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Leo Trotzki 19041220 Das Proletariat und die Revolution

Leo Trotzki: Das Proletariat und die Revolution

[Auszug, Nach Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der Revolution, Frankfurt am Main 1981, S. 44-52, englischer Text, russischer Text]

Das Proletariat muss nicht nur revolutionäre Propaganda betreiben. Es muss sich auch für eine Revolution rüsten.

Sich auf eine Revolution vorzubereiten heißt nicht unbedingt, ein Datum für den Aufstand festsetzen und sich für jenen Tag bereithalten. Tag und Stunde einer Revolution lassen sich nicht bestimmen. Die Menschen haben nie Revolution auf Befehl gemacht.

Was man angesichts der unvermeidlich bevorstehenden Katastrophe tun kann, ist, dass man die geeignetsten Positionen wählt, die Massen bewaffnet und sie mit einer revolutionären Losung inspiriert, gleichzeitig sämtliche Reserven auf das Schlachtfeld wirft, sie in der Kunst des Kampfes unterweist, sie in kampfbereiten Zustand versetzt. – und auf allen Fronten Alarm schlägt, wenn die Zeit gekommen ist.

Wird es sich dabei nur um eine Reihe von Übungen und nicht um einen entscheidenden Kampf mit den feindlichen Kräften handeln? Wird es sich dabei lediglich um Manöver und nicht um Revolution auf offener Straße handeln?

Ja, es werden nur Manöver sein. Es besteht jedoch ein Unterschied zwischen revolutionären und militärischen Manövern. Unsere Vorbereitungen können jederzeit und unabhängig von unserem Willen in eine wirkliche Schlacht umschlagen, die den sich lange hinziehenden revolutionären Krieg entscheidet. Es kann nicht nur so, es muss so sein. Dafür bürgt das kritische Stadium der gegenwärtigen politischen Situation, die in ihrem Schoße eine ungeheure Menge revolutionären Sprengstoffs birgt.

Wann bloße Manöver in eine wirkliche Schlacht umschlagen, hängt von der Stärke und revolutionären Festigkeit der Massen ab, von der Atmosphäre der allgemeinen Sympathie, die ihnen entgegengebracht wird, und von der Haltung der Truppen, die die Regierung gegen das Volk mobil macht.

Drei Erfolgsfaktoren müssen unsere Vorbereitungsarbeit bestimmen. Revolutionäre proletarische Massen sind vorhanden. Wir sollten in der Lage sein, sie zu einem gegebenen Zeitpunkt überall im Lande auf die Straße zu rufen; wir sollten fähig sein, sie durch eine allgemeine Losung zu vereinen.

Alle Volksklassen und -gruppen sind von Hass gegen den Absolutismus durchdrungen, und das heißt, dass sie mit dem Kampf für die Freiheit sympathisieren. Wir sollten in der Lage sein, diese Sympathie auf das Proletariat als die revolutionäre Macht, die allein die Vorhut des Volkes in seinem Kampf zur Sicherung der Zukunft Russlands sein kann, zu konzentrieren. Was die Stimmung im Heer betrifft, so gibt sie der Regierung kaum Grund zu großen Hoffnungen. Während der letzten Jahre kamen viele beunruhigende Symptome zum Vorschein; das Heer ist verdrossen, das Heer murrt, das Heer ist unzufrieden. Wir sollten alles, was in unseren Kräften steht, tun, um das Heer während des entscheidenden Angriffs der Massen vom Absolutismus zu lösen.

