G. Sinowjew 19220805 Der vierte Weltkongress der Kommunistischen Internationale

G. Sinowjew: Der vierte Weltkongress der Kommunistischen Internationale

Vortrag, gehalten auf der allrussischen Konferenz der KPR, Moskau, 5.-7. August 1922.

[Die Kommunistische Internationale, Heft 22, September 1922, S. 1-10]

Die Tagesordnung des Kongresses

Genossen, es ist euch bekannt, dass auf den 7. November, den fünften Jahrestag unserer Revolution, der vierte Weltkongress der Kommunistischen Internationale festgesetzt ist. Alle der Kommunistischen Internationale angehörenden Parteien treten bereits an die vorläufige Besprechung jener Tagesordnung heran, die vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale geplant ist. Diese Tagesordnung ist in ihren Hauptzügen folgende.

Die Kommunistische Internationale wird noch einmal bei den wichtigsten taktischen Fragen der Gegenwart Halt machen müssen. Darum bildet die Frage der Taktik der Kommunistischen Internationale einen der ersten Punkte der Tagesordnung. Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Hauptdiskussion dieses Punktes sich um die Frage der Einheitsfront drehen wird. Ferner wird die zweite und vielleicht wichtigste Frage die des Programms der Kommunistischen Internationale sein. Ferner steht die Gewerkschaftsfrage, die Agrarfrage, die Arbeit im Osten auf der Tagesordnung, und dann ist in der letzten Zeit der Gedanke aufgetaucht, die Frage der neuen Wirtschaftspolitik der russischen Sowjetrepublik in dieser oder jener Form noch einmal aufzuwerfen. Auf dem dritten Weltkongress fand hierüber ein Referat des Genossen Lenin statt, doch hatte damals unsere Partei eben erst die neue Politik in ihren Grundzügen entworfen, und Genosse Lenin konnte nur eine theoretische Analyse dieser Politik geben. In diesem Jahre dagegen könnten wir der Internationale bereits einige konkrete Resultate und einige Bilanzen für das Jahr vorlegen.

Das Programm.

Was die Programmfrage anbelangt, so muss man hier folgendes im Auge haben. Ein Einheitsprogramm für die Arbeiter der ganzen Welt auszuarbeiten ist eine außerordentlich schwierige Sache. Gegenwärtig gehören der Kommunistischen Internationale 52 Parteien an und außerdem eine Reihe von Gruppen, die sich der Kommunistischen Internationale anschließen wollen, aber noch nicht vollständig kommunistisch sind. Die Bedingungen, unter denen jede dieser einzelnen Parteien zu arbeiten hat, sind zu verschieden. Das ist ein großes Hindernis für ein Dokument, das ein einheitliches Ganzes sein und die ganze Weltlage umfassen soll.

Die Kommunistische Internationale hat eine große Programmkommission geschaffen, der die besten Kräfte der internationalen Arbeiterbewegung angehören, und an der, wie wir hoffen, Genosse Lenin sich aufs tatkräftigste beteiligen wird. Außerdem sind Programmkommissionen im Anschluss an die größten Parteien der Kommunistischen Internationale im Westen geschaffen worden: im Anschluss an die französische, die deutsche, die italienische, die tschechoslowakische u. a. Ferner ist eine spezielle Kommission geschaffen worden, die das Programm einer japanischen kommunistischen Partei entwerfen soll. In dieser Kommission arbeiten Genosse Katajama, ein Veteran der japanischen Arbeiterbewegung, Genosse Bucharin und eine Reihe anderer Genossen.

Besondere Bedeutung messen wir der Arbeit auf dem Gebiete der Vorbereitung des Programms der japanischen kommunistischen Partei bei. Im Laufe der fünf Revolutionsjahre war es für uns außerordentlich schwer, eine unmittelbare Verbindung mit der japanischen Arbeiterbewegung herzustellen. Die japanische Regierung bewacht ihr Land allzu eifrig.

Für Europäer, selbst für Nichtkommunisten ist es außerordentlich schwer, nach Japan zu kommen, und erst vor einigen Monaten gelang es uns zum ersten Male, eine zahlreiche Delegation japanischer Kommunisten und revolutionärer Syndikalisten in Moskau zu empfangen. Das waren hervorragende Proletarier, die in den japanischen Gefängnissen durch viele Prüfungen hindurchgegangen sind und Jahre revolutionärer Arbeit hinter sich haben. Die japanische Bewegung ist für die Kommunistische Internationale von höchster Wichtigkeit,. da wir es dort mit einem noch unberührten mit einem frischen, revolutionären, noch nicht durch den internationalen Opportunismus demoralisierten Proletariat zu tun haben. In Japan gibt es auch einen reformistischen Flügel, der über bedeutende Kräfte verfügt, aber die Bewegung als Ganzes trägt den Stempel der Frische und Kraft einer jungen proletarischen Bewegung. Japan befindet sich am Vorabend des Jahres 1905. Die Kommunistische Arbeiterpartei Japans, die noch nicht zahlreich ist, deren Einfluss aber von Tag zu Tag wächst, muss gegenwärtig die Aufmerksamkeit der an der Spitze marschierenden Proletarier der ganzen Welt auf sich lenken.

