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Politische Briefe Nr. 10

NR. 10 VOM NOVEMBER 1915

[nach: Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 68-82]

POLITISCHE BRIEFE

DIE PARVUSIADE

Genosse Parvus gibt eine neue Zeitschrift heraus, „Die Glocke", Verlag für Sozialwissenschaft GmbH. Die erste Nummer bringt einen Artikel, der insofern Beachtung verdient, als hier der Sozialimperialismus eine neue Note erhält. Kurz gesagt, vertritt Parvus den Standpunkt, dass die deutsche Sozialdemokratie seit Jahrzehnten eine Taktik befolgte, die zur vollständigen politischen Machtlosigkeit des deutschen Proletariats geführt hat; dadurch habe sie mit verschuldet, dass der Weltkrieg ausbrechen konnte. Dann kommt, wie aus der Pistole geschossen, der Schluss: Als der Krieg kam, musste die Sozialdemokratie das Vaterland verteidigen, und „es konnte kein Zweifel bestehen, dass die Führung dem Generalstab übertragen werden musste, der sich seit Jahrzehnten auf diesen Kampf vorbereitete, über die Armee und die Staatsmittel verfügte". Aber dafür nach dem Kriege! Da wird dann die revolutionäre Energie sich entladen, und das deutsche Proletariat wird seine Forderungen durchsetzen, nämlich … den Achtstundentag und „die Umgestaltung der Volksschule zu einer Volksbildungsanstalt". Bumm!

Der erste Teil der Behauptung ist nicht gerade neu. Seit ungefähr zwanzig Jahren gab es ja in der Partei mehr oder minder lebhafte Auseinandersetzungen über die Taktik und – leider, leider! – haben jene Genossen recht behalten, die, auf dem äußersten linken Flügel stehend, den Revisionismus nicht nur, sondern auch den Sumpf bekämpften. Neu ist nur, dass Parvus glücklich den Schuldigen entdeckt hat: es ist K. Kautsky, der die Theorie verpatzt hat und die Partei vom Wege der Tugend führte. Es liegt auf der Hand, dass das Kindereien sind. Der Redakteur der „Neuen Zeit" ist sicher nicht die überragende Persönlichkeit, die das Geschick der Partei bestimmte, und ihn für die gesamte Haltung der Partei verantwortlich machen, ist doch wirklich ein literarisches Mätzchen, für das die Zeit zu ernst ist.

Noch belangloser und fader ist, was Parvus über den Krieg zu sagen hat. Der revolutionäre Weltenstürmer betrachtet den Krieg vom Standpunkt des borniertesten Bierphilisters: das brave, biedere, friedliche Deutschland, das kein Wässerchen getrübt hat, ward meuchlings von Russland überfallen. Wir kennen den guten Parvus als vielseitigen Mann, aber als Märchenerzähler hat er sich hier nicht bewährt, denn dieses Gerede findet sicher auch bei dem vielberufenen „stärksten Mann" heute keinen Glauben mehr.

Das Märchen muss aber aufgetischt werden, um eine weitere stumpfsinnige Legende vorzubringen, die Legende von dem Befreiungskriege, den Deutschland führt. Die Logik wäre die: da der Krieg vom deutschen Generalstab geführt wird, der über die Armee und die Staatsmittel verfügt, so kann der Krieg ein Befreiungskrieg nur sein, wenn dieser Generalstab es so will. Dem Generalstab der deutschen Regierung derartige revolutionäre Gelüste zuzuschreiben, ist offenbar absurd. Mittlerweile sind die Kriegsziele dieser Regierung annähernd klar geworden: Unterjochung Belgiens, Annexion polnischer, lettischer, litauischer Gebiete! Die Bevölkerung der okkupierten Gebiete merkt nichts von Befreiung, dafür aber bekommt sie die preußische Polizeifaust derart zu fühlen, dass sie schier zur Verzweiflung getrieben wird. Aber der hochfliegende Geist eines Parvus lässt sich von derartigen Kleinigkeiten nicht beirren. Er lässt lieber – weil's gleich ist – den deutschen Generalstab in der Versenkung verschwinden und spricht in Heft 3 nur noch von den „bewaffneten deutschen Proletariern", die den Krieg führen. Wen will er mit dieser Legende täuschen? Die Proletarier im Waffenrock sind ein Werkzeug des Militarismus und haben über die Ziele des Krieges ebenso wenig zu entscheiden wie die Gäule, die die Kanonen ziehen. Keine Phrase hilft darüber hinweg, dass die zum Kriegsdienst gezwungenen Sozialdemokraten den Krieg der Regierung mitmachen, den Krieg um die imperialistische Macht, den Eroberungskrieg, wie er im Buche steht.

