Karl Radek 19190915 Die Entwicklung der deutschen Revolution und die Aufgaben der Kommunistischen Partei

Karl Radek: Die Entwicklung der deutschen Revolution und die Aufgaben der Kommunistischen Partei

(1919/20)

[Broschüre, Hamburg 1920]

Inhaltsverzeichnis

Vorrede zur zweiten Auflage

I. Die politische Lage

II. Die Unterschiede in dem Tempo der russischen und der deutschen Revolution

III. Die politischen Aufgaben der Kommunistischen Partei

IV. Die Gewerkschaften, die Kommunistische Partei und die Zertrümmerung des Kapitalismus

V. Die Betriebsräte und der Kampf um den Sozialismus

VI. Die Sammlung des Proletariats

VII. Unsere internationalen Pflichten

VIII. Die Kommunistische Partei


Vorrede zur zweiten Auflage

Diese Schrift war Anfang September im Gefängnis geschrieben, als die taktischen Gegensätze in der Kommunistischen Partei nach Klärung drängten. Sie konnte leider erst im November erscheinen. Inzwischen hat die Oktoberkonferenz der Kommunistischen Partei ihre Taktik in den Leitsätzen festgelegt. Abgesehen von einigen nicht sehr glücklichen Formulierungen entsprechen diese Leitsätze meinen Auffassungen von dem Weg, den die Kommunistische Partei einzuschlagen hat. Ich habe diese Auffassungen noch einmal durchzudenken gehabt, als ich eine Schrift über die taktischen Probleme des Kommunismus in den Weststaaten überhaupt für das Westeuropäische Büro der Kommunistischen Internationale verfasste. Obwohl ich in dieser Schrift, die gleichzeitig erscheint, manche der hier behandelten Fragen (so die über unsere Stellung zu den Gewerkschaften und Arbeiterräten) ausführlicher behandelt habe als in der vorliegenden, entschied ich mich für diese zweite Auflage, weil hier die deutschen Streitfragen konkreter gefasst sind. Ich lasse im Anhang die Artikel über die „Auswärtige Politik des deutschen Kommunismus“ und den über die „Rolle der Kommunistischen Partei in der Revolution“ abdrucken, die in der Kommunistischen Presse nach der Parteikonferenz erschienen sind. Sie werden die parteizerstörerischen und kleinbürgerlichen Tendenzen der so genannten Hamburger Richtung viel schärfer hervortreten lassen, als es der Fall war zur Zeit, als ich meine Schrift abfasste. Die zum Schluss abgedruckten Rundschreiben des Genossen Sinowjew und der Brief Lenins zeigen, dass, obwohl ich meinen Standpunkt ohne Rücksprache mit der Exekutive der Kommunistischen Internationale formulierte, wir zu den gleichen Resultaten gelangt sind. Das müsste den Genossen aus der „Opposition“ noch klarer zeigen, dass es sich bei diesem Standpunkt nicht um individuelle Urteile einzelner „Bonzen“ handelt, die miteinander gute Kameradschaft halten, sondern um die Resultate der Anwendung der gleichen Methode. Nun ist der Standpunkt Lenins, Sinowjews wie meiner Wenigkeit durch keinen Kongress der Dritten Internationale akzeptiert. Es handelt sich erst um die Vorbereitung der Stellungnahme der Dritten Internationale. Dass diese in unserem Sinne ausfällt, unterliegt für mich keinem Zweifel. Ich bin überzeugt, dass bis zur Tagung des Kongresses auch die noch im Unklaren herumtappenden Genossen den breiten Weg des revolutionären Klassenkampfes finden werden‚ dass sie sich überzeugen werden, dass die Wundermittel und Experimente Laufenbergs, Wolffheims, Sturms und Schröders nichts anderes sind als kleinbürgerliche Schrullen.

Damit komme ich zur Frage der Parteispaltung, die ich in meiner Broschüre für wenig wahrscheinlich hielt, und die durch die Oktoberkonferenz äußerlich in greifbare Nähe gerückt ist. Geht es in der Richtung der Spaltung, ja der Zersplitterung der Kommunistischen Partei, wie unsere Feinde triumphieren? Nein die Entwicklung geht in der Richtung der Konsolidierung der revolutionären Arbeiterklasse Deutschlands in eine große, aktive Kommunistische Partei: das zeigen ebenso sehr die Kämpfe in der Kommunistischen Partei wie in der Unabhängigen Sozialdemokratie.

Die Kommunistische Partei entstand aus der Vereinigung des Spartakusbundes mit den nordwest-deutschen Linksradikalen, ihren Kern bildeten also Genossen, die schon in der alten deutschen Sozialdemokratie den Kampf um den Kommunismus geführt haben. Sie taten das aus dem Verständnis der Bedürfnisse des proletarischen Kampfes in der Geschichtsperiode‚ die mit dem Imperialismus angefangen hat. Da die Kommunistische Partei den schärfsten Kampf gegen den Kapitalismus repräsentiert, musste sie beim Ausbruch der Revolution Elemente der Arbeiterklasse heranziehen, die bisher gar nicht an dem Kampfe teilgenommen haben, aber eben deshalb am ungeduldigsten sind und glauben, man könne Mittel finden, mit deren Hilfe der Sieg sehr schnell und leicht zu erreichen sei. Trotzki sagte einmal, die Ungeduld sei der Boden des Opportunismus. Sie treibe die einen zum Versuche, die Schwierigkeiten zu überspringen (Putsch, Sabotage, individueller Terror), die anderen zum Versuche, sie zu umgehen (Reformismus, Proudhonismus). Und wir sehen, wie die ungeduldigen Elemente der revolutionären Arbeiterbewegung sich zwar in die Springer und Schleicher trennen, aber gemeinsam uns, die aufrecht Gehenden, anklagen. Nun, wir können es ertragen! Sie werden bald erkennen, dass der Mensch weder dauernd auf einem Beine springen, noch auf dem Bauche schleichen kann. Wenn die Führer der Kommunistischen Partei die Gliederverrenkungen nicht mitmachen wollen, spalten sie nicht die Partei, sondern sie demonstrieren den springenden Putschisten, Antiparlamentaristen, Sabotagemännern, wie jenen, die den Sieg ohne offene Revolution in den Betrieben erschleichen wollen, wie man zum Ziele marschiert. Sobald die einen sehen werden, dass man das Wallothaus nicht ignorieren kann, solange es existiert, dass man durch Sabotage nicht siegen kann, da auf sie die Kapitalisten mit den Akkordlöhnen antworten, werden sie den Gebrauch der beiden Füße lernen und — falls sie von uns sich trennen — wieder zu uns kommen. Und dasselbe wird der Fall sein mit den Arbeitern, die den langsamen Vormarsch durch die Eroberung der Gewerkschaften sich sparen wollen, indem sie in den leichten Kabrioletts der Arbeiterunionen ans Ziel gelangen wollen, indem sie den Sieg in den Betrieben ungestört von der Konterrevolution, erreichen wollen. Sie werden bald sehen, dass die Arbeiterunionen über die paar Tausend Mitglieder, die sie in einigen Städten haben, nicht herauskommen, sie werden bald sehen, dass wenn sich die Revolution in die Betriebe verkriecht, die Konterrevolution ihr auch dorthin folgen kann. Werden sie es erfahren, so werden sie uns folgen in dem Kampf um die Eroberung der Gewerkschaften und in dem Kampf, den die Arbeitermassen auf allen Schlachtfeldern mit allen Mitteln führen müssen. Die kommunistische Vorhut, die den breiten Weg gefunden hat, mag klein sein, aber sie darf von diesem Wege nicht weichen, weil ein Teil der Partei erst auf Umwegen zu ihm gelangen will. Die Oktoberkonferenz der Partei hat den richtigen Weg gefunden, mögen die Leitsätze Korrekturen im Einzelnen erfordern. Und von diesem Wege darf sie ebenso wenig weichen wie der Bergsteiger, der ihn in den Bergen gefunden hat. Wenn seine Kameraden noch suchend umherirren, läuft er ihnen nicht nach, denn er könnte sich selbst verlaufen, sondern er bleibt auf dem gefundenen Pfade und ruft ihnen sein „Hierher“ zu. Es gibt für die Partei kein Zurück in den großen politischen Entscheidungen, die sie getroffen hat. Aber das bedeutet nicht, dass auch die vorübergehende Spaltung notwendig, unausweichbar sei. Wenn man von ein paar Doktrinären absieht, die sich in der dürren Heide ihrer ausspintisierten Theorie festgerannt haben, und von denen man nicht weiß, wohin sie durch die Zwischenstation des Kommunismus eigentlich geraten wollen, so handelt es sich bei den Arbeiterkreisen, die hinter ihnen standen, mehr um vorübergehendes Irren und Suchen, als um einen Willen zu einer Sonderpolitik. Dank dem Belagerungszustand konnte die Leitung der Kommunistischen Partei sehr schwer den nahen Kontakt mit den Massen aufrechterhalten. Wird sie nur ein paar Wochen frei, ruhig, sachlich mit den Mitgliedschaften sprechen können, ihnen zeigen, dass es sich nicht um einen von den „Bonzen“ gefundenen Weg handelt, sondern um Notwendigkeiten des Klassenkampfes, so werden sie sich zurechtfinden. Während die Partei den gewählten Weg ruhig weiter schreitet, wird sie die Aufgabe haben, durch propagandistische Literatur, durch ruhige, sachliche Diskussionen die Arbeiterelemente der Opposition von der Richtigkeit des gewählten Weges zu überzeugen und gleichzeitig durch ein organisatorisches Entgegenkommen ihnen den Rückweg in die Reihen der Partei erleichtern. Da es gilt, die Stellungnahme des 2. Kongresses der Kommunistischen Internationale vorzubereiten, so wird genug Gelegenheit sein, vor der nächsten Parteikonferenz den Mitgliedschaften noch die Möglichkeit zu geben, zu allen Streitfragen gründlich Stellung zu nehmen, und es unterliegt für uns keinem Zweifel, dass für die überwiegende Mehrheit der Partei diese Stellung so ausfallen wird, wie sie ausfallen muss: sie wird anerkennen müssen, dass wir die Schwierigkeiten in den Massenorganisationen des Proletariats, in den Gewerkschaften, nicht überwinden, wenn wir uns vor den Massen in Sonderorganisationen wie Arbeiterunionen, flüchten, und dass wirklich schneller zum Ziele gelangen, wenn wir auch auf die geringsten Kampfmittel — wie es der eventuelle Gebrauch des parlamentarischen Mittels ist — verzichten. Wir haben Vertrauen zum gesunden Menschenverstand der Arbeiter. Wer ihn nicht finden wird nach einer Karenzzeit des Suchens und Irrens, dem werden wir die Freude erlauben müssen, ein Narr auf eigene Kappe zu sein. Jetzt wollen wir alles tun, um die Zahl der Anhänger solcher kommunistischer Narretei möglichst klein zu machen.

Die Partei muss fest bleiben und den bewusst gewählten Weg weiter schreiten, um eine Kristallisationsachse nicht nur für die irrenden Mitglieder der Kommunistischen Partei zu bilden, die zu ihr ganz gewiss zurückkehren werden, falls sie sie für einen Augenblick verlassen, sondern für das gesamte revolutionäre deutsche Proletariat Die Kommunistische Partei ist seine Vorhut. In der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands fanden ihren Ausdruck die breiten Massen der revolutionären Arbeiter Deutschlands, die sich von den Scheidemännern trennen. Weil dieser Trennungsprozess allmählich vor sich ging, bildete die USPD das widerspruchsvolle Gebilde, wie wir es in unserer Broschüre schildern. In den letzten Monaten ist der Prozess schneller gegangen. Die Arbeitermassen der USP drängten ihre rechten Führer zurück, nötigten der Partei die Anerkennung des Diktaturprogramms, die faktische Anerkennung der Dritten Internationale auf. Wenn es auch den rechten Führern noch gelang, die Beschlüsse zu verwässern, so ist die USP an dem Punkt angelangt, wo sie vor dem Übergang zum Kommunismus steht. Wenn es den Arbeitern aus der USP unter der Führung des linken Flügels (Däumig, Geyer etc.) gelingt, die Versuche der „rechten“ Führerclique, die Ausführung der Parteitagsbeschlüsse zu hintertreiben, abzuwehren, sei es, indem diese Führer aus allen Leitungen, der Presse usw. herausgedrängt werden oder sich selbst abspalten, so wird die USP in neun Zehntel ihres jetzigen Bestandes eine Kommunistische Partei sein. Wird die KPD klar den Weg des Kampfes sehen, ihn den Massen zeigen, so wird sie den Klärungsprozess der USP-Massen sehr beschleunigen Die Entwicklung der USP geht schneller als ich noch im September annahm. Damit stehen wir vor der Frage gemeinsamer Aktionen mit ihr, in denen die Einigkeit der Auffassungen gebildet werden kann, die die organisatorische Einigkeit des revolutionären deutschen Proletariats herbeiführen kann. Dazu ist bei den USP-Leuten die Zurückdrängung der opportunistischen Führer, in der KPD der syndikalistischen Elemente, in beiden geistige Klärung notwendig. Was die syndikalistischen Elemente in unserer Partei als ein Komplott einiger „Bonzen“ zu enthüllen glauben, das ist eine Tatsache, die nur ein Blinder nicht sieht, das Jahr der Niederlagen, das wir hinter uns haben, war gleichzeitig ein Jahr fruchtbarer Erfahrungen des Proletariats, und wenn am Ende des vorigen Jahres notwendig war, die USP zu spalten, so ist jetzt notwendig, an die Einigung des revolutionären Proletariats zu denken.

Berlin, den 12. Dezember 1919.

1. Die politische Lage

Von der Auffassung des Wesens der politischen Situation hängt in erster Linie das Urteil ab, ob und in welcher Richtung ihre Änderung das Ziel des Kampfes der revolutionären Arbeiterklasse bilden soll. Die politische Lage zu charakterisieren, bedeutet für einen Marxisten nicht, die Stimmungen zu erforschen, obwohl ihre Berücksichtigung für den proletarischen Taktiker auch von Wichtigkeit ist, sondern es bedeutet, exakt das soziale Wesen der herrschenden und der beherrschten Klassen, ihr Kräfteverhältnis, wie auch die Richtung der zu erwartenden Änderungen, deren Triebkraft u. a. zu untersuchen. Erst nachdem dies geschehen ist, kommt die Feststellung der „Stimmungen“, d. h. des Kraftbewusstseins der einzelnen Faktoren in Betracht als Moment, das mitbestimmen kann, wie die objektiv sich ergebende Kampfesweise anzuwenden ist. Nur so wird die proletarische Partei kein Spielball des Zufalls.

Um mit dem Kräfteverhältnis der herrschenden und beherrschten Klassen zu beginnen, so haben wir in Deutschland vor uns die Diktatur der alten herrschenden Klassen: des Junkertums, des Industrie- und Finanzkapitals. Das scheint eine Agitationsphrase zu sein, es ist aber eine exakt festgestellte politische Tatsache. Auf der Vorderszene sitzen als Regierung die Vertreter der Sozialdemokratie und der Zentrumspartei. Die erste vertritt die Arbeiteraristokratie, also die zu kleinbürgerlichen Existenzbedingungen emporgehobenen Teile des Proletariats, die zweite wird als Partei des Kleinbürgertums bezeichnet. Aber schon diese Charakteristik ist nicht ganz richtig.

Die Sozialdemokratie nimmt, dank ihrer Überzeugung, dass ohne Hilfe des Kapitals Deutschland wirtschaftlich nicht gesunden kann, jedwede Rücksicht auf die Interessen der entscheidenden kapitalistischen Kreise: die Opferung Wissels hat dies am besten illustriert. Das Zentrum hat einen starken junkerlichen und großkapitalistischen Flügel.

Diese Zusammensetzung der Regierung verbürgt schon eine rein kapitalistische Politik, die bei der jetzigen Schärfe der Gegensätze nichts anderes als eine Diktatur, d. h. eine rücksichtslos mit Gewalt durchgeführte Politik sein muss. Aber in Wirklichkeit nehmen an der Koalition, die die Regierung stützt oder sogar führt, alle kapitalistischen Schichten teil. Die Demokraten, die einen großen Teil des Handels-, Industrie- und Finanzkapitals vertreten, sind aus der Regierung ausgetreten, um für den Frieden von Versailles keine formelle Verantwortung zu tragen, d. h. um sich den Weg zur Koalition mit den nationalistischen und imperialistischen Teilen der Bourgeoisie, des Junkertums und der Offizierskaste, nicht zu verbauen. Aber sie stützen die Regierung im Parlament wie im ganzen Reiche. Die eigentliche Regierungspresse ist die demokratische. Die Frage des Wiedereintritts der Demokraten in die Regierung ist eine Frage des Kuhhandels, der jetzt geführt wird.

Aber die Junker und Schwerindustriellen von der deutsch-nationalen Partei und der Teil der Schwerindustrie, der durch die Deutsche Volkspartei vertreten wird, stehen doch in krasser Opposition zur Regierung und bereiten Scheiterhaufen für Erzschelmberger! Diese parlamentarische Opposition hindert jedoch die Offizierskaste nicht, das ausführende Organ der Erzberger-Diktatur zu sein!

Was bedeutet das?

Die Junker opponieren gegen die bestehende Regierung mit dem Munde, stützen sie aber mit der Faust. Das eine wie das andere hat gute Gründe: mit der Faust stützen sie die Regierung, weil sie die Regierung des Kapitals gegen die Arbeiterklasse ist. Sie maulen gegen diese Regierung, erstens, weil sie mit der Möglichkeit rechnen, das Ruder direkt in ihre eigenen Hände zu nehmen und die Diktatur nicht zugunsten des Kapitals überhaupt, sondern zugunsten des Agrarkapitals im besonderen errichten zu können; zweitens, weil sie durch diese parlamentarische Opposition größere Rücksichtnahme auf ihre Sonderinteressen zu erpressen hoffen, als sie sie durch offene Teilnahme an der Regierung ergattern könnten. Und wie sehr die Bauer-Erzbergerregierung ein Zipperlein in ihren Beinen bei dem Gedanken fühlt, die Junker könnten sie mal beim Schopfe nehmen, so ist ihr die theatralische Opposition der Junker als Parlamentarier bei gleichzeitigem faktischen Dienst der Junker als Söldner sehr gelegen; der homerische „Kampf“ der Junker gegen die Regierung verhüllt doch den Massen die wirkliche sie sehen nicht, dass der alte Militarismus noch lebt, dass der alte Landrat im Sattel feste sitzt. Wenn die Junker schimpfen, wenn die Offiziere mit dem Säbel rasseln, dann ruft man den Massen zu: die Konterrevolution droht, die Demokratie ist in Gefahr, sammelt euch um die demokratische Regierung! Diesem Spiel gedenken die Junker einstweilen kein Ende zu bereiten. Sie wissen, dass die Lage im Innern wie nach außen ihre offene Herrschaft einstweilen noch unmöglich macht. Die Arbeiterschaft hat die Ludendorfferei noch so im Magen, dass die offene Machtergreifung durch die bekanntesten Vertreter des Militarismus einen mechanischen Zusammenschluss der Massen gegen sie herbeiführen würde.

Man erzählt in den politischen Kreisen Berlins ein Bonmot, das Ludendorff im Kreise seiner Intimen fallen gelassen haben soll:

Ich könnte jetzt leicht zur Regierung kommen, aber nicht fahren, da die Eisenbahner meinen Regierungsantritt durch den Streik feiern würden“. Se non è vero è ben trovato.

Und der Ausspruch Reinhardts, des Söldnerobersten in Berlin, die Wiederherstellung der Monarchie sei „jetzt noch unmöglich“, weil die Entente es nicht erlauben würde, zeigt, dass den Sporenhelden nicht alle Einsicht in die internationale Lage abhanden gekommen ist.

Die Entente rechnet ebenso mit der Stimmung ihrer eigenen Volksmassen, wie mit der in Zentraleuropa. Sie hat den Krieg unter der Losung der Demokratie und der Bestrafung der Kriegsschuldigen geführt. Sie kann also momentan die Habsburger und Hohenzollern ihren eigenen Massen nicht zeigen. Als in Ungarn der royalistische französische General Franchet d‘Esperay den Erzherzog an die Spitze der Konterrevolution setzte, musste er ihn ebenso schnell wieder verschwinden lassen, denn aus Paris telegrafierte man ihm: eine Konterrevolution kann man jetzt nur mit einem Sozialdemokraten an der Spitze machen: Fort mit Habsburg, her mit Garami!

Das verstehen auch die Ludendorffs, deswegen markieren sie die Opposition und bereiten sich Positionen vor, um eventuell eine Verschiebung im Lager der Konterrevolution zu ihren Gunsten herbeiführen zu können; aber sie haben keine Eile; auch keine Ursache zur Eile; denn Deutschland wird durch die junkerlich-kapitalistische Konterrevolution beherrscht, und dieser Tatsache gegenüber sind alle Streitereien zwischen den einzelnen Fraktionen des konterrevolutionären Lagers von untergeordneter Bedeutung, sowohl für sie, als auch für die Volksmassen.

