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Gr. Sinowjew 19170900 Den Verleumdern

Gr. Sinowjew1: Den Verleumdern

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 3, 29. Sept. 1917, S. 10-15]

Den Tag des 17. Juli verbrachte ich im Taurischen Palast. Ich hielt mehrere Reden an die Volksmenge. Jedes Mal beendigte ich meine Rede mit der kategorischen Aufforderung friedlich auseinanderzugehen, in die Kasernen und Fabriken zurückzukehren, die Arbeit gleich aufzunehmen, nicht durch den Newski nach Hause zu gehen und auf Provokationen nicht zu reagieren. In der überwiegendem Mehrzahl der Fälle hörten die Demonstranten aufmerksam zu und drückten durch Beifall ihre volle Zustimmung aus. Ein, zwei Mal versuchten kleine Gruppen – wie mir scheint Anarchisten – die dicht am Tor des Taurischen Palast standen und nicht mit der vorbei wogenden Masse weitergingen, mich zu unterbrechen. Als ich zum Auseinandergehen aufforderte, schrien sie: „Wieder auseinandergehen; wieder warten! schon genug!“ usw. Einmal gelang es ihnen die Stimmung zu ihren Gunsten zu wenden. Nur schwer konnte ich die Menge wieder beherrschen. Ich wandte mich an die Massen mit folgenden Worten: „Glaubt ihr der Zeitung ,Prawda', hegt Ihr Vertrauen zu unserer Partei?". Sie antworten: „Wir glauben, wir trauen." – „Nun, so höret: Unsere Partei beschloss friedlich auseinanderzugehen und die Prawda druckt eben einen solchen Aufruf!"

Ich habe besonders klar im Gedächtnis zwei meiner Reden – eine vor irgend einem Regiment, die andere vor den Arbeitern der Putilowwerke, die zusammen mit Soldaten aufmarschierten. Das Regiment rief: Kerenski, Kerenski mag sprechen! Kerenski war aber nicht da. Andere Redner versuchten zu sprechen. Das Regiment wollte aber nicht zuhören und forderte immer wieder den Kerenski. Jemand kam heraus und sagte: Kerenski ist fort aus Petrograd. Das Regiment verlangte noch stürmischer nach Kerenski. Da rief jemand ganz laut: Sinowjew will sprechen. Die Demonstranten gaben mit Beifall ihre Zustimmung kund. In dieser meiner Rede übte ich eine massige Kritik am Koalitionsministerium im Allgemeinen, und dem des Kerenski besonders aus; die größere Hälfte meiner Rede wurde der Aufforderung friedlich auseinanderzugehen und sich nicht provozieren zu lassen, gewidmet. Ich habe mehrmals unterstrichen, dass dies der Beschluss unserer Partei ist. Ich machte darauf aufmerksam, das heute (17. Juli) nicht eine einzelne Partei, die der Bolschewiki demonstrierte, sondern die übergroße Mehrheit der Petrograder Arbeiter und Soldaten und dass diese Demonstration nicht spurlos vergehen wird. Man muss nur ihre Wirkung durch Unbesonnenheiten nicht schwächen und deshalb muss man friedlich und organisiert auseinandergehen. Neben mir, auf der Tribüne stand – die ganze Zeit – wie ich mich erinnere – Gen. Rjasanow

