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Leo Trotzki 19171230 Den Völkern und Regierungen der verbündeten Länder!

Leo Trotzki: Den Völkern und Regierungen der verbündeten Länder!

[Nach Ernst Drahn (Hg.): Brest-Litowsk. Berlin 1920, S. 19-22]

Die in Brest-Litowsk geführten Friedensverhandlungen zwischen der Delegation der russischen Republik und den Delegationen Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Türkei und Bulgariens sind auf zehn Tage bis 20. Dezember unterbrochen und damit den Verbündeten die letzte Gelegenheit gegeben, sich von allen Folgen des Separatfriedens zwischen Russland und den feindlichen Ländern zu schützen.

In Brest-Litowsk sind zwei Programme vorgelegt, das eine den Standpunkt des allrussischen Verbandes der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten äußernd, das andere von den Regierungen Deutschlands und seiner Verbündeten ausgehend.

Das Programm der russischen Republik ist ein sozialdemokratisches. Dasselbe hat zur Aufgabe, solche Bedingungen hervorzubringen, durch welche, einerseits, jede Völkerschaft die volle Freiheit der nationalen Entwicklung erhält, andererseits alle Völker sich in ökonomischer und kultureller Mitarbeit vereinen können. Das Programm der feindlichen Regierungen ist dargelegt in der Angabe, dass es nicht in der Absicht der verbündeten Reiche (d. h. Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei und Bulgarien) liegt, sich die während des Krieges eroberten Territorien gewaltsam anzueignen. Das heißt, dass die feindlichen Länder bereit sind, nach Friedensabschluss die okkupierten Territorien von Belgien, die nördlichen Departements Frankreichs, Serbiens, Tschernigoriens [Montenegros], Rumäniens, Polens, Litauens und Kurlands zu räumen, damit das weitere Schicksal der betreffenden Gebiete die daran beteiligte Bevölkerung selbst bestimmen kann. Der Schritt, welchen die feindlichen Regierungen dem Programm der Demokratie entgegen machen, besteht in dem Willen, neuen gewaltsamen Annexionen und Kontributionen zu entsagen. Aber dieser Verzicht auf neue Annexionen steht von der Idee aus, dass die früheren Aneignungen und die früheren Gräueltaten der Mächtigen gegen die Schwächeren der geschichtlichen Verjährung anheimfallen, das heißt, das Schicksal von Elsass-Lothringen, Transsylvanien, Bosnien, der Herzegowina u. a. einerseits, von Irland, Ägypten, Indien, Indochina u. a. andererseits, unterliegt keiner neuen Durchsicht. Solch ein Programm stellt nur den Plan eines prinzipienlosen Ausgleiches zwischen dem drückenden Imperialismus und der dagegen wirkenden Arbeiterdemokratie dar. Dennoch ist dieses Programm ein großer Schritt vorwärts.

Die Regierungen der verbündeten Völker nehmen bis jetzt an den Friedensverhandlungen nicht teil, – aus Gründen, die sie genauer noch nicht angegeben haben.

Jetzt darf man nicht mehr wiederholen, dass der Krieg geführt wird um die Befreiung von Belgien, der nördlichen Gebiete Frankreichs, Serbiens usw., da Deutschland und seine Verbündeten sich bereit erklärt haben, im Falle des allgemeinen Friedens diese Gebiete zu räumen. Jetzt, nachdem die Friedensbedingungen von unseren Gegnern vorgelegt worden sind, können wir nicht mehr mit allgemeinen Worten über die Notwendigkeit der Kriegführung bis zum Ende abgefertigt werden. Es muss nun klar und deutlich gesagt werden, welcher Art das Friedensprogramm von Frankreich, England, Italien und den Vereinigten Staaten ist. Verlangen sie gemeinsam mit uns die Freiheit der Selbstbestimmung für die Bevölkerung von Elsass-Lothringen, Galizien, Polen, Böhmen und der südslawischen Gebiete, so sind sie auch ihrerseits einverstanden, das Recht der Selbstbestimmung der Bevölkerung von Irland, Ägypten, Indien, Madagaskar, Indochina usw. zu geben, wie die russische Revolution dieses Recht der Bevölkerung von Finnland, Ukraine, Weißrussland usw. gegeben hat. Denn es ist klar, die Selbstbestimmung für die Bevölkerung des feindlichen Reiches zu verlangen, der Bevölkerung des eigenen Reiches oder der eigenen Kolonien aber dieses Recht zu versagen, soviel heißen würde, als unverhüllt für das Programm des brutalsten Imperialismus eintreten. Wenn die Regierungen der verbündeten Länder sich bereit erklären würden, zugleich mit der russischen Revolution einen Frieden anzubahnen auf Grund der vollen und unbedingten Anerkennung., aller Völker und in allen Reichen, wenn sie anfangen würden, dieses Recht tatsächlich dem bedrückten Volke des eigenen Reiches zu geben, so würden dadurch Bedingungen geschaffen, welche das innerlich sich widersprechende Programm Deutschlands und besonders Österreich-Ungarns in seiner ganzen Haltlosigkeit zeigen, und es so durch den Druck der beteiligten Völker vernichten würden.

