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Adolf Joffe u.a. 19171215 Waffenstillstandsvertrag von Brest-Litowsk

Adolf Joffe u.a.: Waffenstillstandsvertrag von Brest-Litowsk zwischen

Russland einerseits und Bulgarien, Deutschland, Österreich-Ungarn

und der Türkei andererseits

15. Dezember 1917

[„Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ Nr. 391 vom 18. Dezember 1917. Nach: Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluss des Rapallovertrages. Berlin 1967, S. 112-118]

Zwischen den bevollmächtigten Vertretern der Obersten Heeresleitungen Deutschlands, Österreich-Ungarns, Bulgariens und der Türkei einerseits, Russlands andererseits, wird zur Herbeiführung eines dauerhaften, für alle Teile ehrenvollen Friedens folgender Waffenstillstand abgeschlossen:

I.

Der Waffenstillstand beginnt am 17. Dezember 1917, 12 Uhr mittags (4. Dezember 1917, 14 Uhr russ. Zeit) und dauert bis 14. Januar 1918, 12 Uhr mittags (1. Januar 1918, 14 Uhr russ. Zeit). Die vertragschließenden Parteien sind berechtigt, den Waffenstillstand am 21. Tage mit 7tägiger Frist zu kündigen. Erfolgt dies nicht, so dauert der Waffenstillstand automatisch weiter, bis eine der Parteien ihn mit 7tägiger Frist kündigt.

II.

Der Waffenstillstand erstreckt sich auf alle Land- und Luftstreitkräfte der genannten Mächte auf der Landfront zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee. Auf den russisch-türkischen Kriegsschauplätzen in Asien tritt der Waffenstillstand gleichzeitig ein.

Die Vertragschließenden verpflichten sich, während des Waffenstillstandes die Anzahl der an den genannten Fronten und auf den Inseln des Moonsundes befindlichen Truppenverbände – auch hinsichtlich ihrer Gliederung und ihres Etats – nicht zu verstärken und an diesen Fronten keine Umgruppierungen zur Vorbereitung einer Offensive vorzunehmen.

Ferner verpflichten sich die Vertragschließenden, bis zum 14. Januar 1918 (1. Januar 1918 russ. Zeit) von der Front zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee keine operativen Truppenverschiebungen durchzuführen, es sei denn, dass die Verschiebungen im Augenblick der Unterzeichnung des Waffenstillstands Vertrages schon eingeleitet sind.

Endlich verpflichten sich die Vertragschließenden, in den Häfen der Ostsee östlich des 15. Längengrades Ost von Greenwich und den Häfen des Schwarzen Meeres während der Dauer des Waffenstillstandes keine Truppen zusammenzuziehen.

III.

Als Demarkationslinien an der europäischen Front gelten die beiderseitigen vordersten Hindernisse der eigenen Stellungen. Diese Linien dürfen nur unter den Bedingungen der Ziffer IV überschritten werden.

Dort, wo keine geschlossenen Stellungen bestehen, gilt beiderseits als Demarkationslinie die Gerade zwischen den vordersten besetzten Punkten. Der Zwischenraum zwischen den beiden Linien gilt als neutral. Ebenso sind schiffbare Flüsse, die die beiderseitigen Stellungen trennen, neutral und unbefahrbar, es sei denn, dass es sich um vereinbarte Handelsschifffahrt handelt. In den Abschnitten, wo die Stellungen weit auseinanderliegen, sind alsbald durch die Waffenstillstandskommissionen (Ziffer VII) Demarkationslinien festzulegen und kenntlich zu machen.

Auf den russisch-türkischen Kriegsschauplätzen in Asien sind die Demarkationslinien sowie der Verkehr über dieselben (Ziffer IV) nach Vereinbarung der beiderseitigen Höchstkommandierenden zu bestimmen.

IV.

Zur Entwicklung und Befestigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern der vertragschließenden Parteien wird ein organisierter Verkehr der Truppen unter folgenden Bedingungen gestattet:

1. Der Verkehr ist erlaubt für Parlamentäre, für die Mitglieder der Waffenstillstandskommissionen (Ziffer VII) und deren Vertreter. Sie alle müssen dazu Ausweise von mindestens einem Korpskommando bzw. Korpskomitee besitzen.

2. In jedem Abschnitt einer russischen Division kann an etwa 2 bis 3 Stellen organisierter Verkehr stattfinden.

Hierzu sind im Einvernehmen der sich gegenüberstehenden Divisionen Verkehrsstellen in der neutralen Zone zwischen den Demarkationslinien einzurichten und durch weiße Flaggen zu bezeichnen. Der Verkehr ist nur bei Tage von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zulässig.

