G. Sinowjew 19160229 Weiteres über den Bürgerkrieg

G. Sinowjew: Weiteres über den Bürgerkrieg.

[„Sozialdemokrat" Nr. 50. Nach Lenin/Sinowjew, Gegen den Strom, 1921, S. 321-327]

Ich entsinne mich keines Beispiels in der Geschichte, dass eine Kriegserklärung mit einer Insurrektion im eigenen Lande beantwortet worden wäre." Das schreibt der bekannte Theoretiker der II. Internationale, K. Kautsky. („Neue Zeit", 1916, Nr. 18, S. 567.) Das schreibt Kautsky nicht etwa zu Beginn des Krieges, sondern 18 Monate nach diesem Beginn. Das schreibt Kautsky schon im Moment, wo er als Prediger der „Disziplin" in Bezug auf die Beschlüsse der Scheidemänner und Südekums auftritt; das schreibt Kautsky im Moment, wo er anfängt, wieder den Mantel nach dem Winde, nach links, zu hängen, da er als Anwalt der Gruppe der zwanzig Abgeordneten auftritt, die mit halbpatriotischer Motivierung gegen die Kredite stimmten.

Für uns liegt der Kern des Kautskyanertums wie auf der flachen Hand zerfressen vom wurmstichigen „historischen" Fatalismus, bedeckt mit dem Schimmel des tötenden Opportunismus. Er „kann sich keines Falles in der Geschichte besinnen", dieser Theoretiker der II. Internationale! Und auf Grund dessen leugnet er die Möglichkeit revolutionärer Aktionen gegen die imperialistischen Kriege 1914/16!! Ist das nicht die Grenze „historischer" Philisterhaftigkeit?

Aber vielleicht wird sich Kautsky „eines Beispiels in der Geschichte entsinnen", da einer kleinen regierenden Minorität eine Zehnmillionenmasse organisierter Arbeiter-Sozialisten gegenüber gestanden hatte – wie es vor dem Zerfall der II. Internationale war? Vielleicht wird sich Kautsky „eines Beispiels in der Geschichte entsinnen", da eine Handvoll imperialistischer Räuber sich entblödete, einen Krieg anzuzetteln, der den Interessen von hundert Millionen Menschen dermaßen feindlich, dermaßen blutig wäre, dermaßen reaktionär, dermaßen unverschämt sklavenhalterisch, dermaßen schwanger mit unsagbaren Leiden und Schmerzen für die breitesten Massen der Bevölkerung? Vielleicht wird sich Kautsky „eines Beispiels in der Geschichte entsinnen", da der Weltkrieg entfacht wäre, während die materiellen Voraussetzungen für eine sozialistische Umwälzung in den Produktivverhältnissen der größten Länder Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika herangereift waren?

Er könne sich „keines Beispiels in der Geschichte entsinnen"! Aber dann könnte Kautsky selbst die Möglichkeit der Verwirklichung des Sozialismus als Hirngespinst betrachten. In der Tat. Wo hatten wir bisher „ein Beispiel in der Geschichte", dass der Sozialismus bereits verwirklicht worden wäre? …

Kautskys Ausspruch führt uns sofort in das Wesen des Streites über die Losung des „Bürgerkrieges" ein, d. h. über die Möglichkeit von revolutionären Aktionen gegen den imperialistischen Krieg, in Verbindung mit den Kriegen, im Verlauf des Krieges selbst.