Die zweite Rede am 17. Juli hielt ich vor den Putilowern. Sie forderten Zeretelli. Sie sandten eine Delegation in den Sitzungssaal der Exekutive mit einer Bitte, Zeretelli möge zu ihnen herauskommen. Zeretelli war einverstanden, seine Kollegen aber verhinderten ihn. Unsere Genossen schlugen mir vor, statt Zeretelli herauszugehen. Ich ging. Ein Meer von Köpfen, wie ich es noch nie gesehen habe. Mehre Zehntausend Menschen zusammengepresst. Die Rufe: „Zeretelli!" dauern fort. Ich wurde erkannt und die Rufe legen sich. Ich fing an: Statt Zeretelli komme ich. Gelächter. Das sprengte die Stimmung und ich konnte ziemlich lange sprechen. Ich sagte, dass Zeretelli persönlich ein durch und durch ehrlicher Mensch ist, dass für die geschaffene Lage, nicht einzelne Persönlichkeiten, nicht einzelne Sozialisten-Minister – von denen Zeretelli der ehrlichste ist – Verantwortung tragen, sondern die falsche Taktik des Kompromisses mit der Bourgeoisie. Ich erinnerte, dass wir vom Anfang an im Petrograder Sowjet gegen den Eintritt der Sozialisten in das bürgerliche Ministerium waren. Jetzt sind die Früchte da. Weiter sprach ich von der ökonomischen Zerrüttung und nahendem Hunger. Ich führte aus weswegen uns die Bourgeoisie verfolgt. Weil wir nicht nur Demokraten, sondern in erster Linie Sozialisten sind, weil wir die Partei der Armut sind; wir wollen, dass unsere Revolution nicht nur eine politische sei, sondern dass sie eine unmittelbare Besserung der Lage der Arbeiter und Bauern schafft, dass wir uns den Weg zum Sozialismus mit unseren Leibern bahnen. Deshalb hasst uns die Bourgeoisie, deshalb verfolgt sie uns, wie sie unsere Gesinnungsgenossen in anderen Länder verfolgt. Zum Schluss forderte ich auch hier meine Zuhörer auf, unverzüglich und friedlich auseinanderzugehen, die vollste Ordnung zu wahren und sich zu keinen Ausschreitungen provozieren zu lassen. Die Versammelten applaudieren, ordnen sich in Kolonnen und marschieren ab.

So lauteten meine Reden am 17. Juli.

Ich erinnere mich noch, dass mir am 18. morgens der Trudowik Bramson sagte: „man beklagt sich, das sie sehr scharf vor dem Taurischen Palast gesprochen haben". Ich antwortete: „Aber ich forderte doch alle jedes Mal auf friedlich auseinanderzugehen". Bramson: „Das stimmt, aber dieser Forderung widmeten sie nur einen Teil ihrer Rede, der größere Teil war der Kritik gewidmet".

Selbstverständlich kritisierte ich die Politik der provisorischen Regierung. Ich forderte aber nicht nur zu keinem „bewaffneten Aufstand" auf, sondern im Gegenteil forderte ich direkt und kategorisch zur Beendigung der Demonstration auf.

Spät am Abend des 17. Juli sprach ich noch zwei Mal im Taurischen Palast:

1) in der Sitzung der Führer der Kronstädter (anwesend: der parteilose Vorsitzende des Kronstädter Sowjets Lamanow, der Bolschewik Raskolnikow, Roschal) wo beraten wurde, ob man die von der Exekutive der Sowjets gestellten Bedingungen der Entwaffnung und Rückkehr der Kronstädter annehmen soll. Trotzki, Kamenew und ich, waren einstimmig für die Annahme. Jemand glaubte, dass die Bedingung der Exekutive, die Namen aller zurückkehrenden Kronstädter zu notieren, nicht annehmbar sei. Wir dagegen erklärten, man soll auch diese Bedingung annehmen. Wir haben keine Angst unsere Namen zu nennen. Im Gegenteil: sind zwischen uns unerwünschte Elemente, so sollen sie nur entlarvt werden. Daran sind wir in erster Linie interessiert. Die Kronstädter stimmten uns zu und damit wurde die friedliche Rückkehr der Kronstädter beschlossen.

