VII. DIE FRANZÖSISCHEN SOZIALISTEN UND DER KRIEG.

VII. DIE FRANZÖSISCHEN SOZIALISTEN UND DER KRIEG.

Jaurès rechte und linke Hand.

Um die Evolution der Ansichten des französischen Sozialismus über den Krieg zu charakterisieren, wollen wir bei der Stellungnahme von Jaurès, Marcel Sembat und Jules Guesde verweilen.

Die starken und schwachen Seiten der Stellungnahme von Jaurès zum Kriege sind in einer seiner glänzenden, der “Idee des Friedens und der Solidarität des Proletariats” gewidmeten Reden außerordentlich klar zum Ausdruck gekommen. Diese Rede wollte Jaurès am 9. Juli 1905 in einer sozialistischen Versammlung in Berlin halten, die im Zusammenhang mit der damaligen Verschärfung der internationalen Lage infolge des Marokkokonflikts einberufen werden sollte.

Der Reichskanzler Fürst Bülow überhäufte aus diesem Anlass Jaurès mit zweideutigen Liebenswürdigkeiten. In einem Schreiben an den deutschen Botschafter in Paris, den Fürsten Radolin, schrieb Bülow: “Obgleich man vom Taktgefühl des Herrn Jaurès erwarten kann, dass er sich alle Mühe geben würde, alles zu vermeiden, was der deutschen oder der französischen Regierung Unannehmlichkeiten bereiten könnte, kann man dies leider nicht mit der gleichen Sicherheit von den deutschen Veranstaltern der Versammlung erwarten. Herr Jaurès hatte selbst vor etwa einem Jahre in Amsterdam Gelegenheit, sich zu überzeugen. (Es handelt sich um den Amsterdamer Internationalen Sozialistenkongress. — D. Verf.) wie weit die deutsche Sozialdemokratie mit ihrem doktrinären, rein negativen, rückschrittlichen Verhalten hinter der praktischen (!) Richtung ihrer französischen Gesinnungsgenossen zurückgeblieben ist.”

Jaurès‘ Taktgefühl gerecht werdend und unterstreichend, wie sehr er ihn als Redner schätze, verbot Fürst Bülow ihm trotzdem, in der Berliner Versammlung zu sprechen. Jaurès hielt darauf seine Rede in Paris, und am Tage, an dem die Versammlung in Berlin stattfinden sollte, wurde diese Rede in Millionen von gedruckten Exemplaren in Deutschland verbreitet.

In dieser Rede, die Jaurès sicherlich gründlich überlegt hat, und die darum sein Programm der auswärtigen Politik am vollständigsten zum Ausdruck bringt, lesen wir:

Die Arbeiterklasse lässt sich oft betrugen durch die Illusion der nationalen Größe; oft lässt sie sich bestechen durch einen lächerlich geringen Anteil an der kapitalistischen und kolonialen Beute; dann leistet sie auftretenden Gewalttätigkeiten nur geringen Widerstand … Der Krieg ist, ebenso wie die unmittelbare Ausbeutung der Arbeiterklasse, eine der Erscheinungsformen des Kapitalismus, und die Aufgabe des Proletariats besteht darin, einen zweckmäßigen und systematischen Kampf gegen den Krieg zu führen, ebenso wie es bereits einen systematischen erfolgreichen Kampf gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft begonnen hat.”1

Das sind Worte eines überzeugten Sozialisten. Er weiß. dass der Dreihund und die Triple-Entente — wie zwei Lokomotivführer, die zwei Züge in entgegengesetzter Richtung auf ein und demselben Geleise gegeneinander lenken — Europa zur unvermeidlichen Katastrophe führen. Jaurès sieht klar, dass die heutigen Kriege nur im Interesse des Kapitals geführt werden, dass die Imperialisten bemüht sind, einen Teil der Arbeiter durch Brocken von der Kolonialbeute zu bestechen, das Proletariat mit Phrasen über nationale Größe, Kultur, Recht usw. zu betrügen.

‚‚Es gibt kein Volk mehr‘‘, — ruft Jaurès aus, — ‚‚das im Verhältnis zu den übrigen Völkern als Träger eines wesentlich verschiedenen politischen und sozialen Systems auftreten könnte. Überall geht die Bewegung der Demokratie und des Proletariats in ein und derselben Richtung, wenn auch nicht mit gleicher Kraft. Wenn es in unsrer Zeit zu einem Zusammenstoß zwischen Deutschland, Frankreich und England käme, so würde es unmöglich sein, auf die Idee hinzuweisen, in deren Namen dieser Kampf vor sich ginge … Wer in unsrer Zeit versuchen wollte, England und Deutschland aufeinander zu hetzen, der müsste sich selbst und der ganzen Menschheit gegenüber bekennen, dass nur die erbitterte kapitalistische Konkurrenz diesen Konflikt hervorgerufen und bedingt hat. Aber bei all seiner Schamlosigkeit liebt der Kapitalismus es nicht, sich in seiner ganzen Nacktheit zu zeigen. Er hat so oft zu ehrbaren Vorwänden Zuflucht nehmen müssen, um seine dunklen Machenschaften zu verdecken, dass jetzt am Baum kein Feigenblatt mehr übrig geblieben ist, hinter dem er seine Nacktheit verstecken könnte.”

Das sind wieder Worte eines Sozialisten. Das ist ein Hieb gegen die Propheten des jetzigen Sozialchauvinismus à la Renaudel, Vandervelde & Co. “Es ist keine Kultur, die ihr rettet,” sagt ihnen Jaurès, “ihr helft nur den Imperialisten, ihre Nacktheit mit Feigenblättern zu verdecken Jaurès hat sich nur in einem geirrt. Im Jahre 1905 nahm er an, dass kein Feigenblatt am Baum mehr übrig geblieben sei. 10 Jahre sind vergangen, und es erweist sich, dass die offizielle Sozialistische Partei bereit ist, im Schweiße ihres Angesichts ganze Wälder zu fällen, um die Blätter der Bäume den Imperialisten zur Bedeckung ihrer schändlichen Blöße zur Verfügung zu stellen…

Des Weiteren geht Jaurès zur heikelsten Frage über — zur Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Er bemüht sich nicht, sein Vaterland reinzuwaschen. Er bekennt offen, dass Frankreich, das “seine nationale Einigung viel früher erreicht hat als die übrigen Völker, diese Einheit vielfach missbraucht, dass es Gewalttaten verübt und die Rechte andrer Nationen, die noch in zersplittertem und unorganisiertem Zustande lebten, oft verletzt hat”.

Er bekennt, dass — “wir (Franzosen) vor 35 Jahren nur dank der Niederlage im Kriege die Republik errichten konnten,2 und dass ihr (Deutsche) nur dank dieser Republik zur Einigung gelangt seid”

Zur Elsass-lothringischen Frage übergehend, sagt Jaurès. “Wir französischen Sozialisten haben jeden Versuch einer bewaffneten Racheaktion gegen Deutschland, jeden Gedanken der so genannten Revanche abgeschworen, und zwar ein für allemal (Hören Sie, Herr Renaudel), was das wechselreiche Schicksal der Völker auch mit sich bringen möge … Der Krieg gegen Deutschland würde den Interessen der Demokratie und des Proletariats widersprechen; er würde die Rechte der Völker verletzen… Alle, die es wagen, die beiden Nationen gegeneinander aufzuhetzen, werden wir an den Schandpfahl stellen … Es wäre die größte Sünde, das widerwärtigste Verbrechen wollte man die verschiedenen Völkerschaften, diese einzelnen Glieder des mächtigen Bundes aller Völker, aufeinander hetzen.”

Das sind noch immer Worte eines überzeugten und standhaften Sozialisten. Aber in diesen Fragen besitzt Jaurès eine rechte und eine linke Hand. Mit der einen sät er die Samen des Sozialismus, die Samen des Hasses gegen den Imperialismus. Aus der anderen aber fallen, wenn auch langsam und schüchtern, die bösen Samen, denen jetzt die so reiche Ernte des Sozialchauvinismus zu verdanken ist.

In Frankreich ist für den Cäsarismus kein Boden mehr vorhanden”, — versichert Jaurès. Sollte die französische Nation in einen Krieg hineingezogen werden, so würde das entweder die unmittelbare Folge eines Angriffs von außen sein, oder das unvorhergesehene und indirekte Resultat verhängnisvoller zufälliger Umstände. Dieser, ganz nebenbei und wie zufällig hingeworfene Satz enthält zweifellos eine Andeutung, dass die Arbeiter im Falle eines so genannten Verteidigungskriegs “ihre” Regierung unterstützen würden. Der Redner hat das eben von den Feigenblättern Gesagte vergessen. Die Theorie der Verteidigungskriege ist ja das beliebteste Feigenblatt der Herren Imperialisten…

Aber man höre weiter.

Das französisch-russische Bündnis trug an und für sich keinen offensiven Charakter … Heute stellt das französisch-russische Bündnis keine Gefahr dar … In der Aussöhnung mit Italien, der Annäherung an England begrüßten sie (die Sozialistische und alle republikanischen Parteien Frankreichs) eine neue Gewähr für den Frieden, eine neue Möglichkeit der Entwicklung freiheitsliebender Bestrebungen … So dachten fast alle. (Mit Ausnahme der Imperialisten, die die Schicksale der auswärtigen Politik tatsächlich in Händen hielten. D. Verf.) Die Franzosen hatten damals nicht vorausgesehen, dass Deutschland an Marokko interessiert sein könne … Ihr (der deutschen Diplomatie) schwerster Fehler (!) besteht darin, dass sie der französischen öffentlichen Meinung nicht früh und nicht klar genug gesagt hat, welche Bedeutung sie den Interessen Deutschlands in Marokko beimisst, und welche Befürchtungen in ihr der englisch-französische Vertrag in dieser Beziehung hervorruft.” (Als ob es genügt hätte zu “sagen”, um die Angelegenheit sofort zu regeln! Wo sind da die Interessen der imperialistischen Cliquen geblieben, die das Schicksal der Welt in Händen halten? D. Verf.)

Und weiter: “Wenn man von uns erwartet, dass wir direkt oder indirekt die freundschaftlichen Beziehungen zu England abbrechen, so werden wir das nie tun … Das Abkommen zwischen England und Frankreich ist eine große kulturelle Errungenschaft und eine Bürgschaft für den Frieden. Die Tatsache, dass es beiden Völkern gelungen ist, alle Missverständnisse (So ist es wörtlich gesagt: Missverständnisse! D. Verf.) und das gegenseitige Misstrauen zu beseitigen, bedeutet, dass Vernunft und Mäßigkeit Oberhand gewonnen haben, und wir müssen das als viel versprechendes Beispiel betrachten.”

