G. Sinowjew 19160610 Zimmerwald – Kienthal

G. Sinowjew: Zimmerwald – Kienthal.

[„Sozialdemokrat" Nr. 54/55. Nach Lenin/Sinowjew, Gegen den Strom, 1921, S. 341-355]

1. Vor der 2. Konferenz.

Schon in Zimmerwald wollten die meisten Delegierten von der Schaffung einer beständigen internationalen Organisation der sozialistischen Internationalisten nichts wissen. Zimmerwald war von ihnen gedacht als provisorische, vorübergehende Erscheinung, als episodischer Bund von Menschen, die sich zusammengefunden haben, um gemeinsam für den Frieden zu agitieren. Keinerlei Spaltung von den alten offiziellen Parteien. Die sozialpatriotische Majorität würde bald Raison annehmen und auf den alten sozialistischen Weg zurück kehren. Wir koordinieren unsere Bemühungen nur, um diese Rückkehr zu beschleunigen. Sobald dies stattgefunden haben wird, werden wir unser Zimmerwalder Organisation auflösen.*

Ungefähr so dachte die Zimmerwalder Majorität. Das war äußerst naiv. Aber das war so. Und daraus ergab sich die Feindschaft, daraus ergab sich die Unzufriedenheit gegen die Zimmerwalder Linke, die damals schon behauptete, dass eine solche Vorstellung naiv sei, die damals schon die Spaltung von den Sozialpatrioten als unvermeidlich erklärte und offen das Banner der dritten Internationale erhob.

Es verging ein halbes Jahr, auf der Februar-Konferenz in Bern mussten die Zimmerwalder einen Schritt in unserer Richtung tun. Es vergingen weiter 2-3 Monate, und auf der 2. Konferenz in Kienthal wurde noch ein Schritt vorwärts getan. Aber unentschieden bleibt immer noch die wichtigste und grundlegende Frage, ob Zimmerwald eine zufällige Episode oder, im Gegenteil, eine Etappe auf dem Wege zur Schaffung einer neuen internationalen Assoziation der Arbeiter ohne die Sozialchauvinisten und gegen sie sein wird.

Der Krieg geht fort, sein Ende ist nicht abzusehen. Die Völker hungern und verelenden. Nicht nur irgendwo bei Bagdad, aber bei Verdun, hundert Kilometer vor Paris, im Mittelpunkt der europäischen „Zivilisation" geht da Gemetzel mit unerhörter Kraft weiter. Und tagein tagaus gestatten Tausend und Abertausende französischer und deutscher Arbeiter „ihren" Regierungen sie unbehindert zur Schlachtbank zu führen… Nach 22 Monaten imperialistisch« Schlächterei geben die offiziellen „sozialistischen" Parteien den Arbeiter ihren Segen zu diesem „heroischen" Tod – im Namen der Interessen einer Bande von Kapitalmagnaten… Der Verlauf des Krieges, die angeknüpften neuen Geheimverträge, alles, alles, was in den 22 Monaten des blutigen Krieg« geschah, schreit geradezu, dass dieser Krieg ein imperialistischer, ein räuberischer Krieg ist, in Anwendung an den man nur zum Hohn von den Interessen des Volkes sprechen könne. Aber die offiziellen „sozialistischen" Parteien lobpreisen verzückt diesen Krieg, rufen selbstvergessen die Volksmassen zum Durchhalten auf und verwandeln sich in Henker des Sozialismus, indem sie den Imperialisten helfen, die Blüte der Arbeiterklasse körperlich zu vernichten… .

So ist die Lage der Dinge… .

Was Wunder, wenn in den Massen das Bewusstsein der Notwendigkeit wächst, mit den Judas Ischariots und den Pontius Pilatus zu brechen, die an der Spitze der II. Internationale standen?

Noch zur Zeit Zimmerwalds war eine offene Spaltung in keinem der führenden" Länder vorhanden. Jetzt ist die Spaltung zur Tatsache geworden nicht nur in Italien, in Russland, Bulgarien. Jetzt hat sich die Spaltung-vollzogen oder vollzieht sich in Deutschland, England (gerade während der Konferenz lief die Nachricht ein vom Bruch der Majorität der Britisch Soc. Party mit Hyndman und Konsorten), in Frankreich, in Schweden, ja sogar in Australien und Amerika. Nicht die „Theoretiker", nicht die „Sektierer" vollziehen diese Spaltung. Nein, jeder ehrliche einfache Sozialist, ja mitunter sogar ein ehrlicher Demokrat fühlt, dass er entweder sich verleugnen und ein unfreiwilliger Agent der Bourgeoisie werden muss, sein sozialistisches Erstgeburtsrecht für das Linsengericht der Einheit mit den Sozialpatrioten verkaufen muss, oder – ein „Quertreiber" werden muss, d. h. offen das Banner des absoluten Bruches mit den Verrätern an der Arbeitersache erheben muss.

2. Die Zusammensetzung der Konferenz und ihre politische Physiognomie.

Die Regierungen haben alles getan, um die Konferenz zu verunmöglichen. Um die internationale Polizei auf eine falsche Spur zu führen, haben die Veranstalter der Konferenz bekanntgegeben, die Konferenz würde in Holland stattfinden, während sie in Wirklichkeit in der Schweiz stattfand. Dennoch ist es vielen Delegierten nicht gelungen, anzukommen. Zirka 10 deutsche Delegierte, 1 österreichischer Delegierter, 2 Engländer, 1 Lette, 2 Balkandelegierte, einige Franzosen, Skandinavier usw. konnten nicht eintreffen. Die Zimmerwalder Linke wurde infolgedessen numerisch geschwächt. Andererseits trafen auch die Sozialpatrioten ihre „Maßnahmen". Der Sekretär des Internationalen Büros der Sozialpatrioten, Huysmans, begab sich nach Frankreich und England, um die dortige Opposition von der Reise nach Zimmerwald abzuhalten. Die offiziellen Parteien malten den Vertretern der Minorität allerhand Gefahren an die Wand …

Und dennoch fand die Konferenz statt. Und dies allein ist ein bedeutender Fortschritt.

