Siege seien die Kapitalisten, deren Profitgier die Lage der Arbeiter unmöglich macht. Schuldig sei die Regierung, die der wachsenden Not tatenlos gegenübersteht. Schuldig sei die Demagogie der Kommunisten.

Jawohl, mein lieber “Vorwärts”, alles hat seine Gründe in der Geschichte. Wären die Kapitalisten so gut, dass sie den Arbeitern ein menschliches Leben geben würden, und wäre die kapitalistische Regierung so gut, dass sie sich um die Interessen der Arbeiterklasse kümmern würde, nun, dann könnte auch die “kommunistische Demagogie” nicht siegen, die eben darin besteht, dass sie im Gegensatz zu der “Wahrheitsliebe” der sozialdemokratischen Agitation den Arbeitern sagt, dass die Kapitalisten eben dazu da sind, um ihre Profite aus der Haut der Arbeiter zu schneiden, und dass die kapitalistische Regierung dazu da ist, um ihnen dabei zu helfen, und dass es darum gilt, den Kapitalismus und die kapitalistische Regierung zu besiegen. Und da die Tatsachen die Richtigkeit der kommunistischen Behauptungen beweisen, zerreißt das demokratisch-reformistische Gewebe der Illusion und die Sozialdemokratie beginnt abzusterben.

Dieses Sterben der Sozialdemokratie begann mit dem Aufhören jedes Lebens ihrer noch bestehenden Massenorganisationen. Es gilt nur, den “Vorwärts‘ und die “Rote Fahne” für die letzten paar Monate durchzusehen und die Versammlungsanzeigen zu vergleichen. Bei den Kommunisten tagtäglich Dutzende und Aberdutzende von Versammlungen, bei den Sozialdemokraten Totenstille. Nur der hohe Parteivorstand und die parlamentarischen Fraktionen versammelten sich. Die sozialdemokratische Bürokratie in den Gewerkschaften, Konsumvereinen, Gemeinderäten, in den Ämtern, hat die Hände voll von Arbeit, um die Arbeitermassen vom Kampfe zurückzuhalten. Ein Teil der sozialdemokratischen Arbeiter versinkt in vollkommene Passivität, ein anderer entschließt sich, zu kämpfen und geht zu den Kommunisten, ein kleiner Teil sogar zu den Faschisten. Die Sozialdemokratie hat aufgehört, ein entscheidender aktiver Faktor des öffentlichen Lebens zu sein. Sie ist nicht einmal der entscheidende Faktor der Konterrevolution, wie sie es im Jahre 1919 und 1920 war. Sie ist tote Masse geworden.

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Die aktive Kraft der bürgerlichen Konterrevolution befindet sich bei den Faschisten, bei der in Hunderte von Organisationen zerklüfteten nationalistischen Bewegung. Im Jahre 1919 stellten sich die Nationalisten, die Studentenschaft, die brotlosen Offiziere unter das Kommando der Noske. Im Jahre 1922 und 1923 denken sie nicht mehr daran. Jetzt heißen die Scheidemann, Noske, Ebert usw. Novemberverbrecher, für die die Faschisten nicht Marschallstäbe, sondern Galgen vorbereiten. Die Faschisten wollen selbst die Marschälle von Deutschland sein. Können sie es erreichen? Wenn es ihnen gelingen würde, sie wären die Beherrscher Deutschlands für einen Augenblick, nicht für länger. Deutschland ist nicht Horthy-Ungarn. Und der Ludendorff würde sich die Zähne an der deutschen Arbeiterklasse zerbrechen. Die deutsche Arbeiterklasse ist eine enorme Macht, wenn sie kämpfen will. Und sie müsste kämpfen gegen eine faschistische Regierung, weil diese Regierung die Macht des deutschen Kapitals auf ihrem Rücken zu stabilisieren versuchen würde unter Bedingungen, unter denen sie der Arbeiterklasse nicht einmal ein Stückchen Brot geben könnte. Denn wären die Ludendorffer nicht Kommissknöpfe ohne eine schöpferische politische Idee im Kopfe, ohne sogar die demagogischen Fähigkeiten, die ein Mussolini zweifelsohne besitzt, so würden sie sich in einer tausendmal schwierigeren Lage befinden, als das faschistische Italien. Italien ist trotz des Wachstums der Industrie seit dem Kriege noch immer ein überwiegend agrarisches Land. Das industrielle Deutschland, das sich nur durch die industrielle Ausfuhr ernähren kann, ist dazu belastet mit riesengroßen Reparationslasten. Deutschland zu regieren, heißt Deutschland zu ernähren. Der Faschismus kann Deutschland den weißen Terror und die Hohenzollern geben, er kann ihm kein Brot geben. Je mehr der deutsche Faschismus erstarkt, desto mehr schwächt er sich.

