Die rote Flotte

Die rote Flotte

Die Revolution," schrieb Ende November der alte Suworin, das verdienstvolle Reptil der russischen Bürokratie, „verleiht dem Menschen einen ungeheuren seelischen Schwung und fesselt an ihren Wagen eine Menge der treuesten Fanatiker, die gerne bereit sind, ihr Leben für die Revolution hinzuopfern. Eben deshalb ist der Kampf gegen sie so schwer, weil sie auf ihrer Seite viel Feuer, Kühnheit, aufrichtige Beredsamkeit und glühenden Enthusiasmus hat. Je stärker der Feind, desto großer ihre Entschlossenheit und Tapferkeit, jeder Sieg führt ihr neue Scharen von Anbetern zu, Wer dies nicht weiß, wer nicht weiß, dass sie berauschend und berückend ist wie ein schönes und leidenschaftliches Weib, das weit die Arme öffnet und gierig die brennenden Lippen zum Kusse beut – der ist nie jung gewesen."

Der Geist des Aufruhrs schwebte über dem russischen Lande. Irgend ein gewaltiger und geheimnisvoller Prozess vollzog sich in zahllosen Herzen, es lösten sich die Bande der Furcht, die Individualität, die eben erst sich selbst erkannt hatte, ging in der Masse und die Masse in dem großen Elan auf. Nachdem sie die ererbten Angstgespenster und die eingebildeten Hindernisse von sich geschüttelt und aus dem Wege geräumt hatte, wollte und konnte sie die wirklichen Hindernisse nicht sehen. Darin lag ihre Schwäche – darin lag auch ihre Stärke. Sie stürmte vorwärts wie eine vom Zyklon gepeitschte Meereswelle. Jeder Tag rüttelte neue Volksschichten wach und schuf neue Möglichkeiten, – gleich als ob jemand mit gigantischer Hand den sozialen Sauerteig von Grund auf durcheinander gerührt hätte. Während die liberalen Tschinowniki an dem noch nicht angezogenen Schlafrock der Bulyginschen Duma herum modelten, kannte das Land keinen Augenblick Ruhe. Arbeiteraufstände, ununterbrochene Meetings, Straßendemonstrationen, Plünderungen von Gutshöfen, Streiks der Polizisten und der Dworniki, und endlich Bewegungen und Meutereien in Heer und Marine … Alles hatte sich zersetzt und in ein wüstes Chaos verwandelt. Und zu gleicher Zeit erwachte in diesem Chaos das Bedürfnis nach Neugestaltung und kristallisierten sich seine Elemente. Die sich regulär wiederholenden Meetings brachten schon an sich das organisierende Prinzip hinein. In den Meetings entstanden die Deputationen, die Deputationen erweiterten sich zu Vertretungen. Aber wie die elementare Empörung die Arbeit des politischen Bewusstseins überholte so ließ das Bedürfnis nach der Tat die fieberhafte organisatorische Tätigkeit weit hinter sich zurück.

Darin liegt die Schwäche der Revolution – jeder Revolution –, aber auch ihre Stärke. Wer in der Revolution Einfluss haben will, muss sie ganz nehmen. Jene tiefsinnigen Taktiker, die mit der Revolution ebenso umgehen möchten wie mit dem Spargel, d. h. nach Belieben den schmackhaften Teil von dem unschmackhaften trennen, sind zu der sterilen Rolle von Räsoneuren verurteilt. Da kein einziges revolutionäres Ereignis „rationelle" Bedingungen für die Anwendung ihrer „rationellen" Taktik schafft, so müssen sie sich fatalerweise außer und hinter allen Ereignissen sehen. Und schließlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als mit Figaro auszurufen: „Ach, wir werden keine zweite Vorstellung haben, um die Misserfolge der ersten gutzumachen." …

Es ist nicht unsere Absicht, alle Ereignisse des Jahres 1905 zu schildern oder auch nur aufzuzählen. Wir geben hier nur eine ganz allgemeine Skizze des Ganges der Revolution und zwar im Petersburger Maßstabe, wenn auch sozusagen unter dem Gesichtswinkel des ganzen Staates. Aber selbst in dem Rahmen, in dem sich unsere Schilderung bewegt, können wir an einer Begebenheit des großen Jahres nicht vorbeigehen, die in die Periode zwischen dem Oktoberstreik und den Dezemberbarrikaden fällt: wir meinen den Militäraufstand in Sewastopol. Er begann am 11. November, und schon am 17. meldete Admiral Tschuchnin dem Zaren: „Der militärische Sturm hat sich gelegt, der allgemein revolutionäre nicht."

