G. Sinowjew 19230800 Die Lehren des bulgarischen Umsturzes

G. Sinowjew: Die Lehren des bulgarischen Umsturzes

Den Sektionen der Kommunistischen Internationale zur Beachtung.

[Die Kommunistische Internationale, Heft 27, August 1923, S. 41-47]

1. Die Notwendigkeit der Kritik.

Wir haben lange geschwankt: Ist es schon heute möglich, die Taktik des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens einer öffentlichen Kritik zu unterziehen? Diese Partei befindet sich ja unter dem direkten Feuer der siegreichen weißen faschistischen Banden. Die bürgerlichen Zeitungen fordern ja tagtäglich. dass unsere bulgarische Partei außerhalb der Gesetze gestellt werde. Mit der Exekutive der Kommunistischen Internationale kamen wir jedoch zu der Überzeugung, dass man nicht schweigen dürfe, dass das Sichausschweigen über die fehlerhafte Taktik die Partei nicht vor der Zerrüttung retten, sondern im Gegenteil die Gefahren der Zertrümmerung noch erhöhen würde, dass es notwendig ist, die begangenen Fehler in den frischen Spuren der kürzlich vor sich gegangenen Ereignisse zur verfolgen und an dem noch unausgekühlten, noch „warmen“ bulgarischen Beispiel die richtige Taktik zu erlernen.

Die Kommunistische Internationale ist eine einheitliche kommunistische Weltpartei. Das bulgarische Beispiel hat zweifelsohne eine internationale Bedeutung. Jede der der Kommunistischen Internationale angeschlossenen 60 Parteien ist im höchsten Grade an der Antwort darauf interessiert, ob das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Bulgariens im Laufe der Ereignisse, die sich morgen in dieser oder jener Variante auch in anderen Ländern wiederholen können, richtig oder unrichtig gehandelt hat.

Unterdessen propagieren die Führer des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens mit einem einer besseren Sache würdigen Eifer ihre „Neutralitäts“-Theorie in der internationalen kommunistischen Presse. Das trägt zweierlei Gefahren in sich. Erstens werden unrichtige Ansichten weit verbreitet und von unseren Gegnern in der Zweiten Internationale ausgenützt. Zweitens nimmt die Verteidigung einer unrichtigen Stellungnahme unseren bulgarischen Genossen selbst die Möglichkeit, den Fehler zu korrigieren, und sperrt ihnen den Weg zu einer wirklich revolutionären Taktik ab.

Wir dürfen nicht schweigen! Die Frage ist allzu, wichtig. Gerade unsere brüderlichen Beziehungen zu den bulgarischen Arbeitern und zur Kommunistischen Partei Bulgariens, mit der wir durch das Band einer besonders engen Freundschaft verbunden sind, zwingen uns, unsere Meinung offen auszusprechen. Mögen unsere Feinde schadenfroh lächeln. Die kommunistischen Parteien mussten sich schon öfter einer Selbstkritik unterwerfen und ihre Reihen unter dem Feuer des Feindes ausrichten. Es genügt, hinzuweisen auf das Beispiel der Kommunistischen Partei Deutschlands nach den Märzereignissen des Jahres 1921. Durch Fehler und Niederlagen führt der Weg zur richtigen Linie und zum Siege. Trotz allem gehört die Zukunft natürlich doch den bulgarischen Kommunisten und nicht den heute regierenden bulgarischen Faschisten und auch nicht den „sozialdemokratischen“ Faschisten aus der Partei der „breiten“ Menschewiki. (Bei der Spaltung der bulgarischen Arbeiterbewegung nannte sich der rechte Flügel „breite“, der linke Flügel „enge“ Sozialdemokraten. Die Red.)

2. Über die Rolle selbständiger Bauernparteien!