Ferner ist eine Programmkommission geschaffen worden, die das Projekt des Programms für die Balkanparteien einerseits und die skandinavischen andererseits geben soll. Wir haben zwei Winkel Europas genommen, die ihren Ausmaßen nach recht beachtenswert sind, eine recht verschiedene soziale Struktur haben und darum in ihrer Art typisch sind. Auf dem Balkan haben wir folgende Lage. In Bulgarien macht unsere Partei die große Mehrzahl der Arbeiterklasse und einen bedeutenden Teil der Bauernschaft aus. In Bulgarien selbst ist das Kräfteverhältnis ein solches, dass der Übergang der Macht an die Arbeiter kein so schwerer wäre; die ganze Schwierigkeit liegt in der Umgebung Bulgariens. In Jugoslawien hätten wir eine mächtige Partei, die nur durch den weißen Terror eine Zeitlang geschwächt werden konnte. In Griechenland haben wir eine junge wachsende kommunistische Partei: ihr Zentralkomitee ist für seinen heroischen Kampf gegen den Krieg dieser Tage verhaftet worden. In Rumänien haben wir die Mehrzahl der organisierten Arbeiter hinter uns stehen; das hat der Kongress der ehemaligen vereinigten Partei bewiesen; aber der Übergang der rumänischen Regierung zum weißen Terror hat die Arbeiterpartei eine Zeitlang paralysiert. Die Verwickelung auf dem Balkan gab den Anlass, darüber nachzudenken, ob das Programm der Balkanparteien nicht ganz gesondert zu geben wäre.

Die skandinavischen Parteien befinden sich unter anderen Bedingungen. Hier ist unser stärkster Punkt Norwegen, wo wir die erdrückende Mehrheit unter den Arbeitern haben, wo die von uns eroberten Gewerkschaften aus der Amsterdamer Vereinigung ausgetreten sind, wo die bürgerliche Regierung von unserer kommunistischen Partei abhängig ist. Norwegen ist das Land der Arbeiterbewegung, es hat Gewerkschaften, die in bedeutendem Masse über gute Traditionen verfügen. Man kann wohl kaum erwarten, dass die skandinavischen Länder als die Vorposten der Weltrevolution auftreten werden. Ihre Rolle ist keine besondere doch ist sie eine charakteristische Rolle. Darum hält es die Kommunistische Internationale für notwendig, dass wir wenigstens für eins der wichtigsten skandinavischen Länder auf dem vierten Kongress ein exakt formuliertes Programm geben. Das ist die Vorbereitungsarbeit, die für die Ausarbeitung des Programms zu leisten ist.

Wir geben uns Rechenschaft darüber, wie schwer es auszuarbeiten sein wird.

Zur Vermeidung von Enttäuschungen muss im Voraus gesagt werden, dass die Ausarbeitung eines Programms eine so schwierige und komplizierte Arbeit ist, dass, wenn wir auf dem vierten Kongress nur die Vorbereitungsarbeit leisten werden, auch dies schon ein großer Schritt vorwärts sein wird.

Die Kommunistische Internationale hat vom ersten bis zum dritten Kongress eine Reihe von Dokumenten rein programmatischen Charakters gegeben. Erinnert euch, Genossen, an die Thesen des Genossen Lenin auf dem ersten Kongress „Über Diktatur und Demokratie“. Das ist ein bedeutsames, fundamentales, programmatisches und nicht nur taktisches Dokument. Solcher Dokumente gibt es mehrere für die Jahre des Bestehens der Kommunistischen Internationale; wir treten vorläufig an die Arbeit der Zusammentragung dieser grundlegenden Dokumente heran, wir haben auf diese Weise einige Quadersteine, aus denen dieses Programmfundament zusammengesetzt werden muss.

Erinnert euch, Genossen, wie wir an dem Programm unserer eigenen Partei zu arbeiten hatten, als wir an ihm in den Jahren 1917/18 arbeiteten. Wladimir Iljitsch warnte uns vor allzu großer Voreiligkeit und riet uns, die Frage des Programms auf den nächsten Kongress zu verschieben. Damals handelte es sich aber nur um ein Land. Natürlich um ein Land, das damals, im Moment des Niederreißens, im Moment der Revolution, entscheidend war, immerhin aber um ein Land, während wir jetzt ein Programm zu geben versuchen müssen, das die Sachlage nicht nur auf dem Balkan und in Skandinavien, nicht nur in Japan und Amerika umfasst, sondern auch in einer ganzen Reihe kolonialer und halbkolonialer Länder.

Die Gewerkschaften

Was die Gewerkschaftsfrage anbelangt, so muss man sagen, dass wir für die Notwendigkeit eintraten und eintreten, die Einheit der Gewerkschaftsbewegung auf der internationalen Arena zu wahren. Um die Revolution siegreich durchzuführen, muss die Mehrzahl der Arbeiter gewonnen werden; um aber die Mehrzahl der Arbeiter zu gewinnen, muss die Mehrzahl der Gewerkschaften erobert werden. Darum muss an diese Sache besonders vorsichtig und geduldig herangegangen werden. Wir waren und sind dafür, die Wahrung der Einheit der Gewerkschaftsbewegung zu erreichen durch stetige Eroberung der Gewerkschaften von innen her, wie das letzten Endes auch in unserem Lande der Fall war. Die Spaltung in der politischen Bewegung Russlands besteht im Grunde genommen seit dem Jahre 1903 und beginnt vom zweiten Kongress unserer Partei; die politische Spaltung dauerte annähernd zwei Jahrzehnte, während die Gewerkschaftsbewegung in Russland, wenn auch mit mancherlei Unterbrechungen, immerhin im großen und ganzen einheitlich blieb. Im Rahmen der einheitlichen Gewerkschaften gewannen wir in Russland allmählich die Mehrheit für uns, und die Gewerkschaften marschieren jetzt im gleichen Schritt mit unserer Partei.

Wir denken, dass die Kommunistische Internationale eine ebensolche Entfaltung der Ereignisse auch auf der internationalen Arena zu erreichen trachten soll.

