Karl Radek 19230623 Der Umsturz in Bulgarien

Karl Radek: Der Umsturz in Bulgarien.

(Bericht in der Sitzung des erweiterten Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale vom 23. 6. 23.)

Wir legen Ihnen einen Aufruf an die bulgarischen Arbeiter und Bauern vor. In diesem wird positiv Stellung zu dem Staatsstreich in Bulgarien genommen und die Linie der Politik der bulgarischen Partei in allgemeiner Form festgestellt. Wir beabsichtigten anfangs dem Kongress eine Resolution vorzulegen, in der die ganze Sachlage in Bulgarien, die Taktik unserer Partei einer Kritik unterzogen werden sollte. Wir sind der Auffassung, dass der Staatsstreich in Bulgarien eine entscheidende Niederlage unserer Partei darstellt. Wir wollen hoffen, dass es keine vernichtende Niederlage sein wird. Aber es ist jedenfalls die größte Niederlage, die eine kommunistische Partei jemals erlebt hat; sie ist nicht einmal zu vergleichen mit dem Sieg des Faschismus in Italien, aus dem einfachen Grunde, weil die Italienische Kommunistische Partei eine junge und schwache Partei ist, während die Bulgarische Kommunistische Partei mehr als ein Viertel aller bulgarischen Wähler hinter sich hat, die größte und stärkste Massenpartei in Bulgarien darstellt, so dass diese Niederlage nicht nur ein Beweis für das Erstarken der Konterrevolution ist, sondern eine positive Niederlage der Taktik der Kommunistischen Partei Bulgariens darstellt.

Wir haben davon abgesehen, diese Resolution vorzulegen. Nach den letzten Nachrichten aus Bulgarien sind große Verfolgungen gegen die Kommunistische Partei im Gange. Es gilt das zu retten, was noch zu retten ist, und in dieser Situation halten wir eine offizielle öffentliche Kritik der Partei, die absolut notwendig sein wird, für unmöglich. Wir werden darum auch diesen meinen Bericht jetzt der Öffentlichkeit nicht mitteilen, sondern nur an die Parteien versenden. In dem Augenblick, wo die Kritik unvermeidlich sein wird, werden wir sie öffentlich geben.

Wir halten es für notwendig, hier unsere Auffassung über die Lage aus folgenden Gründen zu sagen;

Die Bedeutung der Niederlage in Bulgarien.

Erstens bedeutet der Staatsstreich in Bulgarien einen Teil des siegreichen Vormarsches der Weltreaktion. Die Bauernregierung in Bulgarien war der einzige Fremdkörper in der Herrschaft der Bourgeoisie auf dem Balkan, die einzige Regierung, die, trotzdem sie versuchte, den Friedensvertrag von Neuilly zu erfüllen, in der bürgerlichen Welt als eine Regierung der Bauernschaft gegen die städtische Bourgeoisie empfunden wurde. Es genügt zu sehen, wie die Organe des Faschismus, beginnend mit der „Morning Post“ und endend mit der Stinnespresse, den Sturz Stambulinskis begrüßen, um zu erkennen, dass eine starke Verschiebung auf dem Balkan zugunsten der Weltreaktion eingetreten ist.

2. Die neue, aus dem Staatsstreich hervorgegangene Regierung ist eine Regierung, die in engem Kontakt mit der russischen Konterrevolution steht. Es spielten dabei zweifellos die Wrangeloffiziere eine Rolle. Die Art, wie die konterrevolutionäre russische Presse, mit dem „Rul“ an der Spitze, sich mit dem bulgarischen Staatsstreich beschäftigt, zeigt, dass sie von ihm eine Stärkung der Position erhofft.

3. Wenn man die Dinge vom weltpolitischen Standpunkt betrachtet, so ist der Staatsstreich ein Ereignis in dem allgemeinen Kampf der beiden jetzt um die Hegemonie in Europa kämpfenden Mächte Frankreich und England.