Die letzten Ereignisse in Bulgarien werfen ein außerordentlich helles Licht auf einige äußerst wichtige politische Probleme der Gegenwart, vor allem auf die Frage über die Rolle der Bauernparteien. Zu den interessantesten Tatsachen der neuesten Geschichte der Politik gehören die Versuche, Bauernparteien zu bilden, die sich anmaßen, eine selbständige — scheinbar gegen die Bourgeoisie und gegen das Proletariat gerichtete — politische Rolle zu spielen. Solche Versuche sehen wir während der letzten Jahre auf dem Balkan, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Polen usw. Es ist eine äußerst komplizierte Erscheinung. Sie findet ihre Erklärung vor allem darin, dass während des Krieges und während des weiteren Zerfalls der bürgerlichen „Ordnung“ die Stadt eigentlich fortwährend durch das Dorf zurückgedrängt wird — in dem Sinne, dass das Schwergewicht des Dorfes, seine wirtschaftliche und soziale Bedeutung, immer größer wird. Das ist die Basis. Einerseits haben während des ersten imperialistischen Krieges 1914 bis 1918, der auch das Dorf bis in seine Tiefen erschütterte, breite Schichten der Bauernschaft, die unter dem Kriege gelitten haben, eine gewisse politische Erfahrung erworben, Die Bauernsöhne, die zu den imperialistischen Armeen millionenweise eingerückt waren und in ihre Dörfer zurückkehrten (soweit sie überhaupt am Leben blieben), brachten naturgemäß eine gewisse politische Lebhaftigkeit in die Dörfer. Andererseits geht die Macht der Großbourgeoisie offensichtlich ihrem Niedergang entgegen, und darum ist die Bourgeoisie mit ihren sozialdemokratischen Gehilfen gezwungen, der Bauernschaft mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden und sie in das politische Leben hineinzuziehen.

Den Bauernparteien gelingt es nicht und wird es auch kaum gelingen, eine selbständige politische Rolle zu spielen. Das bulgarische Beispiel ist in dieser Beziehung außerordentlich lehrreich. Die Politik der Mitte ist während unserer imperialistischen Epoche mehr als jede andere Politik zum Untergang verurteilt. Vor der Bauernschaft stehen nur zwei Wege: entweder mit der Bourgeoisie zu gehen, und dann ist früher oder später die „bulgarische“ Lösung der Frage unvermeidlich, oder mit dem Proletariat zu gehen, und nur in diesem Falle können die wirklichen, grundsätzlichen Interessen der Bauernschaft verteidigt werden. Selbst jene heute bestehenden Bauernparteien, die den äußeren Schein ihrer Unabhängigkeit wahren, sind in Wirklichkeit nichts anderes als politisches Kanonenfutter der Bourgeoisie. Es ist kein Zufall, dass wir unter den Führern der so genannten Bauernpartei so viele Pfaffen, Rechtsanwälte und reiche Gutsbesitzer finden.

Dem Versuche Stambulinskis kann eine gewisse Tiefe und Großzügigkeit nicht abgesprochen werden. Die Biographie Stambulinskis ist nicht die eines gewöhnlichen Menschen. Es gab eine Zeit, in der er den Mut hatte, den Mächtigen dieser Welt die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Er wurde dafür zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt. Besonders in der ersten Zeit, nachdem er die Regierung übernommen hatte, wies seine Politik eine gewisse Großzügigkeit auf. Es schien, dass, wenn eine Bauernpartei überhaupt darauf rechnen konnte, eine selbständige politische Rolle zu spielen, dazu gerade ein solches Land geeignet sei wie Bulgarien. In der Tat. In Bulgarien besteht die Bevölkerung zu 85 bis 90 Prozent aus Bauern. Die städtische Bourgeoisie ist verhältnismäßig sehr schwach. Die beiden Kriege, die Bulgarien heimgesucht hatten, fügten gerade der Bauernschaft besonders viel Übel zu. Die wirkungsvolle Vergangenheit Stambulinskis machte ihn für eine Zeit zu einem äußerst volkstümlichen Bauernführer.

Und dennoch dieser schmähliche Zusammenbruch!