Man traut seinen Augen kaum! Die Annäherung zwischen England und Frankreich ging vor sich nach der Formel: Ägypten für Marokko, Marokko für Ägypten! Das ist eine allbekannte Tatsache.3 Weder die englischen noch die französischen Imperialisten machten daraus ein Hehl. Diese Annäherung war nicht eine “Bürgschaft für den Frieden”, sondern eine Bürgschaft für die Beschleunigung des Krieges zweier miteinander rivalisierender kapitalistischer Trusts. Jaurès aber — dieser ausgezeichnete Renner der Außenpolitik, der alles, was sich hinter den Kulissen abspielte, alle geheimen Fäden der europäischen Diplomatie genau kannte, spricht aus einem solchen Anlass — im Namen schier sozial-pazifistischen Theorien — vom Triumph des Friedens! Und er behauptet sogar, dass die englischen und französischen Arbeiter das Fundament dieses Bündnisses zwischen Frankreich und England gelegt hätten.4

Diese Beurteilung des englisch-französischen Bündnisses und des Dreibunds war im Munde von Jaurès kein Zufall. 1908 veröffentlichte er einen Programmartikel im Berliner Organ der deutschen Liberalen, im “Berliner Tageblatt”. In diesem Artikel, der viel Staub aufgewirbelt und den scharfen Protest der deutschen Marxisten in der Person Rosa Luxemburgs hervorgerufen hat, schreibt Jaurès:

Eine Verständigung zwischen Frankreich, England und Russland, eine ‚Triple-Entente‘ bedeutet an sich nicht eine Bedrohung des Friedens. Sie kann sogar friedliche Zwecke und friedliche Wirkungen haben. In jedem Fall beweist sie, dass viele als unvereinbar abgestempelte Gegensätze sich, dennoch einen lassen. Zur Zeit von Faschoda schienen Frankreich und England am Vorabend eines Krieges zu stehen; jetzt haben sie die Entente cordiale geschlossen. Als ich noch ein Kind war, lernte ich in der Schule. dass England und Russland vom Schicksal zur Gegnerschaft in Asien bestimmt seien. Jetzt haben wir die Zusammenkunft in Reval erlebt, die friedliche Abmachungen über die Verhältnisse in Asien ergab — vielleicht auch über die Verhältnisse in Europa. Weshalb sollte sich der unausgesprochene Gegensatz zwischen Deutschland und England nicht ebenso ausgleichen lassen? Selbst eine neue Triple-Entente könnte zu einer solchen friedlichen Lösung helfen, wenn Frankreich seine Rolle richtig auffasst, wenn es das Bewusstsein seiner Pflicht: neben dem Bewusstsein seiner Macht besitzt.”5

Es ist doch merkwürdig, wie die pazifistischen Träume den klaren Blick Jaurès zu trüben vermochten! Jaurès kannte das ganze Kulissenspiel der internationalen Diplomatie. Bei seiner Stellung in der französischen politischen Welt konnte er Tag für Tag an lebendigen Experimenten die Physiologie und Anatomie der Politik des Finanzkapitals studieren. All die zahlreichen “affaires”, um derentwillen sich zwei Cliquen des Finanzkapitals ständig in den Haaren lagen, gingen an Jaurès Augen vorbei. Oft kam es sogar vor, dass die Cliquen so sehr in Streit geraten waren, dass eine Intervention der Parlamentskommissionen notwendig wurde. Und als einzig ehrlicher und uninteressierter Mensch wurde dann meist Jaurès zum Vorsitzenden dieser Kommissionen gewählt (so z. B. in den Affären Rochette, Caillaux usw.).

Es ist direkt unerklärlich, wie Jaurès es fertig gebracht hat — im Jahre 1908! — nicht zu verstehen, welche materiellen Interessen entschieden imperialistischer Kreise hinter den Abkommen standen, von denen er in den oben angeführten Zeilen spricht! Wie er es fertig brachte, nicht zu verstehen, dass ein Sozialist gar keinen Grund hat, sich für die Aufteilung der Beute in Asien (es handelte sich in erster Linie um Persien) zu begeistern! Und dass er nicht verstand, welche Rolle das englisch-russische Bündnis für die Innenpolitik Russlands spielte!

Rosa Luxemburg hatte vollkommen Recht, als sie in ihrem offnen Brief an Jaurès empört fragte:

Was würden Sie dazu sagen, wenn sich ehemals in Deutschland, in Russland, in England Sozialisten und Revolutionäre gefunden hätten, die ‚im Interesse des Friedens‘ eine Allianz mit der Regierung der Restauration, oder nur der Regierung Cavaignacs oder mit der Regierung Thiers‘ und Jules Favres befürwortet und mit ihrer moralischen Autorität gedeckt hätten?”6

Der Hauptzankapfel der beiden imperialistischen Trusts war von Anfang an die türkische Frage. Hier lag einer der wichtigsten Knoten. Der Streit der kapitalistischen Interessen nahm in Bezug auf die Türkei den erbittertsten Charakter an. Das konnte nicht übersehen werden. Und trotzdem empfiehlt Jaurès in jenem Artikel, veröffentlicht in der Zeitung, die die Interessen des deutschen Imperialismus verteidigt, den türkischen “Braten” irgendwie in friedlicher Weise untereinander zu verteilen.

Ein Unglück ist es freilich”, schreibt Jaurès, “dass Deutschland sich mit der Türkei zu solidarisieren scheint … Wenn Deutschland rechtzeitig in Konstantinopel die Stimme der Vernunft zu Gehör brächte, würde es den Freunden des Friedens die Aufgabe erleichtern, auch der Annäherung zwischen Frankreich, Russland und England eine wahrhaft friedliche Bedeutung zu geben und so das Herannahen der Stunde zu beschleunigen, in der Triple-Allianz und Triple-Entente sich zu einer großen europäischen Verständigung einen könnten. Ich darf sagen, dass an der Erreichung dieses Ziels die französischen Sozialisten nach Maßgabe ihrer Kräfte mit leidenschaftlichem Eifer arbeiten.”

Die französischen Sozialisten konnten kaum ein weniger passendes Objekt für die Verschwendung ihrer Energie finden! Von der Aussöhnung zweier imperialistischer Trusts träumen, indem man ihnen “Moral” predigt, und das — Realpolitik nennen! Jaurès hat an seinem persönlichen Beispiel sehr anschaulich gezeigt, dass man ein großer Utopist sein und trotzdem einer ganz kleinen Utopie zum Opfer fallen kann…

Umsonst bemühte sich Rosa Luxemburg in ihrem offenen Brief, Jaurès zu erklären, dass die “Interessen” der heutigen kapitalistischen Staaten auch auf dem Gebiet der auswärtigen Politik verschieden seien je nachdem, wie man sie betrachtet: vom Standpunkt der herrschenden Klassen oder vom Standpunkt des Proletariats. Umsonst erinnerte sie Jaurès daran, dass es sich doch überhaupt nur — wie er selbst es ja wissen müsste — um die Kolonialpolitik, um den Imperialismus handelte. Umsonst forderte sie ihn auf, die Lügen und Betrügereien zu entlarven, die die Diplomaten beider Parteien mit freigebiger Hand verbreiteten, statt das diplomatische Spiel zu unterstützen. Jaurès hörte nicht auf an die Richtigkeit seiner Taktik zu glauben.

In der von uns angeführten Rede und dem Artikel dieses hervorragendsten Vertreters der II. Internationale kam all das Widerspruchsvolle in der Stellungnahme dieser Internationale selber krass zum Ausdruck. Die II. Internationale geißelte in einer Reihe von Resolutionen den Imperialismus und forderte die Arbeiter zum entschlossensten Kampf gegen die imperialistischen Kriege auf. Aber gleichzeitig ließ sie Phrasen über den “Verteidigungskrieg”, über “Vaterlandsverteidigung”, über friedliche Abkommen usw. zu, — Phrasen, die jetzt als Ausgangspunkt für die Bacchanalien des Sozialchauvinismus dienen…

Derselbe Jaurès hat vier Tage vor seinem Tode in einer öffentlichen Versammlung in Vaise bei Lyon kurz vor Kriegsausbruch klar ausgesprochen, dass es sich um einen imperialistischen Krieg handle. Als ehrlicher Demokrat schonte er auch seine eigne Regierung nicht. Er sagte direkt, dass “die Kolonialpolitik Frankreichs” und die “das Licht scheuende” auswärtige Politik seines Hauptverbündeten am Krieg schuld seien. Er entwarf folgendes Bild:

Bürger! Die Note, die Österreich an Serbien gesandt hat, ist voller Drohungen … Deutschland erklärte durch seine Botschafter, dass es solidarisch mit Österreich vorgehen werde Aber es handelt sich nicht nur um das Bündnis zwischen Österreich und Deutschland; auch der Geheimvertrag zwischen Frankreich und Russland, dessen wesentliche Punkte bekannt sind, wird eine Rolle spielen … In dem jetzigen schweren Augenblick, der für uns alle, für alle Vaterländer so viele Gefahren in sich birgt, brauche ich den Schuldigen nicht lange zu suchen … Als wir (französische Sozialisten) sagten, dass der gewalttätige, bewaffnete Einbruch in Marokko die Eröffnung einer Ära von Zusammenstößen, Eroberungen und Konflikten bedeute, — da schrie man, wir seien schlechte Franzosen. Da ist er, der Teil unsrer (d. h. Frankreichs) Verantwortung! Das wird noch klarer, wenn ihr euch erinnert, dass die bosnisch-herzegowinische Frage der Anlass des Kampfes zwischen Österreich und Serbien ist, und dass, als Österreich Bosnien und die Herzegowina annektierte, wir Franzosen weder das Recht noch die Kraft hatten, uns dem zu widersetzen denn wir waren in Marokko beschäftigt, denn wir hofften, dass uns unsre Sünden verziehen würden, wenn wir die Sünden andrer verziehen. Unser Außenminister sagte den Österreichern damals: Wir überlassen euch Bosnien und die Herzegowina unter der Bedingung, dass ihr uns Marokko überlasst … Und den Italienern sagten wir: Ihr könnt eure Schritte nach Tripolis lenken, da wir ja in Marokko festsitzen, ihr könnt am anderen Ende der Straße einbrechen und rauben, während Wir dasselbe an diesem Ende tun.”7

Diese zwei kurzen Dialoge, die, nach Jaurès‘ Ansicht, das Wesen der auswärtigen Politik solcher imperialistischer Mächte, Wie Österreich, Frankreich, Italien zum Ausdruck bringen, — sprechen wohl eine genügend klare Sprache.

Aber man höre weiter. “Russland wird für die Serben eintreten wollen,” — fährt Jaurès fort — “und es wird vielleicht sagen: ‚Meine Seele, die Seele eines großen slawischen Volkes kann sich nicht damit abfinden, dass das kleine slawische Volk, die Serben, vergewaltigt wird.‘ Gut! Aber wer war es, der Serbiens Herz verwundete? Als Russland sich 1877 in die Balkanereignisse einmischte, und als es das so genannte ‚unabhängige‘ Bulgarien schuf, mit der Absicht, seine Hand darauf zu legen, da sagte Russland den Österreichern: gebt mir Bewegungsfreiheit, und dafür werde ich euch die Gewalt über Bosnien und die Herzegowina lassen … Während der berühmten Begegnung des russischen Außenministers mit dem österreichischen Außenminister sagte Russland zu Österreich: ‚Ich erlaube dir Bosnien und die Herzegowina zu annektieren, doch unter der Bedingung, dass du mir erlaubst einen Ausgang zum Schwarzen Meer in der Nähe von Konstantinopel zu erwerben.”8

Das Fazit ziehend, sagte Jaurès wörtlich: “Die Kolonialpolitik Frankreichs, die das Licht scheuende Politik … einer anderen Macht, der gewalttätige Wille Österreichs — all das hat dazu beigetragen, die furchtbare Lage zu schaffen, in der wir uns befinden.”

Und er zieht den praktischen Schluss: “Bürger! Wenn der Kriegssturm ausbricht, dann müssen wir Sozialisten alle dafür sorgen, uns so rasch wie möglich vor dem Verbrechen zu retten, das die regierenden Klassen begehen werden.”

So sprach Jaurès noch am 25. Juli 1914. Und trotzdem kann kaum ernstlich daran gezweifelt werden, dass Jaurès, wenn er nicht getötet worden wäre, jetzt im Großen und Ganzen dieselbe Politik vertreten würde, die von seinen Nachfolgern vertreten wird. Haben etwa Vaillant, Sembat und ihre Genossen nicht ebenso wie Jaurès den wahren Charakter des nahenden Krieges gesehen? In Jaurès war der bürgerlich-demokratische Pazifismus zu stark, als dass er es fertig gebracht hätte, die alten bürgerlich-revolutionären Traditionen Frankreichs aufzugeben, sich von der Idee der Vaterlandsverteidigung frei zu machen und jene Widersprüche zu überwinden, denen die ganze II. Internationale zum Opfer gefallen ist. Derselbe Jaurès, der bei der Abfassung der Resolutionen der Kongresse in Stuttgart und Basel eine so aktive Rolle gespielt hat, jener Resolutionen, in denen die Vaterlandsverteidigung mit keinem Wort erwähnt und in denen die ganze Aufmerksamkeit des Proletariats auf den Kampf gegen den Imperialismus gelenkt wurde — dieser selbe Jaurès schrieb ungefähr zur gleichen Zeit sein Buch “L‘Armée Nouvelle” (Die neue Armee), das ganz auf der Idee der Vaterlandsverteidigung beruht. Er schlägt einen Plan für eine allumfassende Reform in Frankreich vor und verteidigt diese Reform, weil er der Ansicht ist, dass, wenn die militärische Kraft Frankreichs größer sein wird, die Fähigkeit seiner reformierten Armee, “das Vaterland zu verteidigen” ebenfalls steigen muss. In seinem Gesetzentwurf für die Reform des Heeres, der dem genannten Buch beigelegt ist, spricht Jaurès gleich im ersten Artikel (im Ganzen sind es 18) von der Pflicht aller Bürger, von 20-45 Jahren, an der Vaterlandsverteidigung (“à la defense nationale”) teilzunehmen.9 Das wird geschrieben nach dem Stuttgarter Kongress, nach dem Marokkokonflikt, am Vorabend des tripolitanischen und des ersten Balkankrieges, 4-5 Jahre vor dem ersten imperialistischen Weltkrieg, das wird geschrieben in Paris, in der Hauptstadt der größten Kolonialmacht des Kontinents, in einem der wichtigsten Zentren, in denen die Fäden der imperialistischen Politik zusammenlaufen! Und so schreibt ein Mann, der besser als irgend ein anderer Sozialist die internationale Politik der Großmächte, ihr Spiel hinter den Kulissen kannte, der Gelegenheit hatte, die ganze Niedertracht, das reaktionäre Wesen, den Raubcharakter der Politik der Finanzplutokratie, die mit dem Schicksal ganzer Völker nach ihrer Willkür spielte, in der Nähe zu beobachten!