Der Fall Stambulinskis, der Sieg der neuen weißen Regierung bedeutet, dass die englische Regierung für ihre Einkreisungspolitik im Orient gegen Sowjetrussland eine Position in die Hand bekommen hat. Die kleine Entente, das Werkzeug Frankreichs, unterstützte Stambulinski aus dem Grunde, weil die Stambulinski-Regierung die Politik der Erfüllung des Neuilly-Friedens befolgte. Wenn der Umsturz in Bulgarien mit direkter materieller Hilfe Englands und Italiens stattgefunden hat (Italien ist besorgt um die Adria und deshalb gegen Jugoslawien im Kampf), so unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel, dass England und Italien sich für die siegreiche Staatsstreichsclique ins Zeug legen. Als die jugoslawische Regierung gegen diese Regierung des bulgarischen Staatsstreichs diplomatisch vorgehen wollte, erfolgte der Schritt des englischen Gesandten Young in Belgrad, der Jugoslawien diesen Schritt verbot. Nun sind wir ganz gewiss nicht die Hüter des Friedens von Neuilly, aber in der Beurteilung der weltpolitischen Lage handelt es sich darum, dass es in diesem Augenblick Großbritannien ist, das die Initiative zur Einkreisung Sowjetrusslands ergreift. In diesem Kontext bedeutet das ein Plus in dem neuen Spiel der Einkreisung Sowjetrusslands. Schon das zeigt, dass es sich hier um einen Vorgang von großer politischer Bedeutung handelt, den wir sehr aufmerksam verfolgen müssen.

4. Es ist klar, dass dieser Sieg der Weißen in Bulgarien die Faschisten in allen Ländern anspornen wird. In drei Stunden wurde durch eine Handvoll Offiziere eine Regierung gestürzt, hinter der zweifelsohne eine große Mehrheit der Bauern stand. Das ist natürlich ein Ansporn für die faschistischen Abenteurer in allen Ländern, in erster Linie in der Tschechoslowakei, in Deutsch-Österreich und Deutschland.

5. Zum ersten Mal war eine große kommunistische Partei im Gefecht. Sie verlor die Schlacht, und — was noch trauriger ist — wir haben schon die bulgarische Presse vom 9. bis 16. Juni in Händen, sie sieht es nicht einmal. Während der ganzen ersten Woche nach ihrer Niederlage verstand die Partei die Gründe dieser Niederlage nicht und verteidigte ihre Haltung als eine richtige kommunistische Taktik. Und wir müssen konstatieren: kein einziges kommunistisches Blatt in Europa hat aus eigener Initiative gesagt, dass hier eine Niederlage der Kommunistischen Internationale vorliegt, eine Niederlage, die nicht auf die übergroße Macht des Feindes, sondern auf das Fehlen des Kampfwillens bei der Kommunistischen Partei zurückzuführen ist. Es finden sich sogar kommunistische Blätter, die die Theorie der bulgarischen Genossen abdrucken und verbreiten. Nicht also um hier angesichts der Niederlage einer unserer Parteien den Richter zu spielen, sondern aus praktischen Gründen ist es notwendig, dass wir, noch bevor wir den breiten Massen der bulgarischen Genossen unsere Auffassung über ihre Fehler sagen, sie der Führung aller kommunistischen Parteien, wie sie hier vertreten sind, mitteilen. Denn — ich wiederhole: die Gefahr droht, dass solche Fehler auch in der Tschechoslowakei, wo die Situation sehr ähnlich ist, gemacht werden können. Sie können auch in Deutschland gemacht werden.

Erlauben Sie mir, jetzt kurz auf die Dinge einzugehen und Ihnen die wichtigsten Tatsachen, die zur Beurteilung der Sachlage notwendig sind, ins Gedächtnis zurückzurufen.

Die soziale Struktur Bulgariens und die politischen Gruppierungen

Die erste Frage ist: Hatten die bulgarischen Genossen die Möglichkeit, diese Niederlage zu vermeiden? Ist die soziale und politische Struktur Bulgariens so, dass es möglich war, allein oder im Bündnis mit der Bauernschaft den Staatsstreich der Weißen zu verhindern? Wir bejahen diese Frage. Die soziale Struktur des Landes ist so, dass 80-90 Prozent der Bevölkerung Bauern sind, Von 700.000 selbständigen Bauernwirtschaften gehörten 285.000 Bauern, die weniger als 30 Deka haben. Das sind bei dem Stande des Ackerbaus in Bulgarien halbproletarisierte Bauern. 263.000 Bauernwirtschaften haben 30 bis 100 Deka. Und unsere bulgarischen Genossen erklären in ihrem Bericht, dass jeder Bauer in Bulgarien, der unter 100 Deka besitzt, ein armer Kleinbauer ist. Das bedeutet, dass über 500.000 dieser Bauern Bauern waren, mit denen wir uns sozial verbinden konnten. Die Bourgeoisie in den Städten ist sehr schwach, es gibt dort überhaupt keine Großbourgeoisie. Die Bourgeoisie in den Städten besteht aus Kaufleuten, Handwerkern, Spekulanten, Intellektuellen und Bürokraten. Also keine Klasse, die durch die Rolle in der Produktion stark wäre. Die Arbeiterklasse ist zwar klein, aber besser organisiert als in irgend einem anderen Lande. Wenn von 100.000 Arbeitern die Partei 40.000 Mitglieder hat, so ist das ein solcher Prozentsatz, wie er in keinem anderen Lande vorhanden ist.