Befreiungskrieg! Das Wort klingt wie beißender Hohn. Es genügt, folgende Betrachtung anzustellen: sollte während des Krieges in Frankreich oder in Russland wider alles Erwarten eine proletarische Revolution ausbrechen, so würde das wohldisziplinierte deutsche Heer genauso handeln wie 1871, wo es die Pariser Kommune niederkartätschen half; darüber besteht bei den denkenden Menschen nicht der leiseste Zweifel. Es ist nicht zu ändern. Dann verschone man uns aber auch mit den niederträchtigen Lügen vom „Befreiungskrieg".

Freilich, man kann den Begriff auch anders deuten: der Krieg – heißt es – wird den „Zarismus zertrümmern" und so eine neue Ära der Weltgeschichte einleiten. Das glaubt Parvus. Kategorisch stellt er den russischen Sozialisten und Revolutionären die Frage: „Würde nicht, wenn der Zarismus in diesem Krieg unterliegt, die Folge eine Revolution sein, die endlich vollkommen mit diesem politischen System aufräumen und der Demokratie die Bahn öffnen würde? Ja oder nein?" (Heft 2) -

Wir wissen nicht, ob die russischen Genossen, die gegen den Krieg kämpfen und gegen den Zarismus (die anderen sind uns mit ihren Sophismen mindestens ebenso wenig interessant wie die Kriegssozialisten Deutschlands), es für nötig halten, ihm zu antworten. Was uns betrifft, antworten wir auf diese Frage: aller Wahrscheinlichkeit nach – nein! Es ist nicht möglich, alles vorauszusehen, was dieser Krieg noch zeitigen kann. Aber wie die Dinge jetzt stehen, sind folgende zwei Möglichkeiten bei einer Niederlage Russlands am wahrscheinlichsten: entweder werden die Sieger Russland sehr schonend behandeln, um das Dreikaiserbündnis zu ermöglichen. Das bedeutet dann die Reaktion für ganz Europa, gemeinsame imperialistische Abenteuer Deutschlands mit Russland, Kräftigung der zarischen Regierung, gegen welche das Proletariat nach wie vor kämpfen wird, aber unter wesentlich schwereren Bedingungen als vor dem Kriege. Oder – Russland wird gedemütigt, verliert zum Teil seine westlichen, am weitesten entwickelten und revolutionierten Provinzen. Dann wird es der zarischen Regierung ein leichtes sein, bei den Volksmassen, dem Bauerntum und Kleinbürgertum vornehmlich, eine wütende Revanchestimmung zu erzeugen, bei der die bourgeoisen Drahtzieher gewonnenes Spiel haben. Auch in diesem Falle wird das Proletariat nicht von seinen revolutionären Idealen lassen, aber es wird einen schweren Stand haben. In beiden Fällen dürfte der zarische Absolutismus nicht aufrechtzuerhalten sein, sondern Russland wird ein Militärstaat werden mit einem Scheinkonstitutionalismus, ähnlich dem deutschen. Der Unterschied würde darin bestehen, dass im ersten Falle die Räubereien dieses Staates sich gegen Asien richten, wo der russische und deutsche Imperialismus halbpart machen müssten, und wahrscheinlich die Türkei das erste Opfer wäre, im anderen Falle hätten wir in zehn, spätestens zwanzig Jahren einen neuen deutsch-russischen Krieg. So oder so: es ist zu fürchten, dass die Revolutionierung Russlands durch den Krieg gehemmt wird.

Für Deutschland verspricht uns Parvus Wunder. Die trostlos politische Ohnmacht des deutschen Proletariats wird aufhören. Die „bewaffneten Proletarier" werden heute von Parvus und Konsorten für den Krieg begeistert, für den imperialistischen Raubzug mit all seiner verlogenen Niedertracht und seinen entsetzlichen Gräueln. Den Zarismus rennen sie freilich nicht nieder, sondern fügen sich, wenn der „Generalstab" ein militärisches Bündnis mit ihm für nötig hält, um spätere Kriege vorzubereiten. Dafür trampeln sie Belgien nieder und Frankreich, erdrosseln Serbien zu Nutz und Frommen der Wiener Finanziers und der k. k. Bürokratie, vernichten unersetzliche Kulturwerte, schaffen einen lohenden Völkerhass, der Generationen lang nachwirken wird. So sorgen sie für den Sieg, der einen enormen Machtzuwachs des deutschen Kapitalismus bedeutet und einen furchtbaren Aderlass für das deutsche Volk. Morgen aber, morgen fassen diese Proletarier – die notabene dann nicht mehr bewaffnet sind! – diesen kapitalistischen Staat an die Gurgel und erobern – den Achtstundentag und die Volksschule.