Jaurès wusste natürlich ausgezeichnet, von welchen Motiven sich die moderne Kolonialpolitik leiten ließ. Er war sich vollkommen bewusst, dass die “Kolonialräuber” jeden Tag einen blutigen europäischen Krieg entfesseln konnten. In einer Versammlung in Paris im Jahre 1907 sagte Jaurès in einer Rede über den Stuttgarter Kongress: “Während ich hier mit euch spreche, träumt ein Häuflein von beutegierigen Bankiers, machtlüsternen Kapitalisten, die zynisch nur an ihre eigenen Profite denken, und Journalisten, die den Raub verherrlichen, von einer großen Expedition nach Marokko.” Dagegen, gegen den Krieg, muss aus allen Kräften gekämpft werden. Aber wie, mit welchen Mitteln? Schiedsgerichte, Gerichte Unparteiischer — das ist Jaurès Hauptforderung.

Wenn irgendein Konflikt beginnt, müssen wir unseren Regierungen sagen: erzwingt eine Einigung mit Hilfe eurer Diplomaten. Wenn eure Diplomaten eine Einigung nicht erreichen können, dann wendet euch an die Schiedsrichter, die ihr selbst gewählt habt, und fügt euch ihrem Spruch. Nieder mit dem Krieg! Nieder mit dem Blutvergießen! Den Urteilsspruch der Menschlichkeit, den Urteilsspruch der Vernunft verlangen wir! Und wenn ihr das nicht anerkennt, so seid ihr eine Regierung von Verbrechern, eine Regierung von Räubern, eine Regierung von Mördern. Und es ist die Pflicht der Proletarier, sich gegen euch zu erheben, die Flinten zu ergreifen, die ihr ihnen in die Hand gegeben habt … Das wird die Revolution sein, die nicht nur aus der Empörung der Proletarier entsteht, die man gegen die Proletarier eines anderen Landes in den Krieg schicken will. Das wird die Revolution sein, die aus dem empörten Gewissen des ganzen Landes entsteht.

Ihr wollt den Frieden? So wendet euch an das unparteiische Schiedsgericht! Wenn sie das aber nicht wollen, wenn sie weiter ihre Truppen mobilisieren, so bedeutet das, dass sie es tun, um die Arbeiterklasse niederzuschlagen, und dann wird das Proletariat sich selbst verteidigen, wenn es die Heimat der Revolution verteidigt.”10

Schiedsgericht oder Revolution! So formuliert den Standpunkt Jaurès‘ sein Biograph,11 und nichts kann für den verstorbenen Tribun charakteristischer sein als diese Alternative.

Die Arbeiterklasse muss die Revolution machen für die Forderung … des Schiedsgerichts, für die Forderung, dass sich die Regierung dem Haager Schiedsspruch füge! Kann man sich eine ärgere Utopie vorstellen?

Pazifismus auf revolutionärer Grundlage — das ist Jaurès Lehre. “Einerseits — die revolutionärsten Aufrufe, die schonungsloseste Aufdeckung der kolonialen Raubpolitik. Andrerseits — Behauptungen, dass die aktivste Beteiligung an der Volksorganisation der nationalen Verteidigung den Ansichten der Proletarier, Sozialisten und Internationalisten absolut nicht widerspreche.”12 Auf der einen Seite — die nüchternste Auffassung von der Rolle, die der Militarismus in den Händen der Imperialisten spielt, auf der andern — Projekte für die Bildung einer “neuen Armee” einer “idealen Armee im Dienste des Ideals”.13 “Jaurès liebt die Armee leidenschaftlich, weil er Frankreich vergöttert”, schreibt Jaurès‘ Biograph.

Das ist der ganze Jaurès…

Marcel Sembat.

Interessant ist die Stellungnahme Marcel Sembats zum all diesen Fragen. Seine Ansichten näher kennen zu lernen ist in gewisser Beziehung noch wichtiger als die Kenntnis der Ansichten Jaurès. Erstens hat er sie vor kurzem erst, später als alle übrigen Führer des französischen Sozialismus, in einem Buch niedergelegt, das den Titel trägt: ,,Faites un roi, sinon faites la paix”.14 Zweitens ist er jetzt nicht nur Minister, sondern auch der einflussreichste Parteiführer. Drittens und das ist das Wichtigste, schon zu Lebzeiten von Jaurès und Vaillant war es Sembat, der die Psychologie und die Denkungsart der Spitzen der französischen Sozialistischen Partei, ihrer Parlamentarier, ihrer Politiker, ihrer führenden Schichten, am getreuesten widerspiegelte. Sowohl Jaurès als Sembat waren Reformisten. Aber Jaurès verfügte über eine große Reserve an revolutionärem Idealismus. Er glaubte an das sozialistische Ideal, an die Gesellschaft der Zukunft, mit ganzer Seele strebte er ihr zu. Er stand um einen ganzen Kopf höher als der Stab der “jaurèsistischen” Abgeordneten, Redakteure, Politiker. Von all dem ist Marcel Sembat “frei”. Und gerade darum war er der gleichwertige Vertreter der französischen Durchschnittsreformisten, der Reformisten, die die französische Partei zur Politik der “Union sacrée”, zur Politik des 4. August geführt haben.

Jaurès glaubte an den menschlichen Idealismus, an den Triumph der gerechten Sache, er glaubte, dass das ehrliche, wahrhaftige warme Wort in die Herzen derjenigen dringen könne, die das Schicksal der Völker bestimmen. Von all dem ist bei Sembat keine Rede. Er glaubt weder an Gott noch an den Teufel. Sein hervorragendster Charakterzug ist grenzenloser, alles zernagender Skeptizismus. Er ist zu “nüchtern”, um wie Jaurès an den Pazifismus zu glauben. Die Mysterien der auswärtigen Politik der Großmächte kennt er ganz genau. Insbesondere kennt er die Führer des französischen Imperialismus wie seine fünf Finger. Bei Gelegenheit versteht er es, sie höhnisch und sarkastisch zu verlachen. Er kennt ihre schwachen Stellen, und darum treffen seine Pfeile immer ihr Ziel. Und trotz alledem bleiben sie für ihn die Seinen, die ihm Blutsverwandten. Sie sind ihm keine Todfeinde. Sie verteidigen — was man von ihnen auch sagen möge — die Größe des französischen Vaterlandes. Man muss sie vor Fehlern warnen, sie bekämpfen, manche ihrer Angewohnheiten brandmarken, aber — sie sind eben doch Franzosen

Man lese das witzige, geistreich-zynische Pamphlet Marcel Sembats “Faites un roi”. Es ist das charakteristischste, das typischste von allem, was in Fragen des Krieges und Friedens von französischen Sozialisten der letzten Generation geschrieben worden ist, jener Generation, die zur “heiligen Einigung” mit den französischen Imperialisten gelangt ist.

Sembat wusste schon 1913 ausgezeichnet, wohin der Weg der französischen Imperialisten ging. “Ich war — sagte er — bien placé, ich hatte eine gute Stellung, einen ausgezeichneten Beobachtungspunkt: die Budget- und anderen Kommissionen des französischen Parlaments”, deren Mitglied Sembat war. Er kennt nicht nur die politische Linie, das Programm, die diplomatischen Intrigen der regierenden Kreise, sondern auch die persönlichen Eigenschaften eines jeden ihrer einflussreichen Mitglieder. Wenn er mit breitem, fast künstlerischem Strich all diese Personen zeichnet, dann stehen die Caillaux, Delcassé, Clemenceau, Viviani wie lebendig vor dem Leser. Man spürt den spezifisch französischen Duft.

Dass der europäische Krieg unvermeidlich sei, und zwar um die Kolonien, Einflusssphären, mit einem Wort, aus imperialistischen Gründen, das sah Sembat sehr genau. Das wussten alle. Das schrieb auch Léon Daudet in seinem “L‘Avant-Guerre” (Am Vorabend des Krieges).

Das jetzige System der Bündnisse sichert den Frieden nicht, es führt zum Kriege”, schreibt Sembat. Er ist sich absolut bewusst, dass der Unterschied zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg jeden Sinn verloren hat. Man sagt, nur Verteidigungskriege müssten unterstützt werden. “Aber der defensive Krieg ist ebenso ein Krieg wie der offensive. Und das Bestreben, sich zu verteidigen, kann dazu führen, dass man selbst angreift.”15

Mein Freund Jaurès hat mir, ebenso wie andere, oft gesagt: ‚Sie übertreiben die Gefahr; man darf nicht glauben, dass der Krieg unbedingt und unvermeidlich kommen muss: mit jedem Jahr wird der Frieden gesicherter und die Kriegschancen werden geringer.”16 Sembat sah die Dinge nüchterner und glaubte nicht daran. Er machte sich über die pazifistischen Schwärmereien lustig. “Teurer Norman Angell,” schrieb er, sich an den bekannten englischen Pazifisten wendend, “Ihr Buch ist interessant, Ihre Absichten sehr gut. Aber warum hat es den Balkankrieg nicht verhindert? Sie sind durch eine große Illusion geblendet.”17

Die Führer der Bourgeoisie wollen den Krieg und er wird kommen. Welch merkwürdige Erscheinung. Innerhalb der Arbeiterklasse sind die aufgeklärtesten und aktivsten Elemente die heftigsten Gegner des Krieges. Innerhalb der Bourgeoisie ist im Gegenteil der aufgeklärteste Teil der patriotischste und kriegslustigste.”18 So schrieb Sembat im Jahre 1913. Jetzt, wo der “aufgeklärteste” Teil der Bourgeoisie seinen Plan durchgeführt hat, schätzt M. Sembat leider jene Arbeiter, die gegen diesen Plan auftreten, anders ein…

Die gegenseitigen Beziehungen zwischen Russland und Frankreich erinnern Marcel Sembat an einen italienischen Schwank: Ein Mann, dem sein Kollege die Taschen leert, klopft dem Dieb gönnerhaft auf die Schulter und sagt: Tut nichts, ich bin dein Beschützer.

Ich konnte unsre Publizisten nie verstehen, die uns (Franzosen) absolut die Rolle der angeborenen Verbündeten der Slawen aufbinden wollten. Es scheint mir, dass die europäische Zivilisation bisher Gemeingut der Franzosen, Deutschen, Engländer, Italiener gewesen ist, und dass der Sieg der Slawen, das Supremat der slawischen Völker, die Hegemonie Russlands, sie kompromittieren könnten … Uns nur ihnen (mit Russland) verbünden, um die Deutschen zu schlagen oder sie unter slawisches Joch zu bringen, unter ein Joch, das innerhalb kurzer Zeit auch uns drohen müsste, das würde bedeuten, der ganzen Welt Frankreich als den Helfershelfer der Barbarei gegen die Zivilisation zeigen.”19 Sembat erinnert an das Beispiel des Königs François I., der seinerzeit die türkischen Horden gegen Wien schickte und dann von den Türken sagte, er habe “seine Hunde auf Österreich losgelassen”. Und Sembat fragt: ist es möglich, dass diese Zeiten jetzt wiederkehren? Außerdem könne man nicht wissen, wer wen an der Nase herumführt: Frankreich seinen jetzigen Verbündeten oder umgekehrt.

