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Leo Trotzki 19171227 An alle unterdrückten und entrechteten Arbeiter Europas!

Leo Trotzki: An alle unterdrückten und entrechteten Arbeiter Europas!

[Nach Ernst Drahn (Hg.): Brest-Litowsk. Berlin 1920, S. 23-25]

Der Waffenstillstand an der Ostfront ist unterschrieben; aber an den anderen Fronten wird das Blutbad fortgesetzt. Die Friedensverhandlungen beginnen; aber die Sozialisten aller Länder, besonders die deutschen Sozialisten, müssen begreifen, dass ein unvereinbarer Gegensatz zwischen dem Friedensprogramm der russischen Arbeiter und Bauern und dem Programm der deutschen Kapitalisten, Grundbesitzer und Generäle besteht.

Wenn nun diese beiden Programme auseinandergehen, würde der Friede vollkommen unmöglich sein; denn das russische Volk hat nicht im eigenen Lande die Monarchie und die Bourgeoisie entthront, um sich vor der Monarchie und der Bourgeoisie anderer Länder zu beugen.

Arbeiter der Zentralmächte!

Der Frieden wird uns näher gebracht und um so besser gesichert werden können, wenn die arbeitenden Klassen Deutschlands und seiner Verbündeten ihren Friedenswillen fest und bestimmt zum Ausdruck bringen. Die deutschen, österreichisch-ungarischen, bulgarischen und türkischen Arbeiter müssen ihr eigenes revolutionäres, die Zusammengehörigkeit und Solidarität der ausgebeuteten Arbeiterklassen in allen Ländern umfassendes Programm gegenüber dem imperialistischen Programm der herrschenden Klassen zur Geltung bringen. Der Kampf für einen wahren Weltfrieden wird notwendigerweise noch lange Zeit erfordern. Schon der erste Abschnitt dieses Kampfes stößt überall – mit Ausnahme von Russland – auf den Widerstand der Monarchisten und Kapitalisten, die für den jetzigen Krieg verantwortlich sind und die vor den betrogenen Völkern für das vergossene Blut, die vergeudeten Reiche immer noch keine Rechenschaft abgelegt haben.

Wir sind in diesem Augenblick gezwungen, mit den einmal bestehenden Regierungen Friedensverhandlungen anzuknüpfen. Die monarchistischen, reaktionären Regierungen der Zentralmächte sind gezwungen, mit den Vertretern der Macht der Arbeiter- und Soldatenräte zu verhandeln, weil das russische Volk sie vor die vollendete Tatsache einer von Russlands Arbeitern und Bauern gebildeten Regierung gestellt hat.

Die von der Macht der Arbeiter- und Soldatenräte eingeleiteten Friedensverhandlungen verfolgen zwei Ziele:

1. Baldmöglichst ein Aufhören des schändlichen, verbrecherischen Blutbades herbeizuführen, das Europas Verderb ist.

2. Durch alle zur Verfügung stehenden Mittel die Arbeiterklassen aller Länder dazu anzuhalten, dass sie die Macht des Kapitals stürzen und sich die politische Gewalt aneignen, um einen demokratischen Frieden zustande zu bringen und einen sozialen Wiederaufbau Europas und der ganzen Menschheit herbeizuführen.

Der Waffenstillstand gilt nur für eine Front, Nach hartnäckigem Kampf ist unserer Delegation unter den Bestimmungen des Waffenstillstandes von deutscher Seite zugestanden worden, dass von dieser Front keine Truppen abtransportiert werden sollen. Die zwischen dem Schwarzen Meere und der Ostsee stehenden deutschen Regimenter haben einen Urlaub von einmonatlicher Dauer erhalten. Der Waffenstillstand umfasst gegen den Willen seiner Regierung auch das rumänische Heer.