Nun, bei der Börsenjobberei ist es üblich, sich zu „drehen": heute „macht" man à la baisse, morgen à la Hausse. Für den proletarischen Klassenkampf taugt das Rezept nicht. Man kann nicht nach Bedarf Völkermord und Völkerverbrüderung treiben, man kann nicht heute für, morgen gegen den Klassenstaat sein.

Wir haben die feste Überzeugung, dass die Proletarier Deutschlands ebenso wenig wie die Proletarier anderer Länder ihr sozialistisches Ideal aufgeben und dem Klassenkampf entsagen können. Sie müssen ihn fortführen und werden ihn fortführen und nicht nur den Achtstundentag und die Volksschule erobern, sondern ihr Programm durchführen und den kapitalistischen Staat überwältigen durch Eroberung der politischen Macht. Aber sie werden es nur können, wenn sie an dem Programm des Klassenkampfes festhalten – auch während des Krieges.

Die dritte Nummer der „Glocke" enthebt eigentlich der Pflicht, sich mit Parvus auseinanderzusetzen. Schon in der ersten Nummer hat er in einem Artikel durch sieben Fußnoten seine werte Persönlichkeit marktschreierisch in Erinnerung gebracht; die dritte ist einzig und allein bestimmt, zu zeigen, welche welthistorische Rolle der Mann mit dem neckischen Pseudonym (Parvus bedeutet „der Kleine") spielt. Wir erfahren da, dass die Welt während des Krieges nichts Besseres zu tun hat, als ihn zu verleumden, dass die russischen Agenten ihm mit Gift und Revolver nachstellen, hu! hu! hu!, dass er den Jungtürken gute Ratschläge erteilt hat, dass er die Bulgaren für den Krieg begeisterte, dass er türkischer Staatsangehöriger geworden ist, dass er sich „im Orient, besonders während des Krieges, ein Vermögen geschaffen hat" und noch anderes mehr. Man lächelt und wünscht dem betriebsamen Mann und seiner GmbH weitere geschäftliche Erfolge.

Wenn er aber behauptet: „Ich habe eine Mission zu erfüllen. Diese Mission ist – eine ideelle Verbindung herzustellen zwischen dem bewaffneten deutschen und dem revolutionären russischen Proletariat", so hört bei dieser orientalischen Aufschneiderei der Spaß auf.

In Russland hat man aus triftigen Gründen aufgehört, ihn ernst zu nehmen, in Deutschland wird man ihn nach der dritten Nummer seiner so aufdringlich sein Lob bimmelnden „Glocke" hoffentlich auch nicht mehr ernst nehmen. Um die ideelle Verbindung der revolutionären deutschen und russischen Proletarier braucht ihm nicht bange zu sein; sie wissen sich eins im Kampfe gegen Kapitalismus und Völkermord, trotz der Plechanow und Aleksinski auf der einen Seite, der Parvus, Haenisch, Scheidemann auf der anderen.

Da Parvus aber partout sich mit seiner Persönlichkeit aufdrängt, wollen wir ihm sagen: wer den Krieg gegen Russland als die heilige Sache des Proletariats ansieht, dessen Überzeugung würden wir achten können, wenn er im Schützengraben stünde. Aber – im Kriege, dem viele Tausende deutscher und russischer revolutionärer Proletarier zum Opfer fallen, vorerst ein Vermögen erwerben, dann eine GmbH für die „ideelle Verbindung" dieser Proletarier gründen, die man aus dem sicheren Klampenborg in Dänemark leitet – für diese erhabene Rolle eines Rrrrevolutionärs, gestehen wir, kein Verständnis zu haben.

ZWEI UKASE

Bei Dir gerät man stets ins Ungewisse, Du bist der Vater aller Hindernisse." Diese Worte, die Goethes Faust zu seinem Mephisto sagt, sitzen dem Parteivorstande der deutschen Sozialdemokratie wie angegossen. Kaum kommt unter dem ungeheuren Druck des Weltkrieges der alte Geist in der deutschen Arbeiterklasse wieder auf, als der Parteivorstand zur Spritze greift, um das flackernde Feuer mit der Wasserflut seiner Beredsamkeit zu ersticken.

Wir haben heute zwei solcher Ukase zu verzeichnen.

I

Der eine ist vom 9. September d. J. datiert und an die Vorstände der Landes- und Bezirksorganisationen gerichtet: Er lautet wörtlich:

Werte Genossen!

An eine Anzahl unserer Parteifunktionäre wurde mit anderem auf der Schreibmaschine vervielfältigtem ,Material' auch ein anonymes Schreiben folgenden Wortlauts versandt:

,Werte Genossen!

