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Ottokar Graf Czernin 19171225 Erklärung der verbündeten Mächte

Ottokar Graf Czernin: Erklärung der verbündeten Mächte, dargelegt

vom Minister für Auswärtige Angelegenheiten Österreich-Ungarns

25. Dezember 1917

[DZA Potsdam. Nach: Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluss des Rapallovertrages. Berlin 1967, S. 194-197]

Czernin: Meine hochverehrten Herren! In der letzten Sitzung hat der Sprecher der Russischen Delegation jene Grundsätze mitgeteilt, auf Grund derer er einen Frieden für gangbar hält. Ich erlaube mir nun, die Antwort der vier verbündeten Mächte auf die Grundzüge vorzutragen. Dieselbe lautet:

Die Delegationen der verbündeten Mächte gehen von dem klar ausgesprochenen Willen ihrer Regierungen und ihrer Völker aus, möglichst bald den Abschluss eines allgemeinen, gerechten Friedens zu erreichen.

Die Delegationen der Verbündeten sind in Übereinstimmung mit dem wiederholt kundgegebenen Standpunkt ihrer Regierungen der Ansicht, dass die Leitsätze des russischen Vorschlags eine diskutable Grundlage für einen solchen Frieden bilden können.

Die Delegationen des Vierbundes sind mit einem sofortigen allgemeinen Frieden ohne gewaltsame Gebietserwerbungen und ohne Kriegsentschädigungen einverstanden. Wenn die russische Delegation die Fortsetzung des Krieges nur zu Eroberungszwecken verurteilt, so schließen sich die Delegationen der Verbündeten dieser Auffassung an. Die Staatsmänner der verbündeten Regierungen haben wiederholt in programmatischen Erklärungen betont, die Verbündeten würden, um Eroberungen zu machen, den Krieg nicht um einen Tag verlängern. An diesem Standpunkt haben die Regierungen der Verbündeten stets unbeirrt festgehalten. Sie erklären feierlich ihren Entschluss, unverzüglich einen Frieden zu unterschreiben, der diesen Krieg auf Grundlage der vorstehenden, ausnahmslos für alle kriegführenden Mächte in gleicher Weise gerechten Bedingungen beendet.

Es muss aber ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sich sämtliche, jetzt am Krieg beteiligten Mächte innerhalb einer angemessenen Frist ausnahmslos und ohne jeden Rückhalt, zur genauesten Beobachtung der alle Völker in gleicher Weise bindenden Bedingungen verpflichten müssen, wenn die Voraussetzungen der russischen Darlegung erfüllt sein sollen. Denn es würde nicht angehen, dass die jetzt mit Russland verhandelnden Mächte des Vierbundes sich einseitig auf diese Bedingungen festlegen, ohne die Gewähr dafür zu besitzen, dass Russlands Bundesgenossen diese Bedingungen ehrlich und rückhaltlos auch dem Vierbunde gegenüber anerkennen und durchführen.

Dieses vorausgeschickt, ist zu den von der russischen Delegation als Verhandlungsgrundlagen vorgeschlagenen 6 Punkten das Nachfolgende zu bemerken:

Zu 1: Eine gewaltsame Aneignung von Gebieten, die während des Krieges besetzt worden sind, liegt nicht in den Absichten der verbündeten Regierungen. Über die Truppen in den zur Zeit besetzten Gebieten wird im Friedensvertrag Bestimmung getroffen, soweit nicht über die Zurückziehung an einigen Stellen vorher Einigkeit erzielt wird.

Zu 2: Es liegt nicht in der Absicht der Verbündeten, eines der Völker, die in diesem Kriege ihre politische Selbständigkeit verloren haben, dieser Selbständigkeit zu berauben.

Zu 3: Die Frage der staatlichen Zugehörigkeit nationaler Gruppen, die keine staatliche Selbständigkeit besitzen, kann nach dem Standpunkt der Vierbundmächte nicht zwischenstaatlich geregelt werden. Sie ist im gegebenen Fall von jedem Staat mit seinen Völkern selbständig auf verfassungsmäßigem Wege zu lösen.