Untersuchen wir zuerst die beiden anderen Bedingungen, die den Verlauf und den Ausgang des Kampfes bestimmen. Wir sind soeben durch die Periode der »politischen Erneuerung« gegangen, die mit Fanfarenstößen begann und mit Peitschenknall endete – die Ära des [Fürsten] Swjatopolk-Mirski. Ihr Ergebnis ist, dass unter allen denkenden Elementen der Gesellschaft der Hass auf den Absolutismus ein ungewöhnliches Maß erreicht hat. Die nächste Zukunft wird die Früchte allgemein entfachter Hoffnungen und unerfüllter Regierungsversprechungen ernten. Das politische Interesse hat in der letzten Zeit eine bestimmtere Form angenommen; die Unzufriedenheit ist gewachsen und hat theoretisch artikulierteren Ausdruck gefunden. Die Massen, die gestern noch ungemein primitiv dachten, machen sich jetzt eifrig die politische Analyse zu eigen. Alle Erscheinungen der bösartigen und willkürlichen Herrschaft werden sogleich auf die Hauptursache zurückgeführt. Revolutionäre Propaganda jagt dem Volk keinen Schrecken mehr ein; im Gegenteil, sie ruft ein tausendfaches Echo hervor und geht in die Umgangssprache ein. Das Bewusstsein der Massen absorbiert jedes Wort der Ablehnung und der Verurteilung, jeden Fluch an die Adresse des Absolutismus so, wie ein Schwamm Flüssigkeit aufsaugt. Kein Schritt der Verwaltung bleibt straflos. Jeder ihrer Fehler wird sorgfältig registriert. Ihre Annäherungsversuche werden der Lächerlichkeit preisgegeben, ihre Drohungen rufen Hass hervor. Der riesige Apparat der liberalen Presse verbreitet täglich Tausende von Tatsachen, die die Gefühle der Massen schüren, aufrühren und entflammen.

Die aufgestauten Gefühle suchen nach einem Ventil. Denken will sich in Handeln umsetzen. Die wortreiche liberale Presse, die der Unruhe im Volk Nahrung gibt, möchte jedoch den Strom in einen engen Kanal lenken; sie verbreitet eine abergläubische Hochachtung vor der »öffentlichen Meinung«, einer hilflosen, unorganisierten »öffentlichen Meinung«, die sich nicht in Handeln umsetzt; sie verurteilt die revolutionäre Methode der nationalen Emanzipation; sie hält die Illusion der Legalität aufrecht; sie konzentriert die ganze Aufmerksamkeit und alle Hoffnungen der erbitterten Gruppen auf die Semstwo-Kampagne und bereitet auf diese Weise eine große Katastrophe der Volksbewegung vor. Eine heftige Unzufriedenheit, die kein Betätigungsfeld findet, sieht sich durch das unvermeidliche Fiasko der legalen Semstwo-Kampagne, der die Traditionen eines revolutionären Kampfes in der Vergangenheit und klare Zukunftsprospekte fehlen, behindert. Die zwangsläufige Folge ist ein Ausbruch verzweifelter Gewalttätigkeit, dem radikale Intellektuelle hilflos, passiv, wenn auch voller Sympathie zuschauen, während Liberale, deren Hilfe von zweifelhaftem Wert ist, in einem Anfall von platonischer Begeisterung ersticken.

Soweit sollte es nicht kommen. Wir sollten auf die jetzige Erregung der Massen Einfluss nehmen; wir sollten die Aufmerksamkeit zahlreicher unzufriedener sozialer Gruppen auf ein gewaltiges Unternehmen lenken, das vom Proletariat angeführt wird – auf die nationale Revolution.

Die Vorhut der Revolution sollte alle anderen Elemente des Volkes aus ihrer Trägheit reißen; überall in Erscheinung treten; Fragen des politischen Kampfes so unerschrocken wie möglich stellen. Sie muss sich zu Gehör bringen, die scheinheilige Demokratie anprangern und entlarven; die Demokraten mit den Semstwo-Liberalen konfrontieren; immer wieder aufrütteln, wachrufen, Kritik üben und eine klare Antwort auf die Frage fordern: Was werdet ihr tun? Die Vorhut darf keinerlei Ausflüchte zulassen, muss die legalen Liberalen zum Eingeständnis ihrer eigenen Schwäche zwingen; ihnen die demokratischen Elemente abspenstig machen und letzteren den Weg zur Revolution weisen. Um das zu tun, muss man die Fäden der Sympathie bei der ganzen demokratischen Opposition in der revolutionären Kampagne des Proletariats zusammenlaufen lassen.

