III

III. Die Arbeiterklasse, die Kommunisten, die Sozialdemokraten.

Die Arbeiterklasse bildet in Deutschland zahlenmäßig die ausschlaggebende Macht. Das deutsche Proletariat hält das Schicksal seines Landes in eigener Hand. Warum aber ist die Macht bis jetzt in den Händen der deutschen Bourgeoisie geblieben?

Im Jahre 1918/19 folgte nur eine Minderheit der deutschen Arbeiter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Auf dem entgegengesetzten Pole folgte wiederum nur die Minderheit der deutschen Arbeiter dem Bluthund Noske. Die Hauptmasse, der Kern des deutschen Proletariats, schwankte. Dieser Kern — die Masse der Arbeiter überhaupt — suchte friedliche Wege. Jene „mittlere“ Masse, die schließlich den Gang des Kampfes bestimmte, wollte zu jener Zeit keinen Bürgerkrieg, sie fürchtete die Revolution, sie rechnete damit, auf legalem Wege — durch die Gewerkschaften, durch das allgemeine Wahlrecht, durch die sozialdemokratische Partei, langsam, aber sicher ihre Lage zu verbessern und sich ein Stück Brot und Arbeit zu sichern.

Die deutsche Sozialdemokratie stützte sich auf diese Stimmung der Durchschnittsarbeiter und brachte es fertig, mit Schlauheit und List die erste deutsche Revolution zu töten und der deutschen Bourgeoisie den Sieg zu sichern. Wir dürfen nicht vergessen, dass die deutsche Sozialdemokratie im Jahre 1919 den Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte einberief, und dass es ihr auf diesem Kongress gelang, einen Beschluss über die Auflösung der Sowjets und die Übergabe der Macht an die Nationalversammlung annehmen zu lassen.

Die Spartakisten, die Avantgarde der Arbeiter, waren im Jahre 1919 an Zahl noch sehr schwach. In den Jahren 1918/19 genossen die Spartakisten große Achtung bei den Arbeitern. Viele Durchschnittsarbeiter erkannten den Mut und die große Treue der spartakistischen Minderheit der Sache der Arbeiterschaft gegenüber stillschweigend an, denn diese fingen die grausamsten Schläge der Gegenrevolution mit ihrer Brust auf und verteidigten geradlinig die Interessen der gesamten Arbeiterklasse. Aber, wenn man auch den Spartakisten die Achtung zollte, die ihnen gebührte, so folgte man ihnen trotzdem nicht. Der Kern der Arbeiterklasse betrachtete die kühnen Spartakusleute nicht ohne Sympathie. Aber wenn es zur Praxis kam, unterstützten sie die Sozialdemokratie.

Diese Stimmung der Hauptmasse der deutschen Arbeiter, die fieberhaft nach friedlichen Auswegen suchte und den Bürgerkrieg ganz besonders scheute, verstand die Sozialdemokratie auszunutzen, und sie sicherte der deutschen Bourgeoisie eine vier Jahre lange Atempause, von 1919-1923.

Im März des Jahres 1921 warf sich die spartakistische Avantgarde der Arbeiterklasse aufs Neue in den Kampf. Die kommunistische Avantgarde versuchte, die Hauptmasse der Arbeiterklasse durch sich allein zu ersetzen, jene Hauptmasse, welche sich zu jener Zeit unter dem fast uneingeschränkten Einfluss der Sozialdemokratie befand und von dieser mit gegenrevolutionären, süßlichen und sinnlosen Wiegenliedern und Hoffnungen eingelullt wurde. Und wieder sahen bedeutende Schichten der deutschen Arbeiter nicht ohne Sympathie auf die waghalsigen Revolutionäre, die wiederum die Schläge der Gegenrevolution auffingen. Aber wiederum blieben diese Tapferen ohne Unterstützung seitens der Hauptmasse der Arbeiter. Die Avantgarde, die sich zu früh erhoben hatte, wurde geschlagen.

Die ganze Frage der Gegenwart läuft darauf hinaus, ob es der deutschen Sozialdemokratie jetzt wieder gelingen wird, wenn auch nur auf kurze Zeit, die deutsche Bourgeoisie zu retten. Alle Gründe sprechen dafür, dass ihr das jetzt nicht mehr gelingen wird.

Die Lehre ist nicht umsonst gewesen.