Um sich vor den Sozialchauvinisten zu rechtfertigen, schreibt Kautsky in demselben Aufsatz: „dass der ausbrechende Krieg die Revolution bringen werde, habe ich ebenso wenig wie Bebel erwartet, und wir beide waren stets bestrebt, von unserer Partei jede Verpflichtung auf revolutionäres Tun beim Kriegsausbruch fern zu halten, weil wir der Überzeugung waren, eine solche Verpflichtung könne doch nicht innegehalten werden" (ebenda, S. 567). Mit diesen Worten sagt Kautsky einfach eine … Unwahrheit. In seiner Broschüre „Der Wegzur Macht" (1908)1, diesem Schwanengesang Kautskys als revolutionärem Marxisten, brachte er die Revolution in direkte Verbindung mit dem Kriege und sprach direkt von dieser Epoche der Kriege und Revolutionen. Unwahr ist auch, dass Bebel und die deutsche Sozialdemokratie die Verpflichtung auf revolutionäres Tun bei einem Kriegsausbruch abgelehnt hätten. Die deutsche Sozialdemokratie übernahm diese Verpflichtung sowohl in Stuttgart (1907), wie in Kopenhagen (1910) und in Basel (1912). Sie übernahm diese Verpflichtung auf den eigenen Parteitagen: in Mainz (1900), in Essen (1907), in Jena (1911), in Chemnitz (1912). Sie erkannte es als unzweckmäßig, auf eine der Formen des revolutionären Kampfes, den Militärstreik, zu schwören. Aber sie begründete es gerade damit, dass sie vielleicht über den Streik hinausgehen und mit allen Mitteln, bis zum Aufstand, kämpfen würde. So begründete stets die deutsche sozialdemokratische Majorität, die als revolutionär gelten wollte, ihr Verhalten.

Plechanow, der noch auf dem Züricher Kongress 1893 sich als eifriger Verfechter der Stellung der deutschen Sozialdemokratie in der Frage der Bekämpfung des Krieges gebärdete, schrieb nach dem Kopenhagener Kongress, 1910: „die deutsche Sozialdemokratie hatte Recht, wenn sie meinte, dass der Kongress sich mit der Stuttgarter Resolution begnügen könnte. In der Tat besagt sie, dass die sozialistischen Parteien nötigenfalls verpflichtet sind, alle Mittel in Bewegung zu setzen, die ihnen zur Verhinderung des Krieges am passendsten erscheinen. Diese algebraische Formel verallgemeinert alle Möglichkeiten, d. h. unter anderem auch die Möglichkeit nicht nur des Generalstreik, sondern auch des bewaffneten Aufstandes (Kursiv von Plechanow). Und das genügt." („Sozialdemokrat", Nr. 17). Indem Vandervelde in Stuttgart die Stellungnahme der deutschen Sozialdemokratie verteidigte, sprach er: „Wir brauchen den Antimilitarismus nicht am Tage nach der sozialen Revolution, sondern jetzt … im kapitalistischen Militarismus ist die Pflicht, das Vaterland zu verteidigen, weniger wichtig für den Soldaten als die, auf Vater und Mutter zu schießen" (Protokoll, S. 94, 67). Derselbe Vandervelde verteidigt in Kopenhagen die Stuttgarter Resolution und spricht mit Begeisterung von der russischen Sozialdemokratie, die „als der Krieg mit Japan ausbrach, nicht bloß zum Generalstreik, sondern zur Revolution" aufrief (Protokoll, S. 41), und somit in demselben Geiste handelte, der in Stuttgart gebilligt wurde.

Kautsky sagte die Unwahrheit. Als der Stuttgarter Kongress einstimmig erklärte, die Sozialisten müssten die durch den Krieg hervorgerufene ökonomische und politische Krise ausnutzen, um das Volk aufzurütteln, und damit den Sturz des Kapitalismus zu beschleunigen, bedeutete dies, dass die Sozialisten die Losung proklamierten: Überleitung der imperialistischen Kriege in den Bürgerkrieg. Und als der Kongress in Basel die Arbeiter aller Länder an die Kommune von 1871 erinnerte, bedeutete es denn nicht, dass er den Bürgerkrieg proklamierte? Oder als ebenfalls in Basel der Kongress den Arbeitern die Revolution von 1905 als Beispiel vorhielt, bedeutete es denn nicht, dass die Internationale und folglich auch die Deutschen die „Verpflichtung auf revolutionäres Tun beim Kriegsausbruch" übernahmen?

Stuttgart „anerkennen" und zu gleicher Zeit den „Bürgerkrieg" ablehnen, heißt daher entweder Schlaumeierei oder Beschränktheit.