In Sewastopol waren die Potemkinschen Traditionen nicht ausgestorben. Tschuchnin hatte unter den Matrosen des roten Panzerschiffs scharfe Musterung gehalten: vier füsiliert, zwei gehängt, ein paar Dutzend zu Zwangsarbeit verurteilt und endlich den „Potemkin" selbst in „Panteleimon" umgetauft. Es war ihm nicht gelungen, irgend jemand zu terrorisieren, wohl aber, die rebellische Stimmung in der Flotte zu heben. Der Oktoberstreik eröffnete eine Epopöe gewaltiger Straßenmeetings, bei denen Matrosen und Soldaten nicht nur ständige Teilnehmer waren, sondern auch als Redner auftraten. Die Matrosenkapelle spielte die Marseillaise an der Spitze des revolutionären Demonstrationszuges. Kurz: es herrschte volle „Demoralisierung". Das Verbot für Militärpersonen, an Volksversammlungen teilzunehmen, führte zur Einberufung spezieller militärischer Meetings in den Höfen der Marine- und der Militärkasernen. Die Offiziere wagten nicht zu protestieren, und die Tore der Kasernen waren Tag und Nacht für die Vertreter des Sewastopoler Komitees unserer Partei geöffnet. Dieses letztere hatte fortwährend mit der Ungeduld der Matrosen zu kämpfen, welche den Übergang zu „Taten" forderten. Der unweit vom Hafen kreuzende „Prut", den man in ein Zuchthaus verwandelt hatte, mahnte daran, dass hier, wenige Minuten entfernt, die Opfer des Juniaufstandes für die Teilnahme an der Potemkin-Affäre schmachteten. Die neue Besatzung des „Potemkin" beteuerte ihre Bereitschaft, das Schiff nach Batum zur Unterstützung des Aufstands im Kaukasus zu lenken. Gleiche Kampfeslust zeigte auch der unlängst erbaute Kreuzer „Otschakow". Aber die sozialdemokratische Organisation bestand auf einer abwartenden Taktik: einen Rat aus Matrosen- und Soldatendelegierten zu bilden, ihn mit der Arbeiterorganisation zu vereinigen und dem herannahenden politischen Streik des Proletariats durch einen Flottenaufstand Nachdruck zu verleihen. Die revolutionäre Matrosenorganisation akzeptierte diesen Plan. Aber die Ereignisse überholten ihn.

Die Zusammenkünfte wurden immer häufiger, die Zahl der Teilnehmer immer größer. Sie fanden jetzt auf dem Platze statt, der die Marinekasernen von den Kasernen des Brester Infanterieregiments trennte. Da Militärpersonen zu den Arbeitermeetings nicht zugelassen wurden, begannen die Arbeiter in Massen die Soldatenmeetings zu besuchen. Man kam zu Tausenden zusammen. Die Idee des gemeinschaftlichen Vorgehens fand begeisterte Aufnahme. In den fortschrittlichen Kompanien wurden Delegierte gewählt.