Eigentlich war der Versuch Stambulinskis der erste bedeutende Versuch einer demagogischen, aber dennoch im Anfange gegen die Bourgeoisie gerichteten Politik einer Bauernpartei. Als Stambulinski über die Bestrafung der an dem imperialistischen Kriege schuldigen ehemaligen Minister durch eine allgemeine Volksabstimmung entscheiden ließ, als Stambulinski die bürgerlichen Offiziere ihres Amtes entsetzte und aus den Dörfern Bauernmiliz herbeibrachte, als er die Bauern bewaffnete usw. — war das ein Versuch, der in der ersten Zeit geeignet war, eine für Stambulinski günstige Stimmung zu schaffen. Aber allzu bald begann die „Bauernpolitik“ Stambulinskis in Wirklichkeit zu einer Großbauernpolitik zu werden. In der letzten Zeit richtete sich seine Politik nicht so sehr gegen die Bourgeoisie, als vielmehr gegen die Arbeiterklasse, an deren Spitze die Kommunistische Partei steht. Die Versuche, die Linie der „Mitte“ innezuhalten, mussten bald Schiffbruch erleiden. Indem er sich von den Massen trennte und nicht nur das Vertrauen der ganzen Arbeiterklasse, sondern auch eines bedeutenden Teiles der Bauernschaft verlor, bereitete Stambulinski selbst jenes kummervolle Schicksal vor, das ihm zuteil ward. Eine Bauernregierung, die sich sowohl gegen das Proletariat als auch gegen die Bourgeoisie richtet, hat sich als eine leere und jämmerliche Utopie erwiesen, selbst in einem Bauernlande wie Bulgarien. Nur die Arbeiter- und Bauernregierung kann der bulgarischen Bauernschaft helfen, sich aus den Klauen der bürgerlichen Räuber zu befreien.

3. Die Taktik der Kommunistischen Partei Bulgariens.

Der bulgarische Umsturz ist eine ernste historische Prüfung für die Kommunistische Partei Bulgariens. Wie jede Krise, so sollte auch diese Krise zeigen, wie es mit der alten, starken, sich einer großen Mitgliederzahl rühmenden und scheinbar auf der Höhe der Ereignisse stehenden Kommunistischen Partei Bulgariens beschaffen ist.

Leider hat die Kommunistische Partei Bulgariens die Prüfung nicht bestanden. Im Gegenteil, sie rechtfertigte die pessimistischsten Voraussagungen.

Äußerst gespannt warteten wir auf die ersten Nachrichten darüber, welche Stellung unsere bulgarische Partei im beginnenden Bürgerkriege einnehmen würde. Schon die ersten Nachrichten ließen uns befürchten, dass diese Stellungnahme allzu passiv sein werde, Die folgenden Nachrichten überstiegen selbst unsere schlimmsten Befürchtungen.

Die neue Regierung, die ihre Entstehung einem militärischen Putsch verdankt, setzt an die Stelle der gestürzten Militär- und Polizei-Diktatur der Bauern-Bourgeoisie die neue Diktatur der städtischen Bourgeoisie, der alten bürgerlichen Partei…

Die Maske der bürgerlichen Legalität ist zerrissen, und die einzige Partei, die in der Tat die durch die Verfassung (!) garantierten (!!) Rechte und Freiheiten vertritt, ist allein die Kommunistische Partei…

Die werktätigen Massen in Stadt und Land werden an den bewaffneten Kämpfen zwischen der städtischen und ländlichen Bourgeoisie nicht teilnehmen, weil diese Teilnahme an den Kämpfen bedeuten würde, dass die Werktätigen die Kastanien für ihre Ausbeuter und Unterdrücker aus dem Feuer holen.

