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Leo Trotzki 19170828 Bonapartistische Elemente

Leo Trotzki: Bonapartistische Elemente

[Erschienen in „Proletarij" Nr. 2 vom 28. (15.) August 1917. Nach der Broschüre „Der Charakter der russischen Revolution“, erschienen im Verlag der Arbeiter-Buchhandlung. Wien 1921 als 5. Heft der „Materialien zur Geschichte der proletarischen Revolution in Russland“. S. 16-25. Übersetzt von Sophie Liebknecht. Siehe auch New Yorker Volkszeitung, Sonntagsblatt, 17. Juli 1921, Sektion II, S. 15 und 24. Juli 1921, Sektion II, S. 14]

Der kleine Budiker ist ein nüchterner Kerl, mehr als alles andere fürchtet er das „Risiko." Zur selben Zeit aber ist er auch der größte Phantast, denn jeder kleine Budiker hofft, ein Rothschild zu werden. Diese Vereinigung anämischer Nüchternheit mit unfruchtbaren Phantastereien macht das Wesen der kleinbürgerlichen Politik aus. Man soll nicht glauben, schrieb Marx, dass die Vertreter der kleinen Bourgeoisie geizige Händler sein müssen. Nein, ihrer Intelligenz nach könnten sie das unterdrückte Kleinbürgertum weit überragen. Doch „was sie zu Vertretern der Ideen der kleinen Bourgeoisie macht, das ist die Tatsache, dass ihr Denken nicht aus jenem Rahmen herausgeht, in dem ihr Leben eingeschlossen ist, und dass sie deshalb theoretisch zu denselben Problemen und denselben Lösungen gelangen, zu welchen der Kleinbürger auf dem Wege der Praxis kommt."

Sancho Pansa verkörpert in sich die banale Nüchternheit. Doch die Romantik ist ihm nicht fremd, denn sonst würde er Don Quichotte nicht folgen. Die Nüchternheit der kleinbürgerlichen Politik wird auf eine vollendetere und deshalb abstoßendere Weise durch Dan verkörpert. In Zeretelli verschmilzt diese Nüchternheit mit Romantik. „Nur ein Narr fürchtet nichts", hat Zeretelli zu Martow gesagt. Der ehrwürdige kleinbürgerliche Politiker dagegen fürchtet alles. Er fürchtet den Zorn seiner Gläubiger, er fürchtet die Diplomaten könnten seinen „Pazifismus" für Ernst halten, und mehr als alles andere fürchtet er die Macht. Da nur „der Narr nichts fürchtet", so glaubt der kleinbürgerliche Politiker, dass er sich durch vielseitige Ängstlichkeit vor Dummheit sichert. Und zu gleicher Zeit hofft er auch, ein Rothschild zu werden und meint, durch die Einfügung von zwei, drei Worten in eine diplomatische Note Tereschtenkos den Friedensschluss zu beschleunigen und beim Fürsten Lwow seine unfehlbaren Mittel gegen den Bürgerkrieg absetzen zu können. Und das Ende vom Lied ist, dass der große kleinbürgerliche Friedensbringer die Arbeiter entwaffnet, nur Polowtsow oder Kaledin, die „entwaffnet" er nicht. Und wenn diese ganze Politik durch den ersten Stoß zusammenstürzt, so erzählen Zeretelli und Dan allen, die es hören wollen, dass die Revolution nicht durch die Unfähigkeit der kleinbürgerlichen Demokratie, die Macht zu ergreifen, vereitelt worden ist, sondern durch den „Aufruhr" einer Maschinengewehrabteilung.