Das letzte Element ist der Militarismus. Dank dem Frieden von Neuilly ist die Armee demobilisiert. — Das ist schematisch das soziale Kräfteverhältnis.

Die politische Konjunktur. Die Bourgeoisie und die Generalität, die 40 Jahre geherrscht haben, wurden bankrott durch den Krieg, hinweggeschwemmt durch den Unwillen der Bauernschaft. Das zeigt das Stimmenverhältnis bei den Wahlen. Im Jahre 1920 erhielten alle bürgerlichen Parteien 250.000 Stimmen, im Jahre 1923 219.000 Stimmen; während die Kommunistische Partei im Jahre 1920 148.000 Stimmen erhielt und im Jahre 1923 230.000 Stimmen. Die Kommunistische Partei erhielt mehr Stimmen als alle bürgerlichen Parteien zusammen. Die stärkste Partei, die als Regierungspartei auch die Mittel hatte die Wahlen zu machen, ist die Bauernpartei. Die Regierungspartei hatte 121.000 eingeschriebene Mitglieder. Davon waren 115.000 arme, im besten Falle Kleinbauern. Also eine Partei, die nach ihrer sozialen Zusammensetzung als Koalitionspartei für uns in Betracht kam. Nun, Sie wissen, dass diese Partei durch die kleine intellektuelle Clique, die die Bauern führt, sich mehr verbunden fühlt mit der kleinen Schicht der Dorfbourgeoisie als mit den großen Massen, die hinter ihr standen. Weil sie sah, dass die Kommunistische Partei die einzige starke Partei ist, die ihre Konkurrentin auch bei den Bauern sein konnte, wurde diese in der letzten Zeit von der Regierung verfolgt, was eine große Erbitterung in der Partei schuf. Aber es unterliegt keinem Zweifel, dass die Kommunistische Partei das, was notwendig war, um die Stambulinski-Partei entweder in die Koalition zu zwingen oder zu spalten, nicht getan hat.

Die Partei hatte nicht genügend unter dem Bauerntum gearbeitet. Das zeigen jetzt die Tatsachen. Sie verstand es nicht, Stambulinski, wenn er nicht mit ihr gehen wollte, so vor den Bauernmassen zu demaskieren, dass sie die Spaltung in diese Bauernpartei hineintrug.

Weiter. Ich habe ein sehr wichtiges politisches Element in der ganzen politischen Situation nicht erwähnt, das zeigt, dass wir auch gegen Stambulinski operieren konnten. In der gesamten modernen Geschichte Bulgariens spielt die mazedonische Frage eine große Rolle. Mazedonien, wo Bauern leben, von denen man schwer sagen kann, ob sie Serben oder Bulgaren sind, bildet ein altes Streitobjekt zwischen Serbien und Bulgarien. Auf Grund der Niederlage im Kriege hat die Bauernpartei, Stambulinski, auf Mazedonien verzichtet. Nicht nur formell, sondern um sich zu sichern, hat Stambulinski in Nisch mit Jugoslawien ein Abkommen geschlossen, auf Grund dessen er diese alten mazedonischen Organisationen blutig verfolgte. Diese Organisationen sind, sozial genommen, Organisationen kleiner und armer Bauern. Sie haben eine revolutionäre Vergangenheit, haben gekämpft gegen die Herrschaft der türkischen Großgrundbesitzer, haben gekämpft gegen die Bourgeoisie in Serbien, sie haben alte illegale revolutionäre Organisationen. Es bestanden dort seit langer Zeit Sympathien für die russische Revolution. Die mazedonischen Organisationen waren sozial ein Faktor, mit dem wir uns verbinden konnten. Wir konnten uns mit ihnen gegen Stambulinski verbinden. Sie stellen die entscheidende militärische Macht dar, haben große illegale bewaffnete Organisationen. Wir konnten auch durch Verbindung mit ihnen auf die Stambulinski-Regierung einen Druck ausüben, dass sie, wenn sie den Neuilly-Frieden ausführen müsste, jedenfalls diese Organisationen nicht verfolgte Die Partei hat nicht nur das nicht getan, sondern, und das ist das Charakteristische; die mazedonische Frage spielt in ihren Darstellungen der taktischen Frage keine Rolle. Kabaktschieff hat vor zwei Monaten einen Artikel über die Lage in Bulgarien veröffentlicht, der in der „Inprekorr“ erschien und den ich jetzt wieder las. In dem ganzen Artikel in allen taktischen Erwägungen kein Wort zur mazedonischen Frage.