Die Konterrevolution hat in Deutschland gesiegt ohne Schlachten, wie die Revolution ohne Schlachten gesiegt hat. lm November ist der alten Regierung die Macht aus den Händen gefallen, als diese Regierung durch die von ihr nicht vorausgesehene Kriegsniederlage für einen Augenblick gelähmt wurde. Die Macht wurde den alten Herrschern nicht entrissen, sie fiel aus ihren Händen, als sie ausrissen. Sie wurde von der Arbeiterklasse aus der Gosse aufgehoben. Aber eben, weil sie nicht erobert wurde, wusste die Arbeiterklasse nicht, was sie mit ihr anfangen sollte. Das Proletariat spielte ein paar Wochen Arbeiter- und Soldatenrat, während es die wirkliche Macht den abhängigen und angeblich unabhängigen Sozialdemokraten übergab. Die Scheidemänner und Haases kannten den legitimen Besitzer, und da sie überzeugt waren, dass die Arbeiterklasse unfähig ist, allein zu herrschen, spielten sie den ehrlichen Finder und ließen in trauter Eintracht den Rätekongress beschließen, dass die Macht der Nationalversammlung zurückerstattet werden solle. Da hinter ihnen damals zweifellos die Mehrheit der Arbeiterklasse stand, so bedeutet dies nichts anderes, als dass die Mehrheit der Arbeiterklasse sich für unfähig hielt, die Macht auszuüben, was nur natürlich war: um zu herrschen, muss eine Klasse den Willen zur Macht und die Kraft zu ihr haben. Beides erwirbt sie nur im revolutionären Massenkampf. Die deutsche Arbeiterklasse hat diesen Kampf während des Krieges nur zu einem kleinen Teile geführt, der November sah ihn nur in seinen Ansätzen. Der Fall der wilhelminischen Regierung war nicht das Resultat des proletarischen Ansturms, darum konnte das Proletariat aus ihm zwar gewissen Nutzen ziehen (ein paar Wochen politischer Freiheit, Erhöhung der Löhne), aber es konnte nicht die Regierung übernehmen. Die Regierung kehrte ohne Kampf, durch Abstimmung des Rätekongresses, an den früheren Besitzer, die Bourgeoisie und die Junker, zurück, die nur genötigt waren, den Firmenträger zu ändern. Die jetzige Regierung ist die Fortsetzung der Regierung des Prinzen Max von Baden, wie sie nach dem Novemberintermezzo unter den neuen Bedingungen restauriert wurde.

Wenn die Revolution die Übernahme der Macht durch eine neue Klasse bedeutet, so gab es zwar anderthalb Monate Revolution in Deutschland, da, bis zur Entschließung des ersten Rätekongresses vom 16. Dezember, die Arbeiterklasse die Macht in den Händen hatte; aber sie hat von dieser Macht sehr geringen Gebrauch gemacht. Bald kamen aber immer weitere Kreise der Arbeiterklasse zu der Erkenntnis, dass sie den Kampf aufnehmen müssen.

Die zunehmende Teuerung trieb sie zur Forderung der Lohnerhöhung, die das Kapital im ersten Schreck gewährte, als der Schreck aber vorüber war, immer hartnäckiger ablehnte. Die Lohnerhöhung ihrerseits bildete einen Vorwand zu einer Preiserhöhung. Gleichzeitig wuchs die Arbeitslosigkeit mit ihren finanziellen Anforderungen an den bankrotten Staat. Das Fallen der Produktivkraft der ausgemergelten und entnervten Massen zeigte der Bourgeoisie und ihren sozialdemokratischen Helfershelfern den Abgrund des Bankrotts, falls sie die Massen nicht an die Kandare nimmt. Das war der Grund, warum die Scheidemänner noch vor dem Zusammentritt der Nationalversammlung den Konflikt mit den Matrosen Ende Dezember, den Konflikt um Eichhorn Anfang Januar um jeden Preis militärisch, mit Gewalt zu lösen suchten, obwohl sie ihn friedlich hätten erledigen können. Die formelle Entwindung der Macht aus den Händen der Arbeiterklasse und ihre ‘Übergabe an die Bourgeoisie genügte nicht. Sollte die Regierung der Bourgeoisie dort von neuem beginnen, wo sie im November unterbrochen worden war, so musste die Bourgeoisie das Proletariat dort beherrschen, wo beide ihre sozialen Funktionen erfüllen: in der Werkstatt. Es musste zur angestrengten Arbeit gebracht werden. Nur auf diese Weise konnte die Bourgeoisie Waren für den Austausch, Kredit im Ausland, die Möglichkeit der Abzahlung der Kontributionen an den siegreichen Ententekapitalismus auf andere Weise als aus dem schon akkumulierten Kapital erhalten.

Es galt also, Machtmittel zu schaffen, mit denen das Proletariat zur Arbeit angetrieben werden könnte. Die alte Armee war durch die Kriegsniederlage zertrümmert; es galt ein Söldnerheer zu bilden. Nur mit seiner Hilfe konnte man sich die Stütze für den zukünftigen Kampf mit den ökonomischen Mitteln der Aussperrung und des Aushungerns schaffen.

Die Periode seit Dezember ist die Periode der Neubildung der kapitalistischen Machtmittel in Deutschland. Das Söldnerheer Noskes, die Wiederherstellung des Beamtenapparats, die Schaffung der Verfassung gingen Hand in Hand mit dem Aufräumen all der Überbleibsel des revolutionären Zwischenspiels: in erster Linie mit den Arbeiter- und Soldatenräten, die, unschuldig in der Form, wie sie im Frühjahr existierten, die größte Gefahr darstellten als Stützpunkte der kommenden Revolution, die die restaurierten Machthaber verhüten wollen.

Schon der Prozess der Wiederaufrichtung der alten kapitalistischen Regierung war gleichzeitig der Prozess der Weckung der revolutionären Kräfte. Wenn die Arbeiterklasse im November nicht verstand, was sie mit der Macht, die den Händen der Hohenzollern entfallen war, anfangen sollte, so begann sie zu merken, was Macht bedeutet, als sie sie an die Bourgeoisie abgegeben hatte. Als in den Werkstätten die Kapitalisten den Kopf erhoben, als auf den Straßen die Konflikte begannen, da glaubte das Proletariat, die Macht so leicht wiedergewinnen zu können, wie es sie verloren hatte. Der Januaraufruhr war zweifellos ein Putsch, ein Versuch, die Bourgeoisie zu überrennen. Die Entschuldigung — nicht der Massen, die man nicht zu entschuldigen braucht, da sie am Anfang einer Revolution unklar sein müssen — sondern der Führer wie Ledebour und Liebknecht liegt darin, dass die Macht der Bourgeoisie äußerlich noch so schwach war, dass sie direkt zu einem Raid reizte. Um auf jeden Versuch der Eroberung der politischen Macht zu verzichten, bevor ein großer Teil des Proletariats sie bewusst erstrebt, ist ein vollkommenes Erfassen des Problems der sozialen Revolution, die in dem gleichzeitigen Zertrümmern des kapitalistischen Staatsapparats und dem Aufbau eines neuen proletarischen besteht, nötig. Dieses Verständnis konnte die Arbeiterklasse damals noch nicht haben, ja sogar in der kommunistischen Führerschaft hatte nur die Minderheit dieses Problem vorher richtig erfasst, obwohl es im Namen des Spartakusbundes in einem scharf geschliffenen Dezemberprogramm klargelegt worden war. Deshalb trat der Kampf gegen die putschistische Ideologie in den Januartagen in der kommunistischen Presse so schwach hervor, während nach den Januarerfahrungen diese Erkenntnis mit voller Klarheit in der Agitation ausgearbeitet wird. Aber wenn eine Niederlage genügte, um die Partei des Proletariats, die Kommunistische Partei, dazu zu bringen, zum Leitstern ihrer Taktik die Lehre zu machen, dass die Arbeiterdiktatur nicht möglich ist, ohne dass hinter ihr der eiserne und leidenschaftliche Wille der Mehrheit des Proletariats steht, so brauchte das Proletariat eine Reihe blutiger Lehren, damit auch nur seine Vorderreihen die Schädlichkeit lokaler Ausbrüche und bewaffneter Kämpfe gegen die erstarkende kapitalistische Macht verstanden. Es mussten Bremen, die Märzunruhen in Berlin und die Münchener Katastrophe kommen, um den putschistischen Neigungen der ungeduldigen Vorderreihen des Proletariats ein Ende zu machen.

Die Haltung der kommunistischen Gruppen in Hamburg und Chemnitz bei den letzten Hungerunruhen zeigt, dass, wenn es auch unmöglich sein wird, die neu aufwachenden Volksmassen von solchen Zusammenstößen zurückzuhalten, wenigstens die bewussten Teile der Arbeiterklasse die Lehren der letzten Monate verstanden haben: sie treten energisch und mutig auf, um die Massen davon zurückzuhalten, ihre Kräfte unnötig zu vergeuden. Wenn im Januar die Warner in der Kommunistischen Partei in Berlin sich nicht durchsetzen konnten, wenn im Februar der damals auf dem Sterbebette liegende Genosse Knief von den Bremer Kommunisten fast als Ausreißer angesehen wurde, als er vor der „Proklamierung“ der Räterepublik in Bremen warnte, wenn die Rolle Levinés als Bremser äußerst schwierig war, so standen die Chemnitzer und Hamburger kommunistischen Organisationen jetzt geschlossen da, als sie die Volksmassen davon zurückhielten, in die Maschinengewehre Noskes zu rennen.

Und weil es so ist, weil die gesamte kommunistische Partei jetzt geistig und organisatorisch so kräftig ist, dass sie versuchen kann, die Masse vor Kräftevergeudung zurückzuhalten, so sind die unorganisierten spontanen Ausbrüche der Massen, wie groß auch ihre Opfer sein mögen, Etappen der Sammlung der Massen zu einer wachsenden revolutionären Macht unter dem Banner der Kommunistischen Partei.

Wenn im Januar die Niederlage einen Rückschlag brachte, weil die Partei, die während der Januartage nicht als bremsender Faktor auftrat, auch die Lehren der Januarkämpfe wenig ausnützen konnte, so wächst das Vertrauen zur kommunistischen Partei in dem Maße, wie es sich zeigt, wie recht sie hat, wenn sie die Massen vor Kräftevergeudung warnt. Die Periode der lokalen Putsche von Januar bis Juli war die Periode des Beginns der revolutionären Kämpfe um die Macht. Gleichzeitig mit ihr vollzog sich die spontane erste Mobilisierung des Bergarbeiterproletariats und der Eisenbahner, und es traten die ersten Anzeichen für das Aufwachen der ländlichen Proletarier und der geistigen Arbeiter auf, der beiden Politisch am niedrigsten stehenden Schichten der Arbeiterklasse.

Und weil dies der Fall war, konnte sich die neu aufgerichtete Macht der Bourgeoisie nicht als einfache Herrschaft des Kapitals etablieren, sie musste als Gewaltherrschaft als Diktatur gegen die Wachsende proletarische Revolution entstehen

Jetzt scheint eine momentane „Abspannung“ zu herrschen. Die Arbeiter in Berlin nehmen ruhig die Gewalttaten Noskes gegen den Vollzugsrat hin; die Niederwerfung des oberschlesischen Proletarieraufstands vollzog sich beim Schweigen des Proletariats in den anderen Städten. Aber trotzdem weiß die Regierung sehr gut, dass sie vor Gefahren steht, und wie einst die Versailler Bismarck um die schnelle Rücksendung der gefangenen französischen Armee baten, um die Pariser Kommune niederzuwerfen, so bettelt jetzt Noske bei der Entente, sie möge ihm die Zahl seiner Söldner nicht verkürzen, da es im Winter Hochsaison in seinem Schlächterhandwerk geben wird.

Für ihre Befürchtungen hat die Bourgeoisie gute Gründe. Deutschland steht ohne Rohstoffe da und hat wenig Aussicht, in absehbarer Zeit vom Auslande welche zu bekommen. Es hat fast das ganze „Nationaleigentum“ an die Entente verpfändet, es fehlen ihm die Grundlagen für Erlangung langfristiger Kredite in Amerika und England. Das ruinierte Geldwesen vervielfacht den Preis jeder vom Ausland bezogenen Ware. Die psychische Revolution, die sich in den Arbeitermassen Deutschlands vollzieht und die in der Unlust, für die Kapitalisten zu arbeiten, ihren Ausdruck findet, steigert noch die Kreditschwierigkeiten.

Aber auch ganz davon abgesehen, stellt sich mit jedem Tage mehr heraus, dass in den angelsächsischen Ländern die Zersetzung des Kapitalismus viel weiter fortgeschritten ist, als es [von] uns, den Kommunisten, bisher geglaubt wurde. Die Welle der Streiks in England und Amerika, das Sinken der Produktion in diesen Länder und das Steigen der Preise zeigt, dass die Exportfähigkeit dieser Länder in nächster Zeit fallen wird: die Kohlenausfuhr Englands ist schon lahm gelegt, und die Vereinigten Staaten Amerikas erklären, sie werden nur die Hälfte des Getreides, das sie versprochen haben, Europa zur Verfügung stellen können.

Je weiter die soziale Zersetzung in den Ententeländern vor sich gehen wird — und mit ihrem Wachsen rechnen alle informierten Kreise dieser Länder — desto weniger Aussichten hat das kapitalistische Deutschland, seine Wirtschaft mit Hilfe seiner ausländischen Klassenbrüder wieder herzustellen. Das bedeutet aber wachsende Arbeitslosigkeit, Frieren und Hungern der Massen, ohne dass man — wie es im Kriege geschah — ihnen erwidern kann, nicht die kapitalistische Desorganisation im allgemeinen, sondern der „Feind“ sei daran schuld. Der Schmuggel aus den besetzten Gebieten und die Aufhebung der Blockade haben für einen Augenblick den auf den Massen lastenden Druck verringert. Ein Stückchen Schokolade, eine Orange, ein Pfund Speck, den der Arbeiter jahrelang nicht gesehen hat, haben zweifelsohne die Spannung in Deutschland für einen Augenblick gemildert, umso mehr, als die Verkäufer der heimischen Schleichwaren in der Überzeugung, es werde demnächst eine Überschwemmung mit allen Waren erfolgen, alle Preise erniedrigten. Das wird bald vorüber sein. Alle Preise werden steigen, wie sie in Paris, London und New York steigen, nachdem die Heeresvorräte verramscht sind, die neuen Produktionsquellen aber nicht so ergiebig fließen. Die Aufhebung der Zwangswirtschaft in den verschiedenen Industrie- und Handelszweigen wird in derselben Richtung wirken.

Wir glauben also, dass die Kommunistische Partei zum Ausgangspunkt ihrer Politik die Aussicht auf eine demnächst steigende Welle der Revolution, auf ihre Ausbreitung zur Weltrevolution machen kann.

Aus dieser Erkenntnis ergibt sich für die Partei die Pflicht, an ihren revolutionären Zielen, der Zertrümmerung der kapitalistischen Gesellschaft, der Eroberung der politischen Macht im revolutionären Massenkampf und ihrer Konstituierung in der Form der proletarischen Diktatur durch die Räteherrschaft, unverrückt festzuhalten. Jeder Versuch, die Räte zur Anpassung an eine lange Periode der Herrschaft der Bourgeoisie zu verleiten, wie ihn die Unabhängigen machen, wenn sie die „Verankerung“ der Schwindelräte in der Verfassung fordern, ist als Opportunismus abzuweisen.

Wenn wir aber auch die Perspektive einer Stabilisierung der Herrschaft der Bourgeoisie für eine längere Periode aus objektiven Gründen ablehnen, so bedeutet dies doch nicht, dass wir einen nahen Sieg für die einzige Möglichkeit halten müssen. Es unterliegt für uns keinem Zweifel, dass die Bourgeoisie nicht imstande sein wird, ihre Herrschaft zu stabilisieren, darum lehnen wir die opportunistische Anpassung an die Periode der Versumpfung ab. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass der revolutionäre Massenkampf um die proletarische Diktatur lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Es gilt, die Gründe dafür, die daraus sich ergebenden Fragen der Taktik im Ökonomischen wie im politischen Kampfe zu untersuchen. Die Untersuchung der Mechanik dieses Kampfes wird von selbst die Antwort auf unsere taktischen Streitfragen geben.

II. Die Unterschiede in dem Tempo der russischen und der deutschen Revolution

In Russland dauerte der Kampf um die Eroberung der politischen Macht acht Monate. Wir sind in Deutschland jetzt über ein Jahr im Kampfe, und wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird er noch eine Spanne Zeit in Anspruch nehmen. Eine solche lange Dauer des Kampfes im Westen haben die russischen Kommunisten immer vorausgesehen, so oft sie über die Probleme der westeuropäischen Revolution zu den russischen Arbeitern sprachen. „Uns fiel der Sieg leicht zu, furchtbar schwer der Aufbau — erklärte mehrmals Lenin — unseren westeuropäischen Genossen wird es schwerer sein, die politische Macht zu erobern, leichter, sie zum proletarischen Aufbau auszunützen.“

In den „lswestija“, dem Zentralorgan der russischen Sowjets, untersuchte ich diese Frage in der Mai-Nummer 1918. Ich kam dabei zu folgendem Resultat: Die russische Bourgeoisie stellte eine ökonomisch wenig zahlreiche, schlecht organisierte, in den Volksmassen wenig verankerte Klasse dar. Die russischen Junker bildeten eine feudale Parasitenklasse, die in der Produktion keine Rolle spielte. In den Bauernmassen überwog der Hunger nach dem Grund und Boden der Junker die Psychologie kapitalistischer Warenproduzenten und -besitzer, und dies trieb das Bauerntum auf die Seite des Proletariats. Der Bodenhunger und die Sehnsucht nach dem Frieden machten den Bauern zum Verbündeten des Proletariers, während die Bourgeoisie, die durch die Hypothekenbanken mit dem Junkertum verbunden war, es zu schützen suchte. Die russische Arbeiterschaft selbst war von vornherein revolutionär. Geboren nicht nur in den Ketten des Kapitalismus, sondern dazu in der zaristischen Sklaverei, war sie so sehr zu Boden gedrückt, dass das Kapital ihr gegenüber keinesfalls zu der Politik: teile und herrsche! genötigt war. Es brauchte nicht einen Teil des Proletariats durch Zugeständnisse zu gewinnen, um das ganze in eine verspießerte Arbeiteraristokratie, die um die Macht zu kämpfen nicht gewillt ist, und in eine niedergedrückte Sklavenmasse, die nicht kämpfen kann, zu spalten. Es konnte mit Hilfe des Zarismus die ganze Arbeiterklasse beherrschen, darum war auch die Schicht der zufriedenen Arbeiter, auf die sich die Scheidemänner, Renaudel und Henderson im Westen stützen konnten, in Russland so schwach, dass die Menschewiki sich eher auf die kleinstädtische sehr ausgebeutete Arbeitermasse stützen mussten, die nur dank ihrer numerischen Schwäche an eine proletarische Diktatur nicht glaubte, als auf die gesättigten Arbeiter, deren es in Russland sehr wenige gab. Deswegen konnten die Bolschewiki so schnell die gesamte Arbeitermasse erobern, und zu ihr gesellte sich das Bauerntum. In Deutschland, England und Amerika ist die Arbeiteraristokratie viel breiter und stärker, die Wurzel der verräterischen Sozialdemokratie liegt im Proletariat viel tiefer. Die Bauernschaft bildet eine kapitalistisch- kleinbürgerliche Masse mit vorwiegenden Besitzerinteressen. Im Kriege bereichert, kann sie die Junker auskaufen, die stärker als sie unter dem Fehlen der ländlichen Arbeiter leiden. Das Aufwachen des ländlichen Proletariats in Westeuropa wird langsam vor sich gehen. Wenn die Bauern in Russland einen Verbündeten des Proletariats im Kampfe um die Macht bilden, so werden sie in Westeuropa die schweren Reserven der Bourgeoisie in ihrem Kampfe für die Erhaltung der Macht sein. Die Bourgeoisie aber, durch Trusts und Syndikate glänzend organisiert, durch das Aktienwesen verankert in breiten Kreisen des Bürgertums und nicht zuletzt durch ihre Presse, die das Kleinbürgertum beherrscht, wird eine größere Widerstandskraft entwickeln als in Russland. Der Sieg der proletarischen Revolution in den alten kapitalistischen Ländern ist gesichert durch die Tatsache, dass das Proletariat die Mehrheit der Bevölkerung bildet. Aber die Machtergreifung des Proletariats in Westeuropa wird erst möglich sein, wenn die ökonomischen Folgen des Krieges die gesicherte Lage der gehobenen Proletarierschichten bedrohen, wenn sie die Arbeiteraristokratie ihrer ökonomischen Vorrechte berauben und so die Wurzel der Politik der Sozialdemokratie abgraben werden. Angesichts des Fehlens der Bauern als Verbündete, angesichts der Isolierung des Proletariats wird es sich im schweren Kampfe zur Macht emporarbeiten müssen, in dem es die Bourgeoisie nicht durch kurze Schläge niederwerfen, sondern durch die Lahmlegung der Industrie im langen Stellungskriege an ökonomischer Aufzehrung sterben lassen wird.

Diese Ende April 1918 geschriebenen Ausführungen haben an allgemeiner Gültigkeit für die Beurteilung des Unterschieds im Tempo und in den Formen der sozialen Revolution in Russland und in Westeuropa nichts verloren. Man kann sie inzwischen für Deutschland ergänzen durch die Berücksichtigung der konkreten Umstände der deutschen Revolution, wie sie jetzt klar vor uns liegen. Während der Kampf um den Frieden in Russland acht Monate dauerte, während er das Proletariat in eine Kampfstellung gegen die Bourgeoisie brachte und die kleinbürgerlichen Massen um das Proletariat sammelte, bildet die Kapitulation der Bourgeoisie, ihr Verzicht auf die Weiterführung des Krieges, den Ausgangspunkt der deutschen Revolution. Sie kam, nachdem der Krieg ausgefochten war. Umgekehrt konnte die Bourgeoisie dem Proletariat monatelang einreden, nur ihre Herrschaft verbürge Frieden und Brot, während der Sieg des Spartakus die Entente zur Wiederaufnahme des Krieges verleiten werde. Und sogar, nachdem in Versailles die Herren Clemenceau, Lloyd George und Wilson dem deutschen Proletariat gezeigt haben, was für einen „Frieden“ sie den Scheidemann und Erzberger gewähren, lebt doch noch im Proletariat die Hoffnung auf die Rohstoffe und Kredite, die die Entente zur Wiederherstellung der deutschen Volkswirtschaft geben wird.

