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Richard von Kühlmann u.a. 19171228 Die österreichisch-deutschen Friedensbedingungen

Richard von Kühlmann u.a.:

Die österreichisch-deutschen Friedensbedingungen

unterbreitet in der Sitzung der Politischen Kommission der Friedenskonferenz in Brest-Litowsk1, 15./28. Dezember 1917

[DZA Potsdam. Nach: Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluss des Rapallovertrages. Berlin 1967, S. 206-211]

Artikel I

Russland und Deutschland erklären die Beendigung des Kriegszustandes. Beide Nationen sind entschlossen, fortan in Frieden und Freundschaft zusammen zu leben.

Deutschland würde unter der Voraussetzung der zugestandenen vollen Gegenseitigkeit gegenüber seinen Bundesgenossen bereit sein, sobald der Friede mit Russland geschlossen und die Demobilisierung der russischen Streitkräfte durchgeführt ist, die jetzigen Stellungen und das besetzte russische Gebiet zu räumen, soweit sich nicht aus dem Artikel II ein anderes ergibt.

Artikel II

Nachdem die russische Regierung entsprechend ihren Grundsätzen für alle im Verband des russischen Reiches lebenden Völker ohne Ausnahme ein bis zu ihrer völligen Absonderung gehendes Selbstbestimmungsrecht proklamiert hat, nimmt sie Kenntnis von dem Beschluss, worin der Volkswille ausgedrückt ist, für Polen sowie für Litauen, Kurland, Teile von Estland und Livland die volle staatliche Selbständigkeit in Anspruch zu nehmen und aus dem russischen Reichsverband auszuscheiden.

Die russische Regierung erkennt an, dass diese Kundgebungen unter den gegenwärtigen Verhältnissen als Ausdruck des Volkswillens anzusehen sind, und ist bereit, die hieraus sich ergebenden Folgerungen zu ziehen.

Da in denjenigen Gebieten, auf welche die vorstehenden Bestimmungen Anwendung finden, die Frage der Räumung nicht so liegt, dass diese gemäß den Bestimmungen des Artikels I vorgenommen werden kann, so werden Zeitpunkt und Modalitäten der nach russischer Auffassung nötigen Bekräftigung der schon vorliegenden Lostrennungserklärungen durch ein Volksvotum auf breiter Grundlage, bei der irgend ein militärischer Druck in jeder Weise auszuschalten ist, der Beratung und Festsetzung durch eine besondere Kommission vorbehalten.

Artikel III

Die Verträge, Abkommen und Vereinbarungen, die zwischen den vertragschließenden Teilen vor der Kriegserklärung in Kraft gewesen sind, treten wieder in Kraft, soweit sie nicht mit den in den Gebieten dieser Teile während des Krieges eingetretenen Veränderungen in Widerspruch stehen.

Jeder Teil verpflichtet sich, dem anderen Teil binnen drei Monaten nach Unterzeichnung der Friedenspräliminarien die Verträge, Abkommen oder Vereinbarungen oder deren Einzelbestimmungen mitzuteilen, die nach Absatz 1 nicht wieder in Kraft treten sollen; handelt es sich dabei um Einzelbestimmungen, so steht dem anderen Teil binnen einer weiteren Frist von einem Monat der Rücktritt vom ganzen Vertrag frei. Die außer Kraft bleibenden Vertragsbestimmungen sollen tunlichst bald durch neue Verträge ersetzt werden, die den veränderten Anschauungen und Verhältnissen entsprechen.

Artikel IV

Jeder vertragschließende Teil wird die Angehörigen, Schiffe und Waren des anderen Teiles in allen Angelegenheiten rechtlicher oder wirtschaftlicher Natur keinesfalls ungünstiger behandeln, als die Angehörigen, Schiffe oder Waren irgendeines Staates der hinsichtlich der in Betracht kommenden Angelegenheiten keine Vertragsrechte genießt.

Artikel V

Die vertragschließenden Teile sind einverstanden, dass mit dem Friedensschluss der Krieg auch auf wirtschaftlichem Gebiet sein Ende findet. Sie werden sich wechselseitig an keinerlei Maßnahmen, die auf eine Fortsetzung der Feindseligkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet hinauslaufen, unmittelbar oder mittelbar beteiligen und innerhalb ihres Staatsgebietes solche Maßnahmen, auch wenn sie von privater oder sonstiger Seite ausgehen, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln verhindern. Andererseits werden sie Hindernisse, die der Wiederaufnahme freundschaftlicher Handels- und Geschäftsbeziehungen entgegenstehen, aus dem Wege räumen und den Warenaustausch zwischen den beiden Ländern, insbesondere unter Ausgleich von Überschuss und Mangel erleichtern.

In der Übergangszeit, die zur Überwindung der Kriegsfolgen und zur Neuordnung der Verhältnisse erforderlich ist, werden sie die Verkehrsbeschränkungen, wie Ausfuhrverbote, Regelung der Einfuhr usw., die während dieser Zeit unumgänglich sind, derart handhaben, dass sie gegenseitig möglichst wenig lästig empfunden werden. Andererseits werden sie in dieser Zeit die Versorgung mit den nötigen Gütern möglichst wenig durch Eingangszölle belasten und daher alsbald in Verhandlung treten, um soweit als tunlich die während des Krieges festgesetzten Zollbefreiungen vorübergehend noch aufrecht zu halten und weiter auszudehnen. Zugleich werden sie in dieser Zeit den Warenaustausch nach Möglichkeit organisieren. Zu diesem Zweck werden gemischte Kommissionen eingesetzt werden, die möglichst bald in Tätigkeit treten sollen.

