G. Sinowjew 19150303 Marodeure

G. Sinowjew: Marodeure

[„Sozialdemokrat", Nr. 39. Nach Lenin/Sinowjew, Gegen den Strom, 1921, S. 57-64]

Wir sprechen nicht von jenen Leichenschändern, die, sobald der Kanonendonner verstummt, das leichenbedeckte Schlachtfeld absuchen, um den erschlagenen Soldaten die Stiefel auszuziehen. Wir sprechen von einer anderen Sorte, von den Marodeuren der Literatur.

In letzter Zeit sind viele Räuber der Feder aufgetaucht, die geneigt sind, die Sache so darzustellen, als ob der jetzige Zusammenbruch des deutschen Opportunismus eigentlich nichts anderes sei als der Zusammenbruch der Ideen von Marx und Engels selber, ein Zusammenbruch des ganzen wissenschaftlichen Sozialismus. Dazu müssen die genannten Herren „beweisen", dass sowohl Marx wie Engels … Chauvinisten waren.

So „beweist" Herr Peter Struve im Organ des Petrograder Nationalliberalismus, in den „Birschewija Wjedomosti", dass Marx stets ein Slawophobe war, und dass die jetzigen Südekums nur das geistige Vermächtnis von Marx erfüllen. So sinkt das Blättchen der Sozialrevolutionäre, „Mysl", zum Niveau der „Birschewija Wjedomosti" herab, indem es eine Reihe von Aufsätzen des Herrn J. Gardenin bringt, der gewissenlos die Karten vertauscht (und dabei noch nicht einmal sehr kunstreich), um dieselbe These zu „beweisen", dass der geistige Vater Südekums … Karl Marx sei.

Diese Version kommt den deutschen Sozialchauvinisten selber höchst gelegen, die den Arbeitern vormachen möchten, dass sie „nach Marx" arbeiten. Und sogar die Auguren der „großen" europäischen Presse (vergl. die Artikel in der „Frankfurter Zeitung") halten es nicht für unvorteilhaft, im Publikum diese Auffassung über Marx und Engels zirkulieren zu lassen, um den jetzigen Südekums und Scheidemännern zu Hilfe zu kommen.

Unter diesen Umständen ist es nicht überflüssig, die Argumente dieser literarischen Marodeure zu untersuchen. Um die russische Abart dieser ehrwürdigen Spezies herauszugreifen, wollen wir bei den erwähnten Artikeln des Herrn J. Gardenin in der „Mysl" verweilen (s. Nr. 13, 16 und 50).

Es handelt sich um die Haltung von Marx und Engels während des Krieges von 1870/71. Herr Gardenin formuliert seine Anschuldigungen gegen die Schöpfer des wissenschaftlichen Sozialismus in sechs Punkten. Wir zitieren sie ganz: „1. Entgegen dem wahren Sachverhalt beharrten sie (Marx und Engels) darauf, dass Frankreich und nicht Deutschland die Schuld am Kriege trage und angegriffen hätte; 2. wünschten sie ganz bestimmt den Sieg Deutschlands herbei; 3. dass ein solcher Sieg erwünscht sei, begründeten sie theoretisch gerne „unter dem Gesichtswinkel des Proletariats"; 4. beim weiteren Zusammenstoß stellten sie sich am wenigsten auf die Seite der französischen Republik, die sie gar nicht ernst nahmen und en canaille behandelten; 5. ihre Opposition gegen die Abtrennung von Elsass-Lothringen war im hohen Grade platonisch und gemäßigt und keineswegs „erbittert", und schließlich, 6. zu den Projekten der Proklamierung der Pariser Kommune und ähnlichen revolutionären Kampfesmethoden verhielten sie sich höchst negativ, solange sie nicht im Leben verwirklicht wurden." Und daraus zieht Herr Gardenin den Schluss: „Der Sündenfall ist nicht bei ihnen (den Südekums) zu suchen, sondern bei ihren geistigen Ahnen" (d. h. bei Marx und Engels).

Marx betrachtete den Krieg 1870/71 als einen der letzten (oder den letzten) der großen Nationalkriege in Europa. „Dieser Krieg", schreibt er an Engels im Brief vom 8. August 1870, „hat schließlich zur Verwirklichung der ,nationalen' Aufgaben von 1848 (Ungarn, Italien, Deutschland) geführt". Es fragt sich: Ist diese Auffassung Marx' zutreffend oder nicht?

