G. Sinowjew 19150823 Seiner Majestät »höchsteigene« Sozialdemokraten

G. Sinowjew: Seiner Majestät »höchsteigene« Sozialdemokraten

[„Sozialdemokrat", Nr. 44. Nach Lenin/Sinowjew, Gegen den Strom, 1921, S. 126-129]

Der Krieg hat uns auch diese Sorte „Sozialdemokraten" beschert. Und an die Spitze dieser Herren hat sich niemand anderer gestellt, als Plechanow Ein Verdienst haben die Verfasser und Herausgeber des kürzlich erschienenen Plechanow-Sammelbuches: „Der Krieg": sie konnten sich nicht entschließen, den Namen unserer Partei in den Titel ihres Werkes zu setzen. Sie fühlten selbst, dass die Worte: „Proletarier aller Länder vereinigt euch" doch gar zu sehr profaniert wären, wenn sie im Titel dieser Sammlung stünden, die den Geist der schwarzen Hundert atmet. Sie erkannten, dass diesem Sammelbuche die ehrwürdige Devise: Selbstherrschaft, Rechtgläubigkeit, Volkstum, weit angemessener wäre.

Der Hauptartikel der Sammlung ist Plechanows Essay: „Weiteres über den Krieg". Als Spaßmacher produziert sich der „gewesene Revolutionär" Alexinski. Einige halbgebildete „Mitarbeiter" bilden das würdige „Milieu" der Plechanow und Alexinski von heute.

Plechanow tritt geradezu als Agent des russischen Ministeriums des Äußeren auf. Die Mission, die Miljukow im Lager der liberalen „Gesellschaft" erfüllt, übernimmt Plechanow freiwillig im Lager der Arbeiter. Er besorgt die Mohrenwäsche der auswärtigen Politik des Zarismus ohne alle Scham und Scheu. Zu den entehrten Federn des Menschikow und Struve kam nun die Feder des „Sozialdemokraten Seiner Majestät" Plechanow hinzu.

An alles mussten sich die sozialistischen Arbeiter in der gegenwärtigen erbärmlichen Zeit gewöhnen, aber den Rekord im Renegatentum hat, wie es scheint, doch Plechanow geschlagen.

Der russische Zarismus führt nach Plechanow einen „gerechten Krieg". Der Ausbeuter unterdrückt, folglich greift er an. Der Ausgebeutete trachtet, sich vom Drucke zu befreien, folglich verteidigt er sich … Wir sind moralisch verpflichtet, unser Vaterland zu verteidigen, wenn es Angriffen ausgesetzt ist, oder mit andern Worten, wenn es einen notwendigen und gerechten Krieg führt. „Das; was Russland für Serbien verlangte, deckte sich fast vollständig mit den Forderungen der sozialdemokratischen Internationale. – Nichts kann wahrer sein als dies." (Sammelbuch, S. 19, 25, 32.)

Bedenke, Leser, was Plechanow sagt. Der russische Zar führe einen „notwendigen, gerechten" Krieg, der russische Zar sei „ausgebeutet, er trachte, sich vom Drucke zu befreien, folglich verteidige er sich" …

Hören sie, hochverehrter Herr Sozialdemokrat Seiner Majestät, auch im Renegatentum muss man ein gewisses Gefühl für Maß behalten! Der russische Zarismus, der das Nationalgefühl von Millionen und Abermillionen „Fremdstämmiger" innerhalb unseres Landes mit Füßen tritt, der seit mehr als einem halben Jahrhundert die Rolle eines internationalen Gendarmen spielt, der Finnland würgt, Persien zerfleischt, die Türkei ausraubt und alle fünf Jahre nach Asien eine „Expedition" schickt, um neue Millionen und Abermillionen Menschen sich zu unterwerfen, der Armenierschlächtereien veranstaltet, der durch seine blutige Politik den Balkanvölkern auch nicht einen Tag Ruhe lässt – der russische Zarismus, dieser größte und niederträchtigste Ausbeuter fremder Völker, hat sich unter Plechanows Feder in ein unschuldiges Lamm verwandelt, in einen „Ausgebeuteten", der bestrebt sei, sich vom Drucke zu befreien, folglich sich verteidige. Man sagt … dass Renegaten … wollte sagen, Neubekehrte immer maßlos sind in der Anbetung des Gegenstandes ihres neuen Glaubens, aber wir raten doch den neuen Verteidigern des Zarismus: Lügt, aber haltet doch Maß, Ihr Herren! … Glaubt Ihr denn wirklich, dass Ihr in unserem Lande auch nur einen zurechnungsfähigen Arbeiter finden werdet, der Euch glauben wird, dass der russische Zar kein Ausbeuter, sondern ein Ausgebeuteter sei?