Aber ich muss unsere Partei im Voraus darauf aufmerksam machen, dass diese Frage auf dem vierten Kongress praktisch anders gestellt werden wird. Die Sache ist die, dass unsere Gegner — die Sozialdemokraten der Zweiten und Zweieinhalb-Internationale und aus der Amsterdamer Internationale — in dem Masse, wie unsere Gewerkschaftsminderheit anspruchsvoller wurde, zur Taktik der Organisation der Spaltung in den Gewerkschaften übergingen.

Wenn Ihr die Zeitungen auch nur oberflächlich verfolgt, so werdet ihr sehen, dass unsere Gegner in Frankreich, Deutschland, der Tschechoslowakei und Italien schon an den Ausschluss der Kommunisten aus den gemeinsamen Gewerkschaften herangegangen sind. Überall, wo wir zu einer mehr oder weniger bedeutsamen Macht zu werden begannen, fingen sie an, unsere Anhänger auszuschließen. In Frankreich brachten sie es bereits bis zu einer vollständigen Spaltung, es gibt dort bereits zwei Föderationen — eine reformistische und eine unitarische (kommunistisch-syndikalistische). In Deutschland sind unsere Feinde an die Ausschließung der Kommunisten aus jenen Gewerkschaften herangetreten, in denen wir zu mächtig zu werden begannen, und wo wir auch nahe daran waren, die Hälfte oder die Mehrheit auf legalem Wege für uns zu gewinnen. Im Laufe eines halben Jahres hatten wir eine ganze Epidemie solcher Ausschlüsse. In der letzten Zeit ist dieser Krieg etwas ins Stocken geraten, aber in Deutschland, wo die Dinge sich der Eroberung einiger Gewerkschaften durch uns nähern, forcieren die Zweite und die Zweieinhalb-Internationale die Spaltung, solange sie die schwache Mehrheit noch nicht verloren haben, an die sie sich klammern. Eine kritische Zeit machen wir in dieser Hinsicht gegenwärtig in der Tschechoslowakei durch, wo wir politisch schon zu drei Vierteln gesiegt haben und wo wir in den Gewerkschaften der Gewinnung der Mehrheit und der Festigung derselben nahe sind. Wir können dort eine Mehrheit im allgemein-staatlichen Maßstab erobern, und die Amsterdamer Internationale beginnt die Kommunisten aus jenen Verbänden auszuschließen, in denen die Mehrheit Anhänger der Zweiten und der Zweieinhalb-Internationale sind. So ist die Lage gegenwärtig auch in Italien, wo dies die Reformisten zu tun beabsichtigen. Eine solche Taktik macht auch eine gewisse Modifizierung unserer Partei notwendig.

Wir sind für die Einheit der Gewerkschaften und werden weiter für sie kämpfen. In jenen Fällen aber, in denen wir ausgeschlossen werden, werden wir entweder unsere Anhänger organisieren, ihnen einen gewissen Konzentrationspunkt geben müssen, oder wir werden zersplittert bleiben. Die Führer der Zweiten und der Zweieinhalb-Internationale pochen gerade darauf, dass wir, die wir für die Einheit sind, uns fürchten würden, unsere ausgeschlossenen Anhänger gesondert zu organisieren. In dieser Hinsicht, Genossen, wird der vierte Kongress einen sehr verantwortungsvollen Beschluss fassen müssen. Die Frage der Gewerkschaften ist die Hauptfrage. Die Gewerkschaften sind die Hauptmasse, die schwere Infanterie, die Millionen, die Zehner von Millionen Arbeiter, die den Ausgang der Sache entscheiden. Wer die Gewerkschaften hat, der hat die Arbeiterklasse, der hat alles. Ohne Unterstützung der Führer der Gewerkschaftsbewegung kann die Bourgeoisie schon fast nirgends mehr regieren; es wird also in der Gewerkschaftsfrage die geringste Modifizierung große Folgen haben.

Die Tagesordnung des Kongresses kann ergänzt werden.

Dies, Genossen, scheint mir das Wichtigste von dem zu sein was man auf dem Gebiete der prinzipiellen Fragen auf dem vierten Kongress voraussehen kann.

Selbstverständlich entwickeln sich die Ereignisse so schnell, dass in den übrig bleibenden Monaten noch irgendwelche Kampf fragen aufgeworfen werden können. Zuweilen scheint es uns, als entwickelten sich die Ereignisse langsam. In der Tat aber, wenn man die Lage objektiv betrachtet, ist dem nicht so. Wir sehen bis zu einem gewissen Grade einer Fliege ähnlich, die sich auf einem großen Mühlrad mitdreht und die Bewegung desselben nicht merkt, während das Rad sich doch dreht. Ebenso ist es auch mit den internationalen Ereignissen. Im Grunde genommen haben wir im Laufe dieser vier bis fünf Jahre so viele grandiose Ereignisse zu sehen bekommen; dass noch größere Ereignisse erforderlich sind, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. In der Tat, das, was sich jetzt auf der internationalen Arena abspielt, stellt das Bild einer ziemlich schnellen Entwicklung dar. Wenn, sagen wir einmal, um das Jahr 1900 irgend ein belgischer Streik für das allgemeine Wahlrecht ein internationales Ereignis von erstklassiger Wichtigkeit war, das fünf Jahre lang erörtert wurde, über das Rosa Luxemburg schrieb, so wird es heute vielleicht keine Übertreibung sein, zu sagen, dass in jeder Stunde Ereignisse stattfinden, die ihrer historischen Bedeutung und ihrem spezifischen Gewicht nach hundertmal so wichtig sind wie der belgische Streik. Aber wir reagieren viel weniger aktiv als seinerzeit auf den belgischen Streik.