Wir wiederholen unsere Bitte, das Material möglichst in Ihrem Orte vervielfältigen und weiter verbreiten zu lassen. (Mit Rücksicht auf die zunehmende Regsamkeit der Behörden ist die größte Sorgfalt bei der Verbreitung und Aufbewahrung dieser und anderer Materialien dringend geboten. Die Versender sind unter keinen Umständen, auch in Parteikreisen nicht, bekanntzugeben.) Mitteilungen über besondere Vorkommnisse (wie Verhaftungen und dergleichen) bitten wir jedes Mal sofort an einen bekannten Genossen zu richten. Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass bei Verhaftungen etc. die betreffende Kreisorganisation Rechtsschutz und Unterstützung zu gewähren hat. Sollte die Organisation sich weigern, das zu tun, so bitten wir um umgehende Mitteilung.

Dieses Schreiben ist nach Durchsicht zu vernichten.'

Dieses Schreiben veranlasst uns zu einem Hinweis auf unseren am 1. August 1914 veröffentlichten Aufruf, in dem es hieß:

,Die strengen Vorschriften des Kriegsrechts treffen mit furchtbarer Schärfe die Arbeiterbewegung. Unbesonnenheiten, nutzlose und falsch verstandene Opfer schaden in diesem Augenblick nicht nur dem einzelnen, sondern unserer Sache.'

Die in dem oben zitierten anonymen Schreiben ausgesprochene Auffassung, dass die Partei grundsätzlich Unterstützungen und Rechtsschutz zu gewähren hat, auch wenn einzelne unbesonnen nutzlose Handlungen begehen, ist irrig.

Die von der Arbeiterschaft in so schwerer Zeit aufgebrachten Gelder dürfen nicht sinn- und zwecklos geopfert werden.

Wir ersuchen Sie, die Kreisorganisationen Ihres Bezirkes darauf hinzuweisen. Eine Veröffentlichung dieses Zirkulars muss unterbleiben.

Mit Parteigruß

Der Parteivorstand"

Eins ist an diesem Schreiben zu begreifen und sogar anzuerkennen: nämlich die Angst vor seiner Veröffentlichung. Der Parteivorstand scheut, von seinem Standpunkt aus mit Recht, davor zurück, dass die Massen der Partei das moralische und politische Armutszeugnis kennenlernen, das er sich mit diesem Schreiben ausgestellt hat.

Die deutsche Arbeiterklasse lebt noch heute unter einem Druck, wie er selbst in den Tagen des Sozialistengesetzes nicht bestanden hat. Denn so kautschukartig die Bestimmungen dieses Gesetzes waren und so weit sie nach dem Belieben der Staatsanwälte und der Gerichtshöfe auch ausgereckt werden konnten, so waren sie wenigstens doch da und heuchelten einen trügerischen zwar, aber doch einen Schein von Gesetzlichkeit.

Heute aber schmachtet eine mehr oder minder große Zahl von Parteigenossen hinter den Kerkergittern, obgleich ihnen mit aller Findigkeit der Staatsanwälte und Untersuchungsrichter nicht der geringste Verstoß selbst nur gegen die dehnbarsten Kautschukparagraphen des Strafgesetzbuchs nachgewiesen werden kann. Sie sind die Opfer einer unverantwortlichen Militärbehörde, und ihre einzige Schuld besteht darin, dass, als eifrige Mitglieder der Partei, sie auch während des Krieges nicht die Überzeugung abgeschworen haben, die sie vor dem Kriege bekannt haben. Nichts einfacher und selbstverständlicher als die Pflicht der Partei, das Los dieser Opfer durch Rechtsschutz und Unterstützung zu erleichtern, gänzlich unbekümmert darum, ob der eine oder der andere von ihnen nicht dem Vorbilde Falstaffs gefolgt ist, der Vorsicht für den besseren Teil der Tapferkeit hielt, sondern dem Vorbilde Teils, den der Dichter sagen lässt: „Wär' ich besonnen, hieß ich nicht der Tell."

Der Parteivorstand aber hält es mit Falstaff. Er diktiert dem Unglücklichen, der nicht vorsichtig genug seine sozialdemokratischen Ansichten kundgibt, Stockprügel auf den Magen. Schade, dass Bismarck und Puttkamer diese glorreiche Zeit nicht erlebt haben. Sie hätten sich dann nicht im Schweiß ihres Angesichts bemüht, das Sozialistengesetz mit allerlei juristischen Spinnweben zu verkleiden, sondern einfach dekretiert: Wer „unbesonnen nutzlose" Handlungen begeht, ist vogelfrei.