Mussolini hat im Jahre 1919, als er schwach war und die Welle der Revolution in Italien hoch ging, die italienischen Arbeiter durch die Anpassung an ihre Ideale zum gewinnen versuchst. Er sprach von der “Kontrolle der Industrie”, vom “Parlament der Arbeit”. Als die deutschen Faschisten schwach waren, brüllten sie nur: “Tod der Arbeiterklasse!” Und jetzt, da sie stark geworden sind, nicht durch Zufluss aus dem Lager der Arbeiterklasse, sondern durch den Zustrom des verelendeten Kleinbürgertums, da muss Ludendorff, da muss der Oberst Bauer die rote Mütze aufsetzen, und siehe da, das Programm der Nationalsozialisten, das Programms des Herrn Knüppel-Kunze, sogar das Programm der Gräfe und Henning zeigt uns Ludendorff, kostümiert als Spartakus. Die Ausgehaltenen der Vögler, der Stinnes und der Krupp, sie fordern in ihren Organen die Nationalisierung der Banken, die Nationalisierung der Trusts und den Galgen für die Spekulanten. Warum fordern sie das? Nur um die Arbeiter zu kapern? Nein. Es genügt, den “Völkischen Beobachter”, es genügt das “Deutsche Tageblatt” und das “Deutsche Volksblatt” zu lesen, um zu sehen, dass sie das alles fordern, um die kleinbürgerlichen, in Not versinkenden Massen heranzuziehen, die einsehen, dass es bei der Fortdauer der jetzigen Spekulantenwirtschaft keine Rettung für sie gibt.

Die schwere Industrie und die Junker haben die faschistischen Organisationen gebildet, um mit ihrer Hilfe die Macht an sich zu reißen. Aber sie konnten diese Organisationen nur gründen, indem sie die Not und die Verzweiflung der kleinbürgerlichen Massen aufpeitschten. Aber damit richtet sich ihre Grundlage gegen sie. Der Boden beginnt ihnen unter ihren Füßen zu schwanken. An dem Tage, wo sie die Macht ergreifen würden, würden ihre Anhänger sich gegen sie wenden, und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie diese Macht niemals ergreifen werden, nicht nur, weil der Eisenbahnerstreik und der Streik im ganzen Reiche sie an der Kehle packen würde, sondern weil eine Zersetzung in ihren eigenen Reihen beginnt. Das kleinbürgerliche Kanonenfutter der schweren Industrie beginnt zu denken, bevor noch der Bürgerkrieg in die schärfste Phase trat. Die deutsche Bourgeoisie hat eine bewunderungswürdige Organisation. Sie hat glänzend den Tod im Kriege organisiert. Sie hat glänzend den Raubfeldzug nach dem Kriege organisiert. Sie hält heute alle Fäden des wirtschaftlichen Lebens Deutschlands in ihren Händen, gesammelt in der Faust von ein paar Trusts. Aber sie hat nichts, was sie den Massen des Kleinbürgertums geben könnte, außer der Vergrößerung seiner Not und seines Elends. Und somit beginnt die zweite Bedingung des Sieges der deutschen Revolution sich zu verwirklichen. Die Isolierung der deutschen Arbeiterklasse beginnt aufzuhören. Das Kleinbürgertum, die Stütze der Konterrevolution, wird zum potentiellen Verbündeten der Arbeiterklasse.

