Leo Trotzki‎ > ‎1918‎ > ‎

Leo Trotzki 19181118 Auf dem Wachtposten der Weltrevolution

Leo Trotzki: Auf dem Wachtposten der Weltrevolution

Vortrag, gehalten am 18. November 1918 in der Sitzung des Arbeiter-, Bauern- und Rotarmisten-Sowjets zu Woronesch.

[nach Leo Trotzki: Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 191-214]

Genossen, vor allem gestattet mir meine Genugtuung auszudrücken darüber, dass wir die Möglichkeit haben, hier in Woronesch zu sprechen, in der Stadt, die unsere Feinde lange als ihr Eigen zu halten glaubten. Dies veranlasst mich zu glauben, dass Woronesch in dem Verband Sowjetrusslands fest verbleiben wird und dass diese, wie schon der erste Eindruck besagt, stark besuchte Versammlung, die von einer einheitlichen Stimmung getragen ist, ein Unterpfand jenes Geistes ist, der Woronesch zu einer uneinnehmbaren sowjetistischen Festung machen wird.

Es muss gesagt werden, dass Woronesch – einer der südlichsten Punkte Sowjetrusslands – einstweilen noch unbedingt bedroht ist, denn die Hauptgefahr, die momentan unserem Lande droht, kommt vom Süden, von der Euch so nahen Front, hinter der vor kurzem noch sich kosakische und deutsche Streitkräfte, deutsche Hilfsmittel und deutsche Pläne verbargen und wo jetzt – hinter dem Rücken dieser selben betörten Kosaken – sich die Kräfte und Mittel des entgegengesetzten Lagers gruppieren.

Wir leben in einer Epoche, die vor allem eine Epoche der internationalen Politik ist. In „friedlichen", „ruhigen" Zeiten erscheinen die Fragen der internationalen Politik dem einfachen Manne als Sterngucker-Fragen, die für sein persönliches Schicksal keinen praktischen Belang haben. Aber nun sind es einige Jahre her, seitdem wir in eine Epoche getreten sind, da durch die Geschehnisse dieser Epoche das Schicksal jedes Bürgers, ob er es will oder nicht, mit den Geschicken nicht nur seiner Klasse und seines Landes, sondern auch mit den internationalen Geschicken im Ganzen verbunden ist. Dies ist ein Verdienst oder ein Fluch – wie Sie wollen – des Kapitalismus. Der Kapitalismus hat die Völker zu einem einzigen mächtigen Wirtschaftsorganismus zusammengeschweißt und hat zugleich die herrschenden Klassen dieser Völker feindlich gegenübergestellt. Man darf sagen, dass der Kapitalismus durch den internationalen Austausch, durch den Weltmarkt, die Völker mittels einer gewaltsamen Zuchthauskette verbunden hat, so dass die Völker, wenn sie sich innerhalb des Zuchthauses der kapitalistischen Wirtschaft einrichten wollen, gezwungen sind, an dieser Kette zu rütteln und dadurch am eigenen Fleische zu zerren. Darin besteht eben das Wesen des modernen imperialistischen Krieges. Er erwuchs aus dem Gegensatz zwischen dem internationalen Charakter der Produktion und dem nationalen Charakter der Aneignung, der kapitalistischen Raubwirtschaft. Die Bourgeoisie kann mit diesem Gegensatz nicht fertig werden. Zuerst hegte die Bourgeoisie dieses und jenes Lagers die Hoffnung, dass sie durch einen ewigen militärischen Sieg alle Fragen lösen würde. Ich erinnere mich an die erste Periode des Krieges, die ich in Westeuropa verbringen musste, zuerst die ersten Tage in Österreich-Ungarn, dann in der Schweiz, dann fast zwei Jahre in Frankreich, von wo aus ich über Spanien, als neutrales Land, nach Amerika verschlagen wurde, gerade im Moment, als Amerika in den Krieg eintrat. Auf diese Weise gab mir das Schicksal die Möglichkeit, in den ersten zweieinhalb Jahren des Krieges die Widerspiegelung des Krieges im Bewusstsein und in der Politik der bürgerlichen Klassen und der Arbeitermassen verschiedener Länder zu beobachten. In Zürich hatte ich z. B. im zweiten Monat des Krieges Gelegenheit, mit einem der maßgebendsten Opportunisten, mit Molkenbuhr zu sprechen, der auf meine Frage, wie sich seine Partei den Gang des Weltkrieges vorstellt, mir die Auffassung der deutschen Bourgeoisie wiedergab, die er zur eigenen machte: „In den nächsten zwei Monaten werden wir mit Frankreich fertig, dann wenden wir uns nach dem Osten, erledigen die Armeen Ihres Zaren und nach drei, höchstens vier Monaten werden wir Europa einen festen Frieden geben." Das war die Illusion dieses Sozialpatrioten.

Seitdem sind über vier Jahre verstrichen. Deutschland liegt jetzt darnieder. Und allein die Arbeiterrevolution, die im Anmarsch ist, verspricht Deutschland aus der furchtbaren und blutigen Sackgasse zu führen, wohin es durch die Politik der Bourgeoisie unter dem Schutz der Partei Molkenbuhrs geführt worden ist.

Dasselbe war auch in Frankreich der Fall. Dort versprachen bürgerliche Deputierte und Sozialpatrioten, tagein tagaus, von einer Woche zur anderen, von einem Monat zum anderen und schließlich von einem Jahr zum anderen, den Sieg. Freilich, man könnte sagen, dass dieser versprochene Sieg nunmehr erreicht ist. Frankreich hat mit seinen Verbündeten Deutschland den Fuß auf den Nacken gesetzt, und dennoch können in Frankreich weniger denn irgendwo einigermaßen vernünftige Politiker selbst aus dem bürgerlichen Lager hoffen, durch den militärischen Sieg irgend eine jener Fragen zu lösen, die den jetzigen Krieg hervorgerufen hatten. Kein anderer als Jules Guesde, einer der gewesenen Führer der gewesenen Zweiten Internationale sprach wiederholt während seiner revolutionären Blütezeit aus, dass der Krieg die Mutter der Revolution ist, und wir sind jetzt in eine Epoche getreten, da dem Kriege, wie man in alten Zeiten zu sagen pflegte, in eisernen Sandalen die Revolution, die Tochter des Krieges, auf die Spur folgt, freilich manchmal allzu langsam für unsere berechtigte revolutionäre Ungeduld folgt, aber immerhin folgt.

Wir, die russische Arbeiterklasse, die Klasse des rückständigsten Landes haben die Revolution als erste begonnen. Wir waren die ersten, aber nicht die letzten. Wir liefen Gefahr, vereinsamt zu bleiben. Aber hatten wir denn einen anderen Ausweg? Ihr wisst, mit welchem Hohngelächter unsere Voraussage der unvermeidlichen revolutionären Entwicklung in der ganzen Welt und insbesondere in Deutschland entgegengenommen wurde. Aber die Tatsachen sprechen für sich: letzten Endes haben wir recht behalten, wir, die wir uns auf die feste materialistische Forschungsmethode des historischen Geschehens stützten, die Methode, die in jeder Wissenschaft angewandt wird, die Methode der strengen, kalten, rauen Erforschung der gesammelten Tatsachen zur Feststellung einer bestimmten Prognose der Zukunft. Und nur diese wissenschaftliche kalte Methode, die keineswegs dem glühendsten revolutionären Temperament widerspricht, nur der Marxismus hat uns die Möglichkeit gegeben, den Kopf nicht zu verlieren, die Weltlage zu erkennen und die Unvermeidlichkeit der proletarischen Revolution als Folge des jetzigen Krieges vorauszusagen.

Gewiss, viele von uns haben die Revolution früher erwartet. Wir glaubten, die deutsche Arbeiterklasse würde sich nicht so lange von den Opportunisten an der Nase herumführen lassen. Jetzt schauen wir hasserfüllt auf das Börsenfrankreich und sind mitunter imstande, ungeduldig aufzustampfen darüber, dass die französische Arbeiterklasse mit ihren reichen revolutionären Traditionen so lange und geduldig die Herrschaft eines Poincaré und Clemenceau erträgt. Dessen ungeachtet, im großen und ganzen verlaufen die Ereignisse so, wie wir Marxisten sie vorausgesehen haben. Die Grundzüge des Kapitalismus und der Arbeiterklasse der einzelnen Länder, die uns früher bekannt waren, haben sich entfaltet und sich am Charakter der Ereignisse und deren Tempo bemerkbar gemacht.

Wir wussten, dass die deutsche Arbeiterklasse, die ohne revolutionäre Vergangenheit ist, ungewöhnliche Ereignisse, ungewöhnliche Erschütterungen braucht, Um aus der Bahn des Legalismus herauszukommen, in die sie die Geschichte getrieben hatte. Diese Erschütterungen sind eingetreten, – die Folgen sind da.

Ihr wisst, dass der ganze letzte Krieg nichts anderes war als ein gewaltiger Zweikampf zwischen Deutschland und England. England – das ist das alte imperialistische Kolonialland, die alte Räuberfirma, die in Gestalt ihrer Flotte an allen Ecken und Enden der Wasserwege der Welt steht und die übrigen Welträuber nicht aufkommen lässt. Eben deshalb hat England mit unerhörter Erbitterung, voller Hass beobachtet, wie aus dem industriellen Deutschland ein höchst gefährlicher Gegner zu Wasser und zu Lande wurde.

Ein charakteristischer Zug der englischen Arbeiterklasse, der aus der Geschichte des englischen Kapitalismus zu erklären ist, ein Zug, den ich soeben gestreift habe, ist das Gefühl der eigenen privilegierten Lage, ein gewisser Aristokratismus. Die englische Arbeiterklasse war in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit den Weltprivilegien der englischen Industrie verbunden, die eine dominierende Stellung auf dem Weltmarkte einnahm. Seit der Zeit, da diese Lage eintrat, d. h. seit den 50er-60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, hat die englische Arbeiterklasse keine revolutionäre Erschütterungen gekannt.

