G. Sinowjew 19151112 Unser Sieg

G. Sinowjew: Unser Sieg

[„Sozialdemokrat", Nr. 48. Nach Lenin/Sinowjew, Gegen den Strom, 1921, S. 297-304]

In allen kriegführenden Ländern waren die Regierungen und die Bourgeoisie bemüht, auf diese oder jene Art die Arbeiterklasse zur Sache der „Landesverteidigung" heranziehen. Ohne die Arbeiter lässt sich kein Krieg führen, – das wusste man ebenso gut in England, in Frankreich wie in Deutschland. Der Zarenbande fiel auch diese Weisheit erst ein Jahr nach Kriegsbeginn ein, nachdem ein Hindenburg ordentlich ihr Gedächtnis aufgefrischt hatte.

Dafür aber begann nun die Bürokratie großen Wert zu legen auf die Heranziehung der Arbeiter zu der „Mobilmachung der gesellschaftlichen Kräfte" und der „Landesverteidigung". Kaum war der neue Schwarze-Hundert-Minister Chwostow in sein Amt eingesetzt, so war seine erste Arbeit, das Ministerium anzutelefonieren und sich über den Gang der Wahlen bei den Arbeitern zu erkundigen.

Die russischen Arbeiter für die „Vaterlandsverteidigung" gewinnen – dieses Geschäft wurde im Auftrage der Regierung von der russischen liberal-oktobristischen Bourgeoisie mit Gutschkow, Konowalow und Konsorten an der Spitze übernommen. Zu diesem Zweck wurde in Petersburg eine ganze Reihe von Arbeiterversammlungen gestattet, und regelrechte Wahlen von Wahlmännern aus den Arbeitern unternommen. Darauf fand eine Versammlung von 170 Wahlmännern statt, und im Namen von mehr als 200.000 Petersburger Arbeitern wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen: Die Teilnahme an den kriegsindustriellen Ausschüssen betrachten die Arbeiter als Verrat.

Ist ein solcher Beschluss richtig? Das hängt vom Standpunkt ab. Der Internationalist wird sagen: absolut richtig. Der Sozialchauvinist wird sagen: absolut verfehlt. Die italienischen Genossen, die gegen die Kriegskredite stimmten, sind auch gegen die Beteiligung der Arbeiter an allen möglichen Kriegsausschüssen. Die Sozialchauvinisten in England, Frankreich und Deutschland sprechen sich für eine solche Beteiligung aus. Die Herren vom „Zentrum", die Personen, die den Sozialpatriotismus mit dem internationalen Sozialismus „versöhnen", sagen weder ja noch nein, helfen aber in Wirklichkeit den Sozialpatrioten. Eine solche Teilung beobachten wir sowohl in Westeuropa, als auch bei uns in Russland.

Die Sozialchauvinisten aller Länder beteuern, dass die Arbeitermassen ihnen folgen, dass sie nur den Willen der Massen vollziehen, wenn sie das „Vaterland" verteidigen und den Burgfrieden proklamieren. In Petersburg machten wir die erste Erfahrung, als die Arbeitermassen tatsächlich befragt wurden. Nach der ungenauen Statistik nahmen an den Wahlen vom 25. September 171.581 Arbeiter teil. Später überstieg diese Ziffer 200.000. Ihre Antwort ist die wahre Antwort der Arbeitermassen, nicht allein die Antwort unserer Arbeiterpartei, sondern auch die Antwort unserer Arbeiterklasse. Und diese Antwort bedeutet nichts anderes, als eine Ohrfeige für Gutschkow und Konowalow, die sich so eifrig um diese Wahlen bemühten und glaubten, die Beute wäre bereits in ihren Händen. Diese Antwort bedeutet auch eine Ohrfeige für die Herren Plechanow und Potressow. Noch mehr, sie ist eine würdige Antwort an den internationalen Sozialpatriotismus, an Südekum sowohl wie an Vandervelde, an Kautsky sowohl wie an Guesde. Der Beschluss der Petersburger Arbeiter ist streng in internationalistischem Geiste gehalten. Unser Korrespondent schreibt uns, dass die Arbeiter bei der Abfassung der Bestimmungen die Leitartikel aus dem „Sozialdemokrat" zu Grunde legten. Und zu derselben Zeit, da alle Autoritäten der II. Internationale mit der Bourgeoisie wiederholen: „Die Vaterlandsverteidigung ist die erste Pflicht der Arbeiter", da schleudert die junge – aber geistiger Kräfte volle – Arbeiterklasse Russlands ihnen allen entgegen: „Ihr lügt, ihr Herren, die Vaterlandsverteidigung im imperialistischen Kriege ist ein Verrat am Sozialismus, die Arbeiter haben kein Vaterland". Und in diesem Sinne hat der historische Beschluss des Petersburger Proletariats eine tiefe internationale Bedeutung.