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Damit sind der Kommunistischen Partei die Aufgaben klar vorgeschrieben. Die erste Aufgabe besteht darin, die Mehrheit der aktiven Teile der Arbeiterklasse unter dem Banner der Kommunistischen Partei zu organisieren, und die Mehrheit der gesamten Arbeiterklasse wenigstens mit Sympathie für die Kommunistische Partei zu erfüllen. Manche Genossen sagen, Agitation und Organisation der Mehrheit der Arbeiterklasse ist gut, aber sie kann nur durch große Aktionen erreicht werden. Wir sagen umgekehrt, die großen Aktionen, insoweit es sich nicht um spontane Ereignisse handelt, sind nur möglich, wenn unsere Agitation verhundertfacht wird, wenn wir durch sie die breitesten Massen der Arbeiter erreichen, wenn wir ihr Aufbegehren in bewusstes kommunistisches Wissen und Wollen verwandeln. Wir haben bisher stümperhaft agitiert. Wir müssen jetzt eine Glocke werden, die das ganze arbeitende Volk hört. Wir haben 300.000 organisierte kommunistische Arbeiter. Wir haben nicht einmal verstanden, die drei Millionen Arbeiter in den Gewerkschaften, die mit uns zusammengingen, wenn auch nur in losem Form zusammenzufassen. Unsere Betriebsräte, unsere Gewerkschaftsfraktionen, unsere Kontrollausschüsse, unsere Hundertschaften müssen jetzt Millionen Arbeiter umfassen.

Die deutsche Bourgeoisie ist so organisiert, wie keine der Welt. Die Kommunistische Partei Deutschlands muss so organisiert sein, wie keine Kommunistische Partei der Welt.

Die Bolschewiki konnten mit 70.000 Mitgliedern die Macht erobern, denn die Bourgeoisie war unorganisiert, und sie verfügte über eine solche Organisation wie die russische Armee. Eine Million Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands ist das Minimum, das wir in der nächsten Zeit erreichen müssen. Unsere Organisation darf nicht ein Wahlapparat sein, sie muss eine zusammengeballte Faust sein, sie muss ein kämpfender Organismus sein, zusammengehalten nicht nur von der kommunistischen Idee, sondern von dem eisernen Korsett unserer Sturmbataillone der Hundertschaften.

Es ist sehr möglich, dass die KPD. vor die Frage des Kampfes auf Leben und Tod gestellt wird, bevor sie diese Aufgaben erfüllt hat. Aber dann wird sie unter tausendmal ungünstigeren Verhältnissen kämpfen. Und will sie fähig sein, zu kämpfen gegen Wind und Sonne, unter jeden Umständen, unter denen sie kämpfen muss, so muss sie sich die hier gezeichneten Aufgaben stellen und sie mit eiserner Energie auszuführen suchen.

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Unser Wachstum liquidiert nicht die Einheitsfronttaktik; es stellt sie vor viel größere Aufgaben. Als wir erst versuchten, an die sozialdemokratischen Arbeiter heranzutreten, waren wir genötigt, vieles zu schlucken, um nur die Fühlung mit den sozialdemokratischen Arbeitern nicht zu verlieren. Es gilt jetzt, mutiger zu sein, es gilt jetzt entsprechend unserer gewachsenen Kraft aufzutreten. Das bedeutet nicht, übermütig zu werden, das bedeutet nicht, von den sozialdemokratischen Arbeitern zu fordern, sie sollen unsere Losungen annehmen, wenn sie sie noch nicht verstehen. Wir müssen dauernd das in den Vordergrund stellen, was die gesamte Arbeiterklasse versteht, um was sie kämpfen will. Aber diese Übergangsforderungen, die notwendig sind, müssen nicht nur in der Agitation verbreitet werden, sondern sie allein können die Basis unserer Verständigung mit den Teilen der Sozialdemokraten bilden, die unter dem Drucke der Arbeiterklasse genötigt sind, mit uns zusammenzugehen.

Darum muss die Partei die linken Sozialdemokraten, wie Zeigner in Sachsen, vor die Wahl stellen: entweder ehrlicher Kampf gegen die Bourgeoisie für die Rettung der Arbeiterklasse von der Not, dem Elend und der Konterrevolution, oder sie muss ihnen ihre Unterstützung versagen. Wenn die Zeigner mehr Angst haben vor Cuno, Ebert oder Lipinski als vor uns, dann sind sie uns keine Weggenossen. Die Koalition bedeutet das Bündnis von Pferd und Reiter, sagte Talleyrand. Die sozialdemokratischen Parteiführer sind damit einverstanden, nur möchten sie die Reiter sein. Wir unsererseits erstreben nicht, die ehrlichen sozialdemokratischen Arbeiter zu unseren Pferden zu machen. Wir wollen zusammen mit ihnen ein Paar von Pferden sein, die den Wagen der deutschen Arbeiterklasse aus dem Dreck ziehen, in den ihn die Sozialdemokratie hineingeritten hat. Aber dann muss das linke sozialdemokratische Pferd auch ziehen, und zwar nach vorn, nicht nach hinten.