Nunmehr hielten es die Militärbehörden an der Zeit, einzuschreiten Die Versuche einzelner Offiziere, in den Meetings „patriotische" Reden zu halten, ergaben die kläglichsten Resultate, die in Diskussionen geübten Matrosen schlugen ihre Vorgesetzten in schmähliche Flucht. Nach Fehlschlagen dieses Mittels wurde beschlossen, die Meetings überhaupt zu untersagen. Am Morgen des 24. November wurde vor den Toren der Marinekasernen eine Kampfkompanie in voller Ausrüstung aufgestellt. Der Konteradmiral Pissarewski erteilte allen vernehmbar den Befehl: „Niemand aus den Kasernen hinauslassen! Im Falle der Gehorsamsverweigerung – schießen," Aus der Kompanie, an die dieser Befehl gerichtet war, trat der Matrose Petrow vor, lud vor den Augen aller sein Gewehr, tötete mit dem einen Schuss den Oberstleutnant Stein vom Brester Regiment und verwundete mit dem zweiten den Konteradmiral Pissarewski. Es erscholl das Kommando des Offiziers: „Verhaftet ihn!" Niemand rührte sich von der Stelle, Petrow warf sein Gewehr zu Boden. „Warum steht Ihr denn? Nehmt mich doch fest!“ Er wurde verhaftet. Die von allen Seiten herbei geströmten Matrosen forderten stürmisch seine Freilassung, indem sie erklärtem dass sie für ihn Burgschaft leisteten. Die Erregung hatte den Höhepunkt erreicht.

Petrow, der Schuss ist Dir ganz zufällig losgegangen?" fragte ihn der Offizier, um sich einen Ausweg zu schaffen.

Ach was zufällig! Wenn man vortritt, ladet und anlegt, ist das etwa zufällig?"

Die Mannschaften fordern Deine Freilassung …"

Und Petrow wurde freigelassen. Die Matrosen wollten dabei nicht stehen bleiben. Alle diensthabenden Offiziere wurden verhaftet, entwaffnet und in die Kanzlei abgeführt. Schließlich gelang es einem sozialdemokratischen Redner, die Matrosen zu bestimmen, dass sie vorerst die Morgenberatung der Delegierten abwarteten.

Die Vertreter der Matrosen, etwa 40 Mann, konferierten die ganze Nacht hindurch. Es wurde beschlossen, die Offiziere zu enthaften, sie aber nicht mehr in die Kasernen einzulassen. Sämtliche Dienstobliegenheiten, die die Matrosen für nötig hielten, sollten auch weiter erfüllt werden. Man beschloss, im Paradeanzug mit Musik zu den Kasernen der Infanterieregimenter zu ziehen und sie zum Anschluss zu bewegen.

Am Morgen erschien eine Deputation von den Arbeitern zur gemeinsamen Beratung. Wenige Stunden später ruhte in dem Hafen alle Arbeit; die Eisenbahnen haben gleichfalls den Verkehr eingestellt.

Unter den Mannschaften", heißt es in den offiziösen Depeschen, die sich auf jenen Moment, beziehen, herrscht musterhafte Ordnung. Die Führung der Matrosen ist sehr korrekt. Betrunkene gibt es nicht."

Alle Matrosen waren nach ihren Kompanien verteilt und trugen keine Waffen. Bewaffnet war nur die Kompanie, die zum Schutze der Kasernen gegen plötzliche Überfälle zurückgelassen wurde. Zum Anführer dieser Kompanie wurde Petrow ernannt.

Ein Teil der Matrosen unter Anführung zweier sozialdemokratischer Redner begab sich in die benachbarte Kaserne des Brester Regiments. Die Stimmung unter den Soldaten war weit weniger entschlossen. Nur infolge des starken Druckes der Matrosen wurde der Beschluss gefasst, die Offiziere zu entwaffnen und aus den Kasernen zu entfernen. Die Offiziere Mukdens lieferten ohne Widerstand ihre Degen und Revolver aus und zogen unter den Worten: „Wir sind ohne Waffen, – Ihr werdet uns nicht anrühren", durch die Reihen der Gemeinen ab. Aber schon gleich zu Beginn hatten sich die Soldaten unschlüssig gezeigt. Auf ihre Forderung hin wurden in den Kasernen einige diensthabende Offiziere zurückgelassen. Dieser Umstand war von ungeheurem Einfluss auf den weiteren Gang der Ereignisse.

