Karl Radek 19210400 Soll die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands eine Massenpartei der revolutionären Aktion oder eine zentristische Partei des Wartens sein?

Karl Radek: Soll die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands eine Massenpartei der revolutionären Aktion oder eine zentristische Partei des Wartens sein?

(April 1921)

Inhalts —Verzeichnis.

I. Der Vereinigungsparteitag

II. Die VKPD und die KAPD

III. Der Kampf um die rechts stehenden Arbeitermassen

IV. Die italienische Frage

V. Passive oder revolutionäre, aktive Massenpartei

VI. Die Märztage

VII. Die Lage in der VKPD

Nachwort des Verfassers

Vorwort.

Diese Broschüre ist den Streitfragen gewidmet, die sich in der VKPD innerhalb der ersten Monate ihrer Existenz allmählich gesammelt haben und deren Entscheidung für die Entwicklung der VKPD zu einer wirklich kommunistischen Partei ausschlaggebend ist. Leider war der Verfasser durch die tägliche Arbeit während der schweren Monate des Überganges Sowjetrusslands von seinen Kriegs- zu seinen Friedensarbeiten gehindert, die aufgetauchten Probleme mit genügender Breite und mit genügender literarischer Sorgfalt zu behandeln. Er ist jedoch überzeugt, dass die Gedanken, die sich ihm bei der Lektüre der Berichte über die Entwicklung der deutschen Partei aufdrängten, zur Lösung der Fragen durch die VKPD beitragen werden. Die Anhäufung der Arbeit erlaubte ihm nicht, in allen Fragen Rücksprache mit anderen Mitgliedern der Exekutive der Kommunistischen Internationale zu nehmen. Er bittet deshalb seine Auffassung als eine persönliche anzusehen, besonders, was die letzten zwei Kapitel der Broschüre anbetrifft.

Moskau, den 18. April 1921.

Karl Radek.

1.

Der Vereinigungsparteitag.

Am 6. Dezember 1920 zogen die deutschen revolutionären Arbeiter die Bilanz zweier Kampfjahre. Zirka 100.000 Arbeiter aus dem alten Spartakusbund, die im Dezember des Jahres 1918 aus der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands ausgeschieden sind, um als Kommunistische Partei selbständig den Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft und den kapitalistischen Staat zu beginnen, vereinigten sich mit der Mehrheit der unabhängigen Arbeiter, die in jener Schicksalsstunde der deutschen Revolution noch nicht die Einsicht und die Kraft gefunden hatte, um sich um das Banner der Kommunistischen Revolution zu scharen, aber nach zweijährigen Erfahrungen zum Kommunismus kam. Die Avantgarde des Proletariats vereinigte sich auf diesem Parteitag zwar noch nicht mit der großen Mehrheit des Proletariats, aber schon mit einer Masse von großem Schwergewicht. Abseits blieb der Teil revolutionärer Arbeiter, der sich von der KPD abgetrennt hat, als nach den Niederlagen des Januar und des März 1919 die schwachen Stoßtruppen sich vor dem Feinde zurückziehen mussten, um in aktiver Verteidigung mit dem Angriff den Moment abzuwarten, wo die großen Massen der proletarischen Infanterie heranrücken werden. Mit Misstrauen blickte der kleine revolutionäre Trupp, der den Franktireurkrieg für die einig mögliche Aufgabe der Avantgarde hielt, auf die Vereinigung. Weil er revolutionär und klein war, so misstraute er der großen Masse; er glaubte, die Revolution ende dort, wo die große Masse beginne. Und in seinem Misstrauen wies er darauf hin, dass unter den Hauptleuten der in Vereinigung begriffenen Kommunistischen Parteien sich nicht nur die befanden, die die VKPD aus den Vorpostengefechten zurückgezogen haben, um sich vorerst zu verschanzen und einzubuddeln, sondern auch Genossen, die bis vor kurzem an der Spitze der USPD standen. „Einigungsrummel“ nannten verächtlich die Verärgerten das Werk der proletarischen kommunistischen Einigung, und sie prophezeiten, dass die so gebildete Partei eine scheinkommunistische sein werde.

Mit sicherer Zuversicht blickte die Kommunistische Internationale auf die Vereinigung der KPD mit der linken USPD Nicht darum, weil sie als Pate bei dieser Vereinigung stand, sondern darum, weil diese Vereinigung auf den Lehren einer zweijährigen Revolution basierte, weil diese Vereinigung ein Resultat der Umschmelzung großer Massen des deutschen Proletariats im Feuer der Revolution selbst war. Die Kommunistische Internationale war wohl der Pate, aber die Eltern des neuen Kindes waren die Diktatur der Weißen und der Zorn der erwachenden proletarischen Massen Deutschlands.

Die feste Zuversicht, das Vertrauen zur neu gegründeten Partei, machte natürlich keinen erfahrenen Kommunisten blind gegenüber der Tatsache, dass die neue Partei nicht nur Ihre eigenen Kinderkrankheiten durchmachen muss, sondern auch gewisser Traditionen, Krankheitskeime, die sie mit in die Welt brachte, ausscheiden muss, falls sie eine wirkliche Kommunistische Kampfespartei werden soll. Diese Krankheitskeime bestanden ebenso im alten Spartakusbund, oder besser gesagt, in seiner Führerschaft und seinem Organisationstypus, — wie auch in der sich empirisch vom Zentrumsmann zum Kommunisten entwickelnden Führerschaft der linken USPD Schon die einfache Tatsache, dass von der Anerkennung der Lehren, programmatischer und taktischer Leitsätze des Kommunismus bis zu ihrer Ausführung ein weiter Weg führt, musste in allen verantwortlichen Kommunisten die Überzeugung schaffen, dass eine Zeitspanne notwendig sein wird, bis die VKPD sich zur wirklichen kommunistischen Partei entwickelt.

Schon der Einigungskongress zeigte das Wesen der Schwierigkeiten, mit denen die Partei zu kämpfen haben würde. Die Tagesordnung des Einigungskongresses enthielt alle die Fragen, die — sei es auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale, sei es auf den Kongressen des Spartakusbundes — erledigt waren. Sollte der Vereinigungsparteitag die Aufgabe haben, den schon angenommenen Entschließungen den neuen Stempel aufzudrücken?

Im letzten Augenblick wurde auf die Tagesordnung des Kongresses die Arbeitslosenfrage gestellt als die wichtigste Aktionsfrage, aber behandelt wurde diese Frage als propagandistische Frage. Der Kongress stellte keine Leitsätze dafür auf, wie aus dieser Frage der Hebel des revolutionären Kampfes zu machen ist, und in der Diskussion, die sich an fast alle Punkte der Tagesordnung anknüpfte, war immerfort ein Unterton bemerkbar, ein Unterton der Unzufriedenheit, die da fragte, wie mobilisieren wir die Partei, was tun wir? Das Manifest, das der Kongress an die deutschen Proletarier erließ, erklärte, die Partei werde die Partei der kommunistischen Aktion sein. Es sagte:

Die KPD als kleine Partei suchte in die großen Arbeiterorganisationen zu gelangen, um dort den Massen die Bedeutung des Kommunismus als „Lehre von den Bedingungen des Befreiungskampfes des Proletariats“ um mit Engels zu sprechen, praktisch an ihren Aktionsvorschlägen zu demonstrieren. Aber Massenaktionen konnte sie selbst nicht unternehmen, weil sie keine Massen hinter sich hatte. Gelang es ihr nicht, für ihre Aktionsvorschläge die USPD zu gewinnen, so musste sie sich auf die kritische Propaganda beschränken. Die Vereinigte Kommunistische Partei hat Kraft genug, um, wo die Ereignisse es erlauben oder es fordern, auf eigene Faust in Aktionen zu treten. Sie will in den Gewerkschaften, in den Betriebsräten die Hunderte, Tausende ihrer Mitglieder und die weiteren Hunderttausende ihrer Anhänger in Fraktionen zusammenfassen, sie will durch ihre Presse und ihre Aufrufe die engste Verbindung mit den denkenden Massen herstellen, ihrer Not Ausdruck verleihen, den breitesten Volksmassen das Bewusstsein dieser Not und der Möglichkeit ihrer Überwindung geben, und sie wird fähig sein, Aktionen des Proletariats auszulösen, oder sich an die Spitze der spontan entstehenden Aktionen zu stellen.“

Die Partei bekannte sich zur proletarischen Aktion. Die Frage war nur, wie diese Aktion vorzubereiten und zu führen ist. Die Resolutionen des Kongresses gaben als Antwort nur eine Frage. Sie zeigten in der Behandlung der Gewerkschaftsfrage, dass die VKPD versteht, dass zu dieser Aktion die großen Massen der Proletarier notwendig sind, die noch außerhalb der Kommunistischen Partei stehen, dass diese Massen gewonnen werden müssen dadurch, dass die Kommunisten sich in dem täglichen Kampf der Gewerkschaften als der proletarische Vortrupp bewähren: d. h., nicht als die Propagandisten der Revolution, sondern als die Vorkämpfer der Arbeitermasse in allen ihren täglichen Nöten. Der Kongress zeigte den allgemeinen Weg. Und Genosse Thalheimer schrieb mit Recht am 9. Dezember in der „Roten Fahne“: „Die Kommunistische Partei hat vor sich einen Abschnitt, in dem die Kräfte für die revolutionären Massenaktionen sich erst sammeln, in dem die einzelnen Spannungen sich erst häufen müssen, damit der revolutionäre Zusammenprall in voller Breite sich auslöse. Die Partei kann dieses Vorstadium revolutionärer Massenaktionen nicht willkürlich überspringen, aber sie kann es abkürzen; sie muss es abkürzen. Das ist die allgemeine Aufgabe, vor die sie unmittelbar gestellt ist.“

Der erste Monat der Entwicklung der Partei war der Monat des Suchens und des Tastens danach, wie die sich anzeigenden Spannungen zusammenzufassen sind, wie das Vorstadium der revolutionären Aktion abzutasten sei. Die Spannungen waren in erster Linie ökonomischer Art. Die ökonomische Lage Deutschlands schilderte das Manifest des Kongresses als die des Zerfalls, in dem die Führer der Bourgeoisie alle Lasten des Zerfallsprozesses den Massen des Proletariats aufzubürden suchen. Dass es sich dabei nicht um revolutionäre Übertreibungen handelte, zeigt am besten der in derselben Zeit geschriebene Jahresbericht der Handelskammer zu Berlin, der folgenden Überblick über die allgemeine Wirtschaftslage im Jahre 1920 gibt:

Die Hoffnung, dass im zweiten Jahre der neuen Staatsform und der sozialen Umwälzung größere Stetigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung und ungehemmte Auswirkung aller produktiven Kräfte einsetzen würden, hat sich nicht erfüllt, vielmehr wird man vergeblich in den zurückliegenden Zeiten deutscher Wirtschaftsgeschichte ein Gegenstück gleicher Bedrängnis von außen und gleichen Widerstreits der Gewerbegruppen gegeneinander suchen, wie sie das abgelaufene Jahr geboten hat. Wohl waren Ansätze eines stärkeren Willens zur Arbeit und zum Wiederaufbau bemerkbar, allein dieser Wille zerschellte an den mit elementarer Gewalt sich geltend machenden Folgen des verlorenen Krieges und der Revolution. Wir befinden uns daher am Schlusse des zweiten Jahres nach Beendigung des Krieges in derselben Ungewissheit und Unsicherheit, wie nach dem inneren und äußeren Zusammenbruch von 1918; es fehlen die Voraussetzungen und der feste Boden für eine ersprießliche wirtschaftliche Betätigung, es fehlt jede Übersicht über die künftige Gestaltung und jede sichere rechnerische Grundlage.“

In den Tagen, wo die Bourgeoisie ihr Lied vom Frieden auf Erden anstimmte, sammelten sich in den proletarischen Vierteln von Berlin die Arbeitslosen. Sie standen unschlüssig vor den Toren der Fabriken, wartend, ob sie sich für sie nicht öffnen werden, ob sie ihnen nicht Einlass gewähren und die Aussicht auf ein Stück Brot. Sie sammelten sich vor den überfüllten Läden mit dem bohrenden Gefühl des Schmerzes, dass dies alles zwar von ihnen, aber nicht für sie geschaffen sei. Die Arbeitslosenfrage stand nicht nur vor der kapitalistischen Gesellschaft, sie stand drohend vor der Kommunistischen Partei als die Frage, zu der es in erster Linie Stellung zu nehmen hieß. Die Partei nahm zu ihr Stellung, praktisch und theoretisch, in einer Weise, die zeigte, dass sie sich noch nicht sehr dessen bewusst ist, wie das revolutionäre Vorstadium abzukürzen sei.

II.

Die VKPD und die KAPD

Zwei Wochen war die Kommunistische Partei Deutschlands alt, als der Genosse Levi am 24. Dezember den Artikel in der „Roten Fahne“ veröffentlichte, in dem er zu beweisen suchte, die VKPD befinde sich in einer „unhaltbaren Situation“ der Exekutive der Kommunistischen Internationale gegenüber. Für den Beginn der Existenz der VKPD ein nicht schlechtes Prognostikum, von ihrem Vorsitzenden selbsthändig aufgestellt. Der Artikel klagte in beweglichen Tönen über den „Geniestreich“, den die Exekutive begangen habe, indem sie die KAPD als eine sympathisierende Partei der Kommunistischen Internationale anerkannt hat. In diesem Artikel erklärte Levi, von nun an werde die deutsche Arbeitermasse nicht mehr wissen, was eigentlich die Meinung der Kommunistischen Internationale sei, denn die Sektion der Kommunistischen Internationale werde so, die „sympathisierende Partei“ anders sagen. Und er suchte weiter zu beweisen, diese sympathisierende Partei, wie auch die Syndikalisten, sei so wenig gesittet, dass, was ein anständiger Kommunist sein will, sich mit ihr „Unter den Linden“ nicht zeigen kann, ohne sich zu kompromittieren. Er erklärte der Kommunistischen Internationale, sie solle, wenn sie an der VKPD keinen Gefallen finde, das Verhältnis zu ihr lösen und sich ein neues, gutes beschaffen. Aber ein festes Verhältnis solle es sein, und nicht zwei. In einem offiziellen Briefe an die Exekutive, der von den beiden Vorsitzenden der Partei gezeichnet ist und mit dessen Absendung sie es so eilig hatten, dass sie ihn weg sandten, ohne der Zentrale Zeit zu geben, ihn zu lesen, wird das Capricioso der Levischen Muse in Punkte zerlegt, in eine Reihe von Argumenten gekleidet, die dann Genosse Levi in einer Reihe von Artikeln und in einer Rede, die er am 8. Februar vor den Berliner Vertrauensleuten der Partei hielt, zu einer allgemeinen Theorie des Verhältnisses der Kommunistischen Internationale zu den so genannten linken Elementen ausbaute. Mit dieser Theorie gilt es sich hier auseinanderzusetzen, weil sie, in dieser oder jener Form in dem Bewusstsein der VKPD verbleibend, die Partei unfähig machen wird zur Lösung einer der wichtigsten Fragen ihres Lebens.

Genosse Levi gibt zu, dass die Kommunistische Internationale sich nicht darauf beschränken könne, eine Verbindung der Kommunisten darzustellen, weil sie die Internationale nicht der Propaganda, sondern die Internationale der proletarischen Weltpolitik ist. So müsse sie natürlich versuchen, alle die Elemente zusammenzufassen, die gegen die Herrschaft des Kapitals den Ansturm führen. In Westeuropa und in Nordamerika sind es proletarische Elemente, in Osteuropa und Asien sind es zum Teil halbproletarische oder direkt bäuerliche Elemente. Da die Aufstände in Indien, der Kampf der türkischen Nationalisten, der persischen Demokraten nicht minder die Axt an die Wurzel des englischen Kapitalismus legt, wie die Streiks der englischen Kohlenhauer, so müsse die Kommunistische Internationale auch zu diesen nichtproletarischen Bewegungen in ein Verhältnis kommen. Sie könne sie natürlich nicht als Mitglieder annehmen und ihnen das Recht geben, die Taktik der proletarischen kommunistischen Parteien mit zu bestimmen. Aber ein loses Verhältnis zu ihnen liege im Interesse der proletarischen Weltrevolution. Dieses lose Verhältnis könne darin bestehen, dass revolutionäre, nicht proletarische Parteien eventuell als sympathisierende der Kommunistischen Internationale angegliedert werden. Damit ist, wie gesagt, Genosse Levi einverstanden. Sein Protest beginnt dort, wo die Grenze Sowjetrusslands verläuft, wo Mitteleuropa, die Länder des alten Kapitalismus, beginnen. Hier, erklärt Genosse Levi, gehe der Kampf um den Kommunismus, und nur wer Kommunist ist, ist revolutionär. Und die Kommunistische Internationale dürfe darum hier nur bewusste Kommunisten aufnehmen.

Dies klingt sehr bestechend und sehr marxistisch. Es verbirgt aber eine vollkommen unmarxistische Verkennung des wirklichen Bildes der Entwicklung der Weltrevolution. Die erste Frage, die sich ergibt, lautet: Wer ist Kommunist? Genosse Levi wird darum, wenn er sein Ziel erreichen will, erklären müssen: Kommunist ist, wer bewusst die Methode des Marxismus auf die gegebene historische Situation anwendet und gemäß den Ergebnissen dieser seiner Untersuchung seine Politik einstellt. Kurz und gut: Kommunist ist, wer die Resolutionen des Zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale anerkennt. Demnach scheiden als Kommunisten Anton Pannekoek, Hermann Gorter und Henriette Roland-Holst von vornherein aus. Diese Genossen waren zwar uns allen bekannt als sehr gute Marxisten. Sie sind aber so verbiestert, dass sie ihren Marxismus auf die jetzige Epoche nicht nur schlecht anwenden, sondern uns derselben Sünde anklagen. Nun, man könnte den Verlust der „Holländischen Schule“ (so nennt sich eine Sammlung sehr dünnflüssiger Produkte des Geistes dieser Dreieinigkeit, die als vierte Nummer des „Proletarier“ erschienen ist, eines Organs, für das keine Partei verantwortlich zeichnet, das aber unter dem Protektorat der KAPD steht) wirklich verschmerzen, wie hoch man auch die genannten Genossen schätzt. Aber das, was die genannten Genossen als Geist verzapfen, widerspiegelt nicht nur ihre vollkommene Isoliertheit von irgendeiner proletarischen Massenbewegung, — was erklärlich ist angesichts der Lage in der holländischen Arbeiterbewegung und der Tatsache, dass sie sich praktisch mit der Astronomie, Philologie und anderen Künsten beschäftigen, nicht aber mit dem harten Kampfe des Proletariats. Leider fällt das Produkt der geistigen Isoliertheit dieser marxistischen Gruppe zusammen mit der Geistesverfassung proletarischer Teile, die durch den Zusammenbruch der Zweiten Internationale mit vollkommenem Misstrauen zu jeder politischen Partei und zu den Gewerkschaften erfüllt sind. Und die Tatsache, dass die KAPD, die doch einen Kern guter revolutionärer Arbeiter enthält — dies gibt auch Genosse Levi zu — mangels eigener Theoretiker diese Genossen zu ihren Wortführern wählt, und dass ihre Theorie auch den Auffassungen eines Teils revolutionärer Proletarier in England entspricht, müsste schon vor der Erklärung warnen, dass dies keine Kommunisten und keine Revolutionäre seien. Aber gehen wir weiter! Wie sieht es aus in allen romanischen Ländern und in den angelsächsischen Ländern, wie kann man dort einen Stamm geschulter Marxisten finden, denen wir nur zu helfen hätten, die in langer geistiger und politischer Arbeit erworbene Kenntnis der marxistischen Methode nun auf die jetzige Epoche anzuwenden. Dieser marxistische Stamm existiert in den romanischen und angelsächsischen Ländern nicht. Was sich als Marxismus in Italien, Frankreich, Amerika vor dem Kriege präsentiert hat, ging während des Krieges mit fliegenden Fahnen in das Lager des Sozialpatriotismus über; wodurch diese Elemente bewiesen, dass sie im Kampfe gegen den Anarchismus und Syndikalismus die marxistische Theorie nur missbrauchten zur Verheimlichung des Wesens ihrer Politik, zur Verhüllung ihres Opportunismus. In den romanischen und angelsächsischen Ländern bildeten die syndikalistischen Massenorganisationen des Proletariats den revolutionären Kern. Und es ist auch jetzt klar, dass — mögen sich ihre Führer noch so sehr gegen die Theorie der Kommunistischen Internationale wenden — die Kommunistische Internationale auf eine Annäherung dieser Elemente hinarbeiten muss, dass sie die Pflicht hat, alles zu tun, um sich in lebendiger Aktion mit ihnen zu verbinden und ihnen zu helfen, sich von den syndikalistischen Einseitigkeiten und Schrullen zu befreien. Das hat der Zweite Kongress der Kommunistischen Internationale ohne den Widerspruch von irgendwelcher Seite anerkannt, indem er Mitglieder der IWW, Vertreter der spanischen Syndikalisten, Vertreter der Shopstewards zu seinen Beratungen zuließ. Indem Genosse Levi dagegen nicht protestierte und es auch jetzt mit saurer Miene als richtig anerkennt, wirft er seine, allgemeine Theorie (in Westeuropa sei nur der Kommunist revolutionär) über den Haufen.

Aber vielleicht hat er im nationalen deutschen Maßstabe Recht? Vielleicht muss man von der allgemeinen Linie der Kommunistischen Internationale den syndikalistischen Elementen gegenüber in Deutschland, wo der Syndikalismus schwach, unbedeutend, der Marxismus aber stark und einflussreich ist, abweichen. Genosse Levi bejaht diese Frage. Wir verneinen sie auf das Entschiedenste, weil die Voraussetzungen des Standpunktes des Levis unrichtig sind. Welcher Marxismus ist in Deutschland stark, fragen wir. Wenn es sich um die geistigen Kräfte des alten deutschen Marxismus handelt: diese sind überwiegend auf der Seite der Verräter des Sozialismus. Sie sind im Lager der abhängigen und unabhängigen Sozialdemokratie. An führenden marxistischen Kräften ist der deutsche Kommunismus außerordentlich arm. Aber der Marxismus war natürlich mehr als eine literarische Schule. Seine Bedeutung in Deutschland bestand in der politischen und organisatorischen Schulung der Massen. Nun, wer wird und wer kann leugnen, dass die überwältigende Mehrheit der alten sozialdemokratischen Mitgliedschaften entweder der Sozialdemokratie oder den Unabhängigen angehören, die so in den alten geistigen Formeln versteinert und praktisch so passiv sind, dass sie sich zu einer revolutionären Politik nicht aufraffen können. Die überwiegende Mehrheit der proletarischen Massen, die der Kommunistischen Partei Deutschlands angehören; besteht aus Proletariern, die durch den Krieg aufgerüttelt, durch die Revolution zum politischen Leben erwacht sind. Die USP wurde eine Millionenpartei nicht auf Kosten der SPD, von der sie vielleicht mit 200 Mitgliedern wegging, sondern durch Zuzug frischer proletarischer Elemente. Und die hunderttausend Spartakusleute bestanden nur zu einem geringen Teil aus den alten linksradikalen Stoßtruppen der Partei, sie bestanden in ihrer Mehrheit aus den Elementen, die erst unter dem Donner der Revolution ins politische Leben eintraten. Die Sozialdemokraten suchen daraus der Kommunistischen Partei einen Strick zu drehen, sie als die Partei unaufgeklärter Massen darzustellen. Wir brauchen uns darüber natürlich keine grauen Haare wachsen zu lassen. Wir erheben keine Ansprüche auf die sozialdemokratische Legitimität. Umgekehrt, wir sehen in dieser unserer Formierung aus neuen proletarischen Massen einen Vorzug, denn die alten Mitgliedschaften der Sozialdemokratie bestanden zum großen Teil aus einer kampfunfähigen Arbeiteraristokratie, und das Wesen der Revolution besteht eben darin, dass sie neue Schichten des Proletariats erhebt und in den Kampf führt. Aber wenn dem so ist, und es ist so, so ist es klar, dass die syndikalistischen Krankheiten keinesfalls auf die Gruppen des Proletariats beschränkt sind, die den syndikalistischen Organisationen oder der KAPD angehören. Wir haben die Krankheit des Syndikalismus in allen seinen Formen im Jahre 1919 in der schärfsten Art in der KPD durchgelebt und haben die syndikalistische Krankheit nicht überwunden, sondern die von ihr ergriffenen Teile unseres Parteikörpers amputiert. Diese Teile haben sich zur KAPD zusammengefasst und haben unter dem Einfluss der weiteren Lehren der Revolution eine große Entwicklung. durchgemacht. Sie haben mit Laufenberg, Wolffheim und Rühle die Elemente abgestoßen, die teils zur Negation der Partei und teils zur Negation des Bürgerkrieges gekommen sind. Die Teile des Proletariats, die als KAPD existieren, sind noch weit entfernt von dem, was wir für marxistischen Kommunismus ansehen. Da sie sich dazu weder der Disziplin unserer Partei noch der der Kommunistischen Internationale fügen wollen, so können sie nicht als vollberechtigte Mitglieder weder der VKPD noch der Kommunistischen Internationale angehören. Aber dass sie proletarisch und revolutionär-kommunistisch in ihrem Wollen sind, haben sie eben dadurch bewiesen, dass sie den Mut fanden, mit Laufenberg, Wolffheim und Rühle zu brechen. Gleichzeitig unterliegt es keinem Zweifel, dass es in der VKPD viele Elemente gibt, die in manchen ihrer Gedankengänge der KAPD verwandt sind; sei es im Misstrauen zur Parteizentralisation, sei es in der Unfähigkeit, die Bedeutung der Übergangsforderungen zu verstehen. Aber noch wichtiger als alle diese Tatsachen, die uns schon warnen müssten vor der Politik des Bruches mit allen diesen Elementen, ist die Perspektive der Entwicklung.

Der Prozess der kapitalistischen Zersetzung schreitet fort. Er reißt immer breitere Massen des Proletariats in die Reihen der Arbeitslosen hinein, er verelendet die Kurzarbeiter, er erzeugt in allen diesen Massen eine dumpfe Stimmung des Verzagens oder des Verzweifelns, die den Boden bildet für alles das, was man als KAP-Geist charakterisieren kann. Können wir, sollen wir auf einen Bruch mit diesen Elementen ausgehen, weil ihre soziale Lage ihnen nicht erlaubt, sich geistig einzustellen auf die wohlerwogene, allseitige Orientierung des Marxismus, der seine Politik aufbaut auf klarer Erkenntnis und nicht auf Stimmungen? Wir würden nicht imstande sein, als revolutionäre Partei zu handeln und die Revolution zum Siege zu führen, wenn wir nicht verstehen würden, diese Elemente als einen Hebel der Revolution zu gebrauchen.

Die Frage vom Verhältnis zur KAPD ist die Frage vom Verhältnis zu diesen Elementen. Und Genosse Levi führt nicht nur den Kampf gegen die Aufnahme der KAP als sympathisierende Partei in die Kommunistische Internationale, diese formelle Frage ist ein Symptom seiner Unfähigkeit, in ein Verhältnis zu gelangen zu den revolutionären Massen, die vom Kapitalismus jetzt in seinen Mælstrom ergriffen, in wirren Bewegungen, gegen ihn sich aufbäumen. In der Zeit, wo es galt, die Partei vorzubereiten, die Arbeitslosenfrage als die wichtigste Aktionsfrage aufzufassen, veröffentlichte Genosse Levi in der Nummer 26 der „Internationale“ einen Artikel über den Parteitag der Kommunistischen Partei, in dem er in einem Rückblick auf die Geschichte der Partei erklärte, sie habe bei ihrer Gründung zu wenig sich dagegen gewehrt, dass sich an ihre Fersen lumpenproletarische Elemente angeheftet haben. Diese erstaunliche Entdeckung, die er durch nichts beweisen kann, gibt ihm Anlass zu folgenden politischen Erwägungen:

Auch damit ist eine grundsätzliche Frage aufgeworfen worden, die damals nicht genügende Beachtung fand. Wir sagen durchaus nicht, dass eine Kommunistische Partei Bewegungen auch des Lumpenproletariats als nicht existierend betrachten solle und sagen durchaus nicht, dass das Proletariat unter allen Umständen dazu verpflichtet sei, Bewegungen dieser ganzen Klasse aus eigenen Kräften niederzuschlagen. Aber von einem sind wir allerdings tief überzeugt: jede auch nur moralische Gemeinschaft mit lumpenproletarischen Elementen muss von Seiten einer Kommunistischen Partei gemieden werden im Interesse des Einflusses dieser Kommunistischen Partei auf die proletarische Klasse selbst. Das allein, der Einfluss auf die proletarische Klasse, ist für diesen Standpunkt das Entscheidende und es kommt ganz und gar nicht etwa dafür in Betracht, dem Bedürfnis der Moralität bürgerlicher Kaffeeschwestern entgegenzukommen.“

Über welche Probleme zerbricht sich der Genosse Levi seinen Kopf! Wie gut, dass er die Kommunistische Partei nicht für verpflichtet hält, unter „allen Umständen“ die Bewegungen des Lumpenproletariats aus eigenen Kräften niederzuschlagen! Würde er dieser Auffassung sein, so müsste er den Antrag stellen auf Gründung einer Kommunistischen Wachgesellschaft zur Verhütung der Einbrüche in den Villen der Schieber und zur Verteidigung der luxuriösen Laden der Bourgeoisie vor einem armen Teufel von Arbeitslosen, der vielleicht das lumpenproletarische Gelüste nach einer Wurst in sich aufsteigen fühlt und, wenig marxistisch gebildet wie er ist, darüber keine Thesen schreibt, sondern nach der Wurst zugreift.