Wir sollten alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Aufmerksamkeit und Sympathie der armen nichtproletarischen städtischen Bevölkerung zu gewinnen. Während der letzten Massenaktionen des Proletariats, etwa in den Generalstreiks von 1903 im Süden, wurde nichts dergleichen unternommen, und das war der schwächste Punkt der Vorbereitungsarbeit. Zeitungskorrespondenten berichteten, dass unter der Bevölkerung über die Streikziele die verrücktesten Gerüchte kursierten. Die städtische Bevölkerung glaubte, man würde sie in ihren Häusern überfallen, die Ladenbesitzer hatten Angst vor Plünderungen, die Juden fürchteten sich vor Pogromen. Das muss vermieden werden. Ein politischer Streik, bei dem das städtische Proletariat allein der Polizei und Armee gegenübersteht, während die übrige Bevölkerung in Feindseligkeit oder auch nur Gleichgültigkeit verharrt, ist zum Misserfolg verurteilt.

Die Gleichgültigkeit der Bevölkerung würde sich hauptsächlich auf die Moral des Proletariats selbst und dann auf die Haltung der Soldaten auswirken. Unter solchen Umständen wird die Verwaltung zwangsläufig mehr Entschlossenheit bekunden. Die Generale würden den Offizieren zu verstehen geben und die Offiziere wiederum den Soldaten, was [General Michail] Dragomirow meinte, als er sagte: »Gewehre sind zum scharfen Schießen da und niemand darf Patronen nur verschwenden«.

Ein politischer Streik des Proletariats muss in eine politische Demonstration der Bevölkerung verwandelt werden, das ist die erste Voraussetzung für den Erfolg.

Die zweite wichtige Vorbedingung ist die Stimmung des Heeres. Eine Unzufriedenheit unter den Soldaten, eine vage Sympathie für die »Revolutionsmacher« darf vorausgesetzt werden. Nur ein Teil dieser Sympathie geht auf unsere Propaganda unter den Soldaten zurück. Zum größeren Teil resultiert sie aus den faktischen Zusammenstößen zwischen Einheiten der Armee und protestierenden Massen. Nur hoffnungslose Idioten oder erklärte Schurken schießen auf eine lebende Zielscheibe. Eine überwältigende Mehrheit der Soldaten hasst es, die Henkersrolle zu spielen; das wird einstimmig von sämtlichen Berichterstattern zugegeben, die die Kämpfe der Armee mit dem unbewaffneten Volk schildern. Der Durchschnittssoldat schießt über die Köpfe der Menge hinweg. Das Umgekehrte wäre unnatürlich. Als das Bessarabische Regiment Befehl zur Niederwerfung des Generalstreiks von Kiew erhielt, erklärte der Kommandeur, dass er für die Haltung seiner Soldaten nicht garantieren könne. Der Befehl erging dann an das Chersoner Regiment, aber in dem ganzen Regiment fand sich auch nicht eine halbe Kompagnie, die den Erwartungen ihrer Vorgesetzten entsprochen hätte.

Kiew war keine Ausnahme. Die Bedingungen im Heer müssen jetzt für die Revolution noch günstiger als 1903 sein. Wir haben ein Jahr Krieg [gegen Japan] hinter uns. Es ist kaum möglich, den Einfluss, den das vergangene Jahr auf die Armee hatte, zu ermessen. Er muss jedoch enorm gewesen sein. Der Krieg beansprucht nicht nur die Aufmerksamkeit des Volkes, er erregt auch das professionelle Interesse des Heeres. Unsere Schiffe sind langsam, unsere Kanonen schießen nicht weit, unsere Soldaten sind ungeschult, unsere Unteroffiziere haben weder Kompass noch Landkarte, unsere Truppen sind barfüßig, hungrig und frieren, unser Rotes Kreuz stiehlt, unsere Intendantur stiehlt – Gerüchte und Tatsachen dieser Art dringen ins Heer und finden eifriges Gehör. Jedes Gerücht zerstört wie eine ätzende Säure das eingedrillte Denken. Jahre einer friedlichen Propaganda können kaum die Ergebnisse eines einzigen Kriegstages aufwiegen. Obgleich die rein mechanische Disziplin erhalten bleibt, schwindet der Glaube, die Überzeugung, dass es mit der Befehlsausführung seine Richtigkeit habe, dass die gegenwärtigen Verhältnisse anhalten können, rasch dahin. Je weniger die Armee an den Absolutismus glaubt, desto mehr glaubt sie an seine Feinde.