Mit Hilfe des III. Weltkongresses der Komintern konnte die deutsche Kommunistische Partei Irrtümer der Vergangenheit richtig einschätzen. Die Frage des Aufstandes, des sofortigen Kampfes um die Macht, wurde im Jahre 1921 beiseite geschoben, und kurz entschlossen stellte man sich eine andere Aufgabe: Die Eroberung der Mehrheit der Arbeiter.

Inwiefern ist diese Aufgabe heute erfüllt? Folgt die Mehrheit der Arbeiter jetzt schon den Kommunisten? Auf wessen Seite sind die Sympathien des Hauptkerns des deutschen Proletariats? Welchen Einfluss hat die gegenrevolutionäre Sozialdemokratie noch unter der deutschen Arbeiterklasse? Welcher Art muss unser Verhältnis jetzt zur Sozialdemokratie im Allgemeinen und zu ihrem so genannten „linken“ Flügel im Besonderen sein?

Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Taktik Einheitsfront gerade in Deutschland großen Erfolg gehabt hat, dass die deutsche Kommunistische Partei sie richtig angewandt hat, dass die Zweifel, die bei einigen „linken“ Kommunisten bestanden und noch bestehen, unberechtigt waren. Denn das ganze Wesen der Taktik der Einheitsfront besteht ja darin, dass es ihr Zweck ist, auch die rückständigeren Arbeiterschichten in den Kampf hineinzuziehen, die Mittelschichten und die Nachhut der Vorhut anzunähern. Wenn man also der Taktik der Einheitsfront vorwirft, dass sie sich in vielen Dingen gerade nach diesen Arbeiterschichten orientiert, so beweist man dadurch eine absolute Verständnislosigkeit für das eigentliche Wesen dieser Taktik.

Die deutsche Kommunistische Partei hat die ihr vom III. Weltkongress gestellte Aufgabe gelöst, oder sie ist zum mindesten von dieser Lösung nicht mehr weit entfernt. Die deutschen Kommunisten haben die Betriebsrätebewegung erobert, die, wie wir weiterhin sehen werden, im gegenwärtigen Deutschland in hohem Grade die Rolle unserer vorrevolutionären russischen Arbeiterräte (Sowjets) spielen. In mehr als 2000 Städten Deutschlands, in den bedeutendsten Industriezentren, steht die Betriebsrätebewegung ausschließlich unter dem Einfluss der KPD.

In den Gewerkschaften hat die KPD große Eroberungen zu verzeichnen. Sie hat die Leitung des Gewerkschaftsapparates noch nicht in ihre Hand bekommen und wird sie wahrscheinlich auch bis zum Siege der proletarischen Revolution nicht bekommen. Die Aufgabe, die Leitung den Gewerkschaftsbürokraten zu entreißen, ist wohl nicht minder schwierig als die andere Aufgabe, die politische Macht der Bourgeoisie zu entreißen. Am Tage nach der proletarischen Umwälzung wird man oft mit denselben Methoden sich der Gewerkschaften bemächtigen müssen, mit denen man sich der Staatseinrichtungen oder Betriebe und Fabriken bemächtigt. In den untersten Schichten der Gewerkschaftsorganisationen haben sich die deutschen Kommunisten bereits jetzt gewaltigen Einfluss erkämpft.

Die Mitgliederzahl der KPD befindet sich in stetem Ansteigen. Es gibt Organisationen, die in einem Monat um das Fünffache wachsen. Nicht nur die Avantgarde der Arbeiterklasse, sondern auch ihre große Menge — jene Arbeitermasse, die im Jahre 1919 der deutschen Sozialdemokratie den Sieg verschaffte — wendet sich nun immer mehr und mehr den Kommunisten zu. Die Arbeiterklasse als solche, das heißt nicht nur ihr organisierter Teil, sondern auch die vielmillionenköpfige Masse, neigt immer mehr und mehr dazu, gerade der KPD die politische Leitung zu übertragen. Während des großen Auguststreiks (1923), der die Regierung Cuno stürzte, befand sich bereits die politische Leitung der Bewegung bei den Kommunisten. In der Streikleitung, die die Bewegung der Berliner Arbeiter führte (es streikten gegen 800 000 Arbeiter), gehörte die überwiegende Mehrheit der KPD an. Der Vorsitzende war ein Kommunist, von 24 Mitgliedern waren 17 Kommunisten, die übrigen — linke Sozialdemokraten und „Unabhängige“ —‚ die aber auch auf Vorschlag der Kommunisten gewählt worden waren und rückhaltlos mit uns gingen. In einem anderen ausschlaggebenden Zentrum Deutschlands, in Hamburg, bestand die Streikleitung aus 5 Kommunisten, 2 linken Sozialdemokraten und einem revolutionären Syndikalisten. Fast überall war das Kräfteverhältnis ebenso. Sogar in solchen Städten, wo die kommunistische Organisation bis zum Auguststreik zahlenmäßig ganz schwach war, drängten die Arbeitermassen die politische Leitung des Auguststreiks dieser ‘kleinen Kommunistenorganisation geradezu auf. „Die Kommunisten sind die einzige Partei, die im Reichsmaßstab die Bewegung leitet; darum müsst ihr auch in unserer Stadt die Führung übernehmen“, erklärten Hunderttausende parteiloser Arbeiter.