Einheitsfront bedeutet heute Verhundertfachung unserer Agitation unter den breitesten Massen der Arbeiterklasse.

Einheitsfront bedeutet heute Verzehnfachung der Bedingungen nach Schaffung gemeinsamer Hundertschaften, gemeinsamer Betriebsräte, gemeinsamer Kontrollausschüsse mit den linken sozialdemokratischen Arbeitern.

Einheitsfront bedeutet heute, unverrückt festhalten an unseren Übergangsforderungen, an der Parole der Kontrolle der Produktion, der Bewaffnung des Proletariats, der Erfassung der Sachwerte, Arbeiter- und Bauernregierung als der Basis des Zusammengehens mit den linken Sozialdemokraten.

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Aber die Mobilisierung der Arbeiterklasse allein genügt nicht. Wir müssen hinein in die kleinbürgerlichen Massen, die proletarisiert werden durch die kapitalistische Wirtschaft in Deutschland. Die Kleinbauern, die Siedler, die Beamten, die Privatbeamten, die proletarisierten Intellektuellen, sie sind das Reservoir unserer Kraft, mögen sie auch heute noch in reaktionär-nationalistischen Formen denken. Wenn die Kommunistische Partei Deutschlands erklärt, sie wolle nicht nur für die Interessen der industriellen Arbeiter kämpfen, sondern für die Interessen aller, die unter dem Joche des Kapitalismus ächzen, so ist das keine Taktik, es ist Klassenstrategie des Proletariats. Die Taktik, das sind die Maßregeln, die notwendig sind, um eine Schlacht zu gewinnen. Die Strategie ist die Gesamtheit der Maßregeln, die notwendig sind, um den Krieg zu gewinnen. Unser Krieg wird gewonnen sein nicht an dem Tage, wo wir die Macht erobert haben, sondern erst an dem Tage, wo wir sie begründet haben, wo wir wenigstens im Rohen den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft beendet haben. Wenn wir die kleinbürgerlichen Massen zu gewinnen suchen, so handelt es sich dabei nicht um kleine Schlauheiten, um die Zersplitterung der faschistischen Bewegung für einen Augenblick, ja sogar nicht nur darum, um Verbündete in gewinnen zur Eroberung der Macht. Es handelt sich um die Eroberung einer großen, viele Millionen umfassenden Schicht, die uns nötig ist für den Kampf um die Macht, die uns nötig ist für den Kampf um den Sozialismus. Wir werden die Ingenieure, wir werden die Offiziere, wir werden die tüchtigen Bankbeamten nötig haben, wenn wir mit den geringsten Verlusten Deutschland aus der Not herausführen wollen. Um sie zu gewinnen, müssen wir zu Zweifachem bereit sein. Wir müssen mit der ganzen Hingabe ihnen helfen, ihre alten Vorurteile abzustreifen, wir müssen versuchen, große Teile von ihnen zu Kommunisten zu machen. Gleichzeitig aber müssen wir bereit sein, Bündnisse auch mit diesen Teilen von ihnen einzugehen, die, ohne gewillt zu sein, unsere Theorie anzunehmen, die, haftend an ihren eigenen ideologischen Formen, praktisch um dasselbe kämpfen wollen, worum wir in diesem Abschnitt der Geschichte kämpfen. Die russische Intelligenz begann ihren historischen Aufstieg mit der sozialistischen Ideologie, und noch in der Zeit, wo sie auf Seiten des Kapitals gegen die Arbeiterklasse kämpfte, schwenkte sie das Banner des Sozialismus. Das deutsche Kleinbürgertum ist schon genötigt, gegen den Kapitalismus zu kämpfen und klebt noch nicht nur an der kapitalistischen Ideologie, sondern sogar noch an der vorkapitalistischen. Es gibt in Deutschland Leute, die die Nationalisierung der Banken fordern und gleichzeitig den Katholizismus und Protestantismus ersetzen wollen durch den Kultus des Wotan. Die Kommunistische Partei muss die Realitäten sehen durch die Nebel der alten Ideologien.