Deutschland war durch 7 Delegierte vertreten. Dies waren die Vertreter aller drei Hauptrichtungen in der deutschen Opposition. Ein Anhänger der Zimmerwalder Linken und einer der Gruppe, die den Namen I.S.D. (Internationale Sozialisten Deutschlands) trägt. Er vertrat die internationale Bewegung der Stadt X.1 (ein großes Zentrum, wo die überwiegende Majorität der ganzen Organisation auf dem Standpunkt der äußersten Linken steht). Darauf – 2 Vertreter der Gruppe „Internationale" (Namen der Zeitschrift, die in einer Nummer unter der Redaktion von Rosa Luxemburg und Mehring erschienen ist). Schon in Zimmerwald war diese Richtung mit der Majorität gegen uns. Jetzt haben sich diese Genossen „verlinkst". In Deutschland selbst haben die Anhänger Haase-Ledebour-Kautsky diese Genossen aus den früher gemeinsamen oppositionellen Gruppen ausgeschlossen. Und dies geschah, trotzdem die Anhänger der „Internationale" keineswegs eine übermäßige Klarheit in der Frage des „Kautskytums" aufwiesen. Vor der Konferenz selbst trat die Gruppe „Internationale" mit einem Aufruf hervor, der den Arbeitern empfahl, die Zahlung der Parteibeiträge an die sozialchauvinistische Parteileitung einzustellen. In der deutschen Situation bedeutet dieses einen bedeutenden Schritt zum Bruch mit der offiziellen Partei. – Und schließlich waren 4 Vertreter der gemäßigten Opposition da, die an die Namen Ledebour-Hoffmann geknüpft sind. Sie bezeichneten sich als „Opposition innerhalb der Organisation" zum Unterschied von den „Quertreibern". Ihre Taktik ist auch jetzt, wie in Zimmerwald, sehr verworren und opportunistisch geblieben. Sie sind nach wie vor gegen die Spaltung. Sie wollen nach wie vor von der Schaffung einer dritten Internationale nichts wissen. Als Ledebour und Haase schließlich ihre Parlamentsfraktion bildeten, wurde unter tätiger Teilnahme Kautskys (wie Spartacus erzählt) die erste prinzipielle Erklärung dieser Fraktion im halbpatriotischen Geiste abgegeben. Diese Deklaration lautete: Wir stimmen gegen die Kredite, da die Grenzen unseres Vaterlandes vor feindlicher Invasion gesichert sind. Erst vor kurzem schrieb Kautsky, dass die sozialdemokratische Reichstagsfraktion und die Südekumfraktion „nicht gegeneinander, sondern nebeneinander" arbeiten sollen. Mit anderen Worten, Kautsky bot den Agenten der Bourgeoisie, Scheidemann, Legien, David und Konsorten wieder einmal Frieden an. Kautsky wollte nicht zur Konferenz kommen, obwohl er wie auch Haase persönlich eingeladen waren. Ihre Weigerung, an der Konferenz teilzunehmen, motivierten sie damit, dass sie offizielle Vertreter der deutschen Partei (d. h. Südekums und Konsorten) im Internationalen Sozialistischen Büro seien (waren!), und daher sei ihre Teilnahme an der Konferenz „unbequem". Das ist natürlich eine leere Ausrede. Die italienischen, russischen, rumänischen und anderen Delegierten der Zimmerwalder Konferenz waren ja früher auch Vertreter ihrer Parteien im Internationalen Sozialistischen Büro. In Wirklichkeit war die Sache die, dass Kautsky und Haase viel mehr ein Bündnis mit Renaudel, Hyndman und Vandervelde und zugleich auch mit den Scheidemännern wollen, als mit den internationalistischen Elementen, die sich um Zimmerwald scharen.

Der lähmende Einfluss des Kautskytums lastet noch stark auf einem Teil der deutschen Opposition. Aber die Stimmung in den Massen ist eine, andere geworden, und das ist die Hauptsache. Die Unzufriedenheit wächst überall. Man kann kaum eine Großstadt nennen, wo nicht größere oder kleinere Demonstrationen gegen die Teuerung usw. stattgefunden hätten. Die Unzufriedenheit in den Schützengräben ist ungeheuer. Die Massen radikalisieren sich. Sollte der Krieg bis zum Herbst dauern, so sind große Ereignisse unvermeidlich. So sprachen – im Unterschied zu Zimmerwald – die Vertreter aller drei Richtungen in der deutschen Opposition … Auf die Frage eines italienischen Delegierten, ob man jetzt in Deutschland eine ernste Massenbewegung, eine praktische Aktion gegen den Krieg erwarten könne, antworteten alle Delegierten einstimmig und in voller Überzeugung: Ja. Das war in Zimmerwald nicht der Fall. Und der Umstand, dass die deutschen Delegierten, lauter gemäßigte und vorsichtige Männer, jetzt so sprachen, ist das wichtigste Zeichen der Zeit. Diese Erklärungen gehören zu den wichtigsten Ereignissen auf der Konferenz.