Im Namen des werktätigen Volkes verlangen wir die Beachtung und Erweiterung der politischen Freiheit in Wort und Schrift, volle Versammlungs- und Koalitionsfreiheit! Wir verlangen Maßnahmen gegen die Spekulation und gegen die Teuerung!…

Bis zu diesen, Momente hat die neue Regierung ihre Hand gegen die Kommunistische Partei noch nicht unmittelbar erhoben. Aber das jetzt aufgerichtete Regime der militärischen Diktatur ist gegen die Rechte und Freiheiten des arbeitenden Volkes gerichtet und somit such gegen die Kommunistische Partei. Indem wir verlangen, dass diese Rechte wieder hergestellt werden, dass der Belagerungszustand aufgehoben wird, rufen wir Euch auf, Euch unter dem Banner der Kommunistischen Partei zu sammeln…“ usw.

So schrieb das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Bulgariens in seinem ersten Aufrufe vom 9. Juni 1923.

Der bewaffnete Kampf zwischen den Anhängern der gestürzten Regierung und denen der neuen Regierung ist noch nicht beendet. An diesem bewaffneten Kampf nehmen die Kommunistische Partei und die unter ihrem Banner vereinigten Hunderttausende von Arbeitern und Bauern nicht teil. Wir wissen nicht, wie dieser Kampf sich entwickeln wird; es ist jedoch ein Kampf, in den die breiten Volksmassen bis zu dem gegenwärtigen Augenblick nicht hineingezogen sind. Es ist ein Kampf um die Macht zwischen der Stadt- und Dorfbourgeoisie, d. h. zwischen zwei Flügeln der kapitalistischen Klasse…

Indem die Kommunistische Partei die wirklichen Ziele, um die die Stadt- und Dorfbourgeoisie kämpft, klar aufzeigt, und indem sie darauf hinweist, dass diese Ziele mit denen der werktätigen Massen in Stadt und Dorf nichts gemein haben, fordert sie die Arbeiter und Werktätigen in Stadt und Dorf auf, sich zu vereinigen und für die Wahrung ihrer Interessen und für die Verwirklichung der von der Kommunistischen Partei aufgestellten Losungen selbständig zu kämpfen.“

So schrieb das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Bulgariens in seinem Aufruf vom 11. Juni.

Auf diese ‚ ‚Neutralitäts“-Position legte sich das Zentralkomitee fest und rückte von ihr bis zum heutigen Tage nicht ab. Zwei Fraktionen der Bourgeoisie kämpfen miteinander. „Uns“ geht das nichts an. Wir „verlangen“ ... die Aufhebung des Belagerungszustandes. Und das einen Tag nach dem weißen Umsturz! Wir sind … so unschuldig, dass wir von der faschistischen Regierung fordern, dass ihre Erklärung (über Freiheit und andere schöne Dinge) „durch Taten bestätigt wird…W

Die kommunistischen Arbeiter der Provinz konnten sich bei weitem nicht überall zu diesem „hohen“ staatsmännischen Gesichtspunkt durchringen. Sie sahen, dass die nackte faschistische Reaktion zu triumphieren begann, und sie nahmen den bewaffneten Kampf mit ihr auf, indem sie versuchten, zusammen mit einzelnen Bauerngruppen den die Macht übernehmenden Faschisten Widerstand zu leisten. In Plewna und in anderen Orten begann die bewaffnete Aktion kommunistischer Arbeiter, die durch Bauern unterstützt wurden. Aber das Zentralkomitee griff schleunigst ein. Wir wiederholen den Wortlaut des merkwürdigen Telegramms, das der Sekretär des Zentralkomitees, Genosse Lukanow, nach Plewna sandte:

Plewna. An Wassiij Tabatschkin (Sekretär der Plewnaer Parteiorganisation), Es ist mir zur Kenntnis gelangt, dass unter Euch in Plewna Gerüchte im Umlauf sind, nach denen ich verhaftet sei und nach denen man hier in Sofia gegen uns außerordentliche Maßnahmen anwendet. Das ist eine Lüge. lasst Euch nicht durch Gerüchte und Provokationen verwirren. Ihr werdet unseren Aufruf bekommen. Unterstützt völlig die in ihm eingenommene Stellung.