Handelt es sich nun um eine dauerhafte und gesicherte Mehrheit? Vielleicht kann man das noch nicht behaupten. Aber es steht außer Zweifel, dass es dazu kommen wird, und zwar in allernächster Zeit dazu kommen wird. Noch ist die Stimmung veränderlich und nicht stabil. Die Stimmung von Millionen von Arbeitern ist überhaupt nichts ein für allemal Gegebenes. Ein Teil der Arbeiter überlegt noch; sie sind mit einem Fuß bereits im Lager der Kommunisten, während der andere noch im Lager der Sozialdemokratie ist. Während einer Übergangszeit ist das unvermeidlich. Es wäre lächerlich, als Vorbedingung des Erfolges fordern zu wollen, dass alle Arbeiter bis auf den letzten Mann zuerst mehrmals der Kommunistischen Partei Treue schwören sollen. Im Laufe des Kampfes selbst wird die im Entstehen begriffene Mehrheit sich endgültig bilden und fest hinter den Kommunisten stehen.

Und die deutsche Sozialdemokratie? Sie hat bereits jetzt augenscheinlich nicht weniger als zwei Drittel ihrer Mitglieder verloren. Wie Beobachter mitteilen, gehören die Arbeiter in ihren Reihen hauptsächlich zu den gesetzteren Leuten. Sie stellen das weniger aktive Element dar, es sind Menschen, die infolge langjähriger Tradition die Verbindung mit der Sozialdemokratie aufrecht erhalten haben, und es fällt ihnen schwer, mit ihr zu brechen. Die Blüte der Arbeiterschaft verlässt die Reihen der deutschen Sozialdemokratie. Unter jenen 600.000 bis 700.000 Parteimitgliedern, die der Sozialdemokratie noch geblieben sind, entfällt kein geringer Teil auf die Kleinbourgeoisie, die Mitläufer. Und unter jenen Arbeitern, die noch in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie geblieben sind, gehört eine bedeutende Anzahl innerlich bereits zu den Kommunisten. Wir stellten das schon vor einem halben Jahr fest, aber jetzt ist es mehr als klar. Wenn auf illegalen Betriebsrätekongressen in Stuttgart, Berlin und in Dutzenden anderer Städte, Hunderte von Arbeitern, die formell noch Mitglieder der sozialdemokratischen Partei sind, mit den Kommunisten gegen ihre eigenen sozialdemokratischen Führer konspirieren, so ist das der beste Beweis dafür, das diese Arbeiter sich wohl aus Tradition noch immer Sozialdemokraten nennen, in Wirklichkeit aber bereits unsere Genossen sind. Wenn viele Tausende von sozialdemokratischen Arbeitern gemeinsam mit kommunistischen Arbeitern gegen den Willen der Führer ihrer eigenen Partei zusammen mit uns proletarische Hundertschaften — den Keim der roten Garde — bilden, wenn Hunderttausende von Arbeitern, die zur SPD „zählen“, gemeinsam mit uns unter Leitung unserer Kommunistischen Partei gegen den Beschluss der SPD den politischen Streik erklären, so beweist das, dass die Zeit nicht mehr fern ist, wo ein bedeutender Teil der sozialdemokratischen Arbeiter endgültig mit den gegenrevolutionären Führern brechen und rückhaltlos den Kommunisten folgen wird.

