Karl Radek 19240100 Die Lehren der deutschen Ereignisse

Karl Radek: Die Lehren der deutschen Ereignisse

(Referat in der Sitzung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale).

Ich will zuerst ein paar Worte über formelle Dinge sagen. Die Delegation des EKKI bestand aus vier Genossen. Sie hat während der ganzen Zeit die Arbeit in absoluter Übereinstimmung geführt. Der Teil meines Referates also, der sich nicht auf die Beurteilung der Vergangenheit bezieht, sondern auf die Darstellung der Arbeit, der Differenzen in Bezug auf die Berliner Organisation basiert auf dem gemeinsamen Bericht, den wir alle eine Woche vor unserer Wegfahrt an das ZK sandten, der uns alle drei also bindet; meine persönliche Auffassung, über die ich mit einem Genossen nicht sprechen konnte, die ich mit den zwei anderen Genossen aber durchgesprochen habe, betrifft also nur die Beurteilung der Gründe des Zusammenbruches und so weiter.

Mein Bericht wird in zwei Teile zerfallen. Der erste Teil soll eine Darstellung der Arbeit der Delegation, der Tatsachen und wichtigsten Dokumente dieser Arbeit bilden. Der zweite Teil des Berichtes bezieht sich schon auf das Zurück und Vorwärts, soll der Versuch sein, die große Niederlage der Partei, ihren Sinn zu verstehen und diesen hier darzustellen, wie Arwid und ich ihn sehen.

Ich beginne mit dem ersten Teil. Die Delegation nahm nicht an der Fassung des entscheidenden Beschlusses der Partei teil, des Beschlusses, der auf der Chemnitzer Konferenz fiel, da sie abwesend war.

Was hat die Delegation vorgefunden? Die Zerschlagung des Kriegsplans, wie er von der Exekutive angenommen worden. Der Aufmarschplan der Partei, wie er hier in den September- und Oktoberberatungen festgestellt wurde, ging von folgendem Grundgedanken aus: das Proletariat marschiert auf in Sachsen. aus der Verteidigung der Arbeiterregierung heraus, in die wir eintreten; und es wird in Sachsen versuchen, die Staatsgewalt auszunutzen, um sich zu bewaffnen, um in diesem engmaschigen proletarischen Bezirk Mitteldeutschlands einen Wall zu bilden zwischen der Südkonterrevolution in Bayern und dem Nordfaschismus. Gleichzeitig wird die Partei im ganzen Reiche eingreifen, die Massen mobilisieren.

Dieser Plan misslang aus folgendem Grunde. Erstens, als unsere Genossen in die Regierung eintraten, waren sie nicht in der Lage, die Bewaffnung des Proletariats durchzuführen. Die Partei hatte in Sachsen, wie wir informiert wurden, 800 Gewehre. In Chemnitz auf der Konferenz zeigte sich der zweite Teil des Plans zerschlagen, nämlich der gemeinsame Aufmarsch der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitermassen. Der Antrag auf Proklamierung des Generalstreiks und des bewaffneten Aufstandes in Chemnitz wurde angesichts des Widerstandes der linken SD gar nicht gestellt. Unsere Partei hat sich zurückgezogen, indem sie diesen Rückzug mit der Formel deckte: Einsetzung eines Aktionskomitees, das beschließen soll, was weiter zu tun ist. Die Zentrale entschied sich, jedem Kampfe auszuweichen, aus der Anschauung heraus, dass die Einheitsfront des Proletariats in diesem Kampfe nicht mehr aufzustellen sei, dass es unmöglich sei, sie aufzustellen, und dass in dieser Situation bei den geteilten Kräften des Proletariats und dem Zustand der technischen Vorbereitung der Aufstand unmöglich sei.

Zu dieser Situation hatte ich Stellung zu nehmen. In dem Gespräch mit den Genossen habe ich die Tatsache gutgeheißen, dass sie, nachdem sie nicht imstande waren, die Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Arbeitern aufzustellen, von dem Plan des Aufstandes in Sachsen abgesehen haben. Ich forderte jedoch zur gleichen Zeit von den Genossen, den Streik zu proklamieren. Ich begründete das damit, dass wir, wenn wir auch noch nicht stark genug sind, um allein als Kommunistische Partei den Aufstand gegen die Faschisten durchzuführen, doch stark genug sind, um uns zu wehren und nicht kampflos die Position zu räumen. Alle dort anwesenden Genossen haben diesen Standpunkt abgelehnt. Sie haben erklärt: Es besteht keine Möglichkeit, in diesen Kampf einzutreten, denn wenn wir den Streik proklamieren, so haben wir den bewaffneten Aufstand. Will man nicht den Aufstand, so muss man auf den Streik verzichten. Am nächsten Tag, als die Zentrale sich in Berlin versammelte, kam die Nachricht über Hamburg. Es fand eine neue Sitzung der Zentrale statt, in der zwei Anträge vorlagen. Der eine — von Genossin Ruth Fischer — ging darauf hinaus, für Donnerstag den Massenstreik in Berlin zu proklamieren, mit dem Ziel, dass er in 2, 3 Tagen in den bewaffneten Aufstand übergehen sollte. Gleichzeitig sollten Kiel und andere Städte in Bewegung gesetzt werden. Der zweite Antrag lautete, darauf zu verzichten. Mein Antrag ging weiter auf dieselbe Sache: Streik ohne bewaffneten Kampf.

(Gen. Fischer: Nein, nein!)

Streik ohne bewaffneten Aufstand. Dieser Antrag wurde wieder von allen Teilen, von Gen. Fischer, von Hans Pfeiffer, von all den Genossen abgelehnt mit derselben Begründung: Streik ist Aufstand. Wollt ihr keinen Aufstand, dann ist der Streik unmöglich.

Nach dieser ersten praktischen Entscheidung begannen an jedem Tage neue Diskussionen. Bei jeder praktischen Frage wieder: Was machen wir weiter? Um einen momentanen Stillstand der Diskussion in der Zentrale. herbeizuführen, schlug die Delegation am 26. der 7er-Kommission folgende Resolution vor:

Die 7er-Kommission beschließt:

1. Die sozialen und politischen Gegensätze spitzen sich mit jedem Tage zusehends zu. Jeder Tag kann große entscheidende Kämpfe der Revolution und Konterrevolution bringen.

2. Die Vorhut der Arbeiterklasse (die Kommunisten und ein Teil der sozialdemokratischen Arbeiter) drängt zur Aufnahme des Kampfes; aber das Gros der Arbeiter ist trotz seiner großen Erbitterung und Not noch nicht bereit zu kämpfen.