Die bedeutsame Aktion des Petersburger Proletariats unter dem Banner des revolutionären Internationalismus ist ohne jede Übertreibung das wichtigste politische Ereignis unserer Tage. Das tatsächliche Milieu der Wahlen, der ideell-politische Kampf der verschiedenen Richtungen und Gruppen um diese Wahlen muss mit aller Sorgfalt und Ausführlichkeit wiedergegeben werden.

Wir wollen einstweilen in aller Kürze die drei Stadien skizzieren: vor den Wahlen, während der Wahlen, nach den Wahlen.

Vor den Wahlen traten mit einer offenen Plattform und einem klaren Standpunkt einerseits nur unsere Partei in Gestalt ihres Petersburger Komitees hervor, und andererseits die Sozialchauvinisten in Gestalt der Zeitung „Utro", der Mitarbeiter von „Nasche Djelo" und des Herrn Plechanow.

Das Petersburger Komitee rief die Arbeiter auf, die Wahlkampagne in ihrem ersten Stadium zu Agitationszwecken auszunützen, aber sprach sich kategorisch gegen die Beteiligung an den kriegsindustriellen Ausschüssen aus, indem es sich vom internationalistischen Standpunkt gegenüber der „Vaterlandsverteidigung" leiten ließ. Im „Sozialdemokrat" ist auch die Resolution der Arbeiter des Lessner-Werkes veröffentlicht, die denselben Standpunkt verficht.

Eine andere Position wurde von den Liquidatoren eingenommen. In Petersburg erschien zu jener Zeit das legale sozialpatriotische Blatt „Utro". Diese Zeitung benimmt sich als die geistige Vertreterin der ganzen liquidatoriseheii Richtung. Sie betont ihre Verwandtschaft mit der Fraktion Tschcheidse, mit „Nasche Djelo" usw. Und nun lesen wir in Nr. 2 des „Utro" in der uns interessierenden Frage, folgende Zeilen:

Es muss mit aller Bestimmtheit und Klarheit gesagt werden, dass die Arbeiter in die Industrie-Ausschüsse gehen werden, nicht nur dann, wenn die Unternehmer vor ihnen entgegenkommend die Türen aufreißen werden, aber auch dann, wenn diese Türen geschlossen bleiben, und die schwieligen Hände der Arbeiter selbst ihre Riegel zurückschieben werden müssen" („Utro" Nr. 2, vom 19.-1. September 1915.)

Also – zwei Gesichtspunkte. Von einem dritten war vor den Wahlen nirgends die Rede. Die Fraktion Tschcheidse schweigt sich aus, während „Utro" im Namen der ganzen Richtung spricht, zu der diese Fraktion gehört. Die O.-K. hüllt sich in Schweigen. Ihr ausländisches Sekretariat ebenfalls. Die „Versöhnungspolitiker" schweigen – sie haben noch die „mittlere" Position nicht ausgedacht und wissen noch nicht, wo die Majorität ist… Das Pariser „Nasche Slowo" mit Trotzki an der Spitze beschäftigt sich mit der Reinwaschung der sozialchauvinistischen „Utro", indem es seine Auffassungen als „internationalistisch" bezeichnet!! (Nr. 191).

Das ist das Bild vor den Wahlen.