Im Laufe der vieljährigen Diskussionen über den Charakter der russischen Revolution suchte der Menschewismus zu beweisen, dass die Trägerin der revolutionären Macht bei uns die kleinbürgerliche Demokratie sein würde. Wir hingegen suchten zu beweisen, dass die kleinbürgerliche Demokratie diesen Problemen nicht mehr gewachsen sei, und dass nur das Proletariat, gestützt auf die Volksmassen, die Revolution zum siegreichen Ende bringen könne. Jetzt hat die Geschichte die Sachen so gestaltet, dass der Menschewismus zum politischen Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie geworden ist, um am eigenen Beispiel seine vollkommene Unfähigkeit zu demonstrieren, mit dem Problem der Staatsmacht fertig zu werden und die führende Rolle in der Revolution zu übernehmen.

In der „Rabotschaja Gazeta" (Arbeiterzeitung) diesem Organ des gefälschten, danisierten „Marxismus“ wird der Versuch gemacht, uns mit dem Namen „Männer des 3. Juli" zu bezeichnen. Dass wir in der Bewegung des 3. Juli mit allen unseren Sympathien auf der Seite der Arbeiter und Soldaten und nicht auf der Seite der Junker, der Polowtsow, der Liber und der Reaktion standen, unterliegt keinem Zweifel. Wir hätten nur Verachtung verdient, wenn es anders gewesen wäre. Doch die Bankrotteure der „Rabotschaja Gazeta" sollten sich hüten, zu viel vom 3. Juli zu sprechen, denn das ist der Tag, an dem sie sich politisch ausgeschaltet haben. Die Benennung „Männer des 3. Juli“ kann sich leicht mit dem anderen Ende gegen sie selber wenden. Am 3. Juni 1906 haben die gierigen Cliquen des zaristischen Russland einen Umsturz geplant, um sich der Staatsgewalt zu bemächtigen. Am 3. Juli 1917, im Augenblick der tiefsten Krisis der Revolution, haben die kleinbürgerlichen Demokraten laut verkündet, dass sie weder die Fähigkeit noch den Willen besitzen, die Macht zu ergreifen. Hasserfüllt wandten sie sich von den revolutionären Arbeitern und Soldaten ab, die von ihnen die Erfüllung der elementaren revolutionären Pflicht verlangten, und schlossen, sie, die „Männer" des 3. Juli, einen Bund mit den echten „Männern des 3. Juni," um die sozialistischen Arbeiter und Bauern zu zähmen, zu entwaffnen und einzukerkern. Der Verrat der kleinbürgerlichen Demokratie, ihre schmachvolle Kapitulation vor der gegenrevolutionären Bourgeoisie – das ist es, was das Kräfteverhältnis verschoben hat, wie Ähnliches schon öfters in der Geschichte der Revolution vorgekommen ist.

Unter diesen Bedingungen wurde das letzte Ministerium aufgebaut, das Skobelew mit der dankerfüllten Ehrfurcht, wie sie einem Lehrling dem Meister gegenüber ziemt, „die Regierung Kerenskis" nannte. Das willenlose, impotente, schwammige Regiment der kleinbürgerlichen Demokratie geriet in die Sackgasse der persönlichen Diktatur.

Unter dem Namen der sogenannten Doppelregierung wurde der Kampf zweier unversöhnlicher Klassentendenzen ausgefochten, der imperialistischen Republik und der Arbeiterdemokratie. Solange der Ausgang unentschieden war, lähmte dieser Kampf die Revolution und gebar unvermeidliche Erscheinungen der „Anarchie." Geleitet von Politikern, die alles fürchteten, wagten die Sowjets nicht, die Macht zu ergreifen Die Vertreterin aller Cliquen des Privatbesitzes, die Kadettenpartei, konnte die Macht noch nicht ergreifen. Es blieb nur übrig, den großen Versöhner, den Vermittler, den Schiedsrichter zu suchen.