3. Darum müssen die Reserven des Proletariats durch eine entschlossene Agitation an die Vorhut herangezogen werden. Die Schichten des Proletariats, die besonders für den Kampf in Betracht kommen (Metallarbeiter, Bergarbeiter, Eisenbahner, landwirtschaftliche Arbeiter und Beamte) müssen durch besondere Arbeit der Partei ergriffen werden. Die technische Vorbereitungsarbeit muss mit aller Kraft betrieben werden. Zur Einigung des Proletariats für den Kampf ist sofort in Verhandlung mit der Sozialdemokratie zentral und lokal zu treten, um entweder die Sozialdemokraten zum Kampfe zu zwingen oder die sozialdemokratischen Arbeiter von den verräterischen Führern loszulösen.

4. Angesichts dieses Ausstandes ist es notwendig, dass die Partei solange als möglich die Genossen von dem bewaffneten Kampfe zurückhält, um Zeit für die Vorbereitungen zu gewinnen. Sollten jedoch große spontane Kämpfe der Arbeiterklasse ausbrechen, so wird sich die Partei mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Die Partei hat auch die Schläge der Konterrevolution zu parieren durch die Mittel des Massenkampfes (Demonstrationen, politische Streiks). Es ist bei diesen Kämpfen möglichst der Waffenkampf zu vermeiden.

5. Gegen das Ultimatum Stresemanns hat die Partei im ganzen Reiche zum Proteststreik aufzurufen, bei dem dem bewaffneten Kampfe aus dem Wege zu gehen ist. Falls die Sozialdemokratische Partei in Sachsen den Kampf gegen das Ultimatum Stresemanns nicht aufnimmt, haben unsere Genossen mit der sächsischen Regierung zu brechen und zum Kampf gegen sie überzugehen.

6. Alle Mitglieder der Zentrale haben die Beschlüsse der Partei durchzuführen. Die Zentrale wird eine neue Arbeitseinteilung unter ihren Mitgliedern vornehmen.

Dieser Beschluss wurde einstimmig angenommen. Genossin Ruth Fischer stimmte für diesen Beschluss. Das war also 5 Tage nach der sächsischen ersten Niederlage, nach der Chemnitzer Konferenz.

Dann kam die zweite sächsische Phase, nämlich das Ultimatum Stresemann usw. Die Delegation schlug der Zentrale den Beschluss auf Streik vor. Bevor noch dieser Beschluss gefasst wurde, schrieb ich einen Brief an die Genossen Böttcher und Heckert, die von Sachsen gekommen waren und nicht auf die Beschlüsse warten konnten. In diesem Brief teilte ich ihnen als meinen Standpunkt mit (ich werde den Brief evtl. später vorlegen): Sie müssen alles tun, um nicht kampflos die Position zu räumen, Streik; weiter die Mitteilung. dass ich diesen Vorschlag in der Zentrale mache und dass sie, Böttcher und Heckert, falls die Zentrale anders beschließe, eine Nachricht bekommen würden. Die Zentrale hat so beschlossen. Der Streik wurde nur teilweise durchgeführt.

Später kam die thüringische Geschichte. Obwohl dazwischen eine große Zeitspanne liegt, will ich hier schon zusammenfassen. Wir haben wieder den Streik beschlossen, die thüringischen Genossen haben ihn nicht durchführen können.

Genossen, wir sahen die Aufgabe der Delegation der Komintern und der Zentrale in folgendem. Dass wir eine große Niederlage — eine vielleicht für längere Zeit entscheidende Niederlage — davongetragen haben, war klar. Es drohte die große Gefahr der Panik, der größten Enttäuschung in der Masse. Eine Niederlage an und für sich war nicht so gefährlich, wie diese Tatsache. Aus diesem Grunde stellten wir uns die Aufgabe: die zurückflutende Masse zum Stehen zu bringen, die KPD wieder zum Konzentrationspunkt der kämpfenden Masse zu machen und den Kampf wieder aufzunehmen.

Als der Zentralausschuss zusammenkam, war es uns noch nicht klar, um welche Punkte wir die Masse sammeln, auf welchem Boden wir sie in der Aktion sammeln würden; den Hebel der Aktion hatten wir noch nicht in den Fingern. Darum ist der betreffende Passus in den von uns vorgeschlagenen Thesen des Zentralausschusses noch nicht konkret genug. Aber mehr als man weiß kann man nicht gehen. Auf welchem Boden den Kampf führen, das wussten wir noch nicht, und kein anderer Vorschlag wurde gemacht. Nach ein paar Tagen war es uns klar, um was es sich handelt, dass die erste Aufgabe der Partei darin besteht, sich nicht von der Oberfläche wegblasen zu lassen: also, da wir weder Presse noch Versammlungsfreiheit hatten — Straßendemonstrationen. Sie müssen wissen, dass die größte Schwierigkeit der Arbeit der Vertreter der Exekutive darin bestand, dass sie keinen direkten Kontakt mit der Arbeitermasse selbst hatten, dass sie aus dem Zeitungsmaterial und aus den Gesprächen mit irgendwelchen 10 Genossen sich die Brocken der Wirklichkeit zu sammeln hatten, die praktische Linie herausbilden mussten — ich werden Ihnen eine solche komische Tatsache mitteilen —‚ dass für mich mit ausschlaggebend in der Beurteilung dessen, was zu machen war, das Bild der Stadt war, das ich auf Streifzügen durch die Stadt bekam nämlich die Sammlung der Arbeitslosen vor den Läden, ein paar Gespräche über das, was sie dachten, die man aufschnappte. Das wird das Bild jeder Tätigkeit delegierter Genossen sein, die nicht imstande sind, in den Massen zu wirken. Es fehlen uns immer die von unten kommenden Impulse, wir kriegen sie erst durch das Sieb der Stimmungen und Auffassungen der einzelnen Genossen.