Die internationale Lage auf dem Balkan.

Das Argument der Partei, mit dem sie ihre Politik verteidigte, war: Wir können die Macht übernehmen, aber die internationale Lage ist so, dass wir erdrückt werden. Auf dieses Argument möchte ich die besondere Aufmerksamkeit der Genossen lenken, die in ihren Ländern — ich wende mich an die tschechischen Genossen — sehr oft mit demselben Argument gearbeitet haben. Die bulgarische Partei stellte die Sache so dar: sie kann nur siegen, wenn der Sieg vom Himmel fällt, wenn es sehr leicht ist, wenn sie vom Meer der Revolution umgeben ist.

Die Isolierung Bulgariens, das umgeben ist von Serbien, Griechenland und Rumänien, ist eine Tatsache, die natürlich eine große Gefahr für die bulgarische Revolution bildet und auf die Partei drücken musste. Diese Situation erfuhr aber in den letzten Jahren Erleichterungen durch den griechisch-türkischen Krieg und durch die griechische Revolution, die das Feuer der Revolution auf dem Balkan entzündete. Die bulgarische Partei hat sich während der griechischen Revolution nicht gerührt, sie wartete auf eine günstigere Situation. Die Konterrevolution begriff, dass es in der Politik notwendig ist, die Initiative in die eigenen Hände zu nehmen. Wenn man die Situation vom internationalen Standpunkt aus betrachtet, so ist die Lage der Konterrevolution, dieser Clique von alten Offizieren und Bürokraten, die den Staatsstreich gemacht hat, auch nicht leicht. Diese Regierung, die sich auf die Mazedonier stützt, ist eine Gefahr für Serbien, und sie muss Serbien fürchten. Und trotzdem haben die Konterrevolutionäre den Staatsstreich gewagt. Die Konterrevolution hat begriffen, was die alte Kommunistische Partei noch nicht begriffen hatte; dass es in entscheidenden Momenten gilt, zu wagen, dass vollzogene Tatsachen ihre Logik haben, dass sie, wenn man die Initiative in die Hand nimmt, auch dem Gegner die Situation erschweren.

Die Ursache der Niederlage.

Genossen, der Grund der Niederlage liegt darin, dass unsere bulgarische Partei eine alte sozialdemokratisch-marxistische Partei war, die auf dem Gebiet der Propaganda, der Organisation Kolossales geleistet hat, die jedoch den Übergang von der Agitation und Opposition zur Tat, zur Aktion in einer historischen Stunde nicht imstande war zu vollziehen. Und diese Gefahr droht in vielen anderen unserer Parteien: Das Verhältnis der bulgarischen Genossen zu den Bauern, zur nationalen Frage war nur ein Resultat der Tatsache, dass die bulgarische Partei nicht den Wagemut hatte, ohne den man revolutionäre Kämpfe nicht führen kann. Nur weil sie es nicht wagte zu kämpfen, hat sie trotz des theoretischen Verständnisses in der Agrarfrage, trotzdem die Genossen, wenn man mit ihnen über die mazedonische Frage sprach, ihr vollkommenes Einverständnis erklärten, praktisch nicht verstanden, den Acheron in Bewegung zu bringen.