Der Appetit des internationalen Proletariats hat zugenommen. Das Proletariat hat eine siegreiche Revolution durchgeführt. Wir leben bereits in der Epoche der internationalen Revolution — das ist der Kern der Sache. Daher ergibt sich der Eindruck, dass die Sache zu langsam vor sich geht. Subjektiv ist dies verständlich, objektiv verhält es sich damit nicht so. Man muss sagen, dass die subjektiven Stimmungen der Bourgeoisie in dieser Hinsicht andere sind. Sie ist der Meinung, dass die Sache zu schnell vorwärts geht. Und wir werden uns nicht wundern dürfen, wenn — sollten in der nächsten Zeit die Ereignisse sich in derselben Weise wie bisher entwickeln — die Tagesordnung des vierten Kongresses wird dann noch ergänzt werden müssen. Wenn dies nicht der Fall sein wird, so werden wir im Rahmen der sehr bedeutsamen Fragen bleiben, die wir vorgemerkt haben.

Die Verbindung ist hergestellt.

Außer diesen allgemeinen Fragen werden auf dem vierten Kongress einige Fragen besprochen werden, die sich auf die einzelnen Sektionen, die einzelnen Länder beziehen. Wir können jetzt in das Leben jedes einzelnen Landes, in die Arbeiterbewegung der einzelnen großen Länder tief und konkret eindringen. Unsere Verbindung mit den einzelnen Sektionen ist im Laufe dieses Jahres geregelt worden. Wir haben im Laufe dieses Jahres zwei erweiterte Sitzungen des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale gehabt. Wir haben vorsichtig tastend die neue Organisationsform gefunden. Der vierte Kongress wird diese Form fixieren müssen. Außer dem üblichen Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, das ungefähr aus 25 bis 30 ständig wohnhaften und von Zeit zu Zeit abzulösenden Mitgliedern besteht, werden wir offenbar erweiterte Sitzungen des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale zweimal im Jahre haben, zu denen hervorragende Führer aller Parteien kommen werden. Faktisch verwandeln sich diese Sitzungen in kleine Kongresse, die zuweilen von größerer Bedeutung sind als die großen.

Unsere Verbindung mit den einzelnen Sektionen ist geregelt. Wir haben eine richtige Arbeiterbrüderschaft die sich nicht nur gegenseitige Treue schwört, sondern tatsächlich gemeinsame Sache macht. Wir werden bald ohne Prahlerei sagen können, dass wir ein internationales Zentralkomitee der Kommunistischen Partei haben. Das ist jene Aufgabe, die wir einige Jahre lang zu lösen bemüht waren und deren Lösung wir in allernächster Zukunft voll erreichen werden. Dieser Umstand ermöglicht es uns, auf dem vierten Kongress die Fragen der einzelnen großen Parteien ganz konkret zu stellen.

Soweit man voraussehen kann, wird sich der Kongress vor allem mit den drei Hauptparteien beschäftigen, richtiger, mit zweien: der italienischen und der französischen, teilweise auch vielleicht mit der deutschen.

Italien.

Was die Kommunistische Partei Italiens anbelangt, so werden dort gerade in den allernächsten Tagen Ereignisse von allergrößter Wichtigkeit erwartet. Zweifellos ist der allgemeine Verlauf der Entwicklung unserer Partei in Italien eng mit dem Verlauf des Bürgerkrieges in Italien verknüpft. Die italienische Lage ist eine äußerst revolutionäre.

In Italien ist der Bürgerkrieg permanent. Wir haben dort den Krieg zwischen den Arbeitern und den Faschisten. Italien ist ein Land, in dem wir fast alle vier Wochen einen Generalstreik sehen. Objektiv hat dort die revolutionäre Bewegung zugenommen. Wir erlebten dort den ungeheuerlichen Verrat von Seiten Serratis mit seiner Gruppe, der früher der Kommunistischen Internationale angehörte; als die revolutionäre Welle sank, versuchte er aus der Kommunistischen Internationale auszutreten, d. h. er wollte eigentlich bleiben, aber wir schlossen ihn aus, weil er das Programm der Kommunistischen Internationale nicht erfüllte. Er zog das Bündnis mit den Menschewiki dem Bündnis mit den Kommunisten vor. Es war nicht einmal ein Jahr vergangen, als wir einen sehr großen moralischen Sieg erlebten. Erst vor kurzem musste Serrati öffentlich erklären, dass sein Verhalten auf dem Kongress in Livorno, als er mit den Reformisten gegen uns vorging, der größte Fehler seines Lebens war. Seine Fraktion gab ein offizielles Manifest heraus, über das ich in unserer Presse, in der die Fraktion der Maximalisten dasselbe schrieb, Gelegenheit hatte zu schreiben.

Am 8. August findet ein Kongress dieser Partei statt. Serrati bleibt vorläufig mit den Reformisten zusammen, aber die Spaltung ist doch unvermeidlich, weil die Reformisten ein gesondertes Zentralkomitee und ihre eigene Tagespresse geschaffen haben; eine Spaltung ist gerade in jener Richtung unvermeidlich, in der die Kommunistische Internationale sie ihnen vor einem bis anderthalb Jahren durchzuführen vorgeschlagen hatte. Möge diese italienische Lehre für die ganze revolutionäre internationale Bewegung keine verlorene sein. Wir sehen hier, dass eine ganze Partei einen ganzen Entwicklungszyklus durchgemacht und unsere Anschauungen voll bestätigt hat.

