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Leo Trotzki 19171030 Gespräch mit John Reed

Leo Trotzki: Gespräch mit John Reed1

(17. Oktober)

[Nach John Reed. „10 Tage, die die Welt erschütterten", Hamburg 1922, S. 33-35, s. auch Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Die Provisorische Regierung ist absolut machtlos. Es herrscht die Bourgeoisie; nur wird diese Herrschaft von einer fiktiven Koalition mit den „Oborontsi“2-Parteien verdeckt. Jetzt, während der Revolution, häufen sich die Aufstände der Bauern, die des Wartens auf das ihnen versprochene Land müde sind, und auch bei den übrigen werktätigen Klassen des ganzen Landes zeigt sich die gleiche tiefe Unzufriedenheit. Die Bourgeoisie kann ihre Herrschaft nur mittels des Bürgerkrieges aufrechterhalten. Die Kornilow-Methode ist die einzige, deren sie sich bedienen kann. Aber ihr geht die Kraft aus. Die Armee ist mit uns. Die Kompromissler und Pazifisten, Sozialrevolutionäre und Menschewiki, haben allen Kredit bei den Volksmassen verloren; denn der Kampf zwischen Bauern und Grundherren, Arbeitern und Kapitalisten, Soldaten und Offizieren ist heute schärfer und unversöhnlicher denn je. Nur die vereinte Aktion der Volksmassen, der Sieg der proletarischen Diktatur, kann die Revolution vollenden und das Volk retten.

Die Sowjets sind die denkbar vollkommenste Vertretung des Volkes, vollkommen in ihrer revolutionären Erfahrung, wie in ihren Ideen und Zielen. Direkt basiert auf der Armee in den Schützengräben, den Arbeitern in den Fabriken, den Bauern auf ihren Feldern, sind sie das Rückgrat der Revolution.

Das Resultat des Versuchs, eine Macht ohne die Sowjets zu schaffen, hat nur absolute Machtlosigkeit zur Folge gehabt. In den Korridoren des Rates der Russischen Republik werden zur Zeit die verschiedensten gegenrevolutionären Pläne ausgeheckt. Der Vorkämpfer der Gegenrevolution ist die Kadettenpartei, während die Sache des Volkes von den Sowjets vertreten wird. Zwischen diesen beiden Gruppen gibt es ernstzunehmende politische Gruppen nicht. Es ist der Endkampf. Die bürgerliche Gegenrevolution sammelt alle ihre Kräfte und wartet auf den Moment, um gegen uns loszuschlagen. Unsere Antwort wird entscheidend sein. Wir werden das im März begonnene und während der Kornilow-Affäre fortgesetzte Werk vollenden.“

Über die auswärtige Politik der neuen Regierung sagte er:

Unsere erste Handlung wird ein Aufruf zum sofortigen Abschluss eines Waffenstillstandes an allen Fronten sein. Wir werden sofort eine Völkerkonferenz vorschlagen, deren Aufgabe die Diskutierung eines Friedensschlusses auf demokratischer Grundlage zu sein hat. Inwieweit dieser Friedensschluss demokratisch sein wird, hängt von dem Maß der sich in Europa auswirkenden revolutionären Energie ab. Die Errichtung einer Sowjetregierung hier in Russland wird ein mächtiger Faktor für den Frieden in Europa sein: denn diese Regierung wird sich mit ihrem Waffenstillstandsvorschlag an die Völker unmittelbar und direkt, über die Köpfe ihrer Regierungen hinweg, wenden. Im Moment des Friedensschlusses wird die Tatsache der russischen Revolution sich gegen Annexionen und Kriegsentschädigungen, für die Selbstbestimmung der Völker und für die Errichtung einer Föderativen Republik von Europa auswirken. Ich sehe Europa am Ende dieses Krieges neugeschaffen, nicht von Diplomaten, sondern vom Proletariat. Die Föderative Republik von Europa – das ist es, was werden muss. Nationale Selbständigkeit genügt nicht mehr. Die wirtschaftliche Entwicklung erheischt die Beseitigung der nationalen Grenzen. Bleibt Europa auch weiterhin in nationale Gruppen zersplittert, dann beginnt der Imperialismus sein Werk von neuem. Nur eine Föderative Republik von Europa kann der Welt den Frieden geben. Im Augenblick jedoch, ohne das aktive Eingreifen der Massen in Europa, sind diese Ziele nicht zu verwirklichen.

1 Dieses Gespräch wird von John Reed wiedergegeben. Es ist daher natürlich, dass der Text hier nur annähernd wiedergibt, was L. D. Trotzki Reed sagte. [Anmerkung der Сочинения] [Das Gespräch wird mit folgenden Sätzen eingeleitet]: „Am 30. Oktober hatte ich eine Unterredung mit Trotzki. Wir trafen uns in einem im Dachgeschoss des Smolny gelegenen kleinen, völlig kahlen Zimmer, in dem sich nur ein einfacher Tisch und ein paar Stühle befanden. Ich stellte einige wenige Fragen, und Trotzki sprach schnell und ununterbrochen länger als eine Stunde. Den wesentlichen Inhalt dessen, was er sagte, führe ich hier mit seinen eigenen Worten an:“

2 Vaterlandsverteidiger

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