An den Verkehrsstellen dürfen sich gleichzeitig höchstens 25 Angehörige jeder Partei ohne Waffen aufhalten. Der Austausch von Nachrichten und Zeitungen ist gestattet. Offene Briefe können zur Beförderung übergeben werden. Der Verkauf und Austausch von Waren des täglichen Gebrauchs an den Verkehrsstellen ist erlaubt.

3. Die Beerdigung Gefallener in der neutralen Zone ist erlaubt. Die näheren Bestimmungen sind jedes Mal durch die beiderseitigen Divisionen oder höheren Dienststellen zu vereinbaren.

4. Über die Rückkehr entlassener Heeresangehöriger des einen Landes, die jenseits der Demarkationslinie des anderen Landes beheimatet sind, kann erst bei den Friedensverhandlungen entschieden werden. Hierzu rechnen auch die Angehörigen polnischer Truppenteile.

5. Alle Personen, die – entgegen den vorstehenden Vereinbarungen 1. bis 4. – die Demarkationslinie der Gegenpartei überschreiten, werden festgehalten und erst bei Friedensschluss oder Kündigung des Waffenstillstandes zurückgegeben.

Die vertragschließenden Parteien verpflichten sich, ihre Truppen durch strengen Befehl und eingehende Belehrung auf Einhalten der Verkehrsbedingungen und die Folgen von Überschreitungen hinzuweisen.

V.

Für den Seekrieg wird folgendes festgelegt:

1. Der Waffenstillstand erstreckt sich auf das ganze Schwarze Meer und auf die Ostsee östlich des 15. Längengrades Ost von Greenwich, und zwar auf alle dort befindlichen See- und Luftstreitkräfte der vertragschließenden Parteien.

Für die Frage des Waffenstillstandes im Weißen Meer und in den russischen Küstengewässern des nördlichen Eismeeres wird von der deutschen und russischen Seekriegsleitung in gegenseitigem Einvernehmen eine besondere Vereinbarung getroffen werden. Gegenseitige Angriffe auf Handels- und Kriegsschiffe in den genannten Gewässern sollen nach Möglichkeit schon jetzt unterbleiben.

In jene besondere Vereinbarung sollen auch Bestimmungen aufgenommen werden, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass Seestreitkräfte der vertragschließenden Parteien sich auf anderen Meeren bekämpfen.

2. Angriffe von See aus und aus der Luft auf Häfen und Küsten der anderen vertragschließenden Partei werden auf allen Meeren beiderseits unterbleiben. Auch ist das Anlaufen der von der einen Partei besetzten Häfen und Küsten durch die Seestreitkräfte der anderen Partei verboten.

3. Das Überfliegen der Häfen und Küsten der anderen vertragschließenden Partei sowie der Demarkationslinien ist auf allen Meeren untersagt.

4. Die Demarkationslinien verlaufen:

a) Im Schwarzen Meer: von Olinka – Leuchtturm (St. Georgsmündung) – Kap Jeros (Trapezunt);

b) in der Ostsee: von Rogekuel-Westküste – Worms – Bogskaer – Svenska – Hoegarne.

Die nähere Festsetzung der Linie zwischen Worms und Bogskaer wird der Waffenstillstandskommission der Ostsee (Ziffer VII, 1.) übertragen mit der Maßgabe, dass den russischen Seestreitkräften bei allen Wetter- und Eisverhältnissen eine freie Fahrt nach der Aalandssee gewährleistet ist. Die russischen Seestreitkräfte werden die Demarkationslinien nicht nach Süden, die Seestreitkräfte der vier verbündeten Mächte nicht nach Norden überschreiten.

Die russische Regierung übernimmt die Gewähr dafür, dass Seestreitkräfte der Entente, die sich bei Beginn des Waffenstillstandes nördlich der Demarkationslinien befinden oder später dorthin gelangen, sich ebenso verhalten wie die russischen Seestreitkräfte.

5. Der Handel und die Handelsschifffahrt in den in Ziffer 1 Absatz 1 bezeichneten Seegebieten sind frei. Die Festlegung aller Bestimmungen für den Handel sowie die Bekanntgabe der gefahrlosen Wege für die Handelsschiffe wird den Waffenstillstandskommissionen des Schwarzen Meeres und der Ostsee (Ziffer VII, 1. und 7.) übertragen.

6. Die vertragschließenden Parteien verpflichten sich, während des Waffenstillstandes im Schwarzen Meer und in der Ostsee keine Vorbereitungen zu Angriffsoperationen zur See gegeneinander vorzunehmen.

VI.

Um Unruhe und Zwischenfälle an der Front zu vermeiden, dürfen Übungen mit Infanteriewirkung nicht näher als fünf Kilometer, mit Artilleriewirkung nicht näher als 15 Kilometer hinter den Fronten vorgenommen werden.