Die gegenwärtige Übergangsperiode ist uns russischen Kommunisten noch aus jener Zeit wohlbekannt, wo bedeutende Schichten von menschewistischen und sozialrevolutionären Arbeitern fortfuhren‚ sich zu ihren Parteien zu „zählen“, in Wirklichkeit aber von uns Gewehre empfingen und sich uns aufmachten, die Koalitionsregierung zu stürzen. Die SPD steht am Vorabend jener Zeit, die vor unseren Augen seinerzeit die „mächtigste“ Partei in Russland, die „Sozialrevolutionäre“, durchgemacht hat. Vor den Augen der Arbeiter der ganzen Welt stürzt krachend das einstmals so stolze Gebäude der millionenköpfigen deutschen Sozialdemokratie zusammen, die während einer ganzen Epoche das politische Schicksal Deutschlands bestürmte. Der einfältige Exminister Hilferding hat alle Ursache, an den Flüssen Babylons zu weinen. Und die Meinungsverschiedenheiten und die beginnende Spaltung zwischen der rechten und „linken“ Sozialdemokratie —‚ wie hat man diese einzuschätzen?

Es ist möglich, dass die „linken“ Sozialdemokraten zeitweilig in der Geschichte der deutschen Revolution beispielsweise dieselbe Rolle spielen werden, die bei uns in Russland die linken Sozialrevolutionäre gespielt haben, d. h. sie werden ein kleines Stückchen Wegs mit der Revolution gehen, um nachher wieder ins Lager der Gegenrevolution zu geraten. Im Jahre 1917/1918 konnte es anfangs scheinen, als ob in Russland zwischen den rechten und den „linken“ Sozialrevolutionären Wunder was für ein großer politischer Unterschied bestand. Im Jahre 1923 sieht jeder objektive Beobachter, dass — die „linken“ und rechten Sozialrevolutionäre — zum mindesten, wenn es sich um die führenden Schichten handelt — bloß verschiedene Schichten der gleich haltlosen und gegenrevolutionären Kleinbourgeoisie waren.

Die ganze oder fast die ganze jetzige Führergruppe der „linken“ Sozialdemokratie in Deutschland — ist uns längst bekannt; diese alten Bekannten haben die deutschen Arbeiter im entscheidenden Augenblick mehr als einmal verraten. Und sie werden das deutsche Proletariat noch viele Male verraten. Als Symptom hat das Auftauchen einer „linken“ Strömung in der SPD natürlich ungeheuere Bedeutung. Wie in einem Zerrspiegel spiegelt die „linke“ SPD das Wachsen der revolutionären Stimmung unter den breitesten Massen des deutschen Proletariats wider. Aber — das ist nur ein Symptom. Wenn die so genannten „linken“ Führer, der SPD im Ernst eine selbständige politische Rolle spielen wollten, so könnte das für die deutsche Revolution ungeheuere Gefahren bergen und zu einem direkten Unglück für sie werden. Sobald, diese Herrschaften in eine revolutionäre Regierung eintreten, werden sie sicher im entscheidenden Augenblick den Versuch machen, die revolutionäre Regierung in einen Diskutierklub zu verwandeln. Es wurden in jedem Augenblick, wo eiserne Diktatur und stählerne Entschlossenheit not tut, sich der revolutionären Regierung wie Bremsklötze ans Bein hängen. Eine allzu große „Unterstützung“ seitens der „linken“ SPD könnte für die proletarische Revolution geradezu verhängnisvoll werden.

Das soll nicht heißen, dass die Kommunisten im gegenwärtigen Entwicklungsstadium jede Vereinbarung mit der linken Sozialdemokratie ablehnen sollen. Einige Arbeiterschichten folgen ihr jetzt noch. Die linke Sozialdemokratie ist eine der letzten Illusionen einer bedeutenden Schicht deutscher Arbeiter. Eine der wichtigsten Voraussetzungen des Erfolges weiterer entscheidender Aktionen der Kommunisten besteht darin, diesen Schichten zu helfen, sich von diesen Illusionen zu befreien. Möge der deutsche Arbeiter sich bald an einem letzten Beispiel überzeugen, dass sogar die so genannte linke“ Sozialdemokratie den entscheidenden Kampf gegen die Bourgeoisie weder führen will noch führen wird. Die Führer der „linken“ Sozialdemokratie — all diese Crispiene und Rosenfelds — werden selber alles tun, um sich in den Augen der Arbeiter möglichst schnell und möglichst gründlich zu kompromittieren. Und wir können ihnen dabei behilflich sein. Das Verhalten dieses, mit Verlaub zu sagen, linken Flügels in der SPD-Reichstagsfraktion hat in den letzten Tagen (Abstimmung über Erweiterung der Vollmachten der halbfaschistischen Regierung Stresemanns) deutlich genug die Haltlosigkeit und die gegenrevolutionäre Niederträchtigkeit der „linken“ Führer der deutschen Sozialdemokratie bewiesen. Die Stunde ist nahe, wo die ungeheure Mehrheit der deutschen Arbeiter, die gegenwärtig noch einige Hoffnung auf die „linke“ SPD setzt, sich endgültig davon überzeugen wird, dass der Entscheidungskampf ohne und gegen die rechte wie die linke SPD geführt werden muss.

