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VI. Die außenpolitischen Schwierigkeiten in der deutschen Revolution.

Alle aus den inneren Kräfteverhältnissen entstehenden Schwierigkeiten der deutschen proletarischen Revolution treten zurück den auswärtigen Schwierigkeiten gegenüber, die unmittelbar nach dem Sieg der proletarischen Macht in Deutschland entstehen werden. Die Gefahr eines sofortigen Krieges von Seiten der französischen, tschechischen und polischen Bourgeoisie, die Möglichkeit einer englischen Blockade, — das sind die wichtigsten internationalen politischen Schwierigkeiten der deutschen Revolution.

Die proletarische Revolution in Deutschland gewinnt von ihren allerersten Schritten an eine noch größere internationale Bedeutung als selbst die russische Revolution. Deutschland ist ein entwickelteres Industrieland als Russland. Deutschland befindet sich mitten im Zentrum Europas. Deutschland ist sozusagen der Zentralnerv Europas. Das Schicksal des heutigen Deutschlands ist eng mit dem Schicksal Frankreichs verbunden. Die proletarische Umwälzung in Berlin ruft fast mechanisch die eine oder die andere Einmischung von Paris, diesem Hauptzentrum der heutigen internationalen Reaktion, hervor. Deutschland hat ein machtvolles Proletariat, das, wenn es seine Glieder reckt, das Gleichgewicht eines jeden Landes stört, welches sich zu einem Losschlagen gegen das revolutionäre Deutschland entschließen sollte. Die gewaltige Kraft des deutschen Proletariats kann zur Sicherung des Friedens in ganz Europa beitragen. Die deutschen Generale wollen einen Revanchekrieg, die deutschen Arbeiter wollen den Frieden. Die außenpolitischen Schwierigkeiten das ist die Achillesferse der Deutschen Revolution.

Die Vorteile, die Sowjetrussland in dieser Hinsicht hatte, als es 1917 auf die Weltarena trat, bestanden in folgendem: Vor allem führten „jene“ immer weiter Krieg. Der internationale Imperialismus war in zwei Lager gespalten, die einen Kampf auf Leben und Tod kämpften Es fiel dem internationalen Imperialismus schwer, sich sofort gegen Sowjetrussland zu vereinigen. Das Ringen der imperialistischen Räuber beider Lager gab der soeben entstandenen Sowjetrepublik die Möglichkeit, leichter zu atmen.

Zweitens wurde Sowjetrussland durch die ungeheuere Größe seines Gebietes gerettet. Wir konnten, um Zeit zu gewinnen, auf großem Raum nachgeben. Sowjetrussland beschwerte sich über „bürgerliche Einkreisung“, und tatsächlich hat diese „Einkreisung“ dem proletarischen Staat nicht wenig Schaden zugefügt: Intervention, Blockade usw. Immerhin aber war diese „Einkreisung“ bei weitem nicht so unmittelbar und folglich auch nicht so gefährlich, wie sie es für die deutsche Revolution werden kann.

Dafür verfügte aber die russische Revolution nicht über das, worüber die deutsche Revolution verfügen wird. Vor allem war die russische Revolution die erste Revolution, während die deutsche proletarische Revolution schon die Erfahrungen — und nicht allein die Erfahrungen — des Bundes der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetrussland) ausnutzen kann, der als Arbeiterstaat schon seit 6 Jahren besteht; die proletarische Revolution in Russland setzte dagegen 1917 ein, als es in anderen Ländern kommunistische Parteien überhaupt nicht gab oder wo erst kleine, schwache Gruppen bildeten. Die deutsche Revolution beginnt in einem Augenblick, wo die Kommunistische Internationale schon seit ungefähr 5 Jahren besteht, wo die kommunistische Bewegung in der ganzen Welt sich entfaltet hat und wo die Kommunisten in den entscheidenden Ländern Europas zu einer großen Macht geworden sind. An „organisatorischer Erfahrung“ hat sowohl die eine wie die andere Partei: sowohl die internationale Bourgeoisie wie das internationale Proletariat gewonnen. Der Kampf wird daher umso erbitterter sein.