An der französischen und der italienischen Front und an den anderen Fronten dauert der Krieg fort. Der Waffenstillstand ist nur partiell. Die kapitalistischen Regierungen fürchten sich vor dem Friedensschluss, weil sie dann den Völkern Rechenschaft geben müssten. Sie wünschen deshalb die Stunde ihres Zusammenbruchs hinauszuschieben.

Arbeiter der Entente-Länder!

Willigen die Völker geduldig ein, weiter das verbrecherische Werk der Börsencliquen in Frankreich, England, Italien und den Vereinigten Staaten mitzumachen? Wenn die kapitalistischen Regierungen dieser Länder von dem künftigen Rechtsbund einer Koalition aller Regierungen sprechen, so wollen sie damit nur die niedrigen und schändlichen Instinkte ihrer ausbeuterischen Spekulationen verdecken. Sie kämpfen gegen den Waffenstillstand, sie kämpfen gegen den Frieden. Aber Ihr Völker Europas, Ihr Proletarier Frankreichs, Italiens, Englands, Belgiens und Serbiens, Brüder im Kampf und im Martyrium, seid Ihr nicht gewillt, gemeinsam mit uns für einen ehrenvollen, demokratischen Frieden unter den Völkern zu streiten? Die Euch erklären, dass der Friede nur durch den Sieg gesichert werden könne, betrügen Euch.

Erstens haben sie sich seit 42 Monaten unfähig gezeigt, auf irgend eine Weise den Frieden zu erringen, und haben in keiner Weise bewiesen, dass sie ihn zustände bringen könnten, selbst wenn der Krieg noch Jahre andauerte. Zweitens würde, falls der Sieg für die eine oder die andere Partei möglich wäre, die Anwendung der Gewalt gegen die Schwächeren nur zunehmen und dadurch neue Kriege erzeugen.

Belgien, Serbien, Rumänien, Polen, die Ukraine, Persien, Griechenland und Armenien zu befreien vermögen die erobernden Imperialisten nicht; das kann nur die revolutionäre Arbeiterklasse aller Länder, der kriegführenden und neutralen, durch siegreichen Kampf gegen alle Imperialisten. Zur Teilnahme an diesem Kampf rufen wir Euch alle auf, Arbeiter aller Länder. Es gibt keinen anderen Weg.

Die herrschenden, ausbeuterischen Klassen haben sich in diesem Krieg unzählige Verbrechen zuschulden kommen lassen. Diese Verbrechen schreien nach der Rache der Revolution. Die leidende Menschheit würde sich ihre Zukunft verderben und auf die Zukunft verzichten, falls sie dabei beharrte, das imperialistische und eigennützige Joch der Regierungen und der Diplomatie noch länger sklavisch zu ertragen.

Wir, Kommissare des Volkes, Vertreter der männlichen und weiblichen Bauern, Arbeiter, Soldaten, Matrosen, der Witwen und Waisen, fordern Euch auf, gemeinsam an unserem Kampf teilzunehmen, um an allen Fronten den Krieg sofort zum Stillstand zu bringen. Möge die. Nachricht von dem in Brest-Litowsk abgeschlossenen Waffenstillstand die Alarmglocke für die Soldaten und Arbeiter aller kriegführenden Länder zum Läuten bringen.

Nieder mit denen, die zum Kriege hetzen. Nieder mit den Regierungen, die sich dem Frieden widersetzen, wie mit den Regierungen, die ihre Eroberungspläne unter Friedensreden verstecken. Jagt sie davon! Wir, Arbeiter und Soldaten, werden die Entscheidung über Krieg und Frieden den verbrecherischen Händen der Bourgeoisie entreißen. Wir haben ein Recht, Euch zur Tat aufzufordern, denn wir haben sie für Euch vollbracht. Dies ist der einzige Weg zu unserer und Eurer Rettung. Schließt die Reihen, Proletarier aller Länder, unter dem Banner des Friedens und der sozialen Revolution!

Petrograd, den 27. Dezember.

Trotzki.

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