Ganz anders als nach Kriegsausbruch beurteilte damals Sembat auch das Bündnis Frankreichs mit England. “Denkt an Faschoda!” — rief Sembat 1913 aus — “denkt an den Rückzug Marchands (des französischen Hauptmanns, der unter dem Druck des englischen Ultimatums Faschoda räumen musste; D. Verf.). denkt an den weinenden Delcassé! … Wir sind nicht verpflichtet, uns zu schlagen, nur um den Herren (Engländern) ein Vergnügen zu bereiten, die selbst in ehrerbietiger Entfernung voll den gefährlichsten Stößen bleiben werden.”20

Sembat wollte den Krieg nicht, aber er wusste, dass ein europäischer Krieg im Anzug war. Er will den Krieg nicht, der überhaupt mit so viel Schrecken verbunden ist und der außerdem für sein Vaterland eine Niederlage bedeuten kann. Darum schimpft er oft wütend auf diejenigen, die mit Volldampf auf den Krieg zusteuern. “Wenn Vaillant mir während des russisch-japanischen Krieges sagt: Delcassé will uns gegen unseren Willen auf die Seite Russlands werfen, England aber geht mit Japan, wenn man mir vom nahe bevorstehenden Krieg spricht, wenn ich nur an die Perspektive eines europäischen Krieges denke, dann kann ich die Worte nicht unterdrücken: Ihr Lumpen, Räuber, Idioten, Banditen! Krieg? Das ist die Rückkehr zur Barbarei! … Der Krieg ist die Verneinung des Friedens, die Verneinung der Gerechtigkeit.”21

Aber — wie gegen den Krieg kämpfen? An den revolutionären Kampf der Massen glaubt Sembat nicht. Sembat ist kein Revolutionär. Wenn er den Hannibal-Schwur Vaillants hört “Plutot l‘insurrection que ja guerre” (Eher den Aufstand als den Krieg), dann umspielt seinen Mund ein skeptisches Lächeln. Er betrachtet Vaillant (und teilweise auch Jaurès) als große Kinder, und er ist verwundert, wie erwachsene Menschen an solche Dummheiten glauben können.

Seine Partei entwickelt eine intensive Propaganda gegen den nahenden Krieg. Aber auch dabei bleibt er kalt wie Eis. Er gießt — oft voller Verachtung und Hohn — ganze Kübel kalten Wassers über seine sich zu sehr begeisternden Genossen aus.

Gehen wir näher an die Tribüne heran, hören wir, was man dort spricht: ‚Das ganze Proletariat, wie ein Mann! Eher Aufstand als Krieg … Die Presse vergiftet den Verstand … Die kapitalistischen Verschwörungen … Creusot … Kanonenfabrikanten … Der Macht der Kapitalisten wollen wir den Widerstand der Arbeiter entgegensetzen‘ … Sie schreien fürchterlich! Ihre Stimme schnappt über, sie schreien sich die Kehle heiser … Bürger, wir sind alle gegen den Krieg, wir sind gegen jeden Krieg. Krieg dem Kriege!”22

Wie viel kalte Verachtung für die Arbeiter, für diejenigen, die so sehr an das glaubten, was ihre eigene Partei ihnen sagte, hatte der Mann, der diese höhnischen Zeilen schrieb! …

Sembat selber glaubte eben absolut nicht an das, was die Partei sagte.

Generalstreik? O ja, die Gewerkschaften haben für ihn gestimmt! Sie werden den Kampf aufnehmen! Aufstand? Barrikaden? O ja, in den Arbeitervierteln wird es eine Bewegung geben, besonders wenn das Volk den Eindruck haben wird, dass wir die angreifende Partei sind, dass wir den Krieg provoziert haben. Nun — und wenn wir uns als die Provozierten erweisen werden? Wenn Kaiser Wilhelm uns angreift? Werden die deutschen Sozialisten auf ihrem Posten sein, um zu einem Stoß auszuholen? … Und was, wenn die deutschen Sozialisten ebenso wie wir mehr guten Willen als Kraft haben werden? Wie, wenn sie den Überfall nicht verhindern können? … Die chauvinistische Presse ist auf beiden Seiten der Grenze verteufelt schlau, wenn es sich darum handelt, die Karten durcheinander zu mischen. (Der Wahrheit die Ehre! D. Verf.) … Aber was! Als der Konflikt um Tripolis entbrannte, da sahen wir Ausbrüche des Wahnsinns, eine Welle, die alles und alle mitriss. Da war nichts zu machen! Das ganze Volk war für den Krieg. Die Sozialistische Partei? Die Gewerkschaften? Ein Häuflein guter Menschen, die Resolutionen ausarbeiteten und die so wenig ernst genommen wurden, dass man sie nicht einmal ins Gefängnis steckte.23 Nun sollen Aufrufe und Artikel verfasst, neue Papierfetzen verbreitet werden. Papierfetzen, die von Leuten geschrieben werden, die nicht den Mut haben, alles bis auf den Grund zu verstehen!”24

Für einen Menschen, der so urteilte, waren natürlich alle Beschlüsse sowohl der französischen als der internationalen Kongresse leere Worte, leere “Papierfetzen”. In dieser Beziehung stand er unter den opportunistischen Führern der II. Internationale nicht allein da. Während sie feierliche Resolutionen verfassten, sahen sie sich gegenseitig mit Argusaugen an.

Welch herrliche Tage in Basel, wo vor dem altertümlichen Dom große Volksmassen die feierliche Prozession der Internationale grüßten!” — So gedenkt Sembat jener Tage. Aber für ihn ist es eine rein platonische angenehme Erinnerung an ein schönes Schauspiel. Die auf dem Baseler Kongress 1912 gegebenen Versprechungen hat er nie ernst genommen. Und er wusste, dass die Opportunisten jenseits des Rheins sie ebenso wenig ernst nahmen. Was Wunder, dass die französischen Bourgeois, wie Sembat erzählt, ihn wegen des Baseler Kongresses gutmütig verlachten und diesen Kongress “le grand Pardon de Bâle” nannten.25

Man weist darauf hin, dass während der Marokkokrise in Berlin im Treptower Park 300.000 deutsche Arbeiter ‚Nieder mit dein Krieg!‘ schrieen,” sagt Sembat, “aber wie viele von diesen 300.000 werden damit einverstanden sein, Deutschland schutzlos den Schlägen der (französischen) Chauvinisten zu überlassen? Kein einziger! Und sehr gut so. Bravo! Ich beglückwünsche Sie! Wir wollen auch nicht unsern Boden den Pangermanisten überlassen.”26

Wo ist der Ausweg?

Sembat findet keinen Ausweg. Er selbst hat auf die “verteufelte Schlauheit” hingewiesen, mit deren Hilfe das Volk zu beiden Seiten der Grenze betrogen wird, indem man die Karten durcheinander mischt und den imperialistischen Krieg für einen “gerechten”, defensiven ausgibt. Was tun? An den Kampf der Massen glaubt er nicht. Und mit der Ergebenheit eines Fatalisten schlussfolgert er: “Hieraus folgt, dass man auf uns Sozialisten nicht mehr rechnen kann als auf die Pazifisten, wenn es um die Erhaltung … des Friedens in Europa geht.”27

Wo also soll ein Mensch Rettung suchen, der den Krieg nicht wünscht, aber auch an die revolutionäre Aktion der Massen nicht glaubt? Im Plan der Schiedsgerichte und der freiwilligen Einschränkung der Rüstungen? Sembat ist natürlich nicht abgeneigt, diesen Plan vorzuschlagen. Aber — er ist zu sehr Realist, um an ihn ernstlich glauben zu können. “Clemenceau — sagt er — hat in einem Artikel in der Zeitung ‚L‘Homme libre‘ sehr richtig bemerkt: Wie wollt ihr, dass zwei Staaten, die morgen Krieg führen werden, heute ein Abkommen über Einschränkung ihrer Siegeschancen schließen, denn darauf läuft doch eine Einschränkung der Rüstungen hinaus?”28

Sembat hofft nicht, Clemenceau und seine Rivalen durch gute Worte zu überzeugen, die Rüstungen einzustellen. Ihm bleibt nur ein Weg: Clemenceau zu überzeugen — wir sprechen natürlich nicht von Clemenceau persönlich, sondern von Clemenceau als Sammelname, vom Finanzkapital, das Frankreich regiert —‚ dass seine eigenen Interessen in diesem Moment einen dauerhaften Frieden mit den Imperialisten Deutschlands verlangen, dass sein eigener Appetit durch ein Bündnis mit dem verhassten Kaiser Wilhelm am besten befriedigt werden wird. Diesen glatten und — ach! — so fruchtlosen Weg beschreitet Sembat in seinem ganzen “praktischen” Programm.

Dieses Programm kann kaum noch einfacher sein. Man muss versuchen, diejenigen, die es angeht, zu überzeugen, dass ein Bündnis mit dem imperialistischen Deutschland für das französische Kapital nicht ohne Vorteile sein würde. Aber England? Bekanntlich war die erste Bedingung für Englands Annäherung an Frankreich der gemeinsame Kampf gegen Deutschland. Ägypten für Marokko! Ist es nicht absolut klar, dass diese Formel gegen den deutschen Imperialismus gerichtet ist? Diese Hindernisse beseitigt Sembat mit Hilfe eines geradezu kindlichen Arguments. “Was die Engländer anbetrifft, so wünschen die Vernünftigen von ihnen selber ein Bündnis Englands mit Frankreich und Deutschland sehr.”29 Es bleibt unbekannt, wen Sembat als die “vernünftigsten” Engländer bezeichnet Aber zweifellos brauchten die englischen Imperialisten, die tatsächlichen Herren Englands, das englisch-französische Bündnis — ebenso wie die Triple-Entente — eben als Hebel gegen den deutschen Imperialismus.

Nachdem er in so leichter Weise das Haupthindernis (auf dem Papier) beseitigt hat, geht Sembat daran, den Nutzen des Bündnisses mit Deutschland — vom französischen Standpunkt aus — zu beweisen.

Wer weiß nicht” — schreibt Sembat — “dass die Bestrebungen Deutschlands und seines Kaisers seit vielen Jahren darauf gerichtet sind, eine enge Annäherung an uns zu erreichen, wenn wir nur darauf eingehen wollten. Wir haben es höhnisch abgelehnt! Wir hielten es für angebracht, klug und taktvoll, die Avancen, die er (Wilhelm II.) uns in Hülle und Fühle machte, zu verlachen.”30

All das ist sicherlich wahr. Sembat hat Recht. Der deutsche Imperialismus hat sich tatsächlich eine Zeitlang danach gesehnt, die französischen Kapitalisten in seine Arme zu schließen. Die deutschen Imperialisten brauchten das französische Kapital. Aber — eben gerade zum Kampf gegen den englischen Imperialismus. Es gab eine Zeit, da die englischen und deutschen imperialistischen Gentlemen der französischen kapitalistischen Schönen so sehr den Hof machten, dass sie sich vor ihnen nicht zu retten wusste. Sembat schlägt vor, die Frage sehr einfach zu lösen, und zwar gleichzeitig beiden Anwärtern Hand und Herz zu schenken. Aber abgesehen von den einfachen Prinzipien des Rechts und der Sittlichkeit, von denen sich, wie Plechanow versichert, die Diplomaten einiger Länder leiten lassen, war ein solcher Ausweg schon deswegen kaum möglich, weil ja dazu das Einverständnis beider Anwärter erforderlich gewesen wäre.

Sembat versucht weiter, die sich sträubende französische Schöne zu überzeugen. “Man wird mir vielleicht entgegenhalten: aber Sie haben nicht daran gedacht, dass die Deutschen die Zulassung deutscher Wertpapiere an den französischen Börsen verlangen werden! Ich habe wohl daran gedacht! … Sehr richtig, die Deutschen werden das tatsächlich verlangen … Aber diese Perspektive schreckt mich nicht im geringsten; mich beunruhigt das offene Anbieten deutscher Werte auf französischem Boden weniger als die systematische Ausfuhr unserer Kapitalien ins Ausland.”31

Sembat beunruhigt die Zulassung deutscher Papiere an der Pariser Börse weniger als die Ausfuhr französischer Kapitalien ins Ausland! Ihn schreckt weder das Erste noch gefällt ihm das Zweite! Das ist Geschmacksache, Herr Sembat! Ihnen gefällt die Ausfuhr der Kapitalien nicht. Für die Imperialisten aller Länder aber, und besonders für die lmperialisten Frankreichs, ist das das Alpha und Omega ihrer ganzen Politik. Und da nicht Sie sondern jene entscheiden, da Sie selber die ernste Einmischung der Arbeiterklasse ausgeschlossen haben und die Imperialisten ungestört nach ihrem eigenen Ermessen handeln können, müssen Sie zugeben, dass es recht einfältig ist, die Könige des Finanzkapitals darüber belehren zu wollen, wie günstig die Zulassung deutscher Werte an der französischen Börse für sie ist und wie ungünstig die Ausfuhr des Kapitals, die ihnen hohe Profite und politische Vorteile verspricht.