2) Um 2, 3 Uhr nachts sprach ich in der Plenarsitzung der Exekutive aller Sowjets. Ich teilte den Versammelten mit, dass jetzt, in diesem Augenblick unsere Partei ein Aufruf redigiert, der die Arbeiter in die Fabriken, die Soldaten in die Kasernen zurückzukehren auffordert (Dieser Aufruf würde in der „Prawda" v. 18 Juli veröffentlicht) Ich unterstützte die Resolution des Gen. Lunatscharski: „die ganze Macht in die Hände der Sowjets". Dan rief: „die Bolschewiki sollen die Regierungsmacht übernehmen". Ich antwortete: „Lenin hat Euch auf dem allrussischen Kongress gesagt: „Unsere Partei dachte nie daran, die Macht gegen den Willen der Mehrheit des Volkes zu übernehmen, einzig und allein mit Zustimmung der Mehrheit hätte sie sie übernommen." Die Losung der Demonstration v. 16.-17. Juli ist auch: „die ganze Macht den Sowjets". Sagt doch das erlösende Wort, sagt, dass Ihr die Regierung übernimmt, und wir werden erleichtert aufatmen und der Stein wird uns vom Herzen fallen. Sieht doch endlich ein, dass die Bewegung des 16.-17. Juli keine durch Agitation hervorgerufene, sieht doch ein dass sie eine spontane ist. Wer nur eine Minute mit der Masse der Putilower zusammenlebte, der weiß: nicht die Bolschewiks haben die Bewegung geschaffen."

Am 18 früh morgens wurde ich von einem Genossen geweckt, der mir mitteilte, die Prawda sei zertrümmert. Ich lief ins Taurische Palais. Dort fand ich schon den Gen. Kamenew. Zusammen mit ihm gingen wir zu Tschcheïdse und Liber und interpellierten sie wegen der Zertrümmerung der „Prawda". Sie erklärten mir: Die „Prawda" wäre gar nicht geschlossen. Wir machten darauf aufmerksam, dass in der konfiszierten Nummer, der Aufruf zur Beendigung der Demonstration veröffentlicht ist, dass das Nichterscheinen der „Prawda" die Krise in der Arbeiterviertel nur verschärft, usw. Liber schlug uns vor, zusammen mit uns nach der Redaktion der „Prawda" zu fahren, wo er den Aufruf lesen und die Nummer freigeben kann. Wir fuhren: Liber. Kamenew und ich. Liber las den Aufruf und wollte die Nummer freigeben. Die Druckerei war aber leider leer. In der Expedition fanden wir einige Genossen, die Liber erzählten, wie die Fähnriche das Lokal zertrümmerten, unsere Genossen schlugen usw.

Liber machte den Vorschlag, sich in den Generalstab zu begeben, um dort das Papier zu erhalten, welches die Prawda freigeben wird. Wir fuhren. Dort weilten wir eine halbe Stunde. Liber erklärte uns, der Stab kann uns das Papier aus formellem Gründen nicht geben: „die ,Prawda' wird gesetzwidrig in der konfiszierten Druckerei des ,Dorfkuriers' gedruckt". Aber den Erlaubnisschein wird uns die Exekutive ausstellen, wohin wir uns wandten.

Auf der Treppe trafen wir den General Polowtsew, mit dem Liber 5 Minuten abseits sprach. Dann erzählte uns Liber, dass unsere Soldaten der Petropawlower Festung entlang Panzerautos aufstellten und lassen in die Festung sogar die Mitglieder der Exekutive nicht rein. Dies kann zu einem bewaffneten Zusammenstoß führen – meinte Liber. Kamenew und ich schlugen Liber sogleich [vor,] hinzufahren und die Genossen zu überreden, die Panzerautos sofort zu entfernen denn niemand will einen Aufstand und die Demonstration sei zu Ende. Das taten wir auch. Wir gingen mit Liber in das Palais Krzesinska, wo unsere Militärorganisation eine Sitzung hatte. Nach einigen Minuten erklärten wir Liber, dass die Panzerautos entfernt werden – was auch auf der Stelle geschah. Diese Episode wurde am 19 Juli in mehreren Zeitungen veröffentlicht.

Woitinski ist genügend als Feind der Bolschewiki bekannt. Aber auch er erklärte in der Sitzung des Petrograder Sowjets (dieser Bericht erschien in mehreren Zeitungen) dass „alle Parteien, auch die bolschewistische mit einer seltenen Einstimmigkeit" gegen die Demonstration des 17. Juli auftraten.

