Grigori Sinowjew:
Eröffnung des III. Weltkongresses
der Kommunistischen Internationale
[Protokoll
des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale (Moskau, 22.
Juni bis 12. Juli 1921). Hamburg 1921, S. 14-24]
Im
Auftrage der Exekutive der Kommunistischen Internationale erkläre
ich den III. Weltkongress der Kommunistischen Internationale für
eröffnet. (Lebhafter Beifall. Das Orchester spielt die
Internationale.)
Genossen!
Wie auf allen internationalen proletarischen Versammlungen, soll
auch dieses Mal unser erstes Wort denjenigen unter unseren Brüdern,
die im Kampfe um den Kommunismus gefallen sind, geweiht sein. Den
Namen, die in den letzten Jahren in die Annalen unseres Kampfes
eingetragen sind, den Namen Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg u. a.,
haben sich im verflossenen Jahre nicht wenige ebenso berühmte Namen
hinzugesellt. Wir haben unseren teuren Genossen John Reed, den besten
Führer des amerikanischen Proletariats, verloren. Unlängst
begruben die Berliner Arbeiter einen ihrer Führer, Sylt, der von den
Scharfrichtern der deutschen Bourgeoisie getötet wurde. Eine Gruppe
von türkischen Kommunisten mit unserem Genossen Subchhi an der
Spitze, der am ersten Kongress der Kommunistischen Internationale
teilnahm, fiel unlängst durch Mörderhand. Wir haben im Laufe dieses
Jahres eine ganze Reihe von Genossen in nächster Nähe von
Sowjetrussland verloren. So wurde in diesen Tagen eine Gruppe unserer
braven Genossen, unter denen die Genossen Schief und Berents am
aktivsten an unserem Kampfe teilgenommen hatten, von der lettischen
Bourgeoisie füsiliert.
Eben
solche Exekutionen sind in Litauen vorgekommen. In Italien
vergeht keine Woche, ohne dass unsere Genossen den einen oder den
anderen aus ihrer Mitte im Kampfe mit den bezahlten Agenten des
italienischen Kapitals verlören. In Deutschland kamen in den
Märztagen Hunderte der besten deutschen Genossen um. Es fehlen
manche Genossen, die unter den Delegierten des II.
Weltkongresses waren. Ihr erinnert euch alle an den tragischen Tod
dreier unserer besten französischen Genossen, Raimond Lefevre,
Le Petit und Vergeat, welche im Meere umkamen. Eines gleichen
tragischen Todes ist – auf dem Wege aus Russland in die Heimat –
eine Gruppe griechischer Kommunisten, wie Genosse Alexakis und
andere, gestorben. Für die Sache des Proletariats ist
gleichfalls unser finnländischer Genosse Iwan Rachja und eine Gruppe
seiner Freunde gefallen. Während dieser Zeit ist unsere Genossin
Inessa Armand, die so tätig am zweiten Internationalen Weltkongress
teilnahm, gestorben, und unlängst haben wir die Genossin
Samoilowa zu Grabe getragen. Im Süden Europas und in Jugoslawien
haben die Wellen des dort herrschenden weißen Terrors unseren Reihen
Dutzende von Genossen entrissen. Ehe wir unsere Arbeit beginnen,
fordere ich den III. Weltkongress der Kommunistischen Internationale
auf, sich zu Ehren der gefallenen und verstorbenen Genossen zu
erheben.
(Das
Orchester spielt den Trauermarsch. Die Anwesenden erheben sich
von den Sitzen.)
