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VIII. Arbeiter- und Bauernregierung. Diktatur des Proletariats.

Keine Einheitsfronttaktik wird jetzt die deutschen Arbeiter von dem Zwange, den Weg des Bürgerkriegs zu beschreiten, befreien, selbst dann nicht, wenn die ganze deutsche Sozialdemokratie wie ein Mann aufrichtig im letzten Moment sich für die Einheitsfront erklären würde.

Dasselbe gilt auch für die Losung „Arbeiterregierung“ oder „Arbeiter- und Bauernregierung“. Keine taktische Formel, wie „annehmbar“ sie auch dem Ohre der breitesten Massen der Werktätigen in Deutschland klingen mag, wird heute den Bürgerkrieg verhindern und keine solche Formel wird an Stelle des Bürgerkriegs treten können.

Die Formel „Arbeiterregierung“ war ein Glied der Taktik der Einheitsfront. Die Aufgabe dieser Formel bestand darin, die Losung der „Diktatur des Proletariats“ in einer Form auszudrücken, die möglichst weitgehend den Stimmungen und dem Verständnis nicht nur der Avantgarde entsprach, sondern auch der mittleren Schichten des Proletariats und derjenigen Schichten, die seine Nachhut ausmachten. Wer der Formel „Arbeiterregierung“ eine andere Bedeutung gab, wer sich einbildete, dass es sich um eine ganze, notwendige Etappe der geschichtlichen Entwicklung handle, die prinzipiell von der Diktatur des Proletariats verschieden sei, wer da glaubte, dass eine Arbeiterregierung mit Hilfe von parlamentarischen Kombinationen geschaffen werden könne, der hat den Gedanken der Kommunistischen Internationale verkehrt dargestellt.

Du, du Arbeiter“, so sagte die Kommunistische Internationale, wenn sie sich an die vielen Millionen von Durchschnittsarbeitern wendete, „du siehst auf jeden Schritt, dass die Bourgeoisie dir das letzte Stück Brot wegnimmt. Du siehst, dass die Lohnfragen, die Fragen deines alleralltäglichsten Lebens in bedeutendem Maße davon abhängen, welche Regierung an der Macht ist. Arbeiter gibt es Millionen und Dutzende von Millionen. Die Arbeiter sind die Mehrheit der Bevölkerung. Wirst du wirklich dagegen sein, dass an der Macht eine Arbeiter-Regierung ist, eine Regierung, welche sich um deine Interessen kümmern wird?…“

Ein solcher Ton der Agitation entsprach durchaus dem Geist der Zeit auch in Deutschland, sagen wir in den Jahren 1921 und 1922. Aber auch damals mussten die fortgeschrittenen Arbeiter, die kommunistischen Arbeiter in ihrer Propaganda den ganzen Sinn dieser Worte bis zu Ende erklären.

Du bist für die Arbeiterregierung? Ausgezeichnet. Aber vorläufig sind in unserer schönsten aller Welten überall bürgerliche Regierungen an der Macht. Glaubst du wirklich, teurer Freund, dass eine bürgerliche Regierung freiwillig dir den Weg räumen wird und dir die Möglichkeit geben wird, eine Arbeiterregierung zu errichten, so wie wir mit Stimmenmehrheit eine diesbezügliche Resolution angenommen haben? Natürlich nicht. Um eine Arbeiterregierung zur Macht zu bringen, muss man zunächst die Regierung der Bourgeoisie beseitigen. Die Bourgeoisie ist aber bis an die Zähne bewaffnet. Auf unsere Kosten, mit unserem Schweiß und Blut, mit dem Schweiß und Blut der Arbeiter hat sie eine zahlreiche Armee geschaffen, schafft sie jetzt faschistische Banden, nutzt sie den ganzen Staatsapparat zur Verteidigung ihrer Vorrechte aus. Sie wird bis zum letzten Blutstropfen für ihre Regierung kämpfen. Also muss man, will man eine Arbeiterregierung schaffen, zunächst die Bourgeoisie besiegen, muss man ihre bewaffneten Kräfte erdrücken, muss man ihren Staatsapparat zerstören, muss man ihre Staatseinrichtungen demoralisieren. Und um das zu leisten, müssen die Arbeiter sich selbst unbedingt bewaffnen, müssen im geeigneten Moment alle wie ein Mann aufstehen und der herrschenden Klasse den entscheidenden Schlag an entscheidender Stelle beibringen, müssen die Macht ergreifen, den Widerstand der Ausbeuter unterdrücken usw. Erst dann kann eine feste, dauerhafte Arbeiterregierung geschaffen werden.“