Das Petersburger Komitee unserer Partei führt mit einer ungeheuren Anspannung aller Kräfte die Wahlkampagne durch. Gegen das Komitee steht die ganze bürgerliche Presse, einschließlich der „allerdemokratischsten". Dagegen wird die Autorität dei Plechanow, Kereriski, Tschcheidse mobilisiert.

Die durch die zahlreichen Niederlagen der Zarenarmee geschaffene Kriegspanik erfasst auch einen Teil der Arbeiter. Die Deutschen stehen vor Riga und Dünaburg. Eine Flut von Flüchtlingen ergießt sich über Petersburg und Moskau. Und dennoch – und dennoch bleiben die meisten Arbeiter dem Banner der revolutionären Sozialdemokratie treu. Das Petersburger Komitee trägt einen glänzenden Sieg davon.

Es findet die bekannte Versammlung der 170 Wahlmänner statt. Und da spielt sich das entscheidende Treffen der beiden Lager ab.

Wir kennen den Text der Resolution nicht, die von unseren Nationalliquidatoren eingebracht worden ist. Unzweifelhaft ist einstweilen nur, dass sie alle direkt für die „Vaterlandsverteidigung" sprachen. Die Stimmung der Arbeiter in Russland ist anders. Um die Arbeiter nur einigermaßen für sich zu gewinnen, müssen die Liquidatoren die Meinungsverschiedenheiten verkleistern und die Revolutionäre mimen. In welchem Sinne die Liquidatoren in Petersburg die Karten mischten, ergibt sich aus demselben Artikel in Nr. 2 des „Utro".

Die Arbeiter werden in die Kriegsindustrie-Ausschüsse „gehen", lesen wir dort, doch nicht etwa zum Zweck der „Vaterlandsverteidigung", – das zu sagen fürchtete sich „Utro". „Wir können hier nicht auf die allgemeine Frage der Beteiligung an der Landesverteidigung eingehen. Aber nicht diese Frage, glauben wir, dürfte für die Stellungnahme zu den Industrie-Ausschüssen entscheidend sein."

Wie, nicht diese Frage? – staunt der Leser. Es unterliegt ja absolut keinem Zweifel, dass namentlich diese Frage die Stellungnahme der Arbeiter bestimmen muss. Wenn wir gegen die sogenannte Vaterlandsverteidigung sind, wenn wir diese Parole für den größten Schwindel unserer Zeit halten, wenn wir finden, dass dieser Krieg kein „gerechter", sondern ein ehrloser Sklavenhalterkrieg ist, so ist es natürlich auch für die Frage bestimmend, ob man sich an den Ausschüssen beteiligen solle, die sich die Vaterlandsverteidigung und die „Organisierung des Sieges" zum Ziel machen. Man müsste glauben, dies sei klar wie„zwei mal zwei ist vier". Doch unsere Nationalliquidatoren haben diesbezüglich ihre eigene Auffassung. Die Kriegsindustrie-Ausschüsse sind ihrer Meinung nach keineswegs Organisationen der russischen Bourgeoisie und der russischen Gutsbesitzer zur Verteidigung ihres Vaterlandes. Mitnichten, die Kriegsindustrie-Organisationen müssen betrachtet werden als „der Unruhezustand der bürgerlichen Gesellschaftsschichten (!)… als ein Versuch zur Aufrechterhaltung der Ordnung" … „Sollten denn die Arbeiter nicht am Mobilisierungsprozess teilnehmen, um ihre eigenen Kräfte heranzuziehen und zusammenzuschließen, um ihre eigenen Parolen zu entfalten, um einen Einfluss auf die Bewegung und die Organisation der anderen Gesellschaftsschichten auszuüben" („Utro" Nr. 2).

Um die Arbeiter in die „Vaterlandsverteidigung" hineinzuziehen, stellen die Sozialchauvinisten aus den „Utro" fälschlich die Sache so dar, als ob die Kriegs-Ausschüsse für technische Nothilfe dem russischen Generalstab eine Art von Parlamenten darstellten, wo die Arbeiter ihre „Parolen" entfalten könnten.