Beteiligt Euch weder zugunsten noch zum Schaden der einen oder anderen Partei. Grüße an Tatscha, Olga, Asen und andere Genossen.“ (Die letzten Worte hatten den Zweck, dass sich Genosse Tabatschkin davon überzeugen kann, dass das Telegramm wirklich von Lukanow stammte.)

Aus Telegrammen wissen wir jetzt, dass das Beispiel von Plewna nicht allein dasteht.

Wie es in solchen Fallen immer geschieht, wird versucht, die Fehler der Parteizentrale auf die Arbeiter abzuwälzen. Die bulgarischen Arbeiter hätten sich gleichgültig verhalten, sie hätten keine Kampfesstimmung geäußert, sie wollten nicht kämpfen usw. So schreiben die Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens.

Alles dies sind Sophismen. Wir wissen schon, dass das Zentralkomitee einige Stunden nach dem weißen Umsturz die himmelschreiend unrichtige Parole der „Neutralität“ herausgegeben hatte, d. h., dass es unsere Arbeiter zur Nichtbeteiligung an dem Kampfe der beiden uns angeblich mit gleicher Feindschaft gegenüberstehenden Cliquen zu bewegen begann. Wie sollten denn die Arbeiter ihre Kampfeslust zeigen, wenn sie ihre eigene Partei in der Person des Zentralkomitees von Anfang an zum Nichtkämpfen aufgefordert hatte?

In seinem Artikel „Der bürgerlich militärische Umsturz und die Kommunistische Partei in Bulgarien“ schreibt Genosse Kabaktschieff selbst, dass in den Kreisen Radomir Pazardschik, Plewen, Schumen, Karlowo, Popowo, Russe, Bela, Tscherwen-Breg, Lowetsch und Drenowo (insgesamt gibt es 89 Kreise) ein bewaffneter Widerstand der Bauern einsetzte‚ und dass die Stärke der bewaffneten Gruppen in den Kreisen Plewen Schumen und Pazardschik einige Hundert erreichte. Woher soll es also ersichtlich sein, wie es Genosse Kabaktschieff behauptet, dass die Bewegung auch bei der „Unterstützung der Kommunisten“ eine sichere Niederlage erlitten hätte? Die Kräfte der Weißen waren ja anfangs ganz gering — das erkennt auch Genosse Kabaktschieff selbst an.

Aber Genosse Kabaktschieff hat auch ein zweites Argument bereit:

Die Arbeitermassen der Städte — schreibt er — „begegneten dem Umsturz gleichgültig und sogar mit einer gewissen Erleichterung (!).“

Der Artikel in der theoretischen Zeitschrift der Kommunistischen Partei Bulgariens „Nowoje Wremja“ geht noch weiter:

Die Massen von Sofia begegneten dem Sturze der Bauernbündlerregierung mit Erleichterung und mit offener (!) Zufriedenheit (!!). (Der Artikel heißt; „Der Umsturz und die Lage in Bulgarien.“)

Die Massen haben, wie bekannt, einen breiten Rücken. Alles kann ihnen aufgebürdet werden. Aber, wenn es auch nur irgendwo der Fall war, so sind hier die Parteiführer schuld. Auch heute noch schimpfen sie auf die gestürzte Stambulinski-Regierung mehr als auf die triumphierenden Weißen. Das begründen sie „theoretisch“ durch die prachtvolle „These“, für die Arbeiter bestehe kein Unterschied zwischen den beiden „Cliquen“ der Bourgeoisie. Eine „selbständige“ Stellungnahme der Partei nennen sie jenes Verhalten, für das es ein ganz anderes Wort gibt…

Das dogmatisch-doktrinäre Herantreten an die Einschätzung verschiedener Gruppen der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums ist kein ausschließlicher Charakterzug der Führer der Kommunistischen Partei Bulgariens. In dieser Beziehung erinnern sie uns an die schlechtesten sektenartigen Eigenschaften des Guesdismus (der ersten Manier). Solange das nur eine theoretische Grille, eine literarische Spitzfindigkeit war, ist das nicht so arg gewesen, aber sobald es die Politik der Partei im Moment der entscheidenden Krise bestimmte‚ ist es zu einem wirklichen Unheil für die Partei geworden.