Als 1914 der Krieg ausbrach, stellte unsere Partei die Parole auf: Bürgerkrieg! Überleitung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg! Deswegen erfuhren wir viele Anfechtungen, angefangen vom extremen Sozialchauvinisten Eduard David bis zum russischen „linken" Kautskyaner L. Trotzki. Doch was meinten wir, als wir diese Parole aufstellten? Wir wollten damit sagen, dass die Sozialisten aller Länder im Interesse der Arbeiterklasse verpflichtet seien, ehrlich der Verpflichtung nachzukommen, die sie in Stuttgart und Basel übernahmen. Wir wollten dasselbe sagen, was in den Jahren vor dem Kriege sämtliche Führer der II. Internationale hundertmal anerkannten, nämlich, dass die objektiven Verhältnisse unserer Epoche den Krieg und die Revolution miteinander in Zusammenhang bringen!

Der Hauptpunkt der Stuttgarter Resolution wurde vom Kongress angenommen auf Antrag unserer Partei und der polnischen Sozialdemokraten. Rosa Luxemburg brachte diese „Korrektur" (in Wirklichkeit ist dies die Seele der ganzen Resolution) im Namen unserer Partei und im Namen der Polen ein. In der Subkommission des Kongresses, die den Text der Resolution ausgearbeitet hatte, war Rosa Luxemburg2 als Vertreterin der Bolschewiki (Protokoll S. 101). Die Auffassung unserer Partei in der Frage des Bürgerkrieges blieb grundsätzlich dieselbe, wie sie im Jahre 1907 war.

Die Sozialpatrioten und Kautskyaner werfen uns vor, dass wir in der Frage des Bürgerkrieges Domela Nieuwenhuis und Hervé „erster Fassung" gleichen Das ist der reinste konterrevolutionäre Unsinn. Als die revolutionäre Sozialdemokratie die Idee des politischen Massenstreikes akzeptierte, meinten auch die Opportunisten aller Länder: Ihr wiederholt Domela, Ihr geht in den Fußtapfen der Hervéisten und Anarchisten.

Es gab eine Zeit, da der Ausspruch des Opportunisten Auer: „Generalstreik ist Generalunsinn" die Auffassung der Majorität der Internationale ausdrückte. Diese Ansicht über den Generalstreik wurzelte hauptsächlich in der noch relativen Schwäche der Arbeiterbewegung. Auf dem Amsterdamer Kongress (1904) verhielt man sich zum Generalstreik noch skeptisch. Aber 1905, auf dem Jenaer Parteitag, billigte die deutsche Sozialdemokratie selbst feierlich den politischen Massenstreik als durchaus zweckmäßiges Mittel des Kampfes. Zwischen Amsterdam und Jena liegt ein Jahr russischer Revolution. Das russische Proletariat hatte durch sein Beispiel gezeigt', „wie's gemacht wird"; das Vorurteil gegen den Massenstreik war gebrochen.

Die internationale Sozialdemokratie säuberte natürlich die Idee des Generalstreiks von den anarchistischen Überwucherungen. Sie akzeptierte den Massenstreik als Werkzeug des politischen Kampfes und nicht als etwas außerhalb der „Politik" Stehendes. Sie adoptierte ihn als eins der Mittel des proletarischen Kampfes – neben den anderen schärferen (Aufstand) und weniger scharfen (Wahlzettel) Mitteln. Aber sie akzeptierte ihn.