Aber das wird doch die Diktatur des Proletariats sein?“

Natürlich. Und um die Diktatur ‘des Proletariats kommst du nicht herum, auch wenn du noch so pfiffig versuchst, dich um sie herumzuschlängeln. Willst du die Befreiung der Arbeiterklasse haben, dann rüste dich zum Kampf für die Diktatur des Proletariats. Nur ausnahmsweise, nur bei besonders glücklichem Zusammentreffen einer ganzen Reihe von Umständen wird an dieser oder jener Stelle für eine kurze Zeitspanne die Existenz einer Zwischenlösung, der „Arbeiter“-Regierung, möglich werden, die selber zwar noch nicht die Diktatur des Proletariats ist, aber der erste Schritt zur Diktatur, ein Zugang zur Diktatur. Eine andere Form der Befreiung der Arbeiterklasse als durch die Diktatur des Proletariats ist bis jetzt noch von niemandem ausgedacht worden. Wer die Diktatur des Proletariats ablehnt, der lehnt auch die Befreierrolle der Arbeiterklasse ab.“

In diesem Sinne sagte der Verfasser dieser Zeilen schon im Anfang des Jahres 1922, dass die Arbeiterregierung nichts anderes ist als ein „Pseudonym“ der proletarischen Diktatur, und es war vollkommen überflüssig, dass einige Genossen damit nicht einverstanden waren. Aber mehr als jemals ist es notwendig, das heute zu unterstreichen, wo solche Regierungen existieren, wie die gegenwärtigen Regierungen, gebildet aus Sozialdemokraten und Kommunisten, in Sachsen und Thüringen.

Wozu mussten wir — aber zu ‘Pseudonymen’ greifen?“ wird mancher Genosse fragen. Und steht es den Kommunisten überhaupt an, in der Agitation Pseudonyme anzuwenden? Liegt da nicht etwas geradezu moralisch Unzulässiges für Kommunisten?

Wir haben das“, werden wir einem solchen Genossen antworten, „zu eben demselben Zwecke gemacht, zu dem wir die Taktik der Einheitsfront überhaupt angewendet haben. Wir waren uns von Anfang an vollkommen klar darüber, dass eine wirkliche Einheit der Front mit den führenden Schichten der Sozialdemokratie und den sozialdemokratischen Gewerkschaften unmöglich ist, dass eine solche Front nur erkauft werden konnte um den Preis unseres Verzichts auf die grundlegendsten Interessen internationalen Proletariats. Aber die Sozialdemokratie war noch stark, hinter ihr stand noch die Mehrheit der Arbeiter. Der Schlüssel zur Situation bestand darin, dass man eine gemeinsame Sprache fand mit jenen Arbeitern, die noch hinter Sozialdemokratie hergingen, und dass man am lebendigen Beispiel, durch die Erfahrung sie davon überzeugte, dass die sozialdemokratischen Führer sie verraten. So verfuhren auch die Kommunisten. Und nur Leute, die die Umstände des Klassenkampfes absolut nicht verstehen, können sich die Frage stellen War das moralisch zulässig?“

Die Formel „Arbeiterregierung“ war breiten Kreisen sozialdemokratischer und parteiloser Arbeiter zugänglich. Diese elementarere Formel drang leichter in Herz und Hirn des Durchschnittsarbeiters. Sie schien ihnen annehmbarer.

Das waren die ersten Buchstaben des Alphabets. Als die vorgeschrittenen Arbeiter gelernt hatten, den Buchstaben A auszusprechen, lernten sie allmählich unter unserer Führung auch die übrigen Buchstaben des Alphabets aussprechen. Wir wären Pedanten, wenn wir auf die Ausnutzung dieses pädagogischen Kunstgriffs verzichtet hätten, mit dem wir schließlich die Mehrheit der Arbeiter davon überzeugt haben, dass die kommunistische Avantgarde Recht hat.

Die Formel „Arbeiterregierung“ konnte nur im Rahmen einer Klasse, der Arbeiterklasse, angewendet werden. Ihr Hauptzweck bestand darin, die Zurückgebliebenen vorwärts zu stoßen, die ganze Arbeiterklasse auf die Seite der proletarischen Avantgarde herüberzuziehen. Die Formel der „Arbeiter- und Bauernregierung“ stellte sich bereits eine einigermaßen umfassendere Aufgabe. Sie bezog sich bereits auf zwei Klassen. Das war schon der Versuch, nicht nur die ganze Arbeiterklasse auf das Niveau ihrer Avantgarde emporzuziehen, sondern auch beträchtliche Schichten der Bauernschaft in den Kampf gegen die Bourgeoisie hineinzureißen, unter der Führung, der Hegemonie des Proletariats.