Die Arbeit in den kleinbürgerlichen Massen hat erst begonnen. Aber schon versteht die Schwerindustrie, schon verstehen die Aasgeier des deutschen Verfalls, die auf dem Rücken der kleinbürgerlichen Massen mit den Händen des nationalistischen Kleinbürgertums ihre Herrschaft aufrichten wollen, dass ihnen eine große Gefahr droht, wenn das Kleinbürgertum, von ihnen aufgerüttelt, die Schuppen vor den Augen verliert. Die Geldgeber und die Organisatoren des Faschismus werden versuchen, die kleinbürgerlichen nationalistischen Massen in Zusammenstöße mit der Arbeiterklasse hineinzumanövrieren, damit sich ein Abgrund zwischen den zwei Armeen der Revolution in Deutschland auftut; zwischen ihrer Avantgarde und ihrer Arrièregarde. Unsere Aufgabe besteht darin, durch den Aufmarsch der Arbeitermassen, durch ihre Mobilisierung und durch ihre Wehrhaftigkeit womöglich den kleinbürgerlichen Massen die Lust zum Anbändeln zu nehmen und gleichzeitig, wo wir ihnen die geballte Faust zur Abwehr entgegenstrecken, ihnen die Hand zum Bündnis entgegenzustrecken; denn wir können tief überzeugt sein, dass diese Massen zu uns gehören werden, wenn sie sehen, dass wir die Macht und den Willen haben, der Not des deutschen Volkes den Krieg zu erklären.

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Die Zeit des Generalsturmes ist noch nicht da. Sie reift aber heran. Dass sie heranreift, das zeigen: a) die Aussichtslosigkeit der deutschen Bourgeoisie, die die Krise Deutschlands nicht lösen kann; b) die wachsende Zerfahrenheit und Zerklüftung der deutschen Bourgeoisie; c) der Zerfall der Macht der Sozialdemokratie; d) unser Wachstum. Die strategische Aufgabe der deutschen Kommunisten besteht darin, das Reifen der Revolution bewusst durch unsere organisatorische Arbeit zu fördern, unsere Kräfte zu stärken, die Reserven der Arbeiterklasse heranzuziehen, Verbündete im proletarischen Kleinbürgertum zu suchen, das Maximum unserer klaren kommunistischen Agitation mit einem nüchternen Eingehen auf alle Kompromisse zu verbinden, die notwendig sind, auch unsere Basis zu erweitern und die auf der Linie der historischen Entwicklung liegen, die Kommunistische Partei zum lebendigen Gewissen des leidenden deutschen Volkes zu machen, damit sie sein Führer werden kann. Wir müssen die Schlachten schlagen, vor die stets die Geschichte stellt, aber wir müssen dabei noch immer im Auge behalten, dass wir momentan noch schwächer sind. Wir dürfen jetzt nicht nur noch keine Generalschlacht liefern, sondern wir müssen alles vermeiden, was dem Feinde ermöglichen würde, uns teilweise zu schlagen. Die Zeiten der Märzniederlage, die eine Niederlage einer sich zurückziehenden Armee war, die nicht bemerkt hat, dass die Zeit ihrer Offensive vorläufig vorüber ist, sind vorbei. Aber es sind Niederlagen möglich, die ein Heer erleidet, wenn es bei ungenügender artilleristischer Vorbereitung zur Offensive übergeht. Es verblutet an den Drahtverhauen des Gegners. Sollte der Gegner selbst zur Offensive übergehen, so wird er sich verrechnen. Wir müssen die Partei bereit machen, um den Angriff des Gegners nicht nur abwehren zu können, sondern um, wenn er angreift, nach der siegreichen Abwehr zum Angriff überzugehen. Aber die Entscheidung dürfen wir von selbst noch nicht suchen.

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Das ist die Lage in Deutschland. Das ist die Lage der Kommunistischen Partei. Das sind ihre Aufgaben. Sie erfordern von ihr die größte Anstrengung ihrer Kräfte, die größte Zuversicht, den Glauben an die eigenen Kräfte, Energie, Enthusiasmus, aber auch eiserne Kühle und strategische Überlegenheit. Dann wird auch die Zeit kommen, wo die deutschen Kommunisten sich sagen können: Mut, Mut und noch einmal Mut.

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