G. Sinowjew 19150201 Das Studententum auf den Knien

G. Sinowjew: Das Studententum auf den Knien

[„Sozialdemokrat", Nr. 37. Nach Lenin/Sinowjew, Gegen den Strom, 1921, S. 48 f.]

Der politische Taumel der „Väter" hat sich auch auf die „Söhne" übertragen. Ein Teil des russischen Studententums kniete in einer Aufwallung von „Patriotismus" vor dem Throne Nikolai Romanows nieder. Auf den Ruf zu den Waffen (zur Auffüllung des Offiziersstabs) hat ein Teil des Studententums in fast allen Universitätsstädten mit Manifestationen geantwortet. Man schrie „Hurra", man hörte die patriotischen Reden der Stadthäupter an, man sandte an den Zaren und die Höchstkommandierenden Begrüßungstelegramme, man ging mit Zarenporträts durch die Straßen, man sang auf den Knien: „Gott hüte den Zaren"…

Dieser „patriotische" Teil des Studententums hat die äußerliche Stimmung der ganzen russischen Bourgeoisie, des ganzen russischen Liberalismus widergespiegelt. Wenn der ganze russische Liberalismus nicht morsch wäre, wenn in ihm nur wenig Befreiungsbestrebungen lebendig wären, hätte er die Gelegenheit ausgenutzt, dass eine große Anzahl von Vertretern der freien Berufe zum ersten Mal die Möglichkeit erhält, als Offiziere in die uralte Feste des erzreaktionären Adels, d. h. in die Armee einzudringen. Doch die Liberalen sind in ihrer jetzigen Verfassung nur fähig, ihren Söhnchen die Schwarze-Hundert-Hymne beizubringen und sie zu lehren, patriotische Bücklinge vor den Staatsoberhäuptern zu machen.

Das ehrliche Studententum, die fortgeschrittenen Arbeiter, die ganze Demokratie wird den Sprösslingen Menschikows und Miljukows1 Verachtung zollen, die auf den Knien Nikolai dem Blutigen ihre Gefühle darbieten. Die denkende Jugend aller Schattierungen und Richtungen wird mit Empörung den Chauvinisten aller Richtungen und Schattierungen antworten – auch in dem Fall, wenn der Chauvinismus von sozialistischen „Autoritäten" gedeckt sein wird. Und solche Fälle kamen vor. Der Kadett Professor Grimm von der Petersburger („Petrograder") Universität rief die Studenten auf, Galizien zu zerschmettern, und verwies darauf, dass der „Patriotismus" jetzt auch von solchen Männern wie Guesde und Vandervelde, Burtzew und Krapotkin verfochten werde. (Den Herrn Plechanow hat der Herr Kadett nicht erwähnt. Wahrscheinlich aus purer Vergesslichkeit.) Den Schwarzen Hundert, den Nationalliberalen in die Hände arbeitet die Autorität Plechanows, Krapotkins und anderer Sozialpatrioten…

Das Studententum auf den Knien… Wenn die Arbeiterklasse wieder Rückgrat bekommt, wenn sie das Bauerntum weckt, wenn in unserem Lande von neuem der belebende Sturm sich erhebt, – wird dieser frische Wind auch jenen ganzen Teil des bürgerlichen Studententums aufrütteln, der noch zu irgend etwas anderem nütze ist, als zu patriotischem Radaumachen.

1. Februar 1915.

G, Sinowjew.

1 Bekannter Kadettenführer, unter Kerenski Minister des Äußeren.

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