Das, was wir über die „Arbeiterregierung“ gesagt haben, gilt in bedeutendem Umfang auch für die Losung der „Arbeiter- und Bauernregierung“. Die Bourgeoisie und die Gutsbesitzer werden nirgends in der ganzen Welt ihre Macht freiwillig an die Arbeiter, an die Bauern und ebenso wenig an die Arbeiter- und Bauernregierung abgeben. Um eine Arbeiter- und Bauernregierung zu schaffen, muss man zunächst die Bourgeoisie besiegen und ihre bürgerliche Regierung vernichten.

Unsere Losungen müssen wir, wenn die übrigen Bedingungen gleich bleiben, so formulieren, dass sie möglichst zugänglich und möglichst anziehend sind für möglichst breite Schichten von Arbeitern und Bauern. Für die Bourgeoisie, für die Führer der Sozialdemokratie, werden sie sowieso, wie wir sie auch formulieren mögen, in keinerlei Form annehmbar sein, denn hier handelt es sich schon nicht mehr um die Form, sondern um den Klasseninhalt, um das Klassenwesen. Deshalb können und müssen wir bei der Formulierung unserer Losungen mit den Bequemlichkeiten bei der Agitation rechnen, insofern sie nicht mit der Klarheit unserer politischen Einstellung in Widerspruch geraten, insofern sie nicht mit den Grundinteressen der revolutionären Zweckmäßigkeit in Konflikt kommen.

In Wirklichkeit wird eine Arbeiter- und Bauernregierung nur eine solche Regierung sein, in der die führende Rolle dem Proletariat zukommt, das die werktätigen Bauern nach sich führt und ihre Interessen verteidigt. Wenigstens kann man in allen halbwegs bedeutenden kapitalistischen Ländern sich keine andere gegenseitige Beziehung der beiden Klassen vorstellen. Die Arbeiter- und Bauernregierung ist nicht die Regierung, in welcher unbedingt 50 Prozent Arbeiter und 50 Prozent Bauern sitzen, sondern sie ist die Regierung, die gestellt wird von dem Proletariat, das den Aufstand gemacht hat, eine Regierung, welche aus dem Kampf des Proletariats entstanden ist, sich auf die Arbeiterklasse stützt, aber zu gleicher Zeit auch die werktätigen Bauern verteidigt.

In der ganzen kapitalistischen Welt lebt die Bauernschaft zerstreut. Sie hat auch nicht den tausendsten Teil jener Möglichkeiten der Selbstorganisation, die den Industriearbeitern (und zum Teil auch den landwirtschaftlichen Arbeitern) zur Verfügung stehen. Nur die Arbeiter, die durch die Entwicklung des Kapitalismus selbst in den Städten konzentriert sind, wo das Schicksal des politischen Kampfes entschieden wird, die zu Hunderttausenden und Millionen dort konzentriert sind, nur diese konzentrierte Kraft des Proletariats kann überhaupt erfolgreich gegen die zentralisierte Macht der Bourgeoisie ankämpfen. Deshalb muss die Hauptrolle, die Führung, die Hegemonie im Befreiungskampf notwendigerweise dem Proletariat zukommen.

Aber zugleich kann das Proletariat nicht den Sieg dauerhaft machen und befestigen, wenn es nicht versteht, das einzurichten, was wir im heutigen Sowjetrussland die „Smytschka“, den Zusammenschluss mit der Bauernschaft nennen. Wer ernsthaft, praktisch die Frage nach der Hegemonie des Proletariats gestellt hat, für wen die Idee der proletarischen Diktatur tatsächlich Fleisch und Blut angenommen hat, der kann nicht umhin, sich sofort die andere Aufgabe zu stellen: einen mächtigen Bundesgenossen für das Proletariat zu suchen, und dieser Bundesgenosse kann niemand anders sein als der werktätige Bauer.

Eigentlich besteht das ganze Wesen des Bolschewismus darin, dass der Bolschewismus die Frage der proletarischen Diktatur als eine Aufgabe gestellt hat, die tatsächlich eine Aufgabe der nächsten geschichtlichen Tage ist. Der Bolschewismus hat die Notwendigkeit begriffen, zu diesem Zwecke einen mächtigen Bundesgenossen für das Proletariat zu finden, und er hat ihn in der Bauernschaft gefunden. Sowie er aber diesen Bundesgenossen gefunden hat, hat er auch die Formen des Bündnisses zwischen Proletariat und Bauernschaft zu finden vermocht. Das eben ist im Wesentlichen die Aufgabe des Bolschewismus im internationalen Maßstab, gestellt für die heutige Zeit.