Aus Frankreich waren ziemlich unerwartet für die Konferenzteilnehmer drei Mitglieder der Deputiertenkammer gekommen: Brison, Raffin-Dugeans und Blanc. Diese Delegation stellt unzweifelhaft das Echo des in Frankreich wachsenden Massenprotestes gegen das imperialistische Gemetzel dar. Alle drei genannten Delegierten gehörten bisher zu der äußerst schüchternen „Opposition Seiner Majestät". Sie alle schlossen sich der Gruppe Longuet-Pressemane, der Gruppe der französischen Kautskyaner schlimmster Sorte an. Sie alle wiederholen auch jetzt die Kautskyschen Phrasen, dass sowohl die Franzosen wie die Deutschen recht hätten, wenn sie die Kredite bewilligen. Denn die einen wären ja von der Invasion der Preußen, die anderen von der Invasion der Kosaken bedroht gewesen. Sie alle wollen die tiefen Ursachen der Krise nicht sehen und predigen die gegenseitige Amnestierung der bankrott gewordenen sozialpatriotischen Parteien. Sie alle wiederholen zum Teil die sozialpatriotischen Phrasen vom „edlen Frankreich", das in diesem Kriege die Traditionen der Revolution verteidige u. a. m. Wenn man ihre Reden anhört, könnte man mitunter denken, dass diese Männer direkt aus dem Lager der Sozialchauvinisten kommen, die über sich selbst im Unklaren sind. Aber ihr Verhalten nach der Konferenz, ihre Proteste in Frankreich gegen die Herren, die an der Spitze der französischen „Sozialistischen" Partei stehen, haben etwas anderes gezeigt: diese Männer spiegeln, wenn auch sehr schlecht, sehr unkonsequent und mit großen Schwankungen, die Stimmung großer Kreise der Demokratie und der zu Beginn des Krieges irre gewordenen Arbeiter wider, die jetzt gegen den Krieg, gegen den sozialchauvinistischen Schwindel vorzugehen versuchen. Sie sind fürchterlich verwirrt. Sie haben einen Haufen Vorurteile gegen den konsequenten Internationalismus. Doch die Massenbewegung treibt sie zu Zimmerwald. Sogar in Frankreich, wo der Sozialismus jetzt einen besonders schweren Stand hat, sehen wir den Massenprotest erstarken, die Bewegung erwachen. In Paris und in der Provinz haben sich die ersten Gruppen französischer Arbeiter gebildet, die konsequent den wahren Internationalismus verteidigen und sich zur Zimmerwalder Linken bekennen. Es wird ihre Aufgabe sein, die beginnende Zersetzung unter den französischen Sozialchauvinisten auszunutzen.

Italien war durch 7 Genossen vertreten. Diesmal konnte man deutlich zwei Richtungen in der italienischen Partei wahrnehmen. Die Majorität der Delegation gehörte zu den sogenannten „linken Reformisten". Ob sie auch in der Partei die Majorität bilden, lässt sich nicht sagen. Unter den Parlamentariern, unter den „Spitzen", – wahrscheinlich ja; unter den Arbeitern – kaum. Diese Majorität steht auf Seiten des Kautskytums und des Sozialpazifismus, glaubt nach wie vor, dass „Schiedsgerichte", allmähliche Abrüstung, demokratische Kontrolle über die auswärtige Politik usw. programmatische Forderungen der internationalen Sozialdemokratie bleiben müssen. Die Minorität (der Redakteur des Zentralorgans der Partei „Avanti", Genosse Serrati) verfocht eine andere Taktik, die der Zimmerwalder Linken nahekam.

Von der Schweiz waren 5 Delegierte da. 2-3 (Platten, Robmann, Nobs) waren unsere Gesinnungsgenossen. Die Übrigen gingen mit dem Genossen Grimm.

Die serbische sozialdemokratische Partei war durch den Delegierten Katzlerowitsch vertreten, der sich der Zimmerwalder Linken anschloss, wenn auch nicht in allen Punkten.

Polen war durch 5 Delegierte vertreten. 3 (Radek, Bronski, Dombrowski) von der polnischen sozialdemokratischen Opposition gehörten zur Zimmerwalder Linken; einer, von der Zentralleitung der Polnischen Sozialdemokratie (Warski), unterstützte diesmal ebenfalls die Linke in der Frage der Einberufung eines Internationalen Sozialistischen Büros. Einer, vom Linken Flügel der P. P. S., (Lapinski) verfolgte ungefähr die „Richtung" Martows.

Die russische Delegation war folgendermaßen vertreten. Vom Zentralkomitee unserer Partei: Lenin, Sinowjew, Petrowa (die lettische Sozialdemokratische Partei hatte ihre Vertretung Sinowjew übertragen); von der O.-K.: Martow und Axelrod; von den „Internationalistischen Elementen der Sozialrevolutionäre" Bobrow und 2 andere Delegierte.

3. Zweite oder Dritte Internationale?

Die wichtigste, aktuellste Frage auf der Konferenz war die Frage der Stellungnahme zum Internationalen Sozialistischen (?) Büro (früher in Brüssel, später in Den Haag). Das war der wichtigste Punkt der Tagesordnung, denn in dieser Formel wurde im Grunde genommen die Frage entschieden, ob Zweite oder Dritte Internationale.

Sowohl in Deutschland, wie in Frankreich, in Österreich, in Russland, in England und in Belgien verfolgen die Sozialchauvinisten dieselben bürgerlicher Gedankengänge. Sie alle nehmen eine und dieselbe prinzipielle Position ein, Der Krieg hat sie jedoch vorübergehend getrennt. In diesem Moment können sie einander noch nicht die Hand reichen und befehden sich.

Der sogenannte Vollzugsausschuss, das Exekutivkomitee des Internationalen Sozialistischen Büros „vollzieht" in Wirklichkeit nicht die Beschlüsse der Internationalen Sozialistischen Kongresse, nicht die Gebote des Sozialismus sondern die Gebote der imperialistischen Bourgeoisie der Alliierten. Dieses Exekutivkomitee, d. h. die Vandervelde, Huysmans und Konsorten, denen sich noch zwei, drei holländische Sozialchauvinisten angeschlossen haben, ist zu einer Agentur der englischen und französischen Imperialisten geworden.

Dessen ungeachtet versuchen jetzt schon Huysmans und Konsorten in Den Haag ein gewisses, zentrales Vermittlungsbüro für die Sozialchauvinisten der beiden kriegführenden Lager zu schaffen. Diese beiden Lager können sich noch nicht versammeln, aber sie können auch jetzt schon einiges zusammen tun z. B. Schulter an Schulter gegen die Internationalisten kämpfen, mit vereinter Kräften Zimmerwald attackieren. Eine Art stillschweigenden Übereinkommen zwischen den zwei Trusts der Sozialchauvinisten, die sich vorübergehend verkracht haben, besteht auch jetzt schon. Und Huysmans und sein Exekutivkomitee figurieren in dieser Sache als „ehrliche (hm! hm!) Makler".