Ein französisch-deutsches Bündnis und die Sicherung eines dauerhaften Friedens” … Dies Programm “diktiert uns unsre einzige Sorge — den bevorstehenden Krieg zu vermeiden.”32 So fährt Sembat fort. Aber da die französischen Imperialisten das Unvermeidliche gar nicht vermeiden wollen, da sie selbst dieses Unvermeidliche herbeiführen, so lassen sie sich natürlich von den Beweisführungen Sembats nicht überzeugen, und ihm bleibt nichts übrig, als zum letzten Mittel zu greifen. Er beginnt, den französischen Imperialisten Angst einzujagen, indem er behauptet, nachher würde es zu spät sein, und sie würden ihre Handlungsweise bereuen müssen.

Deutschland kann heute (1913) noch sehr daran interessiert sein, uns zu treuen Freunden zu haben. Morgen kann es aber schon ein größeres Interesse daran haben, uns zum Gegenstand einer leichten Beute zu machen, als auf ein Bündnis mit uns zu drängen. Wir haben schon viel Zeit verloren. Verlieren wir nicht noch mehr! Wäre die notwendige Annäherung schon vor 10 Jahren erfolgt so würde man uns mit größerem Vergnügen und größerer Dankbarkeit aufgenommen haben. Von uns hing es ab, eine große Rolle in der mächtigen, an Kraft unvergleichlichen diplomatischen Kombination zu spielen, die als Resultat eines innigen Bündnisses zwischen Frankreich und Deutschland entstanden wäre. Die Situation ist nicht mehr die gleiche. Aber wir wollen nicht übertreiben. Frankreich kann für Deutschland noch von größter Bedeutung sein: dank der Vereinigung unserer Kräfte würden wir eine militärische Macht erlangen, die von jetzt ab die Hegemonie Westeuropas sicherte; es würde ferner eine ungeheure Stärkung der Kapitalien eintreten, die den Kredit Deutschlands lieben und ihn auf eine sichere Basis stellen würde — und ein Kolonialgebiet von ungeheurem Umfang, das den deutschen Unternehmungen offen stände, würde geschaffen werden … Und wir? Was erhalten wir dafür? Was gewinnen wir durch dieses Bündnis? Was wird man uns geben? Beruhigt euch, um Himmels willen! Heute können wir das alles noch anbieten. Geben wir Acht, dass man es uns morgen nicht mit Gewalt entreißt! Wie vor dem Feuer müssen wir uns vorsehen, von Deutschland etwas zu verlangen, was es uns nicht geben kann. Es kann uns Elsass-Lothringen nicht geben … Verlangen wir das Unmögliche nicht; eine solche Bescheidenheit wird uns dazu verhelfen, alles zu erhalten, was in der Möglichkeit liegt. Der einzige Vorteil des französisch-deutschen Bündnisses muss für Frankreich die endgültige Sicherung des europäischen Friedens und die Möglichkeit der freien Entwicklung und des ihm zukommenden Einflusses im konsolidierten Westeuropa sein.”33

Wo findet man in diesen Auseinandersetzungen Sembats auch nur eine Spur prinzipieller sozialistischer Politik? Von ihr ist mit keinem Wort die Rede. Sein Programm besteht darin, dass es den französischen Imperialisten empfiehlt, sich mit dem zufrieden zu geben, was sie bereits besitzen, und nicht nach Neuem zu verlangen. Haben wir denn zu wenig Kolonien? — fragt Sembat sie. Wenn uns der Frieden gesichert ist, der “uns zukommende Einfluss” und die “freie Entwicklung”, dann — Herrgott, was will man mehr! Das ist alles, was wir brauchen. Was sollen wir uns da noch um neue Eroberungen herumzanken

Hier streiten Sembat und die französischen Imperialisten eigentlich nur noch um die Frage einer Tatsache. Und es kann wohl gut sein, dass in dieser Frage die Imperialisten mehr im Recht sind als Sembat: sehr möglich, dass die Wahrheit auf ihrer Seite war, als sie behaupteten, dass selbst zur Erhaltung der bereits “rechtmäßig” erworbenen Kolonien und Einflusssphären ein Krieg gegen Deutschland nicht zu umgehen wäre. In diesem Sinn traten auch die Imperialisten für den “Verteidigungskrieg” ein. Und in diesem Sinn antworteten sie auch Sembat und seinen Gesinnungsgenossen: Unsere Meinungsverschiedenheiten sind gar nicht so groß! Auch ihr anerkennt ja den “Verteidigungskrieg”…

Sembat versucht die führenden französischen Politiker zu überreden, auf den Gedanken der Rückgabe Elsass-Lothringens endgültig zu verzichten. Deutschland wird diese Provinzen nie zurückgeben — sagt er. Für Deutschland besteht die Elsass-lothringische Frage nicht mehr, denn auch die Bevölkerung dieser Gebiete ist in den deutschen Staat ganz hineingewachsen. Elsass-Lothringen strebt nur nach einem Maximum an Autonomie. Elsass-Lothringen für die Elsass-Lothringer! Das ist dort die populärste Parole. Und “wir” dürfen von Deutschland die Rückgabe dieser Provinzen nicht erzwingen wollen — fleht Sembat fast mit Tränen in den Augen.34 Aber — auch darin hat er nicht den geringsten Erfolg. “Wissen Sie denn nicht, lieber Herr Sembat, dass es sich bei uns nicht so um Elsass-Lothringen wie um die Kolonien handelt? — antwortete man ihm. — Und welches Mittel haben wir, sie zu behalten, wenn Deutschland sich mit unsrer kolonialen Macht nicht abfinden will?” Hierauf konnten Sembat und seine Gesinnungsgenossen, solange sie auf einem Boden mit dem Imperialisten standen, nichts antworten. Damals schon waren sie die Gefangenen des Imperialismus.

Niemand kennt die wahre Physiognomie der Herrscher des Kapitals so genau wie Sembat. Er war nicht umsonst “bien placé” Die großen Gesellschaften — schreibt er — sind sich sehr bald darüber klar, dass es weit vorteilhafter sei, den Staat auszubeuten als entfernt gelegene Gebiete, dass man aus der Schwäche der Minister mehr Gold herauspressen kann als aus den verteidigten Provinzen Afrikas.”35 “Die Minister gehen, die (Finanz-) Gesellschaften bleiben.”

L‘histoire financiere contemporaine de la France, si elle était jamais sincèrement écrite, serait faite de l‘histoire d‘une foule de pillages particuliers, comme la mise à sac d‘une ville conquise! C‘est la mise à sac d‘une nation sans cervelle par des financiers habiles. Voyons ce qui ce passe quand l‘Etat français a en face de lui non plus des nationaux, mais des gouvernements étrangers.”36

Sembats Augen konnten die dunklen Machenschaften, das Handeln und Feilschen der Imperialisten verschiedener Länder nicht verborgen bleiben. Er weiß, dass während des Marokko-Konflikts die Frage stand: wird Spanien mit oder gegen “uns” gehen. “Und Delcassé hat diese Frage gelöst, indem er Spanien ein gutes Stück von Marokko anbot, ferner das Versprechen unsrer freundschaftlichen Unterstützung und militärischen und finanziellen Hilfe gab.”37 Er wusste, dass es eine in sich widerspruchsvolle Aufgabe war, von Frieden zu sprechen und gleichzeitig, wie die Diplomaten sagen, den “territorialen status quo” ändern zu wollen. “Wie wollt ihr — sagte er den Kapitalisten —‚ dass die Deutschen unsere Friedensversicherungen ernst nehmen, wenn unsere eifrigsten Revancheverteidiger (Revanche für 1870. D. Verf.) sich ebenfalls Friedensfreunde nennen?”38

All das wusste Sembat. All das sagte er den französischen Kapitalisten ins Gesicht. Aber er war unfähig, daraus irgendeine Schlussfolgerung zu ziehen, denn er blieb ganz auf dem Boden der “Vaterlandsverteidigung”, er sah keine anderen “realen” Perspektiven als diese oder jene diplomatische Umgruppierung der Imperialisten untereinander; an den Sozialismus, an den Kampf der Massen glaubte er nicht. Bei einer solchen Sachlage blieb ihm nichts anderes übrig, als den Kapitalisten seines Vaterlandes Angst einzujagen: faites un roi, sinon faites la paix — schafft euch einen König an oder schließt Frieden, geht auf ein friedliches Bündnis mit Deutschland ein, sonst werdet ihr Krieg führen und dazu die Monarchie in Frankreich wieder herstellen müssen… Als ob die Republik der Briand, Millerand, Delcassé und Poincaré nicht auch ohne König einen imperialistischen Krieg führen könnte! Als ob die Vertreter des Finanzkapitals schon für alle Ewigkeit dem republikanischen Ideal Treue geschworen hätten:

Le nationalisme intégral, c‘est la Monarchie!” — der abgeschlossene, allumfassende Nationalismus ist die Monarchie,39 sagt Sembat. Aber erstens würden nicht alle führenden Republikaner davor zurückschrecken, selbst wenn dem so wäre, und zweitens wussten die einflussreichen bürgerlichen Politiker sehr genau, dass Sembat ihnen Furcht einjagen wollte, dass er selbst, wenn es sich als notwendig erwiese, den “nationalisme intégral” verteidigen würde, wie es ja in der Tat auch geschehen ist.

Das Buch Sembats war kein gutes Omen für die Schicksale des französischen Sozialismus. Wenn man es jetzt 1½ Jahre nach Kriegsausbruch, und nicht ein Jahr vorher, liest, so überzeugt man sich, dass mit dem französischen Sozialismus nichts Außergewöhnliches geschehen ist. Die Politik des 4. August ist in diesem Buch bereits im embryonalen Zustand enthalten. Aus ihm geht klar hervor, dass nicht nur die sozialistischen, sondern auch die anarchistischen Kreise40 lange vor den Krieg für diese Politik reif geworden waren.

Die französische Sozialistische Partei predigte den Militärstreik. Vaillant und Keir Hardie hatten den internationalen sozialistischen Kongressen Anträge in diesem Sinne vorgelegt; zu dieser Taktik neigte auch ein so einflussreicher Führer wie Jaurès; die Syndikalisten nahmen hoch klingende Beschlüsse über den Generalstreik an; Vaillants Ruf “plutôt l‘insurrection” fand immer weitere Verbreitung. Zu der Zeit aber erklärte Sembat ganz offen: all unsere Drohungen sind die “reinsten Kindereien”,41 den nahenden Krieg aufhalten zu wollen, ohne dazu genügend Kraft zu haben, das ist “weiße Magie”.42

Und was hat die Wirklichkeit gezeigt? Dass die wahre Sachlage, die wahre Stimmung der Mehrheit der opportunistischen und syndikalistischen Führer der französischen Arbeiterbewegung nicht von dem alten Revolutionär Vaillant und selbst nicht von dem flammenden Jaurès zum Ausdruck gebracht worden ist, sondern von Sembat, dem nüchternen, blasierten, skeptischen, mit tausend Fäden an die bürgerliche Ideologie gebundenen Sembat! Darum musste sein Buch unsere besondere Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Jaurès und seine Freunde — darunter auch Sembat — wollten natürlich den Imperialisten nicht helfen, die Lasten des Militarismus, die ohnehin den Rücken der Arbeiter nicht wenig beschwerten, noch größer zu machen. Daher ihr scharfer Kampf gegen die Verlängerung der militärischen Dienstzeit. Aber die Achillesferse der Jaurèsisten blieb ihr Opportunismus, ihr Mangel an Glauben an den revolutionären Kampf der Massen, das Fehlen irgendeiner anderen Perspektive als der der freiwilligen Aussöhnung der sich befehdenden Imperialisten.