Diese Tatsache, dass sich Genosse Levi zu den Elementen des Proletariats, die tagtäglich zu dem Lumpenproletariat hinunter gestoßen werden, jetzt schon in einem Verhältnis befindet, das ihn nicht nötigt, darüber nachzudenken. wie wir diese Elemente zu dem Kampfe gegen den Kapitalismus zusammenfassen, sondern ihm erlaubt, jetzt darüber nachzudenken, unter welchen Umständen das Proletariat genötigt sein wird, aus eigenen Kräften diese Elemente zu bekämpfen — diese Tatsache ist der Schlüssel zur Haltung Levis den linken Elementen gegenüber. Diese Haltung ist ein Erbstück der alten Sozialdemokratie, die ebenso wenig mit den Arbeitslosen, mit den deklassierten Elementen des Kapitalismus etwas anzufangen verstand, wie der Kapitalismus selbst. Sie ist ein Erbstück der Angst der opportunistischen Führer vor diesen turbulenten revolutionären Elementen.

Und dieser Standpunkt Levis ist kein vereinzelter. Wenn dieser Standpunkt nicht vielen führenden Parteiorganisatoren eigen wäre, wäre es unverständlich, warum die VKPD so scheu, so unbeholfen an die Arbeitslosenfrage herangeht. Und damit stehen wir bei der ersten Krankheitserscheinung, die schon die ersten Wochen der Parteiexistenz aufdeckten: bei der Unfähigkeit der Partei, eine wichtige Frage der Revolution zur revolutionären Aktion auszugestalten. Wir stehen vor der Unfähigkeit der Partei, den Opfern des Kapitalismus den Glauben beizubringen, dass der Kampf gegen ihn möglich ist und dass wir ihn führen wollen. Die VKPD hat noch nicht verstehen gelernt, dass man keine Revolution siegreich durchfechten kann, ohne die Tiefen der kapitalistischen Gesellschaft in Bewegung zu setzen. Das ist die Hauptsache bei der Frage der KAPD. Würde die VKPD entschlossen revolutionär an die Frage der Arbeitslosen herantreten, sie als eine der wichtigsten organisatorischen und politischen Fragen behandeln, sie würde es leicht haben, die KAPD aufzusaugen und brauchte sich nicht mit der Frage abzuquälen, ob es schicklich ist, dass die Kommunistische Internationale in Deutschland neben ihrer Sektion eine sympathisierende Partei besitzt.

III.

Der Kampf um die rechts stehenden Arbeitermassen.

Die große Mehrheit der deutschen Arbeiter steht noch rechts von der Kommunistischen Partei. Sie ist natürlich tief unzufrieden mit ihrer Lage. Sozialdemokratische Arbeiter drücken ihre Stimmung in den Spalten des „Vorwärts“ nicht anders aus als es kommunistische Arbeiter in unserer Presse tun. Aber diese Massen sind überzeugt, dass die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse einstweilen unmöglich ist, dass die Proletarier zu schwach sind, die eroberte Macht zu halten, und sie fürchten die Entbehrungen des Kampfes. Sie halten das kommunistische Ziel, die Eroberung der politischen Macht, für eine Utopie, und sie sind bereit, nur für die nächsten Ziele in den Kampf zu treten. Sie sind voll demokratischer Illusionen. Sie hoffen noch immer, dass sie ohne die kapitalistische Herrschaft zu stürzen ihre Lage bessern könnten gleichzeitig sehen sie in den Kommunisten willkürliche Spalter der proletarischen Bewegung. Würden die Kommunisten das Proletariat nicht gespalten haben, würden die Arbeiter einig sein, dann hätten sie eine Mehrheit in der Regierung und alles wäre gut. So wendet sich die Unzufriedenheit der rechts stehenden Arbeitermassen nicht so sehr gegen die kapitalistische Regierung, nicht so sehr gegen die Unabhängigen, die jedem ernsten Kampf ausweichen, wie gegen die Kommunistische Partei, die einzige konsequente Vertreterin der Klasseninteressen des Proletariats.

in den zwei Jahren, der deutschen Revolution gelang es schon auf Grund der Erfahrungen des Bürgerkrieges, auf Grund der Politik der Sozialdemokraten und Unabhängigen, große Teile der rechts stehenden Arbeiter von .ihren Parteien, von der Sozialdemokratie und Unabhängigen Sozialdemokratie, abzuspalten und ins Lager der Revolution zu bringen. Die Spaltung der Unabhängigen in Halle war eine Etappe in dieser Entwicklung. Was sich an revolutionären Elementen in dieser Partei angesammelt hat, das stieß in Halle zur Partei der sozialen Revolution. Damit soll nicht gesagt werden, dass alle in der Unabhängigen Sozialdemokratie verbliebenen Arbeiter Konterrevolutionäre sind, unwillig überhaupt zu kämpfen. So liegt die Sache nicht, aber es ist sicher, dass die Elemente, die in der Unabhängigen Sozialdemokratie geblieben sind, nicht gewillt sind, für die Diktatur des Proletariats zu kämpfen. Es ist klar, dass sie noch nicht imstande sind, sich der internationalen Front des Proletariats einzureihen. Ihre Ablehnung der „Moskauer Diktatur“ ist nichts anderes, als ein Ausdruck dieses Zustandes. In dieser Situation ist es klar, dass, falls diese Masse nicht in Bewegung gebracht wird durch irgendwelche sie vollkommen erschütternde, äußere Ereignisse, man in Deutschland auf keine spontanen unorganisierten Bewegungen rechnen kann. Zehn Millionen Arbeiter gehören den freien gewerkschaftlichen Organisationen an. Sie schauen auf die Führer dieser Organisationen, hören auf ihre Losungen. Die Sozialdemokratie und die Unabhängige Sozialdemokratie stärken die Autorität der Gewerkschaftsführer, indem sie das dumpfe Gefühl der Arbeitermasse von der Notwendigkeit der Solidarität, von der Notwendigkeit des organisierten Vorgehens einem starken ausgezeichnet organisierten Gegner gegenüber, zum Mittel machen, die großen Massen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter vollkommen den konterrevolutionären Führern auszuliefern. In dieser Situation muss die kommunistische Strategie darauf gerichtet sein, diese breiten Arbeitermassen davon zu überzeugen, dass die Gewerkschaftsbürokratie und die sozialdemokratischen Parteien nicht nur um die Arbeiterdiktatur, sondern auch um die gewöhnlichsten täglichen Interessen der Arbeiter nicht kämpfen wollen. Wie kann dieses Bewusstsein den Arbeitern beigebracht werden? Auf dem Wege der Propaganda. Die Propaganda und die Agitation müssen anknüpfen an die tagtäglich sich vor den Augen der Arbeitermasse abspielenden Vorgänge. Die Hauptaufgabe der Kommunisten besteht also darin, in den Gewerkschaften nicht nur kommunistische Propaganda zu führen, sondern sich als die energischsten, umsichtigsten Kämpfer für die Tagesinteressen der Arbeiterschaft zu erweisen. Nur wenn tagtäglich der Arbeiter, der mehrheitssozialdemokratische und unabhängige sozialdemokratische Arbeiter sieht, dass die Kommunisten nicht nur von der Diktatur zu sprechen wissen, sondern in der Lohnfrage, Arbeitszeitfrage, in der Frage des Kampfes gegen die Spekulation, gegen die Wohnungsnot, die energischsten und sachkundigsten Vertreter der Arbeiterinteressen sind, wenn er sieht, dass dagegen in all diesen Fragen die Gewerkschaftsbürokratie vollkommen versagt, nur dann wird es gelingen, die Autorität der Gewerkschaftsbürokratie zu zerstören, die Gewerkschaften den neuen Bedürfnissen des Kampfes anzupassen und sie aus Instrumenten konterrevolutionärer Bindung der Arbeiterklasse zu Organisatoren des revolutionären Kampfes zu machen. Nur wenn die Kommunisten als Verteidiger der einfachsten Arbeiterinteressen, die allen Arbeitern gemeinsam sind, auftreten, können sie das Odium der Spaltungspolitik, das sie momentan von einem großen Teil der proletarischen Masse trennt, von sich abwälzen, und denen zuweisen, die die wirklichen Spalter der Arbeiterklasse sind, den Sozialdemokraten und den Unabhängigen.

Diese Gedankengänge bildeten die Grundlage der Stellungnahme der deutschen Kommunisten seit dem Augenblick, wo sie im Sommer des Jahres 1919 der Idee des Austrittes aus den Gewerkschaften entgegentraten. Diese Idee fand ihren Ausdruck in der Taktik des Offenen Briefes vom 8. Januar 1921. Die Zentrale der Kommunistischen Partei wandte sich offen an die beiden sozialdemokratischen Parteien, an die KAPD, an den Gewerkschaftsbund, die Syndikalisten und die Arbeiterunionen mit dem Vorschlag des gemeinsamen Kampfes um eine Reihe der brennendsten, unaufschiebbarsten Bedürfnisse der Arbeitermasse. Obwohl gegen diesen Schritt, als er in der Zentrale vom Vertreter der Exekutive angeregt wurde, eine Reihe von Einwänden seitens eines Teiles der früher linksunabhängigen Genossen erhoben wurde, wurde er von der Konferenz der Bezirkssekretäre einstimmig gutgeheißen, und in der Partei erhob sich gegen diese Taktik keine einzige Stimme. Heftig wurde dieser Schritt von der KAPD bekämpft und ein Teil ausländischer Genossen hielt ihn für bedenklich. Ihre Argumente bewegten sich teils in derselben Richtung wie die der Presse der KAPD, teils in der Richtung, diese Taktik sei eine künstliche. Darum wird es angezeigt sein, die Zweifel, von denen oben gesprochen wurde, zu besprechen, denn es unterliegt für mich gar keinem Zweifel, dass der am 8. Januar eingeschlagene Weg richtig ist, dass er auch in anderen Ländern, wo es starke Gewerkschaften und starke sozialdemokratische Parteien gibt, die Methode darstellt, die uns am leichtesten neue proletarische Massen zutreibt.

Um mit dem Vorwurf der Künstlichkeit zu beginnen, so konnte er nur von Genossen erhoben werden, die die von ihnen akzeptierten taktischen Grundlinien (die Arbeit in den Gewerkschaften, Parlamenten und Kommunen) konkret in ihren Konsequenzen nicht durchdacht haben. Wenn wir uns in den Gewerkschaften und öffentlichen Vertretungen nicht mit der Agitation der Grundsätze des Kommunismus begnügen wollen, so müssen wir doch für konkrete Forderungen, für konkrete Aktionen eintreten. Zu diesen Aktionen, wenn sie siegreich sein sollen, gehören breitere Massen als die, die sich jetzt schon zum Kommunismus bekennen. Diese Massen stehen aber unter dem Einfluss der gewerkschaftlichen Bürokratie und der sozialdemokratischen Parteien. Wenn wir sie also für die Aktion gewinnen wollen, so müssen wir erstens Forderungen aufstellen, deren Erfüllung die Arbeitermasse für unumgänglich hält, zweitens müssen wir versuchen, für diese Forderungen die Organisationen zu gewinnen, die in den Augen der breiten Masse als legale Leiter der Aktionen gelten. Wir müssen uns also an die Gewerkschaftsbürokratie wenden mit der Forderung der Aktion. Erst nachdem sie abgelehnt hat, eine Aktion zu führen, die die Arbeitermasse für notwendig hält, ist die Möglichkeit gegeben, die großen Massen in den Kampf auch entgegen den Parolen der Gewerkschaftsbürokratie zu führen. Was ist daran Künstliches? Wir haben diese Taktik im Rahmen einzelner Fabriken, Gewerkschaften und Städte seit zwei Jahren durchgeführt.

Neu an der Taktik des Offenen Briefes ist nur dies, dass hier mit der Initiative der Aktion nicht einzelne Gruppen der Kommunisten, sondern die Zentrale der Kommunistischen Partei auftritt und dass sie sich nicht an einzelne Gruppen der Gewerkschaftsbürokratie, sondern an die Gewerkschaftsbürokratie überhaupt und an die sie vertretenden und verteidigenden sozialdemokratischen Parteien wendet. Dies entspricht der Tatsache, dass der Kampf über die lokalen Rahmen hinaus sich auszuwachsen beginnt. Der Offene Brief erschien in einem Augenblick, als die Eisenbahnerbewegung, die Beamtenbewegung, die Bewegung der Kohlenarbeiter in Mitteldeutschland anwuchs. Es lag im Interesse der Entwicklung der Revolution nicht nur alle diese Bewegungen zu verbinden, sondern falls sie als einheitliche Bewegung beginnen, ihnen neue proletarische Massen zuzuführen. Es lag im Interesse dieses Kampfes, von vornherein zu wissen, ob die Gewerkschaftsbürokratie und die sozialdemokratischen Führer gewillt sind, diese Bewegung von vornherein zu sabotieren oder ob sie sich genötigt sehen, in sie einzutreten. Falls das letztere der Fall wäre, so würde es die taktische Aufgabe der Kommunistischen Partei sein, im Moment des Startens der Bewegung, den Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie und die sozialdemokratischen Parteien bis zum Moment zurückzuschieben, wo sie versuchen würden, die begonnene Bewegung aufzuhalten. Die Aufgabe der Kommunistischen Partei würde dann darin bestehen, die gemeinsam begonnene Bewegung weiter zu treiben, ihre Erfahrungen dazu auszunützen, um die Masse von der verräterischen Gewerkschaftsbürokratie und Sozialdemokraten zu trennen. Umgekehrt, falls die Gewerkschaftsbürokratie und Sozialdemokratie, durch den Offenen Brief gestellt, bekunden würde, dass sie gesonnen sind, von vornherein den Kampf zu sabotieren, so erforderte die Situation, von vornherein den Kampf gegen sie mit voller Schärfe zu beginnen, sie sich kompromittieren zu lassen durch die Ablehnung der Forderungen der gemeinsamen Aktion, ihnen die Verantwortung für die eventuellen separaten Aktionen der Kommunisten aufzubürden.

Braucht man aber erst die Mörder Liebknechts, die Scheidemänner, die Saboteure der deutschen Revolution, die Verleumder Sowjetrusslands zu kompromittieren? Sind sie nicht genug kompromittiert? — fragten manche Genossen. Diese Frage zeigt, dass die Fragesteller nicht daran gedacht haben, was es bedeutet, dass nach der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs durch die Schergen Noskes die Partei der Scheidemänner noch Millionen und Abermillionen proletarischer Stimmen erhalten und noch heute im Proletariat stärker sein kann, als die Kommunistische Partei. Das bedeutet, dass sie darüber nicht nachgedacht haben, wie das möglich ist, dass Noske, der Henker des deutschen Proletariats, Noske, dessen Politik den Kapp-Putsch geboren hat, als Präsident von Hannover in einer Versammlung der Betriebsräte auftreten kann, ohne dass die Proletarier ihn mit der Hundepeitsche davonjagen! Wenn das der Fall ist, so ist es klar, dass die Verräter des Proletariats noch nicht genug kompromittiert sind. Werden sie aber mehr kompromittiert, wenn es sich zeigt, dass sie den Eisenbahnern nicht helfen wollen, ihren Lohn zu erhöhen? Wiegen drei Mark Lohnerhöhung mehr als der Tod Liebknechts und Rosa Luxemburgs? Für die Masse der Proletarier, die noch nicht entschlossen ist, um ihre eigene Befreiung auf Leben und Tod zu kämpfen, ist das Stückchen Brot wichtiger als der zerschossene Leib Liebknechts. Das ist ganz gewiss sehr traurig, aber eine Tatsache hört nicht auf zu bestehen, weil sie uns unangenehm ist. Die Kompromitation der Sozialdemokraten und der Gewerkschaftsbürokratie ist eine der wichtigsten unserer täglichen Aufgaben und sie kann nur erfolgen an der Hand der einfachsten Tatsachen, die man tagtäglich der Arbeitermasse vordemonstrieren muss.

Die letzten Argumente, die gegen die Taktik des offenen Antwortschreibens vorgebracht wurden von der Presse der KAPD — waren prinzipieller Natur. Sie bestanden in der Ablehnung der Kampfforderungen des offenen Schreibens. Es ist eine Illusion, die Arbeiterklasse zum Kampfe um Reformen aufzufordern. Der Kapitalismus liegt im Sterben. Er kann der Arbeiterschaft keine menschlichen Lebensbedingungen gewähren. Entweder fordert man von ihm Lappalien, was der Kommunistischen Partei unwürdig ist, oder man fordert von ihm Unmögliches, dann säet man Illusionen in die Arbeiterklasse, der offen und klar gesagt werden muss: wenn du nicht sterben willst, dann stürze die Herrschaft des Kapitals und ergreife selbst die Macht.

Diese Argumente widersprechen der eigenen Praxis der KAPD, die besser ist als ihre Theorie. Wenn die Genossen von der KAPD in den Fabriken für Streiks agitieren, so stellen sie dabei konkrete Lohn- oder andere Forderungen auf. Denn würden sie die Arbeiter zu Streiks auffordern zum Zwecke des Sturzes der kapitalistischen Regierung, sie würden darauf die Antwort kriegen: zum Sturze der kapitalistischen Regierung genügt nicht der Streik, da sind schon schärfere Mittel notwendig. Und wenn die Genossen von der KAPD Arbeitslosendemonstrationen aufbieten, so stellen sie dabei entsprechende Forderungen der Linderung der Not der Arbeitslosen. Ohne konkrete Forderungen keine Aktion. Ist die Lage so weit entwickelt, dass die Arbeitermassen zum Sturze der kapitalistischen Regierung aufstehen, dann ist ihre Aktionsforderung: Fort mit der kapitalistischen Regierung. Solange die Situation dafür nicht reif ist, so hat die Losung der Revolution, der Diktatur propagandistisch-agitatorische Bedeutung, sie weist auf das Ziel hin. In ihrem Namen kann man nur Kommunisten zu Demonstrationen bewegen, aber keine Bewegungen der nicht kommunistischen Massen herbeiführen, auslösen, verallgemeinern und steigern. Sind aber unsere Aktionsforderungen Reformforderungen? — Es ist von größter Wichtigkeit bei dieser Frage zu verweilen. Die Antwort auf diese Frage wird sich am klarsten ergeben, wenn wir drei Forderungsreihen an uns vorbeiziehen lassen.

Welches war der Sinn der Gegenwartsforderungen des Erfurter Programms? Diese Forderungen stellten in ihrer Gesamtheit ein Bild einer kapitalistischen Gesellschaft dar, in der die Arbeiterklasse zwar die Macht nicht in den Händen hat, aber, gut organisiert, die Bourgeoisie zwingt, ihr menschliche Lebensbedingungen zu gewähren. Die eine oder die andere dieser Forderungen des Gegenwartsprogramms der alten Sozialdemokratie war unerfüllbar, denn das Programm trägt in vielem noch die Eierschalen der kleinbürgerlichen Denkweise, die seinen Verfassern anhaftet. Aber in ihrem Wesen, in ihrem Kerne waren diese Forderungen zu verwirklichen. Man kann sie charakterisieren mit den Worten von Karl Marx aus seiner „Kritik des Gothaer Programms“: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats. Das Programm (und was hier Marx vom Gothaer Programm sprach, bezieht sich auch auf das Erfurter Programm), enthält lauter Forderungen, die, soweit sie nicht in phantastischer Vorstellung übertrieb en, bereits realisiert sind. Nur liegt der Staat, dem sie angehören, nicht innerhalb der deutschen Reichsgrenze, sondern in der Schweiz, den Vereinigten Staaten usw. Diese Sorte Zukunftsstaat ist heutiger Staat, obgleich außerhalb des Rahmens des deutschen Reiches existierender.“1 — An der prinzipiellen Charakteristik des sozialdemokratischen Gegenwartsprogramms, die hier Marx gibt, ändert nichts die Tatsache, dass das Erfurter Programm manche Forderungen aufstellt, die nicht realisierbar sind: sie enthalten eben Elemente der phantastischen Übertreibung, von denen Marx oben spricht. Und wir haben diese Ausführungen von Marx nicht erst jetzt ausgegraben, sondern sie in den Auseinandersetzungen mit Gustav Eckstein, einem der geistigen Begründer des Parteizentrums, im Jahre 1913 in der Bremer Bürgerzeitung zitiert, bei der Diskussion über die Abrüstungsfrage. In dieser Diskussion suchte ich zu beweisen, dass die sozialdemokratischen Gegenwartsforderungen deshalb eine so große agitatorische Bedeutung haben, weil sie erfüllbare Forderungen sind und, obwohl erfüllbar im Rahmen des Kapitalismus, an der Profitsucht der Kapitalistenklasse scheitern.

Sind aber die Forderungen, die wir jetzt erheben, erfüllbar? In dem Sinne des alten sozialdemokratischen Programms sind sie nicht erfüllbar. Die Bourgeoisie kann unter unserem Drucke, um ihre Macht zu retten, vorübergehend sogar einzelne dieser Forderungen erfüllen. Sie kann, um ihre Macht zu halten, Wohnungen requirieren, den Arbeitslosen den vollen Arbeitslohn auszahlen, aber das alles kann sie nur vorübergehend tun, denn morgen ist sie durch den wachsenden wirtschaftlichen Zerfall, durch die wachsende Finanzzerrüttung, durch die wachsende staatliche Zersetzung genötigt, den Kampf gegen ihre eigenen Zugeständnisse aufzunehmen. Mehr noch, die wachsende Zersetzung macht ohne Willen der Regierung ihre Zugeständnisse zunichte. Aber weil die Arbeitermasse genötigt ist, wenn sie nicht verhungern und verlottern will, jeden Tag von neuem ihre Forderungen aufzustellen, von denen jede einzelne im gegebenen Moment eventuell verwirklichbar ist, so werden diese Forderungen zu Hebeln der unmittelbaren, revolutionären Aktion, die den Kampf um unmittelbare Forderungen zum Kampfe um die politische Gewalt gestaltet. Darum ist Genosse Frölich im Unrechten, wenn er in seinen sonst ausgezeichneten Artikeln „Zur taktischen Debatte in der Partei“ (Hamburger Volkszeitung, den 18. Febr.) schreibt: „Da wir gerade die Forderungen des Kampfes um die Macht bezwecken, muss dies ein Kampf um vorläufige Ziele, also um Reformen sein“. Reformen sind Änderungen in einem Gesellschafts- und Staatszustand, die, ohne seinen Aufbau im Wesen zu ändern, ihm eine gewisse Stabilität verleihen, ihn vorübergehend akzeptabler für die Klasse, die um Reformen kämpft, gestalten. Die jetzige Lage des Kapitalismus ist so, dass sein Gebäude in der Grundlage erschüttert ist, dass seine Stiegen, Korridore und andere Verbindungen verschüttet und zertrümmert sind, dass sein Dach die Einwohner nicht mehr vor der Nässe schützt. Der Kampf um vorläufige Ziele kann dieses Haus nicht mehr restaurieren, und er hat auch nicht zum Zwecke die häusliche Einrichtung des Proletariats in diesem Gebäude bis zum Moment, wo es imstande ist, dieses Gebäude zu zerstören. Die vorläufigen Zwecke sind nicht die Reformen, sondern die Zerstörungsaktionen des Proletariats. Jede seiner Aktionen in dem gegebenen Momente steigert die kapitalistische Zersetzung.

Der Kapitalismus kann sich, theoretisch gedacht, nur auf einem Wege reformieren, nämlich, wenn er im nationalen und internationalen Rahmen eine kapitalistische Planwirtschaft beginnt. Und hier sind wir bei unseren Aktionsforderungen und denen der Unabhängigen, die sehr klar den Unterschied zwischen der Reform und unseren Kampfforderungen zeigen. Wir nehmen die Hauptlosung, auf die die Unabhängigen mit Hilferding an der Spitze ihre „Aktion“ jetzt bauen wollen, die Losung der Kohlensozialisierung. Warum haben wir diese Losung in der energischsten und bestimmtesten Weise abgelehnt? Die Losung der Kohlensozialisierung ist in Wirklichkeit die Losung der kapitalistischen Planwirtschaft, der Reform des Kapitalismus. Weil Hilferding zur stillschweigenden Voraussetzung jeder seiner Forderungen, jeder seiner Aktionen den Gedanken nimmt, dass eine Epoche des Staatskapitalismus bevorsteht, sucht er die Aktion des Proletariats darauf einzustellen, dass es bei dem Prozess der kapitalistischen Konsolidierung seine Interessen als Produzent und Konsument wahrt; der Losung der Kohlensozialisierung würde dann die Losung der Sozialisierung der Elektrizität usw. folgen. Hier haben wir es mit dem Kampf um die Umgestaltung des zerfallenden privatkapitalistischen Gebäudes in ein staatskapitalistisches zu tun. Weil wir überzeugt sind, dass der Prozess des kapitalistischen Zerfalls fortschreitet, — mag er noch so langsam fortschreiten, mag er sogar Momente des Stillstandes aufweisen — weil wir an der revolutionären Aktion zwecks unmittelbarer Zerstörung des Kapitalismus festhalten, so lehnen wir es ab, ein Gebiet der Reform des Kapitalismus nach dem anderen in Anspruch zu nehmen — darin besteht die taktische Idee Hilferdings, sich im gegebenen Moment auf die Kohlensozialisierung zu konzentrieren — und darum werden wir den Kapitalismus mit tausend Kampfforderungen bombardieren, die alle den brennenden, unmittelbaren Lebensinteressen des Proletariats entspringen. Dass dies keine willkürliche Taktik ist, ergibt sich schon aus der einfachen Tatsache, die jeder, der in der Bewegung steht, direkt mit den Fingern erfassen kann, aus der Tatsache, dass wir gar nicht imstande wären, die Energie der Arbeiterklasse monatelang auf eine Frage wie die Kohlenfrage zu konzentrieren, weil die Arbeiterklasse tausend Nöte leidet und sich gar nicht auf den Kampf um eine Forderung konzentrieren kann. Es ist der Fluch des unabhängigen Reformismus, dass er auf die Arbeitermassen wie eine professorale ausspintisierte Idee wirken muss, eine Idee, deren Grundlage die professorale Auffassung der Rolle einzelner Faktoren im Wirtschaftsleben ist und nicht das lebendig empfundene Bedürfnis der kämpfenden Arbeitermassen.

Die Taktik des Offenen Briefes ist in ihren Grundlagen die Weiterführung der Linie, auf der fortschreitend die Kommunistische Partei mit jedem Tage mehr zum ausschlaggebenden Machtfaktor wird. Darum hat sie der Partei so große Erfolge gebracht, darum hat sie uns geholfen, in Hunderten von Städten vor den Augen der Arbeitermassen als die Führer nicht einer Sondersekte, sondern der proletarischen Bewegung zu erscheinen. Sie hat unseren Einfluss in weite nichtkommunistische Kreise getragen. Sie hat unsere Position in den Gewerkschaften gestärkt. Und wenn die sozialdemokratische, unabhängige und bürgerliche Presse anfangs so tun konnte, als könnte sie ruhig den „Offenen Brief“ als einen Kniff der Kommunisten, als ein taktisches Manöver ablehnen, so musste schon einen Monat später die mehrheitssozialdemokratische Essener Arbeiterzeitung über die Aktion, die sich unter der Flagge des Offenen Briefes entfaltete, schreiben: „was sich hier vollzieht, ist ein Vorgang von entsetzlicher Tragweite, ist ein Spiel um Sein- oder Nichtsein des Proletariats und geht nicht nur die deutschen Metallarbeiter an, sondern würfelt um das Schicksal aller proletarischen Gewerkschaften, greift an das Lebensmark des gesamten deutschen und internationalen Proletariats.“ Und die „Kölnische Zeitung“ erklärt am 13. Februar: „Inhalt und Ziel des Schriftstückes haben eine nicht zu unterschätzende Bedeutung“. Das alles, obwohl die Partei, die die Taktik des offenen Antwortschreibens mit Freude begrüßte, sie praktisch nur sehr unbeholfen durchführte. Die Feinde des deutschen Kommunismus, die glaubten, durch Hohn und Beschimpfungen den unter der Losung des „Offenen Briefes“ angefangenen Angriff abschlagen zu können, haben bald erkennen müssen, dass es sich hier um entscheidende Kämpfe handelt, dass die Kommunistische Partei verstanden hat, vor die Arbeitermassen als das aufzutreten, was sie ist, als ihre Führerin in dem Kampfe um die Notwendigkeiten ihres Lebens, als die einigende Kraft der deutschen Arbeitermasse. Es war klar, dass die Taktik des offenen Antwortschreibens sich nicht erschöpfen kann in der Propaganda der einheitlichen Front des Proletariats, in der Propaganda der gemeinsamen Aktion der Proletarier um ihre Lebensinteressen, dass sie ausmünden müssen wird in den Versuch, die gemeinsame Front des Proletariats im direkten Kampfe herzustellen. Aber bevor es dazu kam, hatte die Partei eine Reihe von Konflikten zu bestehen, die — wenn sie nach außen hin exotisch aussehen — sich jedoch im nahesten Zusammenhang mit den Fragen befinden, die in der Taktik des offenen Schreibens ihren Ausdruck gefunden haben.