Wir haben schon kurz angedeutete wie die kampflose Gewinnung der politischen Macht auf das Proletariat gewirkt hat. Unter dem Eindruck der Teuerung und des wirtschaftlichen Zerfalls, der die deutsche Arbeiteraristokratie mit Elend bedroht, sehen wir den Anhang der Scheidemänner zwar schmelzen, aber verschwunden ist er noch nicht. Die Demoralisierung des Proletariats durch die sozialdemokratische Ideologie ist zu groß, als dass sie im Nu hätte verschwinden können. Das gewährt der konterrevolutionären Regierung Zeit zur Entwaffnung des Proletariats, zur Bildung der Noske-Garden und zur Bewaffnung der Bauern in den Einwohnerwehren. Der bewaffnete Kampf gegen die Regierung ist — jedenfalls jetzt — aussichtslos.

Der Prozess des wirtschaftlichen Zusammenbruchs aber erfordert längere Zeit. Sein Erfolg ist sicher. Die Bourgeoisie, die immer weniger imstande ist, das Proletariat satt zu machen, die es frieren lassen wird, wird es zur intensiven Arbeit nicht antreiben können. Die Arbeitslosigkeit, die mit dem wirtschaftlichen Verfall wachsen wird, wird das Sprengpulver des deutschen Kapitalismus sein. In Russland konnte das flache Land die Arbeitslosen aufsaugen, wobei noch die Tatsache in Betracht kam, dass 35 % der Arbeiter eine Handbreit Boden im Dorfe besaßen. In Deutschland wird es für die Arbeitslosen heißen: Kampf auf Leben und Tod — oder Tod. In diesem Kampfe schließen sich die Massen zu einer Phalanx zusammen, aber niemand kann wissen, wie lange es dauern wird, bis die lokalen Kämpfe sich zu einem allgemeinen auswachsen, bis die einzelnen spontanen Zusammenstöße sich zu einem Flammenmeer vereinigen, das die Noskeschen Rosse und ihre behelmten Reiter verschlingen wird.

Dazu kommt noch ein sehr wichtiger Faktor.. In Russland existierte beim Ausbruch der Revolution eine revolutionäre Partei der Bolschewiki mit einer fünfzehnjährigen revolutionären Tradition und mit Kaders von Organisatoren, die sich auf die Erfahrungen der revolutionären Massenkämpfe von 1905-07 stützen konnten und die in den Zuchthäusern und in der Verbannung ihre Charakterprobe bereits bestanden haften. In Deutschland war die revolutionäre Partei beim Ausbruch der Revolution eine theoretische Richtung ohne Partei, sie war Geist, ohne Körper. Aber, was noch schlimmer war, die Masse hätte sich in der Periode des ruhigen parlamentarischen und gewerkschaftlichen Kampfes eine Partei gebildet, die sie für revolutionär hielt, die aber das Hauptorgan der konterrevolutionären Knebelung der Massen war. In Russland waren die jungen Gewerkschaften Organe des revolutionären Massenkampfes, in Deutschland waren sie die Wellenbrecher der Revolution.

Neun Zehntel der aus der Arbeiterklasse hervorgegangenen politischen und gewerkschaftlichen Führer dienten der Verdummung und Versklavung der Massen. Im revolutionären Kampfe musste sich das Proletariat Deutschlands erst seine Partei bilden, die Führer finden, die Wege ebnen. Dieser Prozess wurde aufgehalten dadurch, dass zwischen den revolutionären und konterrevolutionären Parteien des Proletariats eine breite Schicht wankender und schwankender Elemente bestand, die Unabhängigen, die Erben der alten revolutionären Phrase der Sozialdemokratie, die, tatenlos, jede revolutionäre Situation durch halbe Losungen und halbe Wahrheiten versumpfen, aber für eine Zeitlang durch ihre revolutionären Phrasen das Proletariat irreführen können.

Obwohl also die Situation in Deutschland sehr revolutionär ist, d. h. obwohl die Klassengegensätze sich immer mehr zur absoluten Unversöhnlichkeit verschärfen, ist mit einem schleppenden Gang der revolutionären Krise zu rechnen, die trotz vieler einzelner großer revolutionärer Zusammenstöße die Lösung verlangsamen kann. Die Entwicklung außerhalb Deutschlands, die Ereignisse in Frankreich, Italien und England können die Krise beschleunigen. Aber es wäre ein großer Fehler, wenn wir unsere Politik auf die sofortige Niederwerfung des Feindes einstellen würden. Es ist möglich, wie gesagt, dass wir ihn durch Belagerung im Stellungskampfe werden besiegen müssen.

Was ergibt sich daraus für unsere Kampfmethoden?

III. Die politischen Aufgaben der Kommunistischen Partei

Die Aufgabe der Kommunistischen Partei in der Revolution ist zweifach: sie hat den Massen zu helfen, das, was ist, zu erkennen, und sie hat ihnen zu helfen, den Kampf zu führen um die Ziele der Revolution, ihnen zu helfen, bewusst das zu gestalten was nach Leben, nach Form drängt. Während der ganzen Revolution gehen diese beiden Aufgaben nebeneinander, die Periode der Agitation lässt sich von der Aktion nicht trennen, erstens, weil die Aktion die beste Form der Aufklärung ist und jede Aufklärungsarbeit zur Aktion führt, und zweitens, weil jede Aktion neue Fragen aufwirft, deren Aufklärung die Massen fordern. Aber je nach der Stärke des kommunistischen Bewusstseins in den Massen, je nach der objektiven Situation gewinnt entweder die Frage der vorbereitenden Agitation oder die der vollziehenden Aktion die Oberhand. Die Monate vom November bis zum Herbstanfang dieses Jahres waren notwendigerweise der Aufklärung der Massen über das Wesen der proletarischen Revolution, ihrer Formen und Ziele gewidmet. Diese Agitationsperiode zerfällt ihrem Charakter nach in zwei Teile: die Zeit vom November bis zum Januaraufstand und von ihm bis Ende zurückhalten Sommer; zwei Zeitabschnitte, in denen der Charakter unserer Agitation verschieden war. Bis zu den Zusammenstößen im Januar galt es vorerst, die holde Rauschstimmung, die demokratisch-sozialreformatorischen Illusionen der Mehrheit der Arbeiterklasse zu zerstören. Es galt, ihr zu zeigen, dass der Zusammenbruch des monarchischen Systems erst das wenigste ist, dass die bürgerliche Demokratie nur eine andere Form der Herrschaft der Bourgeoisie ist, es galt, den Massen zum Bewusstsein zu bringen, dass ohne die Eroberung der politischen Macht und ihrer Sicherung durch die Diktatur an keine Durchführung des Sozialismus zu denken ist, es galt ihnen vorerst agitatorisch beizubringen, dass der bürgerliche Parlamentarismus kein Organ der Durchführung des Sozialismus sein kann, aus dem einfachen Grunde, weil sich der Sozialismus nicht durch ein paar hundert Vertreter durchführen lässt, sondern nur durch die selbständige Arbeit der Millionen Proletarier, die nur im Rahmen der verschiedensten Arbeiterräte geleistet werden kann.

Die Propagierung dieser Gedanken konnte natürlich nicht in der Form von Tüfteleien über das „Rätesystem“ geschehen. Sie musste in Kampagnen stattfinden, die die revolutionären Vortruppen der Arbeiterklasse scharf der Mehrheit des Proletariats entgegen stellten, jener Mehrheit, die, voller Illusionen, die bürgerliche, verräterische Politik der Sozialdemokratie unterstützte. Wo es galt, leidenschaftlich den Verrätern die Masken vom Gesicht zu reißen wo es galt, die großen Losungsworte in die Massen zu werfen, konnte ihnen natürlich nicht mit gleicher Kraft das bremsende Moment zum Bewusstsein gebracht werden, das Verständnis des momentanen Kräfteverhältnis, der Unmöglichkeit des schnellen Sieges.

Als die Agitation der Novemberperiode zur Bildung der selbständigen Kommunistischen Partei geführt hatte, als sich in einem Teil der Arbeiterklasse anstelle der Novemberillusionen die stärkste Erbitterung durchsetzte und der Wille zum revolutionären Kampfe erwachte, als es zu den großen spontanen Aktionen des ersten Vierteljahres 1919 kam, da musste, trotz der Verschärfung des Angriffs gegen die jetzt offen vorgehende konterrevolutionäre Regierung, den Massen mit voller Kraft das Bewusstsein des Kräfteverhältnisses beigebracht werden. Und wir sehen, wie die aufrüttelnde Agitation der Partei durch die tiefere Propaganda ergänzt wird, ja, wie die Partei in der Agitation den Massen selbst überall offen zeigt, wie weit noch der Weg des Kampfes ist, welche Hindernisse noch zu überwinden sind.

Aber während die Partei die Massen von Putschen zurückhalten muss, setzt sie ihrer Aktion Schranken, sie muss bei jedem Vorstoß bedenken, dass er sie nicht über die gewollten Grenzen hinausführt. Diese Selbstzügelung ist auch heute noch notwendig, und deshalb gilt es, auf die einzige Methode hier näher einzugehen, die nicht überall in der Partei vollkommen verstanden und jedenfalls nicht mit vollem Bewusstsein angewandt wird, die einzige Methode, vermittels welcher wir bremsend gleichzeitig die Aktion des Proletariats steigern und neue Kräfte konzentrieren können.

Die Kommunistische Partei ist die Vorhut des Proletariats, sein bewusstester und rücksichtslosester Teil. Aber die Vorhut allein kann nicht siegen. Entfernt sie sich zu sehr von der großen Masse des Proletariats, so läuft sie der sicheren Niederlage entgegen. Das bedeutet nicht, dass sie auf den Kampf verzichten soll, bis der letzte Arbeiter den Scheidemännern die Gefolgschaft versagt. Sie kann zwar nicht siegen, bevor die Mehrheit des Proletariats im Reiche bereit ist, die Macht in die Hände zu nehmen. Aber sie kann zu großen proletarischen Aktionen, zu Demonstrationen, zu Massenstreiks greifen, falls in konkreten Tagesfragen, die die Interessen des Proletariats aufs lebhafteste berühren, die Mehrheit des Proletariats zu solchen Teilaktionen bereit ist, wenn sie auch die Notwendigkeit der Machtergreifung noch nicht anerkennt. Der Wille zu diesen Teilaktionen muss durch die Agitation in den Betrieben geschaffen werden. Der Boden, auf dem er festgestellt und in Beschlüsse verwandelt wird, ist der Arbeiterrat. Gelingt es, die Mehrheit eines solchen Arbeiterrats für eine Aktion zu gewinnen, so hat sie Chancen, erfolgreich zu sein und wird sogar im Falle der Niederlage die kommunistischen Arbeiter vor der Isolierung und ihren Folgen schützen. Eine der wichtigsten Aufgaben unserer Partei besteht darin, in den Arbeiterräten dauernd nach der Formung dieses Mehrheitswillens des Proletariats zu streben.

Im November bis Dezember, als die Mehrheit der Arbeiter in den Zentren noch voller Illusionen war, als die Kommunisten eine kleine Minderheit bildeten, mussten sie, um überhaupt der Masse ihr Gesicht zu zeigen, sich scharf absondern. Das führte vielerorts zum Austritt aus den Räten und zu Sonderaktionen, deren Begründung darin lag, dass die große Mehrheit der Arbeiter gegen jeden revolutionären Kampf war. In anderen Orten existierten in den Arbeiterräten keine besonderen kommunistischen Fraktionen. Seit den Januarunruhen sehen wir die Kommunisten in den Arbeiterräten sich als besondere Fraktionen konstituieren, wie sie scharf ihren Standpunkt allen anderen Fraktionen gegenüberstellen, und wie es ihnen oft gelingt; die Mehrheit der Arbeiterräte zur solidarischen Tat zu sammeln. Das geschieht nicht nur dank des Einflusses unserer Agitation, sondern in viel höherem Masse dank den Erfahrungen, die das gesamte Proletariat im „demokratischen Staate“ sammelt, Wo die demokratische Verfassung auf dem Papier und der weiße Terror in der Wirklichkeit herrscht. Eben weil die Masse immer radikaler wird, können wir — wo sie uns momentan nicht folgen kann — einen Pflock zurückstecken und müssen wir auf separate Massenaktionen verzichten. Das mag schwer fallen, ist aber notwendig: ohne die Mehrheit des Proletariats hinter uns zu haben können wir keine Massenaktionen durchführen, es bleibt uns keine andere Wahl, als auf sie zu verzichten. Wo ein Arbeiterrat besteht, der regelrecht demokratisch durch die Arbeiter in den Betrieben gewählt wurde und dank dem Abberufungsrecht die Stimmung und den Bewegungsgrad des Proletariats widerspiegelt, muss es eine Regel unserer Taktik sein, dass wir mindestens bei den proletarischen Massenstreiks auf jede Sonderaktion verzichten. Wir müssen vorerst unseren Standpunkt auf das energischste in den Fabriken und Sitzungen des Arbeiterrats vertreten, die Aktionen, die wir für notwendig halten, befürworten, die Feinde demaskieren, die Schwankenden weiterpeitschen, wenn aber die Mehrheit der jetzt noch in starker revolutionärer Gärung sich befindenden Arbeiter nicht mitmachen will, müssen wir auf die Aktion verzichten, denn nur der Arbeiterrat ist ihr berufener Träger.

Diese Einsicht hat sich — wie gesagt — bisher nicht immer und nicht überall durchgesetzt, und jetzt wird sie auf noch größere Widerstände stoßen, als in der Zeit von März bis August, wo die in den offenen Schlachten geschlagenen Kommunisten die Notenwendigkeit der Selbstbeschränkung durch Unterwerfung unter die Beschlüsse der Arbeiterräte instinktiv verstanden. Die Gründe dafür liegen in zwei Tatsachen: die Arbeiterräte führen jetzt vielerorts ein Scheindasein, in anderen Orten hören sie auf, die gemeinsame Vertretung der Arbeiterklasse zu sein.

Die erste Tatsache hängt damit zusammen, dass, obwohl der Rätegedanke sehr breite Massen des Proletariats ergriffen hat, die kommunistische Partei es noch nicht verstanden hat, die Räteorganisationen zum Zentrum ihrer Politik zu machen, die zweite ist ein Ausdruck dessen, dass, wie schwach die Räte jetzt auch sind, sie doch eine große Gefahr für die Mehrheitssozialdemokratie darstellen, eine Gefahr, der sie durch die Flucht aus den Räten ausweichen kann. Die Ursachen, weswegen die kommunistische Partei nicht verstanden hat, die Räte zum Zentrum ihres Kampfes zu machen und ihnen dadurch neues Leben einzuhauchen, weswegen sie z. B. in Berlin den linken Unabhängigen Däumig und Müller die „Führung“ überlässt (wohin sie die Räte führen, darüber in nachstehendem Kapitel) liegen auf der Hand. Seitdem die KP zahlreicher in den Räten vertreten ist, ist sie halb oder ganz illegal. Die nicht „eingezogenen“ führenden Kräfte der Partei können nicht öffentlich auftreten. Die Agitation wird durch Flugblätter betrieben. Die Unabhängigen dagegen haben das Monopol der Legalität. Wie wichtig aber die Arbeit in den Räten ist, zeigt die Sprengung des Berliner Vollzugsrats durch die Mehrheitssozialisten. Sie haben dies getan, weil trotz alles fraktionellen Drills ihre Räte sich dem Einfluss der Angriffe auf die Regierung nicht entziehen konnten. In vielen Fragen stimmten sie gegen die Regierung, und wenn sie auch daraus momentan keine Konsequenzen zogen, wenn sie auch nicht aus der Partei austraten, so zersetzten sie sie doch und waren nicht imstande, in den Werkstätten der kommunistischen und unabhängigen Agitation geistigen Widerstand zu leisten. Die Räte wurden so zu Bahnbrechern der Einigung des Proletariats gegen die Regierung. Nicht weil dem Rätesystem eine einigende Kraft innewohnt, wie es verschiedene Mystiker behaupten, die die Parteien durch die Räte ersetzen wollen, sondern weil die Räte den Boden bildeten, auf dem sich die Vertreter der Arbeiter verschiedener Parteien zusammentrafen und Stellung nehmen mussten zu sehr eindeutigen Tatsachen der Regierungspolitik. Ein Stampfer kann im „Vorwärts“ tausendmal das Wüten der Noske-Garden gegen streikende Arbeiter als notwendig im Interesse des Proletariats „beweisen“, es kann ihm gelingen, den Arbeiter, der zuhause den „Vorwärts“ liest, zu betäuben, wenn es aber gilt, öffentlich im Arbeiterrat in Rede und Gegenrede für oder gegen den Belagerungszustand zu stimmen, so wird jeder mehrheits-“sozialistische“ Arbeiter dagegen stimmen. Die Einigung des Proletariats, der Bourgeoisie und ihren sozialdemokratischen Schergen gegenüber, bildet das Problem der Revolution. Sie kann nicht künstlich durch Kompromisse und Einigungsduseleien erreicht werden, nur Schritt für Schritt unter dem Einfluss der Nackenschläge, die auf das gesamte Proletariat niedersausen, wird sie sich vollziehen. Die Arbeit in den Räten ist ein mächtiger Faktor der Einigung des Proletariats. Deswegen muss die kommunistische Partei viel mehr als bisher die Arbeit in den Räten in das Zentrum ihrer politischen Aktion stellen. Sie muss in den Fabriken mit voller Kraft gegen die Sprengung der Räte durch die Mehrheitssozialisten kämpfen, sie muss die Arbeiter auffordern, den Saboteuren das Recht zu nehmen, im Namen der Betriebe zu sprechen und neue Vertreter zu wählen, die auf dem Boden der geeinigten Arbeiterräte stehen. Dies wird nur gelingen, wenn die Räte trotz aller Schwierigkeiten wirklich zu allen Fragen des öffentlichen Lebens Stellung nehmen, nicht aber den Verfolgungen dadurch aus dem Wege gehen, dass sie sich möglichst „unschuldig“ gerieren. Stellung nehmen heißt aber, die Frage wirklich zu beleuchten, heißt klare, sachlich durchschlagende Formulierungen für die Forderungen der Partei finden. Die Politik der kommunistischen Fraktionen in den Räten muss aufs sorgfältigste von der Zentrale der Partei vorbereitet, die jungen Vertreter der Partei müssen mit Material unterstützt werden.

Wie wichtig unsere Arbeit in den Räten, als der Vertretung der gesamten Arbeiterklasse, ist, so wäre es ein unvergleichlicher Fehler, wenn wir sie prinzipiell für die einzigen Vertretungskörper erklären würden, in denen wir die Fahne des Kommunismus zu entfalten haben. Leider macht sich in der Partei eine Tendenz bemerkbar, den Boykott der Reichs-, Landes- und Gemeindevertretungen zu einem Prinzip der Kommunistischen Partei zu erheben. Diese Tendenz tritt auch bei dem linken Flügel der Unabhängigen zutage. Sie ist als Zeichen der Höhe der Enttäuschung der revolutionären Massen dem bürgerlichen Parlamentarismus gegenüber, als Zeichen der revolutionären Zuversicht der Arbeitermassen zwar hoch zu bewerten, aber trotzdem wäre eine prinzipielle Festlegung der Kommunistischen Partei auf eine Boykottierung der parlamentarischen Vertretungskörperschaften sehr schädlich, unter Umständen verhängnisvoll. Die Forderung des Verzichts auf parlamentarische Betätigung wird mit prinzipiellen und taktischen Argumenten begründet. Nicht das Parlament, sondern die Diktatur der Räte bildet den Boden, auf dem der Kommunismus durchgeführt werden soll, woraus gefolgert wird, dass wir prinzipiell die Parlamente boykottieren müssen. Die erste Behauptung ist richtig, aber die Folgerung aus ihr ist vollkommen falsch. Aus der Tatsache, dass die Vertretung aller Klassen kein geeignetes Instrument zur Durchführung des Sozialismus sein kann, weil selbst bei einer sozialistischen Mehrheit im Parlamente die kapitalistische Minderheit jede sozialistische Maßregel endlos verschleppen könnte, weil — dies ist ein noch wichtigeres Argument — die Durchführung des Sozialismus die Arbeit der Vertretungen der Arbeiter und Fachmänner, nicht den Schwatz der Arbeitervertreter erfordert; aus all dem ergibt sich nur ein Schluss: das Proletariat muss nach seinem Siege, nach der Ergreifung der politischen Macht, sie in der Form der Rätediktatur verankern. Aber aus der Tatsache, dass nur die Räte als Instrument der Durchführung des Kommunismus für uns in Betracht kommen, lässt sich keinesfalls schließen, dass sie die einzigen Mittel unseres Kampfes um die Eroberung der politischen Macht sind. Zwischen der Rolle der Räte nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat und ihrer Rolle im Stadium des Kampfes um die Macht besteht ein großer Unterschied. Er ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Räte nach der Eroberung der politischen Macht frei schalten und walten können, da sie doch die Organe dieser Macht sind, während sie bis zum Siege selbst Gegenstand der Gewaltpolitik der kapitalistischen Regierungsorgane sind. Inwieweit die Räte jetzt überhaupt den Kampf gegen die Regierung führen können, das hängt nicht nur von uns ab, sondern auch von der konterrevolutionären Regierungspolitik. Die Bauer und Noske suchen auf Schritt und Tritt die Macht der Räte zu beschneiden, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie versuchen werden, ihnen das Lebenslicht auszulöschen Auf die Dauer können sie es nicht tun, Weil sie die Revolution nicht „verbieten“ können. Ein Schlag gegen die Räte kann, wenn es uns gelingt, sie wirklich zum Sammelpunkt der revolutionären Energie des Proletariats zu machen, das Proletariat zur machtvollen Abwehr aufrufen, vor der die Noskowiter zurückweichen werden. Aber erstens wäre es unsinnig zu behaupten, dass das Proletariat bereit steht zu einer solchen Abwehr. Wie tief auch die Wurzeln sind, die der Rätegedanke in den Massen gefasst hat, so kann man nicht behaupten, dass die bestehenden Räte dem Proletariat so teuer sind, dass man sicher sein könnte, es werde zu ihrer Verteidigung alles auf eine Karte setzen. Aber selbst wenn das der Fall wäre, wer kann da sagen, dass die Abwehraktion eine siegreiche sein wird? Der Konterrevolution kann es für Monate gelingen, die revolutionären Organisationen des Proletariats zu zertrümmern und ihm seine Presse zu rauben. Je schärfer sich aber die Gegensätze zuspitzen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Konterrevolution dieses va banque Spiel treiben wird. Nun, auch ohne Organisation, ohne Presse würde das Proletariat den Kampf aufnehmen können, denn die Fabriken sind revolutionäre Organisationen, die kein Noske „verbieten“ kann. Aber das eiserne Vertrauen in die siegreiche Kraft des Proletariats darf doch nicht dazu führen, dass seine Vertreter ihm den Sieg erschweren dadurch, dass sie auch auf das geringste Kampfesmittel verzichten. Es können in der Revolution Situationen eintreten, in denen vieles davon abhängt, ob die Vertreter des Proletariats aus mehreren Orten zusammenkommen können, ob sie von einer weithin sichtbaren Tribüne aus dem Proletariat Losungen zurufen können. Selbst die kürzeste Frist der Bewegungsfreiheit und Immunität der proletarischen Vertreter kann von großer Bedeutung sein. Ja, aber wird die Bourgeoisie über solche Zwirnsfäden stolpern, wenn es hart auf hart geht? Letzten Endes ganz gewiss nicht, und von der Immunität von ein paar kommunistischen Vertretern hängt die Geschichte der deutschen Revolution nicht ab.