Italien ist ein großes Land. Die objektive Lage Italiens ist eine revolutionäre und die Ereignisse in Italien sind an sich von großer Bedeutung. Diese Ereignisse sind deshalb besonders wichtig, weil die Krise der italienischen Bewegung alle Züge der internationalen Erscheinung in sich trug. In allen Ländern mehr oder weniger hat die Arbeiterbewegung im Laufe dieser Jahre, in dieser oder jener Form, dieselbe Krise durchgemacht wie die Arbeiterbewegung Italiens. Und die italienische Lehre hat mit klassischer Klarheit und Deutlichkeit allen die Richtigkeit der Taktik der Kommunistischen Internationale gezeigt und hat allen wahren Anhängern der Revolution klargemacht, dass sie sich von ihren Menschewiki abspalten müssen, dass es keinen anderen Weg gibt. Die Kommunistische Partei in Italien ist gewachsen. In der heutigen Partei Serratis ist Maffi der Führer des linken Flügels geworden.

In einigen Tagen werden wir vor der objektiven Tatsache der Spaltung stehen, wir werden Zeugen sein der Tatsache, dass die „Maximalisten“ sich von den Reformisten abspalten werden, und man wird dann viele Maximalisten in die Kommunistische Internationale wieder aufnehmen können.

Die italienische Frage hat die Aufmerksamkeit des dritten Kongresses stark in Anspruch genommen, sie wird die Aufmerksamkeit auch des vierten Kongresses auf sich lenken. Und wer die Debatten des dritter und vierten Kongresses über diese Fragen vergleichen, sie studieren wird, der wird eine anschauliche Lehre der internationalen kommunistischen Strategie erhalten und wird an diesem größten Beispiel der Arbeiterbewegung die Richtigkeit der Grundsätze der Kommunistischen Internationale erkennen.

Frankreich.

Auf dem vierten Kongress wird auch die Frage der französischen Arbeiterbewegung einen wichtigen Platz einnehmen, denselben, den auf dem dritten Kongress die Frage der deutschen Arbeiterbewegung einnahm. Unsere Partei hat in Frankreich eine ungeheure Mehrheit gegenüber der alten sozialdemokratischen Partei, sie hat aber nichtsdestoweniger noch Krankheiten durchzumachen, die wir vor kurzem in einem Artikel zu klären hatten, den wir „Die Geburt der kommunistischen Partei“ überschrieben. Diese Partei hat als Zentralorgan die „Humanité“ mit einer täglichen Auflage von über 200.000 Exemplaren. Außerdem hat sie eine täglich erscheinende Abendzeitung in Paris. Sie gab sich vor etwa anderthalb Jahren den Namen Kommunistische Partei. Und nichtsdestoweniger sagen wir, dass vorläufig erst die Geburt der Kommunistischen Partei vor sich geht. Es ist dort nicht alles in die rechte Ordnung gekommen. Die Spaltung, die dort stattfand, war noch keine endgültige. Es sind noch einzelne zufällige Gruppen von den beiden Seiten der Barrikade übrig geblieben, und diese haben für sich noch keinen endgültigen Platz gefunden. Die Partei hat die Traditionen des Jaurèsismus noch nicht endgültig überwunden. Über Jaurès wurde heute richtig gesagt, dass er neben den Zügen eines feurigen Tribuns, neben seinen Verdiensten um die Arbeiterbewegung der ganzen Welt, große Schwächen hatte, er hatte seine rechte und seine linke Hand. Die Kommunistische Partei Frankreichs hat die schwachen Seiten des Jaurèsismus nicht überwunden. In ihr sind die pazifistischen Traditionen lebendig. Und in ihr sind auch noch die halbanarchistischen und die halbsyndikalistischen Tendenzen lebendig. In ihr finden noch sehr starke Schwankungen statt, beginnend vom Pazifismus eines fast Tolstoischen Typus bis zur Phraseologie eines fast syndikalistischen Typus. Die Partei lebt unter einer permanenten Krise ihres Zentralkomitees Sie hat noch nicht den Hebel ihrer eigenen Partei gefunden, hat noch kein führendes Organ schaffen können. Das ist eine Frage, auf die wir leider fast in jeder großen Sektion der Kommunistischen Internationale stoßen. Das ist die wichtigste Frage, die in den kommunistischen Parteien auf der Tagesordnung steht. Es gibt große Parteien, die der Zahl der in ihnen organisierten Proletarier nach ebenso kompliziert sind wie die Kommunistische Partei Russlands. Wir haben die tschechoslowakische Partei, die 350.000 Mitglieder zählt. Wir haben die deutsche Partei, die über 300.000 Mitglieder zählt. Die Frage der Führung der Partei ist in fast allen Ländern eine aktuelle Frage. Die Bourgeoisie hat einen Teil der kommunistischen Führer erschlagen, wie dies z. B. in Deutschland der Fall ist, teilweise sind diese Führer noch nicht in Erscheinung getreten. Diese natürliche Auslese ist noch nicht vor sich gegangen. Die Arbeiterklasse hat ihre Führer noch nicht gefunden, während die alten Führer in die Zweite und die Zweieinhalb-Internationale übergelaufen sind. Die Frage der Führung ist in der Französischen Kommunistischen Partei die wichtigste taktische Frage. Mit dem Verlauf der Ereignisse, mit der Entwicklung der Revolution treten die Führer aus den Arbeitermassen vor. Gegenwärtig ist dieser Prozess noch bei weitem nicht überall beendet.