Die Taktik des offenen Schreibens hatte zum Zweck, die Avantgarde des deutschen Proletariats, die Kommunisten, in ein näheres Verhältnis, in eine lebendigere Verbindung mit den zurückgebliebenen Arbeitermassen zu bringen. Aber damit war auch die Frage gestellt von dem Verhältnis der kommunistischen Avantgarde zu den sich in der Richtung des Kommunismus bewegenden Arbeitermassen. Da die Aktion, die der „Offene Brief“ am 8. Januar begann, eine längere Zeit brauchte, bis sie sich auswirken konnte, war dieses Problem vor der Hand im Hintergrunde geblieben, nicht bewusst gestellt. Dass es bestand, dass es einem Teile der führenden Genossen entweder unbewusst war oder von ihnen falsch gelöst wurde, das zeigt schon der Artikel, der zur Begründung der eingeleiteten Aktion in der „Roten Fahne“ vom 8. Januar erschienen ist. Dieser Artikel motivierte die angefangene Aktion in einer Weise, die bei einer Reihe aufmerksamer Genossen sofort Kopfschütteln hervorrief: „in keinem Augenblick darf der Kampf der Kommunisten gegen andere proletarische Parteien zu einem Kampf gegen einen Teil der proletarischen Klasse werden“, schrieb der Verfasser des Artikels. In dem nebenbei gedruckten Offenen Briefe werden die Sozialdemokraten und die Unabhängigen keinesfalls als proletarische Parteien angesprochen. Sie werden als Parteien angesprochen, „die sich auf das Proletariat stützen“. Darin wird von vornherein die Distanz zwischen der Kommunistischen, proletarischen Partei und den Parteien markiert, die das Proletariat organisieren, um es zu desorganisieren. In dem Offenen Brief wird von vornherein nicht nur der prinzipielle Standpunkt der Kommunistischen Partei gewahrt, sondern, obwohl der Brief die gemeinsame Aktion herbeizuführen suchte, wurde in den Schlusssätzen die Perspektive auf die Kämpfe eröffnet, die gegen die Adressaten beginnen werden für den Fall, dass sie die gemeinsame Front des Proletariats stören werden. In dem Artikel, der natürlich viel freier war, als der Brief selbst, wurde dieses Motiv mit keinem Wort berührt. Dagegen wurde erstens erklärt, dass die kommunistische Avantgarde niemals Kämpfe gegen die zurückgebliebenen Massen führt, und zweitens wurde erklärt, dass sie innerhalb des Proletariats niemals Kämpfe „um der Partei willen“ führt. Die Partei des Kommunismus erschien so nicht als die höchste Konzentration des proletarischen Willens, als der Ausdruck seiner höchsten Ziele, um die wir verpflichtet sind zu kämpfen, sondern als eine der proletarischen Parteien, die innerhalb des Proletariats sich bilden, und es wurde entgegen der historischen Wahrheit behauptet, dass die Kämpfe der Kommunisten sich niemals gegen einen Teil der proletarischen Klasse wendeten, als ob im Januar 1919 die ersten weißen Sturmtruppen, gegen die wir zu kämpfen hatten, das Regiment Liebe, welches die Mehrheitssozialisten organisierten, nicht aus Proletariern organisiert worden wäre. Man konnte bei der Lektüre des Artikels glauben, es handle sich hier um literarische Mängel. Die nächsten Wochen sollten zeigen, dass das, was in dem Artikel fehlt, das bewusste Erfassen des Verhältnisses der kommunistischen Avantgarde zu den zurückgebliebenen Arbeitermassen, dass dies ein Ausdruck der opportunistischen Auffassung dieses höchst wichtigsten Problems der proletarischen Taktik ist. Der Verfasser des bemängelten Artikels war der Genosse Paul Levi. Und bei der italienischen Parteifrage konnte er bald zeigen, wie opportunistisch er die Frage des Verhältnisses der Avantgarde und der Nachhut auffasst. Der Streit um die italienische Frage, der nach der Meinung des Genossen H. M. aus der „Südwestdeutschen Arbeiterzeitung“ (Frankfurt a. M., 21. Februar) gestellt ist als ein Streit um des Kaisers Bart, um Geschehenes anstatt um zukünftige Arbeit, dieser Streit berührt Lebensfragen der deutschen und internationalen kommunistischen Arbeiterbewegung. Es ist reiner Zufall, dass dieser Streit an der italienischen Frage entbrannt ist. Er würde im Verlaufe der Kampagne um den Offenen Brief auch ohne die italienische Frage entstanden sein. Der Zufall, der die Frage zur Austragung brachte bei der italienischen Frage, ist ein günstiger Zufall, denn er erlaubte der Partei einen Krankheitskeim aufzudecken, bevor er sich entfalten und entwickeln konnte. Derselben Meinung ist auch Genosse Levi und die Genossen, die sich mit ihm solidarisieren. Nur sind sie der Meinung, dass sie gesund, wir aber krank sind. Dieser Meinungsunterschied ändert nichts an der Tatsache, dass wir alle überzeugt sind, die italienische Frage habe ein sehr wichtiges Lebensproblem auch der deutschen Partei aufgeworfen. Es gilt, dieses Problem in voller Klarheit zu erfassen.

IV.

Die italienische Frage.

Zuerst die wichtigsten Daten zur italienischen Parteispaltung. Schon vor dem zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale bekam die Exekutive Berichte darüber, dass die italienische sozialistische Partei, die als erste große westeuropäische Partei ihren Beitritt zur Kommunistischen Internationale erklärt hat, in Wirklichkeit keine kommunistische Politik treibe, sondern dass sie unter dem Einfluss der offenen Zentristen wie Turati, Treves, unter dem Einfluss der Gewerkschaftsbürokratie und der Parlamentarier, unter dem Einfluss schwankender halbzentristischer Elemente wie Serrati nicht nur eine verschwommene Agitation treibe, sondern alles unterlasse, was praktisch die soziale Krise Italiens verschärfen und zur Austragung bringen könnte. Schon vor dem zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale nahm die Turiner Parteiorganisation Beschlüsse an, die diese Berichte bestätigten und eine revolutionäre konsequente Politik von der italienischen Partei forderten (siehe Komm. Internationale Nr. 12). Auf dem Kongress kam es deswegen zu einer Reihe von Diskussionen mit Serrati im Plenum wie in den Kommissionen. Fast bei allen Abstimmungen verhielt sich Serrati und seine Gesinnungsgenossen äußerst zweideutig. Die italienische Delegation war in Gruppen gespalten und stimmte verschieden. Die Exekutive gewann dadurch die Überzeugung, dass ein Appell an die italienischen Arbeiter notwendig sei. Sie beschloss darum, einen Brief an die italienische Partei zu richten, der Kritik an der Politik des italienischen Zentralkomitees übte, den Ausschluss der Reformisten aus der Partei und das Hinarbeiten auf die Revolution forderte. (Komm. Internationale Nr. 13.) An der Ausarbeitung dieses Briefes waren die Vertreter der KPD beteiligt. Etwas später setzte sich Lenin in einem Briefe über die italienische Parteifragen mit Serrati scharf und klar auseinander und gab offen der Auffassung Ausdruck, dass Serrati zu jenen Elementen gehöre, die dem Kampf ausweichen und nicht fähig sind, eine revolutionäre Partei zu leiten. Obwohl die Serrati-Gruppe nur im Halbdunkel leben kann, bei ihrer geistigen Armut jeder klaren unzweideutigen Stellungnahme aus dem Wege geht, konnte Serrati nicht weiter ausweichen und war genötigt, Stellung zu nehmen. Er tat es in einer Antwort an Lenin, die von der „Freiheit“ wie von den Longuetisten reichlich gegen die Kommunistische Internationale ausgenützt wurde — und mit Recht ausgenutzt wurde. Dieser Brief leugnete die Existenz des Reformismus in der italienischen Partei. Er lehnte den Bruch mit der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie ab, er malte die Aussichten der Weltrevolution in den schwärzesten Farben und atmete den Geist des Misstrauens zur Kraft des Proletariats, der die Grundlage der gesamten Zentrumspolitik bildet. Wie die Zentrale der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands diesen Brief beurteilte, das ergibt sich aus dem Artikel, den die „Rote Fahne“ am 22. Dezember veröffentlichte und in dem es hieß:

Aus diesem Schreiben, wie aus der ganzen Haltung Serratis geht hervor, dass die italienischen „Einheitskommunisten“ nicht gewillt sind, die Scheidungslinie zu ziehen zwischen sich und den Reformisten, die zwar in der Kriegspolitik einen klaren antipatriotischen Pazifismus verfolgten, gegenüber der proletarischen Revolution und den Grundsätzen des Kommunismus aber ganz offen eine ablehnende, opportunistische Haltung einnehmen. Trotz des Lippenbekenntnisses zu den 21 Bedingungen, deren. Anwendung und Durchführung gemäß den besonderen Verhältnissen des Landes abgeändert, d. h. zentristisch „verbessert“ werden soll, beweisen die „Einheitskommunisten“ Italiens durch die Tat, durch ihren Kampf gegen die unabwendbar notwendige Spaltung von den Reformisten, durch ihr inniges Zusammenhalten mit der konterrevolutionären Gewerkschaftsbürokratie D'Arragonas, dass sie sich den Namen. Kommunisten mit Unrecht zulegen. Wenn die antibolschewistische Berliner „Freiheit“ freudig Auszüge aus den Artikeln Serratis bringt, wenn Longuet in seinen Polemiken gegen die französischen Kommunisten sich auf ihn stützt, ist das nur die logische Folge seiner Haltung gegenüber der Kommunistischen Internationale. Die Berufung auf die große Zahl der Mitglieder der Kammerdeputierten, der „sozialistischen“ Gemeindeparlamente zeigt die gleiche kleinbürgerliche Auffassung der politischen Fragen des Kampfes zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus, die man in allen Parteien des „marxistischen Zentrums“ beobachten kann. Es ist zu hoffen, dass die breiten proletarischen Massen, die sich heute noch unter dem ideologischen Einfluss des Pazifisten und Antimilitaristen Serrati befinden, durch die praktische Lehre der verschärften Klassenkämpfe in Italien mit der Zeit zur Scheidung von den „Einheitskommunisten“ gedrängt werden.“

Noch schärfer drückte sich die „Rote Fahne“ aus Anlass des Briefes von Serrati an Longuet aus:

An Longuet, der eben in Tours den französischen Kommunisten den Rücken gekehrt und sich mit Renaudel und Thomas vereinigt hat, wendet sich Serrati „mit brüderlichen Grüssen“ und übergibt ihm seine Beschwer den gegen die Kommunistische Internationale. Er gibt damit zu verstehen, dass ihm Longuet näher steht als die Kommunistische Internationale und so wird diese — wie freudig sie auch jeden ehrlichen Kämpfer für den Kommunismus in ihren Reihe aufnimmt — zu nächst auf ihn verzichten müssen. Dass die „Freiheit“ darüber Freude empfindet, ist begreiflich.“

Der Parteitag der italienischen sozialistischen Partei in Livorno stellte somit die Exekutive vor die Frage, ob sie auf den Ausschluss der Reformisten aus ihrer italienischen Sektion verzichten solle oder nicht. So und nicht anders stand die Frage. Denn die Erklärung Serratis, er wolle den Bruch mit den Reformisten, aber es gelte, sie einzeln auszuschließen, wenn sie Disziplinlosigkeiten begehen, stand nicht nur im Widerspruch zu den Erklärungen desselben Serrati in seinem Antwortschreiben an Lenin, es gäbe in der italienischen Partei keine Reformisten, sondern sie stand im schroffsten Gegensatz zu den Tatsachen. Turati, der Führer der italienischen Reformisten und gleichzeitig Mitglied der italienischen Partei, hatte unlängst vor dem Kongress eine Einleitung zu einem gegen Sowjetrussland gerichteten Buche von Nori und Pozzani geschrieben, in der er klipp, klar und offen Stellung nahm gegen alle Grundsätze der Dritten Internationale. In dieser Einleitung führte Turati aus: „Es war Zeit, dass das Schweigen gebrochen wurde; dass das italienische Proletariat ein offenes, ehrliches Wort erfuhr. Allzu lange hat die „Geheimdiplomatie“ der halben Wahrheiten gedauert, denen stets das ganz unglaubwürdige Dementi folgte.

In dem Buche erfährt man endlich genaueres über die politische Verfassung des neuen Reiches, die so demokratisch in den Prinzipien und so ganz anders in der Ausführung ist, genaueres über das, was der geheimnisvolle „Sowjet“ in Wirklichkeit ist; über die antidemokratische Art des Wahlsystems; die Diktatur einer Minderheit und darin einer kleinen Clique über mehr als 100 Millionen Staatsbürger; die Gewaltherrschaft der Gerichte ohne Gesetz und der politischen Geheimpolizei, die Unterbindung der Vereinsfreiheit, der Presse, des freien Worts, welche die Negation aller Freiheit und Menschenwürde ist, die geistige Unterdrückung, die daraus folgt, die opportunistische, kleinbürgerliche Lösung der Agrarfrage; die Vernichtung der Wirtschaft und die traurige Lage der Arbeiter; den Triumph der Spekulation und Korruption im täglichen Verkehr; endlich über den nationalistischen Geist, der hinter der angeblich einzig wahren Internationale steckt — das alles führt zu den Schlüssen der „Unmöglichkeit und Nichtexistenz des Wunders“.

Russland ist heute noch“, sagen die beiden Autoren, „die von allem Sozialismus am weitesten entfernte Nation.

Die Gefahr dieses Buches ist eine doppelte. Die einen werden aus ihm Argumente für die bürgerliche, konservative Anschauung ziehen. Die anderen, die Sozialisten, werden die Autoren steinigen, weil sie den Gegnern der russischen Revolution Waffen liefern. Die Autoren werden darauf antworten, dass die Wahrheit unumstößliche Rechte hat und dass sie nie einer guten Sache, sondern, ihrem Wesen nach, nur dem Irrtum schaden kann.“

Die russische Revolution — vielleicht das grandioseste und bedeutungsvollste Ereignis der neueren Geschichte — wird von der Kritik ihrer Auswüchse nicht betroffen. Ihr Ruhm ist, den Zarismus geschlagen zu haben —- hoffentlich für immer, auch wenn er augenblicklich im Leninismus wieder auflebt; sie hat 80 Millionen Bauern Land, Brot und Würde gegeben; sie hat, wenn auch in panslawistischer Form, ein erhebliches Gegengewicht gegen den französischen, englischen, den amerikanischen und den japanischen Imperialismus geschaffen; sie hat die großen Stämme Asiens aus ihrem Dämmerzustand erweckt und dadurch nicht nur ihr Eintreten oder Wiedereintreten in die Geschichte, sondern auch, zum ersten Mal in der Geschichte, eine Verschmelzung der gesamten Menschheit vorbereitet.“

Die Folgen werden die Jahrhunderte zeigen. Wenig nur vermag die bolschewistische Episode sie zu beeinträchtigen; der Bolschewismus ist weniger ein Kind der Revolution als des Mangels an Widerstandskraft, den die lange Tyrannei und die Niederlageverursacht haben. Der Bolschewismus als Reaktion auf das Mittelalter des Zarentums, das von keinem richtigen Kapitalismus beerbt wurde, sondern vielmehr die Ansätze eines solchen unter seinen Trümmern begrub, ist selbst, zum mindesten wirtschaftlich, eine mittelalterliche Erscheinung. Das slawische Volk wird aus ihm umso rascher und sicherer den Aufstieg finden, je härter die Probe des bolschewistischen Experiments ist. Der Bolschewismus ist viel näher mit den Anfängen des Kapitalismus verwandt als mit dem marxistischen Sozialismus, mit dessen Thesen er sich drapiert.

Die Kritik des Bolschewismus, so gesehen, wird der reaktionären Bourgeoisie wenig Freudemachen; um so größer kann der Gewinn sein, den ein moderner Sozialismus, der mit der alten Utopie gebrochen hat, aus ihr ziehen kann. Die eingehendste Diskutierung des Bolschewismus auf Grund von Tatsachen und Dokumenten, nicht mit metaphysischen Abstraktionen und dogmatischen Apriorismen, ist heute eine Pflicht der sozialistischen Parteien. Statt dessen ist in Italien die Arbeit innerhalb der Partei bedroht von einem Geist des Klosters und der Inquisition, von einem Drang zur Unterwerfung und Knebelung der Intelligenz, der eine traurige Erbschaft der Kriegspsychologie und Kriegszensur ist und der, wenn er dauerte, Tod und Entbehrung für Lehre wie Partei bedeuten würde. Man spricht, ohne zu erröten, von „ geistiger Kontrolle“ der Presse und aller Meinungsäußerungen der Genossen; dagegen muss mit Tat und gutem Beispiel angekämpft werden.“

Der Sozialismus“, schließt Turati, „wird Licht und Gedankenfreiheit sein — oder er wird nicht sein.“

Wenn alles das Serrati nicht genügte, um Turati aus der Partei auszuschließen, so war es klar, dass es sich hier nicht um den Streit über den Zeitpunkt des Bruches mit den Reformisten handelt, sondern um den Bruch selbst. Der Vertreter der Exekutive, Genosse Kabaktschieff, schilderte in seiner Rede alle Streitfragen und forderte von den Serratinern den Bruch mit den Reformisten. Er stellte sie vor die Frage: mit Turati und D?Aragona oder mit der Kommunistischen. Internationale. Die Antwort Serratis fiel so aus, wie es zu erwarten war. Er entschied sich für die Einheit mit 14 000 Gewerkschaftsbürokraten, Gemeindevertretern, Parlamentariern, Journalisten und Advokaten und für den Bruch mit 60 000 kommunistischen Proletariern. Die Spaltung der italienischen Partei war vollzogen. Die italienischen Kommunisten organisierten sich zur besonderen Partei. Die italienische sozialistische Partei stand außerhalb der Kommunistischen Internationale. Diesen ernsten Vorgang kommentierte die „Rote Fahne“ am 18. Januar in folgenden klippen und klaren Worten:

Die Haltung der Serratiner, der Zentrumsleute, ist ausreichend dadurch gekennzeichnet, dass die ausgesprochenen Reformisten, die Turati und Konsorten, sich solidarisch erklären mit dem Zentrum. Die bedingungslose Trennung von den italienischen Scheidemännern, die vorbehaltlose Anerkennung der Thesen der Kommunistischen Internationale, das war die unerlässliche Bedingung für das Verbleiben derer um Serrati in der Kommunistischen Internationale. Serrati und die Seinen haben es nicht gewollt.

Die Kommunistische Partei wird dadurch unzuverlässige Führer verlieren, sie wird an wirklicher Stärke gewinnen.

Was stand auf dem Spiele? Auf dem Spiele stand die Frage, ob die Kommunistische internationale es den zentristischen Elementen, die in ihre Organisationen eingedrungen sind, weil sie angesichts der Stimmung der Arbeiter, keinen Mut hatten, offen gegen sie aufzutreten, erlauben wird, ihre Politik von innen zu sabotieren, indem sie ihnen das Recht verleihen wird, die Beschlüsse der Kongresse an die „Landesverhältnisse“ anzupassen, d. h. in Wirklichkeit aufzuheben. Diese Frage kann zur Schicksalsfrage der Kommunistischen Internationale werden. Bei dem langsamen Tempo der Entwicklung der Weltrevolution wird es in den schnell angewachsenen Kommunistischen Parteien ganz gewiss überall Elemente geben, die revolutionär sind, wenn die Masse sie ungestüm vorwärts treibt, die aber ins ruhige reformistische Wasser einzulenken suchen, so bald es gilt, die Revolution geistig und organisatorisch vorzubereiten in einer Situation, die einem oberflächlichen Zuschauer — und das Wesen des Zentrums besteht eben darin, dass es nur die soziale Oberfläche sieht und Zuschauer im Kampfe der Klassen ist — als nicht revolutionär erscheint. Da gilt es bei der ersten Probe aufs Exempel Stellung zu nehmen. Jedes Zugeständnis an Serrati war ein Zugeständnis an alle in der Internationale wirkenden halbzentristischen Elemente. Es würde den Übergang der Kommunistischen Internationale auf den Boden der Wenn und Aber, der 2½ Internationale bedeuten. Die Haltung der der Kommunistischen Internationale angeschlossenen Parteien zum italienischen Konflikt war ein Gradmesser dafür, ob sie selbst zentristische oder halbzentristische Elemente enthalten. Die Auseinandersetzungen, die wochenlang in der deutschen Partei über die italienische Frage gepflegt waren, waren also kein Streit um des Kaisers Bart, kein Streit um die Vergangenheit, sondern ein Streit um die Gegenwart und die Zukunft der deutschen Kommunistischen Partei selbst.

Am 23. Januar veröffentlichte der Vorsitzende der Partei, Genosse Levi, in der „Roten Fahne“ einen Artikel über den italienischen Parteitag, in dem er diese klare und eindeutige Situation zu verschieben suchte. Auch er sprach sich natürlich für den sofortigen Ausschluss der Reformisten aus der italienischen Partei aus, aber er sprach die Überzeugung aus, dass ohne die scharfe Stellung der Exekutive und der italienischen Kommunisten gegen Serrati, die Serrati-Gruppe sich von den Reformisten getrennt hätte. In der Serrati-Gruppe sieht er den Kern der italienischen Sektion der Kommunistischen Internationale. Die italienischen Kommunisten, die sich von Serrati getrennt haben, behandelt er als einen wirren Haufen, dem er den Namen eines „festen und klaren kommunistischen Kerns“ abspricht. Und er behauptet, der Streit in Italien gehe nur über den Zeitpunkt der Trennung von den Reformisten, während beide Fraktionen, also auch die der Serratiner, sich von den Reformisten trennen wollen. Dieser Artikel war ein Dolchstoß in den Rücken der Exekutive wie in den Rücken der neu gegründeten italienischen Kommunistischen Partei. Im Moment des ersten ernsten Kampfes, den die kommunistische Internationale zu bestehen hatte, stand der Vorsitzende der VKPD auf der Seite des rechten Flügels der Kommunistischen Internationale. Serrati erklärt, die Reformisten seien keine Beschützer der Bourgeoisie, der Streit, zwischen ihm und der Kommunistischen Internationale gehe nur über den Zeitpunkt und die Form der proletarischen Diktatur. Serrati erklärt, er beschütze keinesfalls die Reformisten, denn erstens existieren sie nicht, zweitens wolle er sie doch ausschließen, wenn sie sich gegen das Parteistatut versündigen. Und der Vorsitzende der VKPD erklärt, er verteidige keinesfalls Serrati, aber Serrati wolle doch die Reformisten ausschließen, es handle sich nur um den Zeitpunkt dieses Ausschlusses und zweitens, wenn er sie nicht ausschließen wollte, so handele es sich nur um den Zeitpunkt des Bruches mit Serrati, in dem noch 90.000 revolutionäre Arbeiter ihren Führer sehen. So stützt Turati die Bourgeoisie und hilft die italienische Revolution zu sabotieren. So stützt Serrati Turati und hilft ihm, die kommunistische Politik der italienischen Partei zu sabotieren. So stützte der Vorsitzende der VKPD Serrati und hilft ihm, dieselben Beschlüsse des Zweiten Kongresses der Kommunistischen internationale zu sabotieren, an denen er selbst mitgearbeitet hat. Angesichts dieser Sachlage legte der Vertreter der Exekutive der Zentrale der VKPD eine Resolution vor, um sie zu einer klippen und klaren Stellungnahme zu bringen. Diese Resolution besagte:

Auf Grund des Berichtes ihres Delegierten zum Livornoer Kongress der italienischen sozialistischen Partei und nach darauf erfolgter Aussprache erklärt die Zentrale der VKPD:

I. Der Beschluss des zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale über die Notwendigkeit der Reinigung aller Kommunistischen Parteien oder solcher, die der Kommunistischen Internationale beitreten wollen, von den reformistischen Elementen, bildet die Voraussetzung jeder kommunistischen Tätigkeit. Die Kommunistischen Parteien können weder die Revolution vorbereiten, noch den revolutionären Massenkampf des Proletariats leiten, wenn sie in ihrer Mitte auf verantwortungsvollen Posten Gegner der proletarischen Revolution behalten.

II. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale handelte gemäß nicht nur dem Beschluss des zweiten Kongresses, sondern in vollem Einvernehmen mit den ihr angeschlossenen Parteien, wenn sie ultimativ von der italienischen Partei den sofortigen Ausschluss der Reformisten gefordert hat. Das entschiedene Auftreten der Exekutive entsprach vollkommen den Interessen der italienischen wie der internationalen Arbeiterbewegung: denn eben die Haltung der Reformisten nach dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale in der Frage der Besetzung der Fabriken, bewies augenfällig den sozialverräterischen Charakter dieser Gruppe.

III. Indem die Mehrheit der sozialistischen Partei Italiens unter Führung Serratis erklärte, die 21 Moskauer Bedingungen anzunehmen, aber für sich das Recht in Anspruch nahm, über die Art der Ausführung dieser Beschlüsse erst mit der Exekutive zu verhandeln, hatte sie in Wirklichkeit die Bedingungen des internationalen Kongresses abgelehnt. In dem halben Jahre, das seit dem Moskauer Kongress verflossen war, hat die Gruppe Serrati keinen Finger gerührt, um über die Art der Durchführung der Kongress-Beschlüsse der Exekutive irgendwelche konkrete Vorschläge zu machen. Dagegen hat Serrati offen die Anwesenheit von Reformisten in der italienischen Partei geleugnet. Dadurch hat er bewiesen, dass es ihm und seiner Gruppe nicht um die Anpassung der Kongressbeschlüsse an die italienischen Bedingungen, sondern um ihre Aufhebung ging. Dadurch wurde es notwendig, mit aller Entschiedenheit gegen die Gruppe Serrati vorzugehen, und sie vor die Wahl zu stellen, ob sie höher ihre Verbindung mit den Reformisten oder mit der Kommunistischen Internationale stelle.

IV. Indem die Gruppe Serrati eher die Spaltung der Partei und die Trennung von der Kommunistischen Internationale in Kauf nahm, als dass sie sich zur Scheidung von den Reformisten bewegen ließ, hat sie bewiesen, dass sie in Wirklichkeit keine kommunistische Kampfgruppe ist, sondern zentristische Elemente darstellt, die zwischen dem Kommunismus und den Reformisten schwanken. Die Zentrale der VKPD erkennt darum nur in den Kommunisten Italiens (Gruppe Bordiga-Bombacci) die Vertreter der Kommunistischen Internationale und verspricht ihnen die energischste Unterstützung.

V. Sollten die hinter der Gruppe Serrati stehenden Arbeiter ihren Fehler einsehen, sollten sie die Geneigtheit zeigen, durch Verhandlungen mit der Exekutive zu einer Einigung zu gelangen, so hält die Zentrale diese Einigung für möglich nur auf Grund der Ausführung der Beschlüsse des zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale.

VI. Die Zentrale der VKPD geißelt die demagogische Verleumdungsaktion der Unabhängigen Presse gegen die Kommunistische Internationale und ihr Exekutivkomitee aus Anlass der Spaltung der italienischen Partei. Sie stellt fest, dass es sich hier nicht um eine Spaltung auf den Ukas von Moskau handelt, sondern um die Ausführung eines internationalen Beschlusses, an dem die italienischen Genossen mitzuarbeiten Gelegenheit hatten. Indem die Unabhängigen die Ausführung der internationalen Beschlüsse als Ausdruck der Diktatur des Exekutivekomitees darzustellen suchen, beweisen sie, dass sie überhaupt nur für eine Schein-Internationale eintreten, die jedem Mitgliede freie Hand für die opportunistische Politik überlässt. Indem die Unabhängigen die Forderung des Ausschlusses offener Reformisten als Schädigung der Arbeiterbewegung darstellen, beweisen sie dadurch, dass sie die Einigkeit mit den Scheidemännern für möglich und notwendig halten.“

Genosse Levi brachte folgende Gegenresolution ein:

Die Zentrale der VKPD erklärt:

I. Die Durchführung des Beschlusses des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale über die Notwendigkeit der Reinigung aller kommunistischen Parteien bildet die Voraussetzung jeder kommunistischen Tätigkeit. Ohne diese Reinigung und den Ausschluss der Reformisten aus den kommunistischen Parteien können weder die Massen die in bisherigen Bewegungen begangenen Fehler erkennen, noch sind die kommunistischen Parteien mit Reformisten in ihren Reihen in der Lage, die Revolution vorzubereiten, noch beginnende Aktionen zu leiten.

Die VKPD billigt daher die Haltung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, die diesen Beschluss des Weltkongresses bedingungslos zur Durchführung bringen wollte und erklärt auch ihrerseits, dass es Pflicht der italienischen Kommunisten ist, diesen Bruch sofort, unmittelbar und offen durchzuführen.

II. Unter Festhalten an diesen Grundsätzen ist die VKPD der Meinung, dass die ganze Kraft zu richten sei auf dieses unter I beschriebene Ziel. Die VKPD billigt es daher, wenn die Bemühungen der Exekutive der Kommunistischen Internationale auch darauf gerichtet waren, jenes Ziel unter gleichzeitiger Zusammenfassung aller kommunistischen Kräfte zu erreichen, wenn sie also nicht die Abspaltung von der Gruppe Serrati und namentlich deren linken Flügel als das eigentliche Ziel des Parteitages von Livorno ansah. Sie bedauert, dass diese Bemühungen noch nicht von Erfolg gekrönt waren. Die VKPD erwartet, dass das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale erneut Versuche machen wird, die kommunistischen Elemente Italiens auf der Grundlage zu Punkt I zusammenzufassen.

Die VKPD erklärt, dass für die Einheit der Kommunisten Italiens kein Preis zu hoch wäre mit Ausnahme des Preises des weiteren Verbleibens der Reformisten Italiens in der Partei,“

Der Vertreter der Exekutive wandte sich gegen die Resolution mit folgendem Briefe an die beiden Vorsitzenden der Partei:

An Gen. Levi und Däumig.

Werte Genossen.

In aller Eile und Kürze zur Resolution des Gen. Levi über die italienische Spaltung folgendes:

I. Eine Resolution über die Spaltung muss ausgehen von der Feststellung der Gründe der Spaltung. Weil Levi unter keinen Umständen zugeben wollte, dass Serrati sich von den Reformisten nicht trennen will, und dass er dadurch die Spaltung verursacht hat, so schildert er die Lage so, wie es in den Vexierbildern ist: wo ist die Katze?

II. Er sucht darüber hinwegzugehen, dass die Partei Serratis der Kommunistischen Internationale nicht mehr angehört. In dem Telegramm an den italienischen Kongress erklärte die Exekutive: „wer diesem Beschluss zuwiderhandelt (Beschluss über die Notwendigkeit der Trennung von den Reformisten) der bricht den wichtigsten Beschluss des 2. Kongresses und stellt sich somit außerhalb der Reihen der Kommunistischen Internationale.“ (Telegramm vom 10. Januar, abgedruckt in der „Freiheit“ vom 18. Januar.)