Schon Mitte Mai wurde Kerenski in der Sitzung des Petersburger Rates „der mathematische Punkt der russischen Bonapartismus" genannt. Schon diese körperlose Charakteristik zeigt, dass es sich nicht um die Persönlichkeit Kerenskis, sondern um seine historische Funktion (Tätigkeit. Rolle) handelt. Es wäre eine Unbedachtsamkeit, zu behaupten, dass Kerenski aus demselben Stoff gemacht sei wie der erste Bonaparte; jedenfalls muss das als unbewiesen gelten. Doch seine Popularität ist gewiss kein Zufall. Kerenski war dem russischen Michel am nächsten und verständlichsten. Ein fortschrittlicher Advokat, „Sozialist-Revolutionär." der an der Spitze der Trudowiki1 stand, ein Radikaler ohne irgendwelche sozialistische Schulung, verkörperte er in sich die erste Epoche der Revolution, ihre „nationale“ Formlosigkeit, den unterhaltenden Idealismus ihrer Hoffnungen und Erwartungen. Er sprach vom Bauernland, von der Freiheit, der Ordnung, dem Völkerfrieden, der Vaterlandsverteidigung, dem Heroismus Liebknechts, davon, dass die russische Revolution die Welt durch ihre Großzügigkeit in Erstaunen setzen musste. und schwenkte dabei ein rotes seidenes Tüchlein. Der halb erwachte Bürger hört ihm mit Entzücken zu; es war ihm. als spräche er selbst von der Tribüne. Die Armee empfing Kerenski als Befreier von Gutschkows2 Herrschaft. Die Bauern hatten von ihm gehört, als von einem Trudowik. einem Freund der Bauern. Die Liberalen wurden durch die äußerste Mäßigung seiner Ideen unter dem formlosen Schwall radikaler Phrasen bestochen. Nur die radikalen Arbeiter waren auf der Hut. Doch wurden sie erfolgreich in den Sowjets der „revolutionären Demokratie" aufgelöst.

Das Fehlen doktrinärer Vorurteile erlaubte Kerenski als erstem „Sozialisten" in die bürgerliche Regierung einzutreten. Er war es, der zuerst die verschärfte soziale Wachsamkeit der Massen als „Anarchie" brandmarkte. Im Mai drohte er den Finnländern mit Skorpionen und warf mit der großsprecherischen Phrase von den „aufständischen Sklaven" um sich, einer Phrase, die wie Balsam die betrübten Herzen der Besitzenden beruhigte. So erwies sich seine Popularität als ein Knäuel von Widersprüchen, in denen sich die Formlosigkeit der ersten und die Ausweglosigkeit der zweiten Periode der Revolution spiegelte. Und als die Zeit nach einem Schiedsrichter verlangte, fand sich dazu kein geeigneter Mann als Kerenski

Die „historische Nachtsitzung im Winterpalais"3 war nur eine Probevorstellung zu jener politischen Erniedrigung, die die „revolutionäre" Demokratie sich jetzt bei der Moskauer Beratung bereitet hat. Alle Trumpfe konnten bei diesen Verhandlungen von den Kadetten ausgespielt werden: Es kam so weit, dass die Sozialrevolutionäre und menschewistischen Demokraten, die bei allen demokratischen Wahlen den Sieg davon trugen und denen ihre eigenen Siege einen Todesschreck einjagten, privilegierte Liberale demütig um Mitarbeit in der Regierung baten. Da die Kadetten keine Angst hatten, am 3. Juli die Staatsmacht den Sowjets zu unterschieben, und da anderseits die Liberalen keine Angst hatten, die ganze Macht zu ergreifen, so ist et klar, dass sie die Herren der Situation waren.

Wenn Kerenski der letzte Ausdruck der kraftlosen Sowjethegemonie war, so soll er jetzt das erste Wort der Befreiung von dieser Hegemonie sein. „Wir haben bis auf Weiteres Kerenski akzeptiert, aber nur unter der Bedingung, dass er das Band zerreißt, das ihn mit den Sowjets verbindet." so lautet das Ultimatum der Bourgeoisie.

Leider zeichneten sich die Diskussionen im Winterpalais nicht durch inhaltlichen Reichtum aus" – so klagte Dan, der „Berichterstatter der Erniedrigung" in der Sitzung des Exekutivkomitees.

