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II. Die schlaue Legende vom „Bündnis“ der Kommunisten mit den Nationalisten.

Die deutsche Arbeiterklasse geht der Machtergreifung entgegen. Die einzige im Aufstieg befindliche politische Partei Deutschlands, die mit jedem Tage, trotz aller Verfolgungen, wächst und erstarkt, ist die Kommunistische Partei. Alle anderen politischen Parteien sind im Niedergang begriffen, sie verlieren an Einfluss, sie sterben ab.

Ein „angesehener“ deutscher Menschewik (P. Hertz) schrieb unlängst im „Sozialistischen Booten“: „Da die Sozialdemokratie sogar mit den Kommunisten nur einen Teil der Arbeiterklasse umfasst, während ein bedeutender Teil der proletarischen Intellektuellen und der besitzlosen mittleren bürgerlichen Elemente sich im bürgerlichen Lager befindet, ist die sozialistische Arbeiterbewegung in Deutschland auch rein zahlenmäßig nicht imstande, die Macht ergreifen.

Diese „tiefsinnige“ Sentenz ist eines Menschewisten würdig. Jeder Menschewik, der sich halbwegs achtet, hat immer Tausend und einen Grund auf Vorrat, die gegen eine Revolution sprechen. Man kann ihm 99 Prozent bei der Sozialdemokratischen Partei organisierte Leute präsentieren, die das Erfurter Programm und die gesammelten Werke Kautskys auswendig können, und er wird auch dann noch fordern, dass das eine übrig gebliebene Prozent durch allgemeine, direkte und geheime Abstimmung erst feststelle, was die „Revolution“ eigentlich sei, ob sie im gegenwärtigen Augenblick nötig und was vorzuziehen Sei: die Konstituante oder die proletarische Diktatur?

In Wirklichkeit haben die 20 Millionen deutscher Proletarier eine mehr als genügende Schule der Organisation durchgemacht, um ihre Revolution durchführen zu können. Und sie werden sie durchführen. Der ganze Sinn der Vorgänge innerhalb der Arbeiterklasse, angefangen bei der Eroberung der Betriebsräte durch die Kommunisten, bis zu den Wahlen zum Metallarbeiterverbandstag bis zum Auguststreik dieses Jahres und bis zu allen übrigen Wendungen des Kampfes besteht darin, dass die Arbeiterklasse Deutschlands der Kommunistischen Partei die politische Führung der Bewegung übertragen hat.

Die traurigen Heiden der Zweiten Internationale stecken feige die Köpfe in den Sand und tun so, als ob sie diese Grundtatsache nicht bemerkten, die für die nächste Zeit den ganzen Gang der Weltrevolution bestimmt. Das soll aber keineswegs heißen, dass die Herren Sozialdemokraten die Hände in den Schoß legen und sich dem Schicksal fügen. Nein. Der internationale Menschewismus sieht (oder fühlt) den unabwendbaren Sieg des deutschen Proletariats im nahenden Revolutionssturm und trifft seine Maßnahmen. Und der internationale Menschewismus ersinnt die Legende vom angeblichen „Bündnis“ zwischen dem deutschen Kommunismus und dem — Nationalismus; nicht mehr und nicht weniger.

Je heftiger der Kampf der von der deutschen Kommunistischen Partei geführten deutschen Arbeiterklasse entbrennt, je mehr sich das deutsche Proletariat dem Siege nähert, desto offener tritt die verräterische Politik des internationalen Menschewismus zutage, desto deutlicher zeigt sich der teuflische Plan der Führer der Zweiten Internationale gegen deutsche Revolution.

Ein jeder weiß, dass bereits seit einigen Monaten zwischen dem deutschen Kommunismus und dem Faschismus ein bewaffneter Kampf tobt. Es vergeht kaum ein Tag ohne unmittelbare bewaffnete Zusammenstöße zwischen Kommunisten und Faschisten, Zusammenstöße, die nicht nur den Faschisten, sondern auch den kommunistischen Arbeitern Dutzende und Hunderte von Menschenleben kosten. Ein jeder weiß, dass, als im Sommer dieses Jahres die deutsche Kommunistische Partei, einen allgemeinen Kampf mit Faschismus vorausahnend, einen Antifaschistentag veranstalten wollte, diese Demonstration von der zur Zweiten Internationale gehörenden deutschen Sozialdemokraten untersagt worden ist. Ein jeder weiß, dass der schwarze Kriegsminister Geßler die rechte Hand des Sozialdemokraten Ebert ist, dass der General Seeckt in Wirklichkeit zum Koalitionsblock gehört, in welchem die Führer der Sozialdemokratischen Partei sitzen; jeder weiß, dass der nationalistische Umsturz in Bayern in Wirklichkeit das Ergebnis der „Tätigkeit“ der sozialdemokratischen Führer ist, ein jeder weiß, dass bereits seit Jahren zwischen SPD und der deutschen nationalistischen Bourgeoisie ein ausgesprochenes Zusammenarbeiten gegen die deutsche Arbeiterklasse stattfindet. Und nichtsweniger brüllen die deutschen Sozialdemokraten auf allen Gassen über das angebliche Bündnis der Kommunisten mit den Nationalisten.