Gen. Levi mag den Beschluss für verfehlt halten, dann soll er offen und klar eine Resolution vorlegen, die dies besagt, die die Aufhebung des Beschlusses fordert, aber er soll nicht Versteckspiel spielen.

III. Nachdem Levi die Gründe der Spaltung, die Tatsache des Ausschlusses zu vertuschen gesucht hat, stellt er die Serratianer ruhig weiter als Kommunisten dar und fordert von dem Exekutivkomitee, es solle sich weiter bemühen, um ihre Zusammenfassung mit den „anderen“, deren Rolle in der Spaltung vollkommen mysteriös ist. In diesem Moment mit keinem Worte die Solidarität mit den italienischen Kommunisten auszusprechen und die Einigungsverhandlungen mit Serrati zu fordern, bedeutet, sich auf die Seite Serratis zu schlagen, gegen die italienischen Kommunisten und die Exekutivekomitees Stellung zu nehmen.

Aus all den Erwägungen kann ich nicht umhin als zu sagen:

a) die Resolution Levi ist eine Erklärung gegen die italienischen Kommunisten und die Exekutive. Ihre Anerkennung des Beschlusses des 2. Kongresses ist eine Floskel, ihre Anerkennung der Brecher dieses Beschlusses als Kommunisten Wirklichkeit.

b) Die Resolution Levi ist ein Versuch der Vertuschung dieser Tatsachen vor dem Forum der Partei. Indem Levi im Moment, wo er sich auf die Seite Serratis schlägt, seine Billigung der Politik des Exekutivekomitees ausspricht, gleichzeitig wieder die Gründe der Spaltung, ihre politische Bedeutung verschweigt, macht er aus der von ihm vorgeschlagenen Opposition gegen die Politik des Exekutivkomitees eine Komödie der Irrungen, um die Tatsachen der Opposition zu vertuschen. Die Mitglieder der Partei sollen nicht wissen, was die Zentrale wirklich tut. Dies ist viel gefährlicher als die Stellung Levis zur Sache selbst. Die KPD hat immer einen klaren Standpunkt in politischen Fragen eingenommen. Sie überließ den Unabhängigen die Vertuschung der politischen Situation. Die KPD brauchte sie nicht zu vertuschen, weil sie die Auskämpfung der Gegensätze nicht zu befürchten hatte. Die USPD musste sie vertuschen, weil sie nur im Zwielicht leben konnte. Gen. Levi führt durch seine Resolution die Methoden der USPD in die VKPD ein. Dadurch wird nur das Vertrauen der klar sehenden Mitglieder zur Parteileitung untergraben und das Ansehen der Partei bei Freund und Feind gemindert.

Unter diesen Umständen stelle ich meine den beiden Vorsitzenden der Partei eingehändigte Resolution als prinzipielle Gegenresolution, schlage die glatte Ablehnung der Resolution Levis vor. Es ist besser, dass ein Vorsitzender der Partei einmal in der Zentrale in der Minderheit bleibt, als dass die Zentrale aus dem Willen heraus, ihn zu decken, nicht nur Zentrumspolitik treibt, sondern noch versucht, diese Tatsache vor der Partei zu verhüllen.

1. II. 1921.

Der deutsche Vertreter des Exekutivekomitees.

Daraufhin zog Genosse Levi seine Resolution zurück und die Zentrale nahm die Resolution des Vertreters der Exekutive an, indem sie sie im Punkte 4 und 5 in folgender Weise abschwächte:

Die Gruppe Serrati hat lieber die Spaltung der Partei und die Trennung von der Kommunistischen Internationale in Kauf genommen, als dass sie sich zur Scheidung von den Reformisten entschlossen hätte. Sie hat damit bewiesen, dass sie in Wirklichkeit noch nicht eine einheitliche, fest geschlossene kommunistische Kampfgruppe ist, sondern zentristische Elemente enthält, die zwischen dem Kommunismus und dem Reformismus schwanken. Die Zentrale der VKPD erkennt jedoch an, dass ein erheblicher Teil der Gruppe Serrati von dem ernsten, ehrlichen Willen beseelt ist, sich auf den Boden der Grundsätze und der organisatorischen Bedingungen der Kommunistischen Internationale zu stellen. Die Kommunistische Partei Italiens (Gruppe Bordiga-Bombacci) hat sich konsequent und entschlossen auf diesen Boden gestellt, sie ist deshalb die einzigste Partei Italiens, die auch von den Bruderparteien der anderen Länder als rechtmäßiges, vollberechtigtes Glied der Kommunistischen Internationale betrachtet und kraftvoll unterstützt werden muss.

Die Zentrale der VKPD hält eine Einigung zwischen der KPI und dem Teil der abgesplitterten Gruppe Serrati für möglich, der ernstlich entschlossen ist, eine aktive Kampfgruppe der Kommunistischen Internationale zu bilden, indem er sich in reinlicher Scheidung von allen zentristischen Elementen und Tendenzen lossagt. Die Zentrale der VKPD erwartet deshalb, dass die Exekutive der Kommunistischen Internationale auf eine Verständigung und Einigung der beiden Gruppen hinwirkt, deren ernste und wichtigste Vorbedingung selbstverständlich die Ausführung der Beschlüsse des zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale bleibt.“

Für diese Resolution stimmte die gesamte Zentrale. Die Abschwächungen. die von der Genossin Klara Zetkin eingebracht wurden, schienen nur ein Pflaster auf die Wunden des Genossen Levi zu sein, denn, nachdem sie die Zustimmung zur Politik der Exekutive ausgesprochen hatte, nachdem sie die Schuld an der Spaltung Serrati zugeschoben hatte, forderte sie von der Exekutive, sie solle auf die Einigung zwischen den italienischen Kommunisten und den Serratinern hinarbeiten, die sich von der Politik Serratis abwenden, und den Bruch mit den Reformisten vollziehen. Der Vertreter der Exekutive und die Exekutive selbst konnten natürlich ihre Zustimmung zur Resolution aussprechen, denn es ist klar, dass es keinesfalls das Ziel der Kommunistischen Internationale ist, dass ihre italienische Sektion niemals die Zahl der 60.000 Mitglieder überschreite. Die Exekutive wird nicht nur einzelne Gruppen der Serratianer, sondern die ganze Fraktion Serrati begrüßen, wenn sie sich entschließt, die Beschlüsse des Kongresses der Kommunistischen Internationale auszuführen.

Aber die Tinte war noch nicht getrocknet, mit der Genosse Levi den Strich durch seine italienische Politik getan hat, indem er für die Resolution vom 1. Februar gestimmt hat, als er schon am 7. Februar vor den Vertrauensmännern der Berliner Organisation mit einer Rede auftrat, in der er seine italienische Politik prinzipiell verteidigte, indem er erklärte, man hätte in Italien anders operieren müssen und statt mit jenen Elementen der Serrati-Gruppe, von denen im Zusatzantrag der Genossin Zetkin gesagt wurde, sie seien vom ernsten und ehrlichen Willen beseelt, sich auf dem Boden der Grundsätze und organisatorischen Bedingungen der Kommunistischen Internationale zu stellen, begann der Genosse Levi Verhandlungen mit Serrati, Verhandlungen, die ohne Stenogramm, ohne irgendwelche politische Vorsichtsmaßregel geführt, nur den Eindruck erwecken konnten, als stelle sich die Zentrale der VKPD auf den Boden der Vermittlung zwischen dem Zentristen Serrati und der Kommunistischen Internationale. Angesichts dieser Tatsachen brachte ein Teil der Mitglieder der Zentrale eine Resolution in der Zentrale ein, die die Pflaster, die auf die Wunden Levis in der Resolution vom 1. Februar von der Genossin Klara Zetkin gelegt worden sind, wegriss, in der volle Klarheit geschaffen wird über das Wesen der Fraktion Serrati und in der erklärt wird, dass die Heranziehung der revolutionären Arbeiter, die hinter Serrati stehen, zur Kommunistischen Internationale nur dadurch möglich ist, dass sie in der entschiedensten Weise den Kampf gegen Serrati aufnimmt. Die Annahme dieser Resolution durch den Zentralausschuss gab fünf Mitgliedern der Zentrale, dem Genossen Levi und der Genossin Klara Zetkin, den Genossen Däumig, Brass und Adolf Hoffmann Anlass zum Austritt aus der Zentrale. Dieser Austritt und seine Begründung bilden einen klaren Beweis der Kristallisation einer opportunistischen Führergruppe in der VKPD, die die bisherige Unfähigkeit der Führung einer revolutionären kommunistischen Politik, wie sie in der Haltung zur KAPD zum Ausdruck kam, zu einer bewussten opportunistischen Politik auszubauen sucht. Das wird sich klar zeigen bei der Prüfung der Begründung, die die fünf Genossen aus Anlass ihres Austrittes aus der Partei veröffentlicht haben und bei der Prüfung der Rede, die Genosse Levi im Zentralausschuss gegen die Politik der Exekutive hielt.

V.

Passive oder aktive revolutionäre Massenpartei.

Versetzen wir uns für einen Augenblick von Livorno nach Halle. Wir können dies desto leichter tun, weil doch Genosse Levi, um die Mehrheit der deutschen Kommunisten für sich zu gewinnen, immerfort mit der Behauptung hantiert, dass die italienischen Serratiner nichts anderes seien, wie die früheren linken unabhängigen Arbeiter. Würden in Halle die linken unabhängigen Arbeiter erklärt haben, sie seien zwar für die Dritte internationale, für die Diktatur des Proletariats, für den Bruch mit den Reformisten, aber sie vollen sich nicht ohne weiteres von Kautsky und Hilferding trennen, sie verlangen das Recht, die 21 Bedingungen „anpassen zu können“, so hätten wir heute keine Vereinigte Kommunistische Partei, sondern wir hätten die KPD als deutsche Sektion der Kommunistischen Internationale, und die Unabhängigen außerhalb der Kommunistischen Internationale. In Halle war glücklicherweise die Lage anders. So wie Serrati sprachen nicht die linken Unabhängigen, sondern so sprachen die rechten Unabhängigen wie Dittmann, Crispien und Hilferding. Es gibt kein einziges Argument; das von Serrati und den Seinen gebraucht wird und das nicht in den Protokollen des Haller Parteitages zu lesen wäre als Ausführungen der rechten Führer der Unabhängigen Sozialdemokratie. Darum haben wir mit den rechten Unabhängigen gebrochen, obwohl hinter ihnen noch Hunderttausende von Arbeitern stehen. Und jetzt kehren wir nach Italien zurück. Wie war dort die Lage? Wie kam es, dass die gesamte italienische Partei mit den Hilferding, Kautsky, mit den Dittmann und Crispien der Kommunistischen internationale angehören konnten? Dies erklärt sich aus den Unterschieden in der Geschichte der italienischen und der deutschen Partei, aus den Unterschieden der Situation im ersten Jahre nach der Beendigung des Krieges in Italien und Deutschland.

Wir wollen hier nur kurz auf diese Momente hinweisen. Schon im Jahre 1913, nach dem Tripoliskrieg, trennten sich von der Partei die schutzzöllnerischen Elemente des Reformismus. In der Partei blieben die pazifistisch demokratischen, so wie etwa Bernstein bei der Spaltung der deutschen Sozialdemokratie zu den Unabhängigen übertrat, weil er — obwohl ausgesprochener Reformist — aus pazifistischen Gründen gegen den imperialistischen Krieg war. Italien trat in den Weltkrieg ein Jahr später als die anderen Staaten. Die italienische Arbeitermasse und die italienische Partei hatten schon vor sich das Bild der Folgen des Krieges. Aus diesem Grunde konnte die Partei sich nicht für den Krieg erklären, aber es muss daran festgehalten werden, dass sie keinesfalls einen aktiven Kampf gegen den Kriegsausbruch führte. Sie begnügte sich mit Protesten, und weil sie keinen aktiven Kampf führte, sogar dann, wo die Arbeiter auf die Barrikaden stiegen, wie es der Fall in Turin im Jahre 1917 war, so hatten die opportunistischen Elemente keine Ursache sich von ihr zu trennen. Umgekehrt, da sie sahen, welche Zerrüttung der Krieg auf allen Gebieten verursachte, hofften sie nach Ende des Krieges aus ihrer Opposition gegen den Krieg ein Sprungbrett für ihre Politik der Koalition mit jenen bürgerlichen Elementen zu gewinnen, die wie Giolitti gegen den Krieg waren. Als der Krieg zu Ende war, bestand die Aufgabe der Reformisten darin, die revolutionäre Politik zu sabotieren, die die soziale Krisis, die Zersetzung des kapitalistischen Staates zu revolutionären Aktionen, zur Organisation des Bürgerkrieges ausnützen würde. Dieses Ziel konnten sie natürlich viel besser erreichen, wenn sie in der Partei blieben, als wenn sie mit ihr wegen der Sympathien zur Dritten Internationale brechen würden. Die Dritte Internationale war im ersten Jahre ihrer Existenz erst ein Symbol. Die Verbindungen mit dem blockierten, umzingelten Russland waren sehr schwierig. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale konnte in die Politik der einzelnen Parteien nicht hineinleuchten, geschweige denn hineingreifen. Modigliani, neben Turati und Treves der hervorragendste Führer der italienischen Reformisten beredete Longuet: Warum nicht in die Kommunistische Internationale eintreten? Es bedeutet doch nicht mehr als jemanden eine Ansichtskarte mit Grüßen zu senden! Auf diese Weise wurden Reformisten Mitglieder der Kommunistischen Internationale. Für den Preis der Absendung einer Ansichtskarte konnten sie ruhig den ganzen Apparat der Gewerkschaften, parlamentarische Mandate, den Apparat der 4000 Gemeinderäte in ihren Händen behalten. Und sie waren vor der Kritik der Arbeiter dadurch geschützt, dass sie doch ihre Sympathie mit Sowjetrussland und der Kommunistischen Internationale ausdrückten. Dass aber die revolutionären italienischen Arbeiter nicht erfahren, was die Kommunistische Internationale in Wirklichkeit wolle, dass sie nicht erfahren, dass ihr Kampf sabotiert wird, dafür sorgte als Kulisse zwischen den revolutionären Arbeitern und den Reformisten das Parteizentrum unter Führung Serratis. Dieses Parteizentrum, der deutschen Pedanterie eines Kautsky oder Hilferding bar, italienisch elastisch, temperamentvoll, konnte mit großen Erfolgen die Rolle des revolutionären Löwen spielen. Sorgten doch die D’Aragona in den Gewerkschaften dafür, dass es zu keiner Probe aufs Exempel komme, bei der sich der Löwe als Zettel des Schneiders erweisen würde, der zwar wie ein Löwe brüllen kann, aber dessen natürliche Stimme das Gurren der Taube ist. So wurde die Zugehörigkeit der italienischen Partei zur kommunistischen Internationale ein Hemmungsfaktor für die Entwicklung des Kommunismus in Italien. So konnte es kommen, dass, als es sich nach dem zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale gezeigt hat, dass die Zugehörigkeit zur Kommunistischen internationale revolutionäre Pflichten auferlegt, es Serrati noch gelingen konnte, die Mehrheit der revolutionären Arbeiter auf seiner Seite zu behalten. Würde die Kommunistische Internationale diesem Zustand kein Ende bereitet haben, würde sie die Turatianer weiter in ihren Reihen dulden, um die Serratianer nicht zu verlieren, so würde sie nicht in der Lage sein, vor den Augen der italienischen Massen das Spiel des Zentrums zu entlarven und den Massen das Wesen der kommunistischen Politik beizubringen. Wie die Tatsachen lagen, musste die Kommunistische Internationale einen zeitweiligen Bruch mit den 90.000 Serratinern in Kauf nehmen, eben um zu diesen Massen sich den Zutritt zu erkämpfen. Levi spricht von einer mechanischen Spaltung nur aus diesem Grunde, weil diese Spaltung nach einem halbjährigen und nicht nach einem ganzjährigen Kampfe erfolgte. Er spricht davon, man hätte den Bruch erstreben müssen auf Grund des Erlebens der Masse selbst, auf Grund ihres Wachstumsprozesses und er beruft sich auf einen Artikel Rosa Luxemburgs, den sie im Jahre 1904 gegen Lenin in der „Neuen Zeit“ veröffentlicht hat. Um mit dem Artikel der Genossin Luxemburg anzufangen, so werden sich die deutschen Kommunisten daran erinnern, dass dieser Artikel schon einmal gegen die Kommunistische Internationale ausgenützt wurde. Es war dies in Halle, wo ihn Rudolf Hilferding, der führende Theoretiker des Zentrums, gegen die Exekutive in die Wagschale warf. Levi wandelt in den Spuren von Rudolf Hilferding und er kann nicht einmal von sich sagen, was Hilferding sagen könnte, dass er den Artikel zitiert, ohne zu wissen, dass dieser Artikel von Rosa Luxemburg geschrieben wurde, als sie in der Spaltung der russischen Sozialdemokratie im Jahre 1904 auf der Seite der Menschewiki vorübergehend stand. Levi weiß das sehr gut, denn er hatte Gelegenheit, sich über diese Zeitumstände mehrmals zu orientieren. Für die Masse der deutschen Kommunisten seien jedoch hier kurz die Umstande geschildert, in denen der Artikel der Genossin Luxemburg entstanden ist. Die Spaltung in der russischen Sozialdemokratie wurde vollzogen im Streit um die Organisationsform der Partei. Die russische Sozialdemokratie stand einerseits vor der spontan anwachsenden Massenbewegung des Proletariats, die einen immer klareren und entschiedenen revolutionären Charakter annahm, auf der anderen Seite erzeugte die Zersetzung des Zarismus, die Schwächung und die Feigheit des sich erst bildenden russischen Liberalismus, starke revolutionäre Strömungen unter den bürgerlichen Intellektuellen. Der Einfluss des Marxismus stand in den intellektuellen Kreisen auf seinem Höhepunkt. Der Marxismus bedeutete für Russland damals in erster Linie die Beweisführung der Notwendigkeit des Unterganges des feudalen Zarismus und der bürgerlichen Republik als eines Durchgangsstadiums der Entwicklung. In dieser Situation nannte sich jeder revolutionäre gestimmte intellektuelle Sozialdemokrat. Es bestand darum die Gefahr, dass die sozialdemokratische Partei überschwemmt werde von Elementen, die in Worten sozialdemokratisch, im Wesen bürgerlich-radikal waren. Dem suchte Lenin vorzubeugen durch die Verpflichtung jedes Mitgliedes der Partei, in der illegalen Organisation zu arbeiten und durch die straffe Zentralisierung der Partei, die den erfahrensten, erprobtesten revolutionären Elementen Oberhand über die Mitläufer sicherte. Indem Martow forderte, als Parteimitglied jeden anzusehen, der das Programm der Partei anerkennt und sie materiell unterstützt, ohne von jedem Mitglied zu fordern, sich den Gefahren der illegalen Arbeit auszusetzen, öffnete er Tür und Tor den kleinbürgerlichen Elementen, als deren Partei sich später die Menschewiki auch erwiesen haben. In diesem Zeitpunkt war dieser Charakter des Menschewismus noch nicht so klar, und Rosa Luxemburg, die eine polnische und nicht russische Sozialdemokratin war, sah damals das Wesen der Differenzen nicht von der Situation aus, in der sich die russische Sozialdemokratie befand, sondern aus der Situation heraus, in der sie aufwuchs. In Polen trat die Spaltung zwischen dem kleinbürgerlichen Opportunistentum und den proletarischen, revolutionären Elementen zehn Jahre früher ein in einer ganz anderen Frage, in der Frage des Verhältnisses zu dem Nationalismus. Weil die Intellektuellen in ihrer überwiegenden Mehrheit nationalistisch gesinnt waren, bildeten sie die Polnische Sozialistische Partei (PPS), die die Unabhängigkeit Polens anstrebte. Die proletarischen Elemente gruppierten sich um die Sozialdemokratie Russisch-Polens, deren führende Theoretikerin Rosa Luxemburg war. Diese Partei war unter den kleinbürgerlichen revolutionären Elementen als die „russische“ verschrien, wie es heute die Kommunisten der ganzen Welt sind. Sie hatte also nicht zu befürchten, dass sich zu viele kleinbürgerliche Elemente in sie hineindrängten. Die Leninsche Vorsicht schien Rosa Luxemburg als Ausdruck eines übertriebenen Zentralismus und Misstrauens und die Spaltung der Partei wegen dieser Differenzen eine rein mechanische. Aber es vergingen ein paar Monate; die Entwicklung der revolutionären Ereignisse stellte auf die Tagesordnung die Frage vom Verhältnis zu den Liberalen, in welcher die Menschewiki sich für die Koalition mit der liberalen Bourgeoisie aussprachen, während die Bolschewiki den Kurs auf die Unterstützung der bäuerlichen, revolutionären Bewegung nahmen. Von diesem Moment an stand Rosa Luxemburg in allen entscheidenden politischen und organisatorischen Fragen auf der Seite der Bolschewiki.

Die Spaltungen, an denen die Geschichte der russischen Sozialdemokratie so reich war, waren nur in den Augen der Ebert und Scheidemann mechanische Spaltungen „in Gruppen und Grüppchen“, wie sich der brave Vater der Stinnes-RepubIik hochnäsig im Jahre 1912 auf dem Jenaer Parteitag ausdrückte. Für die russischen Proletarier waren sie ein Erlebnis in ihrem Kampfe, waren sie Etappen auf dem Wege zur Befreiung von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologien. Ohne diesen Reinigungsprozess hätte sich niemals der stahlharte Kern ausgebildet, den die Kommunistische Partei Russlands darstellt, die eiserne Phalanx, die ohne zu wanken, die Geschicke Sowjetrusslands unter den schwersten Bedingungen leitet. Die russischen revolutionären Arbeiter haben sich nicht weniger als die deutschen nach Einigkeit gesehnt und sie suchten sie immer herzustellen, wo nur irgendwie eine Hoffnung bestand, dass sie keine mechanische Einigkeit, sondern die Einigkeit des gemeinsamen Kampfes sein würde. Und die bolschewistische Partei hat sich niemals dieser Einigkeit entgegengestellt, wo nur der Boden für sie gegeben war. Aber sie hisste offen und klar die Fahne der Spaltung, wo die Einigkeit mit den Menschewiken nur der Bourgeoisie dienen konnte, indem sie das Proletariat zur Koalition mit der Bourgeoisie trieb oder nur für den Preis der Aufgabe der revolutionären Ziele und Methoden zu erreichen war.

Und wie die bolschewistische Partei, so war und ist die Exekutive der Kommunistischen Internationale immer bestrebt gewesen, revolutionäre Massenparteien zu bilden und nicht kleine reine Sekten. Dafür spricht die ganze Geschichte der Kommunistischen Internationale. Sie stellte sich offen und entschieden auf die Seite der Zentrale der KPD, als es sich darum handelte, ob sich der deutsche Kommunismus einkapseln soll in Zirkel der Propaganda der „reinen Lehre“ oder ob er hinuntersteigen soll in die Gewerkschaften, zu den Massen und auf den Misthaufen der sich bürgerlich-parlamentarische Tribüne nennt, wenn es sich nur um die Verbindung mit der kämpfenden Arbeitermasse handelte. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale hat, sobald sich in der Unabhängigen Sozialdemokratie ein Kern revolutionärer Arbeiter auszubilden begann, Verhandlungen mit den Unabhängigen angestrebt. Aber gleichzeitig hat die Exekutive darüber gewacht, dass unter der Maske der Einigung des revolutionären Proletariats, unter der Maske der Bildung großer Massenparteien die proletarischen Massen nicht den Zentristen, den Hilferding und Dittmann ausgeliefert werden. Die ganze USPD hat sich in Leipzig für die Diktatur des Proletariats und das Rätesystem ausgesprochen und es unterliegt gar keinem Zweifel, dass neun Zehntel der USPD-Arbeiter es ehrlich damit meinten. Auch sie waren überzeugt, nicht minder wie die Serratianer, dass die Crispien und die Dittmann Revolutionäre sind. Konnte sich doch Dittmann auf die Zeit berufen, die er während des Krieges hinter Schloss und Riegel zugebracht hat, während sich Serrati nur auf seine Phrasen berufen konnte. Und was revolutionäre Phrasen anbetrifft, so kann ein Crispien oder Ledebour auch mit Serrati es aufnehmen. Warum begnügte sich die Exekutive nicht mit den Lippenbekenntnissen des gesamten Kongresses der USPD zur Revolution und zum Kommunismus? Warum stellte sie Bedingungen? Weil sie die Taten der Crispien und der Dittmann kannte, weil sie sie binden wollte. Die 21 Bedingungen sind selbstverständlich für einen wirklichen Kommunisten, für einen verkappten Opportunisten aber sind sie das Geisterzeichen, das ihnen höllische Angst einjagt. Wie Crispien und Dittmann, so kann Serrati diese 21 Bedingungen nicht akzeptieren. Würde die Kommunistische Internationale auf sie verzichten, sie würde eine mechanisch geeinigte Partei schaffen, die in Wirklichkeit gespalten wäre in eine Masse revolutionärer Arbeiter und eine Clique Führer, die revolutionäre Phrasen im Munde tragen und jede revolutionäre Tat des Proletariats sabotieren würden. Nun, ein großer Teil der Arbeiter, die Dittmann und Crispien gefolgt sind, und sich von der Kommunistischen Internationale getrennt haben, ist nicht schlechter als ein Teil der Serratianer und trotzdem hat die Kommunistische Internationale sich von ihm äußerlich trennen müssen für so lange, wie diese Arbeiter in Dittmann und Crispien ihre Führer sehen und dadurch beweisen, dass sie sich noch betrügen lassen. Warum schrie Levi Hosianna bei der Spaltung in Halle und warum schreit er Weh-Weh bei der Spaltung in Livorno? Weil die Unabhängigen in Halle, als sie sich spalteten, der Internationale noch nicht angehörten und die gesamte italienische Partei in Livorno vor der Spaltung der Kommunistischen Internationale formell angehörte. Wenn es eine mechanische Auffassung gibt, so ist es die Auffassung Levis. Rühre Serrati nicht an, weil er der Kommunistischen Internationale schon angehört. Ob er ein Kommunist ist, oder nicht. Das ist die tiefste Philosophie des nicht mechanischen Genossen Levi. Er, der mit großer Energie gegen die These des ungarischen Genossen Rakotschi auftritt, die Kommunistische Internationale brauche keine Rekruten, sondern fertige Soldaten, er stellt die These auf: wer einmal der Kommunistischen Internationale beigetreten ist, der ist ein für allemal ein fertiger Kommunist, wie eine Puppe fertig ist, wenn sie aus der Werkstatt auf den Markt gekommen ist. In den großen Kämpfen, die das Weltproletariat vor sich hat, wird noch manche Puppe und sogar mancher Götze in Brüche gehen und die Kommunistische Internationale muss es ablehnen, Freibriefe für Führer auszustellen, die zu ihr kommen. Laufenberg und Wolffheim waren auch Mitglieder der Kommunistischen Internationale und sie stehen jetzt im Lager der Konterrevolution und niemand weiß, wohin der Sturmwind, dessen Sausen wir hören und dessen Stöße wir fühlen, manchen Führer des Kommunismus noch hinjagen wird in Deutschland und in anderen Ländern.

Darum eben hat die Kommunistische Internationale allen Kommunistischen Parteien zur Pflicht gemacht, systematisch ihre Reihen zu reinigen von den Elementen, die sich um fähig oder unwillig zeigen, kommunistische Politik zu treiben.

Sekte oder Massenpartei“, so stellt Gen. Levi die Frage. Er ist glücklich zurückgekommen zu der Lage des Jahres 1919, und er kann in gut ausgefahrenen Geleisen sich mit der Miene eines alten Heldenvaters bewegen. Aber diese Problemstellung ist lächerlich angesichts der einfachen Tatsachen. Die VKPD ist eine Partei von einer halben Million Mitgliedern. Sie ist mit voller Energie daran, in den Gewerkschaften Millionen Arbeiter um sich zu gruppieren. Sie hat in den letzten drei Monaten in den Gewerkschaften große Erfolge zu verzeichnen, Erfolge, die darauf hinweisen, dass ihre Verbindung mit der Masse immer intimer wird. In dieser Situation zu kommen und zu erklären: uns drohe die Gefahr, eine Sekte zu werden, ist lächerlich. Uns droht eine ganz andere Gefahr. Wir sind eine Massenpartei. Dies ist natürlich ein relativer Begriff. Eine halbe Million Arbeiter sind keine drei Millionen und drei Millionen sind keine fünf Millionen, darum kann man unter der Berufung auf die Notwendigkeit der Steigerung des Massencharakters der Partei, der Steigerung ihrer Verbindung mit der Arbeitermasse, dazu kommen, von der Partei zu fordern, sie solle sich mit Agitation und Organisation befassen, bis der große Moment gekommen ist, wo die gebratenen Tauben uns von selbst in den Mund fliegen werden. Nicht Massenpartei oder Sekte steht die Frage, sondern untätige Massenpartei oder revolutionäre, aktive, handelnde Massenpartei. So ist die Frage geschichtlich gestellt. Damit die Partei eine kämpfende Massenpartei sei, genügt nicht, die Verbindung mit der Masse zu verstärken, die Organisationen auszubauen; sie muss bewusst jede zentristische Politik ablehnen.