Der russische Zarismus führe einen „gerechten", ja noch mehr, einen „notwendigen" Krieg. Es lebe der russische Zarismus! – fast hätte es Plechanow ausgesprochen, denn eine bessere Rechtfertigung des russischen Zarismus, als die, dass er im Weltkrieg die Gerechtigkeit und die geschichtliche Notwendigkeit verteidige, lässt sich kaum denken. Zar Nikolaus II. in der Gloriole eines „gerechten" Zaren, der einen „notwendigen" Krieg führt – dies aus dem Munde eines Sozialdemokraten zu hören, hat sich wahrhaftig Nikolaus niemals träumen lassen … Russische Arbeiter, russische Bürger! Hört Ihr? Als die Zarenbande Euch unter Drohung des Erschießens hinaus schickte, Galizien zu plündern und zu sengen, Bücher in kleinrussischer Sprache zu verbrennen, Judenpogrome zu veranstalten und die Türken abzuschlachten, als sie die Söhne Russlands zu Millionen zugrunde richtete, um einem Häuflein Kapitalisten die Herrschaft über Konstantinopel zu verschaffen – war dies „notwendig", und vollzog sie damit das Gebot der „Gerechtigkeit"? Es lebe Hindenburg, das unbewusste Werkzeug der sozialen Revolution! – schreien die „Sozialdemokraten" Seiner Majestät Wilhelms II., um die deutschen Arbeiter irre zu führen. Es lebe Nikolai Nikolajewitsch, das unbewusste Werkzeug der Idee der Gerechtigkeit! – rufen die „Sozialdemokraten" Seiner Majestät Nikolaus II., um die russischen Arbeiter irre zu führen. Das Eine ist des Andern wert.

Das, was der russische Zarismus für Serbien forderte, „fiel fast vollständig mit den Forderungen der Sozialdemokratischen Internationale zusammen." Das hat, bedenkt doch, Bernstein „selbst" anerkannt, und Plechanow findet, dass „nichts wahrer sein kann, als dies". Erbärmlicher Komödiant! Er will die russischen Arbeiter glauben machen, dass die Betrüger, Jesuiten und Räuber, die die russische Diplomatie führen, sich leiten lassen „von den einfachen Normen des Rechtes und der Gerechtigkeit", wie sie die Sozialdemokratische Internationale versteht. „Nun, da hat unser Plechanow ein bisschen übertrieben," wird man (davon sind wir überzeugt), im Ressort Sasonows sagen, wenn man dort die angeführten, schon nicht mehr apologetischen, sondern einfach lakaienhaften Worte lesen wird. Ihr Plechanow! Ja, sie haben Recht. Er ist jetzt bereit, ihnen zu dienen, nicht nur seinem Gewissen gehorchend, sondern auch wider jedes Gewissen. Dies wird sie wohl ein wenig trösten über ihre Niederlage auf den Schlachtfeldern Polens und Galiziens. Wir fürchten nur, dass dieser Trost sehr schwach sein wird. Der Übertritt Plechanows auf die Seite des „gerechten" Zaren, wird dem Zaren gegen eine neue Revolution ebenso viel helfen, wie ihm gegen die preußische Artillerie der Wechsel des Oberprokurators des „heiligsten" Synod und die wiederholte Anordnung von Massenandachten helfen.

Doch Plechanow preist nicht nur den „gerechten" Zaren. Er hat auch an die Wiederherstellung der Arbeiterinternationale gedacht.

Plechanow hat für die deutschen Sozialchauvinisten nichts übrig, aber nicht deswegen, weil sie Chauvinisten und Verräter an der Arbeitersache sind (dies billigt er vollständig: „im Verteidigungskrieg" schreibt Plechanow, „ist der tätige Anteil Pflicht bewusster Proletarier. Darin hat sie – die deutsche Sozialdemokratie – vollkommen recht"), sondern deswegen, weil sie deutsche Chauvinisten sind. „Deswegen, weil er ein Deutscher ist …"

Aber eine Amnestie ist dennoch nötig. Plechanow amnestiert Südekum, damit Südekum Plechanow amnestiere, und dann werden sie beide gemeinsam „die Internationale wiederherstellen".

Es wird unangenehm sein, Hände zu drücken, an denen der Geruch des Blutes unschuldig Gemordeter haftet … Aber da wird es durchaus am Platze sein, das Herz der Vernunft zu unterordnen. Um ihrer großen Sache willen wird die Internationale sogar verspätete Reue berücksichtigen müssen." (S. 44.)

Was die Reinheit der Hände betrifft, befindet Ihr Euch, meine Herren russische Zaristen, in einer nicht um ein Härchen besseren Lage. Seht doch Eure eigenen Hände an! Sind an ihnen keine Blutspuren? Habt Ihr denn die „gerechte" und „notwendige" Schlächterei nicht gepriesen, die die Zarenbande vollführt?

Aber mit der „Amnestie" habt ihr recht. Ihr braucht die Amnestie. Die Plechanows und Vanderveldes werden die Südekums und Scheidemänner prächtig „ergänzen". Plechanow wird gern „im Namen" der russischen Arbeiter seinen deutschen „befreundeten Feinden" Amnestie gewähren. Was aber wird die russische Arbeiterschaft selbst sagen? Wird sie den Plechanow amnestieren, der gegenwärtig vorübergehend auf Urlaub im Dienste des russischen Zarismus ist? Oder wird sie zu ihm sagen: Wenn du auch den Namen Plechanow trägst, bist du jetzt doch für uns dasselbe wie Struve und Menschikow?

Je eifriger Plechanow Artikel im Stile des „Nowoje Wremja" schreiben wird, nach Art des hier besprochenen, desto wahrscheinlicher wird die zweite Perspektive.

23. August 1915.

G. Sinowjew.

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