Soviel über meinem Anteil in dem angeblichen „bewaffneten Aufstand". Wir besetzten nicht einen einzigen strategischen Punkt, im Gegenteil wir forderten zur Übergabe solcher Punkte (die Panzerautos an der Petropawlower Festung) auf. Bis zum Abend des 16. Juli kämpften wir gegen die Demonstration. Als dies misslang, forderten wir am Abend des 16. Juli auf, sich mit einer friedlichen Demonstration zu begnügen und sofort auseinanderzugehen.

Am 17. Juli veröffentlichten wir einen Aufruf in demselben Sinne. Am 17. wurde dieser Aufruf in die Prawda geschickt. Den 16. setzten wir in der Arbeitersektion eine ähnliche Resolution durch. Unter diesen Umständen von einem „bewaffneten Aufstand", oder seiner Vorbereitung zu sprechen, heißt der Wahrheit ins Gesicht zu schlagen.

Aber es gab doch Opfer – wird man uns sagen.

Ja, sie fielen auf beiden Seiten. Und wir bedauern sie nicht weniger, als alle anderen Revolutionäre. Aber tausendmal Recht hatte Gen. Lunatscharski, als er in der Sitzung der Exekutive behauptete, es wäre zwanzig mal so viel Opfer, wenn nicht die Intervention der Bolschewiki [gewesen wäre].

Als Partei des Proletariats können wir nicht, dürfen nicht unsere Hände in Unschuld waschen und sich von der Bewegung fern halten. Aber wir haben in Petrograd auf 600 Tausend Arbeiter und Soldaten kaum 32 Tausend organisierte Mitglieder, und konnten deshalb die Demonstration nicht voll beherrschen. Eine Panik wurde hervorgerufen, eine Provokation seitens der Konterrevolution und dies führte zur Schießerei und Opfer.

Am 3.-4. Mai trug die Bewegung im Allgemeinen denselben Charakter. Auch damals hörte man den provokatorischen Schrei der Kadetten, die Leninisten hätten auf dem Newski geschossen. Aber damals waren die Menschewiki und die Soz. Rev. nicht so weit, die Herren Kadetten in solch einer Taktik zu unterstützen.

Jetzt liefert man uns in die Hände der Staatsanwälte der Schtscheglowitows aus und diese klagen uns des „Umsturzes der bestehenden Ordnung" auf Grund des § 100 des zarischen Kriminalkodexes an.

Der Kampf für die Weiterentwicklung der Revolution wird zum „Umsturz" gestempelt und auf die Szene treten die §§, die auf den Umsturz der Romanowschen Monarchie gemünzt waren. Als „Umsturz" wurde die Forderung die ganze Macht in die Hände der Sowjets zu legen bezeichnet, eine Forderung, die zu stellen die Sowjets selbst mehr als einmal sich anschickten, eine Forderung die die Führer der Sowjets niemals eigentlich ablehnten, von der sie nur erklärten, sie sei einstweilen verfrüht.

Miljukows Verlangen „die Bolschewiki zu verhaften" wurde jetzt erfüllt, ein Verlangen, das dieser Führer der Konterrevolution längst vor dem angeblichen „bewaffneten Aufstand" geäußert hatte. Man hat die Arbeiter entwaffnet. Und die Vertreter der Arbeiter lieferte man der Schwarzhundertpresse aus.

Und zu allem diesem gaben die „Genossen" Zeretelli, Dan, Skobelew und Co ihren Segen.

Wahrhaftig es gab schon schlimmere Zeiten, aber niemals gab es niederträchtigere.

Als „Beweis" gegen mich und Lenin wird von den Alexinski und Co die Tatsache genannt, dass wir anfangs des Krieges in Galizien verhaftet wurden und später angeblich im Gegensatz zu den anderen russischen Emigranten nach der Schweiz entlassen wurden.