Und warum das?

Die beste Antwort darauf ist die Handlungsweise der Freunde der deutschen Sozialdemokraten, — der französischen Sozialchauvinisten.

Die französischen, mit Verlaub zu sagen „Sozialisten“ — die zur Zweiten Internationale gehören, wissen sehr wohl, wie es auch die Führer der deutschen Sozialdemokratie wissen, dass der Sieg des deutschen Proletariats und die Errichtung einer proletarischen, von den Kommunisten geleiteten Regierung in Deutschland nahe und unabwendbar ist. Diese Herrschaften legen sich ganz genau Rechenschaft darüber ab, dass die französische Bourgeoisie mit Poincaré an der Spitze den Versuch machen wird, die deutsche proletarische Revolution mit Waffengewalt zu ersticken. Bei allen ihren „Meinungsverschiedenheiten“ mit Poincaré betrachten sowohl die deutschen als auch die französischen Sozialdemokraten diesen als den Messias, als den künftigen Erlöser Deutschlands und ganz Europas vom „Schrecken der bolschewistischen Diktatur“. Um Poincaré die Möglichkeit zu geben, im entscheidenden Augenblick Truppen gegen die deutsche Proletarierrevolution zu senden, muss der „Boden“ bereits jetzt „vorbereitet“ werden; es gilt, das entsprechende — moralische — Milieu zu schaffen. Zu diesem Zweck also wird die Legende vom angeblichen Bündnis der Kommunisten mit den Nationalisten ersonnen. Die französischen und die deutschen Sozialdemokraten, sowie auch die Führer der Zweiten Internationale wollen am Tage nach dem Siege des deutscher Proletariats den französischen Soldaten sagen können: Was jetzt in Deutschland geschieht, das ist keine proletarische Revolution, das ist eine nationalistische Bewegung, das ist eine Art ungeheuerlicher Kreuzung zwischen Nationalismus und Kommunismus; das ist die Vorbereitung zu Revanchekriegen gegen Frankreich usw. Dieselbe verräterische Rolle, die im Jahre 1914 die Losung von der „Vaterlandsverteidigung“ im imperialistischen Kriege spielte, die soll jetzt die Legende vom angeblichen Bündnis des Kommunismus mit dem Nationalismus spielen. Man bemüht sich, im Voraus die große proletarische Revolution Deutschlands zu diskreditieren. Bereits jetzt entstellt man ihren Sinn, verleumdet sie und lügt über sie, wie man vor 6 Jahren über die große russische Revolution log.

Was die französische „sozialistische“ Partei jetzt tut, das ist eine regelrechte großzügige Schiebung. Alle Tage findet eine wahre Orgie nicht nur in Renaudels Organ „Populaire“, sondern auch im Organ des Halunken Frossard statt, der noch unlängst zu den Kommunisten zählte, sich dann aber an die Bourgeoisie verkauft hat (siehe die auf Kosten der Bourgeoisie herausgegebene Zeitung „Egalite“). Als Hauptmacher fungiert der abgestempelte Gauner und Federfuchser Grumbach, der jetzt dieselbe „Tätigkeit“ ausübt, die er im Auftrage der Bourgeoisie im Jahre 1914 ausgeübt hat. Zitate werden entstellt, Tatsachen werden gefälscht, Märchen werden erdacht. Man bemüht sich, die machtvolle Bewegung des deutschen Proletariats als eine trübe nationalistische Welle hinzustellen. Tagein, tagaus wird über das „Bündnis“ der deutschen Kommunisten mit den deutschen Faschisten geschrieben und geredet. Aus den Spalten der „sozialistischen“ Presse dringt diese giftige Lüge in die Spalten der hundertzüngigen bürgerlichen Presse, in das Dorf, in die Kasernen ein.

Poincaré kann mit seinen Leuten zufrieden sein. Die von den Führern der Zweiten Internationale ersonnene Legende ist nichts anderes als eine Vorbereitung zum Sturze der deutschen Proletarierrevolution durch den internationalen Imperialismus, nichts anderes als eine moralische Rechtfertigung eines neuen, schon jetzt vorbereiteten imperialistischen Krieges, der gegen die deutsche Revolution und gegen deren etwaige Verbündete gerichtet sein wird. Das mögen die Arbeiter der ganzen Welt wissen.