In den Jahren 1923-24 gibt es auf der Weltarena keine zwei scharf umgrenzten, gegeneinander kämpfenden imperialistischen Gruppen: den Imperialismus der Entente und der gegnerischen Gruppierung, wie es 1914-1917 der Fall war. Dafür nimmt aber der gegenseitige Kampf innerhalb der Entente einen immer langwierigeren und permanenteren Charakter an. Wohl gibt es keinen offenen Krieg der Imperialisten gegeneinander, aber die tief gehende Feindschaft wächst mit jedem Monat. Es genügt, auf das Wettrüsten des imperialistischen Englands und des imperialistischen Frankreichs hinzuweisen. Die internationale Bourgeoisie ist durch Gegensätze und durch ständigen Wettkampf zerfressen.

Versuche des internationalen Imperialismus, eine Einheitsfront gegen die deutsche proletarische Revolution zu schaffen, werden zweifellos erfolgen. Der Grad ihres Erfolges bleibt aber trotzdem in Frage gestellt. Die Geschichte des Kampfes der internationalen Bourgeoisie gegen die russische Revolution im Laufe von 6 Jahren hat gezeigt, dass die Schaffung einer solchen Einheitsfront für die Bourgeoisie keine so leichte Sache ist. Im Lager der imperialistischen Bourgeoisie werden zweifellos zwei politische Systeme in Bezug auf die deutsche Revolution kämpfen. Das eine kann annexionistisch und imperialistisch, das andere sozial und klassenmäßig im weitesten Sinne des Wortes genannt werden.

Die beschränkten imperialistischen Interessen einzelner Cliquen der internationalen Bourgeoisie werden einflussreiche Kreise dieser Bourgeoisie dazu anspornen, sich einfach an der deutschen Revolution zu bereichern, das eine oder andere Gebiet zu annektieren (Ruhrgebiet, Ostpreußen usw.). Einzelne einflussreiche Cliquen der internationalen Bourgeoisie werden ihre Pläne darauf bauen, dass ja eine kommunistische Regierung Deutschland am besten zerrütten, somit den Konkurrenten schwächen und die Annexion eines bestimmten Teiles des deutschen Gebietes usw. ermöglichen werde. Eine Auffassung wie diese kann „sie“ daran hindern, eine kompakte, völlig einheitliche Front der internationalen Bourgeoisie gegen die deutsche Revolution zu schaffen, — wie das in der Periode 1917-1923 in Bezug auf die russische Revolution wiederholt der Fall war. Hat doch Wilhelm II., als seine Truppen in Pskow standen, gerade so annexionistisch-imperialistische Politik getrieben und die sozialen und klassenmäßigen Kriterien in den Hintergrund geschoben.

Allerdings befand sich Wilhelm II. damals in einem Todesringen mit dem Entente-Imperialismus. Das darf nicht vergessen werden.

Selbstverständlich muss das deutsche revolutionäre Proletariat unter allen Umständen seine Taktik die Möglichkeit des schwierigen Ausganges einstellen, d. h. es muss darauf vorbereitet sein, dass der internationale Imperialismus die deutsche Revolution nicht als eine vereinzelte Episode, sondern durchaus als das für das Schicksal des gesamten bürgerlichen Europa entscheidende Ereignis einschätzen wird. Aus einer solchen Einschätzung kann der internationale Imperialismus sofort seine praktischen Folgerungen ziehen.

Frankreich, England, Polen, die Tschechoslowakei, — das sind die wichtigsten Länder, die unverzüglich in den Gang der Revolution in Deutschland eingreifen könnten.

In diesem Sinne wird das Schicksal der deutschen proletarischen Revolution nicht nur in Deutschland, sondern auch in England, in Frankreich, in Polen und in der Tschechoslowakei entschieden.

England. In der englischen imperialistischen Presse tauchte bereits der Vorschlag auf, die Ostseehäfen durch die englische Flotte zu besetzen, um die „englischen Interessen“ für den Fall einer deutschen Revolution zu sichern. Der Flügel der englischen Bourgeoisie, der eine mehr oder minder neutrale Stellung in der Frage der deutschen Revolution vorschlagen wird, wird vermutlich ziemlich einflussreich sein. Aber selbst, wenn England sich entschließen sollte, gegenüber dem proletarischen Deutschland die Blockade in Anwendung zu bringen, würde diese Blockade von keiner entscheidenden Bedeutung sein. Eine große Kontinentalarmee gegen die deutsche Revolution ins Feld zu schicken, ist aber das heutige England nicht fähig.