Nun, diese Linie, die wir vorschlugen: Demonstrationen, Arbeitslosendemonstrationen in die Hand nehmen, Unterstützung jedes Streiks. — Der Streik der Buchdrucker zeigte sich sogleich als eine sehr große Angelegenheit, der erste Widerstand gegen die Seecktsche Diktatur. — Die Organisation der Hundertschaften nicht als eine von der Partei abgesonderte Sache, sondern die Verteidigung der Demonstrationen durch sie. Diese Linie des aktiven Kampfes war es, auf der wir die Partei zu sammeln suchten. Wie wurde diese Linie akzeptiert? Im Allgemeinen war die ganze Zentrale, was die Arbeitslosendemonstrationen usw. anbetrifft, einig. In der Auffassung der Frage der Verteidigung der Demonstrationen war die Mehrheit der Zentrale einig. Wo es sich um die Durchführung handelte, trafen wir auf den größten Widerstand der Vertreterin der Berliner in der Zentrale, die auf dem Standpunkt Stand. die Erbitterung in der Parteimasse und die Enttäuschung sei so groß, dass die Genossen nicht imstande wären, die Massen für die Demonstrationen zu gewinnen. Der zweite Standpunkt war: wir werden es tun, aber das erfordert eine lange Vorbereitungsarbeit. Genossen, ich hielt diese Auffassung der Genossin Fischer für eine rein persönliche Auffassung. Ich habe mich davon überzeugt — ich werde sagen, in welcher Weise —‚ dass diese Auffassung der Stimmung breiter Kreise kommunistischer Arbeiter in Berlin entsprach. Ich sage das, was ich feststellen konnte. Wie es in der Provinz war, konnte ich nicht sagen. Einige meiner Freunde stellten durch Gespräche mit kommunistischen Arbeitern fest, dass Genossen, gute kommunistische Arbeiter. die lange in der Partei waren und für den bewaffneten Widerstand sind, erklärten: wir wurden schon genug auf Demonstrationen geprügelt, es hat keinen Sinn, sie zu machen; entweder bewaffneter Aufstand, oder man muss einstweilen abwarten. Auf die Frage, warum nicht jetzt bewaffneten Aufstand?, sagten sie: Wir haben zu wenig Waffen, und auf die Frage: Wie wollt ihr sie kriegen?, kam die Antwort: Wir werden sie schon bekommen. Ich habe das von einer ganzen Anzahl unserer Genossen gehört, die solche Gespräche mit Berliner Arbeitern wiedergaben.

Nun, Genossen, der zweite Gegensatz kam in der Frage der bewaffneten Demonstrationen. Der Berliner Vertreter hat in den Kopfsitzungen — im Gegensatz zu dem Hamburger — den Standpunkt eingenommen, man könne sie nicht machen, man werde es nur zu unnützem Blutvergießen bringen, unsere Leute können nicht durch die Straßen mit der Knarre auf dem Buckel marschieren. Dieser Widerstand führte zu sehr großen Auseinandersetzungen in der Zentrale. Wir gaben nach und beschlossen, die erste Demonstration nicht zu verteidigen. Die ganze Zentrale stimmte dafür. Da es sich um die Berliner Organisation handelte, kamen wir zu der Überzeugung, dass man die bewaffnete Verteidigung nicht gegen den Widerstand der Berliner bei der ersten Demonstration in Berlin machen konnte. Und wie wir die Sache auffassten, zeigt das Zirkular das ich der Zentrale vorgeschlagen habe. Wir sagten uns, man wird die Partei nicht auf einmal in die Geschichte hineinbringen können: es handelt sich jetzt um die Aufstellung der Linie, es wird dagegen Widerstand geben. Ich sage mehr, es wird sich auch in der Praxis herausstellen müssen, wie weit wir in der Verteidigung der Demonstration gehen können.

Es ist klar, aus welchem Grunde diese Linie angenommen wurde: Für mich ist die Quelle der Schwäche der Partei und der Masse die Passivität dieser Masse und die Passivität unserer Partei. Solange die Masse nicht das Gefühl hat, dass wir Kommunisten uns wenigstens mit allen Kräften, mit allem Risiko einsetzen, ist die Masse nicht zum Kampfe zu bringen. Das, was jetzt im deutschen Proletariat existiert, ist eine Abspiegelung der allgemeinen Lage in Deutschland, des Zerfalls der politischen Aktivität, einer außerordentlichen politischen Passivität aller sozialen Klassen mit Ausnahme des Militärs. Ohne Militär zu sein und ohne konkret sagen zu können, wie wir diese Verteidigung führen werden — das war Sache der militärischen Leitung sagte ich mir: Wir können nicht die Arbeiter ein- zweimal in die Demonstration führen, dass sie sich prügeln lassen wie die Hunde, und dann sagen: kommt zum dritten Mal und lasst euch wieder prügeln. Entweder sind die Demonstrationen eine Geste, oder wir müssen zu ihrer Verteidigung schreiten.

Nun, Genossen, das war die Linie der Aktion, nie wir vertraten bis zu unserer Abberufung, die Linie der Aktion, bestehend in folgenden Dingen: Halt machen im Rückzug; beginnt der Kampf, ihn nicht zu forcieren mit dem Gedanken an den Aufstand, der in dieser Situation unmöglich war, sondern den Kampf aufnehmen, wo der Feind ihn der Masse bietet: in der Brotfrage, der Arbeitslosenfrage, in der Frage des Zehnstundentages, des Verbots der Organisation, der Presse zu allen Mitteln des Massenkampfes greifen; und als neues Moment die höhere Stufe der Bewegung; wenn nötig, Verteidigung der Demonstrationen. — Ich gehe jetzt nach dieser Darstellung der Tätigkeit der Delegation der Exekutive zu der politischen Analyse über, wobei ich hier zwei Dinge feststellen muss. Über die Ursachen unserer Niederlage hatten wir natürlich vom ersten Tage an unsere Gedanken, wir schrieben sie in den Berichten an die Exekutive. Die Berichte liegen vor. Als der Parteiausschuss zusammentrat, stand die Frage so: Soll man in diesem Stadium in diese innere parteitaktische Auseinandersetzung über die Schwächen und Fehler der Partei eintreten oder nicht? Ich stand auf dem Standpunkt — die ganze Delegation stand darauf, und ich stehe noch heute auf ihm: in dem Moment des ersten Versuches, die Partei zusammenzufassen, sie zum Stehen zu bringen, dem Gegner den Kampf zu geben, ist es nicht nur unzweckmäßig, sondern unzulässig, eine parteitaktische Debatte zu entwickeln. Ich formuliere den Standpunkt: wenn die Partei als Ganzes Kikeriki den Massen sagt, so dass diese die einfache Tätigkeit der Partei sehen, ist es schon gut. ich hatte einen Kampf mit den Genossen, die die Notwendigkeit nicht verstanden; ich sagte damals, wenn wir imstande sind, in dieser Situation die Bendlerstraße mit Zetteln gegen Seeckt zu bekleben oder in den Kinos Zettel gegen die faschistische Diktatur hinunter zu schmeißen, so ist das wichtiger, als die beste Resolution, die wir in diesem Moment fassen können.

Das war meine Auffassung, und obwohl ich natürlich sehr gut wusste, dass eine solche Niederlage zur schwersten Parteikrise führen wird, in der die Auseinandersetzung kommen wird, hielt ich es für notwendig, diese hinauszuziehen, bis Klarheit über zwei Momente bestand: entweder wird es sich zeigen, dass wir in eine längere Vorbereitungsperiode eintreten, in der es die größere Möglichkeit der Aktion geben wird, dann muss die Partei die Dinge in der Diskussion erledigen; oder wir kommen durch die Teilkämpfe in große Kämpfe, dann wird die Partei in diesen großen Kämpfen ihre Schwäche überwinden.