Der Sachverhalt war folgender: Als der Krieg ausbrach, waren wir mit Lenin und unseren Familien in einem galizischen Dörfchen Poronin (unweit von dem Kurort Zakopane). Nebenbei gesagt, wohnten wir in Krakau (Galizien), dort war die ausländische Basis des Zentralkomitee, von dort aus schrieben wir jeden Tag für die „Prawda", dorthin kamen die Genossen aus Russland. Im Sommer gingen wir (zweimal) nach Poronin. Hier überraschte uns der Ausbruch des Krieges.

Ich wurde überhaupt nicht verhaftet. Das erklärt sich auf folgende Weise. 3-4 Wochen vor dem Ausbruch des Krieges erkrankte meine Frau schwer. Sie wurde viermal hintereinander operiert. Zu diesem Zwecke übersiedelten wir aus Poronin nach Zakopane (ungefähr 4 Kilometer weiter). Poronin ist ein kleines Nest, Zakopane aber ein zivilisierter Kurort, wo es viel polnische Intelligenz gibt und wo die Behörden an Ausländer gewöhnt sind. Beim Kriegsausbruch herrschte eine Panik. In jedem Ausländer sah der galizische Philister den Spion. Lenin, der in dem weltvergessenen Poronin blieb, wurde von dem Gendarm verhaftet auf eine Denunziation der Bauern bin, die [ihn] für „verdächtig" hielten, weil er „immer schreibt, vor dem Hause spazieren geht" usw. Der Gendarm machte eine Haussuchung bei Lenin, fand die agrarischen Diagramme in seinen Heften, erklärte das als „genügenden Beweis" (genau wie jetzt der Alexinski), verhaftete Lenin und führte ihn nach dem Städtchen Nowy Targ ins Gefängnis. Ich wohnte in einer viel kulturelleren Gegend, verbrachte ganze Tage in der Klinik, wo meine Frau lag und da die dortigen Ärzte, wie überhaupt die polnische Intelligenz, wusste, dass ich ein russischer Revolutionär bin, so ließ man mich in Ruhe. Lenin aber saß 1 bis 2 Wochen im Gefängnis. Die polnische Intelligenz hat sich seiner gleich angenommen. Dasselbe taten die russischen Emigranten z. B. der Menschewik Wiljejew, der seit Jahren in Galizien lebt und gut mit den Polen, stand. Die polnischen Intellektuellen schämten sich einfach, dass in ihrem Lande ein Lenin, unter dem Verdacht der Spionage verhaftet werden konnte. In Wien lebte damals Rjasanow. Als er von der Verhaftung Lenins vernahm, wandte er sich an die österreichischen Sozialdemokraten. Diese übten einen „Druck" auf die Behörden aus, und Lenin wurde befreit (gleichzeitig mit einigen Polen aus Russisch-Polen, die zu derselben Zeit und mit ähnlichen „Beweisen" verhaftet worden waren.). Da das Alter Lenins ihn vom Militärdienst befreite, so bekam er die Erlaubnis nach der Schweiz zu gehen. Nebenbei: ungefähr 2 Wochen nach dem Ausbruch des Krieges erlaubte man fast allen Russen aus Karlsbad und Franzensbad (Österreich) fort zu gehen. Sie gingen auch durch die Schweiz und Genua nach Russland. Unter den Freigelassenen aus Karlsbad und Franzensbad wahren selbstverständlich mehrere Kadetten, wie andere reiche Bourgeois. Darüber schweigt aber unser „Ankläger".