Das deutsche Proletariat hat diese aus anderen Gründen nicht gekannt. Deutschland hat den Weg der kapitalistischen Entwicklung später betreten. Deutschland entwickelte sich mit ungeheurer Geschwindigkeit. Die deutsche Industrie, darunter die Kriegsindustrie, kam in aller Eile zustande, und dementsprechend bildete sich auch die deutsche Arbeiterklasse, die ihre Gewerkschaften, ihre politische Partei ausbaute und in dieser Richtung ihre ganze Energie verausgabte. Zur selben Zeit, als die Bourgeoisie sich bereicherte, stand an der Spitze Deutschlands eine Feudalkaste, die festgefügt und gut dressiert war, eine Kaste, die im Gegensatz zu dem russischen Adel nicht aus Tunichtguten, Dieben aus dem Staatssäckel und Lumpen bestand, sondern aus außerordentlich tüchtigen Feldherren und Ministern, die die Volksmassen beherrschten. Die Schule der Staatsverwaltung und ihre Traditionen konzentrierten sich namentlich auf dem Adel, der durch die Kriege um ein geeintes Deutschland die Bedingungen für die Entwicklung der Bourgeoisie geschaffen hatte.

Dies ist der Grund, warum die deutsche Bourgeoisie, die im Verlauf einiger Jahrzehnte zu einer gigantischen Macht geworden war, die Staatsverwaltung und vor allem das Militärwesen dem Adel überließ. Sie sagte sich: „Der Adel hat eine feste Faust, er hat die Tradition der Herrschaft, er wird das Proletariat im Zaum zu halten wissen." Dieser Adel schuf die ungeheure deutsche Armee. Dazu gab es die mächtige bürgerliche Industrie und die Ausbeutung der Arbeiter. Und dieser Armee gab der Adel, auf Grund dieser Kriegsindustrie, eine feste Offizierskaste mit kriegerischen Traditionen, mit eiserner Disziplin und mit der Mentalität der Feudalritter. Aus der mächtigen Industrie und der disziplinierten Klasse ohne revolutionäre Traditionen, – aus dieser Kombination ergab sich die furchtbare Maschine des Massenmordes, die sich deutsche Armee nannte. Diese Armee hielt stand gegen England, gegen Frankreich, gegen Russland und dann gegen die Armee Amerikas. Mehr als vier Jahre lang ertrug die deutsche Armee diesen ungeheuersten Ansturm.

Wenn wir von dem imperialistischen Charakter des Krieges absehen und in ihm bloß den militärischen Wettkampf ökonomischer Organismen sehen, so müssen wir vor allem über die gewaltige Wucht jener Kräfte staunen, die der Kapitalismus geschaffen und entfesselt hat. Seinen vollendetsten und grellsten Ausdruck hat der Kapitalismus in der deutschen Armee gefunden. Wir sehen jedoch, dass der deutsche Militarismus diese Kraftanspannung nicht ausgehalten hat, nicht allein deshalb, weil die mächtigen, gewaltigen Armeen Englands, Frankreichs und in den letzten Monaten der Vereinigten Staaten mit ihren frischen Ressourcen ihm gegenüberstanden, sondern weil er dem inneren Ansturm der neuen Stimmungen nicht standhalten konnte, deren Vorbote die russische Arbeiterklasse darstellte.

Es ist keine Zufälligkeit, sondern gewissermaßen der bewusste Wille der Geschichte, dass gerade am Jahrestage unserer Oktoberrevolution über Berlin das rote Banner des Berliner Arbeiter- und Soldatenrates aufflatterte. Eine größere Genugtuung konnten wir von der Geschichte weder erwarten noch fordern.

Die deutsche Revolution schreitet offenbar rascheren Schrittes vorwärts als die russische Revolution. Aber es wäre ein Irrtum zu erwarten, dass die deutsche Arbeiterklasse sofort einen Sprung von dem alten Legalismus zu dem Regime machen würde, das wir erwarten, d. h. zu dem Regime der kommunistischen Diktatur.

Noch niemals hat je ein Volk, hat je eine Klasse wirklich aus Büchern, aus Zeitungen und aus der Erfahrung anderer Länder gelernt.

Gewiss, manches haben wir von den Deutschen gelernt. Seinerzeit sagten wir, dass wir von ihnen vieles lernen. Das stimmt. Aber dieses Viele taugte für die Friedensperiode und erwies sich als geringfügig in Anbetracht der großen Ereignisse. Wenn die russische Arbeiterklasse wirklich etwas gelernt hat, so hat sie es in der Schule des eigenen unmittelbaren harten Kampfes gelernt, Brust an Brust gegen den Feind, wo sie eine Partei nach der anderen zu Boden wirft, den Händen der Bourgeoisie die Macht entreißt, auf ihrem eigenen Blute einen Staat gründet und den Feinden verkündet, dass sie die Macht, die sie einmal ergriffen hat, niemanden mehr abtreten wird. (Beifall.) Nur hier, in diesem ununterbrochenen harten Dauerkampf wird der Wille zur Macht erzogen sowie die Möglichkeit, die Macht zu erobern und zu behalten. Aus Büchern, akademisch, aus Zeitungen hat die Arbeiterklasse noch niemals irgendwo gelernt, was ihre wichtigsten Aufgaben und die Methoden ihrer Verwirklichung sind.

Dies trifft auch auf die deutschen Arbeiter zu. Sie haben revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte geschaffen. Aber es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Räte eine gewisse, wir wollen hoffen, kurze Zeit noch hin und her schwanken, wackeln, hinken werden. An ihrer Spitze werden noch die Opportunisten stehen, dieselben, die in überwiegendem Maße an jenem Elend und jenen Erniedrigungen schuld sind, die Deutschland aussteht. Es unterliegt keinem Zweifel, dass, wenn die deutsche Sozialdemokratie im Juli 1914 die Entschlossenheit, den Mut und das klare Bewusstsein gehabt hätte, um die Arbeiterklasse Deutschlands wenigstens in der ersten Zeit zur passiven Resistenz aufzurufen, um dann später in den offenen Aufstand zu treten, – dass der Krieg dann um vieles abgekürzt worden wäre oder vielleicht gar nicht stattgefunden hätte. Deshalb lag die Hauptverantwortung, wie wir damals sagten, auf der stärksten Partei, der deutschen Sozialdemokratie. Und dennoch hat die deutsche Arbeiterklasse, als sie sich vom Zauberbann des Krieges befreit hatte, im ersten Moment den alten Parteiüberbau aus den Führern der alten Sozialdemokratie auf ihrem Rücken weiter walten lassen. Wir brauchten acht Monate, um das Regime Kerenski-Zeretelli und der anderen Opportunisten zu liquidieren. Unsere Kerenskis und Zeretellis waren für die Arbeitermassen unbekannte Größen, die in der ersten Zeit den Arbeitermassen imponierten, ihnen Vertrauen einflößten als Vertreter einer bestimmten Partei, die scheinbar an der Spitze dieser Massen marschierte. Dabei brauchten wir acht Monate, um diesen falschen Ruf bloßzustellen und zunichte zumachen.

In Deutschland sind David, Ebert und Scheidemann keine unbekannten Größen. Sie haben den ganzen Krieg mitgemacht, Hand in Hand mit der deutschen Regierung, mit der deutschen Bourgeoisie, als deren Helfershelfer und Diener. Aber die Macht der organisatorischen Trägheit, des organisatorischen Automatismus ist so groß, dass die deutsche Arbeiterklasse sich nur schwer von ihrer Parteimaschinerie losmachen kann auch in dem Moment, wo sie sich von der Staatsmaschine befreit hat. Die alte Partei entstand unter den alten Verhältnissen für die alten friedlichen Aufgaben. Sie hat einen gewaltigen organisatorischen Apparat geschaffen. Je weiter von den Massen, desto mehr verstockte, verschimmelte und dumpfe Elemente hat diese mächtige Partei und der Apparat der Gewerkschaften.

Ich hatte die Möglichkeit, recht lange Zeit in Deutschland zu verbringen, und ich sah diese Führer ziemlich nahe, so dass ich jetzt mir im Lichte der neuen gewaltigen Ereignisse ziemlich klar vorstelle, wie und warum diese Leute nicht einen Funken revolutionärer proletarischer Begeisterung haben, nicht die Spur Verständnis dafür, was die proletarische Revolution ist; sie kennen nur die sklavische Ehrerbietung vor der Weisheit des parlamentarischen, staatlichen, planmäßigen, friedlichen Aufbaus. Als die Arbeiterklasse die alte Staatsmaschinerie zerschlug, stieß sie ihre alte Partei vorwärts, und Scheidemann und Ebert sahen sich als Minister des revolutionären Deutschlands, obwohl sie mehr denn jemand dazu beigetragen hatten, um die deutsche Revolution zu verhindern. Sie sind gegen ihren eigenen Willen zu „Revolutionären" geworden. Noch vor anderthalb Monaten sprachen sie davon, dass in Deutschland die Revolution unmöglich sei, dass die russischen Bolschewiki sich auf dem Holzwege befinden; sie machten sich offen über unsere Hoffnungen lustig, ja mehr noch, das leitende Organ der deutschen Sozialdemokratie, der „Vorwärts", schrieb vor kurzem noch, dass die Bolschewiki, die behaupten, dass in Deutschland die Revolution sein wird, bewusst die russischen Arbeiter betrügen und sie mit lügenhaften Versprechungen abspeisen.

Das sagten die deutschen „Führer", die, man müsste glauben, die deutschen Verhältnisse hätten besser kennen sollen als wir.

Sie machten uns zum Vorwurf, dass wir die russischen Arbeiter betrügen, indem wir die Unvermeidlichkeit der deutschen Revolution voraussagen. Und nun waren sie, die armseligen Leisetreter und Schleicher, die Betrogenen. Wir hatten die Wahrheit gesprochen. Und diese Wahrheit steht jetzt vor der ganzen Welt: in Deutschland ist die Revolution da (Beifall).