Aber auch auf die geringste Chance darf man im Kampfe nicht verzichten. Auch ohne Liebknechts Auftreten im Parlament würden wir 1914/16 den Kampf aufgenommen haben; wer darf aber vergessen, welche Dienste er vermittels der ärmlichsten Mittel eines einzigen Parlamentsmandats uns geleistet hat, bevor die Bourgeoisie sich entschloss, ihm die Möglichkeit zu nehmen, dies auszunützen. „Eine Partei, die in den Kampf um die Aufrichtung der proletarischen Diktatur eingetreten ist, kann nicht zugleich das parlamentarische System stützen, indem sie sich auf seinen Boden stellt und sich an den parlamentarischen Aktionen beteiligt“ — heißt es in einer Resolution der Hamburger „Opposition“. Es ist richtig: wer für die Diktatur des Proletariats kämpft, der darf nicht die kapitalistische „Demokratie“ „stützen“ und sich auf ihren Boden stellen. Tun wir das aber, wenn wir die Arbeiter eventuell in unserer Wahlagitation vor allem Vertrauen zum Parlament warnen und zur Wahl von Kommunisten auffordern, deren „parlamentarische Aktion“ eben darin bestehen wird, dass sie von der parlamentarischen Tribüne aus der kapitalistischen „Demokratie“ die Masken vom Gesicht reißen? Darf jemand behaupten, dass, wenn Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nach Weimar gekommen wären, sie von der Tribüne der Nationalversammlung aus den Massen zugerufen hätten: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern mit Junker und Bourgeois?“

Ebenso schlecht ist es um ein zweites taktisches Argument unserer Hamburger Freunde bestellt: „Eine Partei, die nach der Eröffnung des Kampfes für die proletarische Diktatur die parlamentarische Tätigkeit wieder aufnimmt, gibt damit den Kampf für die proletarische Diktatur preis. Sie erklärt die proletarische Revolution für geschlossen oder vertagt und stellt sich auf den Boden der im Augenblick bestehenden realen Machtverhältnisse“. Auf das „Preisgabe“argument haben wir schon geantwortet. Die Behauptung; dass man durch Teilnahme an den Wahlen die Revolution für beendet erklärt oder vertagt, ist komisch. Wenn wir den Arbeitern sagen, die Teilnahme an den Wahlen sei notwendig, weil der Gegner noch stark ist, weil er uns auf anderen Gebieten einengt und wir ihn also im Parlament aufsuchen und dort bekämpfen müssen, so sagen wir den Massen, dass die Revolution noch in den Anfängen steckt, nicht, dass sie beendet sei.

Vertagen kann man aber die Revolution nicht, sie ist keine Diskussion und keine Skatpartie. Was aber den Vorwurf anbetrifft, man stelle sich auf den Boden der im Augenblick bestehenden realen Machtverhältnisse, so wäre dies ein Argument für die Teilnahme an den Wahlen. Nichts ist so verhängnisvoll für eine revolutionäre, wie überhaupt für jede Politik, als wenn man sich nicht auf den Boden der im Augenblick realen Machtverhältnisse stellt. Wer mit dem Kopfe an die im Augenblick real vorüber fahrende Straßenbahn stößt, der schlägt nicht in sie, sondern in seinen Kopf ein Loch, was seiner Gesundheit nicht frommen könnte, selbst wenn er der prinzipienfesteste Kommunist wäre.

Die Frage, welche Mittel wir in unserem Kampfe benutzen, ist eben die Frage von der Würdigung der im Augenblick realen Machtverhältnisse.

Wir legen auf das Wort „im Augenblick“ den Nachdruck. Die Revolution bedeutet einen schnellen Szenenwechsel, die Machtverhältnisse können angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage sich sehr schnell ändern. Obwohl wir aus den früher angeführten Gründen geneigt sind, einen mehr schleppenden Gang der sozialen Krise anzusehen, so wäre es ein Fehler, ihn als die einzige Möglichkeit anzunehmen und von vornherein sich festlegen, dass wir an den - nächsten Wahlen zum Reichstag teilnehmen werden, was obligatorisch wäre, wenn die Möglichkeit eines rascheren Ganges der Ereignisse ausgeschlossen wäre. Weil niemand den Gang der Ereignisse voraussehen kann, müssen taktische Entscheidungen bis zu der Zeit verschoben werden, wo sie unausweichbar sind. Aber es wäre ein unverzeihlicher Fehler, wenn die Partei sich die Freiheit der Entscheidungen nehmen ließe, bevor die Zeit für sie reif ist.

Wir sind am Ende unserer Ausführungen über die nächsten politischen Aufgaben der Kommunistischen Partei. Der Leser, der im Kommunismus eine wildromantische Politik mit Blitz und Donner sieht, wird wohl enttäuscht sein. Aber Blitz und Donner zu machen ist nicht die Aufgabe der Partei, wenn sie nicht aus Kalchassen mit ihrem Kolophonium und Blechzauber besteht. Den Sturm erzeugen nur elementare Kräfte; die Aufgabe der Partei ist einfacher, bescheidener: im Sturme das Schifflein zu steuern, es nicht an Klippen zerschellen zu lassen, die Fahne wehen zu lassen, die den Weg bezeichnet. Aber nicht nur dank dieser grundsätzlich bescheidenen Rolle, die die Parteien in der Revolution in der Periode vor entscheidenden Kämpfen spielen, sind die politischen Möglichkeiten und die Kampfmittel, die die Kommunistische Partei den Massen empfehlen kann, begrenzt.

Es kommt noch in Betracht der besondere Charakter der deutschen Revolution, als einer proletarischen Revolution, als eines Teils der erst sich entfaltenden Weltrevolution der internationalen Arbeiterklasse. Der proletarische Prometheus ist gefesselt durch Ketten der ökonomischen Ausbeutung. Sein Hauptkampf wird ausgefochten nicht im Parlament, nicht im Arbeiterrat, sondern dort, wo sein Schweiß in Gold verwandelt wird, in der Fabrik, auf dem Gebiete der ökonomischen Beziehungen. Hier liegen die verwickeltsten Fragen der kommunistischen Taktik, und die wollen wir jetzt besprechen.

IV. Die Gewerkschaften, die Kommunistische Partei und die Zertrümmerung des Kapitalismus

Die Linksradikalen haben jahrelang vor dem Kriege die Notwendigkeit der revolutionären Massenkämpfe befürwortet, und obwohl ihre Agitation Ausdruck der sich verschärfenden ökonomischen Gegensätze war, hatte sie keinen Erfolg. Jetzt aber stehen wir inmitten großer, immer wieder ausbrechender Massenkämpfe, dass wir, wie die Bourgeoisie, das Bewusstsein haben, uns in der Revolution zu befinden. Wodurch entstand die proletarische Revolution, in deren Strom wir stehen?

Vor dem Kriege riefen wir die Arbeiterklasse zum revolutionären Massenkampfe auf, indem wir darauf hinwiesen, dass die wachsende Konzentration und Vertrustung des Kapitals die Bedingungen des isolierten Kampfes einzelner Gewerkschaften immer mehr verschlechtert, dass die zunehmende Teuerung die Erfolge des gewerkschaftlichen Kampfes zunichte macht, dass der Zusammenschluss des Bürgertums im Parlament, ein Resultat seiner wirtschaftlichen Zusammenfassung unter der Leitung des Finanzkapitals, einen parlamentarischen Block gegen jeden sozialpolitischen Fortschritt herbeiführt, dass die Kosten des imperialistischen Wettrüstens die Mittel jeder Sozialreform auffressen. Unsere Agitation basierte auf der Erkenntnis wirtschaftlicher Tendenzen, unter deren Einfluss sogar in England, dem Lande des „sozialen Friedens“, eine Revolutionierung der Arbeitermassen begann. Auch ohne Krieg würde die Verschärfung der genannten Klassengegensätze zur proletarischen Revolution getrieben haben. Aber erstens setzten sich diese Tendenzen nur langsam durch und drangen noch langsamer ins Bewusstsein der Arbeiterklasse, zweitens stand das Bürgertum in seiner vollen Macht da und lähmte im Proletariat durch den Schein seiner Unüberwindbarkeit den Glauben an die Siegesmöglichkeit und damit den Willen zum Kampf.

Da kam der vierjährige Krieg mit all seinen ökonomischen Folgen. Die Notwendigkeiten der Kriegsproduktion und die Knappheit der Rohstoffe beschleunigte die kapitalistische Konzentration ungeheuer. Sogar in England, wo aus historischen Gründen das Trust- und Kartellwesen wenig entwickelt war, setzte es sich siegreich durch. Die Arbeiterklasse steht jetzt überall einem so konzentrierten Kapital gegenüber, dass, falls der Kapitalismus die jetzige soziale Krise überdauern würde, ein isolierter gewerkschaftlicher Kampf vollkommen unmöglich wäre. Die Knappheit des Arbeiterangebots — das proletarische Blut war zur Kriegführung ebenso notwendig wie der proletarische Schweiß, die wachsende Teuerung aller Lebensmittel nicht nur im blockierten Deutschland — führten im Kriege zur Erhöhung der Löhne. Aber während die Teuerung einzelner Waren nur langsam nachlässt, der Preis anderer jetzt noch steigt und steigen muss, sind die „Vaterlandsverteidiger“ zurück und verwandeln sich sehr schnell in Arbeitsvieh. Es wird ein Kampf zwischen den Arbeitern und Arbeiterinnen, die der Krieg in die Fabriken getrieben hat, zwischen den Gesunden und Halbkrüppeln beginnen. Würde ein großer wirtschaftlicher Aufschwung sofort nach dem Kriege erfolgen, er würde die Arbeitslosen aufsaugen. Aber obwohl die verwüstete Welt nach Waren direkt schreit, so sind die Aussichten auf einen baldigen wirtschaftlichen Aufschwung minimal. Nicht nur in Ost- und Zentraleuropa fehlt es an den notwendigsten Rohstoffen, sondern auch in Westeuropa ist dies der Fall. Abgesehen davon, dass die Rohstoffvorräte Amerikas sehr überschätzt werden — sie wurden doch vier Jahre lang in die Luft verschossen —- fehlt es Europa an Mitteln, sie zu erwerben. Die besiegten Länder sollen Hunderte von Milliarden ohne Entgelt abgeben; wofür sollen sie die überseeischen Rohstoffe bekommen? Müssen aber die besiegten Länder ihre Rohstoffe und Fabrikate als „Entschädigung“ hergeben, so hören sie auf, einen aufnahmefähigen Markt für die Waren der siegreichen Länder zu bilden. Die im Kriege ausgemergelten, erschöpften, dezimierten Volksmassen kranken an der „postwaritis“, wie es die englische Presse nennt, an dem Schwund der Arbeitskraft: das Sinken der Produktion ist eine internationale Erscheinung. Es steigert die Teuerung. Alle Staaten sind dank der verruchten Kriegsausgaben überflutet mit Papiergeld, wodurch wieder die Teuerung zunimmt. Diese Überflutung hat in verschiedenen Ländern einen verschiedenen Grad erreicht, das Verhältnis des Geldwerts in verschiedenen Ländern ist so außer Rand und Band, dass jede Basis für den normalen internationalen Warenverkehr vernichtet ist. Unter diesen Bedingungen haben die besitzenden Klassen aller Länder von Kriegsschulden abzufragen, was — wenn sie sich selbst nicht konfiszieren wollen — nur möglich wäre, wenn sie das Proletariat jahrzehntelang zur Sklavenarbeit verurteilen würden. Während diese Folgen des Krieges die Bourgeoisie vor die Frage stellen, die Arbeitszeit des Proletariats zu verlängern, sie durch verfeinerte Methoden der Schweißauspressung in Zuchthausarbeit zu verwandeln und die Löhne zu drücken, steht das Proletariat da, durch den Krieg zum Teil der Arbeit entwöhnt, zum Teil ausgemergelt, mit ungemein gesteigertem Machtbewusstsein. Vier Jahre lang lag das Schicksal der mächtigsten Staaten in seinen Händen, es war abhängig von seiner Anstrengung im Schützengraben und in der Fabrik. Das Proletariat hat im Grauen des Krieges das Fürchten verlernt. In Ost- und Zentraleuropa sah es alte Bastillen des Kapitalismus wie Karten zusammenstürzen. In Frankreich, England und Amerika sieht es die Machthaber vor dem Gespenst des Bolschewismus, des proletarischen Aufstandes zittern. Während das Kapital, wenn es auf seine Herrschaft nicht verzichten will, genötigt ist, dem Proletariat das Fronjoch aufzuerlegen, damit es die Welt neu baue für seine Ausbeuter, glaubt das Proletariat in der ganzen Welt, dass die Stunde gekommen ist, wo es das Recht hat, für die vier Jahre des Blut- und Schweißtributs menschliches Leben zu fordern. Überall schäumt die Welle des Streiks, heute verläuft sie sich, um morgen noch wütender zu branden.

Objektiv findet sich die gesamte kapitalistische Welt in Auflösung: sie kann ihre Sklaven nicht einmal satt ernähren und ihnen Arbeit sichern, und sie fordern von ihr, der Verkörperung der Unmenschlichkeit, menschliche Lebensbedingungen. In Deutschland und Deutsch-Österreich ist die Lage tausendmal schlimmer; in derselben Zeit, wo die Massen der Bourgeoisie die Rechnung vorlegen, präsentiert die siegreiche Ententebourgeoisie ihrerseits eine gesalzene. Die deutsche Bourgeoisie soll das am meisten erschöpfte und gleichzeitig dank dem Zusammenbruch der Hohenzollernschen und Habsburgischen Monarchie „frech“ gewordene Proletariat doppelt ausbeuten; für sich und für die Bourgeoisie der Ententeländer.

Diese Lage ist die Quelle der großen, immer mehr wachsenden Kämpfe des Proletariats. Worum drehen sich diese Kämpfe? Die Vorderreihen des Proletariats, haben eingesehen, dass es sich nicht um die Besserung der Lage unter dem Kapitalismus, sondern um die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in die sozialistische handelt. Die zurückgebliebenen proletarischen Schichten haben ganz gewiss keine klare Einsicht in diese Fragen.. Sie wissen nicht, dass die Welt so arm durch den Krieg geworden ist, dass, um zu den bescheidensten menschlichen Lebensbedingungen zu gelangen, man die planlose, dem Kapital Tribut zahlende Wirtschaftsweise in eine Wirtschaft der Arbeitenden verwandeln muss, die, sogar ohne Drohnen ernähren zu müssen, hart werden arbeiten müssen. Die zurückgebliebenen Arbeitermassen, getrieben durch die Teuerung, durch die Arbeitslosigkeit und durch ihr gewachsenes Machtbewusstsein stellen Forderungen, die der Kapitalismus gar nicht erfüllen kann und führen wilde Kämpfe um sie. Die Sozialdemokraten glauben, dass sie diesen Kampf herunterreißen und seine Bedeutung mindern, wenn sie sagen, es seien unaufgeklärte Massen, die früher nicht organisiert, ja oft gelb waren. Entfremdet den verstehen die Sozialdemokraten nicht, dass sie dadurch nur zeigen, wie tief die Wurzeln der Revolution reichen. Selbst die Massen, die bisher unorganisiert und unaufgeklärt waren, die sich dank ihrer Schwäche dazu hergaben, als gelbe Schutzkolonnen des Kapitals zu wirken, sie sind unter den Donnerschlägen des Krieges und seiner Folgen aufgewacht und stellen die Rechnung für alle ihre Leiden: für Jahrzehnte der Ausbeutung und Erniedrigung. Je größer diese Ausbeutung, je tiefer diese Erniedrigung war, desto wilder das Aufbegehren dieser Massen und desto stürmischer ihr Drängen. Sie stoßen auf das Non possumus der Bourgeoisie, auf ihre Erklärung, dass sie nicht imstande ist, ihre aufgewachte Gier nach menschenwürdigem Leben zu befriedigen und sie sagen: dann fort mit dir. Wie soll die Kommunistische Partei in diesen elementaren Strom der Auflehnung des Proletariats eingreifen? Über das Geschrei der Legien, Bauer und Kautsky nach Arbeit und Produktion, brauchen wir nicht viele Worte zu verlieren. Die Arbeit und Produktion „überhaupt“ existiert nur in ihrer Phantasie. Sie fordern die Arbeit für das Kapital und nennen es Rettung der Gesellschaft. Würde das Proletariat sich durch die Schrecken des Hungers und der Arbeitslosigkeit dazu verleiten lassen, die Wirtschaft wiederherzustellen, um sie „dann“ zu sozialisieren, dann würde es sich für Jahrzehnte zum Sklaven des Kapitalismus machen desselben Kapitalismus, der erst durch vier Jahre Weltkrieg dem Proletariat gezeigt hat, dass er nicht imstande ist, ihm auch nur das ruhige Leben eines Arbeitstieres zu sichern.

Die Kommunistische Partei steht mit allen Fibern ihrer Seele hinter dem proletarischen Aufstand gegen die Kapitalswirtschaft, sie hält jede Propaganda für die Produktion „überhaupt“ für ein Verbrechen am Proletariat, jede Propaganda und Agitation für den ununterbrochenen Kampf gegen das Fronen im Dienste des Kapital für eine selbstverständliche Pflicht. Alles Schwere, was der Prozess des Zusammenbruchs, des Niederreißens der kapitalistischen Zwangswirtschaft für das Proletariat mit sich bringt, ist nicht vergleichbar mit dem jahrzehntelangen Siechtum im Joche des aufgerichteten Kapitals. Würde das Proletariat aus Angst vor Hunger und Not unter das kapitalistische Joch zurückkriechen, dann wären die Millionen der gefallenen Proletarier unnütz gefallen. Aber das Proletariat würde trotzdem sich die Leiden nicht ersparen, da das siegreiche Kapital ihm alle Lasten des Wiederaufbaus des Kapitalismus aufbürden würde, gar nicht davon zu sprechen, dass es in der Zukunft nicht umhin können würde, von neuem den schweren Kampf um den Sozialismus, der einmal ein Dornenweg ist, aufzunehmen.

Die erste Aufgabe der Kommunistischen Partei besteht also in einer Agitation, die das dumpfe Drängen der Massen nach dem Kommunismus in ein klares Erkennen des Wesens der kapitalistischen Götzendämmerung verwandelt, in ein klares Verständnis des Prozesses der sozialistischen Revolution. Das Verständnis dieses Prozesses gibt auch die Antwort auf die Frage der Mittel dieses politischen Kampfes, auf die Frage seiner Organisationsform. Nur durch die Untersuchung der Tendenzen des Massenkampfes selbst, nicht aber durch Spekulationen über die zu erfindende „beste Form“, kann man den richtigen Weg finden.