Man betrachte die Tatsachen. Huysmans bringt Manifeste und Deklarationen, die ebenso gerne in der Wiener „Arbeiter-Zeitung" (Viktor Adler) abgedruckt werden, wie in den Zeitungen Südekums, im Organ der Thomas und Sembat, wie im Blatt der russischen Sozialpatrioten („Nasch Golos"). Ihnen allen spricht Huysmans zu Munde, der die richtige Entdeckung gemacht hat, dass sowohl die Londoner Konferenz der Entente-Sozialisten, wie die Wiener Konferenz der deutschen Südekumisten eigentlich dieselben „Prinzipien" vertreten. Sie alle spenden Huysmans Beifall, wenn er einerseits die Möglichkeit eines Friedensschlusses mit den rechten Zimmerwaldern durchblicken lässt und andererseits Zimmerwald und die Sozialisten des Landes angreift, wo es noch keine Demokratie gibt. (Eine „zarte" Anspielung auf die russischen Internationalisten …)

Man betrachte, was nach der zweiten Zimmerwalder Konferenz geschieht. Huysmans gibt das Signal, und wie verabredet legen die Sozialchauvinisten Frankreichs, Schwedens, Deutschlands usw. laut Protest gegen Zimmerwald ein. Die französischen „sozialistischen" Minister tun manchmal so, als wären sie mit dem voreiligen „Kampf", den Huysmans angeblich für den Frieden führt, unzufrieden. Aber zugleich „erkennen sie" das Haager Büro absolut an, und Huysmans hat recht, wenn er sich darauf beruft, dass er sowohl „von Berlin, wie von Wien, Paris und London", d. h. von den Sozialchauvinisten dieser Weltstädte anerkannt ist.

Sie alle, Südekum wie Renaudel, Plechanow wie Legien, brauchen das Haager Büro. Die Führer dieser würdigen sozialchauvinistischen Bande können nicht umhin, daran zu denken, was nach dem Kriege sein wird. Nach dem Kriege müssen sie die Internationale des Betruges „wiederherstellen", sie müssen sich gegenseitig amnestieren, die beiden Trusts müssen sich die Hände reichen zum gemeinsamen Kampf gegen die sozialistischen Arbeiter. Aus diesem Grunde ist das Haager Büro jetzt schon sozusagen der politische Brennpunkt des ganzen Kampfes zwischen den Sozialisten und Sozialchauvinisten. Das Haager Büro ist der Embryo, der Keim der künftigen „internationalen" Aktiengesellschaft zur Irreführung der Arbeiterklasse aller Länder. Unter dem Losungswort „Einheit" und Wiederherstellung der zweiten Internationale wird diese Gesellschaft von Auguren den Kampf gegen die Internationalisten einleiten.

Wollten wir bei dieser Sachlage das Haager Büro aufrechterhalten und unsererseits seine Einberufung fordern, so hieße das, dass wir der Bande helfen, die Arbeiter zu beschwindeln. Man betrachte z. B. Frankreich. Der schwankende Internationalist Bourderon macht zusammen mit dem Vertreter der Opposition Seiner Majestät Bücklinge vor den „Sozialistischen" Ministern und erbittet ihre Einwilligung zur Einberufung des Internationalen Sozialistischen Büros. Und diese lehnen patzig ab und tun, als ob dies die von ihnen behütete „Kultur und Freiheit" bedrohen würde. Sembat, Thomas und andere Lakaien des russischen Zaren und der französischen Plutokratie beteuern hoch und heilig, sie würden nie und nimmer die Einberufung des Büros zulassen. Jetzt erlauben Poincaré und Briand ihnen nicht, darauf einzugehen. Aber nach einiger Zeit werden sie es tun. Und was wird dann sein? Im Büro werden dieselben Herren Scheidemann, Ebert, Adler, Vandervelde, Renaudel, Branting, Troelstra un Konsorten sitzen. Natürlich wird in dieser Versammlung den französischen Sozialchauvinisten kein Haar gekrümmt werden. Das erste, was diese Herren tun werden, wird sein, dass sie mit vereinten Kräften diesen selben Bourderon abzuwürgen suchen werden, der jetzt mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig wäre, die Einberufung des Sozialchauvinistischen Internationalen Büro erstrebt.

Wer je irgendwelche Hoffnungen auf das alte internationale Büro setzte der blickt zurück, der ist ein Gefangener der internationalen Bande der Sozialimperialisten, der ist unfähig, einen ernsten Kampf gegen sie zu führen. Die Spaltung ist notwendig. Die Spaltung ist unvermeidlich. Die Spaltung ist schon halb zur Tatsache geworden. Man kann die Ehre des Sozialismus nur retten wenn man mutig und offen die Arbeiter aller Länder aufruft, mit den Verrätern zu brechen und eine eigene Dritte Internationale ins Leben zu rufen. Freilich die Dritte Internationale kann nur im Sturm und Drang der Massenbewegun geboren werden. Freilich, keine Konferenz kann jetzt mehr geben als eine vorläufige geistig-politische Vorbereitung der Dritten Internationale. Aber vorbereitet muss diese werden, es muss endgültig und unabwendbar die Richtung festgestellt werden.

Auf diese Fragestellung haben wir zweierlei Einwände hören müssen prinzipieller und praktischer Art. Sowohl die einen wie die andern liefen in Wirklichkeit auf ein abgeklappertes Kautskytum hinaus, d. h. auf den Schutz der Einheit mit den Sozialpatrioten, d. h. auf die Auslieferung der internationalistischen Bewegung an den internationalen Trust der Sozialchauvinisten.