Zu 4: Desgleichen bildet nach Erklärungen von Staatsmännern des Vierbundes der Schutz des Rechtes der Minoritäten einen wesentlichen Bestandteil des verfassungsmäßigen Selbstbestimmungsrechts der Völker. Auch die Regierungen der Verbündeten verschaffen diesem Grundsatz, soweit er praktisch durchführbar erscheint, überall Geltung.

Zu 5: Die verbündeten Mächte haben mehrfach die Möglichkeit betont, dass nicht nur auf den Ersatz der Kriegskosten, sondern auch auf den Ersatz der Kriegsschäden wechselseitig verzichtet werden könnte. Hiernach würden von jeder kriegführenden Macht nur die Aufwendungen für ihre in Kriegsgefangenschaft geratenen Angehörigen sowie die im eigenen Gebiet durch völkerrechtswidrige Gewaltakte den Zivilangehörigen des Gegners zugefügten Schäden zu ersetzen sein.

Die von der russischen Regierung vorgeschlagene Schaffung eines besonderen Fonds für diese Zwecke könnte erst dann zur Erwägung gestellt werden, wenn die anderen Kriegführenden innerhalb einer angemessenen Frist sich den Friedensverhandlungen anschließen.

Zu 6: Von den vier verbündeten Mächten verfügt nur Deutschland über Kolonien. Seitens der deutschen Delegation wird hierzu, in voller Übereinstimmung mit den russischen Vorschlägen folgendes erklärt:

Die Rückgabe der während des Krieges gewaltsam in Besitz genommenen Kolonialgebiete ist ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Forderungen, von denen unter keinen Umständen abgegangen werden kann. Ebenso entspricht die russische Forderung der alsbaldigen Räumung solcher vom Feind besetzten Gebiete den deutschen Absichten.

Bei der Natur der deutschen Kolonialgebiete scheint, von den früher erörterten grundsätzlichen Erwägungen abgesehen, die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in den von der russischen Delegation vorgeschlagenen Formen zur Zeit nicht durchführbar. Der Umstand, dass in den deutschen Kolonien die Eingeborenen trotz der größten Beschwerden und trotz der geringen Aussichten eines Kampfes gegen den um das vielfache überlegenen, über unbeschränkten überseeischen Nachschub verfügenden Gegner in Not und Tod treu zu ihren deutschen Freunden gehalten haben, ist ein Beweis ihrer Anhänglichkeit und ihres Entschlusses, unter allen Umständen bei Deutschland zu bleiben; ein Beweis, der an Ernst und Gewicht jede mögliche Willenskundgebung durch Abstimmung weit übertrifft.

Die von der russischen Delegation im Anschluss an die oben erörterten 6 Punkte vorgeschlagenen Grundsätze für den wirtschaftlichen Verkehr finden die uneingeschränkte Zustimmung der Delegationen der verbündeten Mächte, welche von jeher für die Ausschließung jedweder wirtschaftlichen Vergewaltigung eingetreten sind und die in der Wiederherstellung eines geregelten und den Interessen aller Beteiligten volle Rechnung tragenden Wirtschaftsverkehrs eine der wichtigsten Vorbedingungen für die Anbahnung und den Ausbau freundschaftlicher Beziehungen zwischen den derzeit kriegführenden Mächten erblicken.“

Diesen Grundsätzen muss ich folgendes hinzufügen: auf der Grundlage nur dieser verkündeten Prinzipien sind wir bereit, in sofortige Friedensverhandlungen mit unseren Gegnern zu treten. Damit kein nutzloser Zeitverlust eintritt, sind die Verbündeten ohne jede Verzögerung bereit, mit der speziellen Beratung derjenigen Punkte zu beginnen, deren Klärung sowohl für die russische Regierung als auch für die Verbündeten in allen Beziehungen notwendig erscheint.1

1Der letzte Absatz dieser Erklärung wurde aus dem russischen Wortlaut übersetzt.

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