Zusammen mit dem Kapitalismus entstanden die Gewerkschaften als Organisationen des ökonomischen Kampfes des Proletariats. Dieser Kampf drehte sich bis auf den heutigen Tag, bis auf die mit dem Kriege beginnende Epoche der sozialen Revolution, um die Besserung der Lage der Arbeiterklasse im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft. Wie der Fabrikant und der Kaufmann die besten Bedingungen für den Verkauf ihrer Waren suchten, so suchten die Arbeiter sich durch die Gewerkschaften die besten Bedingungen für den Verkauf der einzigen Ware, die sie besaßen, ihrer Arbeitskraft, zu schaffen. Die Gewerkschaften erstrebten eine Besserung der Verkaufsbedingungen für die Ware Arbeitskraft dadurch, dass sie das Angebot dieser Ware regulierten. Durch Reiseunterstützung suchten sie der Stauung der Ware an Plätzen, wo ein Überfluss daran bestand, und infolgedessen die Preise — der Lohn — gedrückt wurden, entgegenzuarbeiten, durch Arbeitslosenunterstützung halfen sie den Arbeitern über die schwere Zeit hinweg, sie lagerten die Ware, damit durch das Unterbieten die Löhne nicht gedrückt werden sollten; durch kollektive Arbeitsverträge suchten sie die Löhne auszugleichen, zu stabilisieren. Durch Erhöhung des kulturellen Niveaus der Arbeiter machten sie den Versuch, die Kosten der Erzeugung der Ware, also ihren Preis, zu steigern; durch Streiks wieder schließlich, bei denen die angesammelten Beiträge der Arbeiter in der Form der Streikunterstützung ihnen das Ausharren ohne Arbeit ermöglichten, wollten sie die Widerstände des Kapitals brechen. Die Gewerkschaften hatten also in der kapitalistischen Gesellschaft eine rein reformerische Rolle zu erfüllen; sie konnten über die ihnen objektiv gesetzten Schranken nicht hinaus, selbst wenn sie sich subjektiv, wie die syndikalistischen Gewerkschaften, die Zertrümmerung der kapitalistischen Gesellschaft zum Ziele setzten. Da dies unmöglich war, führten — trotz aller großen Worte — die syndikalistischen Gewerkschaften dieselbe praktische Arbeit aus, wie die liberalen und sozialdemokratischen deutschen Gewerkschaften. Die Ideologie der Gewerkschaften war in verschiedenen Ländern dem besonderen geistigen Milieu der Arbeiterklasse angepasst, aber die verschiedene Flagge deckte überall dieselbe Ware.

Die alten Methoden der Gewerkschaften sind zum Teil ungenügend, zum Teil überhaupt nicht mehr anwendbar geworden. Fünfzehn Millionen Arbeitsloser gibt es nach der Berechnung Hoovers, des amerikanischen Leiters der Ernährungskommission der Entente („Times“ vom 13. August) in Mittel- und Westeuropa. Wo sind die Gewerkschaftskassen, die diese Not lindern können? Obwohl sie am Rande des finanziellen Bankrotts stehen, mussten die kapitalistischen Staaten die Ernährung dieser Massen auf sich nehmen, um sie von Verzweiflungstaten abzuhalten. Die Kapitalisten sind natürlich für kollektive Arbeitsverträge, wo es sich doch jetzt darum handelt, die Arbeitermassen von den „wilden“ Streiks, von immer neuen Forderungen zurückzuhalten, können aber Tarifverträge ihren bisherigen Zweck, die Sicherung einer Stabilität der Löhne herbeizuführen, erfüllen, da die sprunghafte Änderung der Preise, des Geldwertes, der gesamten Weltwirtschaft, jede Möglichkeit der Kalkulation nimmt? Die Gewerkschaftsführer mögen noch so toben, dass die von ihnen geschlossenen Tarifverträge von den Arbeitermassen gebrochen werden. Keine Kraft der Welt kann die Arbeiter vor dem Bruch des heiligen Tarifs zurückhalten, wenn in ein paar Wochen die Preise so steigen, wie sie früher in Jahren nicht gestiegen sind. Der langfristige Tarifvertrag hat jeden Sinn verloren. Immer wieder brechen Riesenstreiks aus. Die Kunst des gewerkschaftlichen Kampfes bestand bisher darin, womöglich gleichzeitige große Streiks zu vermeiden, um die Kassen nicht auf einmal leeren zu müssen. Es bildete sich eine Mechanik der Streikführung aus, die nicht weniger kompliziert war, als die Berechnungen eines Generalstabes beim Aufmarsch der Truppen im Kriege. Welche Gewerkschaftsleitung kann während des jetzigen sozialen Erdbebens ausrechnen, welche Arbeitertruppen nach der Reihe die Kampfarena zu betreten haben, welche Gewerkschaftsleitung kann diesen neu aufgewachten Massen ihre Bewegungsgesetze diktieren, welche Gewerkschaft kann bei den jetzigen Existenzunkosten durch proletarische Geldschränke Siegen? Die Arbeiter hungern sich durch und suchen die Zahlung des Lohnes für die Streikzeit zu erzwingen. Sie kämpfen, wenn sie müssen, nicht wenn die Gewerkschaftsführer kommandieren. Die Klagen der Gewerkschaftsführer über die „wilden“ Streiks beweisen nur, dass die Arbeiterführer keinen Begriff davon haben, was die Stunde geschlagen hat. Sie beweisen n Arbeitern die Unmöglichkeit ihrer Forderungen und merken nicht, dass sie die Unmöglichkeit des Kapitalismus beweisen.

Die Bedingungen, unter denen der gewerkschaftliche Kampf bisher geführt wurde, sind verschwunden, sein Ziel, die Besserung der Lage der Arbeiterklasse im Rahmen des Kapitalismus ist zur Utopie geworden. Entweder Versklavung des Proletariats oder Kampf um Sozialismus, das ist die Lage.

Sind aber die Gewerkschaften mit dieser Änderung der Bedingungen des ökonomischen Kampfes des Proletariats nicht überflüssig geworden? Sind sie damit nicht verurteilt, überhaupt zu verschwinden? Die Gewerkschaftsführer beantworten diese Frage mit der Aufforderung an die Revolution, sie solle sich zum Teufel scheren, weil sie sonst in ihrer altgewohnten systematischen ruhigen Arbeit an der Besserung der Lage des Proletariats im Rahmen des Kapitalismus gestört werden. Die Revolution denkt aber nicht an das Verschwinden. Umgekehrt, sie beginnt erst recht ihren eisernen Marsch.

Manche Revolutionäre fordern darauf im Namen der beleidigten Revolution die Gewerkschaften auf, sich zum Kuckuck zu scheren und verfluchen diese konterrevolutionären Organisationen Aber siehe da! Die durch die Revolution aufgeweckten Massen gehen in geschlossener Phalanx in die Gewerkschaften auf deren Führer sie schimpfen. Zirka vier Millionen neuer Gewerkschaftsmitglieder seit der Novemberrevolution, das ist eine Antwort der Massen auf die Frage von der Notwendigkeit der Gewerkschaften, die kein Revolutionär übersehen sollte.

Aber selbst durch die Tatsache gezwungen, das Wachstum der Gewerkschaften in der Zeit der Revolution zuzugeben, suchen manche Kommunisten doch sich wenigstens noch dem Sinn dieser Tatsache, ihren Lehren, zu verschließen. Die Gewerkschaften sind nötig, erklären sie, aber die Gewerkschaftsführer sind Verräter, sie missleiten sie, aber die Gewerkschaftsführer sind Verräter, sie missleiten die Massen und halten sie vom Kampfe zurück. Also gründen wir neue Gewerkschaften, die sich auf die Betriebe, nicht auf die Berufe stützen, Gewerkschaften, die den revolutionären Kampf führen werden. Jede Hoffnung auf Verwandlung der jetzigen Gewerkschaften mit ihrer konterrevolutionären Führerschaft ist eine Illusion, weil die Führerschaft eine zentral organisierte Bürokratie mit konterrevolutionärer Stimmung darstellt, die sich jetzt noch dazu auf den Staatsapparat stützen kann. Also: Heraus aus den Gewerkschaften und Bildung „industrieller Unionen“! So lautet die Parole der Hamburger Syndikalisten-Kommunisten, für die sie eine Anzahl Mitglieder unserer Partei gewonnen haben.

Eine andere Gruppe führender Parteigenossen verwirft den Austritt aus den Gewerkschaften, der auf Atomisierung eines Teils der Massen und auf Auslieferung des anderen Teils an eben diese konterrevolutionären Gewerkschaftsführer hinauslaufen würde. Diese Gruppe vertritt die Losung der Spaltung der Gewerkschaften und des Zusammenschlusses der abgespaltenen lokalen Organisationen oder deren Teile sei es in industrielle Arbeiterunionen vom Typus der Industrieverbände (die sich auf die Organisation der Betriebe stützen), sei es in Fachverbände.

Untersuchen wir die beiden Losungen! Ihre gemeinsame Grundlage bildet die Überzeugung, dass die Rolle der Gewerkschaften in der Revolution nicht ausgespielt bat, dass, während die Gewerkschaften bisher der Hebung der Lage der Arbeiterklasse im Rahmen des Kapitalismus gedient haben, sie jetzt zu Organen des Kampfes zum Zweck der Zertrümmerung des Kapitalismus werden sollen. Diese Voraussetzung ist vollkommen richtig. Wenn es wahr ist, dass die sechs Millionen Proletarier, die jetzt in den deutschen Gewerkschaften organisiert sind, revolutionär kämpfen müssen, so bedeutet ihr Zusammenschluss einen Zusammenschluss zur Revolution. Die Gewerkschaften werden ihre Funktionen ändern müssen. Dem setzen sich die konterrevolutionären Gewerkschaftsführer entgegen. Die Kommunisten glauben nicht an die Umkehr der alten Gewerkschaftsführer, und sie haben Recht. Die Gewerkschaftsführer sind Routiniers des alten Gewerkschaftskampfes im Rahmen des Kapitalismus, die zu seinen Verteidigern geworden sind. Daraus folgt aber nur eins: Weg mit den alten Gewerkschaftsführern aus der Leitung, Anpassung der Gewerkschaften an die neue Funktion. Das wird nicht gelingen, erklärt ein Teil der Genossen: die Kerle sind abgefeimte Schurken, sie verschanzen sich hinter dem Statut der Staatsgewalt und betören die Massen. Die Massen, die nach der tiefen Überzeugung unserer Genossen sich von der bürgerlichen Welt nicht betören lassen werden, die bis in den Tod den Kampf um den Sozialismus führen werden, weil sie müssen, die von der neu gebackenen Verfassung des Weimarer Theaters und der Nosketruppen nicht Halt machen werden, sie sollen dazu verurteilt sein, sich von einem Teil der Helfershelfer der kapitalistischen Welt bis zu ihrem Ende betören zu lassen? Es genügt, diese kommunistische Überzeugung von unserem unhaltbaren Siegeszug mit der Überzeugung von der Unbesiegbarkeit der Legien und Bauer zusammenzustellen, um zu sehen, dass eine dieser Überzeugungen schlecht fundiert sein muss. In der Erkenntnis dessen, dass, wenn man die kapitalistische Welt besiegen zu können glaubt, man sich auch den Sieg über ihre Stützen zutrauen muss, erklärt ein anderer Teil der Kommunisten: ja, die Besiegung der Gewerkschaftsführer wäre schon möglich, aber der Kampf würde zu lange dauern. Die Revolution erfordert die Leitung des Gewerkschaftskampfes schon jetzt. Da gilt es, die Massen, die uns folgen, durch Spaltung aus den alten Gewerkschaften herauszuführen und neue Gewerkschaften zu bilden, die die Kristallisationsachse dieses Kampfes in Industrien oder Berufen (je nach dem Unterschiede) sein werden. In dieser Auffassung von dem Mangel an Zeit äußert sich die Erkenntnis, wie viel Kräfte der Kampf gegen die Traditionen der alten Bewegung und ihre Vertreter kostet, und der Wille, dieser Kräftevergeudung aus dem Wege zu gehen. Wir haben hier die revolutionäre Ungeduld vor uns, die zum Putschismus auf dem Gebiete des ökonomischen Kampfes verleitet, nachdem der Putschismus auf politischem Gebiete durch bittere Erfahrungen in der Partei ausgerottet wurde. Das Wesen des Putschismus besteht darin, dass er unreife Früchte pflücken will. Auf politischem Gebiete will er schon die politische Gewalt erobern, ehe wir große Massen des Proletariats hinter uns haben. Hier auf gewerkschaftlichem Gebiete setzt er der Revolution einen Termin und erklärt, keine Zeit zu haben, auf ihre Vorbedingungen, den Kampfeswillen der großen Masse, zu warten. Er will neue Gewerkschaften bilden, die diesen Kampfeswillen schneller destillieren Das geht natürlich nicht. Die Revolution kann nicht schneller kommen, als sie kommen kann, und meines Wissens gibt es kein medizinisches Buch, das die Länge der Schwangerschaft der kapitalistischen Gesellschaft festsetzt. Kurz und gut, das Resultat der Eile kann nur eine gewerkschaftliche Missgeburt sein. Und dies aus folgenden Gründen: Die Arbeitermasse strömt zu Millionen in die Gewerkschaften nicht deswegen, weil über ihren Lokalen die Überschrift „Gewerkschaft“ angebracht ist, sondern weil sie sich schon bestehenden großen Organisationen, die sie für Kampforganisationen hält, anschließen will. Kommt man an sie mit der Losung der Spaltung, so stößt man sie zurück, da sie darin die Vereitlung des Zweckes sehen wird, wegen dessen sie in die Gewerkschaften eingetreten ist: des Zusammenschlusses Der Austritts- oder Spaltungsparole werden nur die schon kommunistischen Arbeiter folgen, und wir bekommen separate kommunistische Gewerkschaftsorganisationen, also eine zweite Auflage unserer politischen Organisationen. Organisationen einer kleinen revolutionären Vorhut, befähigt, als Zentren der Agitation, aber nicht als Zentren der Zusammenfassung zu dienen. Eine wirtschaftliche Organisation ohne große Masse ist ein Unding, und deshalb ist die Spaltungsparole auf dem gewerkschaftlichen Gebiet ebenso reaktionär wie sie revolutionär auf dem politischen Gebiet seit 1914 war. Es galt, die deutsche Sozialdemokratie zu spalten, damit die in ihr zerstreuten revolutionären Elemente für den Klassenkampf freie Hand bekommen sollten. Der Klassenkampf auf wirtschaftlichem Gebiet tobt jetzt trotz aller faulen Künste der Legien u. Co.; er schlägt bereits in Bürgerkrieg um. Es gilt, die gegen den Kapitalismus anstürmenden Kräfte zu sammeln und nicht zu spalten.

Wie das tun? Ohne jede Spaltungsparole und Spaltungsabsicht in den lokalen Gewerkschaften den Kampf führen für die sachlich notwendigen ökonomischen Aktionen! Den Gewerkschaftsbeamten, die sich den von den Massen geforderten Aktionen widersetzen, die den Massen den konterrevolutionären Charakter des alten Führertums lebendig demonstrieren, den Stuhl vor die Tür setzen! Kümmert Euch nicht um die Verbote der konterrevolutionären zentralen Leitungen, wo es sich um Interessen von Aktionen handelt, die Ihr als die Eurigen empfindet! Greift die Zentralleitung zum Mittel des Ausschlusses der lokalen Organisation, dann muss diese selbständig geleitet werden, muss sich mit anderen vom gleichen Schicksal betroffenen Organisationen in Verbindung setzen, aber gegen den Ausschluss vor dem Forum der ganzen Gewerkschaft kämpfen. So wird die Masse sehen, dass es sich nicht um von „außen hineingetragene“ politische Gegensätze handelt, sondern dass der Kampf um die Erfüllung der Aufgaben geht, derentwillen sie der Gewerkschaft beigetreten ist, so wird eine durch die Gewerkschaftsleitungen herbeigeführte Spaltung sie von den aktivsten Massen isolieren, während eine von uns herbeigeführte Spaltung uns isolieren würde. Durch einen solchen hartnäckigen Kampf werden die Gewerkschaften mit neuem Geist erfüllt, den neuen Aufgaben angepasst, die neuen Gewerkschaftsführer werden herangebildet, der revolutionäre ökonomische Kampf wird geführt. In ihm werden auch die neuen Organisationsgruppierungen durchgeführt, inwieweit die Gewerkschaften in diesem Kampfe aus Organisationen der Berufe sich in Organisationen der Betriebe verwandeln müssen, das kann nur die Praxis zeigen.

Die Agitation für Industrieverbände, die von Hamburg ausgeht, ist ein doktrinärer Versuch der Übertragung der „Industrial Workers of the World“ nach Deutschland; sie vergisst, dass die Hauptursache, weshalb diese Organisationen in Amerika die Form der Betriebsorganisation haben, in der Tatsache besteht, dass sie bei bisherigen konterrevolutionären Charakter der englischen Arbeiter Amerikas, die sich in der Federation of Labour organisierten, größtenteils nur die fremden, nicht qualifizierten, gleich schlecht entlohnten Arbeiter umfassten. Solange die starken Unterschiede in der Entlohnung der Arbeiter verschiedener Berufe in einem Betriebe in Deutschland bestehen, wird es schwer sein, mit einem Sprung die Arbeiterschaft dazu zu bringen, auf ihre besonderen beruflichen Interessen zu verzichten und sich in Industrieverbänden zu organisieren. Die Arbeiter werden, wie die russische Erfahrung zeigt, sogar nach Eroberung der politischen Gewalt nicht sofort auf ihre Gruppeninteressen verzichten. Um der beruflichen Zersplitterung entgegen und für die Zusammenfassung der Arbeiter im Betriebe zum gemeinsamen Kampfe zu wirken, werden die Gewerkschaften, wenn sie mit revolutionärem Kampfgeist erfüllt sein werden, schon die entsprechenden Formen finden. Dies kann nicht von einer politischen Partei geschehen, die zwar durch ihre theoretische Einsicht und durch ihren Plan der revolutionäre Odem der Gewerkschaften sein muss, die aber nicht die Fähigkeit besitzt, vom grünen Tische aus die Formen der komplizierten, von konkreten Bedingungen des ökonomischen Kampfes abhängigen Gewerkschaftsbewegung zu diktieren.

In dieser Agitation für die Industrieverbände, wie sie in der Kommunistischen Partei auftaucht, äußert sich neben dem Einfluss der IWW das Empfinden, dass es gilt, eine Organisation zu finden, die direkt auf den Massen, wie sie der Kapitalismus in den Betrieben zusammenballt, fußend, ein mächtiges Mittel nicht nur des Kampfes gegen den Kapitalismus, sondern für den Sozialismus wäre. Dieses Gefühl ist am lebhaftesten in den vorgeschrittenen Teilen des Proletariats, die verstehen, dass der Kampf jetzt um den Sozialismus geführt wird und die sich nach den Organen dieses Kampfes umsehen. Dies ist die Wurzel des Betriebsratsgedankens, der um die Formung in den Massen ringt.

V. Die Betriebsräte und der Kampf um den Sozialismus

In einer herabsetzenden Besprechung des Plans des Aufbaus der Betriebsräte, der vom Berliner Vollzugsausschuss ausgeht, und dessen Väter die Unabhängigen Däumig und Müller sind, schrieb der Bremer „Kommunist“: „Zerstörung des Kapitalismus auf wirtschaftlichem Gebiete, aber nicht irgend ein wirtschaftlich-organisatorischer Aufbau, das ist jetzt das Ziel der Tätigkeit der Kommunistischen Partei“. Wenn damit gesagt werden sollte, dass es unmöglich ist, während des Kampfes um die politische Gewalt, vor dem Siege eine fertige Organisation des Wirtschaftslebens, die den Interessen der Arbeiterklasse entsprechen würde, zu bilden, um sie mit Erlaubnis der konterrevolutionären Regierung in der konterrevolutionären Verfassung zu verankern, und dieses Bestreben ist in dem Plan und der Arbeit der Däumiganer bemerkbar und stempelt sie zu Vertretern neu-proudhonistischer Tendenzen, — wenn damit gesagt werden soll, dass man überhaupt keinen endgültigen fertigen Plan der Rätewirtschaftsverfassung herausklügeln kann, dass sich diese Verfassung nur im Kampfe bilden kann, so wäre der Bremer „Kommunist“ im Recht. Aber er sagt mehr: er degradiert die Revolution zu einem puren Erdbeben, das das Gebäude des Kapitalismus zerstört, worauf erst der Aufbau beginnen wird. Dies ist eine grobe, mechanische Auffassung der proletarischen Revolution.