Das war der Grund, warum ich mich in der energischsten Weise dem Versuch entgegensetzte, Mitte November die Diskussion zu beginnen, in der wir uns jetzt befinden. Ich will natürlich nicht behaupten, dass ich und die Delegierten damals schon bis zu Ende imstande waren, die Tiefe der Niederlage zu durchdenken, Vielleicht, ich habe unsere Korrespondenzen nicht nachgelesen, wird das, was ich heute als Abschluss der Auffassung aus der ganzen Diskussion sage, in manchem dem widersprechen, was wir unter dem ersten Eindruck der Ereignisse als Gründe der Ereignisse der Exekutive schrieben. Ich halte es nicht für die erste Pflicht des Politikers, wenn er A gesagt hat, immer A zu sagen. Manchmal muss man B, manchmal muss man auch Y sagen, aber manchmal kann man sagen, dass es überhaupt nicht A war.

Ich beginne jetzt, Genossen, mit dem zweiten Teil.

Welches waren die Gründe unserer großen Niederlage?

Erstens: ist die Niederlage groß: Ich glaube, schon ist festzustellen, dass die Niederlage uns zurückgeworfen hat, wo wir nahe am Ziel waren. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass wir eine große historische Situation verpasst haben, wie sie selten so günstig vorliegt. Das ist die erste Sache.

Die zweite Sache ist: wir wissen noch nicht, ob die Zersetzung des Kapitals in Deutschland schnell vor sich gehen wird.

(Hesse: Nun, ein Vierteljahr.)

Wir wissen nicht, wie lange die Stabilisation dauern wird. Wir müssen aber auf Kampf visieren, solange es nicht vollkommen klar ist, dass sie nicht kommen. Eine politische Partei kann nicht sagen, entweder geht es so oder so. Der Theoretiker hat alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Der Parteipolitiker muss sich sagen: Was will ich in diesem Kräfteverhältnis? Gibt es Möglichkeiten der Verschärfung, dann müssen wir sagen, arbeiten wir für diese Verschärfung. Aber ich sage, hier, wo wir zuerst uns selbst über alle Möglichkeiten Rechnung ablegen, müssen wir sagen, es sind alle Möglichkeiten vorhanden, auch eine Möglichkeit der Verfaulung der Situation für eine lange Zeit, dann wird die Niederlage noch größer sein, als wir es jetzt sehen.

Drittens: wir wissen nicht, wie die Niederlage sich international in den Kommunistischen Parteien auswirken wird.

Also ich sage kein Wort zur Beschönigung dieser Niederlage.

Nun müssen wir uns in erster Linie fragen: welche Quellen hat diese Niederlage? Ich finde im Grunde zwei Erklärungen in dieser Sache. Die einen Genossen sagen so: Zwar ist die Masse der Partei eine gute proletarische Masse, aber die Führung besteht aus früheren sozialdemokratischen Funktionären, die wir noch nicht in Kommunisten umgewandelt haben. Diese Funktionäre haben verraten. Das ist eine Erklärung. Die zweite ist — und auf diesem Boden stehe ich — unsere Partei ist eine gute proletarische Partei. aber ohne genügende revolutionäre Erfahrung. Ihre Führung hat natürlich, wie alle kommunistischen Führungen, große Schwächen, die mit ihrer Abkunft aus der Sozialdemokratie zusammenhängen, und bevor sie nicht durch eine Reihe der größten Massenkämpfe hindurch ist, hat sie keine genügende revolutionäre Erfahrung.

(Brandler: Manche waren sogar nicht in der Sozialdemokratie!)

(Maslow: Es gibt auch solche, die wieder in der Sozialdemokratie sein werden.)

Obwohl eine gute Arbeiterpartei, sind wir nirgends noch eine gute kommunistische Partei. Und das ist das wichtigste, was ich in der ganzen Situation sehe. Es ist nicht wahr, Genossen, dass die Führung nicht kämpfen wollte, und dass die Massen überall stürmen. Es ist nicht so gewesen. Wenn wir die linken sozialdemokratischen Massen sehen, so sind vielleicht die Führer Verräter und diese Massen nicht Verräter, sondern ehrliche Arbeiter. Aber dass diese Massen ihre Führer nicht als Verräter angesehen haben und zum großen Teil jetzt nicht als Verräter ansehen, ist eine Tatsache. Das zeigt, dass die Reserven, die sich auf dem Wege zu uns befinden, erst in der Bildung begriffen sind. Und unsere Partei ist nach meiner Überzeugung, — das zeigt eben das, worauf die Genossen von der Linken immer hinweisen — in den Gewerkschaften, in den Kommunalversammlungen, überall, wo nicht nur alte Funktionäre sitzen, sondern junge aus der Arbeiterschaft, stellen sie dem kapitalistischen Einfluss nicht den genügenden Widerstand entgegen, was sich daraus erklärt, dass wir als Kommunisten noch eine Minderheit in der Masse sind; die Masse sympathisiert mit uns, aber sie war nirgendwo bereit, mit uns bis zu Ende zu kämpfen; — unsere deutsche Bruderpartei ist nicht eine von Sozialdemokraten geführte Partei, sie ist eine noch unfertige Kommunistische Partei.

Diese Tatsache hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Partei in der letzten Phase.

Genossen, es wurde die Frage aufgeworfen: Haben wir die Oktobersituation überschätzt? Ist das die Quelle des Irrtums, der Niederlage? Ich bin Gegner dieser Auffassung. Ich sage folgendes: Die Quelle unserer Niederlage liegt darin, dass die Ruhrgeschichte eine neue Phase in der Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland eröffnet hat. Wir haben auf dem Leipziger Parteitag in dem Aufruf an die Partei gesagt: diese Phase endet mit dem Bürgerkrieg. Wir haben theoretisch richtig visiert, und wir haben die praktischen Schlüsse daraus nicht gezogen. Würden wir seit Mai, als der Durchfall der Ruhraktion schon klar war, als die Zersetzungselemente außerordentlich wuchsen, nicht die Besetzung der Fabriken in diesem Moment, sondern die wachsenden Massenkämpfe aufgerollt haben. — (Scholem: Wer hat denn das getan?)

(König: Götterdämmerung!)

Wenn Götter dämmern, sollen sie zehnmal dämmern; wir brauchen keine Götter, auch Berliner Götter sind nicht besser als andere Götter, ich werde es beweisen,

(R. Fischer: Im Mai in Deutschland.)