Und im Besonderen in der französischen Partei ist diese Krise sehr aktuell. Es genügt zu sagen, dass vor acht Monaten der linke Flügel der Partei folgenden Antrag stellte: man darf kein Zentralkomitee haben, das aus 25 Personen besteht, die sich nur einmal in der Woche versammeln, sondern man muss eine ständige Kerntruppe, ein Präsidium oder ein Büro schaffen, das die Partei beständig führt, und die Mitglieder desselben dürfen keinen anderen Beruf als die revolutionäre Arbeit kennen. Auf dieser Grundlage begannen ungeheure Diskussionen, man wies darauf hin, dass dies ein monarchistisches Prinzip sei, dass dies dem Demokratismus widerspreche usw. Es genügt ein anderes Beispiel anzuführen, das der Seine-Föderation. Die Seine-Föderation ist soviel wie Paris. Paris spielt in Frankreich eine noch größere Rolle als bei uns Moskau oder Petrograd.

Paris bedeutet alles. Das wissen wir aus der Geschichte der Pariser Kommune. Die Seine-Föderation ist für unsere Partei und für die Frage der Organisation unserer Partei von ungeheurer Bedeutung. Und mit dieser Föderation stehen wir in Diskussion. Genosse Trotzki hat eine ganze Reihe Briefe und Artikel über dieses Thema geschrieben. Manche vortrefflichen Arbeiter der Seine-Föderation treten für die Organisation derselben auf Grund föderativer Grundsätze ein. Sie wollen ein Zentralkomitee haben, das aus fast hundert Personen bestehen soll, die nach dem Prinzip der Föderation arbeiten. Wenn wir sagen, dass dies unmöglich ist, so sagen einige dieser vortrefflichen Proletarier: Ihr habt aber doch die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik. Die Sowjetrepublik, das ist doch das Allergrößte, was die Menschheit kennt. Ist das nicht so? sagen sie. Und wenn eure Republik nach dem Grundsatz des Föderalismus aufgebaut ist, warum sollte man dann nicht unsere Seine-Parteiföderation auf der Grundlage des Föderalismus aufbauen? Und da müssen wir uns in freundschaftlicher Diskussion mit ihnen unterhalten und sie darauf hinweisen, dass hier ein großer Unterschied besteht; Staat und Partei. Trotzdem sie die ruhmreiche Geschichte der Pariser Kommune, die unsere Vorbotin war, hinter sich haben, kennen sie sich doch nicht in solchen Dingen aus, haben keine Erfahrung, und man muss ihnen solche elementare Fragen erklären.

Wir dachten vor kurzem, dass die französische Partei eine sehr lang andauernde Krise durchmachen müsse. Ein Teil der französischen Partei hat die Tendenz, nach rechts abzuschwenken. Das sind die pazifistischen und halbanarchistischen Elemente. Sie wollen eine einheitliche Opposition gegen die Kommunistische Internationale schaffen.

Im Laufe der letzten Wochen setzte sich bei uns die Überzeugung durch, dass es der französischen Partei vielleicht gelingen werde, ohne besondere Erschütterungen aus der Krise herauszukommen. Nach den Gesprächen, die wir mit einer ganzen Reihe von Mitgliedern des Zentralkomitees der französischen Partei führten, hoffen wir stark hierauf. Bei uns waren der Reihe nach neun Mitglieder des Zentralkomitees, und unter diesen befanden sich die hervorragendsten Führer. Wir hoffen sehr, dass es der französischen Partei gelingen wird, über jene Schwierigkeiten und jene Krisis, die sich dort bemerkbar zu machen beginnt, schnell hinwegzukommen. Auf jeden Fall werden wir auf dem vierten Kongress zum ersten Mal die Frage der Französischen Kommunistischen Partei aufwerten.

Im vorigen Jahre, zur Zeit des Kongresses der Kommunistischen Internationale, war die französische Partei zu schwach, und die Kommunistische Internationale schonte dieses zerbrechliche Gebilde. Die französische Partei war in prinzipieller Beziehung noch zu schwach, als dass man sie hätte in die Kritik mit einbeziehen können. Jetzt sagen wir den französischen Genossen offen: Ihr seid herangewachsen, ihr habt euch jetzt das Recht verdient, euch einer richtigen Kritik zu unterwerfen, durch das kritische Schmiedefeuer des internationalen kommunistischen Kongresses hindurchzugehen, wie dies im vorigen Jahre mit kräftigeren kommunistischen Parteien der Fall war. In dieser Beziehung wird der französischen Partei ein wichtiger Platz auf dem vierten Kongress eingeräumt werden.

Wir wissen, dass Frankreich eine gigantische internationale Arena darstellt, die von ungeheurer politischer Bedeutung ist, und dass es das wahre Nest der internationalen Konterrevolution und die Haupthölle des internationalen Imperialismus ist. Die Kommunistische Partei Frankreichs nimmt einen der verantwortungsvollsten Plätze im internationalen Kommunismus ein. Das ist der Grund, warum die Schicksale der französischen Partei nicht nur vom Gesichtspunkt der engeren Interessen der Kommunistischen Internationale, sondern auch vom Gesichtspunkt der allgemeinen Entwicklung der Weltgeschichte von ungeheurer Bedeutung sind. In dieser Hinsicht steht die französische Partei auf dem wichtigsten Platze. Die französische Partei hat einflussreiche Zeitungen, sie hat in ihrem Lande die Mehrheit der Arbeiterklasse, aber es mangelt ihr an organisatorischer Festigkeit und prinzipieller Beständigkeit. Die französischen Genossen haben den aufrichtigsten Wunsch, den Weg der Kommunistischen Internationale zu gehen. In dieser Beziehung kann man keinerlei Parallele zwischen ihnen und der Partei Serratis ziehen. Aber sie haben zu schwere Traditionen vom französischen Parlamentarismus geerbt. Nirgends ist während des imperialistischen Krieges die rote Fahne so sehr erniedrigt worden wie in Frankreich.