Die Soldaten ordneten sich in Reihen, um zusammen mit den Matrosen durch die ganze Stadt zu den Kasernen des Bjelostoker Regiments zu marschieren. Dabei passten die Soldaten genau auf, dass sich die „Zivilisten" nicht unter sie mischten, sondern gesondert für sich gingen. Während alle diese Vorbereitungen im Gange waren, fuhr der Festungs-Kommandant Repljujew mit dem Divisionär General Sedelnikow in seiner Equipage bei den Kasernen vor. Man wendet sich an den Kommandanten mit der Forderung, die Maschinengewehre, die seit Morgen auf dem Historischen Boulevard aufgestellt sind, entfernen zu lassen. Repljujew erwidert, dies hänge nicht von ihm, sondern von Tschuchnin ab. So möge er sein Ehrenwort geben, dass er als Festungskommandant von den Maschinengewehren keinen Gebrauch machen werde. Der General besaß den Mut, diese Forderung zurückzuweisen. Man beschloss deshalb, ihn zu entwaffnen und zu verhaften. Repljujew weigerte sich, seine Waffen herauszugeben, und da die Soldaten nicht den Mut fanden, Gewalt anzuwenden, so mussten ein paar Matrosen in den Wagen springen und die Generale in die Matrosenkasernen begleiten. Hier nahm man ihnen sans phrase die Waffen ab und setzte sie in der Kanzlei in Haft. Später wurden sie übrigens freigelassen.

Matrosen und Soldaten setzten sich nun in Bewegung und rückten in voller Ordnung aus den Kasernen. Auf dem Platze harrten die Arbeitermassen. Welch ein Moment! Begeisterter Empfang. Man drückt sich die Hände, umarmt und küsst einander. Die Luft hallt wieder von den Rufen brüderlicher Begrüßung. Man schwört, sich bis zum Tode treu zu bleiben und beizustehen. Dann formiert man sich und zieht in voller Ordnung zum anderen Ende der Stadt, wo die Kasernen des Bjelostoker Regiments liegen. Die Soldaten und die Matrosen trugen die Georgsfahnen, die Arbeiter ihre sozialdemokratischen Banner. „Die Demonstranten", meldete die offiziöse Telegraphenagentur, „veranstalteten einen Zug durch die Stadt in musterhafter Ordnung mit einer Musikkapelle und roten Fahnen an der Spitze."

Der Zug führte an dem Historischen Boulevard vorbei, wo die Maschinengewehre aufgestellt waren. Die Matrosen wenden sich an die Bedienungsmannschaft mit der Forderung, die Maschinengewehre zu entfernen. Und die Forderung wird erfüllt! – Später allerdings erschienen die Maschinengewehre an derselben Stelle wieder. – „Die bewaffneten Kompanien des Bjelostoker Regiments", meldet die Agentur, „präsentierten vor den Demonstranten im Beisein ihrer Offiziere und ließen sie an sich vorüberziehen." Vor der Kaserne des Bjelostoker Regiments wurde ein grandioses Meeting veranstaltet, ein voller Erfolg wurde jedoch nicht erzielt. Die Soldaten schwanken: ein Teil erklärte sich mit den Matrosen solidarisch, der andere versprach nur, nicht zu schießen. Schließlich gelang es den Offizieren sogar, das Bjelostoker Regiment aus den Kasernen fortzuführen. Erst gegen Abend kehrte der Zug der Demonstranten in die Kasernen zurück.

Während dieser Zeit hatte der „Potemkin" die sozialdemokratische Fahne gehisst. Vom „Rostislawl" kam das Antwortsignal: „Sehe deutlich." Die anderen Schiffe schwiegen. Der reaktionäre Teil der Matrosen protestierte dagegen, dass die revolutionäre Fahne über der Andreasflagge hing. Die rote Fahne musste herab geholt werden. Noch immer blieb die Lage unbestimmt, ein Zurück gab es aber nicht mehr.