II

Der zweite Erlass des Parteivorstandes ist gegen die Zimmerwalder Konferenz gerichtet. Er ist vom 2. Oktober und lautet wörtlich:

Nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

Nur zur Information.

Werte Parteigenossen!

In den Tagen vom 5. bis 8. September dieses Jahres hat in Zimmerwald bei Bern eine Zusammenkunft von Sozialisten aus verschiedenen Ländern stattgefunden. Die Teilnehmer glaubten, in dieser schweren Zeit den Interessen des Proletariats dadurch zu dienen, dass sie in einem wortreichen Manifest zunächst allerlei Vorwürfe gegen die Parteiorganisationen der verschiedenen Länder erhoben.

Das Ergebnis der Konferenz war die Einsetzung einer sogenannten Internationalen Sozialistischen Kommission im Gegensatz zu dem Internationalen Sozialistischen Büro im Haag. Die Bedeutungslosigkeit der Zimmerwalder Zusammenkunft wird durch die Feststellung folgender Tatsachen dokumentiert: Es waren in Zimmerwald nicht vertreten: die sozialistischen Parteien von Frankreich, England, Belgien, Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden, Norwegen, Holland, Schweiz, Spanien, Vereinigte Staaten von Amerika usw.

Als die berufenen Vertreter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erinnern wir noch einmal ausdrücklich daran, dass

1. die deutsche Partei vollkommen einig ist in ihrem Friedenswillen;

2. die Leitung der deutschen Sozialdemokratie alles, was in ihren Kräften stand, getan hat und weiter tun wird, um einen baldigen Frieden zu erzielen;

3. die Leitung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit ihren Bestrebungen im Auslande bisher leider wenig Gegenliebe gefunden hat;

4. es selbstverständlich nur die Aufgabe der berufenen Parteileitung sein kann, Verhandlungen mit den Bruderparteien zu führen.

Die persönliche Teilnahme deutscher Parteigenossen an sogenannten internationalen Konferenzen ist nur geeignet, die Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen mit dem Auslande zu erschweren, weil sie den Anschein erwecken muss, als sei in der deutschen Partei nur eine kleine Minderheit für den Frieden. Das Gegenteil ist wahr, für die gesamte Partei haben die berufenen Körperschaften wiederholt den Willen zum Frieden und die Stellungnahme gegen alle Annexionspläne öffentlich bekundet.

Nach einem Beschlusse der Zimmerwalder Konferenz soll der Wortlaut des Manifestes den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen zugesandt werden mit dem Ersuchen, eine Zustimmungserklärung an die eingesetzte Kommission in der Schweiz gelangen zu lassen. Wir dürfen wohl erwarten, dass unsere Organisationen dieser Aufforderung nicht Folge leisten werden; der so notwendigen Einheit und Geschlossenheit der Partei werde damit nicht gedient werden. Wir lehnen jede Verantwortung für die Zimmerwalder Konferenz ab.

Wir machen ferner aufmerksam auf einen von einem in der Schweiz neuerdings begründeten ,Büro des Internationalen Verbandes Sozialistischer Jugendorganisationen' veröffentlichten Aufruf an die sozialistische Jugend aller Länder, in dem u. a. gesagt wird: ,der Boden für eine revolutionäre Empörung ist gegeben; säen wir.'

Wir machen es allen Organisationen zur dringenden Pflicht, besonders die in der Jugendbewegung tätigen Genossen vor jedem unüberlegten Tun zu warnen.

Die Parteigenossen können überzeugt sein, dass die Parteileitung nichts versäumt, um die Interessen des Proletariats nach bester Überzeugung wahrzunehmen, soweit das die Kriegsverhältnisse zulassen. Die Parteileitung wird um so besser in der Lage sein, ihren schwierigen Aufgaben gerecht zu werden, je geschlossener ihr die Partei zur Seite steht, je entschiedener die Ratschläge unverantwortlicher Ratgeber abgelehnt werden.

Mit Parteigruß

Der Parteivorstand"

Über die Denunziation des Aufrufs an die sozialistische Jugend aller Länder wollen wir hinwegsehen; es kommt bei dem Parteivorstand auf eine Handvoll Noten nicht an. Mit dem „Wortreichtum", den er dem Zimmerwalder Manifeste vorwirft, wollen wir ihn nicht erst aufmutigen, denn seit Beginn des Krieges hat er selbst nichts als Worte, Worte und abermals Worte gemacht, und so mag er die Konkurrenz fürchten.