Wie ich am Anfang sagte, hängt das Leben jedes Landes, jeder Klasse und sogar jeder Einzelperson in erschreckendem Maße von der internationalen Lage ab. Die internationale Lage ist für Deutschland außerordentlich schwierig.

Der Friede, den die deutsche Regierung zu unterzeichnen gezwungen ist, ist in jeder Hinsicht härter und erbarmungsloser als der Friede, den wir in Brest haben unterzeichnen müssen.

Unsere Kerenski und Zeretelli warfen uns vor, dass die Bolschewiki ein Verbrechen begehen, indem sie den schrecklichen Frieden unterzeichnen. Aber in Deutschland sahen sich die Kerenski und Zeretelli, d. h. Scheidemann und Ebert, gezwungen, einen noch viel schrecklicheren Friedensvertrag zu unterzeichnen. Das Unterzeichnen eines Friedensvertrages ist also nicht Sache des guten Willens. Man unterzeichnet einen schrecklichen Frieden, wenn kein anderer Ausweg da ist. Wenn der feindliche Imperialismus einen an die Gurgel packt und man keine Waffe in der Hand hat, dann unterzeichnet man auch einen bösen Frieden. Dazu waren auch wir gezwungen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass wenn die Kerenski und Zeretelli damals am Ruder gestanden wären, sie in Brest einen zehnmal schlimmeren Frieden unterzeichnet hätten. Der beste Beweis dafür ist, dass sie und ihresgleichen Georgien, Armenien und Polen vollkommen ausgeliefert hatten dem deutschen Imperialismus, genau so wie sie bereit sind, morgen Transkaukasien dem anglo-französischen Imperialismus auszuliefern. Die diesbezüglichen Verhandlungen werden ja schon geführt. …

Die Lage Deutschlands ist außerordentlich schwierig. Es kann nur durch das gerettet werden, was auch uns retten sollte, d. h. die Revolution im Staate des Gegners, diesmal in Frankreich und in England, durch die Entwicklung der proletarischen kommunistischen Revolution im internationalen Maßstab. Damit aber die Revolution rascher und sicherer stattfinden kann, ist es nötig, dass in Deutschland selbst die Revolution ihren natürlichen Weg weitergehe, ist es nötig, dass die feigen Opportunisten, die bestrebt sind, die deutsche Revolution abzumurksen, kaputt zu machen, zu verbürgerlichen und der agitatorischen Kraft zu berauben, die sie entfalten muss, dass mit einem Wort die Scheidemänner und die Ebert von einer revolutionären Regierung abgelöst werden, an deren Spitze Liebknecht stünde. Hierbei aber zeigt sich der Unterschied zwischen dem Schicksal Deutschlands und unserem Geschicke. Wir lebten lange unter den Verhältnissen des Zarismus. Bei uns bildeten sich revolutionäre illegale Gepflogenheiten und Traditionen heraus, zuerst bei den Parteien der „Volkstümler" (Narodniki) und des „Volkswillens" (Narodowolzy), dann bei der Sozialdemokratie. Diese illegale, konspirative revolutionäre Arbeit, die von den illegalen Intellektuellen auf die fortgeschrittenen Arbeiter überging, fand ihren vollendeten treuen Ausdruck in der Partei der Kommunisten.

In dem Moment, als die russische Arbeiterklasse sich unter dem Eindruck der mächtigen Schläge der Geschichte aufrichtete, brauchte sie nicht mehr von der Pieke auf anzufangen. Sie hatte an ihrer Spitze eine zentralisierte Partei, die zusammengeschweißt war durch die engsten Bande der historischen Doktrin und der inneren revolutionären Solidarität, eine Partei, die mit ihr durch dick und dünn ging und die jetzt an der Macht ist, Das ist unsere Kommunistische Partei.

In Deutschland ist eine solche Partei noch nicht da, denn dort bewegte sich die Energie der Arbeiterklasse jahrzehntelang in den Bahnen des Legalismus und Parlamentarismus. Als die Arbeiterklasse Deutschlands kraft der Ereignisse sich in die revolutionäre Arena warf, fand sie keine organisierte revolutionäre Partei vor. In Deutschland fehlt sie bis jetzt noch. Und so benutzte die Arbeiterklasse notgedrungen die Organisation, die von Scheidemann vertreten war. Aber es unterliegt keinem Zweifel, dass die Disharmonie zwischen dieser Organisation, ihren Gepflogenheiten und ihrer Psychologie und den Bedürfnissen der revolutionären proletarischen Entwicklung mit jedem Tag immer mehr und mehr zum Vorschein kommen wird. So entsteht vor der deutschen Arbeiterklasse die doppelte Aufgabe: die Revolution zu vollziehen und im Prozess dieser Tat das Werkzeug der Revolution zu schaffen, d. h. eine wahre revolutionäre Partei auszubauen. Wir zweifeln nicht daran, dass sie mit dieser doppelten Aufgabe fertig werden wird. Dies gibt uns Gewähr dafür, dass der neuen kommunistischen Revolution die französische Revolution entgegenkommen wird.

Schon jetzt bringt uns der Radiotelegraph die Meldung von großen Streiks und revolutionären Aktionen in Lyon, Paris und an anderen Orten. Es wäre auch ungeheuerlich, wenn die französische Arbeiterklasse sich nicht gegen ihre Klassenfeinde wenden würde.

Wir kennen die französische Arbeiterklasse aus ihrer Vergangenheit. Wenn irgendein Proletariat überhaupt alte revolutionäre Traditionen hat, so sind es die Arbeiter Frankreichs, die ihre große französische Revolution, die Revolution von 1830, die Revolution von 1848, die Junitage und schließlich die Pariser Kommune durchgemacht haben. Aber gerade deshalb, weil die französische Arbeiterklasse als erste den Weg der revolutionären Aktion beschritten hatte, hat sich bei ihr, bei der französischen Arbeiterklasse, ein gewisser politischer Aristokratismus herausgebildet, ähnlich wie bei der englischen Arbeiterklasse sich ein ökonomischer Aristokratismus herausgebildet bat.

Das britische Proletariat behandelte lange Zeit die Arbeiter aller anderen Länder von oben herab: diese Parias, die geringere Löhne bekommen, die hungern, die eine Soldateska haben, nichts von Sport wissen usw. usw., während die englische Arbeiterklasse, d. h. deren qualifizierten Spitzen sich in privilegierter Lage befinden. Daraus ergab sich das verächtliche Verhältnis zu jedem revolutionären Kampf. Die französische Arbeiterklasse hat sich hingegen während langer Zeit für die einzig revolutionäre Kraft in Europa, für den Messias, d, h. den Erlöser aller anderen Völker gehalten. Hinter Frankreichs Grenzen begann die Barbarei, die Unkultur. In Deutschland – Absolutismus, in Russland – Zarismus. Selbst in England – ein König und Lords. In Frankreich hat die Arbeiterklasse die Republik geschaffen und wird als erste zum Sozialismus gelangen. So dachten die Spitzen der Arbeiterklasse. An diesem revolutionären Aristokratismus ist der Patriotismus der französischen Arbeiterklasse geknüpft. Der Gedanke ist etwa der: „Wenn der Kaiser uns unterkriegt, so geht Frankreich, dieser einzige Herd des revolutionären Kampfes, zugrunde. Deshalb heißt Frankreich retten soviel wie den Sozialismus retten."

Die Spitzen der französischen Arbeiterklasse gaben sich damit zufrieden, dass die Regierung Frankreichs in ein Bündnis mit Russland trat und dadurch den russischen Zarismus unterstützte. Natürlich gab es auch eine Opposition. Aber die breiten Massen wurden übertölpelt, beruhigt, eingelullt durch das Argument, dass die Gefahr seitens des deutschen Absolutismus allzu groß sei, dass ein Bündnis mit dem Russischen Kaiserreich den einzigen Ausweg aus der Lage darstelle, sonst würden die deutschen Banditen Frankreich niedertrampeln und dadurch die sozialistische Revolution erdrosseln. Nur nach und nach überzeugten sich die Arbeiter durch die Erfahrung des Krieges, dass die beiden Lager dem Proletariat gleich feindlich sind. Es wurden immer öfter und öfter drohende Stimmen aus den französischen Schützengraben laut. Freilich, Clemenceau hält noch die französischen Arbeiter in der Hand dank einer Kombination von patriotischer Lüge und Polizeihetze. Aber jetzt, da das alte imperialistische Deutschland zerschmettert am Boden liegt, da der französischen Arbeiterklasse keine Gefahr von außen mehr droht, da im Gegenteil die eigene Bourgeoisie die furchtbarste Gefahr darstellt, die Bourgeoisie, die sich freilich von der englischen und der amerikanischen Bourgeoisie ausnutzen lässt, – da unterliegt es für die anderen Völker keinem Zweifel mehr, dass auf die Arbeiter- und Soldatenräte in Deutschland und Österreich-Ungarn in naher Zukunft Barrikaden in Paris folgen werden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die revolutionäre Arbeiterklasse Italiens dem französischen Proletariat zuvorkommen wird. Die italienische Sozialistische Partei hat, wie Ihr wisst, die Prüfung des jetzigen Krieges mit Ehren bestanden. Die Ursache davon liegt einerseits darin, dass die italienische Partei vor dem Kriege noch die opportunistischen Elemente ausgestoßen hatte, und auch darin, dass die italienische Bourgeoisie und Monarchie zirka neun Monate brauchte, um aus dem Lager der Zentralmächte in das Lager der Entente überzugehen und den Krieg auf Seiten Russlands und Frankreichs anzufangen. In diesen neun Monaten konnte die italienische Partei sich an den Erfahrungen der anderen Länder davon überzeugen, zu welcher Demoralisierung und zu welcher Prostituierung die Politik des „nationalen" Paktes der Sozialisten mit den Kapitalisten führt. Dieser Umstand hat es der italienischen Partei ermöglicht, die Initiative zur Einberufung der Zimmerwalder Konferenz zu ergreifen. Das junge italienische Proletariat verfügt über ein stürmisches Temperament und hat wiederholt die Pflastersteine der italienischen Straßen in revolutionäre Barrikaden verwandelt. Alle Nachrichten, die wir aus Italien erhalten, zeugen davon, dass das entscheidende Treffen zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie dort auf der Tagesordnung steht. Die proletarische Revolution hat auf der Apenninen-Halbinsel einen seiner kampffähigsten und sichersten Trupps.