Wir sollten uns diese Situation zunutze machen. Wir sollten den Soldaten die Aktion der Arbeiter, die von der Partei vorbereitet wird, erklären. Wir sollten reichlich von der Parole Gebrauch machen, die die Armee mit dem revolutionären Volk vereinen muss: Schluss mit dem Krieg! Wir sollten eine Situation schaffen, in der die Offiziere im entscheidenden Augenblick ihren Soldaten nicht mehr trauen können. Das würde sich auch auf die Haltung der Offiziere selbst auswirken.

Alles übrige wird von der Straße erledigt. Sie wird die Reste der Kasernenhypnose im revolutionären Enthusiasmus des Volkes auflösen.

Die revolutionären Massen bleiben jedoch der Hauptfaktor. Es stimmt zwar, dass während des Krieges die fortgeschrittensten Elemente der Massen, das denkende Proletariat, nicht mit der vom kritischen historischen Augenblick geforderten Entschlossenheit und Offenheit nach vorn traten. Doch würde man einen Mangel an politischer Festigkeit und eine betrübliche Oberflächlichkeit bekunden, wenn man aus diesem Umstand irgendwelche pessimistischen Folgerungen zöge.

Der Krieg lastet auf unserem öffentlichen Leben mit seinem ganzen ungeheuren Gewicht. Dieses schreckliche Scheusal, das Blut und Feuer speit, türmt sich drohend am politischen Horizont auf, lässt nichts anderem mehr Raum, krallt sich mit stählernen Klauen am Körper des Volkes fest, fügt ihm Wunde auf Wunde zu und verursacht ihm so großen Schmerz, dass es zunächst unmöglich ist, nach dessen Ursachen zu fragen. Der Krieg hat, wie jede große Katastrophe, mit der Not, Arbeitslosigkeit, Mobilmachung, Hunger und Tod einhergehen, Verzweiflung, aber keinen Protest hervorgerufen. Das ist aber nur der Anfang. Unerfahrene Menschenmassen, stumme soziale Schichten, die gestern noch keine Verbindung mit den revolutionären Elementen hatten, wurden durch die Mechanik der Tatsachen auf das zentrale Ereignis im heutigen Russland gestoßen, den Krieg. Sie waren entsetzt, die Angst schnürte ihnen den Atem ab. Die revolutionären Elemente, die vor dem Krieg die passiven Massen ignoriert hatten, wurden von der Atmosphäre der Verzweiflung und des Schreckens in Mitleidenschaft gezogen. Diese Atmosphäre hüllte sie ein und lastete wie Blei auf ihrem Gemüt. Inmitten des elementaren Leidens konnte sich die Stimme eines entschlossenen Protests kaum erheben. Das revolutionäre Proletariat, das sich von den Wunden, die ihm im Juli 1903 geschlagen wurden, noch nicht erholt hatte, war gegenüber der Barbarei machtlos.

Das Kriegsjahr ging jedoch nicht ergebnislos vorüber. Massen, die gestern noch stumpf dahinlebten, werden heute mit den gewaltigsten Ereignissen konfrontiert. Sie müssen sie zu verstehen suchen. Die Fortdauer des Krieges hat dazu angeregt, den Sinn des Ganzen zu diskutieren und in Frage zu stellen. Auf diese Weise hat der Krieg, obgleich er eine Zeitlang die revolutionäre Initiative von Tausenden hemmte, das politische Denken von Millionen wieder lebendig gemacht.