In diesem Fall allerdings mit Unrecht, denn das Zimmerwalder Manifest ist bei alledem eine Tat, die alle prinzipientreuen Mitglieder der deutschen Sozialdemokratie freudig begrüßt haben oder, soweit es ihnen noch nicht bekannt geworden ist, freudig begrüßen werden. Je größeren Anklang es in den Organisationen der deutschen Partei findet, um so mehr wird der Sache des Friedens gedient sein, obgleich oder vielmehr weil der Parteivorstand das Gegenteil versichert. Wenn wir abwarten sollen, bis seine Friedensbemühungen irgendeinen Erfolg haben, so müssten wir alle den Sankt-Nimmerleins-Tag erleben.

Mit seinem Bannfluch gegen die „unverantwortlichen Ratgeber" gleicht der Parteivorstand jenem preußischen Bürokraten, der am 18. März 1848 voll sittlicher Entrüstung ausrief: „Mein Gott, was wollen die unverantwortlichen Leute, die mit der Regierung unzufrieden sind? Unsere Akten haben wir doch immer in der schönsten Ordnung gehalten." In der Tat, die Akten des Parteivorstandes sind soweit in Ordnung, als er von Zeit zu Zeit platonische Friedenswünsche in den Bart murmelt, was übrigens auch alle bürgerlichen Parteien tun.

Aber wie steht es denn mit den Taten des Parteivorstandes? Diejenigen seiner Mitglieder, die im Reichstage sitzen, haben – mit einer einzigen Ausnahme – unentwegt für die Bewilligung der Kriegskredite gestimmt; einzelne seiner Mitglieder reisen mit der Parole des „Durchhaltens" im Lande umher, und wieder andere weilen im deutschen Hauptquartier, vermutlich nicht einmal, um guten Rat zu erteilen, denn von den militärischen Qualitäten der Genossen Ebert und Scheidemann ist bisher nichts bekannt geworden, sondern um sich vor der Tür eines Offizierskasinos im Kreise von Offizieren fotografieren zu lassen, worauf dann dies Reklamebild in bürgerlichen Blättern verbreitet wird. Wenn es danach der Parteivorstand als eine ihm allein zustehende Aufgabe betrachtet, mit den Bruderparteien zu verhandeln, aber sich darüber beklagt, dass er bei ihnen mit seinen sogenannten Friedensbemühungen geringe Gegenliebe gefunden habe, so sind diese Parteien jedenfalls sündenfrei, falls sie keine anderen Sünden auf dem Gewissen haben. Sie handeln sogar nach den Vorschriften der Bibel, wenn sie sich an die Taten des deutschen Parteivorstandes halten und nicht an seine Worte.

Es ist übrigens eine Unwahrheit, wenn der Parteivorstand behauptet, die Internationale Sozialistische Kommission sei „im Gegensatze zu dem Internationalen Sozialistischen Büro im Haag" gegründet worden. Sie ist ausdrücklich nur für so lange gegründet worden, wie das Haager Büro versagt. Und das war recht so. Denn bei allem Geschmack, den der Parteivorstand an bürokratischen Spinnweben haben mag, so darf das internationale Proletariat darüber nicht stolpern.

Alles in allem ist die Zimmerwalder Konferenz in erster Reihe auch im Interesse der deutschen Arbeiterbewegung freudig zu begrüßen.

DIE ZIMMERWALDER KONFERENZ

Als zu Beginn des Weltkrieges die internationalen Bande des kämpfenden Proletariats jäh zerrissen wurden, da klammerte sich die Hoffnung an ein erneutes internationales sozialistisches Zusammenwirken, an die wissenschaftliche Einsicht, dass der wirtschaftliche und soziale Boden, aus dem heraus die sozialistische Bewegung erwachsen, in dem Chaos des Weltkrieges keineswegs vernichtet, sondern erst noch vorbereitet werde. Die Entwicklung hat dem auf wissenschaftlicher Einsicht gegründeten Glauben recht gegeben. Es zeigten sich bald wieder in den einzelnen Ländern Spuren eines Wiederauflebens des Sozialismus, die im Laufe der Zeit festere und klarere Formen annahmen. Zugleich zeigte sich das Streben, die international zersprengten Truppen des Sozialismus wieder zusammenzuführen. Eine proletarische Internationale wurde angestrebt, die aus den „Fehlern, den Halbheiten, den Unzulänglichkeiten" der vor dem Heranbrausen des stürmenden Weltkriegs erlegenen Internationale lernen sollte. Diese Bestrebungen waren von Erfolg gekrönt. Nach mühevollen Vorbereitungen, die besonders von der italienischen Partei und schweizerischen Genossen ausgeführt wurden, kam es am 5. September zu einer internationalen Konferenz in Zimmerwald in der Schweiz. Es waren Sozialisten geladen, die den Beschlüssen der Internationale treu geblieben waren, und die auf dem Boden des proletarischen Klassenkampfes standen.