In der Kanzlei der Marinekaserne tagte ununterbrochen ein Ausschuss aus Matrosen und Soldaten, die von verschiedenen Waffengattungen, darunter auch sieben Schiffen, als Delegierte gewählt waren. An den Sitzungen des Ausschusses nahmen auch einige Vertreter der sozialdemokratischen Organisation teil, die von den Delegierten eingeladen worden waren. Zum ständigen Vorsitzenden wurde ein Sozialdemokrat gewählt. Hier liefen alle Informationen ein, von hier gingen alle Beschlüsse aus. Hier wurden auch die Forderungen der Matrosen und der Soldaten ausgearbeitet und Forderungen allgemein politischen Charakters hinzugesellt. Für die breite Masse standen diese Kasernenforderungen im Vordergrunde des Interesses. Was den Ausschuss sehr beunruhigte, war der Mangel an scharfen Patronen. Gewehre hatte man in genügender Anzahl, Patronen aber waren wenig vorhanden. Seit dem Aufstande auf dem „Potemkin" wurde ihr Aufbewahrungsort streng geheim gehalten. „Sehr fühlbar machte sich auch", schreibt einer der aktiven Teilnehmer an den Ereignissen, „das Fehlen eines Führers, der das Kriegshandwerk gut verstanden hätte."

Der Delegiertenausschuss bestand energisch darauf, dass die einzelnen Kompanien ihre Offiziere entwaffneten, aus den Kasernen und von den Schiffen entfernten. Das war eine unumgänglich notwendige Maßregel. Die Offiziere des Brester Regiments, die man in den Kasernen zurückgelassen hatte, brachten eine völlige Desorganisation in die Reihen der Soldaten. Sie bearbeiteten die Mannschaften und trieben mit Erfolg eifrige Agitation gegen die Matrosen, „Zivilisten" und „Juden" unter Zuhilfenahme des Alkohols. In der Nacht flohen die Soldaten unter Anführung der Offiziere schimpflich in das Sommerlager – nicht durch das Tor, vor dem die revolutionäre Kampfkompanie Wache hielt, sondern durch einen in die hintere Kasernenmauer gelegten Ausgang. Am Morgen kehrten sie zwar zurück, aber aktiv nahmen sie an dem Kampfe nicht mehr teil. Die Unentschlossenheit des Brester Regiments konnte nicht ohne Rückwirkung auf die Stimmung der Matrosen bleiben. Am nächsten Tage aber leuchtete doch wieder die Sonne des Erfolges: die Sappeure schlossen sich den aufständischen Matrosen an. Sie erschienen in den Marinekasernen in voller Ordnung mit den Waffen in der Hand. Man empfing sie mit Begeisterung und gab ihnen in der Kaserne Quartier. Die Stimmung hob sich und erstarkte. Von überall her kamen Deputationen: die Festungsartillerie, das Bjelostoker Regiment und die Grenzwacht versprachen, nicht zu schießen. Da aus die einheimischen Regimenter kein Verlass mehr war, zog die Militärbehörde aus den benachbarten Städten Simferopol, Odessa und Theodosia Truppen zusammen. Unter den Neuangekommenen wurde sofort eine tätige und erfolgreiche revolutionäre Agitation entfaltet. Die Verbindung des Ausschusses mit den Schiffen war sehr erschwert. Überaus fühlbar machte sich der Umstand, dass die Matrosen die Schiffssignale nur recht mangelhaft beherrschten. Aber trotz aller dieser Hindernisse wurde seitens des Kreuzers „Otschakow", des Linienschiffs „Potemkin" und der Torpedobootzerstörer „Wolny" und „Sawjetny" die Zusicherung vollkommener Solidarität gegeben; später schlossen sich auch noch einige Torpedoboote an. Die übrigen Schiffsbesatzungen waren unschlüssig und rafften sich nur zu der Zusage auf, dass sie nicht schießen werden. Am 26. November erschien in den Kasernen ein Marineoffizier mit einem Telegramm: der Zar fordere Streckung der Waffen innerhalb 24 Stunden. Der Offizier wurde ausgelacht und hinausgeführt. Um die Stadt vor der Möglichkeit eines Pogroms zu schützen, wurden Patrouillen aus Matrosen gebildet, die sich vorzüglich bewährten. Die stark erregte Bevölkerung beruhigte sich mit einem Schlage und hielt mit offenen Sympathiebezeugungen für die Aufständischen nicht länger zurück. Die Matrosen selbst bewachten die Branntweinläden, um der Trunkenheit vorzubeugen und sorgten dafür, dass während der ganzen Zeit des Aufstandes eine musterhafte Ordnung in der Stadt herrschte.