Das ist der Grund, warum unsere Arbeiterbewegung in Frankreich sich mit großer Mühe auf den Weg herausarbeiten muss, aber ein um so größerer Lohn steht der Kommunistischen Internationale bevor, wenn es ihr gelingen wird, diese wichtige Abteilung in Reih und Glied aufzustellen und ins richtige Geleise zu bringen. Und in dieser Hinsicht werden die Aufgaben des vierten Kongresses ungeheuer groß sein.

Deutschland.

Die Kommunistische Partei Deutschlands, eine der größten Parteien der Kommunistischen Internationale, hat die Krisis überwunden. Während des dritten Kongresses war sie das Hauptobjekt der Diskussion. Sie machte während dieser Zeit die schärfste Krisis durch; die Kommunistische Partei Deutschlands stieß die Gruppe der Anhänger Levis aus ihrer Mitte aus. Vor mehr als einem Jahre stritten wir uns noch darum, ob man Levi nicht in der Kommunistischen Internationale belassen solle. Und wir russischen Kommunisten waren hierüber verschiedener Meinung. Gegenwärtig gehört Levi der Unabhängigen Partei an, ja weit mehr, er ist der Schrittmacher jener Gruppe der Unabhängigen, die einen offenen Block mit Scheidemann vorschlägt. So schnell also entwickeln sich die Ereignisse. Die Kommunistische Partei Deutschlands hat aus ihrer Mitte alle kranken, halbreformistischen Elemente hinausgeworfen. Sie hat im Laufe des Jahres eine ganze Reihe, eine ganze Masse der größten Ereignisse, Massenstreiks und Arbeiterdemonstrationen, Blutvergießen usw. durchgemacht. Die deutsche Partei befindet sich jetzt auf den, besten Wege zum Erfolg. Ihr verfolgt im Allgemeinen wahrscheinlich die neuen sich entfaltenden deutschen Ereignisse mehr als irgendwelche anderen; darum habe ich mir erlaubt, nicht weiter bei Einzelheiten Halt zu machen. Gegenwärtig, da die Unabhängigen sich mit den Scheidemännern verschmelzen, schien es uns auf den ersten Blick, dass dies ein großes Plus ist. Es hätte doch allen klar sein sollen, dass die Unabhängigen die Interessen der Revolution verraten haben. Aber das Spiel der Ereignisse ist von der Art, dass hierdurch anfangs die Zweite und die Zweieinhalb- Internationale ein gewisses Plus erhielten. Sie versuchen den Arbeitern die Sache so darzustellen, dass es jetzt eine Einheit, eine einheitliche Partei geben werde, dass wir jetzt auf die Bourgeoisie einen Druck ausüben werden usw. Aber es wird natürlich höchstens ein halbes Jahr vergehen, und alle Arbeiter, die sich von dieser Vereinigungskomödie auch nur ein wenig haben hinreißen lassen, werden sehen, dass die Unabhängigen ihre Seele ganz an Scheidemann verkauft haben und also der Bourgeoisie gefolgt sind. Nichtsdestoweniger wächst die Kommunistische Partei Deutschlands von Tag zu Tag. Sie hat ungeheure reale Siege in den Gewerkschaften aufzuweisen (die Zahlen sind uns aus den Zeitungen bekannt.) Sie ist in einer ganzen Reihe deutscher Gewerkschaften nahe daran, die Hälfte zu bilden und hat in einer ganzen Reihe der größten Verbände schon eine beachtenswerte Minderheit. Wir denken, dass die Kommunistische Partei Deutschlands schon in allernächster Zeit die Losung „Eine Million Parteimitglieder“ wird aufstellen müssen. Einige Genossen aus der Kommunistischen Partei Deutschlands, mit denen wir hierüber sprachen, sind der Meinung, dass eine solche Losung falsch wäre, dass sie überhaupt nicht so viele Mitglieder brauchen. Sie sagen: Vor der Revolution hattet ihr in Russland doch nur 250.000 Mitglieder oder noch weniger, warum sollten wir in Deutschland eine Million brauchen; 300.000 sind auch schon gut.

Das ist meiner Ansicht nach ein falscher Standpunkt. Natürlich brauchen wir keinen Zustrom unvorbereiteter Elemente. Aber in Deutschland ist das gar nicht möglich. Dort ist es nicht so leicht, eine Million oder sogar nur eine halbe Million Arbeiter für die Partei zu gewinnen. Dort wird jeder Arbeiter sich zwanzigmal überlegen, ehe er in diese oder jene Partei eintritt. Wenn es soweit kommen würde, dass unter dem Einfluss irgendwelcher Ereignisse ein Massenzustrom unreifer Elemente in die Partei stattfände, so würden wir dies gar nicht brauchen; wenn es unter dem Einfluss von Gefühlen geschehen würde, so würden wir dagegen auftreten. Doch dies kann dort nicht eintreten. Dort sind die Leute aus einer anderen Masse geknetet, dort spielt sich ein rasender hartnäckiger Kampf der größten Organisationsmechanismen ab. Dort vereinigen sich die Scheidemänner mit den Unabhängigen und gehen faktisch in das Lager der Monarchisten über. Es wird dort fürs erste vielleicht ein langsamer aber vollständig bewusster, durchdachter und ernster Übergang der Arbeiter in unsere Reihen stattfinden. Es wird dort ein richtiger Kampf der einen organisierten Maschine — der sozialdemokratischen — gegen die andere Maschine — die kommunistische — stattfinden.