Die prinzipiellste Kautskyanische Rede hat P. B. Axelrod gehalten. E verteidigte die Einheit mit den vaterländischen Sozialchauvinisten und hätte natürlich gern diese Herrlichkeit über die ganze Internationale erstreckt gesehen. Er ist gegen die Spaltung. Ja, er gibt zu, dass die II. Internationale nicht an der Höhe war, wie es nun einmal in der jetzigen Weltkatastrophe mit so zahlreichen Organisationen und Richtungen der Fall war. Aber er ist gegen „revolutionäre Erschütterungen in den alten sozialistischen Parteien". Die Masse waren auch selbst zu Beginn des Krieges patriotisch gesinnt. Die führende Organe („Parteiinstanzen") soll man nicht spalten, sondern wiedergewinnen. Wir müssen sie so behandeln, wie ein erfahrener und aufmerksamer Arzt eine teuren Patienten behandelt. Kein Mittel darf unversucht bleiben, bevor man zum chirurgischen Messer greift. Es handelt sich ja nicht um einen Verrat. Wie das einzelne Individuum ungefähr im 18. Lebensjahr einen Stimmwechsel erlebt, so geschah es auch mit der II. Internationale. Man muss sich an die Massen wenden. Die Massen sollen die Einberufung des Internationalen Sozialistischen Büros fordern. Wir müssen unseren verirrten Brüdern beweisen, dass sie fehl gehen. (Axelrod bringt von sich persönlich eine Art Resolution in diesem Geiste ein, publiziert war sie nicht, der Verfasser erklärte, es sei ein unvollendeter Entwurf.)

Eine andere Reihe von Einwänden kam von dem „praktischen" Opportunismus. Ihre Hauptvertreter auf der Konferenz waren die italienischen „linken Reformisten" und der Vertreter der gemäßigten deutschen Opposition „Hoffmann".

Die Italiener schufen die Legende, dass in der Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros die Zimmerwalder die Majorität gegenüber den Sozialpatrioten haben könnten.

Wir werden dort, sagten sie, Huysmans und Co. durch eine Handerhebung „erschlagen". Den Zimmerwaldern sollten zu Hilfe kommen nach Auffassung der Italiener, die Sozialisten Japans, Südafrikas, Australiens, ja gar … Indiens.

Es war uns leicht, mit Zahlen in der Hand diese Legende zu zerstören. Aber selbst wenn die Auffassung der Italiener richtig gewesen wäre, so blieb doch ihre ganze Fragestellung der Gipfelpunkt der Naivität. Es handelt sich ja gar nicht darum, wer die Majorität im Büro hat. Es handelt sich nicht darum, dass mit Hilfe eines südafrikanischen Sozialisten die Millionenpartei der deutschen Sozialchauvinisten überstimmt werde. Es fragt sich, sind wir dem Wesen unsrer Auffassung nach eine Partei, ein Lager, eine Internationale, oder haben wir zwei Programme, und sind diese Programme unversöhnlich.

Mag sein! sprach man zu uns (Hoffmann, Serrati u. a.), aber wir dürfen uns den Schlachten mit den Sozialchauvinisten im Internationalen Büro nicht entziehen. Wir müssen hingehen, um sie bloßzustellen. – Darauf antworteten wir: wir schließen gar nicht aus, dass wir vorübergehend auch in die Sitzungen dieser Herren gehen können, um auch dort die Maske von ihren sozialchauvinistischen Fratzen herunter zu reißen. Aber jetzt steht eine andere Frage auf der Tagesordnung. Das Büro wird von niemandem einberufen. Die Frage ist jetzt, ob wir wie Bourderon und Longuet für die Einberufung des alten Internationalen Büros agitieren sollen oder – ob wir dieses Büro brandmarken, entlarven, an den Pranger stellen sollen, den Massen die Schwindelpolitik der Huysmans erläutern sollen, ihnen die Unvermeidlichkeit einer Trennung von den Sozialchauvinisten beweisen und sie zum Kampf für die Dritte Internationale aufrufen sollen.

Zwei Auffassungen, zwei Taktiken. Die einen glauben, die zweite Internationale hätte Schiffbruch erlitten, und im Feuerofen des Weltkrieges wurden die Vorbedingungen für die Dritte Internationale geschmiedet werden, frei vom Opportunismus und Nationalismus. Die anderen haben weder den Charakter des Krieges, noch den der vom Sozialismus durchgemachten Krise erfasst. Es würde die alte Organisation mit dem Internationalen Büro an der Spitze wieder hergestellt werden. Die verlorenen Söhne würden Vernunft annehmen, die „Missverständnisse" sich aufklären, und dann – „warum sollte man sich in der Tat nicht gegenseitig amnestieren?" (P. Axelrods Worte in der Kommission.)

Auf welcher Seite war in dieser Frage die Majorität der Konferenz? Die Frage lässt sich nicht ohne weiteres genau beantworten. Die relative Majorität war eher auf unserer Seite.

Bevor die Frage an sich zur Abstimmung gelangte, wählte die Konferenz eine Kommission von sieben Personen zur Ausarbeitung einer Resolution. Die Kommission teilte sich jedoch sofort in zwei Gruppen: in solche, die für die Einberufung des Büros zu agitieren empfahlen, und in Gegner einer solche Agitation. Zu der ersteren gehörten: Lazzari (Italiener), Naine (Schweizer) ein deutscher Delegierter aus der gemäßigten Hoffmann-Gruppe und Axelrod. Zu den zweiten – Lenin, Warski und ein deutscher Genosse aus der Gruppe „Internationale". Das Resultat war: zwei Resolutionsentwürfe. Interessant ist der Entwurf der Majorität. Seine Verfasser sind für die Einberufung des Büros. Aber sie stellen zugleich so harte Bedingungen, sie kritisieren die Sozialchauvinisten dermaßen, dass der konsequente Kautskyaner P. B. Axelrod diesen Entwurf sowohl unterstützt als auch nicht unterstützt (nur in dem Teil unterstützt, der die Einberufung fordert). Die Verfasser fordern die Absetzung der Exekutive, d. h. die Absägung von Huysmans und Konsorten. Noch mehr: die Verfasser fordern, dass die „sozialistischen" Minister, d. h. die Führer der II. Internationale aus der Partei ausgeschlossen werden.