Jeder Sozialist wird natürlich zugeben, dass diese Auffassung richtig war, dass der Krieg von 1870/71 in der Tat die Ära der nationalen Konsolidierung der großen europäischen Staaten abgeschlossen hat, dass er Deutschland vereint und dadurch eine große geschichtliche fortschrittliche Aufgabe erfüllt hat. Dadurch unterschied sich der Krieg von 1870/71 grundsätzlich von dem typisch imperialistischen Kriege 1914/15. Der Krieg von 1870/71 hat das erste Stadium der kapitalistischen Entwicklung in Europa abgeschlossen. Der Krieg von 1914/15 eröffnet den Abschluss seines letzten Stadiums. 1870/71 hatten wir das Ende vom Anfang, 1914/15 erleben wir den Anfang vom Ende. Denn der Imperialismus ist in seinen jetzigen Dimensionen das letzte Stadium des Kapitalismus, da er sich im nationalen Rahmen beengt fühlt und die letzten Anstrengungen macht, um sich der Entwicklung der Produktivkräfte anzupassen, die zur sozialistischen Revolution führt.

Das ist der „geringe" Unterschied zwischen dem Krieg von 1870/71 und dem von 1914/15. Es ist klar, dass die Haltung der Sozialisten in diesen beiden Kriegen nicht die gleiche sein kann. Die Sozialisten sind nur in gleichem Maße verpflichtet, jetzt Sozialisten zu bleiben wie sie es vor 44 Jahren geblieben waren.

Marx und Engels beurteilten die ganze konkrete Lage vom Standpunkt des internationalen Proletariats und sagten: Für uns, Arbeiter aller Länder, ist eine Niederlage Frankreichs im Kriege 1870/71 vorteilhaft. Warum? Aus zwei Gründen: 1. dann wird das Kaiserreich Louis Napoleons fallen, das Frankreich würgte und zugleich als Stützpunkt der schwärzesten Reaktion in ganz Europa diente; 2. dann wird, selbst falls in Deutschland die Revolution nicht stattfinden und eine Vereinigung Deutschlands von unten nicht eintreten wird, jedenfalls eine Vereinigung Deutschlands wenigstens von oben, sei es auch nur auf Bismarcksche Art, sich vollziehen und das wird für die deutsche Arbeiterbewegung eine neue Basis schaffen, das wird dem Wachstum des Sozialismus in der ganzen Welt einen Ruck geben.

Es fragt sich: war diese Auffassung richtig oder falsch? War die Einschätzung der Lage durch Marx und Engels richtig oder nicht?

Natürlich richtig!

Man konnte damals mit Marx und Engels dem Wesen nach streiten, man konnte finden, dass ihre ganze Beurteilung der Mächtegruppierungen unrichtig war, dass die Lage ganz anders aussah, als sie glaubten u. a. m. Aber konnte man ihnen Chauvinismus bloß deshalb vorwerfen, weil sie eine Niederlage Frankreichs wünschten? Mitnichten! Während des russisch-japanischen Krieges wünschte die ganze Internationale eine Niederlage Russlands, denn sie glaubte, dies liege im Interesse des ganzen internationalen Proletariats. Nun, machten sich denn die Sozialisten aller Länder damals des antirussischen Chauvinismus schuldig?

Aber Marx und Engels sollen Frankreich für den Angreifer gehalten haben. Herr Gardenin, der diese „Anschuldigung" aufstellt, zeigt dadurch nur den ganzen Abgrund seines „subjektivistischen" Stumpfsinns.

Was will er Marx und Engels vorwerfen? Dass sie im Moment der Ereignisse übersahen, dass vom Standpunkt der diplomatischen Geschichte des Krieges die angreifende Seite nicht Frankreich, sondern Preußen war, obwohl bekanntlich auch Bonaparte nicht wenig provozierte? Ja, Bismarck gelang es, nicht nur alle bürgerlichen Politiker, sondern selbst die Sozialisten (teilweise sogar Bebel und Liebknecht) zu täuschen. Ja, auch Marx und Engels selbst hielten in jenem Moment Bonaparte für den Angreifer. Aber interessiert sich denn Herr Gardenin für die diplomatische Seite der Frage? Oder für etwas Wichtigeres?