Im
Namen des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale
begrüßen wir die vielen Tausende – vielleicht sind es
Zehntausende –, welche jetzt in verschiedenen Ländern hinter
den Gittern der Gefängnisse sitzen. In Deutschland haben wir während
der Märztage Hunderte von Genossen verloren: vierhundert Genossen
sind während der letzten Wochen entweder zu Gefängnis oder
Zuchthaus verurteilt worden, und ungefähr 7000 schmachten im
Gefängnis. Weiter wissen wir, dass die Gefängnisse der ungarischen
Republik nicht leer sind, ebenso wie diejenigen Finnlands nicht
leer werden. In den allerdemokratischsten bürgerlichen Republiken,
wie zum Beispiel in Amerika, befinden sich Tausende von Kommunisten
im Gefängnis. In England befindet sich jetzt hinter dem Gitter des
Gefängnisses einer der Führer unserer jungen Partei mit einer Reihe
von anderen englischen Genossen, welche sich mit kommunistischen
Worten an die englischen Arbeiter wandten. In der Tschechoslowakei
ist eine nicht geringe Zahl von Arbeitern eingekerkert, und
unter ihnen die euch wohlbekannten kommunistischen Kämpfer der
Tschechoslowakei: Muna, Zapotocky, Zatocky, Hula und eine Reihe
anderer, die im Geiste jetzt mit uns sind, und uns hinter den
Gefängnismauern hervor ihre Grüße senden. Wir sind überzeugt,
dass die Zeit nicht fern ist, wo alle kapitalistischen Gefängnisse
ohne Ausnahme von dem aufständischen Volke zertrümmert sein
werden und unsere Brüder und die besten Söhne der internationalen
Arbeiterklasse frei, und sich an die Spitze der den Kapitalismus
stürmenden Proletariermasse stellen werden. Dieses Jahr ist in
der Geschichte der kommunistischen Internationale nicht leicht
gewesen. Wir hatten während dieser Zeit in einer ganzen Reihe von
Ländern einen bewaffneten Kampf. In einigen dieser Länder wuchs der
Kampf zu großen Schlachten an. Ihr erinnert euch, dass wir kaum die
Zeit hatten, den Zweiten Kongress der kommunistischen Internationale
zu schließen, als in Italien, dem Lande, das damals der
proletarischen Revolution am nächsten war, eine proletarische
Massenbewegung anfing, die neue Formen des Kampfes anwandte. Die
Arbeiter Italiens forderten die Übergabe der Fabriken und Werke und
behielten sie während zweier Wochen in ihren Händen, sie
organisierten eine rote Armee und waren bereit, ihren Kampf weiter zu
führen.
Zu
dieser Zeit zeigten sich die italienischen Reformisten, dieselben,
die uns mit ihrem Besuch beehrt haben, und welche der Kommunistischen
Internationale angehören wollten, im Lager der Bourgeoisie und
verrieten die Sache der Arbeiterklasse. Die italienische
Arbeiterkonföderation, mit erfahrenen Opportunisten an der Spitze,
tat im entscheidenden Augenblicke alles, was irgend möglich war, um
die Arbeiterbewegung aufzulösen. Die italienischen Zentristen,
mit Serrati an der Spitze, dem man im vorigen Jahre noch vertraute,
fanden nichts Besseres zu tun, als die große proletarische
Bewegung als eine gewerkschaftliche, friedliche, trade-unionistische
darzustellen. Die italienischen Arbeiter mussten die schmerzliche
Erfahrung machen, dass einige ihrer Führer nur Verderber ihres
Kampfes seien.
Wir
hatten im Dezember des Jahres 1920 einen teilweise bewaffneten, mehr
als eine Million von Menschen umfassenden Aufstand des
tschechoslowakischen Proletariats zu verzeichnen, eine Bewegung, die
nicht genügend organisiert war und die gleich darauf niedergeworfen
wurde, die aber das tschechoslowakische Proletariat stählte und
ihm die Möglichkeit, die nötige Schule gab, eine kommunistische
Massenpartei auszubilden, die hier zum ersten Mal unter uns
vertreten ist.