Durch die Verkleisterung ihrer wahren Ziele haben die Sozialpatrioten liquidatorischen Schlages die Zwischenschichten und die parteilosen Elemente unter den Arbeitern in das Lager der „Patrioten" hinüber gezogen. Alle alten Verbindungen der Liquidatoren wurden für die Sache des Herrn Plechanow ausgenutzt. Faktisch kam ein Block von Liquidatoren, Plechanowisten, Narodniki, Schwankenden und Parteilosen zustande – gegen unsere Partei. Um so höher ist unser Sieg einzuschätzen, der Sieg unserer Petersburger Freunde und Gesinnungsgenossen…

Nun betrachten wir, was nach den Wahlen stattgefunden hat.

Die Regierung ist über ihren Durchfall wütend. In Petersburg verbietet sie den Zeitungen, auch nur ein Wort über die Wahlen zu veröffentlichen. Die Bourgeoisie tobt und rast gegen die Bolschewiki. Natürlich! Die Frage stand ja eigentlich so: werden die Arbeiter Gutschkow und Konowalow folgen oder – der revolutionären Sozialdemokratie. An der einen Hand wurden die Arbeiter von Gutschkow und Konowalow in die Zaren-Ausschüsse gezerrt, an der anderen Hand zogen Plechanow und Lewitzki, und von hinten wurden sie behutsam und bedächtig (Vorsicht, Vorsicht, meine Herren!) von Tschcheidse gestoßen. Das Glück war so nahe, so möglich… Und plötzlich…

Die „Russkija Wjedomosti" vom 28. Oktober schreiben, dass in der Wahlmännerversammlung „für die Beteiligung die Menschewiki, die Narodniki und die Parteilosen waren", die 80 Stimmen gesammelt hatten; gegen die Beteiligung waren die Bolschewiki mit 90 Stimmen. Unsere Korrespondenzen aus Petersburg bestätigen dasselbe und heben unsere Majorität von 10 Stimmen hervor. In der russischen legalen Presse, wohin die Liquidatoren tausend Schleichwege führen, findet man keine Widerlegung der von „Russkija Wjedomosti" gebrachten Mitteilung. In der „allerlinkest" stehenden liberalen Presse geht die grimmige Hetze gegen den Bolschewismus weiter. Die liberalen „Russkija Wjedomosti" zetern gegen unseren „Anarchismus". In einem Artikel, der nach den Wahlen schier von einem der bekanntesten Liquidatoren geschrieben wurde, wird dem Bolschewismus vorgeworfen, er hätte „uns" (!) eine negative Stellungnahme zur wirtschaftlichen „Sklavenhalterei" aufgedrängt, er hätte die Idee des Arbeiterkongresses negiert, er habe die Benennung „Liquidatorentum" geschaffen und mit diesem verächtlichen Spitznamen das Bestreben der breiten Arbeitermassen bezeichnet, die unterirdische Arbeit aufzugeben und „ihre mächtigen schöpferischen Kräfte auf dem Schauplatz der legalen Existenz anzuwenden". Der Bolschewismus sei es, der „gegen die planmäßige und zweckdienliche Arbeit in der Öffentlichkeit rebelliert" (!) (Nr. 288).

Der Bolschewismus – das ist der Feind! …

Nun, und was haben die Liquidatoren selbst und ihre Freunde nach den Wahlen getan?