Der Landminenkrieg wird vollständig eingestellt. Luftstreitkräfte und Fesselballons müssen sich außerhalb einer 10 Kilometer breiten Luftzone hinter der eigenen Demarkationslinie halten.

Arbeiten an den Stellungen hinter den vordersten Drahthindernissen sind erlaubt, jedoch nicht solche, die der Vorbereitung von Angriffen dienen können.

VII.

Mit Beginn des Waffenstillstandes treten die nachstehenden „Waffenstillstandskommissionen“ (Vertreter jedes an dem betreffenden Frontstück beteiligten Staates) zusammen, denen alle militärischen Fragen für die Ausführung der Waffenstillstandsbestimmungen in den betreffenden Bereichen zuzuführen sind.

1. Riga für die Ostsee,

2. Dünaburg für die Front von der Ostsee bis zur Disna,

3. Brest-Litowsk für die Front von der Disna bis zum Pripet,

4. Berditschew für die Front vom Pripet bis zum Dnjestr,

5. Koloszvar, 6. Focsani für die Front vom Dnjestr bis zum Schwarzen Meer, Grenzbestimmung zwischen beiden Kommissionen 5 und 6 im gegenseitigen Einvernehmen,

7. Odessa für das Schwarze Meer.

Diesen Kommissionen werden unmittelbare und unkontrollierte Fernschreibeleitungen in die Heimatländer ihrer Mitglieder zur Verfügung gestellt. Die Leitungen werden im eigenen Lande bis zur Mitte zwischen den Demarkationslinien von den betreffenden Heeresleitungen gebaut. Auch auf den russisch-türkischen Kriegsschauplätzen in Asien werden derartige Kommissionen eingerichtet nach Vereinbarung der beiderseitigen Höchstkommandierenden.

VIII.

Der Vertrag über Waffenruhe vom 5. Dezember (22. November) 19171 und alle bisher für einzelne Frontstücke abgeschlossenen Vereinbarungen über Waffenruhe oder Waffenstillstand werden durch diesen Waffenstillstandsvertrag außer Kraft gesetzt.

IX.

Die vertragschließenden Parteien werden im unmittelbaren Anschluss an die Unterzeichnung dieses Waffenstillstandsvertrages in .Friedensverhandlungen eintreten.

X.

Ausgehend von dem Grundsatz der Freiheit, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit des neutralen persischen Reiches sind die türkische und die russische Oberste Heeresleitung bereit, ihre Truppen aus Persien zurückzuziehen. Sie werden alsbald mit der persischen Regierung in Verbindung treten, um die Einzelheiten der Räumung und die zur Sicherstellung jenes Grundsatzes sonst noch erforderlichen Maßnahmen zu regeln.

XI.

Jede vertragschließende Partei erhält eine Ausfertigung dieser Vereinbarung in deutscher und russischer Sprache, die von den bevollmächtigten Vertretern unterzeichnet ist.

Brest-Litowsk, den 15. Dezember 1917 (2. Dezember 1917 russ. Stils) gez.: Unterschriften

Zusatz zum Waffenstillstandsvertrag von Brest-Litowsk

15. Dezember 1917

Zur Ergänzung und zum weiteren Ausbau des Abkommens über den Waffenstillstand sind die vertragschließenden Parteien übereingekommen, schnellstens die Regelung des Austausches von Zivilgefangenen und dienstuntauglichen Kriegsgefangenen unmittelbar durch die Front in Angriff zu nehmen. Hierbei soll die Frage der Heimschaffung der im Laufe des Krieges zurückgehaltenen Frauen und Kinder unter 14 Jahren in erster Linie berücksichtigt werden.

Die vertragschließenden Parteien werden sofort für tunlichste Verbesserung der Lage der beiderseitigen Kriegsgefangenen Sorge tragen. Dies soll eine der vornehmsten Aufgaben der beteiligten Regierungen sein.

Um die Friedensverhandlungen zu fördern und die der Zivilisation durch den Krieg geschlagenen Wunden so schnell wie möglich zu heilen, sollen Maßnahmen zur Wiederherstellung der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den vertragschließenden Parteien getroffen werden. Diesem Zweck soll unter anderem dienen: Die Wiederaufnahme des Post- und Handelsverkehrs, der Versand von Büchern und Zeitungen und dergleichen innerhalb der durch den Waffenstillstand gezogenen Grenzen.

Zur Regelung der Einzelheiten wird eine gemischte Kommission von Vertretern sämtlicher Beteiligten demnächst in Petersburg zusammentreffen.

Brest-Litowsk, den 15. Dezember 1917 Grundsätzlich genehmigt und unter Vorbehalt, der endgültigen Formulierung unterzeichnet: gez. Unterschriften

1 Dieses Datum ist nicht richtig

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