Bis jetzt aber haben die verbündeten Regierungen absolut keine Bereitwilligkeit gezeigt, und ihrem Klassencharakter nach konnten sie auch keine Bereitwilligkeit zeigen, einen wirklichen demokratischen Frieden abzuschließen. Zum Prinzip der nationalen Selbstbestimmung verhalten sie sich nicht weniger verdächtig und feindlich, als die Regierungen Deutschlands und Österreich-Ungarns. In dieser Hinsicht täuscht sich das Proletariat der verbündeten Länder ebenso wenig wie das russische.

Bei den zur Zeit bestehenden Regierungen kann die Rede nur davon sein, dass dem Programm des imperialistischen Kompromisses, welches die Friedensbedingungen Deutschlands und seiner Verbündeten darstellt, ein anderes Programm imperialistischen Kompromisses von Seiten Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und der Vereinigten Staaten entgegengestellt wird. Welches ist das Programm der Letzteren? Zu welchen Zwecken können dieselben die weitere Fortsetzung des Krieges verlangen? Auf diese Fragen muss jetzt, nachdem in Brest-Litowsk zwei Friedensprogramme vorgelegt sind, unbedingt eine klare, deutliche und bestimmte Antwort gegeben werden.

Zehn Tage trennen uns noch von der Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen. Russland geht in die Verhandlungen ohne das Einverständnis der Verbündeten. Wenn die Letzteren die Sache des allgemeinen Friedens weiter verhindern, so wird die russische Delegation sich dennoch einfinden zur Fortsetzung der Verhandlung. Ein Separatfrieden, unterschrieben von Russland, würde unbedingt ein schwerer Schlag für die Verbündeten, besonders für Frankreich und Italien sein.

Die Voraussicht aber der unabwendbaren Folgen eines Separatfriedens muss die Politik nicht nur Russlands, sondern auch Frankreichs, Italiens und der anderen Verbündeten bestimmen. Die Räteherrschaft hat bis jetzt mit allen Mitteln um den allgemeinen Frieden gekämpft. Niemand kann die Menge der auf diesem Wege errungenen Resultate leugnen. Weiter aber hängt alles von den Verbündeten selbst ab, die eigenen Regierungen um die sofortige Vorlegung ihrer Friedenspläne zu drängen und auf Grund derselben an den Verhandlungen teilzunehmen, das ist jetzt die Aufgabe der Arbeiterklassen der Entente.

Die russische Revolution hat die Tür zum sofortigen allgemeinen Frieden geöffnet. Wenn die verbündeten Regierungen bereit sind, diese letzte Gelegenheit zu benutzen, können die allgemeinen Verhandlungen sofort in einem von den neutralen Ländern eröffnet werden. In diesen Verhandlungen, unter Bedingung ihrer vollständigen Öffentlichkeit, wird die russische Delegation wie früher für das Programm der internationalen Sozialdemokratie stehen im Gegensatz zu den imperialistischen Programmen der feindlichen, wie auch der verbündeten Regierungen, Der Erfolg unseres Programms wird davon abhängen, in welchem Maße der Wille der imperialistischen Klasse von dem Willen des revolutionären Proletariats in jedem einzelnen Lande gelähmt werden wird.

Wenn aber die verbündeten Regierungen in blinder Hartnäckigkeit, welche die verfallenden und umkommenden Klassen kennzeichnet, von Neuem die Teilnahme an den Verhandlungen ablehnen, dann wird die Arbeiterklasse vor die eiserne Notwendigkeit gestellt sein, die Herrschaft aus den Händen derer zu reißen, die den Völkern den Frieden nicht geben können oder wollen.

In diesen zehn Tagen entscheidet sich das Schicksal von Hunderttausenden und Millionen Menschen. Wenn an der französischen und italienischen Front jetzt kein Waffenstillstand geschlossen wird, so wird das neue Vorrücken, ebenso sinnlos, erbarmungslos und erfolglos wie alle früheren, wieder neue unsägliche Opfer von beiden Seiten verschlingen. Die automatische Logik dieser Schlacht, hervorgerufen von den herrschenden Klassen, führt zur vollständigen Vertilgung der Blüte der europäischen Nationen. Die Völker aber wollen leben und sie haben ein Recht darauf. Sie haben das Recht und sie sind verpflichtet, zur Seite zu schleudern alle, die am Leben sie hindern.

Indem wir uns an die Regierungen mit dem letzten Angebot um Teilnahme an den Friedensverhandlungen wenden, sichern wir gleichzeitig unsere vollständige Unterstützung der Arbeiterklasse jedes Landes zu, welche sich erhebt gegen ihre nationalen Imperialisten, gegen die Militaristen unter dem Banner des Friedens, der Völkerverbrüderung und der sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft.

Der Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten.

L. Trotzki.

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