Die Niederlage ist eine entscheidende. Es ist lächerlich, anzunehmen, dass in einem Bauernland, wo die Massen verstreut sind, derjenige, der die Macht und den Staatsapparat in der Hand hat, sich trotz seiner sozialen Schwächen nicht eine lange Zeit halten kann, Der Augenblick, wo der Staatsstreich erst in Sofia stattfand, war der Augenblick des Handelns, denn wir waren die einzige Kraft, die im ganzen Lande zentralisiert war. Die Eisenbahner, die Telegraphen-Beamten sind auf unserer Seite, wir hatten die Verbindung in den Händen, wir hatten die Massen der Arbeiter in den Händen. Und noch mehr. Es unterliegt gar keinem Zweifel: in dem Moment, wo die Bauernpartei um ihr Leben kämpfte, waren die historisch gegebenen Chancen vorhanden, die Koalition mit ihr zu schließen, trotz allem, was uns von ihr trennte. Als Kornilow den Aufstand wagte, standen wir zu Kerenski in keinem besseren Verhältnis, sondern in einem schlechteren als die bulgarischen Genossen zu Stambulinski. Damals ist unsere Partei mit voller Energie in die Abwehr gegen Kornilow eingetreten. Und nach der Kornilow-Affäre machte Lenin in seinem Artikel über Kompromisse den Menschewiki und Sozialrevolutionären ein direktes Koalitionsangebot.

Die bulgarische Partei versucht nicht ihre Niederlage zu verstehen, sondern umgekehrt zu beschönigen. Wir haben die Aufrufe der bulgarischen Partei vor uns. Sie sind das traurigste an der ganzen Niederlage. Wir haben den Aufruf vom 9. Februar, den Aufruf vom 15. und eine ganze Anzahl von Artikeln. Die Partei vertritt in ihnen den Standpunkt; Es kämpfen zwei Cliquen der Bourgeoisie, wir, die Arbeiterklasse, stehen abseits, und wir hoffen und fordern, dass uns die Pressefreiheit und alle anderen guten Dinge zuteil werden. Das ist der Aufruf vom 9. Februar.

Während ein Teil der Arbeiterklasse ohne Leitung durch die Partei zusammen mit den Bauern im Kampfe stand, desavouierte sie die Partei. In ihrem Aufruf vom 16. — dieser Aufruf ist das entmutigendste, was ich je gelesen habe — erklärt die Partei nicht mehr und nicht weniger als folgendes:

Hunderte und Tausende von Arbeitern und Bauern werden arretiert und auf Grund des Ausnahmegesetzes gegen das Banditentum dem Gericht ausgeliefert unter dem Vorwand, dass sie dem Staatsstreich Widerstand entgegengesetzt haben. Wir erklären, dass in der unklaren Situation, die im Moment des Bürgerkrieges zwischen den beiden bürgerlichen Cliquen entstand, ein Teil der Arbeiter ihr Leben und ihre Familien verteidigt haben und nicht am Kampfe um die Macht teilnahmen.“

Die Arbeiter waren neutral, und nur in der Gefahr, als geschossen wurde, haben sie mit geschossen, weil sie Frauen und kleine Kinder haben. Aber sie haben nicht gegen den Staatsstreich gekämpft.

Die Theorie der Neutralität zwischen zwei Lagern der Bourgeoisie, die Erklärung, wir sind die einzige Partei, die die Konstitution verteidigt, dieselbe, auf Grund deren König Boris die Verschwörung gegen Stambulinski machte, auf Grund deren unsere Genossen im Gefängnis sitzen — das sind Dinge, die nicht nur auf eine äußere Niederlage hinweisen, sondern auf die innere Auflösung der Leitung der Partei. Wir würden uns nur freuen, wenn es sich zeigen würde, dass die Partei gesünder ist als ihre Leitung. Jedenfalls wollen wir den Genossen über diese Tatsachen klaren Wein einschenken.

Wir halten es für die Pflicht der kommunistischen Parteien, dass, wenn der Kampf geht zwischen den großkapitalistischen Schichten, die ihrer Vergangenheit nach die Interessen des Kapitals vertreten, und zwischen den kleinbürgerlich-bäuerlichen Schichten, unsere Partei nicht die Rolle eines Zuschauers zu spielen hat, des neutralen Elements, sondern dass sie zu versuchen hat, wenn es ihr nicht möglich ist, die Macht selbst an sich zu reißen, mit den kleinbürgerlichen Schichten in eine Koalition zu treten. Es ist nicht marxistisch, sondern Klugscheißerei, zu behaupten, dass sich hier zwei Schichten der Bourgeoisie gegenüberstehen, die uns beide gleich feindlich sind, wo in der ganzen Welt das Bauerntum bisher noch nicht geherrscht hat. Hier den dritten Band des Kapitals herausziehen und feststellen, dass das Bauerntum auch ein Teil der Bourgeoisie ist, das ist ein Im-Stich-Lassen der revolutionären Pflicht.