Und
im Frühling dieses Jahres hatten wir den Aufstand des deutschen
Proletariats, der nicht weniger als Hunderttausende mit sich
riss und der auch zwar niedergeworfen wurde, der aber eine nicht
geringe Rolle in der Geschichte der deutschen revolutionären
Bewegung spielte und der, da er das Proletariat stählte, eine neue
kommunistische Massenbewegung ergab, und sich ungeachtet des
Misserfolges, mit goldenen Buchstaben in die Geschichte des
Befreiungskampfes des deutschen Proletariats eintrug. Wir hatten
neben diesen großen Bewegungen eine Reihe von kleineren
Aufständen der Proletarier verschiedener Länder. Alle diese
Aufstände haben unsere jungen kommunistischen Parteien gestählt,
haben ihnen unbezahlbare Lehren gegeben und halfen ihnen ihre
Schwächen zu erkennen und in der Zukunft die Fehler, die man nicht
wiederholen darf, zu vermeiden; sie werden zu gleicher Zeit dazu
beitragen, in unsere Partei Kampfesmut und das Bewusstsein
hineinzutragen, dass wir uns nicht mit friedlicher Propaganda
begnügen dürfen, sondern dass unsere Parteien einen Kampf nach dem
anderen und einen Ansturm nach dem anderen gegen unsere
kapitalistischen Feinde führen müssen. Unsere Feinde weisen
gerade auf diese Massenbewegungen hin, um daraus den Schluss zu
ziehen, dass die Kommunistische Internationale, im Laufe dieses
Jahres nur Niederlagen auf Niederlagen erlitten hat.
Freilich
können jene kurzsichtigen Leute, die nicht über ihre eigene Nase
hinausschauen können, die italienische, tschechoslowakische und
deutsche Bewegung als unsere Niederlage ansehen. Wir wissen, dass die
ganze Kampfeskette des internationalen Proletariats aus diesen
Niederlagen besteht. Wir wissen, dass auch das russische Proletariat
eine ganze Reihe von solchen Niederlagen erlitten hat, ehe es sich
den Sieg errang. Wir sind auch überzeugt, dass der Kampf, der in
Italien, der Tschechoslowakei und in Deutschland geführt wurde, und
der nicht zum Siege des internationalen Proletariats führte,
nichtsdestoweniger als ein Riesenschritt vorwärts auf dem Wege zu
unserer Zusammenschmiedung zu werten ist.
Als
sich unser Zweiter Weltkongress versammelte, schien es, dass das
Weltkapital eine Art von Aufschwung erlebe. Jetzt, zu der Zeit, wo
sich unser Dritter Kongress versammelt, ist es eine alltägliche
Erscheinung, dass der Weltkapitalismus eine schwere, langwierige
Krisis durchmacht. Wir haben Millionen Arbeitslose in Europa und
Amerika und eine Menge solcher, die nur die halbe Woche arbeiten. Wir
sehen, wie das Elend in einer ganzen Reihe von Ländern wächst. Wir
beobachten den wunderbaren Streik der englischen Bergarbeiter,
welcher ohne Zweifel eines der wichtigsten Ereignisse in der
Geschichte der Internationalen Revolution ist. Dieser Streik ist in
seiner Hartnäckigkeit und seinem Heroismus wunderbar. Er ist um so
wunderbarer, als die Führer der alten Trade-Unions, wie es sich für
diese Herrschaften gebührt, im entscheidenden Moment die englischen
Arbeiter verrieten. Und ungeachtet der ungenügenden
Unterstützung von Seiten anderer proletarischer Schichten, von allen
Seiten von Feinden umringt, harren die Bergarbeiter schon wochenlang
in diesem, in der Geschichte der englischen Arbeiterbewegung noch
nicht dagewesenen Streik aus. Heute, wo wir unseren Kongress
eröffnen, erhalten wir neue Nachrichten von der Entwicklung der
revolutionären Bewegung in Italien – dem Streik der
Eisenbahnarbeiter und der Post- und Telegraphenbeamten. Es ist
offenbar, dass Italien wieder in die Periode großer Kämpfe tritt.
Deutschland, in dem die letzten Urteile der weißen Gerichtshöfe
noch nicht verklungen sind, machte in diesen Tagen einen dreitägigen
allgemeinen Streik mit. Bayern geht wieder revolutionäre» Kämpfen
entgegen. In Frankreich gärt der Kampf innerhalb der
gewerkschaftlichen Bewegung, ein Kampf, der in den wichtigsten
Gewerkschaftsverbänden mit dem Siege der revolutionären
Richtung über die opportunistische endet.
