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Leo Trotzki 19181120 Befehl

Leo Trotzki: Befehl

des Volkskommissars für das Heereswesen und des Vorsitzenden des Revolutionären Kriegsrates der Republik an die VIII. Armee vom 20. November 1918.

Nr. 6, Station Liski.

[nach Leo Trotzki: Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 157-160]

Geheim.

Die Truppen der VIII. Armee weisen in ihrer Mehrheit einen außerordentlichen Mangel an Standhaftigkeit auf. Ganze Regimenter zerfallen mitunter bei Zusammenstößen mit numerisch schwächeren und ebenfalls wenig standhaften Truppen des Gegners. Der Zerfall der Truppen zwingt das Kommando der VIII. Armee die Lücken mit frischen, neu gebackenen Truppen zu stopfen. Diese letzteren erfahren dasselbe Schicksal, d. h. fallen auseinander, manchmal schon bei der ersten Feuertaufe. Man kann dem ein Ende machen und die Stabilität der Armee erhöhen nur durch ein System organisatorischer, erzieherischer und Disziplinarmaßnahmen, die von oben mit fester Hand durchgeführt werden. Es gilt vor allem, das Kommandopersonal aufzupeitschen. Die Kommandeure haben sich daran gewöhnt, straflos die Befehle zu übertreten und sich zu ihrer Rechtfertigung auf die Wünsche ihrer Truppenteile zu beziehen. Manche Kommandeure antworten auf die Befehle etwa: „Meine Truppe will nicht mit … Meine Truppe ist müde und wird nicht ausrücken… . Meine Soldaten haben nicht rechtzeitig Löhnung oder warme Wäsche erhalten; sie werden nicht ausrücken, bis sie das Ihre erhalten haben,” Ein Kommandeur, der imstande ist, solche Antworten zu geben, ist entweder ein Schafskopf oder ein Verbrecher.

Unserer Roten Armee fehlt der Klassengegensatz zwischen der Soldatenmasse einerseits und den Offizieren und der Regierung andererseits. Die öffentliche Meinung der Arbeiterklasse fordert von den Soldaten eine straffe Disziplin. Unsere Roten Soldaten werden dem Kommandopersonal unbedingten Gehorsam leisten, wenn die Kommandeure es für ihre Pflicht halten werden, Gehorsam unter allen Umständen und um jeden Preis zu erzwingen.

Der Kommandeur, der nicht selbstsicher genug ist und nicht bereit ist, die Erfüllung der Kampfbefehle zu erzwingen, der unfähig ist, die Soldaten mit sich mitzureißen, muss zum Gemeinen seines eigenen Regiments degradiert werden.

Mitunter zeigen die Kommandeure eine außerordentliche Nachlässigkeit und Schlampigkeit im Verbindungsdienst, im Überwachungsdienst und auch bei den operativen und Kundschaftermeldungen. Auf diesem Gebiet muss die strengste Disziplin eingeführt werden. Die geringsten Abweichungen von den Bedürfnissen und Regeln der Kampfordnung müssen nach den Gesetzen der Kriegszeit bestraft werden. Eine Begünstigung durch die Kommandopersonen in diesen Fragen gehört vor das Revolutionstribunal, als eins der schwersten Verbrechen.

Es muss ein für allemal festgestellt werden, dass jeder Rote Offizier für seine Truppe verantwortlich ist, und dass alle Versuche, sich hinter dem Rücken der Truppe zu verbergen, aufs Härteste bestraft werden müssen.

Die Truppenkommandeure melden oft in ihren Rapporten Rückzüge, die angeblich nach so und so viel Stunden „harten Kampfes" und nach „gewaltigen Verlusten“ im Kampfe angetreten worden seien. In den meisten Fällen ist unter dem „harten Kampf“ eine sinnlose, ungeordnete Schießerei ohne bestimmtes Ziel zu verstehen, die viel Munition vergeudet, aber die Sache um keinen Schritt vorwärts bringt. Unter den „gewaltigen Verlusten" ist in den meisten Fällen Fahnenflucht und Demoralisierung der Truppe zu verstehen. Man hat den Kommandeuren einzuprägen, dass es ihre Pflicht ist, exakt und gewissenhaft in ihren Rapporten zu sein, dass sie wenigstens ungefähr die Anzahl der Toten und Verwundeten anzugeben haben und die Fahnenflucht nicht verheimlichen dürfen, sondern sie beim richtigen Namen nennen müssen. Im Übertretungsfalle sind sie auf das Strengste zu bestrafen.