Deutschland ist ein besiegtes Land. Der Imperialismus der Entente hat Deutschland den Daumen auf Auge gesetzt. Nicht nur die 20 Millionen der Arbeiterklasse, sondern auch die zahlreiche kleinstädtische und ländliche Bevölkerung erfährt täglich am eigenen Leibe den Druck der fremden Bourgeoisie. Die Ereignisse der letzten Jahre haben auch das kleinbürgerliche Deutschland bis auf den Grund aufgewühlt. Die schwarzen Führer des deutschen Nationalismus, die Geistesgenossen von Poincaré & Co., haben lange Zeit im Trüben gefischt. Die Faschisten machen sich die erregte Stimmung, die Unruhe und die Verzweiflung der kleinbürgerlichen Bevölkerungsschichten zunutze, sie versuchten und versuchen, die Aufmerksamkeit des Volkes von den Fragen des inneren Kampfes auf die Frage nach dem äußeren Feind abzulenken. Sie schüren die nationalistischen Leidenschaften usw. Die Verhältnisse gestatteten bisher der deutschen Gegenrevolution, bedeutende Mengen der kleinen Leute in Stadt und Land ihre Netze zu locken. Die deutschen Kommunisten sind nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, alle Schichten der Besitzlosen, die aus (gerechtem und berechtigtem) Hass gegen die Unterdrücker der Entente den Faschisten folgten, dem Einfluss der bürgerlichen Nationalisten zu entreißen.

War denn etwa die Pariser Kommune nicht im Recht, als sie den Versuch machte, jenen Teil der städtischen und ländlichen Kleinbourgeoisie gegen Preußen zu mobilisieren, die aus Hass gegen die ausländischen Unterdrücker und gegen die einheimische Bourgeoisie, die Frankreich en gros und en detail verkauft hatte, der Kommune folgten?!

Hatte etwa die proletarische Revolution in Russland in den Jahren 1917/19/20 nicht das moralische Recht, gegen den englischen, französischen und deutschen Imperialismus alle jene Schichten der Bevölkerung zu mobilisieren, die hauptsächlich aus Hass gegen die Intervention bereit waren, die Rote Armee unterstützen?!

Haben denn die Sozialisten der Zweiten Internationale nicht selbst zugegeben, dass der Antisemitismus der „Sozialismus der dummen Kerle“ sei, und dass es die Pflicht der Sozialisten sei, alle jene Schichten der Werktätigen vom nationalistischen Irrwahn zu befreien, die aus diesem oder jenem Grunde unter dem Einfluss des Antisemitismus geraten waren?!

Die ‘deutschen Kommunisten erfüllen diese Aufgabe nach besten Kräften und sie erfüllen sie zum Glück auch mit bestem Erfolg. Unter der Leitung der KP hat die deutsche Arbeiterklasse bereits einen Teil der Kleinbourgeoisie neutralisiert und ist im Begriff, die Sympathien des übrigen Teils zu gewinnen. Darin liegt ein Unterpfand. des Sieges der deutschen Revolution.

Und der Revanchekrieg?“ Liegt darin wenigstens ein Körnchen Wahrheit? Bereitet sich die deutsche Revolution wirklich zum Kriege vor?

Alles wird vom Verhalten der europäischen imperialistischen Bourgeoisie selber abhängen. Wenn Poincaré & Co. ihre Truppen gegen die deutsche Proletarierrevolution führen, so besteht kein Zweifel darüber, dass sie früher oder später den Freiheitskrieg des sozialistischen Deutschland gegen die bürgerliche Intervention verursachen werden. Mögen die Herren Grumbach und Frossard ihrem Patron Poincaré demgemäß berichten. Je roher, je gemeiner die Intervention der ausländischen Bourgeoisie gegen die deutsche Revolution sein wird, desto größer wird der Sturm des Protestes sein, den sie heraufbeschwören, desto eher werden sich alle lebendigen Kräfte des Landes zur Abwehr der fremden Unterdrücker um die Arbeiterklasse scharen.

Auf dem 7. Parteitag der RKP, der zur Zeit der Brester Verhandlungen (im Anfang des Jahres 1918) zusammentrat, bezeichnete Genosse Lenin den Entwurf des Brester Vertrages als einen Tilsiter Vertrag, und erklärte im Namen aller kommunistischen Arbeiter des ganzen Russland, dass es gegen die Intervention der ausländischen Bourgeoisie für die Proletarierrevolution nur eine Rettung gebe: dass sich das ganze Land um die Arbeiterklasse schart und im geeigneten Augenblick ein sozialistischer, vaterländischer Krieg (gerade ein vaterländischer Krieg — dies Wort hat Genosse Lenin mit Recht gebraucht — denn das sozialistische Vaterland dürfen wir nicht mir, sondern müssen wir bis zum letzten Blutstropfen verteidigen) — gegen die ausländischen Unterdrücker begonnen wird.