Im Mai halte ich es für ein großes Verdienst, dass wir es dem General Seeckt nicht erlaubt haben, die deutschen Arbeiter zwischen die Mitrailleusen der Deutschen und Franzosen zu jagen. Aber wir hatten die Pflicht, die Arbeiter im nichtbesetzten Gebiet heranzuziehen, die Kämpfe so zu erweitern, dass wenigstens die deutschen Kräfte der Bourgeoisie gebunden waren.

Wir haben es nicht getan. — Ich behaupte, es bestand zwischen uns nicht die geringste Meinungsverschiedenheit. Genossin Fischer fuhr mit Brandler nach der Ruhr.

(R. Fischer: Wir mussten sogar eine eigene Resolution machen.) Sehr richtig, und ihr habt in der Resolution nichts formuliert, ihr könnt sie hier vorlegen.

Ihr könnt später nach meinem Referat eure Rechnung vorlegen und auf Grund eures Referats später die Führung der Partei fordern. Ich suche, ohne Rücksicht darauf, wem das schadet oder dient, einstweilen das festzustellen, woran auch wir und alle andern Schuld sind. Und ich glaube, damit den Beweis zu liefern, dass es mir nicht um fraktionelle Dinge geht.

Genossen, diese Tatsache hier: wir in Moskau orientierten uns, dass es wirklich um ausschlaggebende Dinge in Deutschland geht, erst nach den Augusttagen. Der beste Beweis dessen ist folgendes. Wir hatten die Konferenz in Essen und die in Frankfurt. Diese beiden Konferenzen hatten agitatorische Bedeutung, es waren keine Konferenzen, die den Kampf organisierten. Wenn ein Beweis notwendig ist, so der, dass die Exekutive nicht darauf gedrängt hat, dass die französische Partei auch nur 20 Genossen zur illegalen Arbeit unter die Truppen gesandt hat. Auf der Sitzung der Erweiterten Exekutive befassten wir uns mit der propagandistischen Auswirkung dieser Dinge. Würden wir die Dinge im Ernst als auf die Revolution zutreibende wirklich angesehen haben, so hätte auf der Tagesordnung der Erweiterten Exekutive nur eine Frage stehen dürfen, nämlich die Frage der Vorbereitung der Massenkämpfe in Deutschland und der Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes.

(Klara Zetkin: Sehr richtig!)

Wir haben das nicht getan. Nach den Augustereignissen sahen wir, wohin es geht, und wir haben uns gesagt, entweder nehmen die Faschisten die Gewalt, oder wir müssen sie nehmen. Wenn wir den Kampf wollten, konnten wir uns nicht die Verteidigung der Novemberrepublik zum Zweck setzen. Der Unterschied zwischen der Kerenskis und der Novemberrepublik war der: unter Kerenski hatten die Arbeiter die Sowjets, hatten etwas zu verteidigen, in Deutschland aber war die Novemberrepublik in den Herzen der Arbeiter tot, kein Hund würde sich zu ihrer Verteidigung rühren. Also wir mussten uns, wenn wir durchdringen wollten, das Ziel stellen: Eroberung der Macht.

Und was hat sich herausgestellt? Bevor wir noch hier im September und Anfang Oktober diese Linie, — Kampf um die Eroberung der Macht — sozusagen die Terminfrage, entschieden haben, schrieb Sinowjew einen Entwurf, den ich dann umgeändert habe, die 14 Punkte, die wir an die deutsche Partei nicht als Beschluss, sondern zur Rückäußerung sandten. Die deutsche Partei erklärte, sie akzeptiere sie. Es war ein Aktionsprogramm, es gab konkret an, was ihr auf allen Gebieten tun solltet. Die Partei hat aber — von August bis Oktober — nichts getan. Die ausschlaggebende Tatsache ist, dass wir nicht einmal Rückzugsgefechte führen konnten; als die kommunistische Presse unterdrückt wurde, haben wir mit keinem einzigen Gegenschlag geantwortet.

(Maslow: Wir haben für die Verfassung gekämpft.)

Wir haben sogar nicht für die Verfassung gekämpft. Das Ermächtigungsgesetz war die In-die-Luft-Sprengung der Weimarer Verfassung. Also, wir haben nicht einmal für die Verfassung gekämpft. Wären wir imstande gewesen, die Massen für die Verfassung zu mobilisieren, so wäre es noch besser gewesen, als dass wir nicht einmal dazu imstande waren.

Wir beschlossen hier: Die Situation ist so ernst, entweder nehmen die Faschisten die Macht oder wir. Wir beschlossen, wir nehmen sie. Wir haben uns einen Termin gesetzt. Jetzt — das ist meine und Arvids Auffassung — wird versucht, diese Termingeschichte sozusagen zum Hauptfehler zu stempeln. Nun, ich sage, man muss zwei Dinge auseinander halten:

1. Haben die Kommunisten, wenn sie reell an die Machteroberung denken, sich einen Termin für ihre Arbeit zu setzen? Jawohl.

Können sie ihn so setzen, dass sie der Masse. sagen: Werte Genossen, wann wir die Macht nehmen, wissen wir nicht, aber setzen wir aus pädagogischen Gründen einen Termin für uns fest. Das können sie nicht tun.

Also, sie müssen sich einen Termin zum Kampfe setzen Der Fehler bestand nicht in der Terminsetzung, sondern erstens darin, dass, die Terminsetzung in Moskau erfolgte. Ich habe damals schon erklärt: nur im Fluss der Ereignisse kann die Instanz, die den Kampf führt, sich den Termin setzen. Denn wenn diese Instanz in Moskau den Termin festsetzt — die Partei erfährt es, denn wenn sie es nicht erfährt, ist es ein Unsinn ihn festzusetzen, — so beginnt die Panik, das Geschrei von Verrat, wenn man genötigt ist, den Kampf zu verschieben.

Aber ich glaube, die Terminsetzung, ob richtig oder nicht, spielte überhaupt keine Rolle. Die Hauptrolle in der ganzen Geschichte spielte die Tatsache, dass die Partei, die bisher die Kampffront nicht aufmarschieren ließ, — als sie sich sagte: Kampf, er klärte, der bestehe darin, dass wir uns zum Losschlagen vorbereiten, und dass sie inzwischen nichts tat.

Diese Tatsache war die ausschlaggebende Tatsache für die Niederlage.

Ihr könnt sagen: ob im Oktober oder schon im Mai die Fehler gemacht wurden, nicht die Frage ist entscheidend. Die entscheidende Frage ist: Warum haben wir die Fehler gemacht?