Jaurès selbst gelang es, trotz dieser organischen Schwäche seiner Position, in den Herzen der Massen den Hass gegen den Imperialismus zu entzünden. Deswegen hasste und fürchtete man ihn. Opportunisten jedoch, wie Sembat, klopfte die Bourgeoisie gutmütig auf die Schulter. Wenn Sembat und ihm ähnliche von den “Vereinigten Staaten Europas” sprachen,43 da fühlten die klugen Bourgeois, dass Sembat selbst dem keine ernste Bedeutung beimaß, dass es nur ein gewisser Tribut war an die internationalistische bzw. pazifistische Tradition. Sprecht, — dachten sie, — soviel ihr wollt, von den “Vereinigten Staaten Europas”, von Abrüstung, Schiedsgerichten, friedlichen Bündnissen! Das ist nicht gefährlich. Nennt nur weiter den Kampf der Massen gegen den Krieg “Kindereien” und “Weiße Magie”. Predigt nur weiter die Idee der “Vaterlandsverteidigung”. Mehr brauchen wir nicht.

Die klügeren Bourgeois sahen schon seit langem, dass Sembat in Wirklichkeit ihr Mann war, und selbst sein Buch “Faites un roi” war ihnen schließlich gar nicht schrecklich. In dem geistreichen Artikel Guy de Lubersacs (“Revision und Revisionisten”), der im “l‘Echo de Paris” am 6. Mai 1914 veröffentlicht war, wird dieses Verhältnis der Bourgeoisie zu den Sozialisten von der Art Sembat außerordentlich plastisch zum Ausdruck gebracht: “Ich habe den Eindruck, dass, wenn Marcel Sembat die Internationale singen will, aus seinem Mund oft statt dessen die Töne der Marseillaise erklingen. Sein Stil, seine Art zu denken — das ist alles viel zu französisch, als dass es anders sein könnte. Er ist am linken Ufer des Rheins geboren, dieser begeisterungsfähige Demagoge; er fühlt sich gut unter uns, und unter anderen Breitengraden wäre er nicht am Platze. Gäbe es keine Grenzen, so würde er, wie mir scheint, zu denen gehören, die fähig wären, sie zu erfinden … Ich hin einer seiner Verehrer.

Man erinnere sich seines Buches ‚Faites un roi sinon faites la paix‘, das jetzt bereits ein Jahr alt ist. Ich kenne keine Satire, die das gegenwärtige Regime mit mehr Hohn geißelt …Aber plötzlich fällt es Sembat ein, dass er zur Schule Jaurès‘ gehört, und im zweiten Teil seines Buches entwickelt er uns den Plan eines Bündnisses mit den Teutonen, der bei uns Zähneknirschen verursacht. Was kann man mit Sembat machen? Der Internationalismus ist sein entzündeter Blinddarm, den er sich noch nicht wegoperieren ließ. Zehn Tage Klinik, ein kleiner Bauchschnitt, und ich garantiere Ihnen, Bürger Sembat, eine blühende Gesundheit!”44

Wie nüchtern oft die Lage von den Herren Bourgeois beurteilt wird! Jahre hindurch machen die Jaurèsisten lärmende internationalistische Propaganda im Parlament, im Land, in der Internationale. Mit großem Radau bestehen sie darauf, dass die Arbeiter im Kriegsfall mit dem Generalstreik antworten. Die Bourgeoisie bleibt aber ganz ruhig. Oh, sie kennt ihre Sozialisten. Sie weiß, da gibt es nichts Aufregendes, eine kleine Blinddarmentzündung — das ist nicht gefährlich. Innerhalb von zehn Tagen kann dem Übel abgeholfen werden. So machten sich die Politiker und Schriftsteller der Bourgeoisie über den Sozialismus lustig.

Und was geschah? Verflucht! Sie behielten Recht. Es kamen die entscheidenden Ereignisse. Und es vergingen nicht einmal zehn Tage, als die von den Imperialisten geforderte Operation des “internationalistischen Wurmfortsatzes” der großen und kleinen Sembats in schmerzlosester, für die Bourgeoisie günstigster Weise vorgenommen werden konnte…

Sich mit der jetzigen Lage abfinden, das hieße auf die Stellung einer Macht zweiter Ordnung eingehen. Das wäre nicht nur eine Verletzung unseres Stolzes, nein, das würde auch unseren Handel, unsere Aktivität, unseren Mut töten, das würde unser intellektuelles Niveau auf die Stufe jener edlen Ideologie bringen, die Herr Sembat unserm Land aufzwingen will. Es genügt, dass wir vierzig Jahre hindurch auf den Altar des Friedens mehr Blut gebracht haben, als 100 große Schlachten uns gekostet hätten … Ein Bündnis mit Deutschland verlangen auf Grund unseres Verzichts auf Elsass-Lothringen, — das wäre die Kapitulation eines Zwerges vor einem Riesen!”

So schrieb mit Schaum vor dem Munde die Zeitung “La France” über das Buch Sembats. Jetzt aber — andre Zeiten, andre Lieder … jetzt ist Sembat Minister der französischen Republik, der beste Freund Briands. Jetzt ist die Ära der “heiligen Einigung”…

Jules Guesde.

Jules Guesde45 ist jetzt einer der wütendsten Sozialchauvinisten. Aber Jules Guesde kannte bessere Tage. Es gab eine Zeit, da Guesde ein feuriger Propagandist der marxistischen Ideen auf französischem Boden war.

Aber die bekannte doktrinäre Einseitigkeit besaß Guesde schon seit jeher. Die starken und die schwachen Seiten des Guesdismus, die vollkommen durch die Verhältnisse bedingt werden, in denen sich der französische Sozialismus entwickelte, traten sehr anschaulich zutage im Streit zwischen Guesde und Jaurès in der Dreyfus-Angelegenheit.

Jules Guesde war einer der ersten, der für Dreyfus eintrat, denn er überzeugte sich als einer der ersten von Dreyfus‘ Unschuld.46 Aber als die Kampagne in der Dreyfus-Angelegenheit entbrannt war, als das ganze Land sich für sie interessierte, als auch Jaurès an dieser Kampagne aktivsten Anteil nahm und die ganze Sozialistische Partei auf dem Weg der Verteidigung Dreyfus‘ mit sich riss, da trat Guesde dagegen auf. Guesde, Vaillant und ihre Freunde standen auf dem Standpunkt, dass die Arbeiterklasse sich von aktiver Teilnahme an dieser Kampagne zurückhalten müsse. Das sei ein Familienstreit der Herren Bourgeois untereinander. Mögen sie in ihrem eigenen Fett braten. Dreyfus ist unschuldig, das ist zweifellos wahr. Aber sollen wir Lärm schlagen, wo doch Dreyfus selbst zur privilegierten Oberschicht gehört? “Es handelt sich nicht um einen Proletarier; überlassen wir es den Herren Bourgeois, sich mit ihrer Angelegenheiten zu befassen. Hätte es sich um einen Arbeiter gehandelt, dann würde die Angelegenheit längst in Vergessenheit geraten sein.”

Als Jaurès darauf hinwies, dass Dreyfus nach seiner Verurteilung nicht mehr zur privilegierten Schicht gehöre, sondern “nur ein Exemplar der leidenden Menschheit” darstellte, als Jaurès sich darauf bezog, dass das regierende Frankreich die Grundlagen der Gerechtigkeit, die Menschen- und Bürgerrechte missachtet habe, da antwortete Guesde: das seien “leere Worte”. Bei dieser Art der Fragestellung waren es tatsächlich leere Worte. Aber Jaurès wies noch auf anderes hin, und zwar darauf, dass Dreyfus “ein lebendiger Zeuge der Verlogenheit des militärischen Regimes, der politischen Unmoral der herrschenden Bourgeoisie, des Verbrechertums der bestehenden Regierung” sei. Er wies darauf hin, dass die Dreyfus-Angelegenheit dank der geschaffenen Lage zu einem “Element der Revolution”, der revolutionären Gärung, wird, und dass darum die Arbeiterklasse an dieser Angelegenheit nicht gleichgültig vorbeigehen, sich nicht “zurückhalten” könne. Und hier war Jaurès im Recht und Guesde im Unrecht.

Bei einer solchen Angelegenheit, die ganz Frankreich, ja das ganze zivilisierte Europa aufgewühlt hatte, abseits stehen, bedeutete den Einfluss der Arbeiterklasse während der ganzen Zeit dieser grandiosen politischen Krise ausschließen, sich vom lebendigen Leben in das Studierzimmer zurückziehen.

Nun fragt es sich, wie eine solche tote Idee einem Menschen wie Jules Guesde kommen konnte. Den Schlüssel zu diesem Rätsel gibt uns der Streit zwischen Jaurès und Guesde, der in Lille kurz nach Millerands Eintritt ins Ministerium stattfand.

Sie sagen, dass Sie in der Frage der Dreyfus-Kampagne recht hatten, weil diese Kampagne Millerand ins Ministerium Waldeck-Rousseau-Gallifet gebracht hat, und ich sage genau das Gegenteil, ich behaupte, dass dies die endgültige Verurteilung dieser Kampagne sei …47 Indem Sie die kapitalistische Zivilisation verteidigen, … machen Sie ‚Penelope-Arbeit‘. Die bourgeoise Bastille muss ebenso erobert werden, wie die feudale erobert worden ist. Wir sind und wir können nichts anderes sein als die Partei der Revolution, denn unsere Befreiung und die Befreiung der Menschheit kann nur auf revolutionärem Wege geschehen. Sich von diesem Kampf abwenden — heißt verraten, desertieren, ein Spielzeug in den Händen der Bourgeoisie werden.”48 So sprach Guesde gegen Jaurès.

Jaurès besaß ein stark entwickeltes Gefühl für das Leben, das große Talent des Propagandisten. Es zog ihn immer dorthin, wo im gegebenen Moment der Puls des politischen Kampfes am intensivsten schlug. Er hatte Recht, als er an der Dreyfus-Angelegenheit in aktivster Weise Anteil nahm. Aber — er war Reformist. Die Unterstützung des “fortgeschrittenen” Teils der Bourgeoisie gegenüber ihrem reaktionären Teil brachte ihn so weit, dass er den Eintritt der Sozialisten in ein bürgerliches Ministerium guthieß. Guesde hat damals verstanden, dass man der Bourgeoisie Geiseln aushändigte, wenn man Sozialisten in ein bürgerliches Ministerium schickte. Aber in seinem gerechten Hass gegen den Reformismus und Ministerialismus schüttete Guesde das Kind mit dem Bade aus.

Der Reformismus einerseits, der Anarchismus (später Syndikalismus) andrerseits spielten in der Arbeiterbewegung Frankreichs eine sehr große Rolle. Die Guesdisten hatten recht, sowohl das eine wie das andere zu fürchten. Aber, eingedrängt zwischen beiden Bewegungen, gerieten sie oft in politische Einsiedelei, verstanden sie es nicht, sich mit den Arbeitermassen zu verschmelzen, blieben sie abseits vom Leben. In dieser Beziehung besaß der Guesdismus eine gewisse Ähnlichkeit mit der Richtung der sozialdemokratischen Föderation in England.

Aber außerdem gab es im Guesdismus noch einen schwachen Punkt, der ihm einen eigenartigen Anstrich von Lassalleanertum auf französischem Boden verlieh. Der Guesdismus trat als wütendster Feind der französischen Bourgeoisie auf. Wie keine andere politische Richtung geißelte er die Fäulnis, den Eigennutz, die politische Unmoral, die in der bürgerlichen Republik herrschten. Das war ausgezeichnet. Aber — er tat es so, dass er oft in die Arme der rechts stehenden Feinde der bürgerlichen Republik geriet. Es gelang ihm nicht, mit derselben Kraft gegen die Reaktionäre, Antisemiten, Klerikalen, die halbfeudale Aristokratie ins Feld zu ziehen. Es kam manchmal so weit, dass die Reaktionäre bei den Parlamentswahlen die Guesdisten gegen die bürgerlichen Republikaner unterstützten. Guesde hat bei einer anderen Gelegenheit einmal stolz gesagt, er liefe niemandem nach, er könne aber niemanden hindern, ihm nachzulaufen. In diesem Falle war es jedoch nicht so. Die Reaktionäre dachten nicht daran, ihm nachzulaufen. Sie zogen die Guesdisten nur wegen ihrer Schwächen vor. Sie hielten sie für weniger schädlich, eben gerade, weil sie nicht mit den Massen Schritt halten konnten, weil sie es nicht verstanden, zu agitieren, sich mitten ins politische Leben zu stürzen, den Stoß zu konzentrieren.