Die Verhandlungen währten vom 5./8. September. Die Vertretungen der einzelnen Länder waren teils offiziell, teils inoffiziell, je nach der Haltung der betreffenden Gesamtpartei zum Kriege. Die deutsche Delegation war von verschiedenen Gruppen der Opposition entsandt. Es waren zehn Delegierte aus den verschiedensten Teilen Deutschlands anwesend. Die offizielle Partei war auf Grund ihrer derzeitigen Haltung nicht eingeladen.

Auch die offizielle Partei in Frankreich war aus denselben Gründen nicht eingeladen. Doch waren mehrere Gewerkschaften offiziell vertreten.

Italien hatte eine offizielle Vertretung der Partei und der sozialistischen Kammergruppe.

Die Unabhängige Arbeiterpartei Englands hatte eine offizielle Vertretung zugesagt; Genosse Jowett und Bruce Glasier, Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Büros, wurden zur Delegation bestimmt. In letzter Stunde wurden ihnen jedoch von der englischen Regierung die Pässe verweigert, so dass die ILP keine Vertretung mehr schicken konnte.

Die russische Delegation war von dem Zentralkomitee, ferner dem Organisationskomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und dem Zentralkomitee der Sozialistisch-revolutionären Partei entsandt. Außerdem hatten der jüdische „Bund" sowie die Sozialdemokratie Lettlands eine Vertretung.

Die polnische Delegation bestand aus den drei auf dem Boden des Klassenkampfes stehenden Organisationen.

Rumänien hatte eine offizielle Vertretung der Partei.

Von Bulgarien war die Delegation von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Engherzigen) und ihrer Kammerfraktion entsandt.

Aus Schweden und Norwegen hatte die Sozialdemokratische Jugendorganisation zwei Delegierte geschickt.

Die Schweiz hatte keine offizielle Delegation, doch hatte der Parteivorstand den einzelnen Genossen die Beteiligung an der Konferenz freigestellt.

Die Verhandlungen der Konferenz wurden mit Berichten der einzelnen Länder eingeleitet. Es wurden die näheren Umstände geschildert, die bei Ausbruch des Krieges die Haltung der einzelnen sozialdemokratischen Parteien bestimmten; dann die ganze Entwicklung, die sich während des Krieges innerhalb der einzelnen Parteien vollzogen hat, die Auseinandersetzungen innerhalb der Parteien.

Über Deutschland erstatteten zwei Genossen Bericht, die auf den Ton gestimmt waren: Wenn in Deutschland die Opposition die Möglichkeit haben wird, offen aufzutreten, dann wird sie die Mehrheit der Partei hinter sich haben. Der eine der beiden Genossen kritisierte, durch einige Zwischenrufe dazu veranlasst, die Haltung Liebknechts im Reichstag, insbesondere seine Kreditabstimmung als für die Partei nicht förderlich. Ein selbständiges, geschlossenes Auftreten der Fraktionsminorität würde – so behauptete er – die Spaltung der Fraktion und damit auch der Partei hervorrufen. Dem widersprach der andere der deutschen Delegierten, der sich im Übrigen noch optimistischer über die Aussichten der Minorität nach dem Kriege äußerte. Bei der Beratung der Resolution schilderte ein dritter deutscher Genosse die Situation als durchaus ernst. Die Hoffnung auf freie Betätigung nach dem Kriege könne leicht täuschen. Imperialistische Gedankengänge hätten leider im Proletariat Eingang gefunden, und nur engste Fühlungnahme mit den Genossen anderer Länder und die Betonung des internationalen Gedankens könne ein Gegengewicht bilden.

Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand:

Die Friedensbewegung des Proletariats

Die Vorbereiter der Konferenz gingen von der Ansicht aus, dass das Proletariat die geschichtliche Mission zu erfüllen habe, den Kampf für den Frieden zu führen und ihn zum Mittelpunkt seiner Aktionen zu machen. So sollte auch die Konferenz den Zweck haben, eine allgemeine Friedensbewegung des Proletariats einzuleiten.

Die deutsche und französische Delegation waren zu Beginn der Konferenz übereingekommen, sich zu einer gemeinsamen Kundgebung zu vereinigen. Damit sollte gezeigt werden, dass gerade in den beiden Ländern, in denen sich heute noch die offiziellen sozialdemokratischen Parteien schroff gegenüberstehen, bereits die Möglichkeit zu einer Verständigung, zum gemeinsamen politischen Handeln von Sozialisten vorhanden ist. Das geschlossene, brüderliche, solidarische Zusammengehen der Sozialisten aus diesen beiden Ländern machte einen packenden Eindruck auf die Konferenz.