Genossen, wir haben eine Periode unserer Geschichte, die bis zu den Märzkämpfen hinaufgeht. Worin besteht sie? Wir suchten uns damals die Ergreifung der Macht als aktive Aufgabe zu stellen. Seit wenigstens September 1920, seit unserer Niederlage In Polen, war es klar, dass die Welle der Revolution abflaute, dass wir uns als Hauptaufgabe die Eroberung der Mehrheit des Proletariats stellen mussten. Wie kamen wir zu der Stellung dieser Aufgabe? Die Partei konnte nicht von der Taktik des Strebens nach der Machtergreifung ohne weiteres hinuntergehen zu der Taktik: erst organisieren wir die Mehrheit des Proletariats; sie musste sich zuerst die Schädel einrennen. Es hat sich praktisch gezeigt, weder wir hier in Moskau haben schnell genug gesehen und visiert, noch die Genossen in der Arbeit haben die Änderung der Situation schnell genug verstanden. Und erst, als wir unvorbereitet geschlagen wurden, da ist es uns wie Schuppen von den Augen gefallen, und wir haben gesagt: die Situation hat sich geändert, man muss zuerst die Massen erobern. Diese Periode der Eroberung der Massen mit Agitation und Propaganda dauerte bis zum Ruhrkriege. Dann aber konnten wir sie nicht mehr auf propagandistischem Wege erobern, mussten, um sie zu erobern, zu Aktionen übergehen. Und wieder ist der Umstand, dass wir vor einer zweiten Welle der Revolution stehen, weder von uns hier, noch von euch dort als Ganzes schnell genug erfasst worden.

Nun, bedeutet das: die Führung war sozialdemokratisch? Nein, die deutsche kommunistische Führung ist besser als in irgendeinem anderen Lande, wo wir Massenparteien haben, aus einem einfachen Grunde. In keinem einzigen Lande hatten wir die Kämpfe, die wir in Deutschland hatten. Es ist die Marxsche Schulung da, es fanden die Kämpfe mit Kautsky statt, die Erfahrung der Revolution ist groß. Die Führung hat natürlich sozialdemokratische Züge, wie es Genossen gibt, die Züge des vollkommenen Mangels am Verständnis einer Massenbewegung haben, die gar nicht in der Sozialdemokratie waren. Wir setzen uns die Führung der Partei zusammen aus den Elementen, die wir haben, nicht aus der Luft.

Aus diesem Grunde ist jetzt für mich die wichtigste Frage, nachdem ich zu dieser Auffassung über die Gründe unserer Niederlage usw. gekommen bin: Was weiter?

Für dieses “Was weiter?” müsste man zuerst folgende Dinge feststellen. Erstens müsste man suchen, wer in Deutschland herrscht. In jeder Situation hat der Politiker, der eine Massenaktion zu leiten hat, im voraus festzustellen, gegen welchen Gegner er den Kampf führt, wie die Struktur dieses Gegners, welches sein Wesen ist. Der Streit darüber, ob der Faschismus gesiegt hat oder nicht, dieser Streit ist entschieden, nicht durch Worte, er ist entschieden durch Tatsachen. Er ist entschieden durch die Tatsache, dass die Bourgeoisie mit militärischen Mitteln die Arbeitermasse zurückgeworfen und ihr das Stinnesprogramm aufgedrängt hat, und dass die Arbeiterklasse im Zurückfluten ist. Der Sinn eures Widerstandes — ich verstand ihn sehr gut, solange ihr noch glauben konntet, dass wir in den nächsten Wochen vielleicht stürmen können, und dass wir uns den Weg durch eine Formel versperren, bei der Genosse Sinowjew das Gefühl hatte, sie bedeutet die Kapitulation. Damals hatte euer Widerstand doch einen Sinn. Aber wenn ihr, liebe Genossen, genötigt sein werdet, noch ein Jahr lang zu streiten, ob der Faschismus gesiegt hat, dann ist bewiesen, dass er gesiegt hat... Ich versteife mich so wenig auf Formeln, die für mich nur ein Mittel der Politik sind, dass ich, als mich Genosse Remmele und Genosse Koenen baten: Sagen wir, um den Streit nicht zu verschärfen, die Weißen haben gesiegt, antwortete, meinetwegen kann man auch sagen, die Blonden, die Brünetten haben gesiegt.

(Remmele: Zwischenruf …)

Genosse Remmele, in ihren Thesen ist gesagt, dass der Faschismus gesiegt hat, nur haben sie das Wort nicht gebraucht, und sie haben das damit erklärt: wir brauchen nicht den Streit nach dem Koltschak-Artikel auf diesem Gebiet:

Worüber hat der .Faschismus gesiegt? Die vorhergegangene Periode. In Deutschland war die Periode der bürgerlichen Demokratie wie sie im Buche steht. Es gibt kein Land in der Welt, wo das Proletariat, trotz periodischer Rückkehr der Unterdrückungen eine solche Bewegungsfreiheit hatte. Und welchen großen Einfluss hatte die Arbeiteraristokratie in der Novemberrepublik? Wer das verkennt, der versteht nicht das A und O, warum die sozialdemokratischen Massen so an ihrer Republik hängen. Der Streit zwischen uns ging nicht darüber, ob die Sozialdemokratie vergewaltigt, oder eine. Prostituierte ist; nicht darum ging der Streit. Die Ursache, warum ich für absolut nötig hielt, zu sagen, der Faschismus hat gesiegt, ist eine andere. Wenn der Faschismus gesiegt hat und die Sozialdemokratie sein Verbündeter ist — kein Bündnis mehr mit der Sozialdemokratie.

Zweiter Grund. Neben der Frage der Änderung der Einheitsfronttaktik, d. h. des Absagens an die Führer der Sozialdemokratie, wie. es in der Reichsausschuss-Resolution enthalten ist, halte ich für die zweite ausschlaggebende Frage der deutschen Revolution das Heranziehen der kleinbürgerlichen Massen. Und hier komme ich zu einer Sache, die für mich, ich muss sagen, einerseits eine der wichtigsten, andererseits eine der komischsten Fragen als Differenzfrage ist.