Die proletarische Revolution ist ein gleichzeitig zerstörender, wie tief schöpferischer Prozess. Die Arbeiterklasse kann überhaupt das Werk der Zerstörung des Kapitalismus nicht durchführen, ohne gleichzeitig zu versuchen, die Fundamente eines neuen Lebens zu legen. Sie zerstört ihn doch nicht aus Freude an der Zerstörung, da diese doch auch die Proletarier mit unsäglichem Leiden überhäuft. Die zerstörende Revolution ist eine Abwehr gegen den Wahnsinn des Kapitalismus, der auf seiner Höhe tausende Milliarden von Werten und Millionen Menschen vernichtet, der inmitten von Reichtümern den Hunger, inmitten der verwüsteten nach Arbeit schreienden Welt die Arbeitslosigkeit erzeugt, der Millionen aus dem Kriege zurückkehrender Männer, die er dort rücksichtslos das Leben einsetzen ließ, jetzt zu willigen Sklaven machen will. Die zerstörende Kraft der Revolution besteht in dem Sich-Aufbäumen der Arbeiterklasse gegen eine der Geißeln des außer Rand und Band geratenen Kapitalismus, also in den Kampfe für die Neuordnung der Elemente, die im kapitalistischen System aus Wohltat Plage geworden sind. Die Arbeiterklasse sucht das Joch der kapitalistischen Sklaverei abzuwerfen, aber die besten Elemente verstehen, dass ohne Disziplin sie in voller Anarchie untergehen würden. So versuchen sie eine neue freiwillige Ordnung, um ihre Organe auszubilden. Das kann nicht auf einmal vollbracht werden, aber mit der Schaffung der neuen Ordnung, mit dem Kampf gegen die individualistischen Tendenzen des Sich-Auslebens eines jeden Arbeiters auf eigene Faust darf keinen Tag gewartet werden. Zu gleicher Zeit, wo die Arbeiter in der Revolution dem Kapitalisten das Recht nehmen, die Arbeitsordnung in der Fabrik zu dekretieren, wo sie die Anstellung und Entlassung der Genossen in die eigene Hand nehmen, bilden sie die Keimzellen der neuen Ordnung in der Fabrik. Um sie mattzusetzen, suchen die Kapitalisten die Produktion zu sabotieren. Sie wollen Arbeitslosigkeit erzeugen, damit die Arbeiter zu Kreuze kriechen, oder vom Staate zur Respektierung der kapitalistischen Ordnung genötigt werden. Die Arbeiter aber trauen dem Kapitalisten nicht, wenn er erklärt, er müsse die Fabrik schließen aus Mangel an Rohstoffen und Kapital. Sie gehen an die Prüfung der Lage der Fabrik, ihrer Vorräte usw., sie suchen sich vor Arbeitslosigkeit zu retten. Und wieder bedeutet die Zertrümmerung der alten Ordnung den Beginn einer neuen. Die Arbeiter suchen sich durchzuhelfen im Rahmen einer Fabrik. Aber bald merken sie, dass dies nicht geht. Sie müssen Halbfabrikate von anderen Fabriken bekommen, Kohlen von einer Kohlenverteilungsstelle. Der Fabrikbetriebsrat ist das erste spontan auf einer gewissen Stufe des Kampfes gegen den Kapitalismus entstehende Organ der neuen Ordnung, zuerst der Kontrolle der Industrie, dann — im Kampfe gegen die kapitalistische Sabotage — der Leitung der Industrie. Und weil jede Fabrik durch tausend Bande mit dem ganzen Wirtschaftsleben ihres Standorts, des Bezirks, des Reiches verbunden ist, müssen die Arbeiter, wenn der Kampf um die Erhöhung der Löhne und um Kürzung der Arbeitszeit sich zum Kampfe um die Kontrolle und Leitung der Industrie auswächst, von dem Betriebsrat in der isolierten Fabrik zur Schaffung eines zusammenhängenden Netzes der Betriebsräte schreiten. Der Plan der Wirtschaftsräteverfassung wird aus einer akademischen Spekulation zu einer Notwendigkeit, er wächst aus dem Kampfe heraus, der sich ausdehnt und erweitert. Das, was als Spekulation von „Gauklern und Konterrevolutionären“ von unserem Bremer Parteiblatt der Verachtung des Proletariats denunziert wird (Däumig mag sich trösten, es spricht hier nicht das Herz, sondern die Zunge), erweist sich als Versuch, Ordnung in das Chaos hineinzubringen.

Diese Frage der Betriebsräte ist eine aktuelle Frage. Das beweist die Konterrevolution, die die kommende Welle durch ein Gesetz über die Betriebsräte von vornherein zu brechen sucht. Das Gesetz über die Betriebsräte, das die Regierung in der Nationalversammlung eingebracht hat, soll durch Scheinzugeständnisse das Proletariat vom Kampfe um die Kontrolle der Industrie zurückhalten. Es gibt dem Proletariat das Recht, über die Arbeitsordnung mitzureden. Ganz abgesehen davon, dass es die letzte Entscheidung über alle sich daraus ergebenden Differenzen den Schlichtungskommissionen überweist, in denen die Bourgeoisie eine gesicherte Mehrheit hat, überlässt es die Leitung der Produktion vollkommen dem Kapitalisten. Er verspricht zwar für spätere Zeit ein weiteres Gesetz, das die Vertretung des Betriebsrates in dem Aufsichtsrat der Fabrik regulieren soll, aber auch dies ist ein Schwindel. Das Gesetz über die Betriebsräte würde, wenn es gut geht, im Winter fertig sein. Das über die Beteiligung der Vertreter der Betriebsräte im Aufsichtsrat aber erst viel später. Inzwischen hofft man mit der Revolution fertig zu werden, wonach dem Protest der Kapitalisten gegen die Zulassung der Arbeiter in die Aufsichtsräte Gehör verschafft werden könnte. Aber abgesehen von diesen Kniffen, ist der Aufsichtsrat keinesfalls die allein entscheidende Stelle in der Leitung der Produktion. Er versammelt sich sehr selten, ist mehr Mittel des Betruges der Aktionäre, als wirkliche Kontrolle der Direktion. Will das Proletariat wirklich Einblick in die Geschäfte gewinnen, will es selbst die Kontrolle ausüben, dann müssen seine Vertreter an der Leitung direkt beteiligt sein und müssen sie tagtäglich kontrollieren können. Nur so erfahren sie, wie die Kapitalisten die Produktionskräfte der Gesellschaft verschwenden, wie sie das Interesse der Allgemeinheit ihrem Privatprofit opfern, nur so können die Arbeiter versuchen, das Gemeininteresse dem privatkapitalistischen entgegenzusetzen. Deshalb muss der Kampf gegen das Betriebsrätegesetz der Regierung, falls spontane stürmische Kämpfe in den nächsten Monaten es nicht verschwinden lassen, zum Zentrum eines großen Kampfes werden, der, von den Betrieben ausgehend, die Arbeiter im ganzen Reiche zu einer mächtigen wirtschaftlich-politischen Aktion vereinigt, die die Frage der Sozialisierung zum Gegenstand des revolutionären Kampfes macht. Die Frage der Übernähme der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Frage der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat. Solange die Bourgeoisie herrscht, gibt es keinen Sozialismus, und das, was man Sozialisierung nennt, ist Verstaatlichung. Würde der kapitalistische Staat fest gefügt dastehen, so würde diese „Sozialisierung“ ihn stärken. Aber er kracht in allen Fugen, er ist genötigt, an die Verstaatlichungsfrage nicht nur aus fiskalischen Gründen heranzutreten, sondern auch, weil in der Arbeiterschaft sich ein immer größerer Unwille gegen die Arbeit für den Privatkapitalisten regt. Um der Arbeiterklasse die Arbeit für den Staatskapitalismus schmackhaft zu machen, nennt man ihn „Sozialisierung“. Aber die Arbeiter durchkreuzen das Spiel, indem sie erklären: ohne unsere Teilnahme an der Leitung der Produktion gibt es keine „Sozialisierung“, es gibt nur einen bürokratisch geleiteten staatskapitalistischen Betrieb. Auch mit Arbeiterkontrolle schöpft die Bourgeoisie den Profit ab, solange sie im Staate herrscht. Aber trotzdem wollen wir uns eine Zeitlang, bis wir die Regierung erobert haben, mit der Kontrollgewalt, mit der Teilnahme an der Leitung begnügen, um uns zur späteren selbständigen Leitung (natürlich immer zusammen mit den Fachleuten) die notwendigen Kenntnisse anzueignen. Die Eroberung der Kontrolle der Industrie durch Betriebsräte ist der einzige vorbereitende Schritt, den die Arbeiterklasse für die spätere Überführung der Produktionsmittel in das Eigentum der Gesellschaft machen kann. Bis der Moment der politischen Macht heranreift, bildet der Kampf um die Kontrolle der Industrie durch Betriebsräte die Zentralfrage. Darum wäre es verfehlt, wenn das Proletariat das betrügerische „Betriebsrätegesetz“ der Regierung sich ruhig aufdrängen ließe, um dann, dank der Macht der Arbeiter, in einzelnen Betrieben aus dem Spiel der Regierung Ernst zu machen und die Schranken des Gesetzes zu durchbrechen. Es muss versucht werden, das Gesetz zu Fall zu bringen, und ein revolutionäres Netz von Betriebsräten zu organisieren, deren Rechte im Kampf erobert werden. Der Däumigsche Aufbauplan kann wohl die Grundlage bilden, über die die Vertreter der revolutionären Arbeiterklasse sich im Einzelnen schnell verständigen müssen, um den Kampf einheitlich zu beginnen. Es handelt sich um eine große Agitationskampagne, die den Arbeitermassen zum Bewusstsein bringt, was die Regierung mit ihrem Gesetz und was wir mit den revolutionären Betriebsräten bezwecken. Es handelt sich um die Ablehnung der Teilnahme an den Wahlen zu Regierungsbetriebsräten und um die Durchführung der Wahlen zu den revolutionären Betriebsräten trotz aller Hindernisse, die die Regierung in den Weg legen wird. Es handelt sich um den Beginn der Tätigkeit der Industriegruppen und Betriebsräte. Dieser Kampf muss mit größtmöglicher Energie geführt werden. Wird die gemeinsame Arbeit aller revolutionären Elemente die Massen in dieser Frage aufrütteln, so werden wir im Herbste eine große politische Offensive gegen die Regierung beginnen können. Es handelt sich nicht um das „Machen“ der Revolution. Es handelt sich darum, an kräftige Tendenzen in der Revolution selbst anzuknüpfen, die den vitalsten Interessen der Arbeiterklasse entspringen, diese Interessen zum Zentrum des Kampfes zu machen und auf sie alle Energie des Proletariats augenblicklich zu konzentrieren. Alle Teilkämpfe gegen die Arbeitslosigkeit, gegen die Kohlen-, Wohnungs- und Transportnot können zu einem mächtigen Kampf verbunden werden, denn ohne Arbeiterkantrolle ist jeder Versuch irgendwelcher Milderung der kommenden Not vollkommen unmöglich. Davon, ob wir das Bewusstsein und die Energie des Proletariats auf diese Frage zu konzentrieren verstehen werden, wird es abhängen, welchen Umfang und welche Schärfe der Kampf annehmen, ob er nur in einer Agitations- und Demonstrationskampagne bestehen, oder in einem Machtkampf ausmünden wird. Das Echo, das unsere Agitation in den Massen auslösen wird, wird den Grad der erreichten Reife des Proletariats zeigen. Dieser Maßstab muss die Grundlage aller unserer weiteren Bemühungen bilden. Wie groß oder klein die Reife der Arbeitermassen zu einer solchen konzentrierten, organisierten Aktion sich erweisen mag, unsere Arbeit wird von den fruchtbarsten Folgen sein. Selbst wenn es nicht gelingt, den Kampf auf die Höhe eines Machtkampfes zu bringen, die Räteorganisation zentral aufzubauen, so wird es doch wenigstens gelingen, großen Massen im Kampfe beizubringen, was wir praktisch für die nächste Zeit wollen. So wird es gelingen, mehr organisatorische Einheit in die revolutionären Reihen hineinzubringen, ohne die sie leicht geschlagen werden von der organisierten Staatsgewalt. Sind wir dann genötigt, den frontalen Angriff aufzugeben, so werden wir imstande sein, viel erfolgreicher den Kampf um die praktische Umwandlung und Durchbrechung des uns eventuell aufgedrungenen Betriebsratsgesetzes zu führen, denn die Massen werden wissen, zu welchen Zugeständnissen die Kapitalisten in einer Fabrik im Laufe des weiteren Kampfes zu nötigen sind. Im Kampfe für die revolutionären Betriebsräte wird die Kommunistische Partei nicht isoliert dastehen, mindestens die linken Unabhängigen machen mit.

Es gilt, angesichts ihrer praktischen Bundesgenossenschaft, mit voller Offenheit, ohne alle übliche Parteiheuchelei sich über unser Verhältnis zu ihnen auszusprechen.

VI. Die Sammlung des Proletariats

Die Arbeiterklasse bildet in Deutschland eine kompakte Majorität. Wäre sie einig im revolutionären Wollen, so würde sie schon heute siegreich sein, denn sie beherrscht die Zentren des industriellen Lebens der Nation und ihre Vermittlungslinien. Sie würde eine große Anziehungskraft auf das ländliche Proletariat ausüben, mit seiner Hilfe den Widerstand der reichen Bauern und Junker brechen, die Kleinbauern durch wirtschaftliche Hilfe zu sich herüberziehen und so als Vertreterin der ungeheuren Mehrheit des werktätigen Deutschlands herrschen, ihre Regierung wäre keine Diktatur der Minderheit, sondern die Regierung der Volksmehrheit, die Gewaltmittel nur gegen die Versuche, eine Diktatur der kapitalistischen Minderheit aufzurichten, zu gebrauchen hätte. Aber die Arbeiterklasse war und ist nicht einig. Schon das Nebeneinander bestehender christlichen und der freien Gewerkschaften, sowie die Kämpfe innerhalb der Sozialdemokratie vor dem Kriege zeigten, wie zersplittert die Arbeiterschaft war. Die Ereignisse während des Krieges bestätigen es. Die Ursache der Spaltung der Arbeiterklasse bildete die Verschiedenheit der sozialen Lage ihrer verschiedenen Teile. Die Arbeiterklasse war gespalten, im allgemeinen genommen, in Proletarier, die unter der Herrschaft des Kapitalismus schlecht oder recht fortkommen zu können glaubten, und solche, die durch ihre Lage gedrängt wurden, den Kampf um die Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft aufzunehmen; denen, welchen der Kapitalismus ein auskömmliches Leben sicherte —- der Arbeiteraristokratie — gesellten sich jene Schichten zu, die, zermürbt durch die kapitalistische Ausbeutung, keine Möglichkeit sahen, gegen sie zu rebellieren oder zerstreut, isoliert im Dorfe und in den Kleinstädten durch die kleinbürgerliche Umgebung geistig niedergehalten werden. Ob diese Massen sich zur christlichen, liberalen, sozialdemokratischen Fahne bekannten, ihre Politik war im Grunde dieselbe: sie basierte auf dem Glauben, dass ihr Los erträglich ist und sich auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft bessern kann. Das Drum und Dran der Durchhaltepolitik im Kriege bildete die Überzeugung, dass der Sieg des Feindes die Lebenslage des Proletariats verschlechtern werde, der Sieg des „Vaterlandes“ aber sie sehr werde heben können Noch heute weisen die Sozialdemokraten auf die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der Niederlage hin und fragen: waren wir nicht im Recht? Die armen Schächer vergessen, dass sie gleichzeitig (siehe die Broschüre von Parvus) den Proletariern der Ententeländer zu beweisen suchen — und dies mit Recht — dass Deutschland allein nicht imstande ist, die Kosten der „Entschädigungen“ zu tragen, dass sie dem Proletariat der siegreichen Länder ebenso wie dem deutschen Proletariat aufgebürdet werden und dass die Versklavung des deutschen Proletariats auch das Ententeproletariat versklaven muss, dadurch, dass sie ihm die Konkurrenz der billigen deutschen Arbeit auf den Hals hetzt. Also nicht die Niederlage verelendet das deutsche Proletariat, und nicht der Sieg rettet das Ententeproletariat vor der wirtschaftlichen Versklavung, sondern die wirtschaftlichen Folgen des Krieges sind für das Proletariat aller Länder zermalmend. Der Krieg hat so viele Werte vernichtet, dass das Kapital die Welt nicht aufbauen kann, ohne der Mehrheit der Bevölkerung, d. h. dem Proletariat, überall die größten Lasten aufzubürden. Die Proletarier, die da wähnten, dass sie mehr als ihre Ketten im Kriege verteidigten, sie müssen sich jetzt in neue Ketten fesseln lassen. In der ganzen Welt verschlechtert sich die Lage des Proletariats unter dem Einfluss der Kriegsfolgen; die Teuerung, die Konkurrenz der Frauenarbeit, die Notwendigkeit immenser Erhöhung der Steuern, alles das sind Faktoren, die eine Ausgleichung der Lage des Proletariats nach unten, zum Niveau des Arbeitstieres, herbeizuführen suchen. Wir sind erst am Anfange dieses Prozesses, der mit seinem Fortschritt allmählich die Quellen der Spaltung des Proletariats verschütten und die Einigung des Proletariats vorbereiten wird. In den Ländern, die im Weltkrieg die Niederlage erlitten haben, denen die Sieger die Kosten des Krieges aufzuladen suchen, zeigen sich natürlich die ruinierenden Folgen des Weltkrieges am krassesten. Zwar haben die Arbeiter dank des Zusammenbruchs des alten Machtapparats, der die Niederlage begleitete. sogar vorübergehend vermocht, ihre Lage zu bessern, aber mit dem Wiederaufbau dieses Apparats beginnt die entgegengesetzte Bewegung der Bourgeoisie, und gleichzeitig zeigen sich die allgemeinen Folgen: der wirtschaftliche Ruin der Welt.

Das Gefühl der Sicherheit ihrer Lage war es, das die Arbeiteraristokratie an den Kapitalismus band, obwohl die gehobenen Arbeiterschichten wahrlich nur Abfälle vom Tische des Herrn bekommen. Dieses Gefühl macht jetzt einem Gefühl der vollen Unsicherheit Platz. Alle Klassen der Gesellschaft fühlen, dass sie sich auf einer Rutschbahn befinden, alle ergreift eine tiefe Unruhe. Ihr entspringt die Bewegung der Kopfarbeiter, die zum ersten Male in der Geschichte Deutschlands von revolutionären Strömungen ergriffen werden, ihr entspringt die Radikalisierung der bisher reformistisch gesinnten Schichten der Arbeiterklasse, ihr entspringt das Auftauchen der Teile des Proletariats, die bisher an die Möglichkeit des Kampfes gegen den Kapitalismus zu denken nicht wagten. Da der Kapitalismus in der Auflösungsperiode, in der er sich jetzt befindet, alle Schichten des Proletariats bedroht, wirkt er als alleiniger Faktor in seinen Reihen. Diese die Spaltung des Proletariats aufhebende Tendenz der Wirtschaftsentwicklung sucht die Bourgeoisie abzuschwächen dadurch, dass sie die alte Politik des „Herrsche und teile“ aufrecht zu halten sucht, womit sie aber nicht viel Glück haben kann, weil die Massen zu groß sind, die sie kaufen, die Zugeständnisse zu groß, die sie machen müsste. Für kurze Zeit kann man natürlich die Eisenbahner oder Bergarbeiter mit Speck, andere Schichten mit künstlicher Verbilligung von Lebensmitteln beruhigen. Aber morgen muss man ihnen doch die Rechnung dafür vorlegen. Gewichtiger ist der Einfluss der Sozialdemokratie, die jetzt das wichtigste Instrument der Spaltung des Proletariats im Interesse der Bourgeoisie ist.

Die Sozialdemokratie ist es, die, mit der Autorität einer Arbeiterpartei ausgerüstet, über eine machtvolle Presse verfügend, den Arbeitermassen den Unglauben an die eigene Kraft, den Schrecken vor der Revolution und den Glauben an die rettende Kraft der kapitalistischen Ordnung einflößt. Sie stellt sich vor die kapitalistische Ordnung in jedem Krisenmoment, sie sucht die Massen durch Konzessionen zu täuschen. Misslingt das, treten auch ihre Anhänger in den Kampf, so wartet sie die ersten Schwierigkeiten im Kampfe ab, um Verwirrung zu schaffen und die Schwankenden in ihrem Glauben an den Sieg zu erschüttern. Kann sie der Revolution nicht den Weg verlegen, so ist sie der schleichende Verrat in ihren Reihen. Seitdem die Sozialdemokratie in den Monaten November bis Januar dem Kapitalismus das Leben gerettet hat und in den nächstfolgenden Monaten unverhüllt, offen als die Schutztruppe des Kapitalismus wirkte, seitdem das Sinnbild der Sozialdemokratie der Proletarierschlächter Noske ist, verliert sie mit jedem Tag mehr ihres Einflusses auf die Massen. Es wäre aber irrtümlich, anzunehmen, dass ihre vollkommene und endgültige Auflösung zu erwarten ist. Solange sie in der Regierung sitzt und über einen mächtigen Apparat verfügt, wird sie immer eine organisatorische Kraft darstellen. Ihre Kostgänger mit ihrer Klientel werden sich aus Beamten, die zu ihr als Regierungspartei halten, aus den älteren Arbeiterjahrgängen, aus den Mammuten der reformistischen Epoche genug Anhänger werben, um den Schein eines Parteiorganismus aufrecht erhalten zu können. Beiseite geschoben durch die sich radikalisierenden Massen, wird sie wieder auftauchen, wenn nach dem Siege des Proletariats die unvermeidlichen Hindernisse sich einstellen, wenn es gelten wird, sich durchzusetzen gegen eine Welt von Schwierigkeiten. Da wird die Sozialdemokratie der gefährlichste Feind sein.

Die Gefahr der Sozialdemokratie als Spaltungsfaktor in der jetzigen Periode der Sammlung der Kräfte wie nach dem Siege ist um so höher einzuschätzen, als wir nicht eine, sondern zwei Auflagen der Sozialdemokratie besitzen, neben der Regierungssozialdemokratie die Sozialdemokratie in Opposition, die Unabhängige Sozialdemokratie, die sich bisher jedoch in allen entscheidenden Momenten in der Person ihrer Führer einig mit ihrem Gegenpol erwies.