In England verhält es sich momentan nicht viel anders. Freilich, England steht aus alter Gewohnheit abseits von Europa. Die Bourgeoisie erzog das englische Proletariat im Bewusstsein, dass der Kontinent etwas anderes sei als England. Die Regierung Großbritanniens mischte sich in die alten europäischen Kriege ein, unterstützte mit Geld und teilweise mit der Flotte die schwächere Seite gegen die stärkere, aber nur so lange, bis auf dem Kontinent ein Gleichgewicht entstand. Darin bestand, Genossen, jahrhundertelang die ganze Weltpolitik Englands: Europa in zwei Lager teilen und das eine Lager nicht auf Kosten des anderen groß werden zu lassen. Ihre eigenen Verbündeten unterstützte das regierende England so, wie der Strick den Gehängten stützt, d. h. indem die Schlinge in Form der verschiedensten Verpflichtungen möglichst zugeschnürt wurde und durch die Kriege nicht allein der Feind, sondern der eigene „Verbündete" verblutete. Aber diesmal kam es anders. Deutschland war zu sehr empor geblüht und erstarkt und England musste sich selbst in diesen Krieg einlassen, nicht allein mit Geld, sondern auch mit Fleisch und Menschenblut. Man sagt: „Blut ist ein besonderer Saft". Diese Einmischung der englischen Bourgeoisie wird nicht glatt abgehen. … Die privilegierte Lage Englands, die von der Konkurrenz Deutschlands gründlich untergraben wurde, ist für ewig dahin. Der englische Arbeiter aus der Trade Union sagte sich früher: „Ich kenne keinen Militarismus, ich bin ein freier Bürger auf meiner Insel, die von der Flotte verteidigt wird. Meine Flotte hat bloß ein paar Zehntausende gedungener Matrosen, weiter nichts."

Jetzt aber hat diesen „freien" Proletarier Englands der Militarismus am Kragen gepackt und auf das Territorium Europas geschleudert, der Krieg hat ein furchtbares Wachstum der Steuern, eine entsetzliche Teuerung hervorgerufen. All das hat die alte „privilegierte" ökonomische Lage selbst der Oberschicht der englischen Arbeiterbewegung stark unterwühlt.

Je privilegierter sich das englische Proletariat früher vorkam, je stolzer es auf sich blickte, desto entsetzlicher wird für dasselbe Proletariat das Bewusstsein der Katastrophe sein. Die Wirtschaft Großbritanniens ist verheert, zerstört. Eine riesige Menge von Krüppeln und Invaliden sind die Folge des Krieges. Wollte man glauben, dass England nach dem Siege über Deutschland seinen Militarismus wird abschaffen oder stark einschränken können, so wäre es ein großer Irrtum. Morgen werden die Vereinigten Staaten der schlimmste Feind Englands sein. Schon besteht der tiefste Antagonismus zwischen ihnen. Dem englischen Proletariat sind jetzt zwei Möglichkeiten geblieben: die wirtschaftliche und Klassenentartung oder – die soziale Revolution.

Freilich, es besteht das Vorurteil, dass die englische Arbeiterklasse jedes revolutionären Temperaments bar ist. Es gibt so eine subjektive nationalistische Theorie, die die Geschichte eines Volkes aus dem nationalen Temperament erklären will. Das ist ein Nonsens. So urteilen und schreiben die oberflächlichen Schwätzer aus bürgerlichen Kreisen, die die Engländer bloß kennen aus den eleganten Restaurants in der Schweiz oder in Frankreich, die bloß die sogenannte Elite der englischen Gesellschaft kennengelernt haben, deren Vertreter, von Generation zu Generation erschöpft und ramponiert, kraft- und saftlos wie sie sind – sie für Vertreter der englischen Nation halten.

Aber wer die Geschichte des englischen Volkes und der englischen Arbeiterklasse, die Geschichte der Revolutionen des XVIII. Jahrhunderts und ferner den Chartismus des XIX, Jahrhunderts kennt, der weiß, dass die Engländer „den Teufel im Leibe haben". Es gab ja Zeiten genug, da der Engländer den Knüppel in die Hand nahm gegen seine Unterdrücker. Und unzweifelhaft ist die Stunde nah, da er den Knüppel ergreifen wird gegen den König, gegen Lloyd George, gegen die Lords und gegen die brutale und schlaue, kluge und tückische englische Bourgeoisie. Das erste Grollen des großen Unwetters ist auf den Inseln Großbritanniens bereits zu vernehmen.

Es ist so, als käme die ernsthafteste, größte Gefahr für uns seitens Amerikas und seitens Japans.

Wir wollen uns umsehen, was uns seitens Amerikas erwartet. Die Vereinigten Staaten sind ein mächtiges kapitalistisches Land, das in den Krieg getreten ist, nachdem die europäischen Völker sich drei Jahre lang schon verbluteten. Die kritischen Monate, nämlich Januar und Februar 1917, verbrachte ich in Amerika und konnte die Vorbereitungen beobachten, die die Vereinigten Staaten zum Eintritt in den Krieg traten. Sie entsinnen sich vielleicht noch, wie damals unsere patriotische Presse und die Presse aller Entente-Länder schrieb, dass der edle Präsident Wilson, der all die Untaten und Verbrechen des deutschen Militarismus und insbesondere den Unterseebootkrieg, die Versenkung von Passagierdampfern usw. usw. nicht mehr ertragen konnte, schließlich sein Schwert in die Waagschale des Weltkrieges geworfen habe, um „der Tugend das Übergewicht" zu verleihen.

Amerika nahm von Anfang an gegenüber den beiden Lagern die Stellung ein, die in den früheren Kriegen England gegenüber dem Kontinent einzunehmen pflegte, und zwar tat es Amerika dank seiner Organisation und mit Unterstützung der verschiedenen diplomatischen Kombinationen und Verbände. Ich erwähnte bereits, dass England Europa in zwei feindliche Teile zu teilen pflegte; es saß auf seiner Insel und sagte sich: „Sollen sie sich nur gegenseitig schwächen, ich werde den Schwächeren stützen, damit ich keinen stärkeren Gegner kriege." Als Deutschland zu sehr erstarkte, schlug sich England zu den offenen Feinden Deutschlands. Dann nahm Amerika bei sich zu Hause, auf der Rieseninsel jenseits des großen Wassers, eine abwartende Haltung ein und sagte: „Europa samt England ist in zwei Lager geteilt. Wir Amerikaner werden zuerst zuschauen, wie sie sich gegenseitig erschöpfen und verbluten. Wir werden jedoch als Zuschauer nicht passiv bleiben und werden uns um „business", um das Geschäft, um Profite kümmern, wir werden an die eine wie an die andere Seite Dynamit, Geschosse und Gewehre verkaufen, und unsere Neutralität wird fortwährend gute kapitalistische Prozente tragen."

Das war die ursprüngliche Politik der bürgerlichen Klasse Amerikas. Von Anfang des Krieges an dirigierte auf diese Weise der „ehrliche" Kaufmann die Politik des „ehrlichen" Präsidenten Wilson. Er machte sich mit seinem Dynamit an die beiden kriegführenden Lager heran und bot seine Ware beiden kriegführenden Seiten zu den ehrlichsten Wucherpreisen feil. Aber England verhängte die Blockade und sagte zu Amerika: „Halt, du sollst kein Dynamit nach Deutschland exportieren." Sofort entstand eine scharfe Zuspitzung der Beziehungen zwischen Amerika und England. Wilson trat vor seine Börse und warf sich in die Brust: „Die Gerechtigkeit ist verletzt, die Freiheit der Meere ist gefährdet, das ehrliche amerikanische Dynamit hat keinen Zutritt nach Deutschland." Natürlich tobte die ganze Börse, die ganze Kriegsindustrie vor moralischer Entrüstung über England, das die Blockade verhängt hatte. Es begannen unheilschwangere Sitzungen der Magnaten der Kriegsindustrie mit den Börsenjobbern und Diplomaten; man erwog die Frage, ob man England den Krieg erklären solle, oder nicht. Der neutrale Wilson argumentierte so: „Momentan sind wir durch die Blockade von den zentralen Mächten abgeschnitten. Wenn wir mit England brechen, so werden auch der englisch-französische, der russische und der italienische Markt für unsere Kriegsindustrie verlorengehen, und wir bleiben auf dem Trocknen." Die Interessen der amerikanischen Industrie und des Handels forderten, dass Wilson für die Neutralität sei, die dem amerikanischen Kaufmann gestattete, seine Waren in ungeheuren Mengen nach den Entente-Ländern zu exportieren.

In der Tat, der Außenhandel der Vereinigten Staaten war im Kriege um das Zweieinhalbfache gewachsen. Das war nicht mehr der alte Handel, der Getreide, Maschinen und überhaupt Produkte für den Lebensbedarf exportierte. Es war fast ausschließlich ein Handel mit Vernichtungs- und Todesmaschinen. Auf diese Weise erlaubte die Wilsonsche Neutralität der amerikanischen Industrie, ausgezeichnete Geschäfte zu machen.

Aber nun trat im Gegensatz zu England Deutschland mit seinem unbeschränkten Unterseebootskriege auf den Plan. Dies war im Januar 1917. Es ergab sich folgende Sachlage: ganz Amerika war mit Kriegsindustrie-Betrieben überzogen, die auf den europäischen Absatz eingestellt waren. Sie waren durch die englische Blockade von den Zentralmächten abgeschnitten, der deutsche Unterseebootskrieg drohte, sie auch von England, Frankreich, Russland und Italien abzuschneiden. Natürlich musste da der Geduldsfaden der Kriegsindustrie reißen und zugleich auch der Geduldsfaden des Wilsonschen „Pazifismus" und seiner Neutralität.