Genossen, wir haben während der Diskussionen mit den deutschen Genossen im Frühling hier in Moskau die Resolution über die nationale Frage gefasst, in. der wir sagten: die Partei steht vor einer neuen Aufgabe, der Eroberung des Kleinbürgertums, das proletarisiert wird, als des Bundesgenossen, den wir vor der Eroberung der Macht in Deutschland zum Teil für uns gewinnen. Darum die Teilnahme der Partei an Mittelstandsfragen und die Hervorkehrung der nationalen Frage. Wir haben in der Erweiterten Exekutive dazu Stellung genommen. Die Schlageterrede wurde einstimmig gutgeheißen. Nach der Rede haben Genossin Fischer und Remmele Arm in Arm mit mir diese Agitation weiter geführt. Mehr noch. In den Thesen der Exekutive und des russischen ZK über die deutsche Frage und in den Artikeln, die Genosse Sinowjew zur. deutschen Revolution veröffentlichte, wurde das als das Neue erklärt und mit Recht. In Russland spielte der Bauer, weil er der Armee angehörte, die Rolle des Verbündeten. Wäre die Armee nicht dagewesen, so würde er eine große Rolle später, nach der Machteroberung, gespielt haben, aber nicht die zentrale Rolle bei der Machteroberung. In Deutschland haben wir ein proletarisiertes Kleinbürgertum, es geht unter faschistischen Fahnen, und der Sieg des Faschismus bedeutet seinen Ruin. Aus diesem Grunde spielen die Differenzen im Lager des Faschismus eine entscheidende politische Rolle für uns. Nur wenn wir durch Herausarbeitung dieser Gegensätze und durch ihre Schürung die kleinbürgerlichen Massen, wenigstens einen Teil von ihnen, von Stinnes und Westarp trennen und für uns gewinnen können, nicht als Mitglieder, aber als einen, wenn auch schwankenden Bundesgenossen, haben wir einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht. Genosse Sinowjew schrieb in seiner Broschüre über die Probleme der deutschen Revolution:

Die deutsche Revolution ist eine klassische proletarische Revolution. Das aber bedeutet nicht, dass die gesamte übrige Bevölkerung Deutschlands eine reaktionäre Masse darstellt. Umgekehrt, das Neue, das Spezifische in der proletarischen deutschen Revolution bildet die besondere Rolle, die in ihr die städtische kleinbürgerliche Masse spielen wird. Man kann sogar sagen, dass bis zu einem gewissen Grade dieselbe. Rolle, die in der russischen Revolution das durch den Krieg ermüdete Bauerntum gespielt hat, in der deutschen die breiten Massen des städtischen Kleinbürgertums spielen werden, die durch die kapitalistische Entwicklung an den Rand des Elends gebracht worden sind.”

Genossen, welche speziellen Aufgaben demgegenüber haben wir? Erlauben Sie mir, eine Stelle aus der Broschüre des Genossen Lenin “Der Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus”, zu zitieren:

Einen mächtigen Feind besiegen kann man nur bei größter Anspannung der Kräfte und bei unbedingter sorgfältiger, sorgsamer, vorsichtiger, geschickter Ausnutzung eines jeden — wenn auch des kleinsten — ,,Risses” zwischen den Feinden, eines jeden Interessengegensatzes zwischen der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder — so auch einer jeden — wenn auch der kleinsten — Möglichkeit, sich einen Verbündeten zu erwerben, wenn auch nur einen zeitweiligen, schwankenden, unbeständigen, unzuverlässigen, bedingten. Wer das nicht begriffen hat, der hat auch nicht ein Gramm von Marxismus und vom wissenschaftlichen heutigen “zivilisierten” Sozialismus überhaupt begriffen. Wer nicht praktisch während einer ziemlich bedeutenden Zeitspanne und in ziemlich verschiedenartigen politischen Lagen erwiesen hat, dass er es versteht, diese Wahrheit in der Praxis anzuwenden, der hat es noch nicht gelernt, der revolutionären Klasse in ihrem Kampfe um die Befreiung der ganzen werktätigen Menschheit von den Ausbeutern zu helfen. Das Gesagte bezieht sich in gleicher Weise auf die Periode vor und nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.”

An einer andern Stelle der gleichen Broschüre behandelt er die Bedeutung dieser Unterschiede nicht nur zwischen dem Kleinbürgertum und der großen Masse, sondern er nimmt sogar die friedliche Übergangssituation, wie sie in England besteht, und schreibt:

Die Uneinigkeit zwischen den Churchill und Lloyd George (diese politischen Typen gibt es in allen Ländern mit geringen nationalen Unterschieden) einerseits, zwischen den Henderson und den Lloyd George andererseits, sind ganz unwichtig und geringfügig vom Standpunkt des reinen, d. h. des abstrakten, d. h. des für die praktische politische Massenaktion noch nicht reifen Kommunismus. Aber vom Standpunkt dieser praktischen Aktion der Massen sind diese Uneinigkeiten äußerst wichtig. In ihrer Abwägung, in der Bestimmung des Augenblicks der vollen Reife der unter diesen “Freunden” unvermeidlichen Konflikte, die alle diese “Freunde” insgesamt schwächen und entkräften — besteht die ganze Aufgabe des Kommunisten, der nicht nur ein bewusster, überzeugter, illegaler Kommunist, sondern auch ein praktischer Führer der Massen in der Revolution sein will. Man muss die strengste Hingebung für die Ideen des Kommunismus mit dem Vermögen vereinigen, auf alle notwendigen, praktischen Kompromisse, auf Lavieren und Paktieren, auf Zickzacklinien, Rückzüge und dergl. einzugehen, um die Verwirklichung und die Überwindung der politischen Macht der Henderson (der Helden der Zweiten Internationale, um nicht die Namen einzelner Personen, die Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie, die sich Sozialisten nennen, anzuführen), zu beschleunigen, die die Massen gerade in unserem Geiste, gerade in der Richtung zum Kommunismus aufklärt: um unvermeidlich Reibungen, Konflikte, Streitigkeiten, den vollen Zerfall zwischen den Henderson—Lloyd George—Churchill (den Menschewiki und den Sozialrevolutionären, Kadetten, Monarchisten, der Scheidemann-Bourgeoisie, Kapp usw.) zu beschleunigen und um richtig den Augenblick des größten Zerfalls zwischen allen diesen “Streitereien über den heiligen Privatbesitz” zu wählen, um durch einen entschlossenen Angriff des Proletariats alle zu schlagen und die politische Macht zu erobern.”

Genossen, was bedeutet das für mich? Das bedeutet für mich folgendes die Bauern werden in Deutschland nach dem Sieg der Revolution eine große Rolle spielen, weil es um die Frage gehen wird: wo kriegen wir Brot her? Bei der Eroberung der Macht aber werden sie keine so große Rolle spielen, die wird in den Städten erobert. Es gibt keine konzentrierte Bauernarmee in Deutschland, keine konzentrierte große Masse von Bauern. Darum wird die Zersetzung des städtischen Kleinbürgertums eine sehr große Rolle spielen.