Zu dem geplanten Manifest waren mehrere Entwürfe eingereicht. Ein Entwurf war von einem Teil der deutschen Delegation vorgelegt. Einige Genossen der deutschen Delegation versagten dem Entwurf ihre Zustimmung, da er ihnen nach ihrer Auffassung den sozialistischen Standpunkt und die Aufgaben des Proletariats gegenüber dem Kriege nicht scharf genug kennzeichnete. Ein zweiter Entwurf war von russischen Delegierten, die dem Zentralkomitee angeschlossen sind, von einem polnischen Delegierten, von dem Schweden und dem Norweger eingereicht. Gegen ihn wandte sich die überwiegende Mehrheit der Konferenz, da er ihr als taktisch verfehlt erschien. Ein dritter Entwurf war von einem Herausgeber einer russischen Zeitung eingebracht. Er entsprach in seiner prinzipiellen und taktischen Auffassung der Mehrheit der Konferenz, doch wurden Bedenken geäußert, dass er nicht dem Charakter eines Manifestes entsprach. Man kam nun überein, die drei Entwürfe einer international zusammengesetzten Kommission als Grundlage zur Ausarbeitung eines Manifestes zu übergeben. In der Debatte, die sich über das Manifest entwickelte, wurde auch ganz allgemein über die Aufgaben gesprochen, die die Oppositionen in den Ländern zu erfüllen haben, in denen die offizielle Partei versagt hatte. An sie wurden besonders mahnende Worte gerichtet; sie sollte in diesem schweren Kampfe nicht erlahmen und ständig die Sache des Sozialismus gegen alle Verfolgungen, woher sie auch kämen, über alles stellen.

Den einzigen wichtigen Differenzpunkt bildete die Forderung der strikten Ablehnung der Kredite.

Die beiden bereits erwähnten deutschen Delegierten polemisierten lebhaft gegen eine solche „Bindung". Die Frage müsse den Deutschen allein überlassen werden. Mit Rücksicht auf den lebhaften Widerspruch besonders eines deutschen Delegierten zogen 12 Unterzeichner unter Protest diesen Satz der Resolution zurück, mit der weiteren Begründung, dass der betreffende deutsche Delegierte selbst zugegeben habe, die strikte Ablehnung ergebe sich von selbst aus dem übrigen Inhalt der Resolution.

Das in Kollektivarbeit der verschiedensten Nationen geschaffene Manifest wurde der Konferenz vorgelegt und fand nach unwesentlichen Änderungen einstimmige Annahme.

Von der deutschen und französischen Delegation wurde beantragt, das Manifest persönlich zu unterzeichnen. Die Massen könnten nur dadurch das Vertrauen zum Sozialismus wiedergewinnen, wenn sie sähen, dass die Führer bereit sind, mit ihrer ganzen Person für ihre Sache einzutreten.

Eine prinzipielle Resolution wurde als Grundlage der stattfindenden Konferenz von einem Vertreter des polnischen Landesvorstandes, dem russischen Zentralkomitee, der Letten, Schweden und Norweger vorgelegt. Von verschiedenen Delegierten wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Aufgabe der Konferenz darin bestehe, die verschiedenen sozialistischen Parteien der verschiedenen Länder vor allem zum gemeinsamen Kampf für den Frieden zusammenzuführen. Die Zeit erfordere vor allem einen Kampfruf an die Arbeiterklasse. Einer späteren Zeit müsse es vorbehalten sein, sich über den prinzipiellen Standpunkt der sich zum Kampf vereinigten Sozialisten aller Länder zu verständigen.

Schließlich fand noch eine Sympathiekundgebung für die im Kampfe für den Sozialismus Verfolgten und Gefallenen einstimmige Annahme. Unter anderen spricht die Kundgebung die Sympathie mit den Genossen Liebknecht, Luxemburg und Zetkin aus.

Zur Fortsetzung des gemeinsamen Kampfes für den Frieden, zur Festigung der neu geknüpften Bande der Internationale wurde ein Zentralpunkt geschaffen: ein Internationales Sozialistisches Komitee. Es wurde ausdrücklich betont, dass das Komitee nicht eine dauernde neue Einrichtung gegen das Sozialistische Büro sei, es sollte nur so lange bestehen, so lange das Büro seine Pflichten nicht erfüllt. Dem Komitee gehören an: Grimm, Naine, Norgari und Genossin Balabanowa als Übersetzerin.

Die Vertreter der verschiedenen Länder schieden mit dem Bewusstsein, dass die Bande der internationalen proletarischen Solidarität von neuem geknüpft und dass diese internationalen Bande ihnen neue Kraft und Zuversicht im Kampfe im eigenen Lande geben.

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