Ich habe vergessen Euch zu sagen, dass Wilson solange als Apostel des „Pazifismus", d. h. der Idee des friedlichen Beisammenwohnens der Völker auftrat, wie diese Idee als Handelsflagge für das „neutrale" amerikanische Dynamit diente. Aber in dem Moment, wo zwei Blockaden in den Weg traten, begann der große Apostel der Heuchelei, Wilson, die Meinung zu vertreten, es sei die Zeit gekommen, sich einzumischen. Die amerikanische Bourgeoisie gab ihm viel Zeit zur Überlegung. Sie sagte zu ihm: „Da ist der babylonische Turm der Kriegsindustrie, hier ist der Tschimborasso der Geschosse und Patronen, die wir für Europa fabriziert haben – wo soll man damit hin?" Wilson machte eine ratlose Geste und erklärte, dass er gegen den Unterseekrieg keine Mittel erfunden habe. Man sagte zu ihm: „Du musst diese Waren für den amerikanischen Markt nehmen. Wenn Du sie nicht alle nach Europa expedieren kannst, so mache sie bezahlt aus den Mitteln des amerikanischen Arbeiters und des amerikanischen Farmers."

Das ist die Quelle des in kurzer Frist ungeheuerlich groß gewordenen amerikanischen Militarismus: die amerikanische Industrie bereitete diesen Militarismus zum Export nach Europa, dann wuchs er über die Köpfe des amerikanischen Volkes hinweg, und das Volk war gezwungen, ihn selbst in Amerika zu schlucken. Die Einmischung Wilsons in den Krieg war folglich diktiert einerseits vom Wunsch, Deutschland und mit ihm zugleich Europa zu erdrosseln, und andererseits von den unmittelbaren Profitinteressen der amerikanischen Kriegsindustrie. Das sind die moralischen Prinzipien der alten Betschwester Wilson.

Aber diese Erfahrung verlief nicht spurlos für die amerikanische Arbeiterklasse. Diese besaß gewisse Züge, die mit der englischen Arbeiterklasse verwandt sind. Hier wie dort finden wir die konservativen Trade Unions. Die amerikanische Arbeiterklasse, soweit die Spitzen in Betracht kommen, hielt sich für einen noch größeren Aristokraten, als der Engländer es tut. Die englische Arbeiterklasse hat einen König, einen Adelsstand, Lords – all das hat die amerikanische Arbeiterklasse nicht. Die Vereinigten Staaten sind eine „freie", föderative Republik mit viel Land, viel Brot usw. usw.

Aber all das gehört nunmehr der Vergangenheit an. Das gibt es nicht mehr. Von dieser sogenannten freien, föderativen Republik ist keine Spur übriggeblieben. Der Krieg hat ihr endgültig den Garaus gemacht. In Gestalt der Vereinigten Staaten Amerikas haben wir ein zentralisiertes, militaristisches, imperialistisches Land. Der Machtbereich des amerikanischen Präsidenten ist keineswegs geringer, als die Macht irgendeines Königs oder Zaren. In allen Grundfragen, die über Leben und Tod entscheiden, in Fragen des Friedens und des Krieges konzentrierte der amerikanische Präsident als Vollstrecker des Willens des Finanzkapitals während des Krieges die ganze Macht in seinen Händen. Der Militarismus, der dort geschaffen wurde, ist von rein amerikanischem Ausmaß und Schwung. Die Lage der Massen hat sich außerordentlich verschlechtert.

Das konnte ich schon mit eigenen Augen beobachten, noch bevor Amerika sich offen in den Krieg eingemischt hatte. Die ganze Energie des arbeitenden Volkes ging nicht auf die Produktion von lebenswichtigen Erzeugnissen, d. h. nicht von Konsumtionsprodukten, sondern von Vernichtungswerkzeugen, drauf. Die Preise für Lebensmittel stiegen zu einer nie dagewesenen Höhe.

Im Januar und Februar 1917, als auf allen Bahnhöfen und in allen Häfen des Ostens gewaltige Mengen von Kriegsmaterial aufgestapelt waren und alle Eisenbahnen überlastet wurden, machten die Preise für Bedarfsmittel einen wahnwitzigen Sprung. In New York konnte ich beobachten, wie Zehntausende von Frauen und Müttern auf die Straße gingen, demonstrierten, die Lebensmittel-Läden plünderten und zerstörten und die Marktkörbe umschmissen. Das war eine chaotische, stürmische Bewegung, der erste Vorbote der kommenden sozialen Erschütterungen.

Wir gelangen also zum Schluss, dass dieser Krieg in Amerika alle materiellen und geistigen Voraussetzungen für eine revolutionäre Aktion der amerikanischen Arbeiterklasse geschaffen hat.

Und diese Arbeiterklasse ist, Genossen, nicht aus schlechtem Holz geschnitzt. Die amerikanische Arbeiterklasse entstand aus Vertretern der verschiedensten Nationalitäten und zwar aus Vertretern, die nicht die schlechtesten waren. Wer ging nach Amerika? Nach Amerika gingen von alters her die ungehorsamen Arbeiter und bäuerischen Sektierer, die in ihrer Heimat verfolgt wurden; nach Amerika gingen Zehntausende von Arbeitern und Bauern nach allen unterdrückten Aufständen und Revolutionen, nach '48 aus Deutschland und Österreich, aus Frankreich, nachdem dort die Revolution 1848 und die Kommune 1871 erdrosselt wurden. Nach 1905 wanderte nach Amerika aus Russland eine ganze große Menge fortgeschrittener Arbeiter der unterdrückten Nationalitäten und der russischen Nationalität aus, lauter revolutionäre Elemente gingen über den großen Teich. Gewiss, dort lockte die Möglichkeit besser zu verdienen, besser zu leben als in der alten Heimat. Aber der Krieg vernichtete, zerstörte alle diese Privilegien und zwang dieses erstklassige Proletariat in die unerträglichen Fesseln des Imperialismus. Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass diese Fesseln springen werden, und das amerikanische Proletariat alle seine revolutionären Eigenschaften an den Tag fördern wird.

Dort wurden sowohl die französischen Kommunards, als auch die deutschen Organisatoren und unsere russischen Bolschewiki ansässig. Unsere Genossen, die Bolschewiki, spielen dort in allen revolutionären Organisationen eine bedeutende Rolle. Die Kombination von all diesen Elementen wird unzweifelhaft der amerikanischen Revolution den amerikanischen Schwung verleihen.

Genossen, ein paar Worte über Japan.

Japan, das Land, das wir am wenigsten kennen, liegt im Fernen Osten, gewissermaßen als das asiatische England, als Kettenhund des asiatischen Kontinents. Wie England den europäischen Kontinent, so will Japan den asiatischen Kontinent neu zuschneiden, entsprechend seinen Interessen und Wünschen, und zwar sucht es Japan noch gebieterischer und barbarischer zu tun, als es England jahrhundertelang mit dem europäischen Kontinent tat.

Aber die Zeiten sind andere geworden. Japan hat diesen Weg zu spät betreten, als dass es jene Lage des Hegemonen, des Herrn, des wirtschaftlichen Diktators, einnehmen könnte, die allein der Bourgeoisie gestattet, lange Zeit ihre eigene Arbeiterklasse in der Hand zu halten.

Gerade in den letzen Monaten trafen bei uns Nachrichten aus Japan ein, dass dort eine mächtige revolutionäre und Streikbewegung im Gange ist, die circa 2 Millionen Arbeiter mitgerissen hat unter der Losung: „Reis und Frieden!" Das sind ja unsere Losungen, nur dass Brot auf japanisch Reis heißt. Im Übrigen sind es die Losungen unserer durch Militarismus und Krieg erschöpften Arbeiterklasse. Japan besitzt, wie Sie wohl wissen, eine große Nachahmungsfähigkeit. Das ist nicht irgendeine eingeborene nationale Eigentümlichkeit, das ist die Eigenschaft einer Nation, die später als die anderen den Weg der internationalen Entwicklung beschritten hat und gezwungen ist, sprungweise die anderen Völker einzuholen. Deshalb hat Japan in sich die Fähigkeit entwickelt, die anderen Völker nachzuahmen und von ihnen Gepflogenheiten, Methoden, Techniken zu übernehmen. Solche Völker lernen früher europäisch tun als europäisch denken.

Die japanische Bourgeoisie steckt noch bis über den Kopf in den alten feudalen Vorurteilen, in den Anschauungen des Sippen- und Kastendaseins, in den Vorurteilen dieser Samurai-Kasten, in den alten „heidnischen" Religionen usw. usw. Aber sie versteht es schon mit ihren Händen die Profite einzuheimsen nach allen Methoden der kapitalistischen Buchführung.

Die japanische Arbeiterklasse bleibt entschieden ihrem Bewusstseinsgrade nach stark hinter ihrer eigenen Erfahrung zurück. Genossen, was ist überhaupt Bewusstsein? Das ist das trägste Ding, wenn es auch die menschliche Psyche ist. Subjektivisten, wie unsere Sozialrevolutionäre, glaubten, alles würde vom Bewusstsein aus vorwärts getrieben. Das ist nicht wahr. Wenn das Bewusstsein der Menschen in der Tat ein fortschrittlicher Faktor wäre, so hätte es diesen verdammten Krieg, diese Erniedrigungen, diese Verbrechen nicht gegeben.

Steht denn das alles nicht in Büchern geschrieben? All das ist vorausgesagt, bis auf das letzte Tüpfelchen vorausgesagt worden. Wenn das Bewusstsein also die Menschen bewegt hätte, müssten sie schon längst all das begriffen haben und hätten schon längst ihre herrschenden Klassen zum Teufel gejagt. Warum geschieht das nicht? Darum, weil das Bewusstsein faktisch der trägste Faktor in der ganzen Geschichte ist. Es ist notwendig, dass die äußeren materiellen Faktoren auf die Völker los prügeln, die Klassen auf den Rücken, den Nacken, das Genick hauen, damit dieses verfluchte Bewusstsein endlich erwache und hinter den Tatsachen her wackle.