All das ist vom Standpunkt der Einheitsbestrebungen nicht allzu logisch. Und sonst auch unlogisch. Millerand trat ins Ministerium als Einzelperson als freier Vogel. Aber Sembat, Guesde, Thomas, Vandervelde, Henderson sind von ihren Parteien, d. b. von den Sozialchauvinisten eingesetzt worden. Ma kann die Abgesandten nicht ausschließen, ohne auch die Sender auszuschließen. Aber dann bekommt man eine offene Spaltung.

Was wird nun? Die Logik der Geschehnisse hat es mit sich gebracht, da alle, mit Ausnahme des konsequenten Kautskyaners Axelrod, praktische Anträge machten, die in Wirklichkeit zu einer Spaltung führen. Das ist ein Zeichen der Zeit.

Während der Diskussionen auf der Konferenz stellte sich bald heraus, dass die künstliche Majorität der Kommission, zu der konventionell Axelrod gehörte, die Majorität der Konferenz nicht hatte. Auf die innere Unlogik de Entwurfes der Majorität wiesen nicht nur wir hin, sondern auch Grimm und andere. Man begann nach einem Kompromiss zu suchen. Der Pole Lapinski schlug eine Resolution vor, in der das Büro scharf kritisiert wurde und die Frage nach der Beteiligung und der Agitation für die Einberufung offen blieb. Wir verlangten eine Abstimmung aller Resolutionen. Nach langem Dränge unsererseits wird eine solche vorläufige Abstimmung vorgenommen. Ihre Ergebnisse (die einzige wichtige Abstimmung auf der Konferenz) sind folgende

Entwurf der Majorität – 10 Stimmen; Entwurf der Minorität der Kommission – 12 Stimmen; Hoffmanns Entwurf (für die Einberufung) – 2 Stimmen; Lapinskis Entwurf – 15 Stimmen; Serratis Antrag (ungefähr derselbe, wie der der Majorität) -- 10 Stimmen; Sinowjews Antrag (sollte das Internationale Sozialistische Büro einberufen werden, so müssten die Zimmerwalder eine Konferenz einberufen) – 19 Stimmen!

Nach dieser Abstimmung wurden die Resolutionen wieder einer Kommission übergeben, die durch zwei Mitglieder der Linken (Sinowjew, Nobs) ergänzt wird. In der Kommission erklärten wir, dass wir, um ein Kompromiss zu erreichen, die Annahme von Lapinskis Resolution nicht verhindern würden. Schließlich wurden, mit gewissen Veränderungen, die Resolutionen Lapinski-Sinowjew-Modigliani angenommen. (Die Italiener verlangten ultimativ, dass den einzelnen Parteien das Recht eingeräumt werde, eine Einberufung des Internationalen Sozialistischen Büros zu fordern.) Dagegen stimmte allein ein italienischer Opportunist (Lugoni) bei der Stimmenthaltung von Axelrod. Die Übrigen stimmen für.

So bekommt man einen durchschnittlichen Beschluss, der die Taktik Axelrods und Kautskys nicht erleichtert. Nicht alles ist gesagt worden, nicht prinzipiell, nicht konsequent, aber immerhin etwas ist gesagt worden. Wer die Einheit mit den Sozialchauvinisten und die Wiederherstellung der II. Internationale durch gegenseitige Amnestierung erstrebt, der darf für eine solche Resolution nicht stimmen. Man kann nicht in einem Atemzuge sagen: Ihr habt auf den Sozialismus verzichtet, Ihr seid ein Werkzeug der Imperialisten, Ihr seid Geiseln der Regierungen, Ihr habt die Standarte der Internationale beschmutzt; und: – Wir sind für die Einheit mit Euch. Die Arbeitermassen, die an Zimmerwald glauben, werden aus einer derartigen Bewertung der Tätigkeit der II. Internationale ihre Schlüsse ziehen.

Auf der Konferenz wurde die Resolution zur Frage des Büro scherzweise „Steckbrief" genannt. Diese Bezeichnung ist nicht ohne Witz. Die Resolution ist bei all den angenommenen Milderungen in Wirklichkeit ein Schandfleck auf dem Rücken der Sozialchauvinisten aller Länder. Sie beschreibt so ausführlich die lieblichen Züge der sozialchauvinistischen Kriminalistik, dass die internationalistischen Arbeiter wohl kaum eine große Lust verspüren werden, sich mit diesen Verbrechertypen einzulassen. Andererseits aber werden auch die Sozialchauvinisten ihre Schlüsse ziehen. Auf die sanftere Kritik im Brief des schweizerischen Parteivorstandes antworteten Huysman und Konsorten mit dem … Ausschluss der schweizerischen Partei aus dem Internationalen Sozialistischen Büro. Wie werden sie den Steckbrief beantworten?

Würde alles in der Tat nur von den Diplomaten und „Führern" abhängen, so hätte die angenommene Resolution ihrerseits auch auf diese oder jene Art zurückgenommen werden können.** Aber in der Welt gibt es noch sozialistische Arbeiter. Und dank ihnen kann die angenommene Resolution ein Schritt vorwärts werden zur Vorbereitung der dritten, wahrhaft sozialistischen Internationale…

4. Gegen den Pazifismus.

Die der Wichtigkeit nach folgende Frage war auf der Konferenz die Frage der Stellungnahme der Sozialisten zum Frieden.

Die Auffassung unserer Delegation ist in unseren Anträgen an die 2. Konferenz niedergelegt. (Speziell unsere Stellungnahme zum Pazifismus behandelten wir in dem Aufsatz: „Pazifismus oder Marxismus", dieses Buches.)

