G. Sinowjew 19141205 In Menschikows Spuren

G. Sinowjew: In Menschikows Spuren1

[„Sozialdemokrat", Nr. 34. Nach Lenin/Sinowjew, Gegen den Strom, 1921, S. 16 f.]

In „Nowoje Wremja" veröffentlicht Judas Menschikow den 66. Artikel – jeder einen halben Kilometer lang – unter dem Sammeltitel: „Wir müssen siegen." In der quasi-marxistischen Zeitschrift „Sowremenny Mir" druckt der „Marxist" Jordanski einen Aufsatz unter dem nicht minder „patriotischen" Titel: „Es werde Sieg."

Laut dem „Marxisten'' Jordanski wird „die Beteiligung Russlands an diesem Kriege von den Lebensinteressen des Landes diktiert" und keineswegs von den imperialistischen Gelüsten der herrschenden Schichten. Die Regierung Nikolai Romanows, heißt es, verficht „die Sache der Zivilisation und des Fortschritts" (buchstäblich) und keineswegs irgendwelche dynastische Interessen. „Wir müssen siegen!", weil, wohlgemerkt, „weder die Vernunft noch das Gefühl" Herrn Jordanski auf die Voraussetzung bringen, „der große Krieg" könnte für „uns" ein trauriges Ende nehmen.

Russland muss siegen im Interesse der Zivilisation und des Fortschritts", denn „der Sieg Deutschlands über Russland kann das Werk Peters des Großen zunichte machen" … „Die Industrie Russlands kann in Fesseln geraten" usw.

Und man rede Herrn Jordanski nicht von irgendeiner russischen Gefahr, davon, dass die Monarchie der Romanow stets die Rolle des internationalen Gendarmen gespielt hat, dass ein äußerer Sieg der zaristischen Monarchie sich als härteste Reaktion in ganz Europa bemerkbar machen würde. Man komme Herrn Jordanski mit derartigen Dingen nicht. Er weiß ja wohl, dass all das einfache Hirngespinste sind, dass die internationale Politik des Zarismus in Wirklichkeit reiner sei als der Schnee auf den Alpengipfeln. „Die russische Gefahr," erklärt Herr Jordanski, „ist einfach eine politische Legende." … „In den letzten 25 Jahren hat Russland im Bestreben, nach dem Vorbild der anderen Mächte eine Kolonialpolitik zu entfalten, absolut nicht nach einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Staaten gestrebt, was man von Österreich und um so weniger von Deutschland nicht behaupten kann."

Absolut nicht gestrebt! Man lüge, aber mit Maßen… Selbst Menschikow könnte etwa leugnen, dass z. B. der nicht unbekannte Überfall auf das persische Parlament eine unzweideutige „Einmischung" der Zarenbande in die „inneren Angelegenheiten" Persiens war…

Kann man sich dann nach diesen Perlen wundern, wenn derselbe Jordanski weiter von der Lösung der polnischen Frage spricht, „deren Grundlagen im Aufruf des Höchtskommandierenden vorgezeichnet sind", und wenn er, Menschikows Stil übernehmend, die zaristische „Kriegerarmee" besingt, die „festen Schrittes zu ihrem Ziele schreite"?

Das ist halt der „Marxismus" einiger unserer Intellektuellen. Ein würdiger Schüler Plechanows – jenes neuen Plechanow, des Plechanow „patriotischer" Marke, den jetzt fast die ganze chauvinistische Presse Russlands beweihraucht!

Schämen Sie sich, Herr Jordanski! Schande jenen Literaten (z. B. A. Finn-Jenotajewski), die zu dem chauvinistischen Geschreibsel Jordanskis Ja und Amen sagen! Das, was Ihr Herren predigt, ist nicht Marxismus, sondern waschechter Nationalliberalismus und mitunter sogar noch Schlimmeres: die reinste Philosophie eines Menschikow…

Es erübrigt sich noch hinzuzufügen, dass in Westeuropa mit einer Predigt à la Menschikow-Jordanski unser beinahe-Hervé, Alexinski hervortritt. Zu gleicher Zeit tritt Alexinski, wie es auch zu erwarten war, als Deuter der neuesten „patriotischen" Auffassungen des Herrn Plechanow auf. Und die neue Sozialrevolutionäre Zeitung in Paris (sie heißt „Der Gedanke" („Mysl"), sie sollte aber eigentlich „Die goldene Mitte" oder „Leeres Stroh dreschen" heißen) polemisiert kühn gegen die Auffassung Jordanskis, aber verstummt mutig, wenn dieselben nationalliberalen Ansichten von dem Leader der Partei der Sozialrevolutionäre, dem Herrn Rubanowitsch verzapft werden. …

5. Dezember 1914.

G. Sinowjew.

1 Ein bekannter Mitarbeiter des reaktionären „Nowoje Wremja" unter dem Zaren.

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