Unsere
Parteien sind während eines Jahres ungemein gewachsen. Seht
euch nur die hauptsächlichen Länder an. Auf dem Zweiten Kongress
hatten wir nur eine kleine Gruppe unserer Anhänger aus Frankreich,
welche damals als Propagandisten und Anführer der ersten
kommunistischen Gruppen Frankreichs auftraten. Auf der
jetzigen Versammlung haben wir
Vertreter
der Partei in Frankreich, die 120 000 Mitglieder zählt und die alte
opportunistische Partei, die jetzt ins Lager der
Zweieinhalb-Internationale übergegangen ist, glänzend geschlagen
hat. Seht euch die Tschechoslowakei an. Auf dem Zweiten Kongress
hatten wir die Vertretung einer kleinen Gruppe kommunistischer
Propagandisten. Auf dem Dritten Kongress haben wir Vertreter einer
organisierten kommunistischen Partei, die mehr als 400.000
organisierter Arbeiter zählt, Tschechen und deutsche Genossen
miteingerechnet. Seht euch England an: Zur Zeit des Zweiten
Kongresses sahen wir die Vertretung von acht verhältnismäßig
kleinen vereinzelten Gruppen, die sich oft untereinander
befehdeten, auf dem Dritten Kongress aber die Vertretung einer
Partei, die 10.000 Mitglieder zählt, welche ihren politischen
Standpunkt ausarbeiten und bereit sind, einen bewussten
kommunistischen Einfluss in diese prachtvolle, proletarische
Massenbewegung, die jetzt in England begonnen hat, hineinzutragen.
Nehmen
Sie Amerika. Wir hatten auf dem Zweiten Kongress nur eine schwache
Vertretung einzelner Gruppen. Während dieses Jahres haben wir
alle kommunistischen Kräfte Amerikas zu einer einheitlichen Partei
vereinigt; diese Partei wird verfolgt, sie arbeitet illegal, aber sie
erwirkt sich einen immer größeren Einfluss auf die einsetzende
proletarische Massenbewegung in Amerika. Also, Genossen, in
allen Ländern, überall ist unsere Partei erstarkt. Der weiße
Terror, der unsere Partei in Jugoslawien zu vernichten versuchte,
konnte dies nicht erreichen, ungeachtet der Unterstützung der
Anhänger der Zweiten und der Zweieinhalb-Internationale.
Zugleich aber hatten wir auch Verluste. Auf dem Zweiten Kongress war
die einheitliche, zahlreiche italienische Partei vertreten, auf dem
Dritten Kongress jedoch haben wir nur die Vertretung der neuen jungen
kommunistischen Partei, die gegenwärtig mit der Jugend annähernd
100.000 Mitglieder umfasst. Philister sind der Meinung, dass die
Kommunistische Internationale in Italien sehr viel verloren, eine
große Niederlage erlitten habe. Wir sind anderer Meinung; wir
haben in Italien einige Illusionen, einige negative Größen,
diejenigen Elemente verloren, die der Kommunistischen Internationale
nur aus Missverständnis angehört haben, wir haben jene Gruppen
verloren, die da annahmen, dass man zur Kommunistischen
Internationale gehören könne, ohne ernste Verpflichtungen zu
übernehmen. Desto besser für die Kommunistische Internationale,
dass sie diesen Ballast verloren hat. Die Arbeiter Italiens, die der
Kommunistischen Internationale noch nicht beigetreten sind, rufen wir
in unsere Reihen, wir rufen sie leidenschaftlich und sind überzeugt,
dass die Zeit nicht fern ist, wo alle italienischen Arbeiter mit
ihrem prächtigen revolutionären Temperament in unseren Reihen
sein werden. Aber jene Herrschaften, die die italienische
Arbeiterbewegung damals verrieten als die italienischen Arbeiter von
den Fabriken und Werken Besitz ergriffen, jene Herrschaften, die mit
einem Auge nach Moskau schielen, mit dem anderen aber nach Amsterdam
– diese Leute brauchen wir nicht. Wir sind nicht der Meinung, dass
es eine Niederlage für uns bedeutet, wenn die negativen Größen uns
verlassen haben. Wir haben in Italien eine junge kommunistische
Partei, die aus der proletarischen Revolution bewusst ergebenen
Mitgliedern besteht, eine junge Partei, die zwar noch nicht zahlreich
genug ist; wir sind aber fest überzeugt, dass die Zukunft dieser
Partei gehört und dass die Zeit nicht fern ist, wo diese junge
Kommunistische Partei Italiens alles um sich scharen wird, was im
italienischen Proletariat ehrlich und revolutionär ist.