Der Abend des 26. November bildete den entscheidenden Moment in der Entwicklung der Ereignisse: der Delegiertenausschuss lud den ehemaligen Marineleutnant Schmidt, der sich seit dem Oktobermeeting großer Popularität erfreute, zur temporären Leitung des Aufstandes ein. Schmidt nahm die Einladung mannhaft an und stellte sich mit diesem Tage an die Spitze der Bewegung. Am Abend des folgenden Tages siedelte er auf den Kreuzer „Otschakow" über, auf dem er auch bis zum letzten Augenblick verblieb.

Nachdem auf dem „Otschakow" die Admiralsflagge gehisst und das Signal gegeben war: „Übernehme das Flottenkommando. Schmidt", durch welche Maßregel das ganze übrige Geschwader mit einem Schlage für den Aufstand gewonnen werden sollte, ließ Schmidt den Kreuzer an den „Prut" heranfahren, um die „Potemkintzi" zu befreien. Widerstand wurde nicht geleistet, der „Otschakow" nahm die Zwangssträflinge an Bord und fuhr mit ihnen die übrigen Geschwaderschiffe ab. Von allen Schiffen erscholl ein lautes Begrüßungshurra. Einige von ihnen, darunter der „Potemkin", dessen Offiziere aus den „Otschakow" gebracht worden waren, und der „Rostislaw" hissten die rote Fahne, auf diesem aber wehte sie nur wenige Minuten.

Nach vollzogener Übernahme der Leitung des Aufstandes erließ Schmidt folgende Bekanntmachung zur Erklärung seiner Absichten: „An den Herrn Bürgermeister. Heute wurde von mir folgendes Telegramm an den Kaiser abgesandt: Ihrem Volke heilige Treue bewahrend, fordert die ruhmreiche Schwarzmeer-Flotte von Ihnen, Kaiser, die sofortige Einberufung der Konstituierenden Versammlung und kündigt Ihren Ministern den Gehorsam auf.

Der Flottenkommandierende.

Bürger Schmidt."

Aus Petersburg traf der telegraphische Befehl ein, den Aufstand zu unterdrücken. An Stelle Tschuchnins wurde der später zu großer „Berühmtheit" gelangte Henker Möller-Sakomelski ernannt. Über Stadt und Festung wurde der Belagerungszustand verhängt.

Alle Straßen wurden von Militär besetzt, die entscheidende Stunde nahte. Die Aufständischen rechneten mit der Weigerung der Truppen, zu schießen, und erwarteten den Anschluss der übrigen Geschwaderschiffe. Tatsächlich wurden auch auf einigen Schiffen die Offiziere verhaftet und auf den „Otschakow" gebracht. Durch diese Maßregel hoffte man übrigens, den Admiralskreuzer vor der feindlichen Beschießung zu bewahren. Große Volksmengen drängten sich am Ufer in Erwartung des Saluts, der den Anschluss des Geschwaders ankündigen sollte. Aber die Erwartungen erfüllten sich nicht. Die Feinde ließen dem „Otschakow" keine Zeit mehr, zum zweiten Mal die Schiffe abzufahren und eröffneten das Feuer. Das Volk hielt die erste Geschützsalve für den Salut, begriff aber bald, um was es sich handelte und floh in panischem Schrecken aus dem Hafen. Und nun begann ein fürchterliches Feuer von allen Seiten. Man schoss von den Schiffen, man schoss aus Festungs- und Feldgeschützen, man schoss auf dem Historischen Boulevard aus den Maschinengewehren. Eine der ersten Salven vernichtete die Schiffsmaschine auf dem „Otschakow". Nach etwa sechs Antwortschüssen musste er verstummen und die weiße Flagge auswerfen. Trotzdem wurde die Beschießung des Kreuzers fortgesetzt, bis sich auf ihm Flammen zeigten. Noch schlimmer erging es dem „Potemkin". Hier hatte man keine Zeit mehr gehabt, die Zündhämmer und die Verschlüsse an den Geschützen anzubringen und war daher völlig hilflos, als das Feuer eröffnet wurde. Ohne auch nur einen einzigen Schuss abgegeben zu haben, hisste der „Potemkin" die weiße Flagge. Die Matrosen, die sich in den Kasernen befanden, hielten sich am längsten. Sie ergaben sich erst dann, als die letzte Patrone verschossen war. Die rote Fahne schwebte bis zum Schlusse über den meuternden Kasernen, die erst in später Nacht von den Regierungstruppen endgültig besetzt wurden.