Wir zweifeln keinen Augenblick an dem guten Glauben, in dem die Führer der Unabhängigen Sozialdemokratie als die besten und klügsten Revolutionäre auftreten. Aber wir sind auch überzeugt, dass die Mehrheit der Führer der Sozialdemokratie überzeugt ist, der Sache der Arbeiterklasse zu dienen. Wir halten es sogar für wahrscheinlich, dass Noske vor jedem Kreuzzug gegen eine Arbeiterstadt über die traurige Pflicht, im Arbeiterblute zu waten, seufzt und er sich vielleicht sagt, dass auch ein Arzt Blut vergießen muss, um einen Kranken zu retten. Wenn es bei der moralischen Beurteilung eines Menschen nur auf die Motive ankommt, so sind sie in der Politik ohne jede Bedeutung: in der Politik, die nichts anderes ist als der Versuch der Änderung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen, kommt es nur auf die Tat und ihre Einwirkung auf die Massen an. Wenn wir also von den Menschen Haase u. Co. absehen und uns an die Taten des Teils der deutschen Sozialdemokratie halten, aus dem später die Unabhängige Sozialdemokratie entstand, so haben wir folgende Tatsache vor uns:

1. Vor dem Kriege, in der Zeit, in der es sich darum handelte, die objektive Verschärfung der Klassengegensätze (Teuerung, sozialpolitischer Stillstand, Gefahr des Weltkrieges) ins Bewusstsein der Massen zu bringen, um sie zu Massenaktionen überzuleiten, die, wenn sie auch den Krieg nicht verhüten konnten, doch den Zusammenbruch der Arbeiterklasse verhüten können, bildeten die späteren Unabhängigen Sozialdemokraten das so genannte Zentrum der Partei, das, radikal in Worten, praktisch zusammen mit den Reformisten für ein Bündnis mit der Bourgeoisie in Deutschland (Wahlabkommen 1912), ein Zusammengehen mit den Liberalen in ganzen kapitalistischen Welt zwecks Eindämmung der Kriegsgefahr, gegen die Massenstreiks auftrat.

2. Als der Krieg ausbrach, war ein Teil der sozialdemokratischen Zentrumsführer gegen die Annahme der Kriegskredite (Haase, Ledebour), ein Teil war dafür (Dittmann); aber die einen wie die anderen bekundeten ihren Standpunkt nur in der Fraktion, nicht öffentlich; die einen wie die anderen suchten die Massen über die Tiefe der Gegensätze hinwegzutäuschen und bekämpften mit voller Gewalt die Bestrebungen der Spaltung; als sie durch die wachsende Opposition der Massen zur parlamentarischen Opposition gegen den Krieg genötigt waren, hüteten sie sich, die Massen zum Kampfe aufzurufen, worauf es natürlich im Weltkriege, der sich auf Massen stützte, in erster Linie ankam; und als die Massen, getrieben durch die Not, selbständig in Bewegung traten, hielten sie die Unabhängigen auf dem Niveau des Kampfes um Teilforderungen und nährten sie mit Illusionen über die freundlichen Absichten des ausländischen Kapitals.

3. Als die Revolution ausbrach, vereinigten sie sich mit den Abhängigen unter der Losung der Demokratie und der Wilsonfahne, d. h. sie lieferten das Proletariat der deutschen Bourgeoisie aus und trennten es vom russischen, wodurch sie es an das Ententekapital verkauften

4. Als sie, durch wachsende Opposition ihrer Anhänger genötigt, aus der Regierung austraten, hemmten sie den Kampf der erwachenden Volksmassen durch die Losung der Verankerung der Räte in der Verfassung, d. h. des Kompromiss mit der Konterrevolution, sie erleichterten der deutschen Bourgeoisie die Unterwerfung unter die ausländische; gleichzeitig arbeiteten sie für die internationale Aussöhnung der Bourgeoisie der ganzen Welt dadurch, dass sie zusammen mit den offenen Agenten des deutschen Kapitals den Wels und Müller, auf eine Aussöhnung der Sozialpatrioten aller Länder und auf die Revision des Versailler Friedens hinarbeiteten

Diese kurze Übersicht der Geschichte der Unabhängigen Sozialdemokratie zeigt zwei Tatsachen: Die Mehrheit ihrer Führer gelangt in allen entscheidenden Momenten zu derselben Tatpolitik wie die Mehrheitssozialdemokratie; genötigt durch die eigenen enttäuschten Anhänger, sich von der Mehrheit zu trennen, bereitet sie durch Kompromisslosungen, durch Verwirrung der Massen, einen neuen Kompromiss mit den Abhängigen, wenn diese sich unter dem Druck der Verhältnisse auch nach links drehen. Während die Mehrheit der Führer der Unabhängigen Blut vom Blute, Fleisch vom Fleische der Sozialdemokratie ist und mit den Führern der Abhängigen durch das Misstrauen in die Kräfte der Revolution vereint wird, bilden die Massen, auf die sich die Unabhängigen stützen, die der kommunistischen Vorhut ziemlich schnell folgende breite Masse der Revolutionskämpfer. Diese Mittelphalanx hat in letzter Zeit eigene Führer herauskristallisiert: Ledebour, Däumig, Müller, Kurt Geyer, Koenen, kurz und gut, die linken Unabhängigen. Sie sind dem rechten Flügel der Partei gegenüber, den Haase, Dittmann usw. sehr unselbständig. Nachdem sie in den letzten Kriegsjahren unter Führung Ledebours und Däumigs entgegen dem Willen der Parteileitung an der Revolutionierung der Massen tüchtig gearbeitet haben, überließen sie beim Ausbruch der Revolution die Führung dem rechten Flügel, ließen, ohne die Partei zu spalten, den Eintritt des rechten Flügels in die Regierung zusammen mit den Abhängigen zu. Bei der Entscheidung über die Frage: Räte oder Nationalversammlung? erlaubten sie den Haase, zusammen mit den Abhängigen, das deutsche Proletariat der Bourgeoisie auszuliefern. Sie lehnten es ab, sich auf diese Wahlliste mit den Führern des rechten Flügels setzen zu lassen, aber verließen nicht zusammen mit den Kommunisten die USPD. Und nachdem sie durch die Ablehnung des gemeinsamen Auftretens im Wahlkampfe mit Haase und Co. dem rechten Flügel das schärfste Misstrauen aussprachen, tritt Däumig zugunsten desselben Haase auf dem Parteitag bei den Wahlen in den Parteivorstand zurück, d. h. er liefert Haase die Leitung der Partei aus. Wie sehr sie geistig unselbständig sind, das bewiesen die linken USP ebenso durch die putschistisch-blanquistischen Tendenzen im Januar, wie durch die proudhonistischen Tendenzen im Sommer. Nachdem sie Ende Dezember als Bedingung der Einigung mit dem Spartakusbunde die Absage an den Putschismus stellten, war es Ledebour, der nach seinem mutigen Bekenntnis vor den Richtern in den Januarunruhen die Eroberung der politischen Macht als Ziel der Bewegung aufstellte. Däumig sah darin mit Recht Putschismus, da die Massen im Reiche sich erst in Bewegung setzten. Aber Däumigs und Müllers Antiputschismus entpuppte sich bald als Proudhonismus. Seine sehr verdienstvolle Arbeit der Zusammenfassung der Berliner Arbeiter in den Räten artete aus in dem Glauben an die Möglichkeit des ruhigen Ausbaus des Rätesystems inmitten der tobenden Konterrevolution, ohne dass dieser Aufbau der Gegenstand revolutionären Kampfes zu werden brauche. Während Däumig und Müller sich in ihre Utopie einspinnen, sind sie genötigt, zur Sicherung ihres Gebäudes, das ohne revolutionären Kampf ein Kartenhaus ist, die trügerische Losung, die von dem Hauptkoch der USP-Kompromissküche Hilferding, zusammengebraute Losung der „Verankerung der Räte in der Verfassung“ anzunehmen. Man lese die dreißig Nummern des „Arbeiterrats“, die Broschüre Müllers: „Was die Arbeiterräte wollen und sollen“, und man hat vor sich auf einer höheren Stufe des Jahres 1919 die Politik der Proudhonisten aus dem Jahre 1848, die Arbeit des Palais Luxemburg. Am krassesten tritt das Kleinbürgerliche dieser Führer hervor, wenn man Müllers Jeremiaden über den drohenden Ruin des Volkes, über die „Notwendigkeit der Arbeit“ liest. Man sieht direkt bei der Lektüre dieser Reden den Arbeiter, der beim Anblick der ungeheuren Schwierigkeiten, die seiner Befreiung sich entgegentürmen zurückschreckt und zu wanken beginnt; aber er kann nicht zurück, denn das Elend, das seiner unter dem Joche des Kapitalismus wartet, ist noch größer, er muss vorwärts.

Und darauf, dass die Arbeiter, die hinter den Unabhängigen stehen, vorwärts müssen und dass Sie vorwärts gehen, muss unsere revolutionäre Sammlungspolitik sich gründen. Wie wir uns mit der Mehrheitssozialdemokratie nicht vereinigen können, so können wir uns auch mit der Unabhängigen Sozialdemokratie nicht vereinigen. Der treue Crispien der unlängst erklärt hat, die Kommunisten würden jetzt aus der USPD nicht austreten, wenn sie im Dezember 1918 nicht voreilig gehandelt hätten, versteht ebenso wenig die Rolle der Kommunistischen Partei in der Revolution, wie er seine eigene Rolle als Feigenblatt Haases, des Feigenblatts Scheidemanns, des Feigenblatts der Bourgeoisie, versteht. Die Kommunistische Partei vertritt den von der Bourgeoisie vollkommen abgetrennten Teil des Proletariats. Die Kaders der Kommunistischen Partei, die Linksradikalen haben vor dem Kriege und während des Krieges dem deutschen Proletariat geistig die Bahn zur sozialen Revolution geebnet. Sie sammelten in der Novemberrevolution, inmitten des Rausches der Volksmassen und des Verrats aller sozialdemokratischen Führer von Scheidemann bis zum „revolutionären“ USP-Mann Barth den ersten Sturmtrupp der sozialen Revolution. Sie trennten sich von der USP in demselben Moment, in dem die USP von der Mehrheitspartei trennte, im vollen Bewusstsein, dass die die Massen irreführende Politik der USP jetzt erst recht beginnt. Die Aufgabe der Kommunistischen Partei bestand eben dann, einen unverrückbaren Pol der proletarischen, revolutionären Politik zu bilden. Die Kommunistische Partei kann irren in einzelnen Losungen und Entscheidungen, sie kann in gewissen Momenten den Weg zu kurz visieren, aber eins ist bei ihrer Zusammensetzung, ihrer Grundrichtung sicher: sie stellt die historische Initiative des deutschen Proletariats dar, das immer weiter auf dem Wege zum Endziel treibende Element. Die USP als Ganzes setzt sich zusammen aus Führern, die dank ihrer wankenden und zaudernden Natur immer der Konterrevolution dienen werden und aus Arbeitermassen, die in ihrem dunklen Triebe sich den Weg zur Revolution suchen und ihn finden. Mit der USP als Ganzes kann es, solange an ihrer Spitze die Haase und Dittmann und Hilferding stehen, keine Einigung und nicht einmal ein Bündnis geben. Die USP hat, nachdem sie den Scheidemännern geholfen hat, mit der Losung der Nationalversammlung bei den Massen durchzudringen, das Proletariat der Bourgeoisie auszuliefern, die Räte als Organ der proletarischen Diktatur anerkannt, aber einstweilen ihre „Verankerung“ in der Verfassung als Kampfesorganisationen verlangt, d. h., die Diktatur des Proletariats für absehbare Zeit als unaktuell erklärt (man schafft doch Verfassungen nicht für ein oder zwei Jahre). Nach den Erfahrungen, die die Arbeitermassen mit der ebertinischen Verfassung gemacht haben, nachdem Herr Noske in ihren Leibern Bajonette „verankert“, wird der nächste Parteitag der Unabhängigen wahrscheinlich den „Ankerpassus“ aus dem Aktionsprogramm der Unabhängigen streichen und sich für eine reine Rätediktatur entscheiden. Aber wie in der Ouvertüre der Oper das geübte Ohr das Leitmotiv vernimmt, so hörte man das Leitmotiv auf der jüngsten Reichskonferenz der USP aus dem Munde Rudolf Hilferdings, dieses früheren Hauptmentors Eberts und Scheidemanns und jetzt Haases. Herr Hilferding erklärte, man solle sich von Moskau den Terrorismus nicht aufdrängen lassen. Die Diktatur des Proletariats ohne die Bereitwilligkeit, sie mit Klauen und Zähnen zu verteidigen, das wird die Losung sein. Praktisch bedeutet das, was man in München und Budapest erlebte.

In München haben die Unabhängigen die Räterepublik proklamiert, entgegen den Warnungen der Kommunisten. Bei der ersten Gefahr, von der sie bedroht war, legten sie sich auf das Verhandeln und suchten jeden Kampf unmöglich zu machen. Aber als es galt, das Proletariat zusammenzuhalten, die konterrevolutionären Machenschaften niederzuhalten, da verging den lyrischen Jünglingen Lust an der Sache, die sie sich schöner, moralischer vorstellten.

In Budapest waren es die Unabhängigen Sozialdemokraten, die Weltner, Varga, die sich an die Kommunisten mit der Aufrufung zur gemeinsamen Proklamierung der Räterepublik wandten, als sie nicht mehr imstande waren, Herr der Situation zu werden, die sich unter ihrer und des Bürgertums Herrschaft gebildet hatte. Ja, sie schlugen sogar den Kommunisten, deren Führer sie vorher ins Gefängnis geworfen hatten, vor, die beiden Parteien einigen. Unsere Genossen glaubten, angesichts der vollen Annahme des Kommunistischen Programms durch die ungarischen Unabhängigen, ihren Vorschlag nicht ablehnen zu können. Sie bildeten gemeinsam mit den Unabhängigen nicht nur die Räteregierung, sondern sie einigten auch beide Parteien. Während die Proklamierung der Räterepublik angesichts des vollkommenen Versagens der bürgerlich-sozialdemokratischen Regierung und des unverminderten Drängens der Arbeiterklasse nicht zu umgehen war (wir halten dies aufrecht entgegen einer anderen Auffassung, die z. B. in der Hanauer „Freiheit“ zum Ausdruck kam), wenn die Kommunistische Partei die Arbeiterklasse nicht im Stiche lassen wollte bei verzweifelten Versuch, dem Joch der Entente zu entgehen, so erwies sich das Eingehen auf den Vorschlag der Einigung der beiden Parteien als ein verhängnisvoller Irrtum. Wenn es eine Hoffnung gab, gegen die anstürmenden Schwierigkeiten sich durchzusetzen, so lag sie nur in einer rücksichtslos energischen Politik. Da es klar war, dass die Unabhängigen in 24 Stunden keine Kommunisten werden würden, selbst wenn sie drei kommunistische Programme Unterschreiben und beschwören, so musste die Kommunistische Partei trotz Teilnahme an der gemeinsamen Regierung ihre besondere Parteiorganisation behalten, um bei jedem Schwanken der unabhängigen Verbündeten ihnen vermittels eines dicken Knüppels das Rückgrat zu „stärken“. Als die Kommunistische Partei sich infolge der Annahme des kommunistischen Programms durch die unabhängige Partei zur Vereinigung verleiten ließ, verzichtete sie auf das einzige Mittel, das ihr gegen die Sabotage der proletarischen Diktatur durch die unabhängigen Zickzackleute zur Verfügung stand: eine gemeinsame Partei bildend, konnten die Kommunisten den Druck der Massen auf die Unabhängigen nicht stärken. So bekamen die Kunfi und Weltner die Möglichkeit, die Arbeit der Diktatur-Regierung zu sabotieren. Jetzt, nach dem durch sie mit herbeiführten Sturz dieser Regierung, der erfolgte, weil die Minierarbeit der Gewerkschaftsführer und der unabhängigen Parteiführer die Massen wankend machte, lassen die Herren Unabhängigen ihre Unschuld durch die Mehrheitler — wie Garami — prüfen und attestieren und kehren nach dreimonatlichem Manövrieren unter kommunistischer Flagge in das alleinseligmachende Lager der Sozialdemokratie zurück, sind bereit, an der konterrevolutionären Regierung teilzunehmen, wenn nur der Habsburger von ihrer Spitze verschwindet. Wenn die deutschen Proletarier wissen wollen, was die Diktatur ohne „Terrorismus“ bedeutet, so sollen sie die Geschichte der Münchener und Budapester Ereignisse studieren. Diese Ereignisse sagen uns: Solange an der Spitze der USP Leute wie Haase, Dittmann und Hilferding stehen und das Vertrauen der USP-Massen besitzen, solange werden sie im entscheidenden Momente diese Massen verwirren können, selbst wenn sie jeden Buchstaben der Moskauer Richtlinien beschwören. Solange die USP-Leute diese ihre Führer nicht durchschaut und nicht entfernt haben, ist nicht nur keine Einigung mit der USP möglich, sondern sogar nicht einmal ein allgemeines Bündnis zu einem allgemeinen Zweck. Der USP als Ganzem gegenüber gilt als allgemeine Aufgabe die rücksichtsloseste Kritik, die Demaskierung aller ihrer Zweideutigkeiten, die Denunzierung aller ihrer Verrätereien.

Aber damit ist unsere Aufgabe der USP gegenüber nicht erschöpft. Die Arbeitermassen, auf die sie sich stützt, haben in den großen Zentren in den ersten Revolutionsmonaten sogar den Kampf gegen die eigene Parteileitung geführt. Eines der charakteristischsten Momente der November-Dezemberperiode war, dass der Spartakusbund, der unter dem Belagerungszustand der Kriegszeit keine eigenen Massenorganisationen besitzen konnte, den Kampf gegen die Ebert-Haase-Regierung geführt hat gestützt auf die Revolutionären Obleute, eine Organisation, die zu neun Zehntel aus USP-Leuten bestand. In der darauf folgenden Zeit haben die Massen, die dank dem Monopol der Legalität, die die USP besitzt, zu ihr rechnen, tapfer an allen Kämpfen teilgenommen. Diese Massen haben mit der USP noch nicht gebrochen. Sie nehmen ihre revolutionären Phrasen ernst, durchschauen ihr Wesen noch nicht, desto mehr, als die in den Massen arbeitenden Unabhängigen, die Ledebour, Däumig, Müller, Braß in der Zeit vor der Revolution und in ihr ehrlich bemüht sind, die Revolution weiter zu treiben, sie zu einer proletarisch-sozialistischen zu machen. Es gilt, Bei jeder Massenaktion in erster Linie an eine Verständigung mit den unabhängigen Arbeitermassen zu denken. Dabei sind die linken unabhängigen Führer nicht zu umgehen. Es muss systematisch jede von uns in organisierter Weise vorzubereitende Aktion mit den Führern der USP besprochen werden, auf ihre Einwände, Änderungsvorschläge, inwieweit sie mit dem Charakter der Aktion vereinbar sind, ist einzugehen, um die revolutionären Massen zu sammeln. Widersetzen sich die linken unabhängigen Führer der Aktion, weil nicht wagen, mit der Rechten ihrer Partei zu brechen, oder weil sie vor dem Kampfe zurückschrecken, so sind sie vor dem Forum der Arbeiter in den Betrieben aufs schärfste zu bekämpfen, dann muss an die hinter ihnen stehende Masse appelliert werden. Die linken unabhängigen Führer müssen durch Taten die Antwort darauf geben, ob ihnen mehr an der Einheit mit den revolutionären Massen mit den zehnmal bankrotten Führern des rechten unabhängigen Flügels zu tun ist. Ein solcher Kampf lässt sich nicht führen, indem man die linken Unabhängigen von oben herunterreißt als „Gaukler“ und wie sonst die Liebenswürdigkeiten des Parteikampfes heißen. Eine solche Kampfesweise ist unberechtigt und deshalb stößt sie nur die Massen ab, die viele linke Unabhängige als ehrliche Mitkämpfer kennt und hochschätzt. Es gilt, alle Unzulänglichkeiten und Doppelstimmigkeiten ihres Standpunktes zu kritisieren, es gilt, vielen von ihnen, die den Typus des sich empirisch, allmählich zum Kommunismus durcharbeitenden Sozialdemokraten darstellen, durch diese Kritik zur Selbstverständigung zu helfen.

Ähnlich ist unsere Aufgabe den syndikalistischen Elementen gegenüber. Sie stellen zahlengemäß keine große Macht dar. Aber sie enthalten sehr viele außerordentlich wertvolle Elemente, die treu zur Sache der proletarischen Revolution halten. Unsere Partei war vollkommen im Rechten, als sie diesen Elementen, inwieweit sie auf dem „antistaatlichen“ Boden standen, d. h. die Notwendigkeit der proletarischen Diktatur negierten, als Ziel der Revolution

ihre Auflösung in lokal-gewerkschaftliche Experimente stellten, den Eintritt in die Partei verwehrte. Die Kommunistische Partei kann kein Tummelplatz der prinzipiell verschiedenen Elemente sein. Aber sie hat die Aufgabe, durch sachlichen Kampf gegen den Syndikalismus, indem seine Lehren an dem Maßstab der Erfahrungen der russischen und deutschen Revolution ernster Kritik zu unterwerfen sind, zu versuchen, die gesunden proletarischen Elemente des Syndikalismus heranzuziehen In allen Momenten, wo eine organisatorische Zusammenfassung der proletarischen Elemente zum Kampfe von unserer Partei versucht wird, dürfen die syndikalistischen Organisationen nicht umgangen werden.

Diese Politik der Sammlung der proletarischen Kräfte hat nichts zu tun mit der Einigkeitsduselei, die durch Vertuschung der Gegensätze eine fiktive Einigkeit zu bilden sucht. Sie basiert auf schärfer Hervorhebung der prinzipiellen und taktischen Auflassungen des Kommunismus. Sie wirbt aber auch für sie nicht in heldenhafter Absonderung von den Teilen des Proletariats, die, ohne sich zum Kommunismus zu bekennen, schon an dem revolutionären Kampfe des Proletariats teilnehmen. Die Erfahrungen dieses gemeinsam geführten Kampfes werden die besten Werber für die Ideen des Kommunismus sein. Aber Früchte kann diese Politik der Sammlung nur dann bringen, wenn sie ausharrend, zäh ist, sich durch keine Misserfolge abschrecken lässt, sondern umgekehrt, durch jeden Misserfolg sich zur Verdoppelung der Anstrengungen auf dem Gebiete der Organisation, Propaganda und Aktion anspornen lässt.