Unter den Guesdistischen Abgeordneten gab es solche, die bei der Stichwahl von den Reaktionären abhingen. Das schuf eine gewisse ideell-politische Abhängigkeit von diesen Elementen.

In den letzten Jahren vor dem Kriege war der Guesdismus immer mehr im Absterben begriffen, immer weniger lebensfähig geworden. Auf dem internationalen Sozialistenkongress in Amsterdam, vor der Vereinigung mit den Jaurèsisten, trugen die Guesdisten ihren letzten Sieg davon. Und auch das nicht so sehr dank ihren eignen Kräften als mit Hilfe der Marxisten andrer Länder. Die .Jaurèsisten unterwarfen sich, denn sie wussten, dass sie bald Gelegenheit haben würden, auf der französischen Arena Revanche zu üben. Und wirklich, nach ganz kurzer Zeit trug der Jaurèsismus innerhalb Frankreichs den endgültigen Sieg davon. Die Guesdisten verloren ihre Presse. Das letzte guesdistische Blättchen “Der Sozialismus” vertrocknete aus Mangel an Lebenssaft. Die nächsten Schüler Guesdes — Bracke, Dumas u. a. — waren eigentlich schon seit langem ebensolche Reformisten geworden wie die Jaurèsisten. Die ganze politische Leitung ging endgültig zu den Jaurèsisten über.

In diesem Zustand fand der Krieg den Guesdismus vor. Und das erklärt alle jene ovidischen Metamorphosen von Guesde.

Aber es hat eine Zeit gegeben, da Guesde ein wirklich revolutionärer Marxist und ein Feind des Pazifismus gewesen ist. Im Jahre 1885 nahm der Konflikt zwischen England und Russland im Zusammenhang mit der afghanischen Frage scharfe Formen an. Die Luft roch nach Pulver. Der Krieg schien unvermeidlich. Zu der Zeit hofften die besten Vertreter des revolutionären Marxismus — Engels, Bebel, Guesde — dass die soziale Revolution in nicht allzu ferner Zukunft beginnen werde. Auf jeden Fall steuerten sie auf die Revolution hin. So lagen die Verhältnisse, als Jules Guesde, der damals unbedingt Marxist und Revolutionär war, mit einem Artikel über den nahenden englisch-russischen Krieg hervortrat: Der Krieg zwischen England und Russland könnte die Lösung, das Ende der bürgerlichen Gesellschaftsordnung beschleunigen. Aber — wem solle man dann den Sieg wünschen, wem die Niederlage? England oder Russland? Guesde antwortet: Ich wünsche beiden die Niederlage.

Die Niederlage Russlands, — ich schrieb es schon vor einem Monat, aber ich werde nicht müde es zu wiederholen, — bedeutet das Ende des Zarismus, die politische Befreiung Russlands … Das in Zentralasien niedergeworfene Russland — das ist das Ende des Zarismus … Und das erste Resultat, das unvermeidliche Resultat einer politischen Revolution in Petersburg wird die Befreiung der Arbeiter Deutschlands sein. Nachdem sich die deutsche Sozialdemokratie vom Moskauer Albdruck befreit haben wird, sobald sie die Gewissheit erlangt hat, dass ihre Pläne nicht durchkreuzt werden von der russischen Armee Alexanders, die hinter dem Rücken der Wilhelminischen Armee stände, — wird sie endlich die Möglichkeit erlangen, auf den Ruinen des Reiches von Blut und Eisen den revolutionären Tanz zu eröffnen (d‘ouvrir … le bal révolutionnaire), das Arbeiterjahr 1789 zu wiederholen … Der Bankrott Russlands wird die ganze alte Welt aus den Fugen heben…

Die Niederlage Englands würde nicht geringere und nicht weniger glückliche Folgen haben. Schon die Tatsache allein, dass die gesamten militärischen Kräfte Englands an einer Stelle zusammengezogen und konzentriert werden müssten, würde dazu führen, dass das vom Belagerungszustand befreite Irland frei aufatmen könnte … Dann könnte Irland der Insel der Brudermörder … seinen Willen mit Gewalt aufzwingen, während der Sudan — und folglich auch Ägypten — sich von den Wohltaten der Zivilisation, die ihnen Wolseley auf Bajonettspitzen bringt, befreien könnten … Gleich nach den ersten Misserfolgen (Englands) würde eine allgemeine Loslösung (‚décollage‘) der größten und am meisten ausgebeuteten Kolonien beginnen…

Aber wenn entscheidende Ereignisse eintreten, wenn England Indien verliert … dann werden wir einen Zusammenbruch sehen, wie ihn die Menschheit seit dein Sturz des Römischen Reiches noch nicht erlebt hat. Es wird auf der Erdkugel keinen Punkt geben, der unberührt bleiben wird.”

Und Guesde kommt zum Schluss: “Welche von diesen beiden Regierungen — die beide, wenn auch von verschiedener Art, nur der Unterdrückung dienen — unter den Schlägen des Gegners auch zusammenbrechen möge … Es wird die Bresche sein, durch die die neue Gesellschaftsordnung eindringen wird. Darum können wir dem Siegesgott carte blanche (freie Wahl) überlassen, Wie er auch handelt, er arbeitet für uns.”49

Guesde sprach damals nicht von “Vaterlandsverteidigung”, er stellte auch nicht die Losung auf: “Weder Sieg noch Niederlage.” Er wünschte beiden Gegnern in gleicher Weise die Niederlage. Er propagierte den Aufstand der Kolonien gegen die imperialistischen Metropolen. Ein englischer oder russischer Sozialist, der sich die damaligen Ansichten Guesdes zu Eigen gemacht hätte — musste ebenfalls zum Defätisten werden. Damals war Guesde ein revolutionärer Marxist.

Sein (Guesdes) Internationalismus — berichtigte Guesde sein früherer Antipode Jaurès — ist kein friedlicher Internationalismus (n‘est pas un internationalisme de paix), der dem internationalen Proletariat die Möglichkeit gibt, die allgemeinen bürgerlichen Freiheiten zu erweitern und damit seine eigene Macht zu stärken. Er ist kein friedlicher Internationalismus, der dem Proletariat die Möglichkeit gibt, seine ganze moralische Kraft auf die Aufgabe der notwendigen Transformation des Besitzes zu konzentrieren … nein, nicht von dem normalen Wachstum der proletarischen Kräfte und nicht vom Fortschritt der Demokratie erwartet er die Befreiung der Lohnarbeiter, sondern von tiefen Erschütterungen, dank denen aus der verwüsteten Erde lebendige Quellen revolutionärer Kraft emporschießen werden. Die größten Umwälzungen sollen die fruchtbarsten sein. Und da man sich keine größeren Katastrophen vorstellen kann als den Krieg von Großmächten gegeneinander, so tritt eben Guesde für alle möglichen Kriege ein.”50

So ist es. Es gibt einen “friedlichen Internationalismus”, einen pazifistischen, kleinbürgerlichen, reformistischen, der “Erschütterungen” fürchtet, der nur von friedlichem Dasein und schmerzlosen Fortschritten träumt und der in unserem Zeitalter des reaktionären Imperialismus nur der Bourgeoisie den Boden düngt. Subjektiv können die Anhänger dieses “Internationalismus” die ehrbarsten, tugendhaftesten Leute sein. Objektiv sind sie nur Schachfiguren in den Händen des schlimmsten Nationalismus. Aber es gibt einen anderen Internationalismus, einen nicht “friedlichen”, sondern kriegslustigen, nicht reformistischen, sondern revolutionären, den Marxistischen Internationalismus, den im Wesentlichen auch Guesde im Jahre 1885, als er noch Marxist war, verteidigte.

Jaurès und die Jaurèsisten haben — ebenso wie die deutschen Sozialpazifisten mit Bernstein und in den letzten Jahren auch Kautsky an der Spitze — stets mit dem bürgerlichen Pazifismus geliebäugelt. Das konnte auch nicht anders sein. Zuviel Gemeinsames bestand zwischen diesen und jenen.

Guesde und die Guesdisten führten zur selben Zeit, solange der Guesdismus sich noch nicht in Zersetzung befand, den energischsten Feldzug gegen den Pazifismus. Bei Gelegenheit des 4. allgemeinen Friedenskongresses 1892 veröffentlichte Guesde einen Artikel unter dem vielsagenden Titel “Der Kongress der Verrückten”. Noch niemals — schreibt Guesde — gab es so viele Kriege — und so viele furchtbare Kriege — als seitdem sie (die Pazifisten) begonnen haben, den Krieg zu bekämpfen.” Und Guesde versucht, diesen “von einer fixen Idee Besessenen” sehr überzeugend nachzuweisen, dass es kein anderes Mittel zur Beseitigung äußerer Kriege gäbe, als die soziale Revolution.51 Er weiß sehr gut, dass die jetzigen Kriege “die letzte und schlimmste Form des Kannibalismus” sind. Aber er weiß auch, dass diese Menschenfresserei nicht mit Hilfe des Pazifismus bekämpft werden kann. Als 1898 die Vorbereitungen zur ersten Haager Konferenz stattfanden, der Jaurès eine so große Bedeutung beimaß, da schrieb Guesde einen Artikel unter dem Titel “Le Tsar s‘amuse”52 (Der Zar amüsiert sich), in dem er die Pazifisten mit bitterstem Hohn überschüttete.

In den Jahren 1885-1892-1898 war Guesde ein Schüler von Marx und Engels. Jaurès aber predigte damals im besten Fall auf französischem Boden die heutigen Lehren von Kautsky. In den Jahren von 1914-1916 wetteifern Guesdismus und Jaurèsismus im Chauvinismus.

Jaurès war vollkommen überzeugt, Guesde durch seine Beschuldigung getötet zu haben, nachdem er vor den guten Bürgersleuten den ganzen “Schrecken” des revolutionären Guesdismus enthüllt hatte. In Wirklichkeit hat Jaurès nur eins offenbart: seine eigene Ohnmacht und seinen eigenen “Konfusionismus”, sowohl in allgemeinen Fragen des Sozialismus als in Fragen der Beziehung des Sozialismus zur auswärtigen Politik.

Jaurès war absolut nicht imstande, das marxistische Verhältnis zur Frage des Krieges in sich aufzunehmen. Was Guesde 1885 predigt, ist nach seiner Ansicht eine “revolutionäre Rechtfertigung des Krieges”,53 die ungeheure Gefahren in sich birgt, es ist ein “revolutionärer Militarismus, ein ‚Sozialismus‘, der gegen den englischen Kapitalismus und die Moskauer Autokratie einen doppelten napoleonischen Krieg führen will”, es ist eine verachtungswürdige “Parodie auf die Vergangenheit”.54 Guesde soll die “Gesetze der Evolution” nicht gekannt haben, er soll nicht gewusst haben, dass, “je umfassender und komplizierter die Probleme sind”, um so “notwendiger ein langwieriges Friedensregime unter den Nationen”55

Jaurès starb am Tage der Proklamierung des imperialistischen Krieges. Französische Imperialisten haben ihn gemordet. Man weiß nicht, wie Jaurès gehandelt haben würde, wenn er das Gemetzel noch miterlebt hätte, das so viele zu Chauvinisten gemacht hat. Jaurès starb auf seinem Posten — als ehrlicher Demokrat, der die Machenschaften der bürgerlichen Minister und Diplomaten stets aufzudecken bereit war.

Ein schlimmeres Schicksal war Guesde beschieden. In seinen alten Jahren hat er sich dem gebeugt, was er früher so sehr bekämpfte. Es ist auf die Seite der Sozialchauvinisten übergegangen.

*

Der französische Sozialismus hat nie durch konsequentes Festhalten der politischen Linie, durch strenge Befolgung der Marxistischen Theorie geglänzt. Außerdem musste in Frankreich, kraft seiner ganzen Geschichte, die Tradition der nationalen Kriege besonders stark sein. Hier war der Boden für die Überlieferungen der Verteidigungs-Ideologie, der “gerechten” Kriege besonders günstig. Und hier kultivierte die Bourgeoisie mit besonderer Beharrlichkeit diese Tradition einer überlebten Epoche. Sie brauchte sie dringend, sowohl für die Rechtfertigung ihrer breit angelegten imperialistischen Politik als für die Unterstützung der Idee der Revanche gegen Deutschland.

Und trotzdem gab es vor Kriegsausbruch 1914 im Lager des französischen Sozialismus kein einheitliches Verhältnis zum Kriterium des Verteidigungskriegs.