In Petersburg tat sich in der liberalen Presse Herr Gwosdew, ein bekannter Liquidator, mit einer direkten … Denunziation hervor. (Die Taktik der Scheidemänner führt auch zu den Methoden der Scheidemänner.) Wie es heißt, soll ein Wähler aus den Putilow-Werken seine Eintrittskarte einem Kollegen und Gesinnungsgenossen von der sozialdemokratischen Partei gegeben haben. Dies ist – wenn das stattgefunden haben soll – eine vollkommen berechtigte Methode vom Standpunkt einer illegalen, verfolgten Partei, die auf anderem Wege einen Verfechter ihrer Anschauungen in die Versammlung nicht hineinbringen kann. In der Versammlung der städtischen Wähler für die Staatsduma, wohin der Zutritt nur Inhabern von Vorladungen gestattet war, kamen alle Redner der sozialdemokratischen Partei unter fremden Namen hinein. Unter fremden Namen waren auch in die entscheidende Versammlung der Wahlmänner bei den Wahlen in die zweite Duma die bekanntesten Vertreter der Menschewiki, Bolschewiki und Sozialrevolutionäre hineingekommen. Und nun müssen wir es erleben, dass ein Vertreter der Liquidatoren, Herr Gwosdew (natürlich mit Wissen seiner Freunde), in der Kadettenpresse – Schmach und Schande! – den Arbeiter Kudrjaschow aus dem Putilow-Werke denunziert, der seine Einladungskarte „sogar einem Nichtarbeiter" abgegeben hat. Und auf Grund dessen verlangen die Liquidatoren zusammen mit den Kadetten Neuwahlen. Weiter kann man nicht gehen…

Und im Auslande? Hier nahm erst gestern das „Ausländische Sekretariat" der O.-K. in der „Berner Tagwacht" die Leute aus „Nascha Sarja" in Schutz. (Und Axelrod persönlich tat dasselbe in „Nasche Slowo".) Was soll man machen? Wie soll man sich da heraus winden? Wie soll man die Wahlen in Petersburg deuten?

Die offiziellen „Diplomaten" der O.-K. schweigen sich aus. Dafür lässt ein gewisser Anonymus („aus Kopenhagen") in der deutschen Presse folgende Version zirkulieren. Die Anhänger der O.-K. wären in Petersburg – staune, oh Leser! – zu rabiaten Boykottisten geworden. Sie hätten 35.000 Stimmen (genau gezählt, man frage Larin selber) für den Boykott im ersten Stadium gesammelt, in der Versammlung der 170 wären ihre Wahlmänner nicht vertreten gewesen.

Diese Richtung (der O.-K.) lehnte die Teilnahme an den Wahlen der Wahlmänner vollkommen ab … Ohne Koalitionsfreiheit… können solche Wahlen die Arbeiter nur irreführen. Nur in einer allgemeinen Arbeiterkonferenz … hätte man die Stellungnahme des russischen Proletariats zum Kriege bestimmen können", so stellt der eifrige Korrespondent „aus Kopenhagen" die prinzipielle Position der O.-K. dar.

Es genügt, diese Zeilen zu lesen, um zu sehen, dass der „Korrespondent aus Kopenhagen" … die schlechte Fabel schlecht erfindet. In der Tat, man bedenke doch diese Version. Wir sind über den geistigen Horizont der Anhänger der O.-K. nicht allzu hoher Meinung, aber wir haben keinen Grund, die O.-K.-Leute für ausgemachte Idioten zu halten. Auf die Beteiligung an den Wahlen, an denen 200.000 Arbeiter teilnahmen, verzichten wir nur aus dem Grunde, weil wir noch keine Koalitionsfreiheit haben, fördern dadurch faktisch die Plechanowisten und Gutschkow-Leute, die nur darauf warteten, dass die internationalistischen Arbeiter an den Wahlen nicht teilnehmen und den „Patrioten" und schwankenden Elementen das Feld räumten. Aber das ist ja eine offenkundige Karikatur! Das ist ein politischer Scherz, zu dem bloß Leute ohne Grütze im Kopf fähig wären.

Doch werden alle Zweifel durch Nr. 1 des Liquidatorenblattes „Rabotscheje Utro" zerstreut (erschienen in Petersburg am 15. Oktober 1915, schon nach den Wahlen). Diese Zeitung entlarvt schonungslos den „Kopenhagener" … Erfinder.