Zimmerwald hat den ersten Schritt getan. Zimmerwald formulierte, dass die „Vaterlandsverteidigung" ein Losungswort ist, mit Hilfe dessen die Bourgeoisie und die Sozialchauvinisten aller Länder die Volksmassen mobilisiert haben zur Verteidigung der Interessen des Imperialismus, dass dieses Losungswort die größte Lüge unserer Zeit ist. Jetzt gilt es, den zweiten Schritt zu tun man muss gegen den Pazifismus ankämpfen. Der imperialistische Friede, dei von den sklavenhalterischen Regierungen geschlossen werden wird, wird auch dazu beitragen, die Massen über den wahren Charakter dieses Krieges aufzuklären. Man soll nur die Sozialchauvinisten verhindern, diese Massen wieder irrezuführen.

Überall sind die Volksmassen kriegsmüde, überall wird der Ruf nach Frieden immer lauter und lauter. Damit rechnen die Sozialchauvinisten, sie fangen ebenfalls an, „Frieden" zu predigen. Es ist kein anderer, als Herr Scheidemann, der mit einer Broschüre auftritt, die die Überschrift trägt: „Es lebe der Friede!" Man muss den Arbeitern klar machen, dass das jetzige Gemetzel keiner Augenblick lang anders unterbrochen werden kann, als auf dem Wege des revolutionären Kampfes. Wenn du den Frieden willst, so organisiere den revolutionären Kampf gegen die imperialistischen Cliquen, gegen die Regierung deines eigenen „Vaterlandes".

Der Sozialpazifismus, der von Kautsky, Haase, Ledebour und den englischen Sozialpazifisten gepredigt wird, ist, objektiv genommen, eine Form jenes Massenbetruges, den der Chauvinismus überhaupt darstellt. Das Programm: der „Schiedsgerichte", der allmählichen Abrüstung und des „demokratischen' Friedens ist eine spießige, kleinbürgerliche Utopie, die die Arbeiter nur vom revolutionären Kampfe ablenkt, die nur Illusionen ausstreut, als wäre ein friedlicher Kapitalismus möglich, ein Kapitalismus ohne Krieg, ohne Militarismus, ohne imperialistische Räuberei.

So sprachen wir.

Und merkwürdig: auf der Konferenz gab es Sozialpazifisten. Es gab ihrer unter den deutschen Ledebourianern, unter den Franzosen (Brison hielt zuerst den ersten Teil unserer Resolution, der sich gegen den Pazifismus richtete, einfach für ein Missverständnis, so sehr war er gewöhnt, Sozialismus mit Pazifismus zu identifizieren), und auch unter den russischen Kautskyanern (Axelrod). Und trotzdem vermochten sie nicht, mit einem eigenen Vorschlag durchzudringen, vermochten nichts Ganzes zu geben.

Es sei ferner bemerkt: formal war die II. Internationale in dieser Frage für den Pazifismus. Noch auf dem Kopenhagener Kongress wurde die ganze Weisheit von den „obligatorischen Schiedsgerichten" wiederholt usw. Und dennoch war es für die sozialpazifistischen Elemente in Kienthal bereits ein Ding der Unmöglichkeit im alten Fahrwasser zu verbleiben, sie vermochten nicht mehr, revolutionären Sozialisten eine ernste Schlacht zu liefern und waren bloß gezwungen, sich auf Korrekturen und Abschwächungen zu beschränken.

An die Resolution, die in dieser Frage von der Zimmerwalder Linken eingebracht wurde, schlossen sich diesmal neue Elemente an: der Vertreter der Italiener, Serrati, der Serbe Katzlerowitsch, die meisten Schweizer. Zur Grundlage wurden die Thesen von Grimm genommen, die zwar vieles verschwiegen, aber sich in derselben Richtung bewegten. In den Thesen von Grimm gab es einen Punkt gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker mit der üblichen, angeblich wissenschaftlichen „Begründung" in dem Sinne, dass diese Forderung „unrealisierbar" usw. sei. Auf unseren ersten Vorschlag wurde dieser Punkt gestrichen. Die von uns (der Kommission) vorgeschlagene Korrektur für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen in einer revolutionären Situation wurde verschoben infolge der ungenügenden Geklärtheit der Frage.

Die von der Konferenz angenommenen Thesen richten sich im Großen und Ganzen gegen den Sozialpazifismus, gegen das Kautskytum. Aber dies bedeutet noch nicht, dass Zimmerwald den sozialpazifistischen Utopien ein für allemal ein Ende gemacht hätte. Nein, Rückschläge sind nicht nur möglich, sondern unvermeidlich. Es genügt zu erwähnen, dass die italienische Majorität, obwohl sie für stimmte, in allen wichtigen Fragen „Einschränkungen" machte.

Eine systematische Propaganda gegen den Sozialpazifismus wird nur die Linke führen. Aber die von der ganzen Konferenz angenommene Resolution kann uns bei dieser Propaganda große Dienste leisten. Sie wird diese Frage zur Diskussion aller Parteien stellen, wie sie es bereits in der italienischen Presse getan hat. Und dies allein ist schon ein bedeutender Schritt vorwärts.

Das von der Konferenz angenommene Manifest ist unsrer Meinung nach das schwächste Dokument der Konferenz. Es ist das Resultat eines Kompromisses mit den Franzosen. Es geht ihm jede Genauigkeit und Klarheit ab. Seine besten Stellen sind die, wo die Sozialchauvinisten getadelt werden, die in eine Reihe mit der käuflichen Presse und den Dienern der Regierungen gestellt werden.

5. Was nun?

Die zweite Zimmerwalder Konferenz stellt unzweifelhaft einen Schritt vorwärts dar. Der Einfluss der Linken erwies sich als viel stärker als in Zimmerwald. Die Vorurteile gegen die Linke sind geringer geworden. Aber kann man denn sagen, dass die Würfel geworfen, dass die Zimmerwalder endgültig den Weg des Bruches mit den offiziellen „Sozialisten" beschritten haben, dass Zimmerwald zum Keim der III. Internationale geworden ist? Nein, mit gutem Gewissen kann man dies noch nicht sagen. Alles, was man sagen kann, ist, dass die Chancen für eine solche, für die revolutionären Sozialisten günstige Wendung jetzt größer sind, als sie nach Zimmerwald waren. Doch neue Schwankungen, neue Zugeständnisse den Sozialchauvinisten, Insbesondere nach dem Kriege, wenn ihre Herren (die Bourgeoisie) ihnen erlauben werden, in Worten noch „linkser" zu werden – sind sehr wohl möglich. Nur keine Illusionen! Die Zimmerwalder haben ihren eigenen großen rechten Flügel. Ob er bei uns verbleiben wird – kann niemand garantieren.