Jaurès schrieb seine Geschichte des deutsch-französischen Krieges drei Jahrzehnte nach den Ereignissen, und selbst er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wer mehr den Krieg provoziert hatte, wer im letzten Moment mehr „herausforderte". Nach dem preußischen Sieg über die Österreicher (1866), als Napoleon III. von Bismarck ohne die versprochenen Kompensationen gelassen wurde, musste der französische Bonapartismus den Krieg suchen als „Revanche für Sadowa". Nach dem Konflikt von Luxemburg, 1867, als Louis Napoleon wieder nichts bekam, musste dieses Bestreben noch zunehmen. Napoleon III. konnte sich in Frankreich nur durch eine erfolgreiche Außenpolitik halten. In den Jahren 1868/69 beginnt auf dem Boden der Misserfolge in der Außenpolitik ein Zerfall im bonapartistischen Lager selbst. Der Bonapartismus sieht sich gezwungen, alles aufs Spiel zu setzen – sonst konnte er sich im Lande nicht halten. Er verliert immer mehr den Boden unter den Füßen, wird nervös. Und – gerät in die Falle Bismarcks: treibt den zufälligen Konflikt wegen des spanischen Thronfolgers auf die Spitze und erklärt zuerst Preußen den Krieg.

In seiner unvollendeten Arbeit: „Gewalt und Ökonomie" (in der „Neuen Zeit" 1895/96) beschreibt Engels jene Ereignisse und erkennt an, dass es Bismarck gelungen war, Bonaparte eine Falle zu stellen und dass vom Standpunkt der diplomatischen Geschichte dadurch auch der Irrtum bei der Bestimmung des unmittelbaren Angreifers erklärt wird. Engels sieht die Erklärung dafür darin, dass auch Napoleon aus der ganzen Sachlage heraus den Krieg wünschen musste. Unter anderem auch deshalb, weil er damals auf die Unterstützung Österreichs (Revanche wegen 1866), Dänemarks (Revanche für Schleswig-Holstein) und sogar Italiens hoffte. Aber für Marx und Engels waren, wie für alle materialistischen Sozialisten keineswegs die diplomatischen Details, die dem Kriege vorangingen, ausschlaggebend.

Der objektive historische Prozess der langen, seit Beginn des 19. Jahrhunderts währenden Befreiung Deutschlands von der mittelalterlichen Zersplitterung, Stagnation und Unterdrückung durch die französischen Könige und Kaiser bis zu Napoleon III., – das war es, was in den Augen von Marx und Engels die dominierende Bedeutung hatte. Dieser Prozess existiert nicht für die soziologischen Hanswurste unter den Narodniki.1

Statt des objektiven Kriteriums – Krieg als Ausfluss der fortschrittlichen bürgerlich-demokratischen Bewegung des deutschen Volkes – nehmen die Hanswurste das subjektive Kriterium: wer den andern überlistet habe, wer dem anderen zuvorgekommen sei.

Napoleon III. hielt lange Zeit nicht nur Frankreich, sondern auch ganz Europa in Unterdrückung, er hinderte die Vereinigung Deutschlands. Dieser Unterdrückung ein Ende zu machen, sei es auch durch einen Krieg, war eine notwendige, wichtige, historisch fortschrittliche Sache. Das verstehen Sie nicht, Herr Gardenin? Wie alle Kleinbürger, meinen Sie, dass jeder Krieg schlimm, schädlich, reaktionär sei, dass z. B. ein Überfall des heutigen Indiens oder Chinas auf Russland oder England nicht historisch fortschrittlich wäre, nicht die Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit von 700 Millionen Menschen gegen das Joch der Räuberbanden Nikolaus II., Georg V. u. Co. bedeuten würde?

Marx und Engels konnten 1870 nicht wissen, wie geschickt Bismarck die harmlosen Diplomaten hinters Licht führte. Aber man kann darauf wetten, dass, wenn sie es gewusst hätten, sie dem Wesen nach ihre Beurteilung des Krieges 1870/71 keineswegs geändert hätten und auch in diesem Fall bedingungslos für eine Niederlage Frankreichs wären.

Denn, wie gesagt, nicht die Frage, wer im letzten Moment angegriffen hat und wer sich „wehrte", war für sie ausschlaggebend, sondern etwas viel wesentlicheres.

Marx und Engels hielten mit Recht den Krieg von 1870/71 für einen nationalen Krieg. Und dennoch – zogen sie daraus irgendwelche chauvinistische Schlüsse? Keineswegs.