Die EK und die bulgarische Partei.

Nun zu dem Teil der Schuld, der die Exekutive an diesen Dingen trifft. Ich werde Ihnen ein paar Tatsachen mitteilen, die ein Urteil darüber erlauben. Schon während des 2. Kongresses kamen aus Bulgarien kleine Gruppen, die die Partei anklagten, dass sie 1918 beim Zusammenbruch des König-Ferdinand-Regimes die Macht nicht an sich genommen hätte, dass sie nicht aktiv genug war. Es waren dies zum Teil abenteuerliche Gruppen, wie Chartakor, der Artikel von Kautsky über Terrorismus abdruckte - und zugleich den „linken Kommunisten“ spielte, zum Teil gute proletarische Elemente, die sich in Unklarheit befanden. Wir prüfen diese Anklagen mit größter Sorgfalt, denn wir wussten aus Erfahrungen in Deutschland, aus dem Kapp-Putsch, wie nötig es ist, auf solche Warnungen zu hören.

Die konkreten Anklagen wurden durch die Untersuchung der Kommission entkräftet. Es war klar, dass die Partei im Jahre 1918 die Macht nicht an sich reißen konnte. Trotzdem muss ich sagen, dass wir stutzig wurden, und das Resultat unseres Gefühls, dass etwas faul war im Staate Dänemark, war der Aufruf an den bulgarischen Parteitag vom 4. Mai 1921.

Ich werde Ihnen diesen Aufruf vorlesen, er ist nicht sehr lang.

Aufruf

der Exekutive der Kommunistischen Internationale an den Kongress der Bulgarischen Kommunistischen Partei.

Die Exekutive der Kommunistischen Internationale übersendet dem Kongress der Kommunistischen Partei Bulgariens brüderliche Grüße. Die Bulgarische Kommunistische Partei, die Erbin der tapferen, konsequenten Partei der Tjesnaki, bildet eine der besten Massenparteien der Kommunistischen Internationale. Sie hat als eine der ersten sich rückhaltlos zu den Grundsätzen des Kommunismus bekannt. Die Kommunistische Partei Bulgariens verstand es als Mitglied der Kommunistischen Internationale, sich noch enger mit den leidenden Arbeitern und Bauernmassen zu verbinden, neue Machtpositionen zu erobern und der Regierung der Kapitalisten und Dorfwucherer zu trotzen. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale hofft, dass die Bulgarische Kommunistische Partei auf ihrem Kongress ihre Organisationen, ihre politische Aktion auf das sorgfältigste prüfen wird, ob sie den Anforderungen, die die Umstände an die Kommunistische Partei stellen, entsprechen. Die Teilnahme am Parlament, an den Gemeinderäten hat nicht kleiner Reformarbeit, sondern der Aufrüttelung und Revolutionierung der Massen zu dienen. Diese revolutionäre Aktion erfordert das Bestehen illegaler Organisationen, da die Bourgeoisie in jedem Moment des Kampfes die legalen Organisationen der Partei zertrümmern kann. Die revolutionären Aktionen fallen nicht vom Himmel, und die Bedingungen für sie können nicht allein auf dem Wege der Agitation und Propaganda geschaffen werden. Sie entstehen, wenn die Partei mutig und entschlossen jeden sozialen Konflikt zu verschärfen, zu verallgemeinern sucht. Nur auf diesem Wege kann sich der Kampf um Teilforderungen zum Kampfe um die politische Macht auswachsen. Dieser Kampf um die politische Gewalt ist auf dem Balkan verhältnismäßig leicht, weil die Bourgeoisie in den Balkanländern nicht so stark organisiert ist wie in Westeuropa. Die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse und die ärmeren Bauern in einem Balkanstaate würde in jedem Nachbarstaate ein starkes Echo hervorrufen, denn auf dem Balkan haben die Regierungen überall mit den größten Schwierigkeiten zu rechnen. Die Revolution auf dem Balkan bedeutet nicht nur die Befreiung der Balkanarbeiterklasse von dem Joche des Kapitalismus, und der Balkanbauern aus den Krallen des Wucherkapitals, sondern sie würde den Sieg der Revolution in Mittel- und Westeuropa ungeheuer beschleunigen. Die Revolution in den Agrarländern Süd-Ost-Europas würde die Gefahren der Abschneidung Deutschlands und Italiens von den Brotzufuhren aus Amerika verringern. Sie würde die Revolution an die Völker Asiens, zu denen ihre Flammen bisher nur von Russland kamen, näher heranbringen. In der bestimmten Hoffnung, dass das Bewusstsein dieser auf ihr ruhenden Pflichten den Kongress der Kommunistischen Partei Bulgariens beseelen, zu neuen Anstrengungen antreiben wird, wünscht ihm die Exekutive energische und gedeihliche Arbeit.