Die Zahl der bodenarmen Bauern in Bulgarien beläuft sich, wie es Genosse Kabaktschieff selbst öfter schrieb, auf 300.000. Es gibt ebenso viele mittlere (ebenfalls sehr arme) Bauern. Ungefähr 600.000 Bauern sind in diesem winzigen Lande unsere potentiellen Verbündeten. Ein Teil von ihnen befand sich zur Zeit des Umsturzes auf dem Scheidewege von Stambulinski zu uns. Und man will uns davon überzeugen, dass es sich hier um einen Kampf zweier, gleich schädlicher bürgerlicher „Cliquen“ handelt.

Am Schluss der erwähnten Manifeste leuchtet zur Beruhigung des Gewissens des Zentralkomitees der Partei die Parole der „Arbeiter- und Bauernregierung“ durch. Aber bei einer solchen Stellungnahme ist das bloß eine Schablone, ein totes Wort, ein politischer Kadaver. So kann man nicht für die Arbeiter- und Bauernregierung kämpfen. Das ist kein Marxismus.

Stambulinski ist ermordet worden. Die Spitzen seiner Partei sind zerschlagen. Ein Teil läuft zu den Weißen über. Aber die Bauern bleiben. Zum Kampfe gegen die Bourgeoisie müssen wir uns mit ihnen vereinen. Und das können wir nicht tun, ohne uns von unrichtigen leblosen Ansichten loszumachen.

Durch ihre „Neutralität“ hofften die Führer des Zentralkomitees augenscheinlich, die Partei vor Schlägen zu bewahren. Sie haben sich nicht entschlossen, den Kampf aufzunehmen. Vor der herannahenden Gefahr des Bürgerkrieges suchten sich die allzu vorsichtigen Führer unter dem durchlöcherten Regenschirm der „Neutralität“ zu bergen. Glaubt nicht den „Gerüchten“ über außerordentliche Maßnahmen gegen die Kommunisten, telegraphiert Genosse Lukanow. Kaum einige Tage vergehen, und — war denn das so schwer vorauszusehen? — die „außerordentlichen Maßnahmen“ werden zur Tatsache. Die faschistische Regierung stürzt sich mit einem Hagel von Repressalien auf die Kommunistische Partei. Allein in Plewna wurden einige Hundert Kommunisten verhaftet; es ist ganz klar, dass die Partei in die Illegalität gedrängt wird. Die ganze bürgerliche Presse schreibt höhnend über die „Neutralität“ der Kommunisten und bereitet neue Schläge gegen sie vor.

Eine doktrinärere und unrichtigere Stellungnahme unter den gegebenen Verhältnissen als die des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens kann man sich schwerlich vorstellen. Stambulinski war natürlich ein Feind der Arbeiterklasse. Seine Politik der Repressalien gegen die Kommunisten rief selbstverständlich eine berechtigte Empörung und einen berechtigten Hass gegen ihn hervor. Natürlich ist auch das wahr, dass sich die Spitzen der Stambulinskischen Bauernpartei immer mehr zu einer Großbauerngruppe entwickelt hatten. Aber immerhin ist es ein himmelschreiender Fehler, in einer Lage wie die, in der sich Bulgarien befindet, die ganze Bourgeoisie, darunter auch die noch mit Stambulinski sympathisierende oder halb sympathisierende bäuerliche Kleinbourgeoisie, als „eine reaktionäre Masse“ hinzustellen. In dem Augenblick, wo die Faschisten mit den Spitzen der Bauernpartei im Kampfe standen, war (und bleibt) es die Aufgabe der Kommunistischen Partei, sich mit allen nur einigermaßen ehrlichen Anhängern der Bauernpartei zum Kampfe gegen die Weißen zu verbinden. War denn Kerenski im September 1917 kein Feind der Arbeiter? Und doch gingen die Bolschewiki mit Kerenski gegen Kornilow. Und sie haben dabei nichts verloren. Kerenski allein war es, der dabei verloren hat. So kann und muss man auch der Stambulinski-Partei gegenüber auftreten.