Frankreich. In militärischer Beziehung stellt das imperialistische Frankreich zweifellos eine sehr große Macht dar. Frankreich besitzt ein riesiges Übergewicht auf dem Gebiete der Luftflotte, der Technik und der Bewaffnung im Allgemeinen. Sollte es aber Frankreich einfallen, in großem Maßstabe eine Okkupation des revolutionären Deutschlands durchzuführen, so würde es hierzu Hunderttausende Soldaten (wahrscheinlich nicht weniger als eine Million) brauchen. Diese Armee würde schließlich von dem gleichen Schicksal ereilt werden, das die Armee Wilhelm II. bei der Okkupation der revolutionären Ukraine erreicht hat. Die Stimmung der Truppen würde in einem solchen Krieg zweifellos der entscheidende Faktor sein. Das moralische Übergewicht wäre in einem solchen Kriege ganz und gar auf Seiten des proletarischen Deutschlands und seiner Verbündeten. Die deutsche Revolution ausschließlich mit Hilfe von schwarzen Truppen zu besiegen, wie das einige Führer der französischen Bourgeoisie tun möchten, ist ein ganz aussichtsloses Unternehmen. Schwarze Arbeiter, von denen einige Tausend bei den schwersten städtischen Arbeiten in Paris beschäftigt sind, beteiligen sich schon an den wirtschaftlichen Streiks, Seite an Seite mit den kommunistischen Arbeitern.

Man kann ruhig behaupten, dass, wenn das imperialistische Frankreich dem revolutionären Deutschland unverzüglich offen den Krieg erklärt, die deutsche proletarische Revolution imstande sein wird, dem imperialistischen Frankreich gegenüber einen äußerst starken Widerstand zu entfalten. Der revolutionierende Einfluss der deutschen Ereignisse wird in diesem Falle besonders in Frankreich stark sein.

Polen. Gewisse Schichten der polnischen Bourgeoisie können sich als die gefährlichsten und gehässigsten Feinde der deutschen Revolution erweisen. Selbst wenn es die französischen Imperialisten nicht riskieren sollten, ihre eigenen Truppen gegen die deutsche Revolution zu senden, werden sie sich nicht genieren, das bürgerliche Polen in den Kampf zu schicken. Es ist leichter, das Schicksal eines Vasallen aufs Spiel zu setzen als das eigene. Würde der Teil der polnischen Bourgeoisie, der am meisten zu Abenteuern neigt, sich entschließen, die Rolle des Henkers der deutschen Revolution zu übernehmen, so würde er dadurch sein eigenes Todesurteil unterzeichnen. Das schwere Erbe der nationalistischen Stimmung, die noch auf bedeutenden Schichten des polnischen Proletariats lastet, wird gerade durch die proletarische Revolution in Deutschland am schnellen überwunden werden. Je zweideutiger die Haltung der Führer der PPS. zur deutschen Revolution ein wird, je geneigter diese Führer sein werden, die vom französischen Militarismus diktierten Abenteuer der polnischen Bourgeoisie zu unterstützen, um so schneller wird sich das polnische Proletariat vom Nationalismus der PPS befreien. Die herrschenden Schichten der polnischen Bourgeoisie unterdrücken die Ukrainer, die Litauer, die Deutschen und die Juden. Sobald die polnische Bourgeoisie auch nur einen Finger rühren wird, um einen Eroberungskrieg gegen die deutsche Revolution (wie auch gegen Sowjetrussland) zu beginnen, wird sie sich schnellstens überzeugen, dass sie auf einem Vulkan saß und um so größere Schwierigkeiten wird ihr die nationale Frage innerhalb Polens machen.

