ANSTATT EINES VORWORTS.

ANSTATT EINES VORWORTS.

Wir schreiben diese Zeilen am zweiten Jahrestage des Krieges. Vieles möchte man an diesem Tage dem Leser und dem Freunde sagen. Aber …

Beschränken wir uns auf einige aufklärende Bemerkungen über den Plan, der vorliegender Arbeit zugrunde liegt.

Das Buch erscheint in drei einzelnen Bänden, von denen jeder ein mehr oder weniger vollendetes Ganzes darstellt.

Vor dem Leser liegt der erste Teil des ganzen Werkes hauptsächlich historischen Inhalts. Wir hoffen aber, dass auch Tagesinteressen darin berührt worden sind. Vor allem war es notwendig, den prinzipiellen Unterschied zwischen den Kriegen zweier Epochen — der nationalen und der imperialistischen — festzulegen. Das Verhalten der Vertreter der revolutionären Sozialdemokratie während der ersten Epoche und zu Beginn der zweiten soll hier gekennzeichnet werden.

Der zweite Teil ist speziell dem Imperialismus und der Zweiten Internationale gewidmet.

Der dritte Teil, der ebenso wie der zweite hoffentlich in allernächster Zeit erscheinen wird, behandelt den Zusammenbruch der Zweiten Internationale und das Verhalten der sozialdemokratischen Parteien während des Krieges 1914—1916. Er enthält folgende neun Kapitel: 1. Die Sozialdemokratie während des Krieges; 2. Der Opportunismus und Sozialchauvinismus; 3. Vom Pazifismus und vom Verhältnis des Marxismus zum Pazifismus; 4. Von Bernstein zu Kautsky; 5. Die Ursachen des Zusammenbruchs; 6. Zwei Zeitalter; 7. Die Theorie der gegenseitigen Amnestie; 8. Beginn einer neuen Zeit; 9. Was weiter?

Die ganze Arbeit ist größtenteils aufzufassen als ein Kommentar zu den Grundthesen die schon im September 1914 von der sozialistischen Richtung aufgestellt worden sind; zu der der Verfasser dieser Zeilen gehört.

Wir sprechen ganz offen vom Zusammenbruch der Zweiten Internationale, obgleich wir damit die Schadenfreude unserer Feinde hervorrufen. Aber auszusprechen, was ist, ist die erste Pflicht des Marxisten. Man muss der Wahrheit ins Auge sehen —— wie schwer diese Wahrheit auch zu tragen ist…

Wie schwierig die Lage auch sein mag, durch Meditationen über das Thema „alles ist in Ordnung“ kann keine Abhilfe geschaffen werden. Ohne zu optimistisch zu sein, müssen wir feststellen: am Ende des zweiten Kriegsjahres sieht alles schon viel weniger trostlos aus als in den Jahren 1914 und 1915. Aber — über den Beginn der neuen Zeit sprechen wir ja im dritten Teil ausführlich.

Hier muss noch eins gesagt werden.

Viel, sehr viel hängt davon ab, wie sich die Dinge innerhalb der deutschen Sozialdemokratie weiter entwickeln werden. Augenblicklich ist sie durch die Geschehnisse vollkommen aufgewühlt. Eine einige deutsche Sozialdemokratie gibt es nicht mehr. Liebknecht und Scheidemann — sind Vertreter zweier verschiedener Klassen. Eine vollkommene, scharf umrissene, endgültige Spaltung in der deutschen Sozialdemokratie wird der Bewegung nicht nur innerhalb Deutschlands von großem Nutzen sein, sondern für alle anderen Länder Bedeutung haben. Ein neues Kompromiss, die weitere „Einigkeit“ wird einen langen Stillstand und einen quälenden Fäulnisprozess bedeuten. Zwei unversöhnliche Lager stehen einander fast überall — selbst in neutralen Ländern gegenüber. Früher oder später werden sich die Liebknechts aller Länder gegen die Scheidemänner aller Länder verbünden, die neue, die Dritte Internationale wird aufgebaut werden…

Noch zwei Worte: Der Verfasser kennt die Mängel seiner Arbeit. Er bittet den Leser, daran zu denken, dass die Schuld für diese Mängel nicht allein den Verfasser trifft ... Die Zeit wird kommen, wo diese Mängel werden beseitigt werden können.

Der befreundete Leser wird uns verstehen.

Hartenstein/Schweiz, den 4 . August 1916.

G. S.

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