Die Stellungnahme des bulgarischen ZK. nähert sich in der Tat einer sozialdemokratischen Stellungnahme.

Wenn wir „sozialdemokratische“ sagen, so haben wir die alten guten Zeiten der Sozialdemokratie vor Augen. Natürlich gehen die heutigen Sozialdemokraten viel weiter. Die Führer der bulgarischen Menschewiki (der „breiten“ Sozialisten), die einen Teil der Zweiten Internationale bilden, nehmen an der faschistischen Regierung teil und übernehmen, wie es scheint, die Rolle der schlimmsten Henker dieser Regierung.

Auf diese Weise vermengt sich durch die „Breiten“ die Zweite Internationale direkt mit der ruhmreichen internationalen Familie der Faschisten.

Die „neutrale“ Stellungnahme des Zentralkomitees der KPB konnte nur in eine Sackgasse führen. Die abwartende Politik mit einer Gebärde der Neutralität bedeutet in einer solchen Zeit die politische Kapitulation.

Lehrreich ist das Schicksal der Kommunistischen Partei Bulgariens. Sie ist eine der ältesten und stärksten Arbeiterparteien. Die KP Bulgariens kann wenigstens auf eine 25- bis 30-jährige Entwicklung zurückblicken. Sie eroberte die große Mehrheit der Arbeiter und einen bedeutenden Teil der Bauern in einem langen Kampfe gegen die „breiten“ Sozialisten. Sie nahm den „Breiten“ jeden ernsten Einfluss auf die werktätigen Massen. In der Agitation und Propaganda entfaltete die Kommunistische Partei Bulgariens eine großartige Arbeit (in dem Stile wie etwa die deutsche Sozialdemokratie in ihren besten Jahren). An der Spitze der KP Bulgariens steht ein Führerstab, der aus gebildeten, alten Marxisten besteht. Und dennoch — dieser himmelschreiende Fehler und dennoch diese große Enttäuschung. Es ist ohne Zweifel schwer, von der Propaganda und Agitation zur revolutionären Tat überzugehen.

Schon im Jahre 1921 (im offenen Briefe vom 4. Mai 1921) machte die Exekutive der Kommunistischen Internationale die Kommunistische Partei Bulgariens auf ihre schwachen Seiten aufmerksam. Schärft es Euch ein — schrieben wir in diesen Briefe —‚ dass der Sieg nicht einfach vom Himmel fällt. Erinnert Euch daran, dass Agitation und Propaganda allein nicht genug ist, sondern dass man es verstehen muss, im entscheidenden Moment zu unmittelbaren Kampfmaßnahmen überzugehen.

Schon etwas schärfer richtete die Exekutive zum zweiten Male die Aufmerksamkeit der KP Bulgariens auf ihre Schwächen, und zwar anlässlich der letzten Revolution in Griechenland. Das bulgarische ZK, das an der Spitze der ganzen Balkanföderation stand, verhielt sich zu den Ereignissen in Griechenland mit einer für Revolutionäre ganz unerhörten Trägheit.

Woran liegt das?

Die Kommunistische Partei Bulgariens sammelte ihre Kräfte während eines Vierteljahrhunderts durch organisatorische und Propagandaarbeit. Die Frage bestand darin, ob die Quantität rechtzeitig in Qualität umschlägt, ob die alte bulgarische Partei in der entscheidenden Minute der Vorbereitungsperiode der Propaganda und der Sammlung der Kräfte ein Ende setzen kann, um sich in den Kampf zu stürzen. Es hat sich herausgestellt, dass sie es nicht konnte, Die Führer der KP Bulgariens haben während der letzten Monate viel mehr daran gedacht, wie man die Volkshäuser, gegen die Stambulinski vorging, schützen muss, als daran, wie man sich zu dem bevorstehenden Umsturz, den Kabaktschieff und das ganze ZK vorausgesehen hat, vorbereiten soll; genau wie im Jahre 1914 manche Führer der Sozialdemokratie.