All das wird besonders klar an Japan, gerade deshalb, weil Japan durch seine ganze Lage gezwungen war, in kürzester Zeit sich europäische Mordinstrumente anzuschaffen – sonst würde man es zerdrücken. Für Mordinstrumente braucht man Fabriken. Für Fabriken – eine Technik. Und nun schafft sich Japan in aller Eile eine eigene Technik, eine Wissenschaft, eine Industrie an. Der philosophische Teil des Bewusstseins, das politische, kritische Bereich des Bewusstseins kam nicht mit, und so stecken die Japaner in ihrer großen Masse noch geistig in mittelalterlicher Barbarei. Aber namentlich unter diesen Umständen sind Sprünge nach vorwärts unvermeidlich.

Wir stellen uns die japanische Arbeiterklasse als zurückgebliebene Arbeiterklasse vor. Das stimmt. In ihrer Masse ist sie noch höchst rückständig. Aber hat man nicht gestern noch von der russischen Arbeiterklasse gesagt: „Ihr glaubt, dass in Russland nicht nur eine Revolution, sondern auch die Diktatur der Arbeiterklasse sein wird. Aber das russische Proletariat ist ja im höchsten Grade rückständig. Es steckt noch in bäuerlichen Vorurteilen." Darauf erwiderten wir: „Wenn wir bloß auf das jetzige Bewusstsein des Proletariats in der Gesamtmasse bauen würden, wäre natürlich Eure Kritik richtig. Aber es gibt eine objektive Logik, eine Logik unserer zentralisierten Industrie, eine Logik des russischen Zarismus, eine Logik der konterrevolutionären russischen Bourgeoisie, der Nichtigkeit der kleinbürgerlichen Demokratie, eine Logik der internationalen Lage. Diese äußere objektive Logik wird zur historischen Peitsche werden, die die russische Arbeiterklasse vorwärts treiben wird, in der ersten Zeit sogar gegen ihr Bewusstsein, auf dem Weg zur Eroberung der Macht."

Wir behielten recht. Dasselbe ist von der japanischen Arbeiterklasse zu sagen, die noch später den Weg der historischen Entwicklung beschritten hat und die gezwungen ist, sich noch rascher zu entwickeln. Diese drei Millionen Arbeiter, die unter der Parole: „Brot und Frieden" streiken, machen einen solchen Entwicklungsmoment durch, in dem sich unser Jahr 1903, als wir die erste mächtige Streikbewegung erlebten, unser Jahr 1905, als die Revolution noch zu dem Zaren wallfahrte, und sogar der Anfang der Revolution 1917, als unsere Arbeiter und Arbeiterinnen Frieden und Brot forderten, vereinigen. All das wird da vereinigt.

Die Raubgier der japanischen Bourgeoisie, ihre militaristische Wut wird immer mehr wachsen, denn für Japan gibt es nichts Schrecklicheres, als die Vereinigten Staaten Amerikas. Amerika hatte früher keine Armee, jetzt hat es eine gewaltige Armee. Seine Flotte wird verstärkt. In Vergleich mit Amerika ist Japan arm und ist gezwungen, auf Grund dieser Armut eine mächtige Armee zu schaffen und dadurch erbarmungslos die japanische Arbeiterklasse auszubeuten und auszuplündern. Das sind die objektiven Faktoren, die dafür sprechen, dass die japanische Revolution unvermeidlich ist.

Die japanische Bourgeoisie hat in kurzer Zeit die europäische Bourgeoisie mehr oder minder eingeholt im Sinne der Produktionstechnik und der Technik der Plünderung. Die japanische Arbeiterklasse wird die europäische Arbeiterklasse in der Technik der proletarischen Revolution einzuholen haben.

Aus meiner kurzen Übersicht der Bewegung der Arbeiterklasse der verschiedenen Länder folgt, Genossen, dass der Krieg überall den grundsätzlichen Antagonismus der Klassen bloßgelegt hat, jenen Antagonismus, der im Frieden nicht so auffällig ist, der nicht so klar von der Arbeiterklasse gefühlt und empfunden wird. Jetzt ist er bloßgelegt, und die Arbeiter aller Länder sehen sich vor die Alternative gestellt: entweder von der Geschichte vernichtet werden oder die Staatsmacht erobern. Deshalb ist der Krieg die Mutter der Revolution.

Vorausgesetzt, dass Amerika und Japan zurückbleiben werden, während Europa vom Brand der sozialen Revolution erfasst sein würde, – dann würden diese beiden Länder den Versuch machen, uns zu erdrosseln.

Wenn die deutsche Arbeiterklasse einen Schritt vorwärts tun wird – und sie wird diesen Schritt tun – und die Macht erobern wird, ihre Bourgeoisie expropriieren und die Organisierung der kommunistischen Wirtschaft in Angriff nehmen wird, dann wird sie und ihre Technik tausendmal stärker sein als wir, durch ihre Organisation, und unser Bündnis mit ihr, das Bündnis Sowjetrusslands mit der deutschen kommunistischen Arbeiterklasse oder ein Bündnis von Sowjetrussland mit Sowjetdeutschland, dieses Bündnis allein ist eine genügende Macht, an der die europäische und die internationale Reaktion zerschellen wird.

Von diesen Perspektiven der nächsten Periode aus gesehen, kann unsere Lage gar nicht besser sein, Genossen.

All das, an was wir – die Revolutionäre der älteren Generation – Jahrzehnte lang gedacht, worauf wir gehofft, was wir erwartet haben, das ist jetzt zur Tatsache geworden.

Es wäre jedoch die größte Leichtfertigkeit, Genossen, wenn wir daraus allzu optimistische Schlüsse ziehen wollten, wenn wir uns sagen würden, dass wir die kommunistische Revolution schon sozusagen in der Tasche haben. Mitnichten!

Noch ist die größte Gefahr für die Revolution und vor allem für Sowjetrussland nicht beseitigt. Noch ist der Imperialismus nicht erschlagen.

Bis vor kurzem noch war diese Gefahr Deutschland. Jetzt ist das imperialistische Deutschland abgetreten. Aber das bedeutet nicht, dass die Gefahr geringer geworden sei. Die unmittelbare, sofortige Gefahr ist größer geworden.

Jetzt ist die ganze Welt im buchstäblichen Sinne des Wortes in zwei Teile zerfallen: die Bolschewiki und die Andern. Es beginnt der letzte Kampf auf Leben und Tod.

Genossen, das ist keine Agitationsphrase, das ist die wahrhaftige Realität. Nehmt die Presse aller Länder, die bürgerliche leitende Presse, die sozial-opportunistische Presse, und Ihr werdet sehen, dass keine Frage mehr anders behandelt wird, als unter dem Gesichtspunkt, welche Bedeutung die Lösung dieser Frage für den Kampf gegen den Bolschewismus haben würde.

Als man in Deutschland in den letzten Tagen darüber diskutierte, ob man, nachdem Wilhelm gestürzt war, Frieden schließen solle oder nicht, meinten die einen, man müsste sofort Frieden schließen, denn der Friede ist an sich ein solcher Segen, dass selbst der schlimmste Friede die revolutionären Elemente zügeln und mit dem Bolschewismus, der das Haupt erhebt, fertig werden würde. Die anderen meinten, man sollte keinen Frieden schließen, denn alle Schwankungen seien gefährlich. „Wenn wir vor dem englischen Imperialismus erzittern, so werden wir zeigen, dass wir schwach sind, Dies wird die deutsche Arbeiterklasse sehen und dies wird ihr zur Entwicklung des Bolschewismus Anlass geben."

Allein unter dem Gesichtspunkt des Kampfes gegen den Bolschewismus, d. h. Kommunismus, lebt momentan der bürgerliche und opportunistische Gedanke, die ganze Politik und Strategie der herrschenden Klassen von ganz Europa, der ganzen Welt. Das ist eine Tatsache von ungeheuerlicher Bedeutung. Dadurch wird vor allem unsere Partei als leitende historische Kraft anerkannt. Ferner sehen wir in dieser Tatsache den Ausdruck der Ratlosigkeit, der Unsicherheit, der Furcht der herrschenden Klassen aller Länder. Das aber ist die wichtigste Vorbedingung des Erfolges. Aber bis zu dem völligen Erfolg, Genossen, können noch einige Jahre, oder vielleicht Monate, vergehen, wenn alles gut gehen wird. In den Monaten können in unserer Zeit große Ereignisse an dieser und jener Seite eintreten.

Erinnert Euch doch, dass noch vor acht, sieben, sechs Monaten der deutsche Imperialismus seinen Willen der ganzen Welt diktierte und wir am Boden lagen. Vergleicht damit das, was jetzt vor sich geht. Welche gewaltigen Veränderungen! Die Geschichte bedient sich jetzt nicht kleiner, feingeschliffener Instrumente, o nein, sie arbeitet mit dem schweren Dampfhammer, den sie auf die Köpfe von Klassen, Nationen, Völkern und Staaten niedersausen lässt, indem die einen zerschmettert und die anderen empor geschleudert werden. Und bei dieser Titanenarbeit kann ein solcher Schlag auch auf uns niedersausen, – das darf man nicht vergessen, Genossen!

Die revolutionäre Begeisterung besteht nicht darin, dass man die Augen vor der Gefahr schließt. Die Gefahr ist da, besonders droht sie uns von der Südfront her.

Nicht seitens Krasnow oder Denikin, sondern seitens des englisch-französischen Imperialismus, für den ein Krasnow und Denikin als Ausgangspunkte dienen können!