Ja, wir in Russland hatten am Anfang der Revolution tatsächlich nur 200.000 Mitglieder, aber wir hatten noch keine Sozialdemokratie mit einer Million Mitglieder.

Wir hatten keine Gewerkschaften mit 8 Millionen Mitgliedern, die sich in Händen der Menschewiki befinden. Die Arbeiterklasse war bei uns für die Revolution. Wir waren ihre Pioniere, ihr Gehirn. In Deutschland kann dies nicht eintreten. Das ist der Grund, warum dort 300.000 Mitglieder weniger ins Gewicht fallen als bei uns 200.000 oder 100.000 vor der Revolution. Das ist der Grund, warum wir dort den gelockerten Boden ausnützen müssen, um neue Hunderttausende von Mitgliedern zu gewinnen. Und der deutschen Partei wird dies gelingen. Im Laufe des Jahres, das seit dem dritten Kongress vergangen ist, hat die Kommunistische Partei Deutschlands den größten Erfolg erreicht. Während des dritten Kongresses, nach dem Märzaufstand, der im Blute unserer Genossen erstickt wurde, erlebte die Arbeiterbewegung in Deutschland eine Depression. Und auch unsere Partei machte eine Krise durch. Gegenwärtig ist die deutsche Partei hart wie ein Felsen, und die Blicke aller Arbeiter, die aus dem sozialdemokratischen Banne erwachen, sind auf die Kommunistische Partei Deutschlands gerichtet. Darum ist diese Losung „Eine Million Mitglieder“ keine Utopie und bis zum fünften Kongress wird man der von mir genannten Ziffer nahe sein.

Von den großen Parteien werden also die italienische, die französische und die deutsche auf dem vierten Kongress besondere Aufmerksamkeit verdienen. So stellen wir uns den vierten Kongress vor. Niemand kann natürlich die Einzelheiten voraussagen, aber im Allgemeinen wird das Bild so aussehen.

Krisis der ZweieinhaIb-Internationale

Ich will noch bei einem Punkt Halt machen. Die Zweieinhalb-Internationale macht eine Krisis durch, die sie zu Grunde richten wird. Und zwar aus folgendem Grunde. Man nehme die zwei Länder Deutschland und Italien, und man wird an diesem Beispiel das Wesen der Sache ersehen. In Deutschland findet eine Vereinigung der Unabhängigen, d. h. der Zweieinhalb-Internationale, mit den Scheidemännern, d. h. der Zweiten Internationale statt, um eine bürgerliche Koalitionsregierung zu bilden, in die die Unabhängigen eintreten wollen. In Italien gehen Serrati und seine Freunde, die mit dem einen Fuß in der Zweieinhalb-Internationale standen, in der anderen Richtung. Dort besteht wegen dieser Frage die Spaltung zwischen den Serratisten und Reformisten, Die Serratisten wollen nicht in die bürgerliche Koalitionsregierung eintreten, Das bedeutet die Spaltung und den Zerfall der Zweieinhalb-Internationale. Es war uns klar, dass die Zweieinhalb-Internationale keine ernsthaften Wurzeln hat. Sie kann ein Jahr, zwei, vielleicht fünf Jahre bestehen, aber sie hat keine ernsthafte Basis. Sie ist ein Sumpf. Ich wiederhole. In Italien wenden sich die Elemente der Zweieinhalb-Internationale gewissermaßen von neuem uns zu, sie wollen nicht in die Koalitionsregierung eintreten. In Deutschland ist es gerade umgekehrt, hier findet eine Vernichtung der Hauptpartei der Zweieinhalb-Internationale statt. Weshalb? Deshalb, weil sie in die bürgerliche Koalitionsregierung eintreten will. Ihr seht, dass sie führerlos ist, dass sie keine Richtung hat, dass sie in ihrem Bestreben die Mitte einzunehmen, zum historischen Untergang verurteilt ist. Und die Stunde des Untergangs der Zweieinhalb-Internationale hat geschlagen.

Die Zweite Internationale.

Der Hauptkampf wird gegen die Zweite Internationale gerichtet sein. Die Zweite Internationale ist noch stark. Sie ist das Spiegelbild der Bourgeoisie. Wir sehen dies mehr als anschaulich an dem Prozess der Sozialrevolutionäre. Wenn die Vereinigung der Zweieinhalb- und der Zweiten Internationale stattfinden wird, dann wird für uns ein besonders hartnäckiger Kampf gegen die Zweite Internationale beginnen. Auf diesen Kampf nun müssen wir uns in den nächsten Jahren vorbereiten.

Die Kräfte wachsen.

Im Großen und Ganzen hat die Kommunistische Internationale große Fortschritte gemacht. Sie hat noch keine internationale Revolution vollbracht. In dieser Hinsicht fühlt sie sich vor euch „schuldig“ in dieser Hinsicht ist sie noch euer zahlungsunfähiger Schuldner. Doch ist im Laufe dieser Jahre in Deutschland, Frankreich, Italien der Tschechoslowakei, in ganz Europa eine ungeheure vorbereitende Organisationsarbeit geleistet worden. In Amerika ist in den Gewerkschaften ein linker Flügel entstanden. Die Kräfte der Kommunistischen Internationale wachsen.

Der vierte Kongress der Kommunistischen Internationale wird die Bilanz dieser Arbeit unserer Partei ziehen, und unsere Partei wird sich glücklich fühlen, wiederum den kommunistischen Parteien der ganzen Welt Gastfreundschaft zu erweisen und ihnen durch ihre eigene Erfahrung zu helfen.

G. Sinowjew.

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