Das Wesen des Zentrums ist Passivität. Die Kautsky und Hilferding treiben ihre Politik nicht darum, weil sie eine falsche Theorie haben, sondern der Verfasser des „Finanzkapital“ und der Verfasser des „Weg zur Macht“ sind zu einer falschen opportunistischen Theorie gelangt, zur Theorie der pazifistischen und demokratischen Illusionen, weil sie in der Zeit, die Taten forderte, vor der Tat zurückschreckten. Weil Kautsky und Rudolf Hilferding nicht gewagt haben, das Proletariat aufzufordern, der wachsenden Macht des Imperialismus die revolutionäre Mobilisation des Proletariats entgegenzustellen, die auf den Massenstreik gerichtete Agitation und Organisation, mussten sie sich selbst und das Proletariat mit Illusionen über die Möglichkeit der Abrüstung betrügen. So war es vor dem Kriege, und als der Krieg ausbrach und sie nicht wagten, die Arbeitermassen zum Bürgerkrieg aufzufordern, sie für ihn geistig und organisatorisch vorzubereiten, mussten sie sich und die Massen mit der Hoffnung auf einen Verständigungsfrieden beruhigen. Und als der Krieg mit der Zerschmetterung des deutschen Imperialismus endete, als die Massen aufstanden, als die Frage stand: entweder proletarische Diktatur oder Diktatur des Kapitals, und als die Kautsky und Hilferding vor den Leiden und Schwierigkeiten des Bürgerkrieges zurückschreckten, da mussten sie sich und die Arbeiter mit der Möglichkeit des demokratischen Weges zum Sozialismus trösten. Das Gehirn war nur willenloser Diener des mangelnden Willens, der Passivität. Und jeder Kommunist, der heute noch alle Thesen der Kommunistischen Internationale annimmt, wird morgen zu ihrer Verwerfung gelangen, wenn er passiv bleiben wird, wo das eiserne Muss von uns Taten fordert. Genosse Levi und die Seinen sind schon dazu gekommen, die Kommunistische Internationale anzuklagen, sie wolle Sekten und keine Massenparteien. Diese Anklage ist nicht organisatorischer, sie ist politischer Natur, denn sie stützt sich auf die Auffassung, dass, wenn die Kommunistische Internationale eine klare, revolutionäre Politik treibt, wenn sie für die Vorbedingungen einer solchen Politik eintritt: den Ausschluss der Reformisten, eine scharfe revolutionäre Agitation der kommunistischen Presse, scharfe politische Aktionen, so trenne sie sich von den Massen. Der Problemstellung „Massenpartei oder Sekte“ musste darum die Anklage des Putschismus folgen. Als der Schreiber dieser Worte die Rede Levis im Zentralausschuss der Partei vom 24. Februar las, erklärte er in der Sitzung der Exekutive der Kommunistischen Internationale: „Demnächst wird uns Levi des Putschismus anklagen“. Die dabei anwesenden Genossen Brass und Geyer, Gesinnungsgenossen des Levi, erklärten: „es sei unerhört, auf Grund von Prophezeiungen Anklagen zu erheben“. Wir haben uns als gute Propheten erwiesen. In der Sitzung der Berliner Funktionäre vom 7. April klagte der Genosse Levi uns und die Zentrale der VKPD des bakunistischen Putschismus an aus Anlass der Märzaktion, in der die VKPD versucht hat, sich aktiv der Erdrosselung des mitteldeutschen Proletariats entgegenzusetzen. Am 8. April wurden dieselben Anklagen von seinen Gesinnungsgenossen im Zentralausschuss der Partei wiederholt. Bei der ersten großen Aktion, die die VKPD zu führen hatte, musste es sich zeigen, dass die opportunistischen Tendenzen, die bisher als Einzelentgleisungen galten, als Reflex ungeklärter ausländischer Streitfragen, als Resultat persönlicher Verbitterung, dass dies Tendenzen der deutschen Bewegung sind, dass sie die Lebensfrage der Partei, die Frage nach ihrem Wesen berühren. „Massenpartei oder Sekte“, so stellte die Frage Genosse Levi. Kämpfende revolutionäre Massenpartei oder passiver Haufe der im Winde der Geschichte zerflattern muss, so stellen die Märzereignisse die Frage.

VI.

Die Märztage.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass sich in Deutschland ein unaufhaltbarer Prozess der Radikalisierung der Arbeiter vollzieht. Diese Radikalisierung äußert sich einstweilen in der wachsenden Missstimmung mit den bestehenden Verhältnissen. Arbeiter, die an die Besserung ihrer Lage in den politischen Verhältnissen, die jetzt bestehen, glauben, sind wohl sogar mit der Kerze nicht aufzufinden. Aber nur ein Teil der Arbeiterschaft ist vom Kampfeswillen belebt, die Mehrheit fühlt sich ohnmächtig, die Verhältnisse zu ändern. Je mehr der Druck steigt, desto unsicherer fühlt sie sich. Aber noch immer starrt sie auf die Gewerkschaftsleitungen in den sozialdemokratischen Parteien und hat keinen Mut, offen mit ihnen zu brechen. Unsere Erfolge in der Kampagne, die unter der Losung des Offenen Briefes geführt wurde, bedeuteten einen Schritt eines Teiles der Arbeiterschaft nach links. Aber es war eine Verschiebung in der Stimmung, nicht in der Tat. Die Kampagne für den Offenen Brief konnte agitatorisch natürlich nicht ohne Ende geführt werden. Man kann nicht ohne Ende agitieren für eine Aktion und gleichzeitig unaktiv bleiben und gleichzeitig die Massen auf die Zukunft vertrösten. Die Agitation in den Gewerkschaften, die Agitation in den Versammlungen wie in der Presse musste erstens gesteigert werden durch eine Reihe politischer Kampagnen. Es musste versucht werden, die sich für die Forderungen des Offenen Briefes aussprechenden Arbeitermassen auf einer weit sichtbaren Tribüne zusammenzuführen, es musste versucht werden, die Agitationsperiode zu einem vorläufigen Abschluss auf höherer politischer Stufe zu bringen, sei es durch Einberufung von Arbeiterkongressen der Industriezweige, in denen sich die Aktivisierung der Arbeiterschaft bemerkbar machte, sei es eines allgemeinen Arbeiterkongresses von Vertretern lokaler Gewerkschaften, die sich für die Forderung des Offenen Briefes erklärt haben und von Vertretern öffentlicher Versammlungen, die zu diesem Zwecke einberufen werden konnten. Es musste gleichzeitig in der gesamten Parteipresse, in den Flugblättern ein aufrüttelnder Angriffston angeschlagen werden, der in den breiten Massen das Bewusstsein wachrufen würde, dass es notwendig ist zu handeln, dass die Kommunisten gewillt sind zu handeln. Die Forderungen der Entente, der vollkommene Zusammenbruch der bürgerlichen Politik, die schwere Krise, in der sich das bürgerliche Deutschland befand, bildeten einen günstigen Boden für den Versuch der Partei, breite Massen der Arbeiterschaft um die Kommunistische Partei zu scharen, die Scheidewände niederzureißen, die die Mehrheitssozialdemokratie und die Unabhängigen zwischen den Kommunisten und den zurückgebliebenen Arbeitermassen aufgerichtet haben. Diese politische Aktivität, die Steigerung des Bewusstseins der Gefahr nicht nur durch Artikel, sondern durch politische Kampagnen, fehlten. Die Parole des Bündnisses mit Sowjetrussland war eine nichts sagende Parole, denn weder sagte sie, wer sich mit Sowjetrussland verbinden soll, noch wie er sich mit Sowjetrussland verbinden soll: sie sagte nicht, was man tun soll. Im Parlament ausgegeben, im parlamentarischen Stile des Einredens auf die Bourgeoisie gehalten, ohne einen Versuch, sie in die Massen anders hineinzutragen, als dass man diese Parole in kommunistischen Versammlungen wiederholte, war sie ein politisches Verlegenheitsprodukt und kein Mittel der Steigerung der Aktivität der Arbeiter. Die Partei verstand nicht, die Agitation, die sie mit dem Offenen Brief begann, zu steigern, obwohl sie wusste, dass jeden Tag Situationen eintreten können, wo sie verpflichtet und genötigt sein wird, die Proletarier zum aktiven Kampf aufzufordern.

Diese Situation trat ein, als die deutsche Regierung beschloss, zur Besetzung des mitteldeutschen Kohlenreviers durch die Sipo zu schreiten. Dass dies ein bewusster politischer Akt seitens der Stinnes-Regierung war, unterliegt keinem Zweifel. Ob die Stinnes-Regierung es auf einen endgültigen Bruch mit der Entente ankommen lassen, oder sich zur Kapitulation bereit erklären will, in beiden Fällen muss sie die Arbeiterschaft fest in der Hand behalten. Sie muss imstande sein, ebenso gegen den Willen der Arbeiterschaft sich in ein Abenteuer gegen die Entente zu stürzen, wie die Arbeiterschaft mit gebundenen Händen der ententistischen Ausbeutung auszuliefern. Die Lage in Oberschlesien, die Kämpfe, die zu erwarten waren, unabhängig davon, ob die oberschlesischen Wahlen zugunsten oder zuungunsten des deutschen Kapitals ausfallen würden, forderten, dass die Regierung frei über Mitteldeutschland verfüge, das im Falle eines Kampfes mit Polen wichtiges Durchgangsgebiet für die Truppen darstellen würde. Sollte die VKPD untätig zuschauen, wie das rote Mitteldeutschland, die stärkste Burg des deutschen Kommunismus, in Banden geschlagen wird? Die Entscheidungen der Partei dürfen nicht durch Gefühlsmomente bestimmt werden; sie müssen von einer realen Einsicht in die bestehenden Machtverhältnisse bestimmt werden. Diese Einsicht ermöglichte und erforderte eine Aktion der Partei. Die Resultate unserer Agitation in den Gewerkschaften schufen um die kommunistische Partei einen Ring von ungefähr 1 Million von Arbeitern, auf deren Unterstützung wir rechnen konnten. — Eine Massenstreikbewegung, die von anderthalb Millionen Arbeitern getragen werden kann, bedeutet einen starken politischen Schlag gegen die Bourgeoisie. Es handelt sich nur darum, den Übergang zur Aktion, den Aufmarsch dieser anderthalb Millionen Arbeiter strategisch richtig vorzubereiten und die einstweiligen Grenzen der vorauszusehenden Aktion klar zu ziehen. Weder das eine, noch das andere wurde getan. Der Aufmarsch musste erfolgen in Anknüpfung an die bisherige Arbeit der Partei. Die Taktik des Offenen Briefes, wenn er nicht ein einmaliger Trick war, forderte, bevor wir in die Aktion schritten, vor den Massen festzustellen, dass es nicht unsere Schuld ist, wenn wir genötigt sind, zu einer selbständigen Sonderaktion zu greifen. Die Bedürfnisse des Aufmarsches erforderten also, dass wir uns noch einmal an die Gewerkschaften und an die sozialdemokratischen Parteien wenden und an sie die Frage stellen: „Wollt Ihr zusammen mit uns die Bergarbeiter Mitteldeutschlands verteidigen oder nicht?“ Da die Regierungsaktion in Mitteldeutschland von dem preußischen Innenminister, dem Sozialdemokraten Severing ausging, da sie von dem Sozialdemokraten Hörsing auf Geheiß der Bourgeoisie erfolgte, so hatten wir erstens die Aufgabe, die Sozialdemokratie zu nötigen, sich offen zu diesem Schlage gegen die Arbeiter zu bekennen, zweitens, die Unabhängigen zu nötigen, sich vor den Arbeitern in klarer Weise dazu zu bekennen, ob sie in einer Front mit der Orgesch und mit Severing oder mit den Bergarbeitern Mitteldeutschlands stehen wollen. Dies alles wurde unterlassen, wodurch die Verantwortung für die selbständige Aktion auf uns, auf die VKPD äußerlich fiel. Gleichzeitig wurde der Zweck des Kampfes nicht eng und klar begrenzt. Natürlich ist es klar, dass bei einem großen Erfolge der Aktion wir auch ihre Ziele erhöhen konnten. In dem gegebenen Moment mussten wir sie auf die Forderung der Rückgängigmachung des Erlasses Hörsings und die Bewaffnung von Arbeiterwehren konzentrieren und wir mussten uns sagen: solange sich nicht große Massen des Proletariats der Aktion anschließen, darf sie nicht über die Rahmen des Massenstreiks hinausgehen. Erst wenn wir große Siegeschancen vor uns hätten oder, wenn brutale militärische Eingriffe die Massen bis zur Siedehitze bringen würden, war es Zeit, den bewaffneten Arbeitergruppen die Losung zu geben: „Greift zu den Waffen!“ Und dann musste gesagt werden: „Schließt Euch nicht in einzelnen Punkten ein, sondern, wenn Ihr zu den Waffen greift, dann mit dem Ziele, breitere Massen der Arbeiterschaft zu bewaffnen und mit ihnen den Feind dort zu suchen, wo er geschlagen werden soll.“ Diese klare Umgrenzung der Kampfesweise wurde nicht vorgenommen. Die Arbeiter der Leunawerke und anderer Zentren unserer mitteldeutschen Bewegung griffen sofort zu den Waffen, blieben teils mit ihnen in den Werken, wo sie leicht eingeschlossen werden konnten, teils erschöpften sie ihre Kraft in ziellosen Aktionen. Das unsinnige Auftreten einzelner KAP-Arbeitergruppen, die entgegen dem Willen ihrer Führer eine Reihe von Attentaten begingen, verwirrten die Arbeitermasse und erleichterten der unabhängigen Führerschaft. schamlos und offen an die Seite der Konterrevolution zu treten. Wenn man die kommunistische Presse dieser Tage verfolgt, so zeigt es sich auch, dass der kommunistische Parteiapparat den Übergang von der Agitation zur Aktion nicht ohne weiteres vollziehen konnte. Weder die Presse noch die Organisationsleiter verstanden es, mit voller Energie und Leidenschaft aufzutreten, mit Ausnahme von ein paar Organen wie die „Rote Fahne“ und das Hamburger Parteiblatt zeigen sie nicht das Verständnis des Ernstes der Lage, in der sich die Vorhut des Proletariats befand.

Wir haben mit voller Offenheit die Mängel der Bewegung dargelegt, wie wir sie auf Grund des uns vorliegenden Materials sehen, denn ohne ihre Klarlegung und ohne ihre offene Besprechung ist es unmöglich, die nächsten Aktionen besser zu gestalten und auszuführen. Aber über der Kritik darf nicht vergessen werden, erstens, dass ein allgemeiner endgültiger Kampf ohne Vorkämpfe unmöglich ist. Wer aus Anlass dieser Aktion naserümpfend über „revolutionäre Gymnastik“ spricht, der beweist, dass er das ABC der kommunistischen Politik nicht verstanden hat. Eine Arbeiterklasse, die sich gewöhnt, ihre Politik als ein reines Rechenexempel zu behandeln und aus der Rechnerei heraus jede Provokation, jeden Schlag annimmt in der Hoffnung auf die letzte Abrechnung, wird niemals zu dieser letzten Abrechnung kommen. Natürlich kann sich die Partei nicht jeden Tag in den Kampf stürzen, sie muss die Situationen abwägen. Eine kommunistische Kritik, die zu beweisen suchen würde, dass aus Anlass der Ereignisse in Mitteldeutschland es nicht notwendig war, den Kampf zu beginnen, wäre keinesfalls eine unzulässige Kritik. Aber die Kritiker der Aktion aus den Parteikreisen sprechen sich gegen die Märzaktion als einen bakunistischen Putsch aus mit folgender Begründung: die Aktion sei eine Parteiaktion gewesen, ein Kampf gegen große Arbeitermassen. Dieser Vorwurf des bakunistischen Putsches beruht auf dem Missbrauch des Wortes Putsch und des Namens Bakunin. Ein Putsch besteht, wenn ein kleiner Teil von Revolutionären durch konspirativ vorbereitete Erhebung versucht, die Macht an sich zu reißen. Hier trat die Partei, die eine halbe Million Mitglieder zählt, offen auf und suchte die Arbeitermassen zu einem Abwehrkampfe ihrer eigenen Interessen zu führen. Dieser Kampf mag mit einer Niederlage geendet haben, er stellte den ersten Versuch der VKPD dar, in einer einheitlichen Aktion die gemeinsamen Interessen des deutschen Proletariats zu verteidigen. Aber diese Aktion war nur eine Parteiaktion, wie es in der Resolution der „Antiputschisten“ heißt, die sie im Zentralausschuss der Partei vorlegten.

Genosse Levi spricht sogar von einem „Privatunternehmen der Partei“. Und hier stehen wir vor der Hauptdifferenz. Wenn diese Genossen im Rechte sind, wenn eine große Arbeiterpartei auf jede selbständige Aktion zu verzichten hat bis zum Moment, wo sie die große Mehrheit der Arbeiter für sich gewonnen hat oder wo die anderen auf das Proletariat sich stützenden Parteien genötigt sind, mit ihr zu gehen, dann haben wir eine rein wartende, agitierende und propagierende Partei, dann haben wir eben die Partei des Zentrums, wie sie leibt und lebt.

Wenn die von dem Zentralausschuss abgelehnte Resolution des rechten Flügels der Partei demgegenüber behauptet, man solle territorial beschränkte Teilaktionen führen und auf sie hinwirken, so ist das ein Verlegenheitsprodukt der Verfasser, die verhüllen wollen, dass sie eine rein passive Taktik verteidigen. Auf territorial begrenzte Teilaktionen können wir natürlich nicht ohne weiteres verzichten, sie jedoch als Generalrezept für die Partei vorzuschlagen, bedeutet, alle Lehren der zwei Jahre der Revolution vergessen zu haben. Die Entwicklung der deutschen Revolution ging über hundert zusammengebrochene territoriale Teilaktionen. Der Fortschritt, den wir endlich zu verzeichnen haben, besteht in der Bildung einer proletarischen Massenpartei für das ganze Reich, und diese Massenpartei soll dem Proletariat wieder erklären: Zurück zu den Lokalaktionen, damit Euch der Feind teilweise schlagen kann! Aber ganz abgesehen davon, dass die lokale Aktion kein Ersatz für die allgemeine Aktion bildet, wie wollen die Strategen des Lokalkrieges die territorial begrenzten Teilaktionen führen? Sie wollen natürlich an sie nur dann herangehen, wenn auch lokal eine große Mehrheit der Arbeiter hinter uns steht. In ihrem lokalen Unterschlupf stoßen sie also auf dieselbe Frage, die bei den allgemeinen Aktionen steht, auf die Frage: darf die Partei Aktionen unternehmen, bevor die Mehrheit des Proletariats hinter ihr steht? Daraus zeigt sich: alle aktivistischen Redensarten der Vertreter der im Zentralausschuss abgelehnten Resolution sind eben Redensarten. Der Hintergrund der Politik des rechten Flügels ist die Passivität. Die theoretische Grundlage des Protestes des rechten Parteiflügels gegen die angebliche Putschtaktik der Zentrale ist gegeben in dem Artikel des Genossen Paul Levi „Die Lehren der ungarischen Revolution“, den er im Juni 1920 in der „Internationale“ gegen meine Einleitung zu der „Geschichte der ungarischen Revolution“ von Bela Szanto veröffentlicht hat. In diesem Artikel erklärte sich Levi nach langem Hin und Wider dafür, man dürfe nur dann kämpfen, wenn man die sichere Aussicht auf den Sieg hat. Nun, wir waren niemals Anhänger. der Theorie, die da besagt, dass, weil der Weg zum Sieg durch Teilniederlagen führe, so könne man leicht die Niederlagen in den Kauf nehmen. Die Niederlagen müssen womöglich vermieden werden, aber damit ist nicht gesagt, dass jeder Kampf, der nicht zum unmittelbaren Erfolg führt, eine Niederlage ist.

Wenn ein Kampf, der uns keinen Erfolg gibt, uns erlaubt, die Schwächen der eigenen Organisation, der eigenen Partei zu erkennen, die uns sonst entgangen wären, wenn er uns erlaubt, vor die Massen später zu treten und sie daran zu erinnern, dass wir es waren, die für ihre Interessen bluteten, während sie sich von Verrätern irreführen ließen, während sie schwankten, so handelt es sich um eine Niederlage, die tausendfache Erfolge in der Zukunft bringen wird.

Das, was am meisten den opportunistischen Charakter der Kritik an der Märzaktion beweist, wie sie seitens des rechten Flügels der Partei geführt wird, ist die Behauptung, diese Aktion sei zum Kampfe der Partei gegen die proletarischen Massen geworden. Die Identität der Kritik der opportunistischen Kommunisten mit der der unabhängigen, ist hier frappant. Man kann nur zur Verteidigung der Unabhängigen sagen, dass sie wenigstens wissen, was sie tun. Sie erstreben die gemeinsame Front mit den Scheidemännern, die in gemeinsamer Front mit der Bourgeoisie gegen die Vorderreihen des Proletariats kämpfen. Wenn aber Kommunisten angesichts einer Aktion, in der sich die kommunistische Partei zwischen die weißen Banden und die mitteldeutschen Proletarier warf, um dieses Zentrum der deutschen kommunistischen Bewegung zu decken, wenn sie in einer solchen Situation erklären, das sei eine Aktion gegen das Proletariat, so muss diesen Genossen gesagt werden: bis hierher und nicht weiter! Es muss ihnen gesagt werden, dass die Freiheit der Kritik dort endet, wo nicht nur die Waffen dem Feinde geliefert werden, sondern wo die vergifteten Waffen des Feindes gegen die eigene Partei gerichtet werden.

Zum Schluss einige Bemerkungen über eine blödsinnige Verleumdung der unabhängigen Presse, über die Behauptung, die Märzaktion sei eine auf Befehl der Exekutive der Kommunistischen Internationale durchgeführte Aktion gewesen, deren Gründe in der schweren Lage Sowjetrusslands liegen sollen. Wenn diesen Vorwurf die Noskiden erheben, die schon die Opfer der Januar- und Märzkämpfe des Jahres 1919 den weißen Garden auslieferten mit dem Geschrei: Söldlinge Russlands! so ist nur zu sagen, die Stampfer und Scheidemann sind sich selbst getreu geblieben. Sie werden als Schufte sterben. Wenn aber Rudolf Hilferding und seine Mamelucken angesichts der Opfer der Ebertinischen außerordentlichen Gerichte aufstehen und erklären: es sind nicht die Opfer der Stinnes-Republik, die hier bluten, es sind die Opfer Moskaus, so ist hier folgendes festzustellen: dass was Sinowjew in Halle den Crispien, Dittmann und Hilferding prophezeit hat, dass sie bald zusammen mit der kapitalistischen Presse gegen Sowjetrussland und die Kommunistische Internationale hetzen werden, ist Tatsache geworden. Angesichts dessen sagen wir den unabhängigen Arbeiter: „Ihr habt doch in Halle erklärt, ihr wollt Sowjetrussland in seinem schweren Kampfe durch die Verschärfung eures eigenen Kampfes helfen, weil jede Hilfe für Sowjetrussland eine Hilfe ist, die sich die deutsche Arbeiterklasse selbst leistet. Würde Sowjetrussland fallen, so würde die Weltrevolution sich unter zehnmal schwierigeren Umständen durchsetzen müssen. Die Reaktion könnte dann die russischen menschlichen und materiellen Kräfte ausnützen, um die proletarische Weltrevolution zu erdrosseln. Wer also der Auffassung ist, die Arbeiter in den anderen Ländern hätten in ihrer Taktik keine Pflicht, die Weltsituation zu berücksichtigen, hätten nicht die Pflicht, mit der Lage Russlands zu rechnen, der ist ein Schwätzer oder ein bewusster Konterrevolutionär.“ Was aber die konkrete Behauptung anbetrifft, die Exekutive hätte den deutschen Kommunisten irgendeine konkrete Aktion anempfohlen, so ist es eine Verleumdung, an die sogar ihre Verfasser nicht glauben. Sowjetrussland ist im gegebenen Moment durch keine militärischen Aktionen der kapitalistischen Staaten bedroht, die es erforderlich machten, sofortige Entlastungsaktionen im Westen anzufangen. Wenn dies jemals notwendig war, hat die Exekutive in offenen Aufrufen die Proletarier des Westens zu Demonstrationen und Streiks aufgefordert. Die Gefahren, von denen Sowjetrussland bedroht wird, bestehen darin, dass sich ein Land isoliert auf die Länge hin nicht inmitten der kapitalistischen Welt allein halten kann. Die Hilfe, die also Sowjetrussland von den proletarischen Massen des Westens erwartet, ist, dass sie mit gesteigerter Energie ihren Kampf gegen den Kapitalismus führen und die Zeitspanne abkürzen, in der Sowjetrussland isoliert dasteht. Dies alles sagt die Kommunistische Internationale offen allen ihren Mitgliedern, und von diesem Bewusstsein muss die Taktik aller Kommunistischen Parteien beseelt sein. Mit der Bestellung von Aktionen befasst sich aber die Exekutive nicht. Das wissen unsere Gegner sehr gut. Die Legende von dem Moskauer Befehl soll nur verhüllen, dass die Sozialdemokraten beider Couleur auf Befehl der Bourgeoisie oder aus der Gemeinsamkeit der Front mit der Bourgeoisie das mitteldeutsche Proletariat den Schergen Hörsings ausgeliefert haben.

VII.

Die Lage in der VKPD

Wir haben in den vorhergehenden Kapiteln Schritt für Schritt die Entwicklung einer Reihe von Differenzen in der VKPD geschildert, wie sie chronologisch eine nach der anderen entstanden sind. Auf diese Weise konnte viel besser der Charakter der Krise dargestellt werden, als wenn wir von vornherein eine zusammenfassende Gruppierung der Gegensätze, wie sie in sich übergreifen, gegeben hätten. Das Bild der Situation, das sich aus unserer Darstellung ergibt, ist klar. Die VKPD erlebt die Kristallisation eines rechten Flügels, der — mag er von sich sagen, was er will — seinem Wesen nach eine zentristische Politik betreibt. Dieser Flügel versteht nicht die Rolle der Arbeitslosenfrage in der Revolution, er versteht nicht die Notwendigkeit der Ausnützung aller seiner Zerfallsprodukte für den Kampf gegen den Kapitalismus, die sich als wirre Bewegungen. unklare revolutionäre Stimmungen der ins Elend gestürzten Schichten des Proletariats äußern. Er sieht in ihnen nur die wirren Formen und die unmarxistischen Gedankengänge, er sieht nicht die revolutionären Triebe und den revolutionären Kampfwillen. Er starrt nur auf die sich allmählich zum Kommunismus entwickelnden rechten Arbeitermassen, er versteht nicht, dass wir auch in unserer Taktik mit jenen Massen zu rechnen haben, denen ihre materielle Lage nicht erlaubt zu warten. In seinem Erwarten der Ermannung der rechts stehenden proletarischen Massen will der rechte Flügel auf jede Sonderaktion der Kommunistischen Partei verzichten. Die Zeit bis zum Aufwachen dieser rechts stehenden Arbeitermassen will der rechte Flügel der Kommunistischen Partei mit Agitation, Propaganda und Organisationsarbeit ausfüllen, und weil er fürchtet, die rechts stehenden Arbeitermassen vor den Kopf zu stoßen, sucht er diese Agitation und Propaganda möglichst „anständig“ zu führen. So hat Paul Levi schon am 4. Januar in seinem Artikel über die „Taktischen Fragen“ in der „Roten Fahne“ folgendes geschrieben:

Gerade aber mit Rücksicht auf diese Arbeitermassen, die rechts von uns stehen und die unser Rekrutierungsgebiet sind, war und ist es notwendig, dass wir unsere kommunistischen Grundsätze klar und eindeutig vertreten und dass wir alles abtun, was uns, ohne dass es kommunistisch wäre, doch in den Augen und in den Sympathien der großen proletarischen Massen geschadet hat. Nach dieser Richtung hin, war außerordentlich belehrend ein Artikel, der in diesen Tagen im „Vorwärts“ von einem Berliner Betriebsrat, der politisch zur SPD gehört, geschrieben war. Dieser Arbeiter ist seinem Empfinden nach zweifellos revolutionär. Er empfindet die gegenwärtigen Verhältnisse als ebenso unerträglich, wie sie irgend ein KAP-Mann, der sich für mehr revolutionär hält, empfindet, und sein dunkles Gefühl, dass irgendwie etwas geändert werden müsse, bricht in jeder Zeile; die er schreibt, durch. Und trotzdem kennt dieser Arbeiter in seinen Zeilen keine andere Forderung als die: Kampf gegen die Kommunisten! Dieser Zustand kann nicht nur herbeigeführt sein durch die verhetzende Sprache des „Vorwärts“ und durch alle Lügen und Niederträchtigkeiten, die uns die Heine und Noske nachgesagt haben, sondern dieser Zustand, der schlechthin bedauerlich ist, ist zweifellos zum großen Teile mitverschuldet durch gewisse, gar nicht kommunistische Allüren, Äußerungen, Methoden usw.‚ die ganz zu unrecht der früheren Kommunistischen Partei und dem Kommunismus von jenen Arbeitern zur Last geschrieben worden sind.

Durch welche „Allüren, Äußerungen und Methoden“ wir die rechts stehenden Massen verscheucht haben sollen, sagt Levi nicht. Er wird es auch nicht sagen können, denn er müsste dann sagen, dass diese Allüren und Methoden nichts anderes sind, als der Geist der proletarischen Offensive, zu der diese Massen noch nicht angelangt sind. Der Verzicht auf sie, das ist, was der rechte Flügel bisher passiv betrieben hat, indem er aus unseren Zeitungsorganen zum großen Teil langweilige linksunabhängige Zeitungen machte, indem er aus der Kampfpartei des deutschen Kommunismus einen Verein machen will, der über die Politik diskutiert und alles weitere den Ereignissen überlässt. Der rechte Flügel, der sich jetzt in der VKPD kristallisiert, hat eine Vorgeschichte in der Geschichte der beiden Parteien, die sich zur VKPD vereinigt haben, in der Geschichte des Spartakusbundes, wie der der linken Unabhängigen.