Nach der Konferenz tagte die „erweiterte Berner Sozialistische Kommission," der die Konferenz eine ganze Reihe wichtiger Fragen übertragen hatte. Unter anderen war die Frage, wie man sich zu der Konferenz der Neutralen verhalten sollte, die von Huysmans und Konsorten Mitte Juni einberufen werden sollte. Martow schlug vor, „zu empfehlen mitzugehen". Sein Vorschlag vereinigte die Hälfte aller Stimmen. Fünf Stimmen wurden abgegeben für den Antrag Martow, fünf für den Antrag Sinowjew (auf dem Boden der in Kienthal angenommenen Resolution zu verbleiben.***

Was bedeutet dies? Das bedeutet, dass, sobald sich die geringste Möglichkeit zu einer „Verführung" bot, die Hälfte der Zimmerwalder sich hat verführen lassen …

An der Juni-Konferenz Huysmans' werden die Zimmerwalder aus den neutralen Staaten offenbar teilnehmen. In was dieses erste Wiedersehen ausarten wird: in ein Vorpostenscharmützel zwischen der II. und der III. Internationale oder in den Anfang der „Aussöhnung" des rechten Flügels der Zimmerwalder mit dem „linken" Flügel der Sozialchauvinisten – das wird die Zukunft zeigen.

Was nun? – Weiter kämpfen für unsere sung der Frage, für den Weg der revolutionären Sozialdemokratie, für die III. Internationale! Zimmerwald-Kienthal haben gezeigt, dass unser Weg der richtige ist. Die Ereignisse in den einzelnen Arbeiterparteien geben uns jeden Tag recht. Zwei Programme, zwei Lager, zwei Welten, zwei Internationalen. Dahin geht die Entwicklung der Bewegung, dazu wird die jetzige Krise führen. Die Arbeiter Russlands können gar vieles leisten, damit dieses Ziel baldigst erreicht wird.

Es kann keine Einheit geben zwischen Sozialisten und Dienern der Bourgeoisie. Muranow und Petrowski in Russland, Liebknecht in Deutschland, Höglund und Heden in Schweden, Mac Dean in England – alle diese unsere Genossen, die von den Regierungen ihrer „Vaterländer" im Gefängnis gehalten werden, sind die wahren Träger der Idee der neuen Arbeiterinternationale.

Für die Dritte Internationale!

10. Juni 1916.

G. Sinowjew.

* In diesem Sinne hat die Berner Internationale Sozialistische Kommission sogar eine offizielle Erklärung in der Presse abgegeben, eine Erklärung die viel Verwirrung in den Köpfen angerichtet hat und von der Kommission eigenmächtig abgegeben worden ist. Weder die Abstimmung noch die Beratung über diese Frage fand in Zimmerwald statt. In Kienthal antwortete der Vertreter der Berner Kommission, Genosse Grimm, auf unsere Proteste mit ausweichenden Phrasen, nahm jedoch (wenigstens in Worten) die erwähnte Erklärung zur Hälfte zurück. Er „interpretierte" die Erklärung so, dass sie sich auf den Fall beziehe, wenn die Majorität auf ihre Politik verzichten und sich faktisch auf den Boden von Zimmerwald stellen sollte. Wir verlangten, dass dies zu Protokoll gegeben werde.

1 Gemeint ist Paul Frölich, Bremen.

** In der Zeitschrift „Neues Leben" (2. Jahrgang, Heft 5, Mai 1916, S. 137) gibt Genosse Grimm folgende Erklärung für die Tatsache, dass die Konferenz auf die Einberufung des Internationalen Büros verzichtete. Er schreibt: „Viele Sozialisten glauben, das Zustandekommen einer internationalen Aktion hänge nur von der Tätigkeit des Büros im Haag ab. Das ist falsch. Die internationale Aktion muss aus den Massen eines jeden Landes selbst herauswachsen, und erst dann ist eine ersprießliche Tätigkeit einer internationalen Zentralstelle möglich. Aus diesem Grunde (!) verzichtete die Konferenz auf die Forderung sofortiger Einberufung des Büros."

Diese Behauptung des Genossen Grimm entspricht der Wirklichkeit absolut nicht Aus jedem anderen Grunde, aber nicht aus „diesem" hat die Konferenz auf die Forderung der Einberufung des Büros verzichtet. Eine derartige Motivierung wurde von keinem einzigen Delegierten vorgebracht.

Dass ohne Bewegung in den einzelnen Ländern kein Zentralorgan etwas ausrichten kann, ist natürlich eine felsenfeste Wahrheit. Aber sie ist hier nicht am Platze. Diese Wahrheit bezieht sich auf das Zentralorgan, das die Berner Internationale Sozialistische Kommission darstellt.

Die Konferenz hatte auf die Forderung der Einberufung des Büros verzichtet weil sie keine ernsthafte Majorität aufwies, die entschlossen gewesen wäre, wenigstens unter den gegebenen Verhältnissen, – offen den Pakt mit dem sozialchauvinistischen Büro zu verteidigen, während eine beträchtliche Minorität vorhanden war, die entschlossen dagegen ankämpfte. Genosse Grimm hätte besser getan, wenn er der Wahrheit direkt ins Gesicht geschaut hätte und nicht diplomatische „Erklärungen" an den Haaren herbeiziehen würde….

*** Die in der deutschen Presse bekanntgewordenen gegenteiligen Berichte sind unzutreffend. Der Vorsitzende der Versammlung, Genosse Grimm, bestätigt uns in einem offiziellen Schreiben die Richtigkeit unserer Zahlenangabe.

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