Als der erste Schrecken, den das Geschützfeuer hervorgerufen hatte, verflogen war, kehrte ein Teil der Volksmenge ans Ufer zurück. „Es war ein entsetzliches Bild", schreibt der oben zitierte Teilnehmer am Aufstand. „Unter dem Kreuzfeuer der Geschütze gingen sofort einige Torpedoboote und Schaluppen zugrunde. Bald stand der „Otschakow" in hellen Flammen. Die Matrosen, die sich durch Schwimmen zu retten versuchten und laut um Hilfe riefen, wurden aber weiter beschossen. Die Bote, die vom Ufer fließen, um sie aus dem Wasser zu fischen, wurden sofort aufs Korn genommen. Diejenigen Matrosen, denen es gelungen war, ans Ufer zu schwimmen, wurden an Ort und Stelle niedergeschossen. Rettung fanden nur diejenigen, die das Glück hatten, die mitfühlende Volksmenge zu erreichen." Schmidt versuchte, in Matrosenkleidern zu entkommen, wurde aber erkannt und abgefangen.

Gegen 3 Uhr nachts war die blutige Arbeit der Henker der „Beruhigung" beendet. Später verwandelten sie sich in Henker des „Gerichts".

Die Sieger meldeten: „Gefangene und Verhaftete über 2000 Mann. … Befreit: 19 von den Revolutionären verhaftete Offiziere und bürgerliche Personen, erobert 4 Fahnen, Geldkassen und viel fiskalisches Eigentum, Patronen, Waffen, Munition und 12 Maschinengewehre." Admiral Tschuchnin telegraphierte seinerseits nach Zarskoje Selo: „Der militärische Sturm hat sich gelegt, der allgemein revolutionäre nicht. …"

Welch ein gewaltiger Schritt vorwärts im Vergleich zu der Meuterei in Kronstadt! Dort ein elementares Aufflammen, das mit einem wilden Pogrom endete. Hier ein planmäßig wachsender Aufstand, der bewusst nach Ordnung und Einheit des Handelns strebt. „In der aufständischen Stadt", schrieb das sozialdemokratische Organ Natschalo" während der Sewastopoler Ereignisse, „hört man nichts von Hooligan- und Räubertaten, und die Fälle gemeinen Diebstahls mussten sich schon einfach deshalb verringern, weil die Staatskassendiebe von Armee und Flotte die glückliche Stadt verlassen hatten. Ihr wollt wissen, Bürger, was eine auf die bewaffnete Bevölkerung gestützte Demokratie ist? Blickt auf Sewastopol! Blickt auf das republikanische Sewastopol, das keine anderen Behörden kennt, als die aus der Wahl hervorgegangenen und voll verantwortlichen. …"

Und nichtsdestoweniger hielt sich dieses revolutionäre Sewastopol nur vier, fünf Tage und ergab sich, ohne bei weitem nicht alle Ressourcen seiner kriegerischen Kraft erschöpft zu haben. Strategische Fehler? Unentschlossenheit der Führer? Man kann weder das eine, noch das andere leugnen, indessen der allgemeine Ausgang des Kampfes wurde doch durch tieferliegende Ursachen bestimmt und herbeigeführt.

An der Spitze des Aufstandes marschierten die Matrosen. Schon die besondere Art ihrer militärischen Tätigkeit fordert von ihnen ein größeres Maß von Selbständigkeit und Findigkeit, erzieht eine größere Unabhängigkeit als der Dienst im Landheere. Der Antagonismus zwischen dem gemeinen Matrosen und der abgeschlossenen adeligen Kaste der Marineoffiziere ist noch tiefer als in der Infanterie mit ihrem halb plebejischen Offizierskorps. Endlich nicht zu vergessen die Schmach des letzten Krieges, die mit ihrer ganzen Schwere hauptsächlich die Flotte traf und in dem Matrosen jede Achtung vor den schimpflich feigen und moralisch verkommenen Kapitänen und Admiralen ertötete.