Es lebe die Bulgarische Kommunistische Partei!

Es lebe die Revolution in den Balkanländern!

Es lebe die Kommunistische Internationale!

Es lebe die Weltrevolution!“

Sie sehen, wir hielten es nicht für möglich eine Kritik zu üben, und haben nur positiv alle Befürchtungen ausgedrückt. Wir haben dann hier in vielen Sitzungen der Exekutive mit den bulgarischen Genossen gesprochen, Ich erinnere daran, dass wir während der griechischen Revolution mit Popow und Jordanow mehr als fünf Stunden kämpften über die Notwendigkeit eines Vorstoßes seitens der bulgarischen Partei. Der Vertreter der Exekutive, den wir daraufhin nach Bulgarien entsandten, hielt mit der bulgarischen Partei Sitzungen ab, in denen alle diese Fragen besprochen worden sind. Wir können sagen, dass wir schon damals die Gefahr begriffen haben. Unsere Schuld besteht darin, dass wir uns scheuten, uns in die inneren Angelegenheiten einer großen, alten kommunistischen Partei einzumischen, dass wir es nicht gewagt haben, der Partei die Wahrheit zu sagen und evtl. in das alte Zentralkomitee, dessen Mitglieder sehr gute, alte, gebildete Genossen sind, direkt Arbeiter zu entsenden, die vielleicht eine bessere revolutionäre Politik getrieben hätten. Wir haben uns vorzuwerfen, dass wir das Geschrei über Ukase aus Moskau fürchteten, und wir müssen uns sagen, dass diese Schuld nicht klein ist. Wir hoffen, dass die kommunistischen Parteien nicht nur die allgemeinen taktischen Lehren aus dieser Lage in Bulgarien ziehen werden, sondern dass sie auf Grund dieser Ereignisse, die vielleicht Hunderten und Tausenden von Proletariern in Bulgarien das Leben kosten werden, die vielleicht auf längere Zeit die Sache des Sieges der Revolution auf dem Balkan verzögern, verstehen werden, dass wir in der jetzigen verantwortungsvollen Zeit aus dieser Reserve heraustreten müssen. Es ist unsere tiefe Überzeugung, dass wir in Ländern, die weit vom Schuss liegen, wie Norwegen, sehr zurückhaltend sein können, die Dinge innerlich ausreifen lassen müssen, aber dass wir nicht zurückhaltend sein können dort, wo die Geschicke der Revolution in der nächsten Zeit entschieden werden. Ich bin überzeugt, dass es nach dieser Erfahrung keinen Kommunisten geben wird, der nicht verstehen wird, wenn wir über alle Bedenken hinweg im Namen der Kommunistischen Internationale in einer solchen Situation eingreifen werden, wo die Gefahr besteht, dass unsere Partei ohne Kampf zerschlagen wird und der Faschismus siegt; dass wir sie daran erinnern, dass jede kommunistische Partei, die eine Massenpartei ist, die Pflicht hat, zu wagen sind zu kämpfen, selbst auf die Gefahr der Niederlage hin. Denn selbst wenn sie geschlagen werden sollte, was in der gegebenen Lage keinesfalls sicher ist, wird sie den arbeitenden Massen zeigen, dass sie ein Kampfzentrum besitzen, um das sie sich sammeln können, wenn die Offensive des Kapitals abebbt, wenn der Augenblick der Zersetzung des Faschismus kommt.

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