Es ist schwer, den ganzen Tiefsinn dieser Klage seitens eines Anhängers der „revolutionären" Demokratie zu bewerten, der das Taurische Palais4 abends noch als Träger der Macht verließ. um am nächsten Morgen mit leeren Händen zurückzukehren. Die Führer der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki legten ehrfurchtsvoll ihren Anteil an der Staatsmacht zu Füßen Kerenskis nieder … Die Kadetten nahmen diese Gabe gnädigst auf – sie betrachteten jedenfalls Kerenski nicht als den großen Schiedsrichter, sondern als eine vermittelnde Instanz. Sich die ganze Macht umgehend anzueignen, wäre für sie angesichts des unvermeidlichen revolutionären Widerstandes der Massen zu gefährlich gewesen. Sie fanden es viel vernünftiger, dem von jetzt an „unabhängigen" Kerenski zu überlassen, unter Mitarbeit der Awksetiew, Sawinkow und anderer den Weg für eine rein bürgerliche Regierung zu bahnen, mit Hilfe eines Systems von immer zügelloseren Repressalien..

Das neue Koalitionsministerium – „die Regierung Kerenskis" – wurde gebildet. Auf den ersten Blick unterschied sie sich durch nichts von jener Koalition, die so ruhmlos am 3. Juli zerfallen war. Schingarew war gegangen, Kokoschnin gekommen: Zeretelli war ausgetreten – Aksentjew eingetreten. Aus der Zusammensetzung konnte man schließen, dass beide Seiten das Kabinett als ein vorübergehendes betrachteten. Doch von äußerster Wichtigkeit ist hierbei die grundlegende Veränderung der „Bedeutsamkeit" beider Gruppen. Früher waren wenigstens der Idee nach, die „sozialistischen" Minister dem Sowjet verantwortliche Vertreter der Sowjets; die bürgerlichen Minister sollten ihnen nur als Deckung gegenüber den Alliierten und der Börse dienen. Nun kehrt sich das Verhältnis um: die bürgerlichen Minister treten als untergeordnete Organe in den Bestand der offenen gegenrevolutionären Blocks der Besitzenden (Kadettenpartei. Handels- und Industriekapital. Agrarierverband, provisorisches Komitee der Duma, Kosakenbund, Diplomatie der Alliierten …) ein, und die sozialistischen Minister dienen nur als Deckung gegenüber den Volksmassen. Die Exekutivkomitees empfingen Kerenski mit eisigem Schweigen; trotzdem gelang es ihm, Ovationen zu erringen durch Abgabe des Versprechens, die Wiederherstellung der Monarchie nicht zuzulassen. So tief waren die Ansprüche der kleinbürgerlichen Demokratie gesunken. Aksentjew ruft alle mit dem philosophischen Pathos eines Psalmlesers zur „Opferung" auf, und wie es sich für einen machthabenden Philosophen gehört, wirbt er eifrig um die Hilfe der Kosaken und Junker für den kategorischen Imperativ. Und die Bauerndelegierten, die ihn gewählt haben, sehen einander mit Staunen an, um zu bemerken, dass, bevor sie Zeit gehabt haben, die Großgrundbesitzer zu enteignen, jemand ihnen selbst ihren Einfluss auf die Staatsmacht enteignet hat.

Die gegenrevolutionären Stäbe verfolgen auf jede erdenkliche Weise die Soldatenkomitees und benutzten sie gleichzeitig zu Repressalien gegen die Massen, untergraben auf diese Art ihre Autorität und bereiten ihren Fall vor. Für dieselben Ziele hat die bürgerliche Gegenrevolution „sozialistische" Minister zur Verfügung, die bei ihrem Sturze die Sowjets mit sich ziehen, von denen sie selbst zwar nicht mehr abhängen, die aber nach wie vor mit ihrem Schicksal verknüpft sind.