Der rechte Flügel war in der KPD sehr schwach. Die KPD entstand beim ersten Ansturm des deutschen Proletariats gegen die Bourgeoisie. Als dieser Ansturm abgeschlagen wurde, als es klar war, dass man unter keinen Umständen erlauben darf, die schwachen Kräfte des deutschen Kommunismus sich aufreiben zu lassen in aussichtslosen Teilkämpfen mit der sich restaurierenden Staatsmacht der Bourgeoisie, dass umgekehrt die Aufgabe der klaren kommunistischen Elemente darin bestehe, vorerst die kommunistischen Kräfte zu sammeln, sie zu schulen, in Vorkämpfen einzuexerzieren, bis man sie bei einer neuen Welle der revolutionären Bewegung einsetzen können wird in die entscheidenden Schlachten, da konnte nicht gewogen werden, aus welchen Gründen ein Genosse für diese zurückhaltende Taktik eintritt. Levi führte den Kampf um diese Taktik zusammen mit anderen Genossen. Was ihn von ihnen unterschied, war nur die außerordentliche Schärfe und Erbitterung, mit der er diesen Kampf gegen die unklaren, revolutionären Elemente führte, war die Leichtigkeit, mit der er sich in Heidelberg ohne weiteres für den organisatorischen Bruch mit diesen Elementen entschloss. Noch im Juli 1919 war er selbst in der Frage der Gewerkschaften nicht fest und nicht sicher. Er wagte noch nicht die Losung auszustellen: Hinein in die Gewerkschaften!, er suchte nur den Austritt aus den Gewerkschaften zu verzögern. Aber kaum hat er sich zur Klarheit durchgerungen, so entschloss er sich, trotz der Warnungen von Genossen, denen der Bruch mit revolutionären, wenn auch unklaren Arbeitern, nicht so leicht kam, zu diesem Bruch. Noch schien es, dass dies nur das Resultat der Erbitterung ist, mit der auch gegen ihn der Kampf geführt wurde. Und Levi war noch immer der Führer der Partei. Die opportunistischen Neigungen Levis traten zutage, als er nach den Protesten gegen die Untätigkeit der Rumpfzentrale in den ersten Tagen des Kapp-Putsches sich selbst auf den Standpunkt der „loyalen Opposition“ stellte, aber man konnte es noch dadurch erklären, dass er aus dem Gefängnis kam, nachdem der Fehler gemacht worden war und er seine Kameraden aus der Zentrale nicht wegen geschehener Dinge angreifen wollte. Im Juli des Jahres 1920 veröffentlichte er in der „Internationale“ den Artikel gegen meine Einleitung zur Geschichte der ungarischen Revolution von Szanto. In diesem Artikel spricht er sich dafür aus, man dürfe den Kampf nur dann aufnehmen, wenn man die Sicherheit des Sieges habe. Diese Theorie des notariell gesicherten Sieges war schon eine ausgesprochen opportunistische Theorie. Ich erklärte sie noch als eine vorübergehende Verirrung unter dem Eindruck der Niederlage der Partei in den Januar- und Märztagen, als Resultat der Opposition gegen die putschistischen Strömungen in der deutschen kommunistischen Bewegung. Weiter konnten sich einstweilen die opportunistischen Tendenzen bei Levi nicht entfalten. In einer Vortrupp-Partei, wie es der Spartakusbund war, dem nur die Elite der Arbeiter angehörte, in einer Partei, die das bittere Brot der Illegalität aß, konnten die opportunistischen Tendenzen sich nicht entwickeln. Sie konnten erst in die Halme schießen, nach der Vereinigung. des Spartakusbundes mit den linken Unabhängigen, die in die VKPD Hunderttausende ausgezeichneter revolutionärer Arbeiter hineinbrachten, die in nichts den besten Spartakusarbeitern nachstehen, die zusammen mit ihnen auf allen Barrikaden des Bürgerkrieges gekämpft haben, mit denen aber gleichzeitig in die Partei eine große Anzahl früherer Parteifunktionäre hineinkam, denen es leichter ist, alle Thesen der Kommunistischen Internationale anzunehmen, als eine revolutionäre Aktion durchzuführen. Auf diese Elemente nimmt Levi Rücksicht und an sie denkt er, wenn er den Kampf der Exekutive gegen die Rechtstendenzen in der VKPD befürchtet. Wogegen richtet sich die Kritik der Exekutive? Gegen die Tatsache, dass ein Teil der Presse der VKPD im Tone von Vereinsblättern und nicht von revolutionären Volksblättern geleitet wird. Wer leitet die Presse? Tun es die linken USP-Arbeiter oder tun es Redakteure und Parteibeamte? Und wenn die Exekutive die Haltung der parlamentarischen Fraktion kritisiert, wen trifft diese Kritik? Die linken USP-Arbeiter oder die Parlamentarier, die noch nicht verstanden haben, die parlamentarische Tribüne zum. Echo des revolutionären Kampfes zu machen, geschweige denn zur Stelle, von der dieser Kampf angefacht wird. Und wenn die Exekutive kritisiert, dass die VKPD bisher nicht verstanden hat, kräftig genug die Arbeitslosenbewegungen zu unterstützen, so richtet sich natürlich diese Kritik gegen die Organisationsleiter und nicht gegen die linken unabhängigen Massen. Die Warnungen Levis vor der angeblichen Gefahr der Spaltung der Partei bedeuten einen Versuch, die Parteibürokratie vor der Kritik zu verschonen, vor der Kritik, die jeder revolutionäre Arbeiter nur begrüßen muss, weil sie die Aktivität der Partei steigern wird. Und die besten Elemente aus den Reihen der Parteifunktionäre müssen diese Kritik begrüßen, denn sie bedeutet für sie eine Hilfe in der schwierigen Arbeit der Umstellung der Partei von dem Geleis einer protestierenden parlamentarischen Partei auf das des revolutionären Kampfes.

Wir sind im Kampfe gegen links entstanden“, erklärt Levi, aber indem er dies erklärt, schreibt er seine eigene Geschichte, nicht die des deutschen Kommunismus. Er spielte eine selbständige Rolle zum ersten Male, als es galt, die Partei zurückzuhalten von der Zerstörung in Teilkämpfen, in die sie heißblütige revolutionäre Elemente zu früh hineintreiben wollten. Aber die kommunistische Partei Deutschlands entstand nicht in diesen Kämpfen. Sie entstand in den Kämpfen gegen die Reformisten und Zentristen, gegen Scheidemann und gegen Kautsky, und während diese Kämpfe ihr Wesen ausmachen, ist ihr Kampf gegen die linken revolutionären Arbeiterelemente eine Episode, die, wie wichtig sie auch sein mag, wie sehr sie auch zur Geschichte der Partei gehören mag, ihren Charakter nicht bestimmen kann. Mit diesen „linken“ Elementen haben wir dann mehrmals gemeinsam Arm bei Arm gegen eine Welt von Feinden gefochten. Und wenn die VKPD ihre Aufgabe erfüllen wird, dann werden diese Elemente zu ihr den Weg zurückfinden. Die Scheidemänner aber und die Zentristen sind unsere Klassengegner, mit denen der Kampf auf Leben und Tod uns noch bevorsteht. Wir wenden uns an die Arbeiter, die hinter ihnen stehen, wir suchen diese Arbeiter in den Klassenkampf hineinzuziehen und sie in der revolutionären Aktion für den Kommunismus gewinnen. Aber wir können es nur dann tun, wenn unsere Politik ohne Schwanken gegen rechts gerichtet ist, wenn, sie den Massen den Weg des Kommunismus nicht nur in Worten, sondern in Taten zeigt. Die Partei muss sich immer an die breitesten Massen wenden, ihre Lage, ihre Bewegungen zum Ausgangspunkt ihrer Aktionen machen. Aber sie bildet die Avantgarde mit allen ihren besonderen Rechten und Pflichten. Die Avantgarde darf die Verbindung mit der Nachhut nicht verlieren. Bleibt sie aber in einer Reihe mit ihnen, so ist sie eben kein Vortrupp, kein Vorkämpfer. Dann unterscheidet sie sich von den zurückgebliebenen Schichten nur durch Worte. In der Tat bleibt sie passiv wie sie. Worte aber verhallen. Die Tat allein besteht.

Der rechte Flügel der VKPD hat sich sehr langsam aus den passiven Neigungen eines Teiles der Partei, aus den Schwierigkeiten des Überganges von der Agitation zur Aktion herausgebildet. Nur Schritt für Schritt wird er sich seiner Tendenzen bewusst. Darum hat auch die Partei nur sehr langsam das Bewusstsein der ihr drohenden Gefahr in sich entwickelt und es ist in ihr bisher noch nicht bis in die Tiefen der Parteimitgliedschaften hinein gedrungen. Noch in den Differenzen über das Verhältnis zur KAPD standen die regsten Elemente der Partei hinter dem rechten Flügel und wenn es Differenzen in dieser Frage gab, so nur über die Form, in der Genosse Däumig und Levi öffentlich Stellung zur KAP-Frage nahmen. Nur ganz vereinzelte Genossen verstanden den wirklichen Hintergrund dieser Differenzen. In der italienischen Frage, in der das Verhältnis zum Zentrum auf der Tagesordnung stand, war die Orientierung der führenden Parteikreise leichter. Der rechte Flügel stieß hier auf einen unerwartet scharfen Widerstand, der die Genossen vom rechten Flügel veranlasste, aus der Parteizentrale auszutreten. Aber da es sich äußerlich um eine „ausländische Frage“ handelte, so konnten diese Differenzen weitere Kreise der Partei nicht so interessieren und in Bewegung setzen, wie es ihrer politischen Bedeutung entsprechen würde. Daraus ergab sich auch, dass die neu gewählte Zentrale und das Zentralorgan der Partei noch bemüht war, die Parteigenossen, die durch ihren Austritt aus der Parteizentrale einen Disziplinbruch schlimmster Art der Partei gegenüber begangen haben, zu decken und als gute, einfache Soldaten sie der Partei zu empfehlen. Die Haltung dieser Genossen während und nach der Märzaktion zeigt, dass die Differenzen mit ihnen die wichtigsten Lebensfragen der Partei berühren, die Fragen, deren Ausfechtung die Spaltung der USPD herbeigeführt hat und die überwunden zu sein schienen durch die Vereinigung der linken USPD und der Kommunisten.

Aber das Proletariat überwindet nicht leicht das verfluchte Erbe seiner Vergangenheit, die Passivität, die nichts anderes ist, als die sich mit verschiedenen Theorien bekleidende Unterwürfigkeit unter die Herrschaft der Bourgeoisie. Diese Passivität muss und wird überwunden und dies auf einer viel höheren Stufe, als der Genosse Levi und der rechte Flügel der Partei glaubt, wenn er zusammen mit Hilferding in das alte Horn des Jahres 1919 bläst und die Parolen ausgibt: Gegen den bakunistischen Putschismus und gegen die kommunistische Sektiererei! Und wenn er die alten Gegensätze zwischen den linken Unabhängigen und den alten Spartakusleuten wachzurufen sucht. Die Freude der Restauration des alten Spartakusbundes in der VKPD wird der rechte Flügel nicht erleben. Die Spaltung in Halle hat nicht zufällig stattgefunden und die Hunderttausende unabhängiger Arbeiter haben nicht umsonst sich von Hilferding, Dittmann und Crispien getrennt, um sich jetzt um die Fahne des Genossen Däumig und Levi zum Kampfe gegen Spartakus zu sammeln. Es unterliegt für uns nicht dem geringsten Zweifel, dass die große Mehrheit der früheren linksunabhängigen Arbeiter auf dem Boden der revolutionären Aktion stehen wird und dass sie jedes Wiederaufleben des Hilferdingschen Geistes in der VKPD abwehren wird. Und darum ist es uns nicht bange, wenn Genosse Levi die Gefahr der Spaltung an die Wand malt. Wir sind überzeugt, dass diese Gefahr real nicht aufstehen wird, wenn die Zentrale der Partei die Lehren der verflossenen Monate beherzigt, wenn sie aus ihnen die politischen und die organisatorischen Schlüsse zieht.

Diese Schlüsse sind folgende: Wir haben die Politik der Partei zu verschärfen und zu verstärken. Das heißt, unsere Agitation hat einen volkstümlich revolutionären Charakter zu tragen, sie hat den Arbeitermassen an der Hand der einfachsten Tagesereignisse zu zeigen, wie sie der Kapitalismus immer tiefer in den Abgrund treibt, sie hat in den Gewerkschaften planmäßig auf die Zusammenfassung zu gemeinsamen Aktionen des Proletariats hinzuarbeiten, sie hat diese Aktionen zielgemäß vorzubereiten und wenn sie nötig und möglich sind, so hat sie sie zu führen mit dem Augenmass dafür, was in dem gegebenen Moment in die Wagschale geworfen und was politisch aus der Aktion herausgeholt werden kann. Nicht vereinzelte Aktionen, sondern das dauerhafte Hinarbeiten auf sie, die dauernde Aufrüttelung der Masse, das ist die Hauptaufgabe der Partei. Die sich dieser Politik entgegensetzenden rechts gerichteten Tendenzen der Partei hat die Zentrale nicht zu beschönigen und nicht zu vertuschen, sondern sie hat jeden einzelnen Ausdruck dieser Tendenzen der Parteiöffentlichkeit zu denunzieren. Die Weckung der öffentlichen Meinung der Partei durch die Stellungnahme jeder Parteiorganisation zu allen Hauptfragen der Partei, das ist das wichtigste Abwehrmittel gegen die opportunistischen Tendenzen. Inwieweit die Genossen vom rechten Flügel gewillt und fähig sind, sich der Disziplin der Partei zu fügen, die ihnen gegebenen Aufträge auszuführen, so wird die Partei ihre Opposition nicht nur vertragen können, sondern sie wird diese Opposition mit großer Aufmerksamkeit zu behandeln haben. In dieser Opposition kommen zum Ausdruck nicht nur unüberwundene, zentristische Auffassungen, sondern auch Schwierigkeiten der Aktion, die nicht ohne Prüfung abgewiesen werden können. Eins ist klar, die Parteileitung muss in entscheidender Mehrheit aus Genossen bestehen, die den Willen der Mehrheit der Partei zur Aktion zum Ausdruck bringen und die Minderheit muss sich den Direktiven der Partei unterordnen. Fälle, dass Beauftragte der Partei ihre Mandate, die sie von der Partei bekommen haben, aus eigenem Entschluss niederlegen, dürfen in einer kommunistischen Partei nicht vorkommen. Somit steht auf der Tagesordnung der Partei nicht die Bildung eines linken Flügels gegen den rechten. Die soziale Zusammensetzung der VKPD, die schweren Erfahrungen die sie hinter sich hat, erlauben zu hoffen, dass die VKPD sich bewusst und energisch zu einer revolutionären, kommunistischen Partei entwickeln wird. Die Zukunft wird zeigen; ob die Bildung des rechten Flügels in ihr nur der Ausdruck der Schwierigkeit des Überganges von der Agitation zur Aktion ist, oder ob die zentristischen Tendenzen, die diesem Flügel innewohnen, zu einer Ausbildung einer stabilen zentristischen Politik führen werden, die von der Partei auf die Länge hin in ihren Reihen nicht geduldet werden könnte.

Die Gegner der Kommunistischen Internationale und der VKPD von rechts und links werden über diese inneren Kämpfe in der Partei höhnen. Sie werden von dem Mangel an Leitung, sie werden vom Chaos in der VKPD sprechen. Nun, sie mögen nur ruhig höhnen! Dass der deutsche Kommunismus seine großen Führer verloren hat, das ist den Proletariern Deutschlands bekannt. Sie wissen sehr gut, dass sie sich mühselig ihren Weg zu suchen haben, dass sie durch Fehler und Niederlagen den Weg zum Siege finden. Sie haben ihn im Jahre 1919 gefunden, indem sie sich durchgerungen haben von der Politik der Sekte zur revolutionären Massenpolitik, indem sie gleichzeitig den Weg gefunden haben von der Masse, die den Zentristen folgt, zu der Masse, die um die Diktatur des Proletariats kämpfen will. Sie werden auch den Weg von einer passiven Massenpartei zu einer revolutionären, kämpfenden Partei finden und sie werden in dem Kampfe um diesen Weg, den sie selbst finden müssen, wachsen und aus ihren Reihen Führer stellen, die zusammen mit ihnen lernend, zusammen mit ihnen suchend, sich ihr Vertrauen verdienen werden.

Die Kommunistische Internationale schaut auf die Kämpfe in der VKPD mit größtem Interesse. Die VKPD bildet ihre zweitstärkste Sektion; sie ist die stärkste kommunistische Partei des alten kapitalistischen Europas. Und wie die deutschen Kommunisten im Jahre 1919 in der Frage des Verhältnisses zu den Gewerkschaften, in der Frage der Rolle der Partei in ihren Reihen die Differenzen durchgekämpft haben, die dann in den anderen Parteien zur Austragung gekommen sind, wie also im Jahre 1919 die deutschen Kommunisten den Klärungsprozess für die anderen kommunistischen Parteien vorbereiteten, so geschieht es auch jetzt. Sie suchen die Methoden des Überganges von der Agitation zur Aktion in den Ländern, wo die sozialdemokratischen Parteien und die Gewerkschaften die Wellenbrecher der Revolution sind, wo die Kommunistische Partei nicht vor der Frage steht, spontane revolutionäre Aktionen zu leiten, sondern vor der viel schwierigeren Frage, nicht nur gegen das Kapital zu kämpfen, sondern auch Bresche zu legen in die konterrevolutionären Festungen, die die Bourgeoisie sich inmitten dieser Arbeiterklasse gebaut hat. Die Kommunistische Internationale kann ihrer deutschen Sektion bei diesen ihren Kämpfen keine fertigen Rezepte geben. Sie kann ihr nur helfen, die Hauptgesichtspunkte in den Streitfragen schärfer herauszuarbeiten, die Differenzen schon im Keime zu unterscheiden. Die konkrete Linie des Vorgehens kann nur in jedem Lande selbständig gefunden werden, weil zu konkreten taktischen Entscheidungen der Druck der gesamten politischen Situation auf die Parteileitung notwendig ist, wenn sie das Kräfteverhältnis in jedem Momente richtig einschätzen und den Ariadnefaden im Labyrinth der Tatsachen für ihre revolutionäre Tat finden soll. Die deutschen Arbeiter werden mit den ihrer harrenden Aufgaben fertig und die VKPD wird das Versprechen halten, das sie bei ihrer Gründung den revolutionären Massen gegeben hat: sie wird ihre Führerin im Kampfe sein.

Je schwieriger es den deutschen Proletariern wird, ihren Weg zu finden, ihre Taktik auszuarbeiten, ihre Führer zu bilden, desto größer werden die Resultate ihres geistigen Ringens sein, desto fester werden sie das Errungene in ihren Händen halten. Der steile Weg führt sie zu großen Höhen, auf denen man schwindelsicher sein muss. Der Sieg der Revolution in Deutschland bedeutet einen so großen Schlag gegen die Herrschaft des Weltkapitals, dass ihn nur eine im langwierigen Kampfe gestählte Klasse führen kann. Und dieser Klasse stehen nach ihrem Siege über die deutsche Bourgeoisie, nach der Eroberung der Macht, so große, so schwere Kämpfe bevor, dass sie nicht klagen darf über die Schwierigkeiten, die sie jetzt zu überwinden hat. Diese Schwierigkeiten helfen ihr, einen Stamm von Männern auszubilden, eine eiserne Partei, ohne die sie nicht imstande wären, die Macht in ihren Händen zu behalten.

Die heutigen Kämpfe sind die Gewähr dafür, dass uns in der Zukunft unter den Händen nicht zerrinnt, wofür wir jetzt mit unserem Blute zahlen.

Anhang

Der Fall Levi.

I.

Als ich diese Broschüre am 18. April beendete, wusste ich noch nichts von der Beichte Paul Levis über seinen eigenen Fall, von seiner Broschüre „Unser Weg“, auf die die Zentrale der VKPD mit dem sofortigen Ausschluss Levis aus der Partei antworten musste. Darum konnte ich, als ich diese Broschüre schrieb, Levi noch als einen Vertreter der rechten Richtung in der Partei behandeln. Die Leser werden wohl bei der Lektüre des letzten Kapitels das Gefühl gehabt haben, dass ich selbst empfinde, Levi stehe knapp vor dem Bruche mit der Partei. Diese meine Empfindung basierte auf seinem Briefe an den Genossen Lenin, dessen Abschrift er mir gesandt hat, und dem Stenogramm seiner Rede in der Versammlung der Berliner Vertrauensmänner vom 7. April. Aber ich muss hier eingestehen, dass, wenn ich auch das Ausscheiden Paul Levis aus der Partei für wahrscheinlich hielt, mir keinen Augenblick der Gedanke kam, er könne von der Partei gehen als Renegat, der in einer schweren Stunde der Partei dem Klassengegner hilft, der gegen die Kommunistische Internationale die verlogensten Verleumdungen der Scheidemann, Dittmann und Hilferding wiederholt. Wie schwer es auch wird, zu konstatieren, dass man einen Menschen als Kampfgenossen ansehen konnte, der zu dieser Treulosigkeit fähig ist, so glaube ich, dass der Fall Levi zur Reinigung der Atmosphäre in der Kommunistischen Partei Deutschlands sehr viel beitragen wird. Ich habe in meiner Broschüre die Entwicklung und das Wesen des rechten Flügels der Partei in erster Linie an der Hand von Zitaten aus den Artikeln Paul Levis demonstriert. Aber es wäre natürlich ein Irrtum, anzunehmen, dass der rechte Flügel der Partei aus Levi allein besteht. Hinter Levi stand nicht nur ein Teil der Organisatoren, die in Worten den Kommunismus akzeptieren, in der Tat aber zu sehr von der alten Routine beherrscht sind, als dass sie imstande wären, den revolutionären Kampf wirklich zu führen, sondern auch gute bewährte Genossen, die bei ihrer vorsichtigen Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwar die Gefahr der Niederlage sehen, aber nicht einsehen, dass die größte Gefahr der Partei droht, wenn sie untätig, nur propagierend und agitierend, es versäumt, in der leidenden Arbeitermasse das Vertrauen in die eigene Kraft zu wecken, das nur die Tat, nur der Kampf ihr bringen kann. Diesen Genossen suchten wir .in der Broschüre an der Hand aller Streitfragen zu zeigen, dass es sich hier nicht um zufällige Differenzen Levis mit der Zentrale handelt, sondern um die Ausarbeitung einer konsequenten opportunistischen Politik, deren Zusammenhang mit dem Zentrum diesen Genossen nicht klar zum Bewusstsein kam. Levi hat diese unsere Beweisführung, bevor sie noch in die Hände der deutschen Parteigenossen gelangte, in einer Weise bestätigt, wie keiner von uns es für möglich hielt. Er stellte sich in eine Linie mit den Hilferding, Dittmann und Crispien, die er noch am 7. April in seinem Briefe an den Genossen Lenin kurzerhand als Schufte bezeichnete. Er. stellt sich in ihre Reihen und brüllt zusammen mit ihnen gegen den Putschismus, gegen die Provokation der Zentrale, gegen die Putschtaktik der Exekutive der Kommunistischen Internationale. Kein einziges Argument, das er gegen die Partei, deren Vorsitzender er bisher war, gebraucht, das nicht aus der Schmiede der Scheidemann und Hilferdinge stammen würde. Alle seine jetzigen Argumente wurden von dieser Gesellschaft viel besser [auf dem USPD-Parteitag 1920] in Halle und nach Halle gegen die Kommunistische Internationale benützt. Levi hat diese Argumente mit größter Energie, mit dem Brusttone vollster Überzeugung bekämpft. Heute bemächtigt er sich ihrer als eines selbständigen Erzeugnisses seines eigenen Geistes. Damit hat er besser als jede theoretische Beweisführung es könnte, bewiesen, wie recht wir hatten, als wir in der vorliegenden Broschüre nachzuweisen suchten, der Streit mit Levi sei nur die Wiederholung unseres Kampfes mit Hilferding. Wir könnten das Nachwort damit schließen, dass wir den Namen Levis als den eines Genossen aus unserem Gedächtnis streichen und die Genossen, die hinter ihm standen, bitten, unsere Ausführungen im Lichte des Zusammenbruchs ihres Führers zu durchdenken. Aber wie sehr wir auch uns gehütet haben, in unserer Broschüre uns mit der Person Levis zu beschäftigen, um den Streit nicht zu vergiften, so halten wir es für eine politische und persönliche Pflicht, in diesem Nachwort auch die Frage von der Naturgeschichte dieses Renegaten aufzuwerfen und hier zu beantworten. Wir halten es für unsere persönliche Pflicht. Paul Levi war in der Kommunistischen Partei Deutschlands ein ziemlich unbekannter Mann, als der Tod Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts die Partei führerlos gelassen hatte. Levi ist kein Mensch, der imstande wäre, die Massen der Parteigenossen zu erwärmen. Er ist auch kein Mann, der bei dem ersten Schritte weiß, wohin der nächste gehen wird. Als der Streit in der Partei über das Verhältnis zur Gewerkschaftsfrage, zum Parlamentarismus, zu der Rolle der Partei entstand und Levi in ihm dank seinen rednerischen und geistigen Gaben führend auftrat, unterstützte ich ihn theoretisch wie praktisch und sehr oft auch persönlich, wenn er die Waffen ins Korn werfen und sich ins Privatleben zurückziehen wollte. Viele meiner nächsten politischen Freunde waren voll Misstrauen zu Levi, in dem sie einen politischen Räsoneur und nicht einen revolutionären Kämpfer sahen. Ich hatte manchen Strauß mit ihnen für Levi auszufechten, ich bin sozusagen den Genossen Rechenschaft pflichtig, für diesen Mann, dessen politischer Leichnam jetzt vor uns liegt. Aber wichtiger als diese persönliche Pflicht ist der politische Nutzen der Erklärung, warum und wie ein Mann von den Gaben Paul Levis zum direkten Verräter an der Sache der Arbeiterklasse, zum direkten Helfershelfer der weißen Justiz werden konnte. Die deutschen Arbeiter sind auf dem Gebiete des Verrats der proletarischen Führer an manches gewöhnt. Sie haben gesehen, wie eine Schicht der Führer nach der anderen ins politische Grab sank, ins Lager der Bourgeoisie übertrat. Sie haben gesehen, wie der Vorsitzende der deutschen Partei, Ebert, zum kaiserlichen Reichskanzler wurde; sie haben gesehen, wie der Arbeiter Noske zum Galliffet der deutschen Konterrevolution wurde; sie haben gesehen, wie Haase und Dittmann der Bourgeoisie halfen, sich wieder m den Sattel zu schwingen, wie Dittmann und Crispien nach revolutionären Phrasen und Gesten, nach der Anerkennung der Diktatur des Proletariats und des Rätesystems zu Helfershelfern der von ihnen tausendmal verfluchten Scheidemann und Ebert wurden; sie haben gesehen, wie der Organisator der Opposition in den Gewerkschaften, Dissmann, zum Nachfolger Legiens wird und als starker Mann den Rausschmiss revolutionärer Arbeiter aus den Gewerkschaften vorbereitet, damit sie von den Unternehmern mit den Skorpionen der Arbeitslosigkeit gezüchtigt werden; sie haben gesehen wie Laufenberg und Wolffheim, persönlich ehrliche und opferwillige Revolutionäre, sich jetzt in allen Gossen der Konterrevolution herumwälzen. Und trotzdem ist jeder neue Verrat ein Dolchstich ins Herz des Proletariers, der nicht versteht, wie es möglich ist, dass zwischen dem Wort und der Tat sich ein solcher Abgrund auftut, wie es möglich ist, dass ein Mann nach dem anderen, dessen Name bisher guten Klang in den Reihen der Arbeiter hatte, zum Verräter an der Arbeitersache im wörtlichsten Sinne des Wortes wurde. Der Zusammenbruch Paul Levis ist nicht der letzte, und darum gilt es an ihm die allgemeinen wie die besonderen Gründe des Versagens der Führerschaft zu untersuchen, all der Zusammenbrüche der Führer, die jeden Schritt vorwärts des deutschen Proletariats bezeichnen.

II.