Vereinzelte Vorschläge, auf die Wahl der Wahlmänner zu verzichten, zeitigten keinen merklichen Erfolg'', schreibt „Rabotscheje Utro", Nr. 1. Von keinerlei 53.000 Stimmen und keiner dritten Plattform ist in der Zeitung die Rede. Der Plan einer Arbeiterkonferenz war also der Plan einer Gruppe von Wahlmännern, der es gelang, 81 Wähler zu sammeln, – doch diese Gruppe knüpfte die Beteiligung an den Kriegsindustrie-Ausschüssen an den „Beginn eines viel weiteren organisatorischen Prozesses, nämlich des Kampfes um die Arbeiterkonferenz". Von einer Meinungsverschiedenheit der Fraktion Tschcheidse mit der Position der 81 ist in dem sozialpatriotischen „Rabotscheje Utro" ebenfalls kein Wort zu lesen. Mit dem Schreiben des Denunzianten Gwosdew, des „Genossen" (!) Gwosdew erklärt sich „Rabotscheje Utro" in einer besonderen Erklärung der Redaktion solidarisch. Das Blatt teilt das „Gefühl der Empörung" des Herrn Gwosdew über die nationalistischen Arbeiter, und findet nur, man hätte nicht den Protest an den Zentral-Kriegsindustrie-Ausschuss richten sollen.

Das Bild ist klar, wie man es nicht besser wünschen kann. Wir haben es mit zwei Lagern zu tun, und nur mit zwei. In dem einen sind unsere Gesinnungsgenossen, die den Internationalismus verfechten, in dem anderen die Leute, die die Plechanowerei wollen. Die Fraktion Tschcheidse hielt [es mit] den letzteren und deckt sie. Die O.-K.-Anhänger ebenfalls. Aber der Kopenhagener Korrespondent … lügt einfach für zwei.

Wie alle großen Ereignisse im Arbeiterleben ergaben die Wahlen von zweimalhunderttausend Arbeitern in Petersburg eine neue, sehr anschauliche Illustration unserer Lage als Partei. Ungeachtet der größten Verfolgungen hat unsere Organisation ihre geschlossene und gut gestaltete Organisation, die das Losungswort der Revolution und des Internationalismus verficht. Die Liquidatoren, die durch Jahre hindurch von der „Einigkeit" reden, negieren wieder zynisch den Willen der Arbeiter und paktieren von neuem im wichtigsten Moment mit einer fremden Partei: den chauvinistischen Narodniki, gegen die R. S.-D. Arbeiterpartei. Der Trotzkismus, die Versöhnungspolitik erwies sich wiederum als blanke Null. Er hat keinen Platz in der lebendigen Arbeiterbewegung Russlands. Entweder mit Tschcheidse und folglich auch mit Plechanow und Gutschkow, oder – mit der R. S.-D. Arbeiterpartei und folglich gegen Tschcheidse. So wird die Frage vom Leben gestellt.

Aus dem, was in Petersburg stattgefunden hat, ergeben sich wichtige politische Folgerungen. Wir wissen nicht, ob sich die „patriotische" Minorität entschließen wird, dem Willen der Arbeiter weiter entgegenzuarbeiten und in die Kriegs-Ausschüsse zu gehen – zu Herrn Gutschkow in die Lehre. Schon nach der Beschlussfassung der Arbeiter sind, wie die Zeitungen melden, in den Kriegs-Ausschuss eingetreten: Herr Prokopowitsch und der Narodnik Herr Tschajkowski. Jedenfalls sind sie von den meisten Arbeitern von vorneherein als Verräter gebrandmarkt. Die Ablehnung der Beteiligung an den Kriegs-Ausschüssen hat zur Vorbedingung: die Weiterführung des revolutionären Kampfes, die Entfaltung des Massenstreiks, den Kampf unter den drei Hauptparolen. Die Arbeiter haben der Bourgeoisie ein Schnippchen geschlagen, indem sie die ihnen zur Verfügung gestellte Möglichkeit benutzt haben zu der Festigung ihrer Organisation und dem politischen Zusammenschluss ihrer Reihen. Nachdem sie sich zusammengeschlossen haben werden, werden sie ihren Kampf stärken und entfalten und die Bewegung auf die anderen Städte, auf das flache Land, auf die Armee ausdehnen.

12. November 1915.

G. Sinowjew.

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