Das Kriegsjahr ging nicht ohne Folgen vorüber, kein einziger Tag verlief folgenlos. In den unteren Schichten des Volkes, im Innersten der Massen selbst, vollzog sich eine nicht wahrnehmbare, aber unwiderstehliche, unaufhörliche molekulare Bewegung, akkumulierten sich Empörung, Verbitterung und revolutionäre Energie. Die Atmosphäre, die unsere Straßen jetzt atmen, ist nicht mehr eine Atmosphäre der nackten Verzweiflung, sondern eine der konzentrierten Empörung, die nach Mitteln und Wegen für eine revolutionäre Aktion sucht. Jede geeignete Aktion der Vorhut unserer arbeitenden Massen würde jetzt nicht nur alle unsere revolutionären Reserven mit sich reißen, sondern auch Tausende und Hunderttausende revolutionärer Kämpfer rekrutieren. Diese Mobilmachung würde anders als die Mobilmachung der Regierung unter allgemeiner Sympathie und aktiver Mithilfe der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vor sich gehen.

Dies sind die Bedingungen, unter denen das revolutionäre Proletariat auf die Straßen gehen wird: Es wird getragen von starken Sympathien der Massen, aktiv unterstützt von den demokratischen Elementen des Volks. Ihm gegenüber steht eine allgemein verhasste Regierung, die bei ihren kleinen und großen Unternehmungen versagt hat, die auf den Meeren und Schlachtfeldern besiegt wurde, die Achtung und Mut und den Glauben an den morgigen Tag verloren hat, eine Regierung, die einen hoffnungslosen Kampf führt, die um Gunst buhlt, die provoziert und zurückweicht, die lügt und entlarvt wird, frech und furchtsam ist. Die Moral der Armee ist durch den Verlauf des Krieges erschüttert, ihre Tapferkeit, Energie, Begeisterung und ihr Heldenmut sind auf die unübersteigbare Mauer der administrativen Anarchie gestoßen; sie hat den Glauben an die unerschütterliche Sicherheit des Regimes, dem sie dienen muss, verloren, ist unzufrieden, murrt, hat sich während des letzten Jahres mehr als einmal aus der Fessel der Disziplin losgerissen und hört eifrig die lauten revolutionären Stimmen. Es scheint uns, dass die Geschichte für den entscheidenden Angriff keine besseren Bedingungen hätte schaffen können. Sie hat alles getan, was in ihren Kräften stand; die denkenden revolutionären Kräfte des Landes müssen das Übrige tun.

Eine ungeheure Menge revolutionärer Energie hat sich angehäuft. Sie sollte nicht verpuffen, nicht in verstreuten Kämpfen und Zusammenstößen ohne Zusammenhang und bestimmten Plan vergeudet werden. Es müssen alle Anstrengungen gemacht werden, um die Erbitterung, den Zorn, den Protest, die Wut, den Hass der Massen zu konzentrieren, um jenen Gefühlen eine gemeinsame Sprache zu geben, ein gemeinsames Ziel, um sämtliche Teilchen der Massen zu vereinen und zu konsolidieren, ihnen das Gefühl und das Verständnis dafür zu geben, dass sie nicht isoliert sind, dass sich überall zur gleichen Zeit zahllose Individuen mit derselben Losung, demselben Ziel vor Augen erheben. Ist dies Bewusstsein geschaffen, ist die Revolution zur Hälfte vollbracht.

Wir müssen alle revolutionären Kräfte zur gleichzeitigen Aktion sammeln. Wie geschieht das?