(Beifall.)
Gegenwärtig
ist der Zusammenschluss der uns feindlichen Elemente im
internationalen Maßstabe erfolgt. Im vergangenen Jahre kamen die
Vertreter der deutschen rechten Unabhängigen und ihnen verwandten
Gruppen zu uns, sie wollten der Kommunistischen Internationale
beitreten, um später die proletarische Bewegung zu sabotieren,
wie ihre Gesinnungsgenossen das überall tun. Wir nahmen sie nicht
auf. Jetzt haben sie sich im internationalen Maßstabe vereinigt,
konsolidiert, die Zweieinhalb-Internationale gebildet. Wir haben
keinen Grund, aus diesem Anlass zu trauern. Alle haltlosen
kleinbürgerlichen opportunistischen und halbopportunistischen
Elemente haben sich in einem Punkte, in der
Zweieinhalb-Internationale vereinigt und uns von den
widerstandsunfähigen, unzuverlässigen, schwankenden Elementen
befreit. Die Kommunistische Internationale gewinnt nur dadurch,
dass diese Elemente nicht zu ihr gehören, sondern sich an einem
anderen Orte, an einem anderen Pol konzentrieren. Seht, was aus der
Zweiten Internationale geworden ist. Zur Zeit unseres Zweiten
Kongresses, vor einem Jahre, konnte man noch darüber im Zweifel
sein, welches das Los der Zweiten Internationale sein würde, jetzt
aber wissen wir, Genossen, dass das Schicksal ihres ehrwürdigen
Vorsitzenden, Thomas, am besten das Schicksal dieser
Internationale versinnbildlicht. Als der Ausstand der
Bergarbeiter begann, verriet dieser Thomas, der Vorsitzende der
Zweiten Internationale und die hervorragendste Gestalt der
Amsterdamer Internationale, die Bergarbeiter. Der Verrat war so
schmachvoll und die Entrüstung der Arbeiter so groß, dass er für
eine Zeit nach Amerika verreisen musste.
Und
vor nicht sehr langer Zeit lasen wir, dass dieser flüchtige
Vorsitzende der Zweiten Internationale, dieser ehrwürdige
Mitarbeiter Amsterdams, beim Verlassen des Dampfers in Amerika mit
einer feindlichen Demonstration durch das amerikanische
revolutionäre Proletariat empfangen wurde. Ist das nicht ein
Kennzeichen, Genossen, für den Zustand der Zweiten Internationale,
die an den Wurzeln morsch ist, die zu einer dem Proletariat
offenkundig feindlich gegenüberstehenden Organisation geworden
ist. Unseren Hauptkampf führen wir gegenwärtig gegen die
Amsterdamer Internationale, die die Zweite und die
Zweieinhalb-Internationale vereinigt. Die Hauptschlacht wird jetzt
hier geschlagen.
Nach
unserem Kongress wird in Moskau der erste Weltkongress der Roten
Gewerkschaften stattfinden. Dieser Kongress wird eine ungeheure
Bedeutung haben, weil wir bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal jene
Gewerkschaften vereinigen werden, die bewusst den Kampf gegen
Amsterdam aufnehmen, die das letzte Bollwerk des Kapitalismus
zertrümmern wollen. Der Internationale Gewerkschaftsrat, der während
des Zweiten Weltkongresses gegründet wurde, vereinigte während
dieses Jahres 15 Millionen gewerkschaftlich organisierter Arbeiter.