Tschechoslowakei. Die Tschechoslowakei könnte ihrer geographischen Lage nach eine große Rolle bei der Unterdrückung der proletarischen Revolution in Deutschland spielen. Die Grenztruppen der tschechoslowakischen Bourgeoisie können in einigen Stunden in Dresden sein. Aber auch in der Tschechoslowakei erschweren die Nationalitätenverhältnisse eine einheitliche Aktion für den konterrevolutionärsten Kampf der Bourgeoisie. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich selbst unter der Bourgeoisie Leute finden werden, die begreifen werden, dass ein weißes Deutschland eine ernste Gefahr für den tschechoslowakischen Staat bedeutet und dass Sowjet-Deutschland die staatliche Existenz der Tschechoslowakei jedenfalls nicht bedrohen wird. Das starke tschechoslowakische Proletariat, an dessen Spitze die Kommunistische Partei steht, wird es verstehen, seine historische Mission zu erfüllen.

Eine siegreiche proletarische Revolution in Deutschland wird wahrscheinlich in Österreich eine große Bewegung für den Anschluss an Deutschland hervorrufen. Die österreichischen Arbeiter könnten im Kampf gegen die bayerischen Faschisten, die, wie jetzt vollkommen klar ist, die deutsche Vendée bilden werden, eine nicht geringe Rolle spielen. Das reaktionäre Ungarn ist schon in ein solches Stadium der inneren Krise geraten, dass es als aktive Kraft zur Unterdrückung der deutschen Revolution oder zum Kriege gegen die Verbündeten Sowjet-Deutschlands nicht in Frage kommt. Die siegreiche deutsche Revolution wird eine beispiellose Begeisterung hervorrufen und riesige Kräfte im französischen, polnischen und tschechischen Proletariat erwecken.

Die kommunistischen Parteien in Frankreich, in der Tschechoslowakei und in Polen werden vor Riesenaufgaben stehen. Sie werden ihr Möglichstes tun müssen, um eine unmittelbare und offene revolutionäre Unterstützung der proletarischen Regierung Deutschlands durch das Proletariat ihrer Länder zu organisieren. Die deutsche proletarische Regierung wird es nach der Umwälzung nicht ablehnen, sich unter gewissen Bedingungen von den Entente-Imperialisten loszukaufen. Sie wird vielleicht an die französische Regierung im Sinne des Versailler Vertrages Zahlungen leisten, wenn es um diesen Preis möglich sein wird, den Aufschub des Krieges, die Entfernung der Truppen aus dem Ruhrgebiet usw. zu erkaufen.

Vielleicht wird auch die deutsche Revolution ihr Brest-Litowsk durchzumachen haben. Eine Brester Perspektive ist nicht ausgeschlossen. Wenigstens lehnt die KPD. — die Hauptkraft der herannahenden deutschen Revolution — eine solche Perspektive nicht rundweg ab. Wir können uns den Gang der deutschen proletarischen Revolution auch unter Brester Perspektiven vorstellen. Das bedeutet keinesfalls ein Sinkenlassen des Mutes, ein Beschneiden der Flügel der deutschen Revolution. Die Anziehungskraft der herannahenden großen proletarischen Revolution in Deutschland wird dadurch nicht im Geringsten geschwächt. Nur treten wir in die deutsche Revolution nicht so unschuldig, politisch nicht so unerfahren ein, wie wir in die Oktoberrevolution 1917 in Russland eingetreten sind. Wir kennen die Kraft der internationalen Bourgeoisie allzu gut. Wir vergessen keinen Augenblick lang, dass für die deutsche Revolution diese Kraft noch gefährlicher und drohender ist als für die russische Revolution. Wir lassen nicht außer Acht, dass die in die Revolution eintretenden Millionenmassen des Volkes nicht Krieg sondern Frieden — und sei er auch um hohen Preis erkauft — wollen.

Sollte aber die internationale Bourgeoisie trotz allem es mit einem sofortigen offenen Krieg gegen die deutsche proletarische Revolution versuchen, so könnte der fremdländische Imperialismus anfänglich Erfolge erzielen, seine endgültige und baldige Niederlage ist aber unvermeidlich. Das 60 Millionen starke deutsche Volk wird unter Leitung einer proletarischen Regierung imstande sein, die fremdländischen Eroberer zurückzuschlagen, und die deutsche proletarische Revolution wird trotz aller Hindernisse siegen.

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