Die Erfordernisse der breiten Massenagitation forderten bis jetzt auch in Deutschland das Verschieben der Losung der „Arbeiterregierung“ oder „Arbeiter- und Bauernregierung“. Diese Losungen waren und bleiben in ihrer allgemeinen Form auch noch heute richtig. Im internationalen Maßstab sind diese Losungen absolut richtig. Aber wir müssen auch hier dialektisch denken. lm gegenwärtigen Bulgarien wird die Losung der „Regierung der Arbeiter und Bauern“ (oder vielleicht sogar der Bauern und Arbeiter) genügend und richtig sein. Im heutigen Italien, oder sagen wir in der Tschechoslowakei wird im heutigen Moment die Beschränkung auf die allgemeine Losung der „Arbeiter- und Bauernregierung“ ebenfalls vollkommen möglich sein. Dasselbe gilt für Frankreich, dasselbe für eine Reihe anderer Länder. Aber im gegenwärtigen Deutschland, das bis an die Schwelle der Umwälzung gekommen ist, ist diese allgemeine Formel schon ungenügend, zum mindesten gilt das für die großen Industriezentren Deutschlands, wo die Hauptmassen des deutschen städtischen Proletariats leben und kämpfen. Im heutigen Deutschland müssen wir nicht nur in der Propaganda., sondern auch in der Massenagitation schon nicht nur der Avantgarde, sondern auch der ganzen breiten, das Fundament bildenden Arbeitermasse zeigen und erklären, dass es sich um nichts anderes handelt als um die Diktatur des Proletariats oder um die Diktatur der Werktätigen in Stadt und Land. Die Zeit der algebraischen Formeln ist für das heutige Deutschland vorbei. Gründe der Bequemlichkeit bei der Agitation müssen zurücktreten vor der Notwendigkeit der vollen Klarheit und des Aussprechens dessen, was ist und was notwendig ist, bis ans Ende. Der entscheidende Schritt muss bereits morgen getan werde. Es ist notwendig, dass alle, die am Kampf teilnehmen, das Regierungssystem, für welches sie kämpfen, mit Namen nennen können. Alle Dinge müssen jetzt schon mit ihrem Namen genannt werden. Es ist der Augenblick eingetreten, wo der Zusammenbruch friedlicher Illusionen zur Grundvoraussetzung des Erfolgs geworden ist. Es ist der Moment eingetreten, wo die Millionen, die an der Bewegung teilnehmen, mit aller Brutalität das formulieren müssen, was bis jetzt nur die klare Minderheit im Munde geführt hat.

Das heißt nicht, dass die Losung der „Arbeiter- und Bauernregierung“ verschwindet. Nein, die Pflicht eines deutschen Kommunisten ist es, einer beliebigen Bauernversammlung erklären zu können, warum in einem Bündnis von Arbeitern und Bauern dem Arbeiter — und schon gar in einem Lande wie Deutschland — die führende Stelle gehören muss. Er wird in einfachen kunstlosen Worten den Bauern beweisen können, dass dieser selbst daran interessiert ist, dass während der ganzen Übergangszeit des Kampfes gegen die Bourgeoisie das städtische Proletariat am Steuer steht, das in Millionen und Abermillionen in den Städten konzentriert ist und allein fähig ist, den Sieg zu garantieren. Und er wird ihnen gleichzeitig erklären und später auch durch die Tat beweisen können, dass die wirklich hauptsächlichen Interessen der breiten Massen der werktätigen Bauern eben durch die Arbeiterklasse verteidigt werden.

In diesem Sinne bleibt die Losung der „Arbeiter- und Bauernregierung“ unveränderlich und „ewig“. In dieser allgemeinen Form taugt sie auch für das heutige Deutschland.

Aber wie in Russland am Vorabend der Oktoberrevolution die populärste Formel die Formel „Alle Macht den Räten“, „Diktatur des Proletariats“ wurde, so hat auch die Stunde geschlagen, wo dieselben Formeln auch in Deutschland die populärsten Formeln werden müssen. Und dementsprechend wird selbstverständlich auch das Verhältnis zu anderen Teillosungen sich verändern. Die Forderung der „Sachwerterfassung“, d. h. die Forderung einer teilweisen Konfiskation der Einkünfte der Bourgeoisie, muss durch die Forderung der Expropriation der Großbourgeoisie ersetzt werden. Die Ereignisse haben ihre innere Logik. Die KPD. hat, im Allgemeinen, während der ganzen Vorbereitungsperiode richtig manövriert. Sie konnte die Hauptmassen der Arbeiter an die proletarische Avantgarde heranziehen.

Jetzt muss der zweite Schritt getan werden. Die proletarische Avantgarde zieht den letzten Vorhang zurück, der noch die nächste Zukunft vor den breiten Massen verbirgt. Die proletarische Avantgarde zeigt mit fester Hand den Millionenmassen die nächste Etappe des Kampfes. Die proletarische Avantgarde wirft sich als erste in den Entscheidungskampf und reißt im entscheidenden Moment die ganze Arbeiterklasse mit sich.

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