Auf dem bevorstehenden Kongress werden wir dieser Organisation
ein noch festeres Fundament verleihen.
Unserem
Kongress, Genossen, steht eine ungeheure, grundsätzliche,
theoretische Arbeit bevor: noch einmal wird er von allen Seiten die
ökonomische und politische Weltlage betrachten müssen; noch einmal
wird er unsere Taktik erwägen und erproben, alle unsere
Parteien für einen erfolgreicheren Kampf gegen jeden Opportunismus,
gegen jede Halbheit und jeden Zentrismus abhärten müssen, die
leider auch in unsere Reihen, sogar in solchen erprobten Ländern
der klassischen Arbeiterbewegung, wie Deutschland, eindringen.
Unser Kongress wird in dieser Beziehung in sich die Kraft finden, um
alle Strömungen, die die eiserne kommunistische Einigkeit von
innen aus zu untergraben versuchen, eiserne Schranken
entgegenzusetzen.
Unser
Kongress wird die nötige Seelenkraft finden, um allen denen scharf
entgegenzutreten, die das Gift des Zentrismus und Halbzentrismus in
unsere junge kommunistische Partei hineinzubringen versuchen, wie
immer sie auch heißen und wie groß auch ihre Verdienste in der
Vergangenheit gewesen sein mögen.
Unser
Kongress wird noch einmal viel ausführlicher und konkreter die
klare, deutliche Linie vorzeichnen, die sowohl für ein schnelleres
Tempo der proletarischen Revolution berechnet sein muss, als
auch für ein langsameres, wenn es sich herausstellen sollte, dass
die Revolution diesen für uns weniger wünschenswerten Weg
einschlägt.
Unser
Kongress soll der Kommunistischen Internationale einen vollendeteren
Bau geben, denn gerade jetzt steht eine ganze Reihe von höchst
wichtigen Organisationsfragen vor den einzelnen Parteien und der
Kommunistischen Internationale in ihrer Gesamtheit; unser Kongress
wird über die geleistete Arbeit dieses Jahres Rechenschaft ablegen.
Die
vorläufige, vor mir liegende Liste zeigt, dass auf unserem
Kongresse dreiundvierzig Länder vertreten sind, wahrscheinlich
werden es im Ganzen fünfzig sein. Unsere heutige Versammlung ist in
Wirklichkeit ein gigantischer Weltkongress des kommunistischen
Proletariats. Wir werden die Möglichkeit haben, die Erfahrungen, die
unsere Brüder in einer ganzen Reihe von Ländern gesammelt haben, zu
verwerten. Einer der Hauptpunkte der Tagesordnung unseres Kongresses
ist die Charakteristik der äußeren und inneren Lage der
Sowjetrepublik, jenes, bis jetzt einzigen Landes, in dem die
Macht sich in den Händen des Proletariats befindet, das so viel
Opfer in diesem Kampfe gebracht und so viel Schweres durchgemacht
hat. Wir sind verpflichtet – und wir tun es mit der größten
Bereitwiligung, unseren Brüdern, die aus allen Ländern der Welt zu
uns gekommen sind, alle unsere Leiden zu erzählen, sie mit der
wirklichen Lage der Dinge bekannt zu machen, ihnen unsere starken und
schwachen Seiten zu zeigen, ihnen ein Bild des heroischen Kampfes des
Proletariats zu geben, das den über seine Kräfte gehenden Kampf um
die Macht der Arbeiterklasse führt. Die aus allen Ländern
angekommenen Genossen wissen wohl, dass die russische Revolution
einen großen Teil, wenn nicht die Hälfte der proletarischen
Weltrevolution darstellt. Alle verstehen, wie wichtig es für die
Arbeiter aller Länder ist, dass die Macht des Proletariats in
unserem Lande unantastbar bleibt und dass wir jetzt, nach Schluss des
Bürgerkrieges und nach der Demobilisierung der Roten Armee endlich
zum friedlichen Wirtschaftsaufbau übergehen können.