Die Kommissare dürfen nicht vergessen, dass sie für den Geist der Truppe und die Gewissenhaftigkeit des Kommandos verantwortlich sind. Ein Kommissar, der seine Unterschrift unter einen gewissenlosen Rapport des Kommandeurs setzt, begeht das schwerste Verbrechen. Der Kommissar hat während des Kampfes, besonders in kritischen Augenblicken, das untere Kommandopersonal fest im Auge zu behalten. In jenen Truppen, wo der Kommandeur des Regiments, der Kompanie oder des Zuges ein Führer ist, der seinen Platz kennt und die Truppe sicher leitet, kommt keine Panik vor, die Soldaten fühlen die sichere Führung, haben Vertrauen zu dem Kommando und tun ihre Pflicht. Für Panik, Verwirrung, Fahnenflucht und Demoralisierung sind hauptsächlich das Kommando und folglich auch die Kommissare verantwortlich zu machen. Jeder Kommissar muss nach jedem eventl. Unglücksfall in seiner Truppe sich klarmachen, wer der Hauptschuldige ist, um über die untauglichen Kommandeure Bericht zu erstatten. Nötigenfalls sind die ausgemachten Schurken an Ort und Stelle zu verhaften, d. h. jene Leute, die im Frieden gerne den Kommandeur spielen, in der Schlacht sich aber hinter ihrer Truppe verschanzen und sie beim Rückzug an ein sicheres Plätzchen treiben. Es ist Pflicht des Kommandeurs, durch das Revolutionstribunal die Erschießung solcher Lumpenkerle zu veranlassen. Es gilt, mit eiserner Energie dem Kommandeur und durch ihn auch allen Soldaten begreiflich zu machen, dass die Armee nicht zum friedlichen Zeitvertreib und nicht zur Spielerei da ist, sondern für das raue Kriegshandwerk, um mit bewaffneter Hand die Freiheit und die Unabhängigkeit des werktätigen Landes zu sichern. Gefahren, Verwundungen und Untergang sind die unvermeidliche Kehrseite im Leben des Kriegers. Vor ihnen zurückschrecken, heißt jeden Sinn der Existenz der Armee vernichten. Unsere Rote Armee hat ein so hohes Ziel vor sich, dass zu seiner Herbeiführung kein Opfer zu groß ist.

Es muss ein für allemal der Gedanke ausgerottet werden, dass Verbrechen gegen die Militärpflicht – einzelne und Massenverbrechen – unbestraft bleiben können. Es muss ein unermüdlicher Kampf gegen die Fahnenflucht geführt werden. Für erwiesene und erwischte Deserteure kann es nur eine Strafe geben: Füsilierung. Alle Fälle der Erschießung müssen in den Armeebefehlen publiziert werden, und es müssen die Namen, die Truppenteile und womöglich auch der Wohnort der Familie des Betreffenden bekanntgegeben werden.

In jenen Fällen, wo das Tribunal sich durch besondere Umstände – in erster Linie durch die Schuld des Kommandos – bewogen fühlt, die Fahnenflüchtigen oder die der Fahnenflucht Verdächtigen ihren Truppenteilen bedingt wieder zuzuführen, müssen diese bedingt Verurteilten besondere schwarze Kragen als Kennzeichen tragen, damit die Umgebung weiß, dass diese bedingt begnadigten Soldaten bei jedem weiteren Vergehen weder Gnade noch Nachsicht zu erwarten haben.

Hat der Soldat beim Rückzug das Gewehr, die Stiefel, überhaupt einen Teil seiner Uniform, Ausrüstung oder Bewaffnung fortgeworfen, so muss der Wert dieser Gegenstände ersetzt werden durch Abzüge von der Löhnung der Soldaten. Je nach den Umständen, unter denen der Verlust des Gegenstandes stattgefunden hat, kann der Abzug die Höhe der ganzen Löhnung eine gewisse Anzahl von Monaten lang betragen.

Neben diesen Strafen müssen auch Maßnahmen zur Aufmunterung getroffen werden. Die Kommissare und Kommandeure sollen die Soldaten der Roten Armee, die sich ausgezeichnet haben, für Geschenke, Geldbelohnungen und für den Orden der Roten Fahne, die tapferen Regimenter – für die Ehrenfahne Vorschlägen.

Zugleich sollen die Organe der Versorgung der VIII. Armee, die jetzt unter aller Kritik arbeiten, in Ordnung gebracht werden. Das Verhältnis der Personen, die das Versorgungwesen leiten, ist ein rein formal-bürokratisches, kein besseres, ja sogar ein weit schlechteres, als in der alten Zarenarmee. Die Aufgabe der Versorgung besteht nicht darin, dass man vor der Regierung eine Rückendeckung hat in Form von Telegrammen, Anweisungen und Berichten, die mehr oder weniger fingiert sind. Die Aufgabe der Versorgung besteht darin, jedem Kämpfer alle notwendigen Gegenstände zur Bekleidung, Ernährung, Bewaffnung und Ausrüstung zu verschaffen. Bis jetzt verstanden es die leitenden Männer der VIII. Armee im Versorgungwesen weder vom Zentrum die notwendigen Gegenstände zu beschaffen, noch sie einigermaßen planmäßig und rechtzeitig zu verteilen.

Ich erinnere daran, dass sämtliche Angestellte der Militärämter im Militärverhältnis stehen und dass Nachlässigkeit, Saumseligkeit und Sorglosigkeit oder gar Gewissenlosigkeit nach den Gesetzen der Kriegszeit bestraft werden müssen.

Dieser Befehl soll gedruckt an alle Kommandopersonen und alle Angestellten in den Städten und den Verpflegungsorganen durch die Kommissare, mit deren persönlicher Unterschrift,weitergeleitet werden. Sämtliche Quittungen sollen durch den Stab der VIII. Armee dem Revolutionären Kriegsrat der Südfront eingeliefert werden.

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