Geschichtlich ist die Stellungnahme der Sozialdemokratie zum Massenstreik eng verknüpft mit ihrer Stellungnahme zum Kampfe gegen den Krieg. Der politische Massenstreik wurde ungefähr um dieselbe Zeit gebilligt, als gebilligt wurden die „Aufrüttelung der Massen" (oder „Bürgerkrieg") als Antwort auf die imperialistischen Kriege. Für das eine sowohl wie für das andere bedurfte es gleicher Voraussetzungen. Das eine und das andere setzte eine stark entwickelte Arbeiterbewegung, einen bedeutenden Reifegrad des Kapitalismus, eine außerordentliche Zuspitzung der Klassengegensätze infolge des Imperialismus voraus.* „In der Resolution (von Jena)", sagte Rosa Luxemburg in Stuttgart, „erklärte sie (die deutsche Sozialdemokratie), den Generalstreik, den sie jahrelang als anarchistisch verworfen hatte, als ein Mittel, das unter Umständen angewendet werden kann. Es war aber nicht der Geist Domela Nieuwenhuis, sondern das rote Gespenst der russischen Revolution, das hinter den Verhandlungen in Jena schwebte … Ich muss hinzufügen, dass wir in unserem Amendement zum Teil noch weiter gehen … indem wir die Agitation im Kriegsfalle nicht bloß auf die Beendigung des Krieges gerichtet wissen wollen, sondern auch auf die Ausnützung des Krieges zur Beschleunigung des Sturzes der Klassenherrschaft überhaupt." (Protokoll, S. 97/98.)

Das allein fordern jetzt auch wir. Und das lässt sich nicht anders richtig ausdrücken als durch die Formel: Überleitung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg.

Natürlich, auch den Gedanken des Bürgerkrieges säubert die revolutionäre Sozialdemokratie ebenso von anarchistischen Entstellungen. Als Hervé behauptete, für Sozialisten wäre es gleichgültig, unter der Herrschaft welcher nationalen Bourgeoisie sich sein Land befinde, verfiel er in eine sinnlose Übertreibung. Für die Arbeiter ist es gar nicht gleichgültig, wenn sie zum Beispiel ihre Muttersprache nicht frei gebrauchen dürfen. Anstatt aus den reif gewordenen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Sozialismus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass das Proletariat die einzige Klasse ist, die bis ans Ende mit revolutionären Mitteln auch gegen jedwede nationale Unterdrückung, für die vollkommene nationale Gleichberechtigung, für das politische Selbstbestimmungsrecht der Nationen kämpfen wird, – anstatt dessen predigten die Anarchisten und Hervéisten (bis sie „gescheit" wurden und zusammen mit den Sozialchauvinisten sich zur Bourgeoisie schlugen), dass das Proletariat sich um die nationale Unterdrückung nicht kümmern solle, dass es die nationale Frage überhaupt ignoriere. Das war eine sinnlose Fragestellung. Doch die revolutionären Sozialdemokraten sind für sie ebenso wenig verantwortlich wie sie für die absolut unrichtige Fragestellung der Anarchisten und Syndikalisten nach dem Generalstreik unverantwortlich sind …

- Sie sind also für unüberlegte Putsche, für unvorbereitete Aufstände im Kriege? Aber Sie vergessen verbrecherisch, dass dann durch Eure Schuld Arbeiterblut fließen wird! - Das schreien uns die Südekums und Kautskyaner aller Länder und aller Sprachen entgegen. -

- Nein, wir sind für vorbereitete Aufstände, wir sind für eine absolut durchdachte Propaganda revolutionärer Aktionen. Aber was das Arbeiterblut betrifft, so hätten diejenigen lieber schweigen sollen, die nun schon anderthalb Jahre lang den Imperialisten helfen, Meere von Arbeiterblut zu vergießen für eine Sache, die den Interessen des Proletariats fremd und feindlich ist.

Wir behaupteten niemals und nirgends das Tempo der Bewegung von vornherein bestimmen zu können. Wir fordern das eine: dass die Sozialdemokratie für die Revolution agitiere und nicht gegen die Revolution, dass sie ihre ganze Arbeit führe im Sinne der Vorbereitung zum Bürgerkriege, der unter allen objektiven Verhältnissen durchaus reif geworden ist.