Der Eintritt der Kommunisten in die sächsische Regierung verfolgt ein doppeltes Ziel. Erstens soll der revolutionären Avantgarde Sachsens geholfen werden, festen Fuß zu fassen, ein bestimmtes Gebiet zu besetzen und Sachsen zum Ausgangspunkt fernerer Schlachten zu machen. Zweitens soll der linken SPD die Möglichkeit geboten werden, durch Taten sich auszuweisen und dadurch den sozialdemokratischen Arbeitern die Aufgabe der Überwindung der letzten Illusion zu erleichtern. Der natürlich mit Zustimmung der Komintern von der KPD in Sachsen unternommene Versuch birgt große Gefahren in sich. Darüber muss man sich klar sein. Es würde jedoch von politischer Kleinmütigkeit zeugen, wenn man das Risiko nicht auf sich nehmen würde, das beim Eintritt der Kommunisten in die sächsische Regierung besteht. Aber es wäre auch ein Beweis kindlicher Einfalt, wenn man jene ungeheueren politischen Gefahren nicht sehen würde, mit denen dieser Eintritt verbunden ist.

Bereits jetzt beginnen die „linken“ sächsischen Sozialdemokraten, die noch nicht einmal fertig gebildete Arbeiterregierung Sachsens zu sabotieren. Die deutschen Kommunisten, die eine Gruppe ihrer besten Arbeiter in die sächsische Regierung gesandt haben, werden auf der Hut sein werden unter keinen Umständen den deutschen „linken“ Sozialdemokraten gestatten, ihre Politik Schwankens durchzuführen und auf Kosten des Ansehens der KPD die proletarische Revolution zu sabotieren. Der Eintritt der deutschen Kommunisten in die sächsische Regierung hat nur dann Sinn, wenn er die sichere Garantie dafür bietet, dass der Apparat der Staatsmacht tatsächlich der Arbeiterklasse zu dienen beginnt, dass Hunderttausende von Arbeitern zum Kampf gegen den bayrischen und alldeutschen Faschismus bewaffnet werden, dass nicht nur in Worten, sondern in der Tat eine Massenaustreibung der bürgerlichen Beamten aus dem Staatsapparat beginnt, wo sie sich zum Teil noch als Erbstücke aus Wilhelms Zeiten vorfinden, unverzüglich wirtschaftliche Maßnahmen revolutionären Charakters durchgeführt werden, die die Bourgeoisie in entscheidender Weise treffen.

Wenn es der gegenwärtigen sächsischen Regierung tatsächlich gelingen wird, Sachsen in ein rotes Land zu verwandeln, das, wenn auch nur bis einem gewissen Grade zum Konzentrationspunkt der revolutionären Kräfte des Landes werden kann, dann wird das revolutionäre deutsche Proletariat das sächsische Experiment verstehen und unterstützen. Sollte das aber nicht der Fall sein, müssen die deutschen Kommunisten die ganze sächsische Episode dazu benützen, wieder und wieder den Arbeitermassen anschaulich die ganze Charakterlosigkeit der „linken“ SPD und die gegenrevolutionäre Niederträchtigkeit der SPD-Führer vorzudemonstrieren. Die „Einheitsfront“ zur Vertuschung der revolutionären Aufgaben lehnen wir ab.

Summa: Die deutsche Sozialdemokratie bildet nicht mehr die Achse des politischen Lebens — der Schwerpunkt ist in die deutsche KPD verlegt. Die deutschen Kommunisten haben die Mehrheit des viele Millionen zählenden deutschen Proletariats bereits für sich erobert oder sind von dieser Eroberung nicht mehr weit entfernt. Diese Minderheit kann nicht durch Abstimmungen und Besprechungen, sondern nur in den nahenden Kämpfen gefestigt und gestählt werden. Die Hauptaufgabe der KPD besteht darin, durch ihre Taten der Mehrheit der deutschen Arbeiterschaft die Überzeugung beizubringen, dass die KPD anders als in den Jahren 1919—1921, jetzt nicht nur die Avantgarde, sondern die ganze Millionenmasse der Arbeiter hinter sich hat. Vor allem aber muss den Arbeitermassen die Überzeugung beigebracht werden, dass jetzt die Führung durch die KPD der Arbeiterklasse tatsächlich den Sieg sichert.

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