Artikel VI

Die vertragschließenden Teile werden alsbald in Verhandlung treten, um anstelle des Handels- und Schifffahrtsvertrages von 1894/1904, der nicht wieder in Kraft treten wird, einen neuen Handels-und Schifffahrtsvertrag abzuschließen, dessen Bestimmungen den neuen Verhältnissen angepasst sind.

Artikel VII

Unbeachtet des Abschlusses eines neuen Handels- und Schifffahrtsvertrages werden die vertragschließenden Teile einander auf die Dauer von mindestens 20 Jahren in Angelegenheiten des Handels und der Schifffahrt die Rechte der meist begünstigten Nation einräumen. Kein Teil wird jedoch den Mitgenuss von Begünstigungen in Anspruch nehmen, welche jeweils im kleinen Grenzverkehr bestehen, oder welche Russland angrenzenden asiatischen Ländern oder den aus dem russischen Reich ausscheidenden selbständigen Staaten einräumt, oder welche Deutschland in Österreich-Ungarn oder an andere mit ihm gegenwärtig oder künftig durch einen Zollverein oder ein Zollbündnis verbundene Länder sowie an seine Kolonien gewährt.

Artikel VIII

Russland erklärt sich damit einverstanden, dass die Europäische Donaukommission dauernd mit der Verwaltung des ganzen Mündungsgebietes der Donau betraut und nur aus Vertretern der Uferstaaten der Donau und des Schwarzen Meeres gebildet wird, während die Verwaltung der Donau oberhalb von Braila zwischen den Uferstaaten dieser Stromstrecke zu regeln ist.

Artikel IX

Die Kriegsgesetze, welche die Privatrechte der Deutschen in Russland und der Russen in Deutschland wegen ihrer Eigenschaft als feindliche Staatsangehörige beeinträchtigen, werden aufgehoben.

Die infolge solcher Gesetze in ihren Rechten verletzten Personen sollen soweit als möglich in diese Rechte wieder eingesetzt und, soweit das nicht möglich ist, angemessen entschädigt werden; die veräußerten Grundstücke, Bergwerksgerechtsame, Unternehmungen und Anteile an solchen werden dem Berechtigten zurückerstattet, soweit dieser Besitz nicht inzwischen durch eine für alle Landeseinwohner geltende Gesetzgebung verstaatlicht worden ist.

Die Feststellung der nach Absatz 2 zu ersetzenden Schäden erfolgt durch gemischte Kommissionen, die aus Vertretern der beiden Teile und je einem neutralen Obmann gebildet werden.

Artikel X

Die vertragschließenden Teile verzichten auf den Ersatz ihrer Kriegskosten, d. h. der staatlichen Aufwendungen für die Kriegführung, sowie auf den Ersatz der Kriegsschäden, d. h. derjenigen Nachteile, die ihnen und ihren Angehörigen in den Kriegsgebieten durch militärische Maßnahmen mit Einschluss von Requisitionen entstanden sind.

Artikel XI

Jeder vertragschließende Teil ersetzt die Schäden, die in seinem Gebiet während des Krieges durch völkerrechtswidrige Gewaltakte den Zivilangehörigen des anderen Teiles an Leben, Gesundheit oder Vermögen zugefügt worden sind. Die Freistellung der Schäden erfolgt durch gemischte Kommissionen, die aus Vertretern der beiden Teile und je einem neutralen Obmann gebildet werden.

Jeder Teil ersetzt ferner alle Schäden, die in seinem Gebiet während des Krieges durch völkerrechtswidrige Handlungen diplomatischen oder konsularischen Beamten des anderen Teiles zugefügt oder an Botschafts- und Konsulatsgebäuden dieses Teiles oder an deren Inventar angerichtet worden sind. Die Feststellung der Schäden erfolgt im Falle von Meinungsverschiedenheiten durch eine gemischte Kommission, die aus Vertretern der beiden Teile und einem neutralen Obmann gebildet wird.

Artikel XII

Die beiderseitigen dienstuntauglichen Kriegsgefangenen werden unverzüglich heim befördert werden. Der Austausch der übrigen Kriegsgefangenen wird tunlichst bald in bestimmten, von einer deutsch-russischen Kommission zu vereinbarenden Zeiträumen und unter Ersatz der für sie aufgewendeten Kosten erfolgen; im Falle von Meinungsverschiedenheiten wegen dieser Aufwendungen wird zu deren Entscheidung der Kommission ein neutraler Obmann beigegeben werden.

Artikel XIII

Die beiderseitigen internierten oder verschickten Zivilangehörigen werden unverzüglich freigelassen und tunlichst bald unentgeltlich heim befördert werden.

Artikel XIV

Die russischen Staatsangehörigen deutscher Abstammung, insbesondere die sogenannten deutschen Kolonisten, können innerhalb 10 Jahren nach Friedensschluss unter Liquidierung und Mitnahme ihres Vermögens nach Deutschland auswandern.

Artikel XV

Kauffahrteischiffe eines vertragschließenden Teiles, die bei Kriegsausbruch in dem Hafen des anderen Teiles lagen, sowie die beiderseitigen Prisen, die bei der Unterzeichnung der Friedenspräliminarien noch nicht rechtskräftig kondenziert sind, werden zurückgegeben, oder, soweit dies nicht möglich ist, in Geld ersetzt werden.

Artikel XVI

Die diplomatischen und konsularischen Beziehungen zwischen den vertragschließenden Teilen werden sobald als möglich wieder aufgenommen werden.

1 Artikel I und II wurden von der deutschen Delegation auf der Sitzung der Politischen Kommission am 14. (27.) Dezember 1917 vorgeschlagen.

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