Der Bürgerkrieg, zu dem die revolutionäre Sozialdemokratie in der gegenwärtigen Epoche aufruft, ist der Kampf des Proletariats mit der Waffe in der Hand gegen die Bourgeoisie, um die Expropriierung der Kapitalistenklasse in den vorgeschrittenen kapitalistischen Ländern; um die demokratische Revolution (demokratische Republik, 8-Stundentag, Enteignung der Großgrundbesitzer) in den rückständigen monarchischen Ländern überhaupt" (z. B. um die Föderativrepublik auf dem Balkan). So heißt es in der Berner Resolution unserer Partei. Und wir sagen ganz genau, womit man anfangen muss, wenn man in dieser Richtung arbeiten will.

Wir sagen:

Als erste Schritte auf dem Wege der Überleitung des jetzigen imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg muss genannt werden: 1. Absolute Ablehnung der Kriegskredite und Austritt aus den bürgerlichen Kabinetten; 2. völliger Bruch mit der Politik des Burgfriedens; 3. Schaffung einer illegalen Organisation; 4. Unterstützung der Verbrüderung unter den Soldaten; 5. Unterstützung aller revolutionären Massenaktionen des Proletariats überhaupt".

Wo ist da „Anarchismus", wo sind da „unüberlegte Putsche"?

Bürgerkrieg und nicht Burgfrieden ist unsere Parole, – sagt mit uns die Resolution der ganzen Zimmerwalder Linken. Und sie hebt hervor, dass der Anfang, der Anbruch dieses Kampfes sein muss: das Ablehnen der Kriegskredite, Austritt aus den Ministerien, Schaffung einer illegalen Presse, Organisierung von Streiks und Demonstrationen usw.

Wäre die Sozialdemokratie vom Anfang an auf diesem Wege gegangen und nicht auf dem Wege des Verzichtes auf den Klassenkampf im Kriege, – wer weiß, an welchem Punkt wir jetzt schon wären. Dass wir in jedem Fall eine Abkürzung des verbrecherischen und räuberischen Krieges erreicht hätten, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel.

Der Klassenkampf während des Krieges – insbesondere während eines solchen Krieges, wie des jetzigen – führt unvermeidlich zum Bürgerkrieg, er bedeutet den Bürgerkrieg. Die Formel: „Bürgerkrieg" drückt unseren Gedanken richtiger aus, als die Formel: „Massenaktionen". Denn sie berücksichtigt namentlich die Kriegszeit, sie betont, dass nicht nur ein Kampf gegen die Regierungen bevorsteht, sondern auch gegen jene Schichten der „Bürger", gegen jene kleine Minorität, die am Kriege interessiert ist. Die revolutionären Massenaktionen des Proletariats während des imperialistischen Weltkrieges sind gleichbedeutend mit der Überleitung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg. Deshalb steht die Sozialdemokratie vor der Wahl: entweder sie akzeptiert Kautskys gegenrevolutionäre Formel: „Kampf für den Frieden, Klassenkampf im Frieden"; oder sie akzeptiert unsere Formel: „Überleitung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg".

Wie rasch dieser letztere Krieg entflammen, wie erfolgreich er vor sich gehen wird, – kann niemand im Voraus sagen. Eine Garantie, dass wir in diesem Kriege siegen werden, kann niemand geben. Wann es zu Massenstreiks und Barrikadenbau kommen wird, kann niemand von vornherein bestimmen. Aber entweder wir gehen diesen Weg, oder wir sind verdammt, Sklaven der Imperialisten zu bleiben, und sind nur fähig, zu Hunderttausenden zur Schlachtbank zu gehen, auf den ersten Befehl der imperialistischen Bande.

Kautsky und die Kautskyaner lassen jetzt durchblicken, dass sie „nicht gegen" die Revolution sind. Sie „verschieben" nur (nur!) die Revolution auf die Zeit nach dem Kriege. Eine solche Auffassung schreckt weder die Scheidemänner noch die Hindenburgs. Eine Revolution, die systematisch „auf nachher" verschoben wird, ist für die Konterrevolutionäre nicht schrecklich. Wann Sie wollen – nur nicht jetzt! Das ist die Formel der Kautskyaner schon seit dem Jahre 1910. Durch eine solche Auffassung helfen sie natürlich den Gegenrevolutionären.