Ihr wisst, welch ein Wechsel in der Orientierung aller neutralen und nicht okkupierten Länder vor sich geht. In den Ländern, die noch vor kurzem von Deutschland am Gängelband geführt wurden, den Ländern, deren Bourgeoisie vor kurzem noch vor Wilhelm auf dem Bauche rutschte, erklären sie jetzt laut, dass der wahre Schuldige am Kriege der deutsche Kaiser sei, und sie verwandeln sich in Vasallen des englisch-französischen Militarismus. Es ist selbstverständlich, wenn gestern noch die Türkei am Kaspischen Meere gegen England und seinen Agenten Bitscherachow kämpfte, so wird morgen Bitscherachow mit türkischen Truppen sich gegen uns wenden.

Krasnow und Denikin waren verfeindet, weil Krasnow seine Silberlinge aus Deutschland von Wilhelm bezog und Denikin von Lloyd George und Clemenceau. Jetzt ist dieser Antagonismus, der nichts Prinzipielles hat, (englische und französische Silberlinge klingen ganz gleich) verschwunden und Krasnow hat sich mit Denikin vereinigt auf Geheiß des englisch-französischen Imperialismus.

In der Ukraine stand Skoropadski im Dienst der deutschen Regierung. Jetzt hat sich Skoropadski mit Rumänien vereinigt. Rumänien, das früher von den Alliierten zu Deutschland übergelaufen war, ist jetzt auf demselben Weg, durch dieselbe Tür von Deutschland zu den alliierten Imperialisten zurückgekehrt, Sie alle verbünden sich und gleichen ihre Front gegen uns aus. Auch das, was auf der Balkaninsel noch zurückgeblieben ist, all das wird sich natürlich gegen Sowjetrussland kehren.

Die Versuche, uns von der Nordfront aus zu erdrosseln, sind einstweilen erfolglos geblieben. Gewiss, die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass die Nordfront im Frühling wieder erwachen wird, wenn bis zum Frühling in England und in Frankreich keine größeren Ereignisse eintreten werden. Aber jetzt, während der Wintermonate, droht uns vom Norden her keine Gefahr.

Vom Osten ist auch keine Gefahr zu erwarten.

Die Wolga haben wir gesäubert, am Ural geht die Arbeit langsamer vor sich, als man wünschen möchte, aber sie geht fest und gut voran. Es ist zu hoffen, dass Ufa und Orenburg in der nächsten Zeit in unseren Händen sein werden, (Beifall.)

Was die frühere Westfront, d. h. Deutschland betrifft, so wisst Ihr, dass dort in der letzten Zeit Weißgardisten sich gruppierten. Bei Pskow bildete sich die Armee des Generals Dragomirow, die gegen Petrograd marschieren sollte.

Der deutsche Militarismus schuf an der ganzen Westfront konterrevolutionäre Kräfte gegen uns, schuf sie auch in der Ukraine. Jetzt, seit der deutschen Revolution, werden alle diese Kräfte in der Luft hängen bleiben. Natürlich wäre für uns die einzige Folgerung aus der Revolution in Deutschland die Annullierung des Friedens von Brest-Litowsk. (Beifall.) Aber das würde bedeuten, dass nicht Dragomirow uns von Pskow und Wilna angreifen, sondern dass irgendein anderer mit dem Sowjetbanner in der Richtung Pskow, Wilna, Riga marschieren wird – nach allen Zentren der okkupierten Gebiete. Es ist für uns alle kein Geheimnis, dass in all diesen Gebieten momentan unsere Parteien, die Kommunistischen Parteien, an der Spitze der Arbeiter – und zum großen Teil auch der Bauernmassen stehen, und dass die Sowjetregierung nicht teilnahmslos dem Kampfe zuschauen wird, der dort sich schon abspielt und der morgen sich in seiner ganzen Macht in der Ukraine entfalten wird.

Jetzt verliert dieser Kampf den geringsten Beigeschmack des Kampfes zwischen uns und Deutschland, denn ein freies Lettland, ein freies Polen und Litauen, und ein freies Finnland, ebenso wie eine freie Ukraine werden nicht mehr einen Keil bilden zwischen Sowjetrussland und dem künftigen Sowjetdeutschland und Österreich-Ungarn, sondern ein Verbindungsglied. Das ist der Anfang der Föderation, das ist der Anfang der europäischen kommunistischen Föderation, der Bund der proletarischen Republiken Europas.

Wir werden also von unserer Westfront her von keiner Gefahr bedroht; im Gegenteil, dort werden wir unsere Sache zu Ende führen und Russland jene Grenzen verleihen, die den Willen der Volksmassen auf dem Territorium des alten zaristischen Reiches entsprechen.

Aber die Südfront bleibt für uns immer noch gefährlich. Hier, Genossen, kann der fatale Knoten geschürzt werden. Deutschland strebte über die Ukraine und über Transkaukasien nach den englischen Besitzungen in Asien, hier lag der geplante große imperialistische Weg Deutschlands. Jetzt ist das imperialistische Deutschland zerschmettert. Aber diesen Weg verfolgen jetzt die Engländer und Franzosen, um die sich alle konterrevolutionären Elemente scharen. Die Türkei, die Ukraine, die Don-Kosaken, die transkaukasischen Völker oder richtiger deren bürgerlichen Klassen, – sie alle werden durch das Zement des Klassenhasses gegen die proletarische kommunistische Revolution zusammengehalten werden.

Ihr habt ja gelesen, dass die ersten Schiffe bereits in den Gewässern des Bosporus vor den Mauern Konstantinopels aufgetaucht sind. Wir erhalten die drahtlose Meldung, dass Dutzende von französischen und englischen Kriegsschiffen im Schwarzen Meere auf dem Wege nach Odessa, Sebastopol und Nowo-Rossijsk sind. Damit steht im Zusammenhang die Frage der englisch-französischen Truppen an der Schwarzmeerküste und der Vormarsch auf die Ukraine, Natürlich wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird. Ein Geschwader aufstellen ist nichts. Deutschland musste zusammen mit Österreich-Ungarn eine halbe Million Soldaten in der Ukraine unterhalten, bloß um die Knotenpunkte der Eisenbahnen in den Händen zu haben und das Land, das sich im Zustand ununterbrochenen Brodelns befand, vor der Explosion zu bewahren. Das war eine provisorische Halbordnung, die den deutschen Truppen die Möglichkeit gab, die ukrainischen Bauern auszuplündern. Die Engländer und Franzosen werden eine ebenso große Armee brauchen, denn die Sympathien der ukrainischen Bauern und der ukrainischen Arbeiter für diese Befreier wird nicht glühender sein als für die deutschen Soldaten. Es handelt sich ja nicht um die Ukraine allein, sondern um ganz Russland. Gewiss, die deutschen weißen Garden und die ukrainische Bourgeoisie werden ihnen helfen. Die Kaders der großrussischen Bourgeoisie, der großrussischen Imperialisten werden sich auf die Ukraine stürzen und werden den englischen und französischen Räubern helfen.

Und dennoch erfordert diese Aufgabe nicht Tage und nicht Wochen, sondern Monate. Die Gefahr ist groß, die Gefahr ist besonders dadurch groß, dass den Alliierten momentan die Hände gelöst wurden. Deutschland ist zerschmettert, gewaltige militärische Kräfte sind frei geworden.

Freilich, die Revolutionsgefahr ist in ganz Europa gewachsen, aber diese Revolution ist noch nicht da, sie beginnt erst. Sie wird kommen, aber heute ist sie noch nicht da. Es gilt, die Lage zu berücksichtigen, die heute besteht. Und so haben sie noch die materielle Möglichkeit, noch mehr Streitkräfte in die Ukraine zu werfen.

Unsere Rettung besteht darin, dass der englische und französische Imperialismus nicht die Möglichkeit bekommt, sich der russischen Konterrevolution anzuschließen.

Die deutschen Truppen bilden in der ganzen Ukraine ihre Sowjets und ziehen dann nach Hause oder gehen auf unsere Seite über. Ihre Waffen überlassen sie uns. Aber die deutschen Truppen ziehen ab und andere können anrücken, schon sind sie im Anzug. Diesen Moment müssen wir ausnutzen. Wenn die einen gehen und die anderen kommen, müssen wir uns als Keil hineindrängen und in Bezug auf die ganze Ukraine mit den ukrainischen Arbeitern und Bauern sagen: „Dies ist auch ein Teil unseres sowjetistischen Hauses. Wir müssen die Tür zuschlagen, abschließen und den ausländischen Lumpenkerlen, sowohl den deutschen wie den englischen, zurufen: „Eintritt verboten!" (Beifall.)

Genossen, die ganze Geschichte hat sich jetzt, wie in einem Brennpunkt in dieser Frage konzentriert. Werden wir es fertigbringen, werden wir die Zeit haben? Sollte es nicht der Fall sein, so will ich nicht sagen, dass die Revolution untergehen würde, die Weltrevolution kann nicht untergehen. Wir hatten die Pariser Kommune, die erdrosselt wurde. Wir erlebten das Jahr 1905, als wir abgewürgt wurden. Aber wir richteten uns empor. Und wenn man uns wieder niedermachen würde, so würde die Revolution auf unseren Gebeinen auferstehen. Aber wir begnügen uns nicht mit einem Sieg letzthin, etwa nach 25-50 Jahren. Wir selbst wollen siegen; diejenigen, die hier sitzen, unsere Generation, die die Macht ergriffen hat, wollen sie nicht aus der Hand geben. Das ist eben die Sache. (Beifall)

Die Aufgabe, die uns die Geschichte gestellt hat, muss von uns gelöst werden. Eben deshalb hat das Zentral-Exekutivkomitee erklärt, dass unsere Sowjetrepublik in ein Heerlager umgewandelt wird. Keine andere Aufgabe ist so gebieterisch, so verpflichtend, so dringend wie die Aufgabe des bewaffneten Kampfes an der Südfront.