Stets und konsequent haben die Theorie des Verteidigungskriegs nur die Opportunisten, die späteren “Unabhängigen” (Anhänger Millerands) verteidigt.

Auch Jean Jaurès hat neben dem Pazifismus die Idee der Vaterlandsverteidigung vertreten. Und das steht in logischer Verbindung mit dem Pazifismus. Der Pazifismus sieht alle möglichen Perspektiven, bis auf eine: die Perspektive des Bürgerkriegs, die Perspektive der Revolution. Er predigt stets und ständig den Frieden. Aber sobald der Frieden verletzt ist, sobald der Krieg begonnen hat, da sieht er keinen anderen Weg als die “Vaterlandsverteidigung”. Und nach Beendigung eines Krieges predigt er, in Erwartung des nächsten, wiederum nicht die Revolution, sondern den Frieden. Vom Pazifismus zum Sozialchauvinismus und vom Sozialchauvinismus wieder zum Pazifismus, über diesen Circulus vitiosus geht der Gedanke dieses größten Sozialisten und Pazifisten nicht hinaus, weil er nicht die Umwandlung des imperialistischen Kriegs in den Bürgerkrieg anstrebt. Der Jaurèsismus als Richtung hat stets die Idee der Vaterlandsverteidigung und folglich auch die Theorie des Verteidigungskriegs vertreten. Vom rechten Flügel innerhalb des Jaurèsismus lohnt es kaum zu sprechen. Pressensé, Gerault-Richard in “La Petite République”, (als diese Zeitung noch sozialistisch war) und in der “L‘Humanité” — Viviani (noch als er Genosse und nicht Minister war) — haben als Sozialisten und Patrioten die Theorie des Verteidigungskriegs eifrig verteidigt.56

Aber schon Jaurèsisten wie Sembat (später Minister) sind, als die imperialistische Politik in Frankreich in Blüte stand, nicht mehr so “patriotisch” aufgetreten. Als zwischen der französischen Regierung und der türkischen ein Konflikt ausbrach, weil diese die Finanzclique mit den Kaufleuten Lorandot und Tubini an der Spitze “beleidigt” hatte, da hielt Sembat in der Kammer eine flammende Rede, in der er sagte: “300.000 getötete Armenier rühren euch nicht. Aber wenn zwei Großfinanziers um 300.000 Francs zu kurz kommen, dann seid ihr bereit, einen Krieg zu beginnen.”57

Ein Sozialist, der so sprach, konnte natürlich nicht einen Krieg gegen die Türken unterstützen, selbst wenn ihn die Bourgeoisie als Verteidigungskrieg darstellen sollte.

Einen besonders scharfen Kampf gegen den “sozialistischen Patriotismus” führten Guesde und die französischen Marxisten überhaupt. Niemand brandmarkte den Patriotismus mit soviel Sarkasmus wie Lafargue (s. sein Pamphlet über den Patriotismus) und Guesde. Die Guesdisten bekämpften gerechterweise den flachen “Antipatriotismus” des Hervé von früher. Aber auch den Sozialpatriotismus schonten sie nicht.

Seit 1901 gaben die Guesdisten zusammen mit den Blanquisten (Vaillant) jährlich zur Zeit der Rekrutierung neuer Soldaten eine besondere Zeitung, .‚Le Conscrit” (“Der Rekrut”) heraus. In dieser Zeitung führten sie einen heftigen Kampf gegen die so genannte Vaterlandsverteidigung. “Rekrut, man hält dich für ein gehirnloses Schaf! Der Proletarier hat kein Vaterland! Er hat nur einen Feind: den Bourgeois und seine Brüder, seine Helfer in der Unterdrückung. Das musst du wissen und darfst du nicht vergessen!” —- so schrieben die Anhänger Guesdes und Vaillants 1905 in der genannten Zeitung.58

Man kann nicht behaupten, dass nicht auch die Guesdisten dem “patriotischen” Jaurèsismus Zugeständnisse gemacht hätten, aber im allgemeinen war der Marxistische Flügel der französischen Partei — besonders vor der Vereinigung mit den Opportunisten im Jahre 1904 — frei von Pazifismus und Sozialchauvinismus.

Und es hat auch in der französischen Arbeiterbewegung warnende Stimmen gegeben, die direkt darauf hinwiesen, dass die Parole des “Verteidigungskriegs” nur dem Betrug der Arbeiter durch die Bourgeoisie diente. In dieser Beziehung gebührt die Ehrenstelle dem glänzenden Pamphlet ‚‚La Guerre qui vient”, das aus der Feder Francis Delaisis stammt, und in Paris im Mai 1911 erschien. In einer ganzen Reihe sehr wichtiger Punkte sind die Voraussagungen, die Delaisi drei Jahre vor dem Krieg gemacht hat, Wort für Wort richtig gewesen.

Die ganze internationale Diplomatie — sagt Delaisi — befindet sich jetzt “voll und ganz in den Händen eines Häufleins von Finanziers und Industriellen und arbeitet nur im Interesse ihrer auswärtigen Anleihen und Geschäfte. Die Gesandten der großen Staaten sind nichts als Agenten von großen Banken und großen Handelshäusern… . Eine kleine Sippe von Geschäfts- und Finanzleuten kann einen Krieg beginnen und unser Vaterland in ein gefährliches Abenteuer stürzen Unsere (französischen) Finanzkönige verkaufen ihren englischen Kollegen das Leben von Hunderttausenden von Franzosen für einige türkische Eisenbahnkonzessionen … Natürlich wird das militärische Übereinkommen zwischen Frankreich und England als “defensives” erklärt werden … Man wird den Franzosen mit Hilfe der Phrasen über “nationale Ehre”, über die ‚‚höchsten Interessen des Vaterlandes und der Zivilisation” Sand in die Augen streuen … Aber heute sind alle Kriege defensiver Art. Fragt einen Franzosen, wer 1870 die angreifende Partei gewesen ist — er wird mit absoluter Sicherheit sagen, dass es Bismarck war, der die Emser Depesche fälschte. Stellt dieselbe Frage an einen Deutschen, und er wird sagen, dass Napoleon III., der zuerst den Krieg erklärte, die angreifende Partei war … Wenn ein Krieg ausbricht, so bedeutet es aber in Wirklichkeit, dass beide feindlichen Regierungen ihn gewollt haben.”

Wenn die französischen und englischen Imperialisten den Krieg endgültig vorbereitet haben werden — schreibt dann prophetisch der Verfasser —‚ dann werden wir am nächsten Tage in allen Zeitungen in metergroßen Lettern die verhängnisvollen Worte gedruckt sehen:

Die belgische Neutralität ist verletzt!”

Die deutsche Armee marschiert auf Lilie” usw.59

Der Verfasser richtet an die Sozialisten den flammenden Appell, die Legenden des “Verteidigungskriegs” zu bekämpfen, die die Bourgeoisie aller Länder nur braucht, um das Volk zu betrügen, um die Arbeiter und Bauern zu zwingen, mit Begeisterung ihr Blut für die Sache eines Häufleins von Kapitalmagnaten zu vergießen. Mehrere Jahre vor dem Krieg prophezeit der Verfasser, die sozialistischen Arbeiter würden, wenn sie sich nicht vorbereiteten, dem kommenden Krieg wie es ihm gebührt zu begegnen, in allen Ländern von den Imperialisten, die immer und überall schreien würden, dass ihr “Vaterland” nur einen “Verteidigungskrieg” führe, in gleicher Weise betrogen werden.

Aber als der Krieg kam, und alle Prophezeiungen Delaisis in Erfüllung gingen, da zeigte es sich, dass die offizielle französische Sozialistische Partei nicht im Lager der Gegner des imperialistischen Krieges, sondern im Lager seiner Anhänger stand.

Das war nun einmal das Schicksal der staatstreuen “sozialistischen” Parteien der II. Internationale.

1 Jean Jaurès, “Die Idee des Friedens und der Solidarität des Proletariats”, 1905.

2 Jaurès zeigt sich in diesen Worten als retrospektiver “Defätist”. Er anerkennt, dass die Franzosen ihre Republik nicht errichtet haben würden, wenn nicht der Krieg 1870/71, d. h., die Niederlage des Bonapartistischen Frankreichs vor 35 Jahren, vorangegangen wäre (denn ein Sieg würde den Bonapartismus natürlich nur gestärkt haben).

3 Näheres über die Grundlagen dieser Annäherung siehe in anderen Kapiteln unserer Arbeit.

4 Jean Jaurès, “Die Idee des Friedens und der Solidarität des Proletariats”, 1905.

5 “Berliner Tageblatt”, 37. Jhrg., Nr. 346, vom 10. Juli 1908.

6 Rosa Luxemburg “Offener Brief an Jean Jaurès”, “Neue Zeit”, 1908, II, S. 592. [Gesammelte Werke, Band 2, S. 240-245, hier S. 245]

7 “Les causes de la guerre”, Discours de Jean Jaurès, Avenir socialiste, Lyon, 1 Aout 1914, Imprimerie speciale de la Fédération du Tonneau. Diese Rede wird auch von Charles Rappoport in seinem Buch: “Jean Jaurès, L‘homme, le Penseur, le Socialiste”, Paris, 1915, im Wortlaut angeführt.

8 a.a.O.

9 Jean Jaurès, “L‘Armée Nouvelle”, Paris, 1911, S. 675 u. a.

10 “Jean Jaurès, L‘Homme, le Penseur, le Socialiste”, von Ch. Rappoport, Paris, 1915, S. 273 f.

11 a.a.O., S. 275

12 a.a.O., S. 286

13 a.a.O., S. 311

14 “Schafft euch einen König an oder schließt Frieden.”

15 Marcel Sembat, “Faites un roi, sinon faites un paix”, Paris, Eugène Fiquière et C-ie, S. 90f.

16 a.a.O., S. 76f.

17 a.a.O., S. 257

18 a.a.O., S. 258

19 a.a.O., S. 218.

20 a.a.O., S. 220.

21 a.a.O., S. 259f.

22 a.a.O., S. 106.

23 a.a.O., S. 109.

24 a.a.O., S. 110.

25 a.a.O., S. 121.

26 a.a.O., S. 122.

27 a.a.O., S. 123.

28 a.a.O., S. 226

29 a.a.O., S. 220

30 a.a.O., S. 180f.

31 a.a.O., S. 202.

32 a.a.O., S. 280.

33 a.a.O., S. 211ff.

34 a.a.O., S. 161, 163

35 a.a.O., S. 36.

36 a.a.O., S. 41.

37 a.a.O., S. 49.

38 a.a.O., S.88.

39 a.a.O., S. 260.

40 a.a.O., S. 246-49.

41 a.a.O., S. 128.

42 a.a.O., S. 124

43 a.a.O., S. 230

44 “Revision et Revisionistes”, Guy de Lubersac, “l‘Echo de Paris”, Nr. 10859.

45 Ein Teil des Manuskripts über Guesde ist in den Julitagen 1917 verloren gegangen.

46 Vergl. Ch. Rappoport, “J. Jaurès”, S. 38.

47 Rappoport, S. 389.

48 a.a.O., S. 390

49 “Le socialisme et le radicalisme en 1885, par Jean Jaurès, S. 113-123. “Discours parlementaires”, Paris, 1904, I. Band.

50 “Le socialisme et le radicalisme en 1885, par Jean Jaurès, S. 116-117. “Discours parlementaires”, Paris, 1904.

51 “Le Socialiste”, 31. Juillet 1892, “En Garde”, Paris 1911, S. 177f.

52 a.a.O., S. 179-182

53 Jean Jaurès, “Le socialisme et le radicalisme en 1885” S. 123.

54 a.a.O., S. 132.

55 a.a.O., S. 131

56 Man sehe Muster der opportunistisch-patriotischen Reden dieser Politiker im Buch Hervés, “Leur Patrie”, S. 114, 249, 251 (Züricher Ausgabe)

57 In Beantwortung dieser Rede sprach Delcassé das klassische Wort aus: “Wir haben zur Genüge die Rolle des Don Quichotte gespielt.” Mit anderen Worten: er anerkannte, dass die Interessen eines Häufleins von Kapitalmagnaten den imperialistischen Regierungen näher stünden als die Frage der Freiheit der Armenier und ähnliche Fragen, die nur Don Quichottes zu interessieren vermöchten.

58 Zitiert bei Hervé, S. 223

59 Francis Delaisi, “La Guerre qui vient”.

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