Am 23. Juli 1870 erscheint gleich, nach Kriegserklärung, die von Marx verfasste Adresse des Generalrats der Internationale. Wen geißelt Marx darin? – Den preußischen Despotismus! Wozu ruft er die Arbeiter Deutschlands auf? – Zur brüderlichen Solidarität mit den französischen Proletariern.

Am 9. September 1870, gleich nach Sedan, erscheint die Adresse, die ebenfalls von Marx verfasst wurde. Womit beschäftigt sie sich? Mit einer leidenschaftlichen Agitation gegen die Annexion von Elsass-Lothringen, einer Predigt der Solidarität mit der französischen Republik, einer scharfen Kritik der preußischen Monarchie und dem Appell an die Arbeiter aller Länder, im internationalen Geiste zu wirken.

In Deutschland gab es damals Sozialchauvinisten. Das war J. B. Schweitzer und seine Gruppe, die zuerst für die Kriegskredite stimmte usw. Nun, erklären sich Marx und Engels mit ihnen solidarisch? Mitnichten! Im Brief vom 28. Juli 1870 (Briefwechsel, Band IV, Seite 301) schreibt Marx an Engels:

Glücklicherweise geht diese ganze Demonstration von der Mittelklasse aus. Die Arbeiterklasse, mit Ausnahme der direkten Anhänger Schweitzers, nimmt keinen Teil daran. Glücklicherweise ist der war of classes in beiden Ländern, Frankreich und Deutschland, so weit entwickelt, dass kein Krieg abroad das Rad der Geschichte ernsthaft rückwälzen kann."

Ist das die Sprache eines Südekum, Herr Gardenin?

Als die englische Oligarchie eine Agitation für den Eintritt in den Krieg Englands zur Unterstützung Preußens beginnt, wendet sich Marx scharf dagegen (siehe seinen Brief vom 1. August) und droht der englischen Bourgeoisie mit einem Aufstand des englischen Volkes.

Ist das die Handlungsweise der heutigen Südekums?

Marx und Engels betrachteten mit Recht den Krieg von 1870/71 als einen nationalen Krieg. Aber bedeutet denn das, dass sie den deutschen Sozialisten empfahlen, Bismarck zu unterstützen und z. B. für die Kriegskredite zu votieren? Aber keinesfalls, sie billigen die Haltung Bebels und Liebknechts, die von Anfang an für diese Kredite nicht gestimmt hatten. Sie beschwören die Mitglieder des Braunschweiger Komitees (ehemalige Lassalleaner, die schwankten) ebenso zu handeln. „Marx stellte sich auf unsere Seite", schreibt Bebel in einem Brief 1870 (siehe Hochverratsprozess S. 240). „Marx' Brief hat mich endgültig überzeugt", erkennt auch die andere Seite an, d. h. Bracke, der Hauptvertreter der Braunschweiger (ebenda S. 406).

Marx und insbesondere Engels wandten sich gegen W. Liebknecht, der mitunter in seiner Agitation darauf kam, als alleinige Losung den „Antibismarckismus" zu erklären.* Darin hatten sie völlig recht, und unrecht hatte Liebknecht, als er die Tatsache nicht berücksichtigen wollte, dass der Krieg 1866 die Frage gegen Österreich entschied, als er nach wie vor in Austrophilie und in ein sentimentales Sympathisieren mit den deutschen Kleinstaaten in seiner Opposition gegen Bismarck verfiel. Freilich, während des Krieges 1870/71 versündigte sich Liebknecht darin viel weniger, als in den Jahren vor dem Kriege. Nicht umsonst verteidigte ihn Marx während dieser Zeit mitunter gegen Engels. Aber jedenfalls wurde diese Diskussion keineswegs auf der Linie des Nationalismus und Internationalismus geführt.

Marx und Engels seien „platonisch" gegen die Abtrennung Elsass-Lothringens gewesen! Welch schamlose Lüge! In den vielen Briefen des Jahres 1870 nennen sowohl Marx wie Engels diese Annexion „das größte Unglück für ganz Europa und insbesondere für Deutschland". Marx prophezeit von Anfang an, dass dies unsagbares Unglück bringen würde. In den beiden Adressen der Internationale wird die Annexion mit geradezu feurigen Worten gebrandmarkt.