Manchmal stößt man, ich möchte sagen, auf die amtliche Beschränktheit, auf die professionelle Verstocktheit eines Teiles unserer Sowjetfunktionäre. Mir gehen hier und da telegraphische Klagen zu darüber, dass unsere Kriegsmaschine verschiedene Kulturaufgaben, Kulturarbeiten verhindert. Ich weiß es wohl. Die Kriegsmaschine, die viel Kraft und Mittel beansprucht, arbeitet allzu oft schwerfällig, barbarisch, brutal. All das ist eine Tatsache, ich will es zugeben. Aber leider, Genossen, ist dies eine Folge davon, dass wir einen Krieg auf Leben und Tod führen, und der Krieg ist ja ein hartes Metier, Der Krieg ist ein unbarmherziges Ding. Natürlich, in jeder Stadt, in Woronesch, in Kursk, in Moskau, in Tambow, überall macht sich die Tatsache, dass wir auf Leben und Tod Krieg führen, darin bemerkbar, dass das Bildungskommissariat vernachlässigt wird, das Justizkommissariat vernachlässigt wird, die soziale Fürsorge vernachlässigt wird, dass nicht nur materielle Mittel angefordert werden, sondern Menschen, die besten Arbeiter angefordert und an die Front geschickt werden.

Wenn Sowjetfunktionäre sich darüber beklagen, dass man den Schulen die Lehrer entzogen hätte und sie die Lehrer brauchten, weil es gute proletarische Lehrer wären, so antwortete ich immer dasselbe: „Sie werden gewiss auch ausgezeichnete rote Offiziere sein, ich gebe sie Euch nicht wieder." Ich empfing von Arbeitern einer Krankenkasse telegraphisch die Klage darüber, dass man die besten Ärzte mobilisiert hat. Wir brauchen Ärzte vor allem für die Armee. Und die guten Ärzte der Krankenkasse werden auch gute Ärzte für die Soldaten sein. Die Tatsache, dass Russland in ein bewaffnetes Lager verwandelt ist, drückt sich darin aus, dass alles, was nur irgendwie möglich ist, alle materiellen Mittel, das ganze Menschenmaterial mobilisiert wird, und dies geschieht mit verzehnfachter Kraft. Es muss außerdem auch das Bewusstsein aller Sowjetfunktionäre mobilisiert werden, damit sie einsehen und verstehen, dass an der Südfront jetzt das Schicksal unseres Landes entschieden wird. Wenn wir hier nur ein wenig Wanken, wenn wir straucheln, so wird von den Krankenkassen und der ganzen Bildung nichts übrig bleiben. Wir müssen uns die Möglichkeit der Existenz und folglich auch der Kulturarbeit sichern. Daher – alle Kräfte und alle Mittel für die Armee,

Ich weiß wohl, die Woronescher Genossen haben sehr viel geleistet. Aber sie haben noch nicht alles getan. Die Arbeit muss und soll noch zentralisierter und angespannter geführt werden. Es gab einen Moment, als die Frage der Evakuierung von Woronesch akut wurde. Von einer solchen Frage kann jetzt nicht mehr die Rede sein. (Beifall,)

Woronesch kann unter keinen Umständen, unter keinen Umständen, evakuiert werden, es muss verteidigt werden, Ihr müsst hier das tun, was die Sowjets im ganzen Wolgagebiet tun, die aus der bitteren Erfahrung des tschechoslowakischen Aufstandes gelernt haben. Dort wird jede Stadt gegenwärtig in eine Festung verwandelt. Die Arbeiter machen eine militärische Schule durch. Ein Teil der Arbeiter ist in eine Garnison verwandelt, die auf die einzelnen Stadtviertel verteilt ist. Jedes Viertel hat seinen Kommandanten in Gestalt eines zuverlässigen revolutionären Arbeiters. Jeder Arbeiter weiß, wohin er sich zu melden hat, welchen Posten er einzunehmen hat, im Moment der Gefahr. Kurzum, alle Wolgastädte sind jetzt in Festungen verwandelt, und wenn das Kriegsglück uns untreu werden sollte und wenn – das Unmögliche sei angenommen – unsere Feinde vom Osten wieder die Wolga erreichen sollten, so würden sie eine Befestigungslinie finden, an der sie sich ihre Zähne ausbeißen würden.

Auch Ihr, Genossen, müsst in dieser Art Woronesch zu einer der südlichen Festungen machen. Die Arbeiterklasse der Betriebe und der Eisenbahnen von Woronesch müssen die Garnison dieser Festung abgeben.

Das ist die nächstliegende Aufgabe der hiesigen militärischen Behörden, gemeinsam mit dem Sowjet, den Gewerkschafts- und den Betriebsorganisationen: Woronesch in eine tüchtige Festung der Südfront verwandeln! Ich zweifle nicht daran, dass diese Aufgabe erfüllt werden wird.

Die Aufgabe unseres Gouvernements-Sowjets gegenüber dem ganzen Gouvernement besteht darin, die Eisenbahnlinien, die durch das Gouvernement gehen, zu sichern. Die Kosaken durchbrechen die Eisenbahnlinien stets mit Hilfe der reichen Bauern der umliegenden Dörfer. Es gilt mehr Strenge im Eisenbahngebiet walten zu lassen. Es muss auf die reichen Bauern der Dörfer und Ortschaften, die längs der Eisenbahnlinie liegen, die direkte Verantwortung für die Sicherheit des Eisenbahnnetzes abgewälzt werden. Betrachtet die letzten Aufstände der reichen Bauern, die bei Euch im Gouvernement Woronesch waren, – wie ein Lauffeuer breiteten sie sich den Eisenbahnen entlang aus. Das ist das System, das die Kosaken und die reichen Bauern unter Leitung der Offiziere von der deutschen Okkupation in der Ukraine übernommen haben, wo die Deutschen die Knotenpunkte der Eisenbahnen besetzten. Zum Kampf gegen dieses System braucht man minimale Streitkräfte. Nach diesem Typus war auch die Verschwörung vorbereitet, die sich am Jahrestag unserer Oktober-Revolution ausbreiten sollte. Alle diese Aufstände: die Aufstände der Matrosenbanden in Petrograd, die Bauernaufstände an verschiedenen Orten und in verschiedenen Gouvernements sind – dies steht bereits fest, – einzelne Splitter des geplanten Riesenaufstandes, der am Jahrestag unserer Revolution ausbrechen sollte. Aber in Petrograd kam es früher zum Durchbruch – die Organisation hielt nicht stand. Die Revolte ging auch an anderen Orten vor dem Termin los, und es begann die Zersetzung. Aber morgen kann der Aufstand von Neuem anfangen und sich längs der Eisenbahnlinien fortpflanzen. Die Aufstände werden so lange anhalten, so lange die Südfront fortbesteht. Man kann die Aufstände der reichen Bauern ein für allemal nur durch ein Mittel liquidieren, nämlich, indem man die Südfront, die große Hoffnung der Bourgeoisie und der reichen Bauern, liquidiert. Hierher, aut die Südfront sind große Streitkräfte gerichtet. So wollen wir doch für unsere Woronesch-Front noch Hunderte der besten Arbeiter hergeben, die hier Regimentskommissare, Kommandeure, einfache Kämpfer sein werden, die vor allem durch das Beispiel ihres eigenen Mutes vorbildlich sein werden. Dann werden wir über genügend Kräfte verfügen, um ein für allemal die Kosakenbanden zu liquidieren. Wir sind verpflichtet zu siegen, denn im Süden unseres Landes wird jetzt über das Geschick nicht allein der russischen Revolution, sondern über das Geschick der Weltrevolution in den nächsten Jahren entschieden Wenn wir hier unsere Feinde Fuß fassen lassen und uns erdrosseln lassen, so wird dies die schlimmsten Folgen für die Arbeiterklasse aller Länder haben.

Genossen wir stehen jetzt wie ein Leuchtturm auf großer Höh'. Man will uns unbedingt stürzen. Der Umstand, dass wir, die wir von einem Ring von Feinden umgeben sind, uns bisher gehalten haben, hat schließlich den Ausbruch der Revolution in Deutschland und in Österreich-Ungarn hervorgerufen. Wären wir gestürzt, so wäre es ein gewaltiger Gewinn für unsere Klassenfeinde und ein fürchterlicher Schlag für unsere Freunde in der ganzen Welt. Genossen, wir haben kein Recht zu fallen. Wir sind zu hoch emporgestiegen. Als Sowjetregierung und als Partei haben wir allzu große Verpflichtungen vor der internationalen Arbeiterklasse übernommen. Wir sind verpflichtet zu siegen. Und da hier momentan unsere Hauptfront ist, so müssen wir dieser Front alles hingeben, was wir haben. Ihr werdet diese Front uneinnehmbar machen. Noch mehr. Ihr werdet die Kräfte hergeben, die uns sowohl nach Nowotscherkassk, wie nach Rostow, nach Poltawa, nach Charkow und nach Kiew hinbringen werden. Durch Kiew führt der direkte Weg zur Vereinigung mit der Österreich-ungarischen Revolution, genau wie der Weg durch Pskow und Wilna zur direkten Vereinigung mit der Revolution in Deutschland führt.

Die Periode des Rückzuges, die mit dem Frieden von Brest-Litowsk eingesetzt hat, diese Periode des Rückzuges an allen Fronten ist zu Ende. Die Atempause, die uns von der Geschichte gewährt wurde, ist liquidiert. Im Zurückweichen haben wir Kräfte gesammelt. Jetzt sind wir verpflichtet, sie in Aktion zu setzen. Vormarsch an allen Fronten! Vormarsch an der Westfront, Vormarsch an der Südfront – an allen revolutionären Fronten! Die Weltgeschichte arbeitet für uns, aber wir selber sind die lebende Kraft der Weltgeschichte. Mit der Stunde, wo wir uns bis ins Innerste von unserer historischen Aufgabe erfüllen, sind uns keine Gefahren mehr schrecklich. Die Verpflichtung, die Sowjetrussland vor der internationalen Arbeiterklasse übernommen hat, wird Sowjetrussland erfüllen. Wir werden unsere Sowjetrepublik schützen, sichern, erhalten,. als Hochburg der sozialen Revolution, bis zu ihrer Vereinigung mit der Weltrevolution.

Kommentare