Den Matrosen schlossen sich, wie wir gesehen haben, am entschiedensten die Sappeure an. Sie erscheinen mit den Waffen und nehmen in den Marinekasernen Quartier. Bei allen Bewegungen in unserem Landheer können wir eine und dieselbe Tatsache beobachten: in den ersten Reihen marschieren die Sappeure, Mineure, Artilleristen – mit einem Worte, nicht die graue, des Lesens und Schreibens unkundige Masse, sondern die qualifizierten Soldaten mit guter Elementarbildung und technischen Vorkenntnissen. Diesem Unterschied in dem geistigen Niveau entspricht der Unterschied in dem sozialen Typus, der Infanteriesoldat – das ist in der erdrückenden Mehrheit der junge, unwissende Bauer, während die Genietruppen sich hauptsächlich aus der Mitte der industriellen Arbeiter rekrutieren.

Wir sehen, welche Unentschlossenheit die beiden Infanterieregimenter Brest und Bialystok während des ganzen Verlaufs des Aufstandes an den Tag legen. Sie können sich nicht dazu entschließen, sämtliche Offiziere zu entfernen. Erst schließen sie sich den Matrosen an, dann sahen sie wieder ab. Sie versprechen, nicht zu schießen, geraten aber dann vollkommen unter den Einfluss ihrer Vorgesetzten und beschießen sogar schließlich die Marinekasernen. Einen solchen Mangel an revolutionärer Stabilität auf Seiten des bäuerlichen Fußvolkes konnten wir in der Folge mehr wie einmal beobachten: so auf der sibirischen Eisenbahn, so in der Festung von Sweaborg.

Aber nicht nur im Landheere spielten die technisch vorgebildeten, das heißt die proletarischen Elemente die revolutionäre Hauptrolle. Die gleiche Erscheinung können wir eigentlich auch in der Flotte beobachten. Wer ist der Leiter der Matrosen„meutereien"? Wer erhebt die rote Fahne aus dem Panzerschiff? Der technische Matrose, das Maschinenkommando. Die Industriearbeiter in Matrosenblusen, die die Minderheit der Besatzung bilden haben das Schiff dennoch ganz in ihrer Gewalt, weil sie die Maschine das Herz des Schiffes, in Händen haben.

Die Reibungen zwischen der proletarischen Minorität und der bäuerlichen Majorität der Armee ziehen sich durch alle unsere Militäraufstände, sie schwächend und paralysierend. Die Arbeiter bringen in die Kaserne ihre Klassenvorzüge: die Intelligenz, die technische Schulung, die Energie, die Fähigkeit zu geschlossenen Aktionen. Die Bauernschaft bringt ihre erdrückende, numerische Übermacht. Die Armee überwindet mechanisch die Produktionsisoliertheit des Bauern durch die allgemeine Dienstpflicht und seinen politischen Hauptmangel – die Passivität –, macht sie zu ihrem unersetzlichen Vorzug. Wenn auch die Bauernregimenter auf dem Boden ihrer unmittelbaren Kasernenbedürfnisse in die revolutionäre Bewegung mit hineingezogen werden können, so sind sie stets zu einer abwartenden Taktik geneigt, lassen beim ersten energischen Schritt des Feindes die „Rebellin" im Stiche und lassen sich geduldig von Neuem in das Joch der Disziplin spannen. Hieraus folgt, dass die Methode des Militäraufstandes die entschiedenste Aggressive sein muss – ohne Aufenthalte, die nur Schwanken und Spaltung erzeugen; hieraus ersieht man aber auch, dass die Taktik des revolutionären Vorstoßes ihr größtes Hindernis in der Rückständigkeit und misstrauischen Passivität des bäuerlichen Soldaten findet.

Dieser Widerspruch trat in seiner ganzen Tragweite bei dem bald darauffolgenden Dezemberaufstand zutage, der das erste Kapitel der russischen Revolution abschloss.

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