Die Revolution — das ist der Friede, so sprechen die deutschen Kommunisten. Die von der Kommunistischen Partei geführte Arbeiterklasse Deutschlands will den Frieden. Wenn kommunistische Redner in überfüllten Arbeiterversammlungen in Deutschland erklären, dass sie Deutschland vor dem Kriege retten, wenn sie die Macht ergreifen, da sie sich im äußersten Notfalle auf Kosten der expropriierten deutschen Bourgeoisie von der Entente loskaufen könnten — dann werden diese Erklärungen mit donnerndem Beifall aufgenommen. Wenn kommunistische Redner erklären, dass Deutschland mit dem Verbande der Sozialistischen Sowjetrepubliken ein Bündnis schließen und dass durch dieses Bündnis in ganz Europa der Friede gesichert sein werde, so erregt das noch größere Begeisterung.

Die Arbeiterklasse Deutschlands will den Frieden. Die deutsche und die französische Bourgeoisie wollen den Krieg. Und die deutsche und die französische sozialdemokratische Partei helfen jede „ihrer“ Bourgeoisie. Darin liegt das Wesen des gegenwärtigen Moments.

Die Parteien der Zweiten Internationale sind schon längst in das Fahrwasser der Gegenrevolution geraten. Jetzt werden sie noch weiter gehen. Sie verwandeln sich in die aktive Garde des unversöhnlichsten Teiles der imperialistischen Bourgeoisie. Die sozialdemokratischen Führer werden offen zu Veranstaltern von Pogromen. Wer das bezweifelt, der möge sich der Henkerrolle der bulgarischen Menschewiki während der letzten bulgarischen Ereignisse entsinnen. Sogar der ergraute Kautsky schrieb unlängst in einem Schreiben an die Juden Russlands, dass sie helfen müssten, die Sowjetregierung zu stürzen, wenn sie Pogromen entgehen wollten.

Wenn die russischen Menschewiki die Legende vom angeblichen „Roten Imperialismus“ des Kreml ersinnen, so wollen sie in Wirklichkeit eine neue Intervention der ausländischen Bourgeoisie gegen den Verband der Sozialistischen Sowjetrepubliken vorbereiten. Wenn die Führer der deutschen und der französischen sozialdemokratischen Parteien die Legende über das angebliche „Bündnis“ der deutschen Kommunisten mit den deutschen Nationalisten ersinnen, so bereiten sie im Auftrage der internationalen imperialistischen Reaktion Giftgase für den Krieg gegen die deutschen Arbeiter vor.

Die Führer der Zweiten Internationale sind zu ausgesprochenen Gendarmen der internationalen Gegenrevolution geworden. Sogar dem menschewistischen „Sozialistischen Boten“ ist dieser Tage (Nr. 16) ein wertvolles Bekenntnis entschlüpft (siehe Original, d. Übers.):

Im Ergebnis haben sich die Parteien der „am meisten interessierten“ Länder aus Vertreterinnen einer einheitlichen internationalen Politik des Weltproletariats immer mehr und mehr in wohlwollende Vertreterinnen „ihres“ Vaterlandes verwandelt, die nur darum besorgt sind, „möglichst annehmbare“ Kompromisse, von verschiedenen nationalen Gesichtspunkten aus betrachtet, auszuarbeiten. Selbstverständlich legen die Diplomaten des Sozialismus unendlich viel mehr guten Willen, aufrichtige Friedensliebe, Humanität und Achtung vor dem Gegner in ihre kompromissliche Tätigkeit, als die Diplomaten der herrschenden Klassen.“

Im Munde der russischen Herren Menschewisten das wahrlich kein sehr schmeichelhaftes Kompliment an die Adresse der Führer der Zweiten Internationale. Augenscheinlich fangen sogar die Steine an zu schreien. Sogar unter den russischen Menschewiki ertönen vereinzelte Stimmen gegen den Verrat der Führer der Zweiten Internationale, — was natürlich Abramowitsch und Dan nicht daran hindert, hinsichtlich der russischen Kommunisten dieselbe Rolle zu spielen, die in Frankreich von Frossard und Grumbach gespielt wird.

Ein neuer Verrat an der deutschen und der internationalen Arbeiterklasse wird vorbereitet, ein Verrat, der noch ungeheuerlicher sein wird, als der, den wir im Sommer des Jahres 1914 sahen. Die Legende der Vaterlandsverteidigung“ hat im imperialistischen Kriege der internationalen Arbeiterklasse Millionen Menschenleben gekostet. Die fortgeschrittenen Arbeiter der ganzen Welt müssen jetzt rechtzeitig ihre Maßnahmen treffen, um den Falschmünzern der Zweiten Internationale das Handwerk zu legen, wenn sie eine neue Legende ersinnen wollen, die für die internationale Arbeiterklasse verhängnisvoll zu werden droht.

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