Warum die alte Führerschaft der Arbeiterbewegung im Kriege und in der Nachkriegszeit in ihrer überwiegenden Mehrheit versagt hat, darüber wurde Vieles geschrieben. Die aus der Arbeiterklasse wie aus dem Bürgertum stammenden alten Führer waren erzogen in der Periode des Friedens, wo man agitierte, demonstrierte, im Parlamente sprach, in der Zeitung schrieb, beim grünen Tisch mit den Unternehmern verhandelte, aber wo man nicht revolutionäre Kämpfe zu führen hatte. Der Kopf und die Seele des Führers war auf den ruhigen Gang der Dinge eingestellt. Manche von ihnen erinnerten sich der heroischen Zeiten, wo es zu darben galt, wo man verfolgt wurde, aber sie erinnerten sich ihrer mit dem Gefühl der Erleichterung, dass sie vorbei sind, und dass wir es so weit gebracht haben, dass jetzt sogar die Minister die Arbeiterführer freundlich behandeln müssen. Die Herzen vieler Führer unterlagen der Verfettung; unfähig zum Opfer, unfähig zum Kampf, wo es um Hals und Kragen ging, erwarteten sie, dass das Proletariat auf friedlichem Wege langsam in den Sozialismus hineinwachse und dass sie als Veteranen der Arbeiterbewegung in Frieden und Ehren ihre Tage beschließen werden. Die jüngere Generation kannte die bitteren Zeiten der Jugend der Arbeiterbewegung nur vom Hörensagen. Sie war aufgewachsen, indem sie Tag für Tag die Organisationen ausbaute und in ihnen ihren Augapfel sah. Schon vor dem Kriege, als die Teuerung die Erfolge der Gewerkschaften zunichte machte, als die Rüstungen alle Mittel des Staates fraßen und jeden Fortschritt der Sozialreform unmöglich machten, als die Vertrustung der Industrie die Bourgeoisie immer mehr erstarken ließ und der Imperialismus eine gewalttätige Reaktion zeigte, als alles nach Kampf schrie, da schauten diese Führer besorgt auf die Mahner und Dränger, die die Arbeitermassen in den Kampf „hineinzuhetzen“ suchten, in den Kampf, in dem die Bourgeoisie die Organisationen zertrümmern könnte. Die Angst um die Organisation war verbunden mit einer abergläubischen Furcht vor der Macht des Kapitals, das sie für unzerstörbar hielt. Beherrschte es doch die ganze Welt, war es doch von den Sohlen bis zum Haupt gerüstet. Nur verrückte Romantiker konnten mit ihm den Kampf aufnehmen. Als der Krieg kam, als alle Träume von der friedlichen Entwicklung wie schwaches Glas zersplitterten, da wagten die Führer der großen Arbeiterorganisationen natürlich nicht, sich dem rasenden Schicksal entgegen zu werfen. War es nicht klar, dass dabei sie und die Organisationen untergehen, die Arbeiter niedergeworfen werden müssen? Ihre Feigheit bemäntelten sie mit der Phrase von der Vaterlandsverteidigung, von der Verteidigung der Errungenschaften des bisherigen Kampfes. So wurden sie zu Helfershelfern des blutrünstigen, vom Blute triefenden Kapitalismus. Weil sie nicht wagten, ihn zu bekämpfen, mussten sie ihn unterstützen. Eine Neutralität gab es in diesem großen Kampfe nicht. So retteten sie die Organisationen für den Preis, dass sie aus proletarischen Organisationen des Kampfes gegen das Kapital, Organisationen zum Kampfe für das Kapital machten. Die Proleten aber sanken millionenweise in das Grab, sie wurden zu Krüppeln geschlagen, Proletarierkinder kamen siech zur Welt, und eine Jugend wuchs auf, deren Knochen marklos blieben. Als der deutsche Imperialismus zusammenbrach, als die Regierungsmacht auf der Straße lag, waren diese Führer durch die dreijährige Politik der Unterstützung des Kapitals so prostituiert, dass sie nur eine Sorge hatten: wie helfen sie am schnellsten ihren Herren und Meistern, den Kapitalisten, wieder zur Macht zu gelangen, wieder die Zügel in die Hand zu nehmen. Der Kapitalismus hat die Welt in einen Trümmerhaufen verwandelt, aber nur ihn hielten sie für fähig, sie aufzubauen und die Proletarier — ja, wenn sie sich 4 Jahre lang so betrügen ließen, haben sie damit nicht den Beweis geführt, dass sie unfähig sind zu herrschen — jede Erhebung des Proletariats war darum für sie ein Wahnsinn, und wie der Arzt den Wahnsinnigen in die Zwangsjacke steckt, so galt es, der Bourgeoisie zu helfen, die ins Delirium der Nachkriegszeit geratenen Arbeiter zu bändigen. Leset die Erinnerungen Noskes, und ihr werdet sehen, wie dieser proletarische Führer, der der Henker des Proletariats wurde, sich im Recht fühlt. Nicht der Zynismus, der an den Bekenntnissen Noskes so bezeichnend ist, ist es, was am schrecklichsten in dem Buche dieses Katilinariers zum Ausdruck kommt, es ist die Überzeugung, dass er, Noske, im Recht ist.

Eine Minderheit der Führer sah den Verrat des 4. August, aber sie fand nicht einmal die Kraft, gegen ihn zu protestieren. Sie war von demselben Holze geschnitzt, wie die Scheidemann und Ebert. Wie diese wagte sie nicht, den Kampf aufzunehmen, wie diese war sie hypnotisiert vom Schein der Macht des Kapitalismus, vom Unglauben an die Kraft des Proletariats, von der Sorge um die Erhaltung der allein selig machenden Organisation. Diese Führerschaft ging nur darum nicht mit Ebert und Scheidemann, weil sie teils besser das weltpolitische Kräfteverhältnis beurteilte und sich nicht vor den Waden des deutschen Imperialismus spannen wollte, der einem Abgrund entgegenraste, teils weil sie charakterloser war und sich der Stimmung der erwachenden Arbeiterschaft nicht entgegensetzen wollte. Die Dittmänner, die am 4. August stramme Patrioten waren, verloren die patriotische Zuversicht nach der Schlacht an der Marne und hatten keinen Mut, sich der wachsenden Opposition der Arbeiterschaft entgegen zu werfen. Aber ebenso hatten sie keinen Glauben an die Revolution und keinen Mut, auf sie hinzuarbeiten. Sie winselten die kapitalistischen Regierungen an, sich doch nicht auf ihre übertriebenen Forderungen zu versteifen und dadurch zur Revolution zu treiben. Als er wegen der Organisierung des Januarstreiks 1918 angeklagt war, schwor Dittmann vor dem Gericht Stein und Bein, dass er, seitdem er aus der Werkstatt sei, niemals für den Streik agitiert habe. Nach dem Zusammenbruch des deutschen Imperialismus fanden sich die Zentrumsleute, die Haase und Dittmann, mit den Scheidemann und Ebert in der Überzeugung, das deutsche Volk könne nur leben von Gnaden des siegreichen Weltkapitals und darum müsse auch in Deutschland eine bürgerliche Regierung restauriert werd den, zu der der amerikanische Kapitalismus Vertrauen haben werde. Später, als die Noske und Maerker 15.000 proletarische Leichen in den Straßen Deutschlands anhäuften, schien es, als ermannten sich die Dittmann und Crispien, als wollten auch sie kämpfen. Haben auch sie doch die Diktatur anerkannt, die Räteregierung zu ihrem Ziel gemacht. Bald zeigte es sich aber, dass es sich hier nur um das Produkt der Feigheit handelte; sie haben diese Kampfesrunen in ihr Schwert gegraben, aber das Schwert war aus Pappe. Sie fürchteten die revolutionären Arbeiter und nahmen ihre Kampfeslosungen auf, um, das Vertrauen der Arbeiter genießend, sie vom Kampfe zurückzuhaltend. In Moskau wurde ihnen die Maske von den Gesichtern gerissen, die revolutionären Arbeiter wandten sich von ihnen ab und, beraubt der Hoffnung, das revolutionäre Proletariat betrügen zu können, bekannten sie sich zu dem, was sie sind: sie bekannten sich zur deutschen Konterrevolution. Sie sind jetzt ihre Schrittmacher, indem sie mit allen Mitteln der Verleumdung und der Verfolgung der Kommunisten versuchen, der Bourgeoisie ihre letzte Zitadelle, die Gewerkschaften, von der kommunistischen Pest rein zu halten. Sie sind ihre Schrittmacher, indem sie ihr Brücken zum Ententekapital zu bauen suchen. Sie sind ihre Helfershelfer, indem sie jeden Kampf des Proletariats, sogar jeden Kampf um ein Stück Brot zu versumpfen und zu verschleppen suchen aus Furcht, er könnte zum revolutionären Kampf um die Macht werden. Sie sind ihre Helfershelfer, indem sie jeden revolutionären Kampf des Proletariats nicht nur verraten, sondern die Opfer des weißen Terrors als die Opfer des Kommunismus darzustellen versuchen. Sie sind die Verräter am Heiligsten des Proletariats, an seiner internationalen Solidarität, indem sie tagtäglich sein Vertrauen zu Sowjetrussland untergraben, das blutend, nackt, hungrig, das einzige Bollwerk des Proletariats gegen die Welt des Kapitals bildet, die einzige Hoffnung der kämpfenden Arbeiterklasse.

III.

Neunundneunzig von hundert der alten Führer des Proletariats haben Verrat geübt aus Unglauben an seine Kraft, aus abergläubischer, knechtischer Angst vor der Macht der kapitalistischen Sklavenbesitzer. Und nur ein kleines Häuflein beschritt den Weg des Kampfes. Die besten von ihnen sind vom Feinde getötet. Westmeyer wurde, obwohl schwer krank, an die Front gesandt und in den Tod gehetzt, während der feiste Keil im Hinterland patriotischer Herold war. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden ermordet. Johann Knief starb, umgeben von den Schergen Noskes. Jogiches fiel, von der Kugel eines weißen Mörders getötet, und die sich sammelnden revolutionären Arbeiter standen da, geführt von einem kleinen Häuflein von Führern, die zum Teil ohne größere theoretische Bildung, zum Teil ohne jede revolutionäre Erfahrung, zum Teil ohne jeden tieferen Zusammenhang mit den Massen waren. Sie standen da mit dem Bewusstsein des tausendfachen Verrats, der von der Führerschaft an ihnen geübt wurde, sie standen da mit dem Gefühl, dass sie von neuem Verrat umgeben sind. Wie kämpfen, wie die Kampfschar bilden, wohin gehen? Und niemand war da, der den Weg klar vor sich sah, und niemand war da, der vor sie treten konnte, ihnen helfen konnte, die Nebel zu zerstreuen, die sie von ihren zukünftigen Siegen trennten. Nur durch eigene Erfahrungen, nur selbst suchend, zehnmal in die Sackgasse geratend, konnten die Arbeiter Deutschlands den Weg zum Siege finden. Niemand konnte ihnen das Suchen ersparen, niemand konnte ihnen das Bluten ersparen, denn wenn es Rezepte gegeben hätte, die besagen, wie man am schnellsten und besten eine siegreiche Revolution durchführen könnte, alle diese Rezepte wären unnütz gewesen, denn die Arbeiter glaubten den Ärzten nicht mehr. Verraten durch die sozialdemokratischen Führer, tagtäglich verraten durch die Unabhängigen und den Verrat erkennend, vertrauten sie den Führern überhaupt nicht. In den weitesten Kreisen kommunistischer Arbeiter herrschte die Stimmung, die in der Theorie der KAPD ihren Ausdruck fand, die den Verzicht auf jedwede Führung, der proletarischen Masse zum revolutionären Prinzip erhob. Aber die Wirklichkeit hört nicht auf, zu existieren, wenn man sich über sie mit Phrasen hinwegsetzt. Die kämpfende Arbeitermasse brauchte Männer, die ihre Erfahrungen deuteten, die ihr halfen, wenigstens aus den Schlägen zu lernen, unter denen sie blutete. Sie brauchte Männer, die im Kampfe ihre eigenen Bestrebungen zum Ausdruck brachten und so diese Bestrebungen weit über ihre Kreise ausbreiteten. Jede Kampfkolonne hat eine Spitze. Keine Armee kann ohne Führung kämpfen und die radikalen, revolutionären Arbeiter aller Richtungen suchten Führer. Neue Führer hatten sich in der kurzen Zeit im Feuer des Kampfes noch nicht gefunden. Die KPD musste aus ihrer Mitgliedschaft die Leute an die Spitze stellen, die irgendwie dazu befähigt waren. Unter ihnen stand in erster Reihe Paul Levi. Nicht als ob er am meisten mit den Kämpfen verbunden war, in denen die KPD geboren wurde. Mit diesen Kämpfen war von der jüngeren Generation am engsten Thalheimer verbunden, der geistig teilgenommen hat an den Auseinandersetzungen mit dem Kautskyanertum, in denen, noch vor dem Kriege, die linksradikale Richtung geboren wurde. Viel näher war mit der Vergangenheit der Partei Paul Fröhlich verbunden, der an der Wasserkante an den ersten großen Bewegungen teilgenommen hatte, die schon vor dem Kriege die Notwendigkeit des voll kombinieren Umbaues der Gewerkschaften forderten. Viel näher, standen der Partei Brandler und Pieck, Männer mit großer organisatorischer Erfahrung, die während der ganzen Kriegszeit unter größten Opfern für den Spartakusbund gewirkt hatten. Paul Levi hat an den geistigen Kämpfen, die vor dem Kriege die theoretischen Grundlagen, die politische Einstellung der VKPD geschaffen haben, nicht teilgenommen. Als junger Rechtsanwalt verdiente er sich damals die Sporen in der Frankfurter Parteibewegung, wo ihn Rosa Luxemburg zufällig kennen gelernt hatte, als sie wegen ihrer antimilitaristischen Rede vors Gericht kam. Rosa Luxemburg lernte das glänzende Rednertalent und die dialektische Begabung des jungen Rechtsanwalts schätzen., der auf dem linken Flügel der Partei stand. Als der Krieg ausbrach, zählte Levi zu dem organisatorisch nur lose zusammengefassten Flügel, der sich um Rosa Luxemburg gruppierte. Bald zu den Waffen berufen, war Levi dem Kern des Spartakusbundes vollkommen unbekannt. Im Jahre 1916 kam er für ein paar Monate nach der Schweiz, wo er durch meine Vermittlung in Beziehungen zu Lenin und Sinowjew trat. Auch wir lernten den guten Debatteur schätzen und suchten im freundschaftlichen Verkehr seine Entwicklung zu beeinflussen. Es unterlag für uns nicht dem geringsten Zweifel, dass er in den taktischen Fragen, in den prinzipiellen Fragen, die der Krieg und die kommende Revolution aufwarfen, keinesfalls so klar sah wie man von einem Führer fordern muss. Ein belesener Mensch von großem kulturellem Horizont, war er auch auf dem Gebiete der Theorie und Geschichte der Arbeiterbewegung belesen. Aber es fehlte ihm die Festigkeit der Anschauungen eines Menschen, für den die Arbeiterbewegung nicht eins der Gebiete ist, für das er sich auch interessiert, sondern das Gebiet, auf dem sich alle geistigen Interessen des Kämpfers konzentrieren. Im kameradschaftlichen Verkehr kamen wir Levi näher und schätzten dieses Verhältnis, weil es half, die zerstreuten Kräfte der Internationalisten zu sammeln. Der Spartakusbund, die damalige Gruppe der Internationale, befanden sich selbst in geistiger Gärung, die ihnen nicht erlaubte, sich klipp und klar an die Seite der Bolschewiki zu stellen. Noch in Zimmerwald gingen die Vertreter der Spartakusgruppe Hand in Hand mit Martow. Die Genossin Clara Zetkin nahm in der einzigen Nummer der Internationale, die erschienen war, einen pazifistischen Standpunkt ein. Die Broschüre „Junius“ schien uns widerspruchsvoll, organisatorisch gerieten wir schon auf der Berner Frauenkonferenz in einen Konflikt mit der Genossin Zetkin, die versuchte, mit allen Mitteln die Verbindung mit dem Zentrum herzustellen, und die darum politisch nicht weitergehen wollte, als es die Pazifistinnen aus der englischen Unabhängigen Arbeiterpartei zuließen. Dazu kamen persönliche Gegensätze zwischen Lenin, Sinowjew und mir auf der einen und Rosa Luxemburg und Jogiches auf der anderen Seite, die aus der Spaltung der russischen und polnischen Sozialdemokratie resultierten. Zwischen der Gruppe unserer nächsten Gesinnungsgenossen in Deutschland, die sich um die „Arbeiterpolitik“ in Bremen gruppierten und der Gruppe „Internationale“ gab es nicht nur theoretische Auseinandersetzungen, die sehr nützlich waren, sondern auch eine vollkommene organisatorische Entfremdung, die nur eine Zersplitterung gebar. In dieser Situation war es uns außerordentlich wertvoll, einen solch talentierten Menschen wie Levi uns näher zu bringen und durch ihn für die Annäherung der beiden deutschen Gruppen und für den internationalen Zusammenschluss zu wirken. Levi begann für die „Bremer Arbeiterpolitik“ zu schreiben und trat in der Schweiz solidarisch mit uns auf. Aber schon damals sahen wir, wie viel bei ihm zum Führer fehlte. Es war uns klar, dass in der Situation, in der sich die deutsche Bewegung befand, er entweder kein Recht hatte, Deutschland zu verlassen, wo es nach der Verhaftung Liebknechts und Rosa Luxemburgs an führenden Kräften vollkommen fehlte oder, dass er die Pflicht hatte, der Spartakusgruppe in der Schweiz eine illegale Basis bauen zu helfen, die ihr so notwendig war und in der sie Reserven für den Kampf anlegen konnte. Levi arbeitete auch in der Schweiz als Dilettant, indem er die Hälfte seiner Zeit auf Reisen zubrachte. Nach Deutschland zurückgekehrt, wieder zum Militär eingezogen, wurde er in der Bewegung erst kurz vor der Revolution aktiv. Nach dem Zusammenbruch des deutschen Imperialismus kam er in die Zentrale und Redaktion der „Roten Fahne“ und wurde als glänzender Redner und feuriger Journalist weiteren Kreisen der Arbeiter bekannt. Während der Januartage zeigte es sich, wie wenig er ein selbstsicherer Führer war. Obwohl er sehr kritisch den Januarereignissen gegenüberstand, versuchte er nicht, mit voller Kraft in der Zentrale für die Klärung der Taktik der Partei einzutreten. Er ließ sich treiben, obwohl er schon am 8. Januar bei einer Rücksprache mit mir, als ich im Briefe an die Zentrale den Abbruch des Kampfes forderte, mir recht gegeben hatte. Nach dem Tode Rosa Luxemburgs und Liebknechts war er nach außen hin der Vertreter der Partei. Jogiches, der sie bis zu seinem Tode während der Märztage wirklich leitete, blieb dank seiner zurückgezogenen Natur und als Nichtdeutscher bewusst im Hintergrunde. Thalheimer, ein bedächtiger Theoretiker, war kein Redner. Levi führte das große Wort in der Zentrale wie in den Versammlungen. Als aber nach Jogiches Tode auf ihn die Verantwortung für die Leitung der Partei fiel, wirtschaftete er sehr schnell innerlich ab. Schon im August 1919, als es mir gelang, aus dem Gefängnis heraus die Verbindung mit der Partei wiederherzustellen, benachrichtigte er mich, dass er sich von der Parteileitung zurückziehen wolle. Es gehe über seine Kräfte, illegal zu wirken und dazu in einer Situation, wo er auf starkes Misstrauen seitens der putschistischen und syndikalistischen Elemente in der Partei stieße. Es war die schwierigste Zeit der Partei. Die Partei war klein und schwach, der linke Flügel der Partei drängte zu Aktionen, deren Resultat nur eins sein konnte: die Verpulverung und Vernichtung der schwachen Kräfte des Spartakusbundes. Die Aufgabe bestand darin, einerseits durch theoretische Klärung aus dem wirren Haufen, den der Spartakusbund darstellte, eine einheitliche Partei zu bilden, auf der anderen Seite diese junge und kleine Partei in Vorgefechte zu führen. Die Eroberung der Macht war noch unmöglich. Neunundneunzig vom Hundert der proletarischen Masse waren vollkommen unfähig, die Basis dieser Macht zu bilden. In ihrer Mehrheit standen sie im Banne der Sozialdemokratie, aber auch die revolutionäre Minderheit war wirr und unklar; es genügt festzustellen, dass wir in den Arbeiterräten erst an die Bildung der kommunistischen Fraktionen zu schreiten begannen und dass wir in den Gewerkschaften noch nichts unternahmen, um dort die Kommunisten zielbewusst zusammenzufassen. Die Partei hat die Aufgabe, den Arbeitern das Bewusstsein vom Kräfteverhältnis beizubringen, aber dies durfte nicht in einer doktrinären Form geschehen, die die revolutionären, vorwärts drängenden Elemente abstoßen könnte. Levi verstand nicht, diese Aufgabe zu lösen. Dort, wo man fest und rücksichtslos auftreten musste, in der Frage der Gewerkschaften, schwankte er. Er fühlte dumpf, dass man aus den Gewerkschaften nicht gehen dürfe, aber er hatte nicht den theoretischen Mut zur Aufstellung der Losung: Hinein in die Gewerkschaften! Er lavierte und stellte die Frage so, als ob es sich darum handeln würde, wann und wie wir aus den Gewerkschaften heraus kommen sollen. Wo es aber notwendig war, mit den revolutionären Gefühlen der Masse zu rechnen, sie nicht unnütz zu verletzen, sogar wo sie die Partei zum aussichtslosen Kampf geführt haben, da trat er doktrinär, scharf und provozierend auf. Es genügt, an München zu erinnern. Unsere Münchener Genossen waren gegen das isolierte Vorgehen in Bayern. Als aber die Räterepublik proklamiert wurde und die Proletarier Münchens von den Weißen bedroht waren, da sagte sich Leviné mit dem Instinkt eines proletarischen Revolutionärs: Wo die Masse zu bluten bereit ist, dort darf die kommunistische Partei sich nicht in den theoretischen Schmollwinkel zurückziehen. Leviné blieb auf dem Posten. Die Aufgabe der Partei bestand darin, zu versuchen, das ganze deutsche Proletariat zur Verteidigung Münchens aufzubieten. Das scheiterte an der Politik der Sozialdemokratie und der Unabhängigen. Leviné ging mit Hunderten anderer Genossen in den Tod, und an der Leiche dieses Braven begann Levi den Streit darüber, ob es nicht besser gewesen wäre, sich zurückzuziehen. Nach dem Fall der ungarischen Räterepublik beglückte er die Partei mit den gleichen philisterhaften Klugheiten, die ihn als politischen Räsoneur zeigten. Ich versuchte, durch Privatbriefe seine politische Linie auszugleichen und in Broschüren der Partei zu helfen, ihre Taktik einzurichten unter zwei Gesichtspunkten: der Sammlung der Partei für Vorgefechte und der Aufrechterhaltung der Verbindung mit den vorwärts treibenden Elementen. Aber wie sehr mir auch die Schwächen Levis bewusst waren, so suchte ich ihn doch von dem Rücktritt zurückzuhalten. Die Partei war so arm an Kräften, dass es mir Pflicht schien, alles zu tun, um eine solche große rednerische und schriftstellerische Begabung wie Levi für sie zu retten. Ich schrieb Levi, dass sein Rücktritt eine einfache Desertion wäre, für die man in der Revolution einen Führer füsilieren müsste. Diese Drohungen mit Desertion wurden seitens Levis später noch oft in die Wagschale geworfen, und ich bekenne mich dazu, dass es eine Spur der Überschätzung der Bedeutung intellektueller Führer bei mir war, wenn ich immer wieder einerseits auf Levi, anderseits auf die durch sein Gebaren empörten Genossen beruhigend und begütigend zu wirken suchte, um ihn nur zu halten. Der Kampf mit den linken Elementen der Partei verschärfte sich. Er wurde von Levi in maßloser Weise geführt. Als ich ein paar Tage vor der Heidelberger Konferenz erfuhr, Levi gehe auf einen Bruch mit der Linken aus im Augenblick, wo der Kampf um die Klärung erst begann, warnte ich ihn vor Voreiligkeit. Die Spaltung von den linken Arbeitern wurde mir nicht leicht, obwohl ich das Konterrevolutionäre der Haltung Laufenbergs, Wolffheims und Schröders viel klarer als Levi sah; denn nicht um diese Führer, sondern um die hinter ihnen stehenden revolutionären Arbeiter handelte es sich. Levi behauptete später, meinen Brief zu spät erhalten zu haben. Heidelberg schuf Tatsachen, die sich nicht mehr aus der Welt schaffen ließen. Um jedoch noch einmal zu versuchen, die Arbeiterschaft zu halten, die Levi abstieß, indem er in Heidelberg die Thesen zum Gesetz der Partei machte, die nach Heidelberg erst die Arbeiter zu diskutieren hatten, überredete ich die Zentrale der Partei, neue Thesen vorzulegen, damit die Organisationen die Empfindung loswurden, sie seien vor vollzogene Tatsachen gestellt. Es sind die Thesen, die die Zentrale gemeinsam mit dem Westeuropäischen Sekretariat der Kommunistischen Internationale im Januar 1920 der Partei zur Diskussion vorlegte. Die Thesen bezweckten auch, manche opportunistische Formulierung, die in den Heidelberger Thesen enthalten war und die das Resultat einer rein empirischen Betrachtungsweise Levis und seines Mangels an revolutionärer Perspektive waren, auszuscheiden und zu entfernen.

Der Bruch ließ sich nicht mehr verhindern. Es gelang mir nur, meine alten Bremer Freunde zu gewinnen und eine Gruppe in Hamburg zu formieren, die den Kampf gegen Laufenberg aufnahm, nachdem sie zuerst durch Levi in die Arme Laufenbergs getrieben wurde. Während der Kapp-Tage nahm Levi eine außerordentlich zweifelhafte Stellung ein. Nachdem er aus dem Gefängnis gegen die Untätigkeit eines Teils der Zentrale scharf Stellung nahm, machte er nach seiner Befreiung die opportunistische Politik der loyalen Opposition mit. In Moskau, auf dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale, traten wir beide gegen die Aufnahme der .KAPD als einer voll berechtigten Partei in die Kommunistische Internationale auf. Aber auch in dieser Verfechtung des richtigen Standpunktes zeigte Levi eine solche Maß- und Gesinnungslosigkeit, dass er das größte Misstrauen der ganzen Exekutive erweckte.. Es genügt, festzustellen, dass er am Abend, an dem die Exekutive die Zulassung der KAPD mit entscheidender Stimme zum Kongress beschloss, erklärte, er verlasse den Kongress. Ich hielt ihn zurück und fragte: Wohin wollen Sie politisch gehen? Wieder aus Sorge um die Partei suchte ich mit allen Kräften eine Verständigung zwischen ihm, der Exekutive und einem Teil der deutschen Genossen, die volles Misstrauen gegen ihn hatten, herbeizuführen. Genosse Ernst Meyer wird sich an das Gespräch erinnern, dass ich mit ihm vor seiner Abreise nach Deutschland führte. Ich sagte Meyer, ich sei überzeugt, er, Meyer, werde die Partei niemals verlassen, was ich in Bezug auf Levi nicht sagen könne. Aber bevor sich im Feuer des Kampfes neue, bessere Führer herausbilden werden, brauchten wir Levi, besonders im Reichstag, für die Agitation, und man müsse ihn halten. Meyer gab mir Recht. In einem Briefe an die Zentrale unterstrich ich, dass auch Levi die Notwendigkeit der Aktivisierung der Partei anerkenne und dass es notwendig sei, brüderlich zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr aus Halle erzählte mir Sinowjew, Levi scheine sich einzuordnen und voll der besten Absichten zu sein. Zu meiner großen Verwunderung erfuhr ich bald, Levi wolle sich nach Frankfurt zurückziehen, er sei der Politik und des Kampfes müde. Da er das Vertrauen der linken Unabhängigen genoss und dazu helfen konnte, die reibungslose Zusammenarbeit der beiden Teile herbeizuführen, die jetzt vor der Vereinigung standen, übte ich zusammen mit dem Genossen Thalheimer auf ihn den größten Druck aus. Wir erklärten ihm: in einer kommunistischen Partei werden die Genossen von der Partei auf den Posten gestellt, sie haben kein Verfügungsrecht über sich, wer sich nicht füge, der sei Deserteur. Wir drohten ihm mit einem Ausschlussantrag, für den Fall, dass er sich zurückziehe. „Man kann einen Hund nicht auf den Händen zum Jagen tragen“, antwortete uns Levi. Nachdem er unserem Drängen nachgegeben hatte, hatten wir bald Gelegenheit, zu sehen, wie sehr er mit diesem Ausspruch im Rechte war. Seine Teilnahme an der Leitung der Partei war niemals eine beträchtliche. Der feinfühlige Ästhet, der während der Revolution Zeit und geistige Energie fand, alte Vasen zu sammeln und sich mit den Problemen der Pyramide Cheops zu beschäftigen, war gelangweilt, wenn es sich darum handelte, tagtäglich an der groben Arbeit in der Parteischmiede teilzunehmen. Dafür aber brachte er in die Zentrale den Geist der Rechthaberei, der Eigenliebe, der ununterbrochenen Gereiztheit hinein. Ohne jede innere Fühlung zu seinen alten Kampfgenossen suchte er die Verbindung nur mit den früheren Führern der linken USPD. Bald kamen die Konflikte wegen der Aufnahme der KAPD als sympathisierende Partei in die Kommunistische Internationale. Angesichts einer Tatsache, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen war, da der Beschluss der Exekutive gefasst war, nach langen, vielmaligen Auseinandersetzungen, angesichts eines Beschlusses, der die Möglichkeit gab, die Arbeit der Heranziehung eines guten Stammes revolutionärer Arbeiter zur Partei zu beginnen, erklärte Levi, dass die VKPD im Kampfe gegen links entstanden sei. Er sabotierte durch sein Auftreten in dieser Sache die Ausnutzung der Brücke, die die Exekutive zwischen der VKPD und KAPD gebaut hatte. Und in der italienischen Frage zeigte er, dass er sich die Brücke, die er nach links abbrechen wollte, nach rechts zu den Zentrumsleuten bereithalten wollte. Aber klarer noch als diese rechten Tendenzen zeigte sich bei dieser Gelegenheit der Geist der fruchtlosen Skepsis, der Geist des Unglaubens, der Geist des Misstrauens zur Internationale, der ihn erfüllte. Nach seiner Ankunft in Italien glaubte er, dass der Vertreter der Exekutive einen verhängnisvollen Fehler tue. Aber er unternahm nichts, um diesen Fehler zu korrigieren. Er erklärte sich mit dem Vertreter der Exekutive solidarisch. Nach Berlin zurückgekehrt, versuchte er nicht, in organisierter Weise durch Herbeiführung der Stellungnahme der Zentrale auf die Exekutive einzuwirken, sondern suchte diese Stellungnahme der Zentrale zu hintertreiben, nachdem er erklärt hatte, die Exekutive habe eine gesunde, revolutionäre Partei willkürlich zerschlagen, nachdem er öffentlich in der „Roten Fahne“ die Exekutive angegriffen hatte. Es könne erst Remedur geschaffen werden, nachdem dem Karren ganz verfahren sein werde, erklärte er. Seine Stellungnahme schuf sofort die geschlossene Front aller im Kampfe bewährten Genossen der alten Zentrale. Nur die Genossin Zetkin, die mit ihm verbunden ist durch alte Freundschaftsbande und durch das pietätvolle Andenken an Rosa Luxemburg, verteidigte ihn. Auch ein Teil der früheren Führer der linken Unabhängigen erkannten in ihm, nach anfänglichem Schwanken, einen Herd der Zersetzung der Parteileitung und somit der Partei, den Führer einer in Bildung begriffenen Zentrumsfraktion. Rücksichtslos an die Wand gedrückt, zog Levi sich zurück und stimmte für eine Resolution, die in Wirklichkeit die Desavouierung seiner Politik bedeutete. Aber kaum war der Vertreter der Exekutive weg, so begann Levi den Kampf in den Organisationen und suchte die deutsche Partei zum Werkzeug Serratis zu machen. Um seinen Treibereien ein Ende zu bereiten, verschärfte der linke Flügel der Zentrale die Resolution über die italienische Frage. Er vermauerte die Gänge, die Levi zur Unterminierung der Haltung der Partei benutzen konnte. Levi beging darauf einen offenen Disziplinbruch. In einer proletarischen Partei, die von jedem einfachen Arbeiter fordern kann, dass er auf ihr Geheiß in den Tod gehe, gab er das Beispiel der vollsten Disziplinlosigkeit, indem er das ihm von der Partei anvertraute Mandat eines Mitgliedes der Zentrale wegwarf. Seine zersetzende Arbeit hatte schon Resultate gezeitigt. Proletarier wie Brass, Hoffmann, treue alte Kämpfer wie Däumig und die Genossin Zetkin, die in der alten, vom Opportunismus zerfressenen Sozialdemokratie niemals gewagt hätten, ein ihnen von der Partei anvertrautes Amt ohne Zustimmung zu verlassen, hielten es für möglich und zulässig, seinem Beispiele zu folgen. Sie erklärten, „als einfache Soldaten“ ihre Pflicht tun zu wollen, nachdem sie diese Pflicht als Offiziere mit Füßen getreten haben. Bald sollte es sich zeigen, wie sie ihre Pflicht als Soldaten auffassen.