Welche Rolle spielen dabei die Zersetzung, die Gruppierungen im Lager des Faschismus. Ich glaube, dass in dem Gegensatz, der sich in dem Artikel des Genossen Sinowjew ‚ — “Der deutsche Koltschak” — zu meiner Auffassung äußert, es eine gewisse Rolle spielt, dass Genosse Sinowjew nicht genug zwischen der Lage der kleinbürgerlichen Massen Deutschlands und Russlands unterscheidet. Er sagt, die Menschewiki haben nach der Niederlage der Revolution von 1905 die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kadetten und den Oktobristen herausgearbeitet. Wir, die Bolschewiki, wussten, dass diese Parteien verschiedene Teile der Schichten der Bourgeois sie darstellten, aber wir sagten uns, dieser Gegensatz wird nicht ausschlaggebend sein, und man soll gegen die Bourgeoisie visieren.

Genossen, wenn zwischen den kleinbürgerlichen Ärzten, Beamten, Handwerkern,. und Stinnes und Westarp derselbe Unterschied bestehen würde, wie zwischen Gutschkow und Miljukow, so hätte Sinowjew recht. Aber er vergisst das Ausschlaggebende. In Westeuropa gibt es den .breiten neuen Mittelstand und Überreste des alten Mittelstandes, in die Millionen gehende Massen des Kleinbürgertums, das jetzt sozial von dem Kapitalismus vollkommen ruiniert wird, anders als in Russland 1907. Russland befand sich in einer aufsteigenden Epoche der wirtschaftlichen Entwicklung, wo der Kapitalismus, selbst wo er die Selbständigkeit der Mittelklassen ruinierte, ihre soziale Stellung nicht so verschlechterte. In Westeuropa haben wir den Prozess einer solchen Expropriation der Mittelschichten, wie sie niemals bestand. — Das sind also die Zersetzungselemente, die wir ausnutzen müssen.

Genossen, ich bin verhindert, auf die Frage einzugehen, in der ein wichtiger Gegensatz noch zwischen uns besteht, nämlich Weiterführung der Einheitsfronttaktik in internationalem Maßstabe. Ich will jetzt nur zwei Worte dazu sagen. Der 4. Kongress hatte nicht die Auffassung, dass die Einheitsfronttaktik der Evolution dienen soll, dass eine lange Zeitspanne zwischen der kommenden Revolution und der Zeit liegen wird, wo wir uns auf dem Boden der Demokratie befinden werden. Trotzdem hat er in Westeuropa die Möglichkeit spezieller Situationen ins Auge gefasst, wo die Ausnutzung sogar einer demokratisch uns in die Hände gefallenen Arbeiterregierung als Sprungbrett für die Kämpfe um die Diktatur sich bieten kann. Und mögen wir tausend Fehler in unserer Anwendung der Einheitsfronttaktik gemacht haben, so sollen wir sie korrigieren. Wenn wir diese Möglichkeit aber aus dem Auge lassen, wenn wir sagen, Einheitsfronttaktik ist nur Agitation, dann sind wir erstens theoretisch im Unrecht, weil wir die Augen vor Möglichkeiten verschließen, die in Deutschland noch zurückkehren können.

(Scholem: Hört! Hört!)

Ich erkläre, dass ich kein Politikaster bin, sondern will, dass wir über die Gegensätze diskutieren, wenn die Zersetzung des Faschismus, der faschistischen Truppen vor sich geht, können wir in Situationen kommen, wo wir die sächsische Karte besser spielen können,. als wir sie gespielt haben.

(Sehr richtig!) (Hört! Hört!)

Und wer diese Möglichkeit verriegeln will, — auf diesem Boden gibt es keine Kompromisse.

(Sehr richtig!)

Aus dem einfachen Grunde; entweder werden wir in Westeuropa zu kommunistischen Diskussionsparteien oder zu kämpfenden Parteien, und die letzteren müssen alle praktischen Möglichkeiten sich offen lassen. 99 Prozent sprechen dafür, dass auf dem Kontinent Europa die Frage der Arbeiterregierung keine entscheidende Rolle spielen wird; dass sie in England eine entscheidende Rolle spielen kann, unterliegt für mich keinem Zweifel.

Aus diesem Grunde sage ich: Ich bin bereit, da für mich eine praktische Linie der Partei tausendmal wichtiger ist als alle theoretischen Spintisierereien darüber, wie es in 1, in 5, in 6 Jahren aussehen wird, 10 Formulierungen zu opfern, aber es ist keine Möglichkeit, sich praktisch den Weg zu verbauen. Denn dann werden wir die größte Krise des Kommunismus heraufbeschwören, die darin bestehen wird, dass unsere Theorie den wirklichen Notwendigkeiten der Bewegung nicht entsprechen wird.

Ich schließe.

Ich will noch einen Gedanken hineinwerfen. Die größte Quelle der Krise, die wir hatten, die wir noch haben werden, jahrelang, wenn die Revolution nicht kommen wird, besteht darin: wir sind die Partei der Diktatur, aber wenn keine revolutionären Wellen schlagen, so kann man für die Diktatur nur Propaganda, Agitation treiben. Und die Masse lebt nicht nur von der Propaganda, und Agitation. Vor den kommunistischen Parteien stehen praktische Aufgaben. In denen ist es so schwierig, den Standpunkt des Kommunismus durchzuführen, dass eine große Diskrepanz herrscht zwischen unserem Wollen und unserem Können. Und wenn wir das nicht sehen und auf Grund dieser Diskrepanz unsere Leitungen zu reformistischen stempeln, Genossen, dann werden wir zerfallen.

Als ich gestern die herrliche Rede von Thälmann hörte, da sagte ich mir: ein solches agitatorisches Feuer, ein solcher Glaube an die Revolution, — und trotzdem, in Hamburg haben wir 14000 Mitglieder, und die Sozialdemokratie ist dort 78.000 Mann stark

(Hat aber 30.000 jetzt verloren.)

Nach fünf Jahren des größten Verrats der Revolution.

Mit einer rein agitatorischen Linie des Kommunismus werden wir herrliche kleine kommunistische Parteien haben. Es wird wieder die Frage stehen: Sekte oder Masse. Sie stand schon so. Würden wir im März die Partei nicht zurückgehalten haben, hätte Levi Recht. Wir haben sie zurückgehalten, sagten: Heran an .die Massen auf dem praktischen Boden. Und heute steht die Frage noch einmal.

Wir werden die Meinungsverschiedenheiten ausfechten. Da wir keine Levis sind, werden wir uns, wie er fallen wird — wie er fallen wird —‚ jedem Beschluss der Exekutive alle, alle fügen. Aber verwischen werden wir die Gegensätze nicht, wie. sie bestehen. Den Kampf werden wir kämpfen innerhalb der Kommunistischen Internationale.

Ich werde meine Auffassung, wenn die Kommission arbeiten wird, dieser in der Form von Thesen unterbreiten, die vom Genossen Trotzki, von P. und mir entworfen sind.

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