Genossen,
unser Kongress ist jetzt schon, bevor er noch die Arbeit angetreten
hat, vom blinden Hass der Weltbourgeoisie umringt. Ein Meer von
Lügen und Verleumdungen ist in der ganzen Bourgeoisie-Presse über
unseren Kongress im Umlauf. Man hat mir mitgeteilt, dass die
polnische Bourgeoisie-Presse voll Schadenfreude die Mitteilung
brachte, dass nur siebzehn Delegierte in Moskau angelangt seien;
ihr wisst aber, dass fast tausend Vertreter der
Arbeiterorganisationen der ganzen Welt versammelt sind. Es werden
noch viele Märchen erfunden werden; wir haben aber trotzdem doch das
Recht, zu behaupten, dass wir andererseits von den
allerentwickeltsten, ehrlichsten und revolutionärsten Elementen der
ganzen Welt unterstützt werden. Wir sind dessen sicher, dass nach
dem Beispiel des Zweiten Kongresses, der die Statuten der
Kommunistischen Internationale und die elementaren Grundsätze
unserer Taktik ausgearbeitet hat, unser Dritter Kongress die
Taktik und die Organisation der Kommunistischen Internationale
schleifen und den Bruderparteien solcher Länder wie England und
Amerika, wo sich eine starke Arbeiterbewegung erhebt, aber wo der
Kommunismus noch schwach ist, helfen wird, in die Massen zu
dringen; dass unser Kongress denjenigen Parteien, wie der
tschechoslowakischen, bulgarischen und anderen, die schon von großen
Massen unterstützt werden, helfen wird, ihre Kräfte für die
ruhmvollsten Schlachten zu konzentrieren; wir sind sicher, dass unser
Kongress den anderen Parteien über ihre Fehler und Schwächen die
Augen öffnen und ihnen helfen wird, ihre Linie gerade zu biegen, die
Partei von allen opportunistischen Elementen zu säubern und sie
zu stählen, so dass in jedem Lande, wie es schon der Zweite Kongress
gewünscht hat, eine Sektion der einheitlichen, brüderlichen,
kommunistischen Weltpartei bestehen wird. (Lebhafter Beifall.)
Ich
heiße alle Genossen, die zu uns gekommen sind, herzlich
willkommen, besonders aber die Delegationen aus den Ländern des
nahen und fernen Ostens. (Erneuter Beifall und Applaus.)
Genossen!
In der ganzen Geschichte der Arbeiterbewegung hat es noch keinen
Kongress gegeben, der so viele Vertreter des nahen und fernen Ostens
gezählt hätte. Ihr erinnert euch des Kongresses in Baku, der nach
dem Zweiten Kongress stattfand; seitdem hat sich der Einfluss
der kommunistischen Internationale in den Ländern des nahen und
fernen Ostens verstärkt, dieser Einfluss wächst von Tag zu
Tag. Die Anwesenheit der zahlreichen Delegationen der Länder
des nahen und fernen Ostens auf unserem Kongresse ist ein Beweis,
dass unsere Organisation nicht nur eine europäische, nicht nur eine
internationale Vereinigung der Arbeiter Europas, sondern der ganzen
Welt ist. Die Anwesenheit dieser Delegationen ist ein Beweis, dass
uns nicht nur eine europäische, sondern eine Weltrevolution im
wahren Sinne des Wortes bevorsteht. Deshalb müssen die Vertreter der
vorgeschrittenen proletarischen Parteien Europas und Amerikas
ihre besondere Aufmerksamkeit diesen Vertretern des nahen und fernen
Ostens widmen, ihnen die größte Unterstützung angedeihen lassen,
mit ihnen einen Bruderbund bilden und der ganzen Welt zeigen, dass
wir nicht nur die vorgeschrittenen Proletarier Europas und Amerikas,
aber auch die zahlreichen Völker des nahen und fernen Ostens zu
vereinigen imstande sind.
Wir
heißen alle Delegationen mit dem Rufe willkommen: Es lebe die
Weltrevolution, es lebe die Kommunistische Internationale!
(Stürmischer, langanhaltender Beifall und Applaus.)