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Leo Trotzki 19100225 Die finnischen Wahlen

Leo Trotzki: Die finnischen Wahlen

[eigene Übersetzung nach dem russischen Text in der Wiener „Prawda" Nr. 10, 12./25. Februar 1910]

Dem Gehirn des finnischen Generalgouverneurs Seyn stellt sich, nach dessen eigenem Bekenntnis, die Aufgabe der vollen Rückkehr zu Bobrikowschen Zeiten. Und konkret: die Gesetze Finnlands werden mit aller Kraft zertreten; durch unspezifizierte Regelungen werden neue Steuern auferlegt; der Generalgouverneur verändert das Budget, der Zar bestätigt diese Veränderungen; rings um Seyn erscheinen, eine nach der anderen alte, ein wenig zerknitterte Figuren abgefeimter Bobrikowisten, welche der Wirbelwind des Jahres 1905 von ihrem Platz riss; hier und da treten „konstitutionelle" Beamte und Richter zurück; der finnische Senat (Kabinett) wird ergänzt durch Leute der Seynschen Politik — „wie sie befehlen", von Zeit zu Zeit flammen Gerüchte über eine Ernennung Seyns als Stellvertreter Tolmatschews „selbst" auf; im ganzen Lande finden Durchsuchungen von Waffen- und Eisenmagazinen statt, konfisziert werden illegale Brownings und falsche Patronen …

Ihrerseits versuchten die finnischen öffentlichen Ämter in der Frage der Stempelsteuer eine Taktik des passiven Widerstands wie bei Bobrikow einzusetzen. Aber gerade bei diesem Versuch zeigte sich, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Zu Zeiten Bobrikows erwachte das finnische Proletariat erst — die öffentliche Meinung der Bourgeoisie war munter und selbstgefällig. Die protestierenden Beamten fühlten sich in einer Atmosphäre allgemeiner Sympathie und vertrauten auf die Kräfte ihren „legalen" Kampfverfahren. Aber die letzten fünf Jahre gingen für niemanden umsonst vorbei. Die Bourgeoisie sah mit eigenen Augen, dass sich der Pergamentschild der finnischen „Rechte" in der kritischen Minute als allzu schwacher Schutz gegen die eisernen Stöße des Zarismus erweist. Nach Generalstreiks, nach dem Sweaborger Aufstand sind keine Adressen, Petitionen und demonstrativen Rücktritte von Beamten fähig, die öffentliche Meinung der Bevölkerung aufzuwühlen, sie treffen nicht die Vorstellungskraft der Zarenbürokratie. Keine solchen Aussichten sah sie. Außerdem steht sie nun nicht abgesondert, wie bis zur Revolution, sondern stützt sich auf auf die landwirtschaftlichen und kapitalistischen Klassen Russlands, - nicht nur ihre eigenen, sondern auch deren imperialistische Interessen verteidigt sie im Kampf gegen die ökonomische und politische Selbständigkeit Finnlands. Sogar auch ein Schuss eines neuen Schaumans erklänge nun wenig lauter als Kinderklappern. Nein, die Zeiten Bobrikows gingen unwiederbringlich vorbei.

Was aber bleibt den bürgerlichen Parteien? Der Appell an die Kraft der Massen — die finnischen und russischen. Aber dieser Bereich ist völlig feindselig: wo Massen sind, da ist Sozialdemokratie. Von hier rührt der politische Skeptizismus der finnischen Bourgeoisie, Misstrauen zu sich, Feindschaft gegenüber den Arbeitern, Angst vor dem Zarismus, — alles das ist kaum verdeckt durch morsche Reden über den schließlichen Triumph „nationaler Rechte". Heute bringt der schwindsüchtige Protest deutscher und holländischer Professoren gegen die Stolypin-Seynsche Politik eine Flut der Munterkeit in die Brust der Jungen Finnen und der Schwedenpartei, aber morgen ergreift erneut hoffnungslose Niedergeschlagenheit von ihnen Besitz, wenn das heisere Gekläffe des nationalistisch-schwarzhunderterischen Lumpenpacks auf die fremdländische Einmischung in unsere „häusliche" Räuberangelegenheiten reagiert …

Unter diesen Bedingungen fand die Wahl zum vierte Sejm nach der Revolution statt. Im Schraubstock grausamster Arbeitslosigkeit führte das finnische Proletariat die neue Wahlkampagne durch. Über die Straßen von Helsingfors gingen Vertreter der Arbeitslosen mit Sammeldosen in den Händen. Unter dem traurigen Klingen der Kupfermünzen fand die sozialistische Agitation der Partei statt, der Verkörperung der Zukunft Finnlands. Vergeblich teilte Generalgouverneur Seyn Geld an arbeitslose Frauen aus, hoffend ihre Gewissen und ihre Stimmen zu kaufen. Vergeblich attackierte die bürgerliche Presse die Sozialdemokratie von allen Seiten. Die Arbeiterpartei ging erneut als Siegerin aus dem Kampfe hervor. In der Zeit, in der die schwedische und jungfinnische Partei bloß alte Positionen hielten; in der Zeit, in der die klerikal-agrarische altfinnische Partei, bereit zu beliebigen Geschäften mit dem Zarismus, sechs Plätze einbüßte, eroberte die Sozialdemokratie vier neue Mandate und sammelte rings um ihre 86 Deputierten 40% aller abgegebene Stimmen. Die schwedischen Arbeiter folgzen bei den bisherigen Wahlen ihrer Bourgeoisie, dieses Mal stimmten sie zusammen mit den finnischen Arbeiter für die Sozialdemokratie. Außer ihr eroberte nur die Werktätigenpartei der Kleinbauern vier Mandate. Der neue Sejm steht in noch größerem Maße als der aufgelöste vor der Zarenregierung als unversöhnlicher Feind. Die Lage verschärfte sich, aber die Entscheidung kam nahe. Und das ganze Gewicht der Lage fällt auf die brüderliche sozialdemokratische Partei Finnlands.

Es ist gleich, ob der vierte Sejm unverzüglich auseinandergejagt wird, wie die drei vorhergehenden; ob es eine Änderung des finnischen Wahlrechts gibt, — nicht darüber zu mutmaßen ist für uns jetzt notwendig, sondern gemäß unserer Kräfte uns einzumischen in den großen Kampf, der sich vor uns entfaltet. Wachsam aufpassen auf die finnischen Ereignisse, auf sie reagieren mit Proklamationen und mündlicher Agitation, den Volksmassen die Augen öffnen für ihre wahre Bedeutung, ihre revolutionäre Organisation aufbauen und festigen — dies ist die Pflicht der fortgeschrittenen russischen Arbeiter in Beziehung auf ihre eigene Klasse - in Finnland, wie auch in Russland!

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