Ich blieb noch eine Zeit in Zakopane. Aber auch hier half uns die Krankheit meiner Frau. Alle Ärzte in Zakopane wurden eingezogen. Die Krankheit meiner Frau war aber sehr ernst, (lokale Blutvergiftung). Mit Hilfe dortiger Intellektueller bekam ich die Erlaubnis mit meiner Frau, zur ärztlichen Behandlung, nach Wien zu gehen. In Wien lebte der Gen. Rjasanow. Mit ihm ging ich zu Viktor Adler, der uns die Erlaubnis nach der Schweiz zu gehen, wie das die Krankheit meiner Frau erforderte, erwirkte. Viktor Adler, wie andere Führer der Österreichischen Sozialdemokratie verhalfen zu dieser Vergünstigung einer ganzen Anzahl von russischen Revolutionären – unter anderen z. B. dem Menschewik Bagocki. Viktor Adler zeigte mir einen ganzen Haufen von Papieren, die sich auf die Revolutionäre, denen er das Erlaubnis aus Österreich nach der Schweiz zu gehen, verschaffte, bezogen.

So kam ich nach der Schweiz. Alles was man jetzt von der Rolle Hanecki-Fürstenbergs als Befreiers von Lenin u. mir schreibt ist pure Lüge. Auf keiner einzigen Voruntersuchung der österreichischen Behörden war er zugegen, Und so konnte er dieselbe nicht „unterbrechen". Selbstverständlich bemühte sich Hanecki, der eine Masse Bekanntschaften unter den polnischen Revolutionären hat, aufs Energischste um die Befreiung von Lenin, der unter einem widersinnigen Verdacht der Spionage verhaftet wurde. So weit ging die Tätigkeit von Hanecki. Er selbst wurde, wenn ich mich richtig erinnere, in Wien zurückgehalten zusammen mit seiner Familie und nur mit Mühe und Not kam er nach der Schweiz.

Als andere „kriminelle" Anschuldigung figuriert meine „verbrecherische" Bekanntschaft mit Hanecki, Koslowski und Sumenson. Alle sie sind aber bei weiten nicht überführt, und Beweise gegen sie wurden nirgends erbracht. Eins will ich doch bemerken: Sumenson sah ich nie in meinem Leben und diesen Namen erfuhr ich zum ersten Mal aus den Zeitungen, nach ihrer Verhaftung. Koslowski sah ich zum ersten Mal im April 1917, als ich nach Petrograd kam. Hanecki kenne ich seit 1906 als den Vertreter der polnischen S. D., Mitglied des Zentralkomitee dieser Partei, Mitglied des Vereinigten Z. K. der Bolschewiki und Menschewiki, als einen Genossen, der sich von jeher der vollen Achtung aller Fraktionen erfreute.

Ich habe keine Geldgeschäfte mit Hanecki und Koslowski gehabt.

Um alle Missverständnisse vorzubeugen, will ich noch eins sagen. Nach der Revolution schickte mir mein Schwager S. W. Sachs aus Petrograd 800 Rb. damit ich und meine Familie nach Russland zurückkehren könnten. Dieses Geld wurde durch die Petrograder Bank geschickt unter meiner Adresse Schweiz–Bern, Neufeldstr. 27. Ich verreiste, bevor das Geld kam, und ich gab die Adresse Haneckis in Stockholm an, damit er mir das Geld nach Russland nachschickt. Hanecki bekam auch diese 800 Rb. und das Geld wurde mir auf seine Anweisung von Koslowski in Petrograd ausbezahlt, Die Quittung der Schweizer Bank wurde mir zugestellt. Ich weiß, dass ich sie behalten habe. Wenn das nötig ist, kann das Gericht ohne Mühe meine Angaben feststellen.

1Gen. Grigori Sinowjew, Mitglied des Zentralkomitees der Bolschewiki, ist zusammen mit Lenin angeklagt, den „Aufstand" vom 16.-18. Juli auf Befehl von Berlin organisiert zu haben. Seine Antwort ist nicht nur vom persönlichem Interesse. Sie zeigt den spontanen Charakter der Ereignisse und bereitet ein Ende der Legende von dem bolschewistischen Putschismus, die die Hamlets der Revolution, die Menschewiki Internationalisten verbreiten, um eine Erklärung für ihr Bündnis mit den Sozialpatrioten geben zu können. Red. Bote.

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