Haben die demokratischen Organisationen auf die Ausübung der Macht verzichtet, so müssen sie eben auch ihre Ansprüche auf Autorität fallen lassen Auf diese Weise wird alles für das Nahen Miljukows vorbereitet. wahrend hinter seinem Rücken schon Gurko auf seine günstige Stunde wartet.

Diese Moskauer Beratung erhält ihre Bedeutung nur im Zusammenhang mit dieser allgemeinen Beleuchtung der politischen Entwicklung in den oberen Sphären.

Die Kadetten verhielten sich der Beratung gegenüber bis zuletzt nicht nur gleichgültig, sondern direkt misstrauisch.

Mit Feindseligkeit wird die Reise nach Moskau auch vom „Djelo Naroda" besprochen, einem Organ derjenigen Partei, die in der Regierung durch Kerenski. Aksentjew, Sawinkow, Tschernow und Lebedew vertreten ist. „Soll gefahren werden. dann fahren wir halt," stöhnt auch die „Rabotschaja Gazeta", dabei an jenen Papagei erinnernd, den die Katze am Schwanz zog. Die Reden der Rjabuschinski. Aleksiew. Kaledin und anderer über die regierende „Abenteurerbande" sind noch lange kein Beweis dafür, dass diese Herren nach Aufopferungsumarmungen mit Aksentjew lechzen. Schließlich misst auch die Regierung nach Zeitungsmeldungen der Moskauer Beratung keine „entscheidende Bedeutung" zu. Zu wessen Nutzen also? Wer braucht diese Beratung und wozu? Es ist klar wie der helle Tag. dass sie nur gegen die Sowjets gerichtet ist. Denn diese gehen nicht freiwillig zur Beratung, sie werden dahin am Lasso geschleppt. Die gegenrevolutionären Klassen brauchen die Moskauer Beratung als Stutze für die endgültige Vernichtung der Sowjets.

Warum aber klingt die Stimme der verantwortlichen Organe der Bourgeoisie in diesem Falle so gedämpft? Weil Miljukow fürchtet, dass Kerenski aus der Beratung sehr gestärkt hervorgehen und dass dann seine, Miljukows, politische Ferien sich zu sehr in die Länge ziehen könnten. Und jeder Patriot hat, wie bekannt, Eile, das Vaterland auf seine Art zu retten.

Das Resultat der „historischen" Nacht im Winterpalais war das Kerenski-Regiment. Bonapartismus eines Sextaners. Die Moskauer Beratung aber, ihrem Bestand und ihren Zielen nach, ist eine Wiederholung der historischen Nacht sozusagen bei Tageslicht. Zeretelli wird noch einmal ganz Russland erklären müssen, dass der Übergang der Macht zur revolutionären Demokratie den Untergang der Revolution bedeuten würde. Nach dieser feierlichen Verkündung des eigenen Bankrotts werden die Vertreter der revolutionären Demokratie eine scharfe, gegen sie gerichtete Anklage zu hören bekommen, eine Anklage, die schon im Voraus von Rodsjanko, Rjabuschinski, Miljukow. dem General Aleksiew und anderen „lebendigen Kräften" des Landes vorbereitet ist Unsere imperialistische Clique, der von der Regierung auf der Beratung der Paradeplatz reserviert ist, wird mit der Parole „Alle Macht uns“' hervortreten. Die Sowjetführer werden angesichts des unübersehbaren Appetits der besitzenden Klassen diesen mit der Empörung jener selben Arbeiter und Soldaten drohen, die von Zeretelli entwaffnet worden sind unter der Parole: „Alle Macht den Räten". Kerenski wird, als Vorsitzender, nur das Vorhandensein „verschiedener Meinungen" konstatieren und die Aufmerksamkeit der „interessierten Kreise" darauf lenken, dass sie unter keinen Umständen ohne Schiedsrichter auskommen können. Was zu beweisen war.