Es ist jedoch möglich, dass die revolutionäre Massenbewegung in der Tat nicht während des Krieges, sondern danach anfangen wird. Nun, wird dies den philiströsen „Historismus" Kautskys rechtfertigen, die Anhänger der Parole des Bürgerkrieges widerlegen? Mitnichten! Die Tätigkeit Kautskys und seiner Partei während des Krieges wird im geschichtlichen Prozess als Minus zu verzeichnen sein, das die Revolution vorbereitet haben wird, während die Arbeit der Anhänger des Bürgerkrieges als Plus vermerkt werden wird. Die revolutionäre Bewegung wird einsetzen, trotzdem die deutschen, französischen und russischen Sozialchauvinisten und Kautskyaner sich während des ganzen Krieges als Gegenrevolutionäre benahmen.

Die beliebte Methode der Sozialchauvinisten aller Länder ist: Ihr predigt die Revolution sofort, auf der Stelle; aber wo bleibt Eure Revolution? Sie ist nicht da – also habt Ihr Unrecht.

Dasselbe tun sie auch mit der Frage nach der „Losung" des Sozialismus: Ihr sagt, dass die Voraussetzungen des Sozialismus bereits reif sind, also seid Ihr für die sozialistische Revolution heute schon, sofort, auf der – Stelle?

Das ist eine Verdrehung des Streites über die Verfechtung der Ideen des Sozialchauvinismus.

Kautsky schrieb im Jahre 1907: „Der Sozialismus ist heute schon eine ökonomische Notwendigkeit geworden, die Zeit seines Kommens nur noch eine Frage der Macht". Nur das sagen wir auch jetzt und rufen alle auf, unter diesem Banner zu kämpfen, die Arbeit in dieser Richtung zu führen. Dasselbe ist auch mit der Parole des Bürgerkrieges der Fall, die schon längst von der Sozialdemokratie ausgegeben worden ist. Wann wir siegen werden, wie viel Jahre man dazu braucht, wie viel Mal wir vom Feinde zurückgeschlagen sein werden, welche Opfer der Kampf erfordern wird – das wissen wir nicht. Das können wir nicht wissen. Aber wir wissen mit Bestimmtheit: je länger wir in der tötenden Umklammerung des konterrevolutionären Kautskyanertums verbleiben werden, umso länger wird die Herrschaft der Bourgeoisie währen; je schneller, je entschlossener, je furchtloser wir den Weg des Bürgerkrieges beschreiten werden, umso eher werden wir die Selbstherrschaft des Zaren und des Feudaladels in Russland, die Selbstherrschaft des Kapitals in den vorgeschrittenen Ländern stürzen.

Der Bürgerkrieg ist nicht ein ,,Anarchismus", nicht irgend ein „technisches Pseudonym", wie die russischen Kautskyaner behaupten. Der Bürgerkrieg ist de Banner, das alte Banner der revolutionären Sozialdemokratie. Bürgerkrieg heißt revolutionärer Marxismus (freilich nicht der Marxismus der Kautsky und: Plechanow, sondern der von Marx und Engels), angewandt auf die Verhältnisse des ersten imperialistischen Weltkrieges,

29. Februar 1916.

G. Sinowjew.

1Tatsächlich 1909

2 Lenin bot Rosa Luxemburg das eine Mandat für Russland an, nachdem Vaillant einen Sitz für die Polen verlangt hatte, um Rosa Luxemburg einen Platz zu verschaffen.

* Kurios, dass Herr Plechanow 1916 im „Prisyw" nicht das Basler Manifest zitiert, sondern die Reden Domelas aus dem Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, d. h. vor einem Vierteljahrhundert!! Und gerade auf die damalige Periode lässt sich absolut Engels' Erklärung anwenden, dass Deutschland im Fall eines Krieges mit Russland die Interessen des Fortschritts, der Menschlichkeit und des Sozialismus verteidigen würde. Jetzt repetiert Plechanow „das Vergangene" und lügt für zwei!

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