VII. Unsere internationalen Pflichten

Die Kommunistische Internationale, deren Glied die Kommunistische Partei Deutschlands ist, unterscheidet sich von der II. Internationale (schon gar nicht von ihrem Leichnam zu sprechen) nicht nur durch ihr sozialrevolutionäres Programm, im Gegensatz zu dem reformistischen. Sie unterscheidet sich von ihr auch dadurch, dass sie die Internationale der proletarischen Tat, nicht die der Worte ist. Mitglied der Kommunistischen Internationale können nur Parteien sein, die jeden Kompromiss mit der Bourgeoisie und ihren sozialdemokratischen Lakaien ablehnen und mit den Mitteln, die die von ihrem Lande erreichte Stufe der Entwicklung zulässt, die Massen für die Aufgaben der sich allmählich in allen kapitalistischen Ländern in Bewegung setzende Weltrevolution vorbereiten. Ob sie sich dabei noch der Parlamentsmittel bedienen müssen (wie es zweifelsohne nicht nur in den neutralen, sondern auch Ententeländern der Fall ist), ob sie dieses Mittel ablehnen, wo die Arbeiterklasse die Macht schon erobert hat oder direkt vor dem Endkampf sich befindet, das sind alles Situationsunterschiede: Ausschlaggebend ist, ob die Parteien jeden sozialen und politischen Massenkampf zu vertiefen und verallgemeinern, die soziale Krise des Kapitalismus zu verschärfen suchen und mit aller Kraft die Arbeitermassen auf die bevorstehenden Kämpfe geistig vorbereiten, indem sie ihnen als Ziel der Epoche, in der wir leben, die Eroberung der politischen Macht, ihre Konstituierung als Diktatur der Arbeiterklasse in der Form der Räte zwecks Durchführung des Sozialismus zum Bewusstsein bringen. Tun sie das mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften, so arbeiten sie für den Tag, an dem die Grenzen verschwinden, an dem sich die Zentralräte der Arbeiterklasse aller Hauptstädte der Welt die Hände reichen, an dem die Stelle der Kommunistischen Internationale der Proletarier aller Länder die internationale föderative sozialistische Räterepublik einnehmen wird, an die Stelle der um die politische Gewalt in allen Ländern ringenden Proletarierparteien der Bund proletarischer Staaten tritt.

Noch sind wir fern von diesem Ziele. Ein gutes Menschenalter wird der Kampf noch dauern. Ströme von Schweiß, Tränen und Blut werden ins Meer noch fließen, bevor der Sieg in internationalem Maßstabe unser sein wird. Dieser Kampf wird glänzende Siege, denen die Herzen des Proletariats der ganzen Welt entgegenschlagen werden und Niederlagen zeitigen, in denen der weiße Terror tausende und abertausende Proletarier dahinmorden wird, ohne dass immer die kommunistischen Proletarier anderer Länder sofort den bedrängten Brüdern zu Hilfe zu eilen imstande sein werden. Nicht alle Aufgaben heißt es heute ins Auge zu fassen, die im Laufe der Zeit uns erwachsen können, obwohl es z. B. klar ist, dass der Sieg der proletarischen Revolution in Deutschland mechanisch ihren Zusammenschluss mit der russischen Sowjetrepublik herbeiführen muss. Es gilt, sich nicht an den großen Aufgaben der Zukunft zu berauschen, sondern die Aufgaben zu erfüllen. die heute erfüllbar sind.

Schon heute kann die Kommunistische Partei Deutschlands zehnmal intensiver, als sie es bisher tat, die deutsche Arbeiterklasse zum Kampfe gegen jede Hilfe, die die deutsche Regierung der russischen Konterrevolution leistet, führen. Als Haynau, der Henker des revolutionären Italiens in London erschien, hat er die Meinung der Londoner Proletarier über seine Heldentaten zu fühlen bekommen. In Berlin schlagen russische Zarengeneräle und ihre deutschen Lakaien in Offiziersuniform Werberzelte für die russische Konterrevolution auf, erscheint der Pryziw, die Tageszeitung der russischen Zaristen (für die kommunistischen deutschen Zeitungen fehlt es an Papier). Deutsche Eisenbahner befördern Munition für deutsche und russische konterrevolutionäre Truppen ins Baltikum, aus Hamburg stechen Schiffe ins Meer mit Mannschaften für Denikin, ohne auf tätigen Widerstand der deutschen Proletarier zu stoßen. Die russische Sowjetregierung hilft den deutschen Kriegsgefangenen, die sie jetzt in Sibirien von der Sklaverei bei Koltschak befreit, ins Vaterland zurückzukehren, während die russischen Kriegsgefangenen in Deutschland wie Sklaven behandelt und an die russische Konterrevolution verschachert werden. Warum organisieren die kommunistischen Ortsgruppen nicht Demonstrationen der Frauen der Kriegsgefangenen (mit Hilfe der gesamten Arbeiterschaft) unter der Losung der Wiederaufnahme der Beziehungen zu Sowjetrussland, das der Hilfe deutscher Techniker bedarf, um die Eisenbahnen in Stand zu setzen, auf denen die Zehntausende Kriegsgefangener zu befördern sind. Die russische Sowjetregierung bietet den deutschen gelernten Arbeitern und Technikern, die arbeitslos hier Angehörige der Nosketruppen sind, Arbeit an. Es gilt, durch die Hilfe bei der Wiederherstellung der russischen Volkswirtschaft .nicht nur dem russischen Proletariat in seinem heroischen Kampfe zu helfen, sondern durch diese Arbeit ein Reservoir von Rohstoffen für das zukünftige sozialistische Deutschland zu schaffen, das vielleicht von der Entente blockiert wird. Wo sind die Demonstrationen, die unter der Losung: Arbeit für die Arbeitslosen! die Wiederaufnahme der Beziehungen zum proletarischen Russland stürmisch fordern. Nicht in Zeitungsartikeln, in lebendiger Aktion muss sich unsere internationale Solidarität mit dem proletarischen Russland äußern. Auf der Reichskonferenz der Unabhängigen erklärte ihr „führender“ (in den Sumpf) Theoretiker, Herr Rudolf Hilferding, man solle mit dem Anschluss an die Kommunistische Internationale doch warten; sie sei mit Moskau identisch; da gelte es, abzuwarten, bis es sich zeigt, ob man sich nicht mit einem sinkenden Schiff verbinde. Und die Unabhängige Sozialdemokratie wartet ab, inzwischen nimmt sie teil an der Galvanisierung des Leichnams der II. Internationale. Siegt der Kommunismus, dann wird sie ihn „anerkennen“. Mit dieser verächtlichen Politik der Revolutionsspekulation haben die kommunistischen Arbeiter nichts gemein; sie ist für sie ein Beweis, dass die USP ein Parasit; nicht ein Vorkämpfer der Weltrevolution ist. Für die kommunistischen Proletarier Deutschlands ist die Kommunistische Internationale nicht Moskau. Die Kommunistische Internationale ist der überall auf den Trümmern des Krieges aufblühende revolutionäre Kampf, dessen Vorkämpfer die russischen Proletarier sind, aber dessen Mitkämpfer aus eigenem Muss die deutschen Proletarier sein wollen. Und dem Kampfe des Moskauer Proletariats wollen wir nicht untätig zuschauen, es gilt, diesen heldenhaften Kampf mitzukämpfen im Bewusstsein, dass die Niederlage Sowjetrusslands, wie vorübergehend sie auch wäre, eine Niederlage des deutschen Proletariats wäre.

Im Westen beginnt erst der Prozess der Revolutionierung der Arbeitermassen. Die Mehrheitssozialdemokratie schilt sie, dass sie der „deutschen Revolution“ in den Versailler Tagen nicht geholfen haben: derselben „deutschen Revolution“, die dem Ententekapital zehnmal das Bündnis angeboten hat gegen die russische Revolution, derselben „deutschen Revolution“, die die Arbeiter entwaffnet und weiße Garden auf sie loslässt. Die Unabhängigen rutschen dagegen auf dem Bauche vor den Vertretern des westeuropäischen Proletariats. Sogar der Lakai Clemenceaus, Renaudel und Herr Henderson, der im Auftrage Lloyd Georges nach Petersburg eilte, um die russische Revolution zu ersuchen, den Sieg des Ententekapitals nicht zu beeinträchtigen, selbst in ihnen sehen die Haase & Co. Bundesgenossen, gar nicht von Longuet und Macdonald zu sprechen, den Ebenbildern der Unabhängigen auf französischem und englischem Boden. Wir haben dem deutschen Proletariat die Wahrheit zu sagen: unsere bewussten Kampfesgenossen in den Ententeländern, die Loriot, Monatte, die MacLean und Debs sind noch sehr schwach. Nur in Italien haben wir einen starken, organisierten Bundesgenossen. Und wir helfen den Vorkämpfern der Weltrevolution nicht, indem wir uns an einen Tisch setzen mit den Verrätern des Ententeproletariats oder seinen schwankenden Führern, und wir gewinnen nicht die Hilfe des Ententeproletariats, indem wir es, wo es erst lernt, für die eigenen Interessen anzukämpfen, um Hilfe anbetteln. Helfen kann es nur, wenn es sich selbst vom Joch der eigenen Bourgeoisie befreit, helfen können wir ihm nur, indem wir, die weiter Fortgeschrittenen im Kampfe, ihm durch unseren Kampf den Weg zeigen. Die russische Arbeiterrevolution, die nicht nur ihre sozialpatriotischen, sondern auch ihre unabhängigen Führer tagaus, tagein geißelt, sie hat tiefe Wurzeln in den Herzen des westeuropäischen Proletariats geschlagen; während die Haases trotz aller Anbiederungen einen toten Namen für dieses Proletariat darstellen, zeigen ihm Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht den Weg des proletarischen Martyriums, auf dem Tausende fallen, aber der Sieg erfochten wird.

Alle Wege muss die kommunistische Partei Deutschlands suchen, um dem Proletariat Westeuropas ebenso wie dem russischen Proletariat praktisch die Wege des Kampfes und seine Ziele zu zeigen, wie auch theoretisch zu erklären. Sollte der Kampf um die Macht länger dauern, als das Herz des deutschen Proletariats in seiner Sehnsucht ahnt, sollten die deutschen Proletarier genötigt sein, trotz aller berechtigten Proteste nach Frankreich und Belgien zur Fronarbeit zu wandern, um die vom deutschen Imperialismus zurückgelassenen Ruinen abzuräumen, nun, so wird es die Aufgabe der Kommunistischen Partei Deutschlands sein, durch sie in Wort und Tat die kommunistische Revolution nach Frankreich und Belgien zu tragen und so die Brücke zu schlagen zwischen dem deutschen und französischen Kommunismus, zwischen dem deutschen und französischen Proletariat. Das wird die beste Hilfe sein, die wir ihm beim Wiederaufbau seines Landes leisten können, damit es wirklich sein Vaterland, nicht das Vaterland der Reichen wird.

VIII. Die Kommunistische Partei.

Wir haben hier kurz die wichtigsten nächsten Aufgaben der Partei skizziert:

1. Heranziehung zum Kampfe neuer Schichten, ohne die die proletarische Revolution nicht siegen kann: des landwirtschaftlichen Proletariats und Kleinbauerntums einerseits, der Kopfarbeiter andererseits.

2. Verbreitung der Lehren der Revolution: Rätediktatur als Ziel, zielbewusste Eroberung der Mehrheit des Proletariats für dieses Ziel, kein Putschismus, keine Ablehnung irgendwelcher Mittel, die uns helfen, das Proletariat auszurüsten, weder des Parlaments, noch der Gewerkschaften, die aus dem Organ der Konterrevolution in das der Revolution zu verwandeln sind; als Hauptmittel der Ausbau der politischen und Betriebsräte.

3. Rücksichtsloser Kampf gegen die S. P. D. und USP D., aber Zusammenfassung aller revolutionärer Arbeiterkräfte, auch durch Verhandlungen mit den linken USP und Syndikalisten zu gemeinsamen Aktionen, deren dringendste der Kampf gegen das Regierungs-Betriebsräteknebelgesetz, für revolutionäre Betriebsräte, Organe der Kontrolle der Industrie, ist.

4. Aktive Unterstützung der russischen Sowjetrepublik, Beeinflussung des Ententeproletariats durch das Beispiel, die Tat.

Manchem wird dieses Programm zu arm erscheinen, weil es nicht erklärt, dass wir morgen die Macht erobern müssen. Der Glauben versetzt Berge — aber nur in der Welt des Glaubens: die proletarische Partei muss nicht nur mit dem besten, günstigsten Gang der Dinge, sondern auch mit dem ärgsten rechnen, und sie rüstet für den endgültigen Sieg, wenn sie gerüstet dasteht auch für Zeiten schweren, langsamen Kampfes. Andere werden das Programm für zu mannigfach, zu reich halten für eine junge, erst sich formierende Partei. In der Zeit der Revolution muss die Partei ihre Kräfte zu verzehnfachen wissen, weil die Revolution an sie die höchsten Anforderungen stellt. Wir haben keine willkürlichen Aufgaben ausgedacht, nur die definiert, vor die die Entwicklung die Partei stellt. Sie wird ihnen gewachsen sein müssen.

Sie ist es heute noch nicht. Ein Jahr ist noch nicht vorüber, als sie inmitten der beginnenden Weltrevolution aus den revolutionären Elementen entstand, die die deutsche Sozialdemokratie zurückgelassen hat; dem Spartakusbund und den nordwestdeutschen Linksradikalen. Aus den Kämpfen vor und während des Krieges haben diese Organisationen die gemeinsamen allgemeinen Richtlinien für die Epoche der Revolution mitgebracht, bereichert durch die großen Erfahrungen der russischen Revolution. Als die deutsche Revolution ihre ersten großen Schlachten geschlagen hatte und es galt, aus ihren Erfahrungen die konkreten Lehren für die Taktik in den besonderen, deutschen Verhältnissen zu ziehen, fielen in diesen Kämpfen als ihre Opfer der größte Kopf der deutschen Revolution:

Rosa Luxemburg, der große Agitator: Karl Liebknecht, der eiserne Organisator: Leo Jogiches, starben unter den Erschütterungen dieser Kämpfe, Franz Mehring, der Historiker des deutschen Sozialismus, starb dahin unter den Händen der Noskesöldner, Johann Knief, eine junge, selbstsichere Kraft, deren Arbeit viel für das deutsche Proletariat werden konnte. Andere Führer sitzen in den Gefängnissen oder verstecken sich vor der Mörderhand. Die junge Partei muss sich aber unter dem Belagerungszustand, der jede Aussprache ungeheuer erschwert, inmitten der Revolution, die jeden Tag neue Fragen aufwirft, den Weg bahnen fast ohne Führer. Der russischen Revolution war ein Lenin gegeben, ein säkularer revolutionärer Führer, der den größten Enthusiasmus, Wagemut mit kühlster Berechnung verbindet, der, mit dem ganzen Wissen seiner Zeit ausgerüstet, das junge Proletariat führt. Sie verfügt über einen Agitator von der vulkanischen Kraft Leo Trotzkis, Dutzende glänzender theoretischer und organisatorischer Kräfte. Es ist, als wollte die Geschichte dem russischen Proletariat seine Jugend, den Mangel seiner formalen Bildung ersetzen. Das ältere deutsche Proletariat muss sich selbst durchhelfen. Es geht tastend vor; nur durch Erfahrungen belehrt, streift es seine Fehler ab. Diese Fehler entspringen der Tatsache, dass es noch nicht gelernt hat, das ganze Gebiet des Kampfes ins Auge zu fassen, sondern verschiedene Abteilungen erfasst. Die, die nur die militärische Schwäche der sich erst von den Novemberschlägen erholenden Bourgeoisie sahen, neigten zum blanquistischen Putschismus. Die, die durch diese Lehren abgestoßen, sich auf den Mutterboden der Revolution, in die Fabriken, zurückgezogen haben, sehen den Weg des Aufstieges nur in dem Aufbau der Betriebsräte oder Betriebsorganisationen, sie neigen zum neumodischen Proudhonismus. In der Hoffnung, schnell das Proletariat in den Fragen seiner ökonomischen Leiden zusammenfassen zu können, beginnen sie, die Aufgaben der proletarischen Partei zu unterschätzen. Andere sehen die Kräfte, die auf den Bankrott der Bourgeoisie hinarbeiten und glauben, schon den Sieg nahe und sicher zu haben, wollen auf alte Mittel des Kampfes verzichten, die, als dem Proletariat notwendig, jene anerkennen müssen, die die Schwierigkeiten des Kampfes, die Möglichkeiten der Teilniederlagen nicht aus den Augen verlieren. So ergeben sich aus den Schwierigkeiten der Lage Differenzen, aber sie werden auch durch die Entwicklung überbrückt. Der politische Putschismus ist tot. Der Neu-Proudhonismus wird seine Einseitigkeit abstreifen, sobald es sich zeigt und es wird sich bald zeigen dass die revolutionären Betriebsräte nur im revolutionären Massenkampfe zu bilden sind. Der Hamburger Neo-Syndikalismus amerikanischer Couleur wird sich sehr bald überzeugen, dass man neue Massengebilde des proletarischen Kampfes nicht aus dem Freien bilden kann, sondern dass es gilt, bestehende Organisationen im Kampfe den Bedürfnissen des Kampfes anzupassen. Kommt bald eine starke revolutionäre Welle und siegt sie, so wird sie die parlamentarischen Mittel wegschwemmen und damit den Streit um sie. Kommt sie nicht oder zerschellt sie noch einmal, dann werden auch die revolutionären Proletarier jedes Mittel der Propaganda und Agitation zu Hilfe nehmen.

Es ist uns nicht bange um die junge Kommunistische Partei Deutschlands. Ein Kind der Revolution, wird sie mit der Revolution wachsen und erstarken. Sie wird es desto schneller tun, je ruhiger, gründlicher die reifsten Elemente der Partei die ganze Sachlage, nicht nur einzelne ihrer Seiten, im Zusammenhange durchdenken und die gewonnenen Resultate vor den Arbeitern vertreten. Nicht Sekte unter Sekten soll die Kommunistische Partei sein, sondern die Partei des revolutionären Proletariats, darum muss sie das ganze Gebiet des Kampfes mit ihrem Geiste umfassen, alle Mittel, auch die geringsten zusammenfassen. Nur dann kann sie das deutsche Proletariat unter der kommunistischen Fahne sammeln. Weil die Differenzen, die in der Partei bestehen, alle sich auf dem Boden des Kommunismus abspielen, durch die Entwicklung überbrückt werden, ist es für jeden Teilnehmer des Kampfes möglich, sich den Entscheidungen der Partei zu unterwerfen. Es wird unmöglich sein, diese Entscheidungen immer auf rein demokratischem Boden herbeizuführen, weil der Belagerungszustand, die Illegalität der Partei oft die Wahlen unmöglich macht, oder es Genossen, deren Arbeit und Urteil von der größten Wichtigkeit für die Partei ist, unmöglich macht, sich an den Wahlen zu beteiligen. In der Kerenski-Periode in Russland hat das Zentralkomitee der Partei oft die wichtigsten Entscheidungen getroffen, und es gab zwar auch hier und da Genossen, die über die „Bonzenherrschaft“ zeterten, aber man nahm sie nicht ernst. Und die Partei hielt oft das Urteil eines „Angestellten“, der 500 Rubel monatlich an Arbeitergroschen bezog und seinen Kopf jeden Tag zu Markte trug, für eben so wichtig, wie das eines richtig erwählten Vertreters von ein paar Tausend Proletariern. Jeder verstand, dass, wenn in der friedlichen Periode die „Führer“ eine Gefahr darstellten, die nur durch weitgehendste Demokratie in der Partei gebändigt werden konnte, dies nur deswegen der Fall war, weil es in der friedlichen Epoche leichter und nutzbringender war, die Partei im Parlament zu vertreten, als jetzt im Gefängnis oder gehetzt wie ein wildes Tier. Auch der Appell an die Parteidemokratie wird als Argument verschwinden, sobald in dem schweren Kampfe, den die Partei führt, die Praxis den Genossen die schwierige Kunst der Vereinigung der legalen und illegalen Tätigkeit beibringen wird.

Über alle Differenzen und Kleinigkeiten des Kampfes erhebt jeden Mitkämpfer der Gedanke an die Größe unserer Aufgabe. Nicht nur gilt es, das Schwert des deutschen Proletariers zu schmieden, die Kolonnen des deutschen Proletariats in den Kampf zu führen, ob der Sieg in stürmischem Angriff oder im mühseligen Stellungskampfe gewonnen werden soll. Es gilt, von der russischen Revolution eine Brücke nach dem Westen zu schlagen und die Kommunistische Partei muss die tragfähigen Pfeiler bilden. Sie muss fähig sein, als Vorkämpfer der Weltrevolution den Kampf weiter voran zu tragen, durch Beispiele weit in die Welt zu wirken. indem sie die Erfahrungen des russischen Proletariats in einem sozial mehr fortgeschrittenen Milieu bereichert, seine Gedanken weiterbaut. Und das sollen die kommunistischen Arbeiter Deutschlands selbst tun, selbst erreichen. Wer von ihnen, dieser großen Aufgabe bewusst, wird zaudern, alle Kräfte seines Körpers und Geistes anzustrengen, wer wird über den geringen Differenzen die großen Ziele und Wege, die uns gemeinsam sind, vergessen?

Unsere Feinde mögen über jede unserer Differenzen triumphieren, von Konfusion sprechen. Sie werden sich noch wundern über die Macht, die unsere Partei darstellen wird, über die Klarheit, die sie gebären wird im rastlosen, offenen Kampfe der in Erfahrungen geläuterten Anschauungen.

15. September 1919.

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