In den folgenden Aufsätzen Engels', (1888, 1890, 1891) findet er nicht Ausdrücke genug, die stark genug wären, um seine Empörung über diese Vergewaltigung auszudrücken.

Marx und Engels hätten sich zu den Projekten der Proklamierung der Kommune und ähnlichen revolutionären Aktionen der französischen Arbeiter negativ verhalten! Herr Gardenin hat nicht darüber nachgedacht, was er sagte. Südekum, ja gar von Kluck selbst wären jetzt Einzelaktionen der französischen Arbeiter mit großer Sympathie begegnet. Nach dem Sturz des Kaiserreichs (4. September 1870) war Marx verpflichtet, die französischen Arbeiter vor unvorsichtigen Schritten zu warnen. Marx war verpflichtet, dies zu tun, besonders nach dem misslungenen Versuch im Oktober 1870, als Blanqui, Flourence und andere Arbeiterführer verhaltet wurden. Marx tat es nur aus Angst, dem preußischen Absolutismus die junge Republik erdrosseln zu helfen. Mit anderen Worten, er tat es aus Motiven, die dem Chauvinismus gerade entgegengesetzt sind.

Und als die Kommune entstand, war es kein anderer als Marx, der sie mit seinem „Bürgerkrieg" mit goldenen Lettern im unsterblichen Buche der internationalen proletarischen Bewegung verewigte.

Die von edlem Mut und wahrem Internationalismus erfüllte Haltung von Marx und Engels während des Krieges 1870/71 hat sich in das Herz aller französischen Sozialisten eingegraben. Selbst der jetzige Vaillant ist, ungeachtet der chauvinistischen Rage, die er durchmacht, kürzlich (vergl. L’Humanité vom 14. Dezember 1914) als Teilnehmer der Ereignisse von 1870/71 mit dieser Erklärung hervorgetreten: Es ist Lüge, dass Marx und Engels am Chauvinismus Schuld hatten, nein, sie wirkten als echte Internationalisten und zeigten nicht die geringste Animosität gegen Frankreich. Vaillant wäre bereit, allem, was deutsch ist und allen „Deutschen" den Garaus zu machen. Nur für zweien „Deutschen'' hat er ein Fleckchen in seinem Herzen aufgehoben. Diese Deutschen sind: Marx und Engels…

Diese Behauptungen werden – ich weiß – auf den ersten Blick vollkommen unwahrscheinlich erscheinen. Es hätte mich nicht einmal gewundert, wenn man sie als böswillige Verleumdung gegen die Begründer des ,wissenschaftlichen Sozialismus' erklärt hätte", schrieb Herr Gardenin in seinem Artikel: „Eine unerwartete Entdeckung". Welch ein Prophetenherz hat Herr Gardenin! … Übrigens, braucht man denn Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass Gardenin Gardenin und ein Verleumder Verleumder genannt werden wird?

Fahret in diesem Geiste fort, Ihr Herren Narodniki! Benutzt den Wirrwarr, um literarische Leichenfledderei zu betreiben und den Marxismus als Toten zu verleumden. Doch bitte, verschont uns dabei wenigstens mit dem Tartüffe-Pathos und dem honigsüßen Appell zur Vereinigung mit Euch.

Und bildet Euch nicht ein, dass Ihr zumindest in Eurer Verleumdung von Marx und Engels originell seid. Schon lange vor den Herren Struve und Gardenin, noch zu Zeiten der I. Internationale, haben die Gedankenärmsten unter den Anarchisten mit ebenso viel Glanz „bewiesen", dass Marx eigentlich ein verkappter Bismarckianer sei und die ganze Internationale den Interessen Preußens dienstbar machen wolle. Struve und Gardenin werden ebenso viel Lorbeeren ernten, wie dieser Auswurf des Anarchismus.

3. März 1915.

G. Sinowjew.

1 Anhänger der Partei „Narodnaja Wolja", Vorläufer der Sozialdemokratie in der Befreiungsbewegung Russlands. Ihrer Ideologie nach waren die Narodniki kleinbürgerliche Reformisten.

* Plechanow, dieser neugebackene russische Schweizer hat vergessen dass der Antibismarckismus nur in dem Fall dem Antizarismus gleichgekommen wäre, wenn der Zarismus dem Bismarckismus und Russland – Deutschland und die Jahre 1914/15 den Jahren 1870/71 gleich zu setzen wären.

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