Hinter den bulgarischen Kommunisten stehen sämtliche Eisenbahner, sämtliche Post- und Telegraphenangestellten. Jedem ist es klar, welch eine ungeheure Bedeutung diese in den ersten Tagen des Umsturzes hätten haben können. Aber wir waren „neutral“…

Das bulgarische ZK wollte eine Revolution „mit Garantien“. Es hat an einen Krieg nicht einmal zu denken gewagt. „Am nächsten Tage einer Revolution würde ja Rumänien gegen uns marschieren“ usw. Die Weißen aber fürchteten sich nicht vor Jugoslawien, und sie haben gesiegt. Das bulgarische ZK brachte es aber durch seine „Vorsichtigkeit“ zu einer schweren Niederlage.

Es ist sehr schwer, alles dies zu einer Zeit zu sagen, in der sich die faschistischen Skorpione auf die bulgarischen Arbeiter stürzen Aber verschweigen dürfen wir es nicht. Die bittere Lehre der politischen Niederlage einer der stärksten Parteien der Kommunistischen Internationale darf nicht von den anderen Parteien unausgenützt gelassen werden. Unter schweren, qualvollen Niederlagen bilden sich wirkliche kommunistische Organisationen heraus. Von der bulgarischen Partei hätten wir das Recht gehabt, Besseres zu erwarten. Aber den Leidenskelch werden wir, wie es scheint, bis zur Neige leeren müssen. Nur aus eigenen Fehlern und Niederlagen lernen die Arbeiter.

Es gibt Situationen, unter denen es für eine revolutionäre Partei schlechter ist, den Kampf nicht aufzunehmen, als in einen Kampf zu treten, der mit einer Niederlage endet. In einer solchen Situation befand sich unlängst unsere bulgarische Kommunistische Partei. Sich in einem solchen Augenblick in den Mantel der „Neutralität“ zu hüllen bedeutet, die eigenen Kräfte lähmen.

Wir zweifeln jedoch keine einzige Minute daran, dass jene Hunderte und Tausende bewusster Proletarier, die sich der

KP Bulgariens angeschlossen haben — dieselben, die sich instinktiv in den Kampf stürzten und von den Führern im Stich gelassen wurden — ihre Partei zu retten verstehen werden. Durch die Umstellung ihrer Kräfte, durch das Lernen aus der bitteren Lehre, werden sie jetzt unter dem unmittelbaren Feuer des Feindes ihre Organisationen befestigen und sich zu neuen entscheidenden Kämpfen vorbereiten können. Schließlich steht der Bürgerkrieg in Bulgarien erst am Anfang. Schließlich kann der Bürgerkrieg mit nichts anderem enden, als mit dem Siege der Kommunistischen Partei. Die Parole, die das ZK der KPB herausgegeben hatte, die Parole der Arbeiter- und Bauernregierung, ist eine richtige Parole. Wir klagen das ZK der KPB nicht dessen an, dass es unter falschen Parolen gekämpft hat, wir klagen es an, weil es überhaupt nicht gekämpft hat. Die Parole der Arbeiter- und Bauernregierung wird in der vom Bürgerkrieg aufgerüttelten Bauernschaft einen vortrefflichen Boden finden. Durch schwere Niederlagen, durch eine Periode des weißen Terrors wird das bulgarische Proletariat diese Parole zum Siege führen.

Mögen die bulgarischen Genossen nicht den Mut sinken lassen, mögen sie bald die gemachten Fehler korrigieren. Alle anderen kommunistischen Parteien müssen aber an dem bulgarischen Beispiel lernen, wie sie nicht handeln sollen.

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