Es begann ein Kapitel, das alle deutschen Arbeiter, das die Kommunistische Internationale als eines der traurigsten aber auch lehrreichsten Kapitel ihrer jungen Geschichte zu studieren haben. Angesichts der drohenden inneren und äußeren Gefahren, angesichts der gesamten Weltlage, beschloss der Zentralausschuss der Partei am 17. März nach längerer, reiflicher Überlegung, die gesamte Politik der Partei zu verschärfen, zu aktivisieren, den Konflikten nicht aus dem Wege zu gehen, sondern sie zu verschärfen. Nicht einen Putsch beschloss die Partei, sondern die Einstellung auf Kampf. Der Soldat Levi hörte die Reveille. Er beruhigte sich, dass nicht morgen der Kampf beginne und fuhr nach Italien, um frische Kräfte für die zukünftigen Kämpfe zu sammeln. Die anderen einfachen Soldaten der Partei, die halbe Million von Proletariern, fuhr nicht zur Erholung nach Italien. Sie wurde aufgefordert, alle Kräfte anzuspannen und die Partei kampffähiger zu gestalten. Aber der Soldat Levi forderte auch als Soldat eine Extrawurst! Er, der Antiputschist, weiß zwar, dass große Aktionen in der Partei nicht aus der Pistole geschossen werden können, dass sie durch Agitation und Organisation vorbereitet werden müssen, aber er hatte volles Vertrauen, dass die Zentrale diese Arbeit selbst leisten würde. Die Nachricht von dem Ausbruch der Kämpfe, die früher kamen als die Partei annahm, erreichten ihn in Wien. Und er brachte der Weltrevolution ein großes Opfer. Er fuhr nicht nach Italien, obwohl er schon ein Reisebillet in der Tasche hatte, sondern er kehrte nach Deutschland zurück. Leider sah man ihn nicht in Mitteldeutschland. Man sah ihn nicht in Hamburg, man sah ihn nicht organisierend und agitierend in Berlin. Der „einfache Soldat“ tat seine revolutionäre Pflicht anders: er begann die Zersetzungsarbeit während des Kampfes. Kein einziger seiner Gesinnungsgenossen nahm an dem Kampf teil. Die gewöhnlichen Parteimitglieder sahen ihre Abwesenheit, was natürlich ihre Kampfeslust und ihre Kampfmoral hob. Am 29. März, als das Geschick der Bewegung nicht nur nicht entschieden war, sondern als es noch galt, mit allen Kräften zu kämpfen, schrieb Levi einen Brief an Lenin, in dem er die ganze Aktion als unheilvollen Putsch darstellte. Und was sagte er angesichts dieses unheilvollen Putsches? Klagte er sich an, dass er einen Fehler gemacht habe, indem er und seine Freunde aus der Zentrale ausgeschieden sind und so dem Unheil alle Hindernisse aus dem Weg geräumt haben? Umgekehrt, er erklärte: „Jeder, der meine Neigungen kennt, weiß, dass ich den Rücktritt von der Leitung der Kommunistischen Partei Deutschlands eher als freudiges Ereignis empfunden habe, als das Gegenteil.“ Derselbe Mann, der in demselben Briefe prophezeite, „die jetzige Leitung der Partei werde in sechs Monaten den völligen Zusammenbruch herbeiführen,“ erklärte, er werde dieser Politik nicht entgegentreten. „Ich werde auch jetzt nicht weitergehen als etwa eine Broschüre schreiben, in der ich meine Auffassung darlege, aber weder bei in Betracht kommenden Instanzen in Deutschland, noch bei der Exekutive Vorstellung erheben. Die Genossen, die die Verantwortung tragen, sollen sich durch mich nicht gehemmt fühlen.“ — Die Broschüre, die Levi etwa schreiben wollte, gab er am 3. April in Druck. . Seine Auffassungen, die er in ihr entwickelte, waren die Auffassungen Stampfers und Hilferdings. Die Zentrale der Partei wird in ihr des Verbrechens an der Partei angeklagt, das Verschwinden von Männern aus dem politischen Leben gefordert, denen — um nur Brandler und Thalheimer zu nennen — Levi nicht wert ist, auch nur die Schuhe von den Füßen zu ziehen, von den Füßen, die sie sich wund gelaufen haben in einem Leben opfereichen rücksichtslosen Dienstes in den Reihen der Arbeiterbewegung. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale, deren Kern die Führer der russischen Partei bilden, wird als eine Bande gewissenloser Abenteurer dargestellt. Genossen, die von der Kommunistischen Partei Russlands trotz der schweren Kämpfe, die sie selbst zu führen hat, den kommunistischen Parteien des Auslands zur Verfügung gestellt werden, die wie Tiere gehetzt ihre Pflicht als Internationalisten tun, sie werden in dieser Broschüre in den Kot gezogen von einem Menschen, den sie weit überragen. Aber das ist noch nichts. In dem Moment, wo Tausende treuer Proletarier in den Gefängnissen schmachten, wo Hunderte Proletarierleichen noch nicht zu Grabe gebracht sind, wo die bürgerliche Presse nach den Häuptern der Kommunistischen Partei schreit, wo der endgültige Verrat der Unabhängigen jeden Bluthund der ebertinischen Schandjustiz zum legitimierten Vertreter der Nation gegen die vom Auslande aufgehetzten Räuber und Mörder erhebt, in diesem Moment tritt der kommunistische frühere Parteiführer und jetzige „Soldat“ auf und sagt: „Jawohl, die, die im Kampfe gefallen sind, fielen nicht im Kampfe gegen den Anschlag Hörsings auf das rote Mitteldeutschland, sie fielen als Opfer des verbrecherischen Wahnsinns dem Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands.“ Ihr Waisen und Witwen der gefallenen Proletarier, hasst nicht den Kapitalismus! hasst nicht die sozialdemokratischen Lakaien und Henker, hasst nicht die unabhängigen Schufte, die den Kämpfern in den Rücken gefallen sind, hasst die Führer der Kommunistischen Partei! Und ihr Arbeiter. die ihr, in den Gefängnissen gemisshandelt, eure blutenden Köpfe hoch erhebt in dem Bewusstsein, nach tapferer Schlacht für die Interessen des Proletariats dem Feinde in die Hand gefallen zu sein, ihr irrt, ihr habt kein Recht, stolz auf eure Wunden zu sein, ihr seid Opfer neuer Ludendorffs, die euch zynisch und frivol in den Tod gesandt haben! Das alles steht geschrieben in demselben Broschüre, in der Paul Levi auf Seite 34 darstellt, wie ein Städtchen und ein Dorf Mitteldeutschlands nach dem andern, wie ein Fähnlein dem Proletarier nach dem andern todesmutig in den Kampf zog. „Wie es die Zentrale gebot“ — höhnt dieser Marxist, ohne auch nur zu fühlen, dass er sich selbst als ein Lügner und Verleumder vor jedem denkenden Kommunisten demaskiert. Denn wer wird ihm glauben, dass in einer jungen Partei die Zentrale ein solches Vertrauen der Hunderttausenden von Proletariern genießt, dass sie in den Tod gehen auf ihren Aufruf, auch dann, wenn der Kampf frivol vom Zaune gebrochen worden ist. Wer wird es ihm glauben, desto mehr in dem Augenblick, da, wie doch jeder weiß, der Rücktritt dem Genossen Zetkin, Däumig und Levi die auch früher nicht große Autorität der Zentrale noch mehr geschwächt hatte. Nicht einen Putsch, sondern den revolutionären Kampf der deutschen Proletarier besudelt Paul Levi, denunziert ihn dem Staatsanwalt, denunziert ihn der bürgerlichen Presse.

Und was am meisten deprimierend ist, ist nicht einmal der Fall Levi. Ich glaube, dass nach dem Gesagten über die Naturgeschichte Levis sein Zusammenbruch das Wesen dieses Zusammenbruchs ziemlich klar vor den Augen des Proletariats zeigt. Ein begabter Intellektueller wird in der stickigen Luft des wilhelminischen Deutschland ein Sozialdemokrat. Intelligent, aufgeweckt, wird er abgestoßen von der philisterhaften Atmosphäre, in der die Parteibonzen leben. Er stammt aus einer reichen Familie, ihre kleinbürgerliche Existenz kann ihn nicht anziehen, sie stößt ihn ab. Da kommt der Krieg mit der Welle des Schmutzes, der patriotischen Lügen. Der junge Intellektuelle mit seinen Sprachkenntnissen, mit den Kenntnissen dem Weltzusammenhänge, glaubt natürlich an die patriotischen Märchen vom Überfall usw. nicht. Ohne jeden Zusammenhang mit den Gewerkschaften und Parteiorganisationen, kann er natürlich nicht die Brücke betreten, über die manch ehrliche Sozialdemokraten zum Sozialpatriotismus kamen; was sind ihm die proletarischen Organisationen. was ist er ihnen? Ihre Erhaltung kann ihm nicht zur Selbstlüge werden, die den Kompromiss mit der Bourgeoisie bemänteln könnte. Er ist gegen den Krieg. Seine Beziehungen zu Rosa Luxemburg, seine ästhetische Vorliebe für die klassische Linie, für das Groß, bringen ihn zum Spartakusbund. Aber der Spartakusbund ist ihm auch nicht Vaterland, für das zu bluten sein einziger Drang wäre. Vom Militärdienst frei, geht er nicht in die illegalen Schlupfwinkel, um für die Ideen des Spartakusbundes sein Leben einzusetzen. Johann Knief machte es. Pieck machte es. Karl Becker machte es. Paul Levi lebt im Auslande auf Reisen, sich nebenbei als Spartakist betätigend. „Was ist das Mitleid, das nicht verbrennt?“ fragt Nietzsche. Levi war von der revolutionären Idee nicht wie von einer Flamme ergriffen. Die Revolution brachte den talentierten Schriftsteller und Redner in die Leitung des Spartakusbundes. Die Revolution ebbte ab, und die Arbeit für die Partei ist eine schwere Arbeit, Arbeit in tausend Gefahren, Arbeit unter den größten Entbehrungen nicht nur physischer Art. Es gilt, auf alles verzichten, wenn man ganz der Sache dienen will. Dem intellektuellen Dilettanten und Ästheten wird diese Arbeit zum schweren Last. Jünglinge reifen in ihr zu Männern, Männer werden hart wie Stahl, der Ästhet, Dilettant und Intellektuelle fühlt sich aber gedrückt, will tausendmal weglaufen. Man muss ihm Kampfereinspritzungen machen, ihn an der Eigenliebe kitzeln, die Mahnungen Rosa Luxemburgs ihm wiederholen, die Asche unserer Märtyrer brennt nicht auf seinem Herzen, und so bäumt er sich immer wieder auf. Die verfluchten Proleten, die keinen Sinn dafür haben, wie er sich für sie opfert, indem er nur einmal in der Woche seine schönen Vasen ansieht! Sie schreien ihm noch ins Gesicht: Nieder mit dem Bonzen! und drohen ihm mit dem Revolver, wo er sich abmüht, sie zu überzeugen. Voll Wut gegen das plebejische Pack gerät er in einen Konflikt mit erfahrenen Genossen, die das Faule in ihm fühlen, und die, zu entfernt der deutschen Bewegung, nicht wie ich, aus der Kenntnis der Armut dem deutschen Partei an schriftstellerischen Kräften seine Blößen zudecken zu wollen. Er fühlt das Misstrauen, welches er erweckt, und dieses Misstrauen treibt ihn nicht dazu, über die eigenen Schwächen nachzudenken, über die eisernen Pflichten eines Revolutionärs, sondern es treibt ihn nach rechts, unbewusst sucht er die Stütze bei den Genossen, die sich erst im Übergang zum Kommunismus befinden. Er erschrickt, wo er sieht, dass die Internationale bereit ist, sogar vorübergehend auf ansehnliche Arbeitergruppen zu verzichten, um nur keine Verräter in ihre Reihen zu bekommen. Die Zentralisation des Kampfes, die Unterstützung jüngerer kommunistischer Parteien durch ältere, die er selbst tausendmal gefordert hat, sie erscheinen ihm als unerträglicher Zwang. Er bäumt sich auf gegen die Internationale, aber, erkennend, dass er in dem Kampfe gegen sie den Kürzeren ziehen muss, weil er ihren Ideen nur die der Hilferdinge entgegenstellen kann, die die Arbeiter ablehnen, wagt er nicht offen aufzutreten, wird zum schleichenden Krankheit der Partei. Demaskiert, zieht er sich zurück. Tausendmal wollte er schon desertieren, sich ins Privatleben zurückziehen, ins traute Heim, wo er nach getaner höherem Advokatenarbeit sich dem Genusse der Vasensammlung und der Blumenzucht ergeben kann, jetzt geht er als grollender Achilles. Niemand weinte ihm eine Träne nach, niemand forderte ihn auf, zurückzukommen, und die Erlösung, die er erwartete, wird ihm zur Qual. Da kam der Augenblick. Die Partei zog in den Kampf, dessen Aussichten sehr schlecht waren. Er erhob den Kopf, er mischte sich nicht in die Sache. Er wusch die Hände in Unschuld, meldete sich als Warner bei der Internationale, aber erklärte, er gedenke nicht gegen die Partei zu kämpfen. — Die Partei erlitt eine große Niederlage, sie blutete aus tausend Wunden; der Intellektuelle glaubte, dass die Arbeiter aus dem gleichen Holze geschnitzt seien wie er, dass sie mutlos sein werden, demoralisiert. Und die Broschüre, die er als eine theoretische Kannegießerei begann, wird zum Bombe gegen die Partei. Der passive Schwächung, das psychologische Rätsel, dem Mensch mit seinem Widerspruch — er steht da als ein Ganzer, und der Ruf aus seinem Brust ertönt: Nieder mit der Kommunistischen Partei, nieder mit der Internationale! Das bürgerliche Söhnchen, das durch den Gestank des faulenden Körpers seinem Klasse an die Seite des Proletariats getrieben worden war, es wird zum Renegaten! Er wird es so weit, dass er die Hilfe des Präsidenten des Reichstags anruft gegen die eigene Partei, um sich von einer ihm gegenüber übernommenen Verpflichtung zu befreien. Diese Hilfe wird ihm zuteil. Der verlorene Sohn der Bourgeoisie ist in den Mutterschoss zurückgekehrt! Der Zusammenbruch Levis ist ein einfacher Fall des Zusammenbruchs eines Intellektuellen, der mit seinem Verstande die Lösungen der Revolution begreifen konnte, aber dessen Herznerven den Anforderungen der Revolution nicht gewachsen waren. Solche Verrätereien werden noch Hunderte Mal in dem schweren Kampfe vorkommen, den wir noch ein Menschenalter zu führen haben werden. Der Weg des Proletariats wird besät sein nicht nur mit den Leichen unserer Besten, die wir auf unseren Schultern tragen werden zu den letzten Ruhestätten, die zum Pilgerort des kämpfenden Proletariats werden, dem Weg des Proletariats wird auch besät sein mit faulenden Kadavern von Menschen, die auf dem Wege zusammengebrochen sind, nicht wie erschöpfte Kämpfer, sondern wie das Pferd, das den Strapazen des Krieges nicht gewachsen war. Und wir sagen: Nicht der politische Leichnam Levis, den das deutsche Proletariat mit einem verächtlichen Fußbewegung in den Graben rollt, hat eine große politische Bedeutung. Eine politische Bedeutung hat der Zug der Leidtragenden, die zu seiner Grabstätte klagend sich bewegen.

IV.

Die Genossin Clara Zetkin, dem Genosse Däumig, der Genosse Hoffmann und der Genosse Brass, um nur die besten zu nennen, erheben im Namen der Freiheit der Kritik Protest gegen den Ausschluss Levis, und sie behaupten, die Auffassungen Levis entsprächen denen der Kommunistischen Internationale. Über diese Behauptung werden wir gar nicht streiten. Die Auffassungen, wegen denen nicht nur Stampfer, nicht nur Hilferding, sondern sogar die Stinnes-Presse Levi zum geistigen Heros stempeln, sie können nicht die Auffassungen der Kommunistischen Internationale sein. Dieser Rettungsversuch ist so lächerlich, dass man bei ihm nicht lange zu verweilen braucht. Wir wollen nur über die Freiheit der Kritik in der Kommunistischen Partei ein paar Worte hier sagen, weil dieser Vorwurf vielleicht von irgendeinem Arbeiter ernst genommen werden könnte. Wozu dient die Kritik in der Kommunistischen Partei? Sie dient dazu, um sich vor dem Kampfe über die Lage zu orientieren, die Kampfmittel zu wählen, oder um nach einer Kampagne, nachdem der Kampf beendigt ist, die gemachten Fehler einzusehen, um sie für die Zukunft zu vermeiden. Braucht die Kommunistische Internationale zu erklären, dass sie diese Kritik für ein Lebensbedürfnis ansieht? Ist die Erklärung nötig, dass die VKPD ihre Aktion einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen hat? Braucht man erst zu beweisen, dass in dem ersten Kampfe, den die Partei im großen Umfange führt, Hunderte von Fehlern gemacht werden müssen? Darüber gibt es keinen Streit. Aber die Freiheit der Kritik in der Kommunistischen Partei ist an drei Bedingungen geknüpft: die eine bezieht sich auf den Inhalt der Kritik, die andere bezieht sich auf den Augenblick der Kritik, die dritte bezieht sich auf die Grenzen der Kritik. Unsere Kritik ist nicht voraussetzungslos, wie auch der Beitritt zu einer Kommunistischen Partei nicht voraussetzungslos ist, sondern an die Voraussetzung gebunden, dass man die Grundsätze des Kommunismus anerkennt. Es ist klar, dass, wenn jemand plötzlich Zweifel darüber bekommen würde, ob die Demokratie nicht ein besserer Weg zum Sozialismus sei als die Diktatur, oder ob man nicht den Bürgerkrieg vermeiden sollte, eine solche Kritik nichts in der Kommunistischen Partei zu suchen hat. Wer solche Zweifel hat, der möge sich in seinem Kämmerlein mit ihnen auseinandersetzen, und hat er sie nicht überwunden, dann soll er aus der Kommunistischen Partei austreten, denn diese ist eine Gemeinschaft von Menschen, die um die Diktatur des Proletariats kämpfen mit den Mitteln des Bürgerkrieges. Bewegt sich die Kritik Levis in dem Rahmen der kommunistischen Grundsätze? Die Tatsache, dass er der Kommunistischen Partei die Vorwürfe macht, wegen denen die Hilferdinge ihr nicht beitreten wollen: Sektiererei, bakunistischer Putschismus, Diktatur von Moskau, beweist, dass seine Kritik eine Kritik vom Standpunkt des Gegners, vom Standpunkt der zentristischen Auffassungen ist. Die ganze These Levis läuft, wie wir es in unserer Broschüre bewiesen haben, darauf hinaus, dass die Kommunistische Partei, bevor sie nicht die Mehrheit der Arbeiter hinter sich hat, überhaupt keine revolutionären Massenaktionen beginnen kann, da sonst diese Aktionen einen Kampf gegen die. Mehrheit des Proletariats darstellen. Dies ist der Standpunkt, mit dem das Zentrum seine passive Politik verteidigt hat. Diesen Standpunkt hat die Kommunistische Internationale theoretisch wie praktisch abgelehnt. Darum ist die Broschüre Levis ein prinzipieller Vorstoß gegen die Grundsätze der Kommunistischen Internationale.

Die zweite Voraussetzung der Kritik ist, dass sie nicht dem Gegner, sondern der Kommunistischen Partei dient. Wer im Kampfe die Aktion der Partei kritisiert oder gegen sie im Momente des Rückzuges der Partei, wo auf sie die Schläge des Feindes hageln, auftritt und die Partei anklagt, der säet Missmut, Misstrauen in die Reihen der Verfolgten, in die Reihen der Kämpfenden. Denn gegen die Verfolgungen muss sich die Partei zu einer eisernen Phalanx zusammenschließen. Sind Fehler gemacht worden, die eine sofortige Abstellung erfordern, so hat die Partei Organe, in denen auf das Abstellen der Fehler gedrängt werden, kann. Levi hat am 7. April in der Versammlung der Berliner Vertrauensmänner aufs heftigste die Partei angegriffen. Kein Haar wurde ihm deswegen gekrümmt. Die Genossin Zetkin hat am 8. April im Zentralausschuss aufs heftigste die Zentrale angegriffen, ihre Resolution wurde mit einem überwältigenden Mehrheit der Stimmen abgelehnt. Aber der Zentralausschuss unternahm nicht den geringsten Schmitt gegen die Genossin Zetkin. Levi hat die Partei als eine Schafsherde, die von einem Rudel von Abenteurern getrieben wird, öffentlich an gegriffen in einem Moment, wo es galt, die ganze Partei zur einmütigen Abwehr zu sammeln, zum Kampfe gegen den weißen Terror, zum Kampfe um das nackte Leben verhafteter Proletarier, um das Bestehen von Organisationen, für die Tausende geblutet haben. Selbst wenn neun Zehntel seiner Vorwürfe richtig wären, würde seine Broschüre glatten Verrat an der Partei bedeuten.

Wer eine solche Freiheit der Kritik fordert, wie sie Levi ausgeübt hat, der fordert die Zertrümmerung der Partei, der fordert das Recht, in jeder Aktion dem Partei ihr in den Rücken zu fallen. Eine Partei, die eine solche Kritik zulassen würde, würde zum Spielball von Hysterikern, Besserwissern oder einfachen Agenten der Bourgeoisie. Dass dies eine selbstverständliche Forderung ist, die ein jedes Mitglied der Partei erfüllen muss, dass dies nicht eine aus Anlass des Falles Levi konstruierte Theorie ist, das beweist besser als irgendetwas anderes ein Fall aus der Geschichte der KPD selbst. Als die Januarkämpfe des Jahres 1919 sich zum Kampfe um die Macht auswuchsen, hielt ich es für einen großen Fehler, dass die Partei diesen Kampf nicht in dem Rahmen der Demonstration gegen die Absetzung Eichhorns hielt. Die Partei hatte damals keine Organisationen. Die überwiegende Mehrheit des Proletariats begann noch nicht einmal, sich zu rühren. Als ich am 8. Januar 1919 die Nachricht erhielt, dass Noske die weißen Garden organisiere, dass der Kampf also bei der Passivität dem Provinz in ein Blutbad in Berlin ausmünden müsse, schrieb ich einen Brief an die Zentrale, in dem ich dringend riet, entweder offen den Kampf abzubrechen mit der klaren Feststellung vor dem Proletariat, dass der Augenblick dem Machtergreifung noch nicht gekommen sei, oder, darauf gestützt, dass die Regierung sich noch sehr unsicher fühle, mit ihr als mit einem gegnerischen Regierung offen in Verhandlungen zu treten über die Bedingungen, unter denen dem Kampf abgebrochen werden könne. Nach der Niederlage, nach dem Tode Rosa Luxemburgs und Liebknechts, ließ ich das zweite Exemplar meines Briefes sorgfältig an neutraler Stelle verwahren. Es war mir notwendig als Dokument für das Zentralkomitee der Russischen Kommunistischen Partei, aber ich fürchtete, es könnte bei einer etwaigen Verhaftung in die Hände der Regierung fallen und benutzt werden zur Ausstreuung des Misstrauens gegenüber den gefallenen Führern der Partei. Als ich verhaftet wurde, erfuhr dem Untersuchungsrichter von der Existenz dieses Dokuments, und da ich angeklagt war, den Januaraufstand zusammen mit Liebknecht organisiert zu haben, forderte er mich auf, diesen Brief vorzulegen. Ich lehnte das selbstverständlich ab mit der Begründung, dass es seine Pflicht sei, meine Schuld zu beweisen, und nicht meine Pflicht, meine Unschuld zu beweisen. Monate dauerte meine Untersuchungshaft, während dem ich immerfort in Lebensgefahr schwebte. Ich verkürzte sie nicht durch die Vorzeigung dieses Dokuments, und es war für mich klar, dass ich es nicht tun dürfe, wenn ich nicht zum gemeinen Verräter an der Partei werden wolle. Vor meiner Verhaftung schrieb ich eine Broschüre über die Lehren des Berliner Bürgerkrieges, in der ich die Fehler der Bewegung aufzeichnete. Aber ich tat es in einer Weise, die gleichzeitig die Quellen der Fehler historisch erklärte, sie als Ganzes historisch würdigte als das erste Erwachen des deutschen Proletariats, als den Beginn dem proletarischen Revolution in Deutschland. Diese Kritik würde der Partei trotz der Aufdeckung der Fehler nur geholfen haben, denn sogar in den Fehlern sah sie den Weg nach vorwärts. Und auch die behutsame, historische Art der Behandlung der gemachten Fehler war für mich als einen Kommunisten, selbstverständlich, selbstverständlich vom Standpunkte der marxistischen Methode, die nicht erlaubt, in dem Kampf großer proletarischer Massen willkürliche Bewegungen zu sehen, die entstanden sind, weil an ihrer Spitze Genossen sich befanden, denen ein historisches Rezept fehlte. Karl Marx äußerte sich beim Ausbruch der Pariser Kommune in seinem Briefe an Kugelmann sehr kritisch und skeptisch über ihre Aussichten. Aber gleichzeitig unterstützte er sie mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seiner Seele. Als die Kommune zusammenbrach, verhehlte er. nicht ihre Schwächen, aber gleichzeitig suchte er das internationale Proletariat zu lehren, die Keime des großen historischen Fortschrittes zu verstehen, die in ihr verborgen lagen. Wer ein Atom revolutionären Empfindens und marxistischer Erkenntnis in sich aufgenommen hat, der wird niemals in anderer Weise Fehlern einer revolutionären Bewegung gegenüber treten.

Dass Genossen von der geistigen Bedeutung Clara Zetkins oder von einer proletarischen Vergangenheit wie Adolf Hoffmann, Brass und Däumig diese Selbstverständlichkeiten auch nur für einen Augenblick vergessen konnten, das erfordert. dass wir jüngeren Genossen, die wir uns mit ihnen an Verdiensten ganz gewiss nicht messen können, ihnen mit ruhiger, aber entschlossener Stimme sagen: Bis hierher und nicht weiter! Diesen Genossen wird der Übergang von der Agitation zur Aktion schwer. Sie sehen die großen Gefahren der Trennung von den Massen, der Niederlagen, und glauben sich verpflichtet, die Partei zu warnen. Die Partei hat diese Warnung gehört, und sie hat ihnen geantwortet: wir kennen die von euch gezeigten Gefahren, aber noch gefährlicher ist die Untätigkeit. Die Partei hat diese Genossen wegen der Warnungen nicht verfemt, sie hat sie auf ihren Vertrauensposten belassen. Aber die Partei muss von ihnen fordern, dass sie sich durch die Verbitterung nicht zu Schritten treiben lassen, die sie aus der Partei führen könnten. Der Konflikt ist durch die Solidaritätserklärung dieser Genossen schon bis zu der Stelle gelangt, wo er mit einem Bruch zu enden droht. Sollte dieser Bruch, wie ich hoffe, am 3. Mai in dem Sitzung des Zentralausschusses nicht erfolgen, sollten diese Genossen sich angesichts der Grenze, an dem sie angelangt sind, der Disziplin der Partei fügen, so wird die ganze Partei sich dessen nur freuen. Sollte in dem Augenblick, wo diese Broschüre nach Deutschland kommt, der Bruch vollzogen sein, nun, dann wird ihn die Partei besser zu ertragen wissen als die Genossen vom rechten Flügel. Mag es ihnen gelingen, einen Teil der Arbeiter irrezuführen und mit sich aus dem Partei zu ziehen, zwischen der Kommunistischen Partei und den Scheidemännern gibt es keinen Raum sogar für die meisten Unabhängigen. Sie werden zerfallen, und sie werden auf gerieben. Für eine Partei linker Unabhängiger oder rechter Kommunisten gibt es noch weniger Platz. Unter welcher Losung wollen sie diese Partei gründen? Es lebe die territorial begrenzte Aktion! oder vielleicht unter der Losung: Nieder mit den Turkestanern! Wir wünschen ihnen, dass ihnen dieser Versuch erspart bleibe. Sollten sie ihn unternehmen, so wird der grausig-ernste Kampf des deutschen Proletariats eine heitere Episode erleben. Die VKPD aber wird als große Massenpartei des Proletariats geläutert, von jedem schwankenden Element befreit, durch ihren Kampf das Vertrauen der Arbeiter trotz Niederlagen mit jedem Tage mehr verdienen, und sie wird in diesem Kampfe eine eiserne Scham von Männern bilden, die die Furcht verlernt haben und wissen, was die Revolution bedeutet.

Moskau, am 1. Mai 1921.

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