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Leo Trotzki 19170518 Rede im Sowjet gegen die Koalitionsregierung

Leo Trotzki: Rede im Sowjet gegen die Koalitionsregierung

[Auszug, Nach Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der Revolution, Frankfurt am Main 1981, S. 108 f.]

Die Nachricht von der russischen Revolution erreichte uns in New York, aber selbst in jenem großen Land, in dem die Bourgeoisie herrscht wie nirgendwo sonst, hat die russische Revolution das ihrige getan. Dem amerikanischen Arbeiter hat man einige ungünstige Dinge nachgesagt. Es heißt, dass er die Revolution nicht unterstützt. Aber hätten Sie den amerikanischen Arbeiter im Februar gesehen, dann würden Sie doppelt stolz auf Ihre Revolution sein. Sie würden verstanden haben, dass sie nicht nur Russland, nicht nur Europa, sondern auch Amerika erschüttert hat. Ihnen wäre, wie mir, klar geworden, dass sie eine neue Epoche eröffnete, eine Epoche von Blut und Eisen, nicht in einem Krieg der Völker, sondern in einem Krieg der unterdrückten Klassen gegen die herrschenden Klassen. Auf allen Versammlungen baten mich die Arbeiter, Ihnen ihre herzlichsten Grüße auszurichten. Aber ich muss Ihnen etwas über die Deutschen erzählen. Ich hatte Gelegenheit, mit einer Gruppe deutscher Proletarier in engen Kontakt zu kommen. Sie fragen mich, wo? In einem Lager für Kriegsgefangene. Die bürgerliche englische Regierung verhaftete uns als Feinde und steckte uns in ein Gefangenenlager in Kanada. Dort waren etwa hundert deutsche Offiziere und achthundert Matrosen. Sie fragten mich, was geschehen sei, dass wir russische Bürger zu Gefangenen der Engländer gemacht worden seien. Als ich ihnen sagte, dass wir von den Engländern nicht, weil wir Russen, sondern weil wir Sozialisten waren, gefangengesetzt wurden, meinten sie, dass sie Sklaven ihrer Regierung, ihres Wilhelms [Kaiser Wilhelm II.] wären …

Diese Unterhaltung missfiel den deutschen Offizieren, und sie beschwerten sich beim englischen Kommandanten, dass wir die Kaisertreue der Matrosen unterminierten. Der englische Hauptmann, ängstlich darauf bedacht, dem Kaiser die Treue seiner Matrosen zu erhalten, verbot mir alle weiteren Ansprachen. Die Matrosen legten beim Kommandanten Protest ein. Als wir uns verabschiedeten, begleiteten uns die Matrosen mit Musik und riefen: »Nieder mit Wilhelm! Nieder mit der Bourgeoisie! Es lebe das vereinte internationale Proletariat!« Was hier in den Köpfen der deutschen Matrosen vorging, interessiert Arbeiter in allen Ländern. Die russische Revolution ist der Prolog der Weltrevolution.

Aber ich kann nicht verheimlichen, dass ich nicht mit allem, was hier geschieht, einverstanden bin. Ich halte es für gefährlich, sich dem Ministerium anzuschließen. Ich glaube nicht, dass das Ministerium Wunder bewirken kann. Wir hatten zuvor, infolge der gegensätzlichen Standpunkte zweier Klassen, eine Doppelregierung. Die Koalitionsregierung wird diesen Dualismus nicht beseitigen, sondern ihn lediglich auf das Ministerium übertragen. Die Revolution wird wegen einer Koalitionsregierung nicht zugrunde gehen. Wir sollten uns daher drei Regeln vor Augen halten: 1. Traut nicht der Bourgeoisie. 2. Lasst uns unsere eigenen Führer kontrollieren. 3. Vertraut auf die eigene revolutionäre Kraft.

Was empfehlen wir? Ich glaube, dass der nächste Schritt die Übergabe der ganzen Macht an den Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten sein muss. Nur wenn die Autorität in einer Hand konzentriert ist [d. h. im Sowjet], kann Russland gerettet werden. Es lebe die russische Revolution als Auftakt zur Weltrevolution!

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