Wenn ich in der Regierung säße" – gestand in der Sitzung des Zentralexekutivkomitees der Menschewik Bogdanow – „hätte ich diese Beratung nicht einberufen, denn die Regierung wird dabei nicht das erzwingen, wonach sie strebt: de Verstärkung und Vertiefung ihrer Grundlage." Man muss zugeben, dass diese „Realpolitiker" absolut nicht begreifen, was unter ihrer direkten Beteiligung vor sich geht. Nach dem Zerfall der Koalition des J Juli hat die Weigerung der Sowjets, die Macht zu übernehmen, die Möglichkeit einer Regierung auf breiter Grundlage ausgeschlossen. Die keiner Kontrolle unterstehende Regierung Kerenski ist dem Prinzip nach eine Regierung ohne soziale Grundlage. Sie hat sich bewusst zwischen die beiden in Betracht kommenden Grundlagen gestellt: zwischen das werktätige Volk und die imperialistischen Klassen. Darin besteht ihr Bonapartismus. Die Aufgabe der Moskauer Beratung besteht darin, die besitzenden Klassen und die demokratischen Parteien aufeinander zu hetzen und die persönliche Diktatur zu stärken, die mittels einer hemmungslosen Abenteurer-Politik alle Eroberungen der Revolution untergräbt.

Hierfür ist die Opposition von links genau so notwendig wie die Opposition von rechts. Notwendig ist nur, dass die beiden sich ungefähr die Waagschale halten und dass dieses Gleichgewicht von den sozialen Bedingungen getragen wird. Aber gerade das fehlt.

Der alte Cäsarismus ist aus dem Kampf der Klassen mitten in einer freien Gesellschaft entstanden, aber die sichere Grundlage aller kämpfenden Fraktionen und ihres Cäsars war die Arbeit. Der neue Cäsarismus hingegen ist aus dem Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie entstanden und sucht die ihm notwendige Stutze in der geduldigen Standhaftigkeit der Bauern. Dabei ist die Hauptwaffe des Bonapartismus eine gut disziplinierte Armee. Bei uns aber ist noch keine von diesen Bedingungen vorhanden. Die ganze Gesellschaft ist durchbohrt von schneidenden, entblößten Antagonismen, die den höchsten Grad der Spannung erreicht haben. Der Kampf zwischen den Arbeitern und den Kapitalisten, den Bauern und den Junkern, den Soldaten und der Generalität, den unterdrückten Nationalitäten und der Zentralmacht lässt den letzteren keinen einzigen Stützpunkt, wenn die Regierung sich nicht entschließen wird, ihr Schicksal mit einer der kämpfenden Seiten zu verbinden Zur Durchführung der Agrarrevolution werden die Versuche der „Überklassendiktatur" immer nur ephemer, das heißt, schnell vorübergehend bleiben.

Miljukow. Rodsjanko, Rjabuschinski wünschen, dass die Macht sich absolut in ihnen verkörpern möge, das heißt, dass sie sich in eine gegenrevolutionäre Diktatur der Ausbeuter über die revolutionären Arbeiter. Bauern und Soldaten verwandle. Kerenski will die Demokratie mit der Gegenrevolution erschrecken und die Gegenrevolution mit der Demokratie, um darauf die Diktatur der persönlichen Macht aufzubauen, von der die Massen nichts Gutes erben werden. Doch all das sind Rechnungen ohne den Wirt. Die revolutionären Massen haben noch nicht ihr letztes Wort gesagt.

1 Trudowiki, „Fraktion der Arbeit", Dumafraktion der Sozialisten-Revolutionäre. D.H.

2 Gutschkow, Führer der Oktobristen . (nationalliberal), der erste Kriegsminister der Provisorischen Regierung. D.H.

3 Jene Nacht in den Julitagen, in der die Kadetten-Minister aus der Regierung austraten. D.H.

4 Taurisches Palais, Sitz der Zentralexekutive der Allrussischen Sowjets. D.H.

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