Vor allem sollten wir bedenken, dass die Hauptszene revolutionärer Ereignisse die Stadt sein muss. Niemand wird das bestreiten. Es ist ferner klar, dass Straßendemonstrationen nur dann in eine Volksrevolution umschlagen können, wenn sie eine Manifestation der Massen sind, das heißt, wenn sie in erster Linie die Arbeiter von Fabriken und Betrieben einbeziehen. Die Arbeiter müssen ihre Maschinen und Plätze verlassen; sie müssen aus dem Fabrikgelände heraus auf die Straße gehen; man muss sie in den Nachbarbetrieb führen; dort sollen sie eine Arbeitsniederlegung proklamieren; neue Massen müssen auf die Straßen gebracht werden; sie müssen auf diese Weise von Fabrik zu Fabrik, von Betrieb zu Betrieb gehen, ihre Zahl muss unaufhörlich wachsen, so dass Polizeisperren beiseite gefegt werden und sich ihnen unterwegs immer neue Massen anschließen; die Straßen müssen voll von ihnen sein, man wird Gebäude besetzen, die sich für Massenversammlungen eignen, man wird diese Gebäude befestigen müssen, mit einem kommenden und gehenden Publikum ununterbrochene revolutionäre Sitzungen abhalten, man muss Ordnung in die Bewegung der Massen bringen, ihren Kampfwillen anfachen, ihnen das Ziel und den Sinn der Vorgänge erklären. Das Ziel ist eigentlich die Verwandlung der ganzen Stadt in ein einziges revolutionäres Lager.

Der Ausgangspunkt sollten die Fabriken und Betriebe sein. Das bedeutet, dass ernstzunehmende Straßenkundgebungen, die zu entscheidenden Ereignissen führen, mit politischen Massenstreiks beginnen sollten.

Es ist leichter, ein Datum für einen Streik als für eine Volksdemonstration anzusetzen, genauso wie es leichter ist, Massen, die zum Handeln bereit sind, in Bewegung zu setzen, als neue Massen zu organisieren.

Ein politischer Streik jedoch, kein örtlicher, sondern ein politischer Generalstreik in ganz Russland, muss eine allgemeine politische Parole haben. Diese Parole lautet: Schluss mit dem Krieg und Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung.

Diese Forderung muss im ganzen Land erhoben werden, und darin liegt die Aufgabe unserer Propaganda, die dem gesamtrussischen Generalstreik vorausgeht. Wir sollten alle möglichen Gelegenheiten benützen, um den Gedanken einer Konstituante unter dem Volk zu verbreiten. Ohne einen Augenblick zu verlieren, sollten wir alle uns zu Gebote stehenden technischen Mittel und unsere ganze Propagandakraft einsetzen. Proklamationen und Reden, Bildungszirkel und Massenversammlungen sollten überall die Forderung nach einer Konstituierenden Versammlung vorschlagen und erklären. Es dürfte niemand in einer Stadt geben, der nicht weiß, dass seine Forderung eine Konstituante ist.

Die Bauern sollten sich am Tag des politischen Streiks versammeln und Beschlüsse zur Einberufung einer Konstituante fassen. Die im Umkreis der Städte lebenden Bauern sollten in die Stadt gebracht werden, um sich auf den Straßen den Massen anzuschließen, die sich um das Banner einer Verfassunggebenden Versammlung geschart haben. Alle Gesellschaften und Organisationen, Berufsorganisationen und Wissenschaftliche Gesellschaften, Organe der Selbstverwaltung und Organe der Oppositionspresse sollten im Voraus von den Arbeitern darüber informiert werden, dass sie für einen bestimmten Tag einen politischen Streik in ganz Russland vorbereiten, um die Einberufung einer Konstituierenden Versammlung zuwege zu bringen. Die Arbeiter sollten alle Gesellschaften und Körperschaften auffordern, sich ihnen am Tage der Massenkundgebung für die Forderung nach einer Nationalversammlung anzuschließen. Die Arbeiter sollten von der oppositionellen Presse verlangen, dass sie ihre Parole verbreitet und am Vorabend der Demonstration einen Aufruf an die Bevölkerung druckt, sich der proletarischen Kundgebung für eine Nationalversammlung anzuschließen.

Wir sollten die intensivste Propaganda in der Armee betreiben, damit am Streiktag jeder Soldat, der zum Einsatz gegen die »Aufrührer« kommandiert wird, weiß, dass er den Menschen gegenübersteht, die eine Nationalversammlung fordern.

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